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Haut und Trauma: Zur Geschichte der Verletzung* - Esther Fischer ...

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<strong>Esther</strong> <strong>Fischer</strong>-Homberger <strong>Haut</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauma</strong>: <strong>Zur</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Verletzung<br />

dirigierenden Verbindungsgliedes«), welche Monakow übrigens mit <strong>der</strong> »›Sejunktion‹<br />

Wernicke« vergleicht. 15<br />

Bei Freud schließlich scheint <strong>der</strong> innerpsychische, als Ursprung <strong>der</strong> Scheidung<br />

zwischen dem Bewusstsein <strong>und</strong> dem Unbewussten imaginierte Verdrängungsmechanismus<br />

das Erbe <strong>der</strong> <strong>Haut</strong> übernommen zu haben. So nennt Freud den Schmerz »das<br />

Vorbild <strong>und</strong> das erste Beispiel <strong>der</strong> psychischen Verdrängung« <strong>und</strong> »die Abwendung<br />

von <strong>der</strong> Erinnerung«, die bei <strong>der</strong> Verdrängung stattfindet, »eine Wie<strong>der</strong>holung <strong>der</strong><br />

einstigen Flucht vor <strong>der</strong> Wahrnehmung«, <strong>der</strong> Wahrnehmung eines Schmerzes nämlich,<br />

welche die nociceptive Fluchtbewegung auslöst (1900a, G.W. Bd 2, S. 606).<br />

Als im Ersten Weltkrieg die ›traumatische Neurose‹ als ›Shell Shock‹, ›Kriegsneurose‹<br />

<strong>und</strong> ›Kriegshysterie‹ geradezu epidemisch auftrat, brach das exogene<br />

<strong>Trauma</strong> wie<strong>der</strong> in das psychoanalytische Bewusstsein durch. Gleichzeitig generierte<br />

die psychoanalytische Theorie ein neues <strong>Haut</strong>äquivalent, das nun wie<strong>der</strong><br />

seinen ange-stammten Ort zwischen einzelnen Individuen <strong>und</strong> ihrer äußeren Umgebung<br />

einnahm.<br />

Die Exogenie psychischer Kriegstraumata nicht anzuerkennen bedeutete zunächst<br />

entwe<strong>der</strong>, mit manchen patriotischen Militärärzten anzunehmen, Kriegsneurotiker<br />

seien Memmen <strong>und</strong> Drückeberger <strong>und</strong> reagierten hysterisch <strong>und</strong> zweckgerichtet<br />

(d.h. auch weibisch <strong>und</strong> simulationsnah) auf die Kriegssituation. O<strong>der</strong> es hieß,<br />

am endogenen Triebtrauma <strong>der</strong> klassischen Psychoanalyse festzuhalten. Das<br />

wäre gut möglich gewesen, wenn man die Existenz eines passiv-homosexuellen<br />

Wunsches, sich vom feindlichen Geschoß penetrieren zu lassen, angenommen<br />

hätte. Damit wäre die Kriegsw<strong>und</strong>e des Mannes nochmals mit dem weiblichen<br />

Introitus analog gesetzt gewesen <strong>und</strong> <strong>der</strong> gefallene Mann <strong>der</strong> gefallenen Frau. 16<br />

Diesen Gedanken hat Freud aber so wenig gepflegt wie er denjenigen des sexuellen<br />

Missbrauchs als Ursache von Hysterien weiterverfolgt hat. Hingegen hat<br />

er 1917 den »traumatischen Moment« zur »traumatischen Situation« erweitert,<br />

welche nun wie<strong>der</strong> deutlich mit äußeren Verhältnissen zu tun hatte. 17 Mit diesen<br />

hat er sich dann 1918 am Kongress <strong>Zur</strong> Psychoanalyse <strong>der</strong> Kriegsneurosen erstmals<br />

intensiv auseinan<strong>der</strong>gesetzt. Damals, wie vor allem dann 1920 mit seiner<br />

Arbeit zur Theorie Jenseits des Lustprinzips, hat er einige Vorschläge zur<br />

15 Monakow bezieht sich auf Carl Wernicke’s Gr<strong>und</strong>riss <strong>der</strong> Psychiatrie (von Monakow<br />

1905, S. 240–248 (Shock <strong>und</strong> Diaschisis), speziell S. 245, 247; vgl. <strong>Fischer</strong>-Homberger<br />

1972, S. 52.<br />

16 Malleier weist darauf hin, »dass bei den Soldaten ein Zusammenhang hergestellt wurde<br />

zwischen ›Tötungspotenz‹ <strong>und</strong> sexueller Potenz« (vgl. Malleier 1994, S. 213).<br />

17 »In ihren Träumen wie<strong>der</strong>holen diese Kranken regelmässig die traumatische Situation«<br />

(Freud, 1916–17a [1915–17], G.W. Bd 11, S. 283–284).<br />

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Rettung <strong>der</strong> Sexual- <strong>und</strong> Triebtheorie (<strong>und</strong> damit des Prinzips <strong>der</strong> Endogenie<br />

<strong>der</strong> Neurosen) gemacht, die ohne Rekurs auf ein homosexuelles Begehren <strong>der</strong><br />

Kriegsverletzten auskamen (<strong>Fischer</strong>-Homberger 1999, S. 281–285; 1975, S.<br />

151–159). Aber er konzedierte nun, dass bei <strong>der</strong> Entstehung <strong>der</strong> Kriegsneurose<br />

eine äußere Einwirkung auf die Psyche wirksam werde. In diesem Zusammenhang<br />

führte er den Begriff des ›Reizschutzes‹ ein. Diesem, so lehrte er, komme<br />

die Aufgabe zu, übermäßige Erregung vom seelischen Apparat abzuhalten.<br />

Erregungen von außen, die stark genug sind, den Reizschutz zu durchbrechen, heissen<br />

wir traumatische. Ich glaube, dass <strong>der</strong> Begriff des <strong>Trauma</strong>s eine solche Beziehung<br />

auf eine sonst wirksame Reizabhaltung erfor<strong>der</strong>t. (…) Ich glaube, man darf (…) wagen,<br />

die gemeine traumatische Neurose als die Folge eines ausgiebigen Durchbruchs<br />

des Reizschutzes aufzufassen.<br />

Freud beschreibt den ›Reizschutz‹ als eine reizaufnehmende Rindenschicht,<br />

welche die lebende Substanz vor <strong>der</strong> mit erschlagenden Energien geladenen<br />

Außenwelt schützt. Und zwar, indem sie an ihrer äußeren Oberfläche »die dem<br />

Lebenden zukommende Struktur aufgibt, gewissermaßen anorganisch wird <strong>und</strong><br />

nun als eine beson<strong>der</strong>e Hülle o<strong>der</strong> Membran reizabhaltend wirkt, das heißt,«<br />

dass sie von den »Energien <strong>der</strong> Außenwelt« nur einen Bruchteil an die nächsttieferen,<br />

»lebend gebliebenen Schichten« weitergibt.<br />

Diese können nun hinter dem Reizschutz sich <strong>der</strong> Aufnahme <strong>der</strong> durchgelassenen<br />

Reizmengen widmen. Die Außenschicht hat aber durch ihr Absterben alle tieferen vor<br />

dem gleichen Schicksal bewahrt, wenigstens so lange, bis nicht Reize von solcher<br />

Stärke herankommen, dass sie den Reizschutz durchbrechen. Für den lebenden Organismus<br />

ist <strong>der</strong> Reizschutz eine beinahe wichtigere Aufgabe als die Reizaufnahme,<br />

schreibt Freud. Die reizaufnehmende, lebendig gebliebene Substanz hat sich<br />

demgegenüber »in die Tiefe des Körperinnern zurückgezogen« 18 (1920g,<br />

G.W. Bd 13, S. 26–31). 1925 vergleicht er den Reizschutz mit dem Zelluloidblatt<br />

des sogenannten »W<strong>und</strong>erblocks«. Der W<strong>und</strong>erblock besteht aus einer<br />

dunkeln Wachstafel, einem darüberliegenden Seidenpapier <strong>und</strong> eben diesem<br />

strapazierfähigen durchsichtigen Deckblatt. Schreibt man, etwa mit einer<br />

18 Nur die Sinnesorgane hat sie sozusagen »an <strong>der</strong> Oberfläche (…) zurückgelassen.«<br />

Auch diese sind mit beson<strong>der</strong>en Vorrichtungen zum »Schutz gegen übergrosse Reizmengen<br />

<strong>und</strong> zur Abhaltung unangemessener Reizarten« ausgestattet, Fühlern vergleichbar,<br />

»die sich an die Aussenwelt herantasten <strong>und</strong> dann immer wie<strong>der</strong> von ihr<br />

zurückziehen« (Freud, 1920g, G.W. Bd 13, S. 27).<br />

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