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mir natürlich die Abende aus, wo das eher<br />

nicht passiert.<br />

Aber das können Sie vorher doch nicht wissen.<br />

Sagen wir so, es gibt Musik, die dazu<br />

einlädt, den Autopiloten einzuschalten,<br />

<strong>zum</strong> Beispiel die Dritte oder die Siebte<br />

Symphonie von Beethoven oder sämtliche<br />

Tschaikowsky-Symphonien. Das<br />

gehört alles <strong>zum</strong> Repertoire, das hört<br />

man einfach wahnsinnig oft.<br />

Bemerken nur Sie den Autopiloten oder auch das<br />

Publikum?<br />

Auch das Publikum, aber eher unbewusst. Man<br />

merkt es daran, dass die Unruhe größer wird.<br />

Die Menschen husten und räuspern sich, die<br />

Konzentration im Saal lässt nach. Es gibt da eindeutig<br />

eine Wechselwirkung zwischen dem Orchester<br />

und seinem Publikum.<br />

Wie empfinden Sie das Publikum des<br />

Symphonieorchesters des Bayerischen<br />

Rundfunks?<br />

Das Publikum gibt es nicht, es gibt nur<br />

Publikümer. Am Donnerstag gehen andere<br />

Menschen ins Konzert als am Freitag.<br />

In den Herkulessaal gehen andere<br />

als in den Gasteig. Es gibt verschiedene<br />

Abo-Reihen, die unterschiedlich alt<br />

sind und dementsprechend von verschiedenen<br />

Menschen gebucht werden.<br />

Aber grundsätzlich, im Vergleich zu Berlin oder<br />

Hamburg?<br />

Die Münchner sind sehr kompetent und sachkundig,<br />

die kennen sich aus, das kann man<br />

schon sagen. Es geht um die Musik, nicht ums<br />

Gesehenwerden oder den Glamour, auch wenn<br />

man immer wieder das Gegenteil hört. Aber,<br />

das muss man auch sagen, sie lassen sich nicht<br />

so gern überraschen. Man hört in München<br />

ganz gern Musik, die man gut kennt. Das kann<br />

auch ein Problem sein.<br />

Aber es gibt doch die musica-viva-Konzerte.<br />

Ja, ich gehe da auch regelmäßig hin,<br />

aber man kann die Sache auch so sehen,<br />

dass die musica viva eher ein Abstellplatz<br />

für zeitgenössische Musik ist.<br />

Dann wäre es so, dass sie verhindert,<br />

dass Neue Musik selbstverständlicher<br />

Teil des Repertoires wird.<br />

Wie bewerten Sie den aktuellen Leistungsstand des<br />

Symphonieorchesters?<br />

In München ist es eindeutig die Nummer Eins.<br />

In Deutschland würde ich die Berliner Philharmoniker<br />

immer noch vorziehen, aber das hat<br />

vielleicht auch mit dem Konzertsaal zu tun. Bei<br />

den Berlinern, auch den Wienern, haben die einzelnen<br />

Instrumentengruppen einen noch persönlicheren,<br />

unverwechselbareren Klang, aber<br />

wir reden hier von den letzten zwei, drei Prozent.<br />

Das Symphonieorchester des Bayerischen<br />

Rundfunks ist absolute Weltklasse.<br />

Welche Qualitäten schätzen Sie besonders?<br />

Es verfügt über eine hohe Virtuosität,<br />

sehr gute Solisten, vor allem bei den Bläsern,<br />

und eine große Herzenswärme im<br />

Klang. Diese Wärme passt zur Person<br />

Mariss Jansons, der auch ein sensibler,<br />

herzlicher Mensch ist. Er ist ein wunderbarer<br />

Chefdirigent, vielleicht als Interpret<br />

gar nicht so profiliert, aber was er<br />

an einem Konzertabend aus dem Orchester<br />

rausholen kann, das ist absolute<br />

Weltspitze. Und noch eine Sache: Man<br />

merkt extrem, dass sich viele der Musiker<br />

für spezielle Musikrichtungen und -genres<br />

begeistern können. Die einen spielen<br />

privat Neue Musik, die anderen interessieren<br />

sich für historische Aufführungspraxis<br />

oder Kammermusik. Das verleiht<br />

dem Orchester eine enorme Stärke.<br />

Gibt es irgendetwas, das Sie stört?<br />

Kaum, aber wenn ich jetzt wirklich was sagen<br />

muss, dann ist es die Lautstärke. Manchmal drücken<br />

sie mir das Gaspedal zu sehr durch. Ich<br />

mag dieses Powern nicht immer. Ein gutes Orchester<br />

erkennt man auch daran, dass es sehr,<br />

sehr leise spielen kann.<br />

Welche Komponisten hören Sie vom<br />

Symphonieorchester am liebsten?<br />

Alles, was zwischen 1880 und 1950<br />

komponiert wurde, da sind sie perfekt.<br />

Für Beethoven dagegen mag ich sie gar<br />

nicht so gern, diese spätromantische<br />

Haltung kann ich an jeder Straßenecke<br />

hören, aber Schostakowitsch, Mahler,<br />

Bruckner, Bartók, Strawinsky, die ganze<br />

klassische Moderne – ein Traum.<br />

Erinnern Sie sich noch an die letzte Sternstunde,<br />

die Ihnen das Orchester beschert hat?<br />

Bruckners Fünfte mit Daniel Harding am Pult.<br />

Sensationell.<br />

Und die letzte Enttäuschung?<br />

Eine Haydn-Messe am Anfang der letzten<br />

Spielzeit. Eigentlich mag ich den Dirigenten,<br />

der das dirigiert hat, aber an<br />

dem Abend lag er irgendwie daneben.<br />

Ist Musikkritik überhaupt sinnvoll, oder ist es am<br />

Ende eben doch eine Frage des Geschmacks?<br />

Natürlich geht es um Geschmack, das macht es<br />

ja so interessant, über Musik zu diskutieren.<br />

Man kann heutzutage davon ausgehen, dass alle<br />

Noten in der richtigen Tonhöhe erklingen. Es<br />

gibt Stellen, da sind die Musiker noch vor zehn<br />

Jahren regelmäßig gestolpert, so was passiert<br />

heute nicht mehr, die sind alle perfekt. Trotzdem<br />

gibt es verschiedene Schulen, Geschmäcker, Traditionen,<br />

auf deren Grundlage man diskutieren<br />

kann. Meine Aufgabe ist es nicht, meinen Geschmack<br />

als einzigen Bewertungsmaßstab anzulegen,<br />

das wäre zu simpel, nein, es geht darum,<br />

die innere Stimmigkeit und Konsequenz einer<br />

Interpretation zu beurteilen.<br />

Und wenn der Kollege in der anderen<br />

Zeitung genau das Gegenteil schreibt?<br />

Kann man davon ausgehen, dass es sich<br />

nicht um ein hundertprozentig geglücktes<br />

Konzert handelt.<br />

Wann schreiben Sie Ihre Texte?<br />

Am liebsten gleich nach dem Konzert, wenn der<br />

Eindruck frisch ist. Und nie mit Alkohol, das<br />

geht nicht. Im Grunde rattert es in mir ab dem<br />

Moment, wo ich den Konzertsaal verlasse. Der<br />

Text steht mir dann klar vor Augen. Ob ich ihn<br />

nachher auch genau so niederschreiben kann,<br />

ist eine andere Sache.<br />

Wo hören Sie das Orchester lieber, in der<br />

Philharmonie oder im Herkulessaal?<br />

Kommt drauf an, was gespielt wird. Das<br />

Verdi-Requiem oder eine Mahler-Symphonie<br />

würde ich nicht im Herkulessaal<br />

hören wollen. Abgesehen davon mag<br />

ich seine Atmosphäre nicht. Die Architektur<br />

ist unschön, die Damen müssen<br />

stundenlang vor der Toilette anstehen,<br />

und die Garderoben sind unpraktisch.<br />

Sie gehen lieber in die Philharmonie?<br />

Das habe ich nicht gesagt. Mit der bin ich nämlich<br />

auch noch nie warm geworden. Mir gefällt<br />

dieses Kulturpalastartige aus den Achtzigern<br />

einfach nicht. Der beste Konzertsaal in München<br />

ist das Prinzregententheater.<br />

Kann man das als Plädoyer für einen<br />

neuen Konzertsaal verstehen?<br />

Ich würde mich sehr freuen, ja. Wissen<br />

Sie, wenn jemand eine große Trommel<br />

schlägt, dann will ich das körperlich<br />

spüren, das muss durch mich durchgehen,<br />

dass ich zittere. In Luzern ist das<br />

<strong>zum</strong> Beispiel so, aber nicht im Gasteig.<br />

Da haut einer auf die Trommel, und ich<br />

höre es, aber spüre nichts. Das verringert<br />

den Genuss.<br />

Wenn Sie einen Wunsch an das Orchester frei<br />

hätten, welcher wäre es?<br />

Der neue Konzertsaal ist es nicht, den brauchen<br />

wir sowieso. Also wünsche ich mir ein großes<br />

öffentliches Gratis-Konzert für alle Münchner,<br />

weil ich finde, dass das Orchester in der Stadt<br />

zu wenig verwurzelt ist. Schon jetzt werden die<br />

Orchester der Rundfunkanstalten immer wieder<br />

in Frage gestellt. Das könnte nach Einführung<br />

der Haushaltsgebühr noch schlimmer<br />

werden. Und da wird es wichtig,<br />

das Symphonieorchester des<br />

Bayerischen Rundfunks<br />

auch emotional näher<br />

an die Menschen<br />

dieser Stadt zu<br />

binden.<br />

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