27.10.2013 Aufrufe

Haut und Trauma: Zur Geschichte der Verletzung* - Esther Fischer ...

Haut und Trauma: Zur Geschichte der Verletzung* - Esther Fischer ...

Haut und Trauma: Zur Geschichte der Verletzung* - Esther Fischer ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Esther</strong> <strong>Fischer</strong>-Homberger <strong>Haut</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauma</strong>: <strong>Zur</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Verletzung<br />

physische Schmerz zunächst, den lokalisierend wahrzunehmen die <strong>Haut</strong> ja<br />

spezifisch geeignet ist (<strong>Fischer</strong>-Homberger 1998). Aber in <strong>der</strong> antiken ›solutio<br />

continuitatis‹ bilden Leiden am Integritätsverlust <strong>und</strong> W<strong>und</strong>schmerz,<br />

psychische <strong>und</strong> physische Aspekte <strong>der</strong> Trennung eine Einheit, kann die<br />

konkrete W<strong>und</strong>e daher auch für die W<strong>und</strong>e im weitesten Sinne stehen.<br />

Demgegenüber haben sich in <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne die <strong>der</strong> Chirurgie zugerechnete<br />

<strong>Trauma</strong>tologie <strong>und</strong> die Psychotraumatologie auseinan<strong>der</strong> entwickelt,<br />

wobei <strong>der</strong> populäre <strong>Trauma</strong>begriff heute eher für das Psychotrauma steht.<br />

Entsprechend gilt im späteren 20. Jahrh<strong>und</strong>ert als ›<strong>Trauma</strong>‹: Erstens das<br />

körperliche <strong>Trauma</strong> durch äußere Gewalteinwirkung, zweitens das psychische<br />

<strong>Trauma</strong>, hervorgerufen »durch ein – meist von inn. Triebspannungen<br />

bestimmtes – Erlebnis, (…) das vom Individuum nicht adäquat verarbeitet<br />

werden kann u. daher aus dem Bewusstsein verdrängt wird«. Die <strong>Haut</strong>verletzung<br />

kommt in diesem Lexikon als Nebenprodukt eines Spezialfalls von<br />

körperlichem <strong>Trauma</strong> vor: als »scharfes Tr. mit Kontinuitätstrennung des<br />

Integuments« (Real Lexikon <strong>der</strong> Medizin 1977). Das psychische <strong>Trauma</strong><br />

indessen geht sozusagen per definitionem nicht mit äußeren Spuren einher.<br />

Die alte Einheit von W<strong>und</strong>e, <strong>Haut</strong>verletzung <strong>und</strong> Schmerz<br />

»W<strong>und</strong>en«, lehrt <strong>der</strong> Klassiker <strong>der</strong> <strong>Trauma</strong>tologie, John Hunter (1728–1793),<br />

»sind Trennungen des Zusammenhangs, welche mehrentheils von <strong>der</strong> äussern<br />

Oberfläche anfangen, <strong>und</strong> sich von da einwärts erstrecken. Doch giebt es auch<br />

Fälle wo die Trennung von innen nach aussen geht, wie bei komplicirten Beinbrüchen«<br />

– die <strong>Haut</strong>läsion scheint hier selbstverständlich impliziert, Verletzungen,<br />

die mit <strong>der</strong> äußeren Luft nicht in Berührung kommen, nennt Hunter<br />

»accidents«. Sein Übersetzer, <strong>der</strong> Medizinprofessor Ernst Benjamin Gottlieb<br />

Hebenstreit (1758–1803) merkt dazu an: »zum Begrif einer W<strong>und</strong>e gehört noch<br />

meines Bedünkens dieses, daß sich dabei ein Ausfluß von Blut o<strong>der</strong> einer an<strong>der</strong>n<br />

dem Körper von Natur eignen Flüßigkeit findet« (Hunter 1797, S. 24–25;<br />

1794, S. 202–203; Sanson 1848, S. 400).<br />

1834 verweist auch Georg Friedrich Most’s Encyclopädie <strong>der</strong> gesammten<br />

medicinischen <strong>und</strong> chirurgischen Praxis von »<strong>Trauma</strong>, die W<strong>und</strong>e«, auf »Vulnus,<br />

<strong>Trauma</strong>, W<strong>und</strong>e«. Und dort heißt es:<br />

58<br />

Unter W<strong>und</strong>e verstehen wir eine jede durch äussere verletzende Werkzeuge,<br />

schneidende, hauende, stechende, durch geschossene Pfeile, Schrotkörner,<br />

Kugeln, gehacktes Eisen, Biss von Thieren etc. veranlasste Trennung <strong>der</strong><br />

Continuität (des Zusammenhanges) in den weichen Theilen des Körpers. (Most 1834,<br />

S. 602; 679–680)<br />

Durch »äussere verletzende Werkzeuge« wird die <strong>Haut</strong> notwendig mit verletzt.<br />

Auch in Johann Nepomuk Rusts Handbuch <strong>der</strong> Chirurgie von 1836 findet<br />

sich <strong>der</strong> Verweis vom Stichwort »<strong>Trauma</strong> (τραυµα)« auf »›Vulnus‹ (το<br />

τραυµα)«. »W<strong>und</strong>e«, steht dort,<br />

heißt eine Trennung des organischen Zusammenhanges, welche durch eine mechanisch<br />

wirkende Gewalt plötzlich hervorgebracht, <strong>und</strong> an <strong>der</strong> Oberfläche des Körpers<br />

wahrgenommen wird. Sobald irgend eine mechanische Verletzung organischer Theile<br />

nicht bis an die Oberfläche reicht, sobald sie z.B. mit unverletzter <strong>Haut</strong> besteht, kann<br />

sie demnach keine W<strong>und</strong>e genannt werden. Die Quetschung, bei welcher Blutgefäße<br />

o<strong>der</strong> Muskelfasern zerreißen, während die <strong>Haut</strong> unzertrennt bleibt, das Bersten <strong>der</strong><br />

Eingeweide <strong>und</strong> <strong>der</strong> Knochenbruch müssen deshalb von <strong>der</strong> Definition <strong>der</strong> W<strong>und</strong>e ausgeschlossen<br />

werden. – Wird die Trennung des Zusammenhanges durch einen organischen<br />

krankhaften Proceß, wie durch die Verschwärung, allmählig herbeigeführt, so<br />

darf sie eben so wenig eine W<strong>und</strong>e genannt werden; <strong>und</strong> wird sie von chemisch wirkenden,<br />

äußeren Schädlichkeiten o<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Hitze bewirkt, so schließt sie den Begriff<br />

<strong>der</strong> W<strong>und</strong>e ebenfalls aus. (Rust 1830–1836, Bd 16, S. 266; Bd 17, S. 432–433)<br />

Wenn ›<strong>Trauma</strong>‹ in den Handbüchern <strong>der</strong> Zeit kein eigenes Stichwort ist, ist<br />

es gewöhnlich unter ›W<strong>und</strong>e‹, ›plaie‹ o<strong>der</strong> <strong>der</strong>gleichen subsumiert. So zum<br />

Beispiel im Dictionaire des sciences médicales von 1812 3 ; auch in Prosch <strong>und</strong><br />

Ploss’ Encyklopädie von 1856 findet sich nur die »W<strong>und</strong>e (Vulnus)«: «die<br />

durch mechanische Gewalt plötzlich entstandene Trennung des Zusammenhangs«<br />

(Prosch & Ploss 1856, S. 873).<br />

Der konstitutiven Bedeutung <strong>der</strong> »Trennung des Zusammenhanges« für das<br />

›<strong>Trauma</strong>‹ entspricht die therapeutische Vereinigung <strong>der</strong> W<strong>und</strong>rän<strong>der</strong>. Die Behandlung<br />

<strong>der</strong> W<strong>und</strong>en durch »vereinigende Binden, durch Heftpflaster <strong>und</strong> durch<br />

die blutige Naht« (Rust 1830–1836, Bd 17, S. 449, 451), <strong>und</strong> <strong>der</strong> »bandage unissant«<br />

(vgl. Fodéré 1820) gehört zur ureigensten w<strong>und</strong>ärztlichen Gestik. »Die<br />

(…) natürlichen Erscheinungen, unter denen die W<strong>und</strong>en heilen, <strong>und</strong> die Continuität<br />

hergestellt wird,« schreibt <strong>der</strong> Berliner Chirurg <strong>und</strong> Medizinalbeamte<br />

Johann Nepomuk Rust (1775–1840), »dienen dem W<strong>und</strong>arzte zur Richtschnur<br />

3 »plaie«; »traumatique, adj.«: »traumaticus (…) qui a rapport aux plaies« (vgl. Fodéré<br />

1820; Dictionaire des sciences médicales 1812–1822, Bd 55, 514).<br />

59

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!