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Sie fliegen regelmäßig von Rom nach München, um<br />
das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks<br />
zu hören. Warum?<br />
Weil es das beste Orchester der Welt ist, für<br />
mich auf einer Stufe mit den Berliner und den<br />
Wiener Philharmonikern. Diese zwei haben<br />
vielleicht noch einen größeren Namen, eine<br />
längere Tradition, aber qualitativ kann ich keinen<br />
Unterschied mehr erkennen.<br />
Wie oft kommen Sie nach München?<br />
Letztes Jahr war ich zwölfmal da, ich<br />
habe mehrere Abonnements. Leider<br />
werde ich es dieses Jahr nicht so oft<br />
schaffen, weil ich sehr viel zu tun habe.<br />
Eine teure Leidenschaft, Sie müssen ja nicht nur<br />
die Karten, sondern auch den Flug und das Hotel<br />
bezahlen.<br />
Ich bin kein Millionär, wenn Sie darauf anspielen,<br />
im Gegenteil. Ich suche immer den billigsten<br />
Flug, oft finde ich einen für neunzig Euro, und<br />
wohnen tue ich meistens bei Freunden in Solln.<br />
Eigentlich laufen meine München-Ausflüge immer<br />
gleich ab: Ich komme am Freitagabend an,<br />
gehe ins Konzert, übernachte, treffe am nächsten<br />
Morgen ein paar Freunde, gehe am Abend in die<br />
Oper und fliege Sonntagmorgen zurück.<br />
Seit wann sind Sie Abonnent des Orchesters?<br />
Seit 2004. Damals lebte ich für drei Jahre<br />
in München, bis ich aus beruflichen<br />
Gründen zurück nach Rom musste.<br />
2004 bis 2007, das war eine unglaublich<br />
spannende Zeit hier in München. Mariss<br />
Jansons war ziemlich neu beim<br />
Symphonieorchester, Christian Thielemann<br />
hatte gerade bei den Philharmonikern<br />
angefangen, und Zubin Mehta<br />
war Chef an der Bayerischen Staatsoper.<br />
Drei so große Dirigenten in einer Stadt,<br />
wo gibt es das schon? Ich saß damals<br />
praktisch jeden Abend im Konzert oder<br />
in der Oper.<br />
Erinnern Sie sich an Ihr erstes Konzert mit dem<br />
Symphonieorchester?<br />
Natürlich. September 2004, Tschaikowsky mit<br />
Jansons am Pult. Danach habe ich sofort mehrere<br />
Abonnements bestellt. Dieses Orchester ist<br />
wunderbar, übrigens auch der Chor des Bayerischen<br />
Rundfunks. Vor kurzem habe ich Riccar-<br />
Fabrizio Scotto di Santolo<br />
do Mutis neues Buch über Verdi gelesen. Und<br />
wissen Sie, was er da schreibt? Dass er heute<br />
noch an das Verdi-Requiem mit dem Symphonieorchester<br />
und dem Chor des Bayerischen<br />
Rundfunks denken muss – ich glaube, das war<br />
1981. Man muss sich das mal vorstellen: Muti<br />
hat das Requiem ein dutzendmal aufgeführt,<br />
mit den Wiener Philharmonikern, mit Luciano<br />
Pavarotti und so weiter, aber seine Lieblingsaufführung<br />
war die mit dem Symphonieorchester<br />
und dem Chor des Bayerischen Rundfunks.<br />
Gehen Sie lieber in den Herkulessaal oder<br />
in die Philharmonie?<br />
Meistens in den Herkulessaal. Ich habe<br />
dort einen festen Platz links oben im<br />
Rang, den ich mir ganz bewusst ausgesucht<br />
habe.<br />
Warum genau dort?<br />
Weil ich sowohl die Musiker als auch den Dirigenten<br />
genau sehen will, seine Mimik, seine<br />
Gestik, das ist mir wichtig.<br />
Gehen Sie auch in Rom in Konzerte?<br />
Längst nicht so häufig wie in München.<br />
Nach Rom kommen viele Dirigenten,<br />
deren Namen man nicht kennt. Verstehen<br />
Sie mich nicht falsch, das sind auch<br />
gute Leute, aber nach München kommen<br />
die größten. Allein das ist der Beweis,<br />
wie gut dieses Orchester ist, dass<br />
Dirigenten wie Jansons, Muti oder Colin<br />
Davis mit ihm zusammen arbeiten.<br />
Ein Weltklasse-Dirigent sucht sich kein<br />
mittelmäßiges Orchester aus.<br />
Wofür schätzen Sie Mariss Jansons?<br />
Er ist ein wunderbarer Dirigent, am liebsten<br />
höre ich von ihm Tschaikowsky oder Schostakowitsch,<br />
da kommt seine russische Seele am<br />
besten zur Geltung. Ich kann mich noch gut an<br />
das Beethoven-Violinkonzert mit Maxim Vengerov<br />
erinnern, man hat jede Sekunde gespürt, da<br />
harmonieren zwei Menschen, die den gleichen<br />
Hintergrund haben und eine Mentalität, eine<br />
Seelenlage teilen.<br />
Wie finden Sie das Münchner Publikum?<br />
Auf jeden Fall ist es ganz anders als das<br />
Klassikpublikum in Rom.<br />
Wo liegt der Unterschied?<br />
Die Münchner passen auf, sind hochkonzent-<br />
riert und höflich, das alles sind die Römer nicht.<br />
Dafür sind die Italiener im Applaus wärmer<br />
und herzlicher. Wirklich große Konzerte sind<br />
bei uns so selten, dass die Menschen unglaublich<br />
dankbar sind, wenn doch mal eine Sternstunde<br />
passiert. Wenn in München mal jemand<br />
jammert, dann auf hohem Niveau, München ist<br />
eine wundervolle Musikstadt.<br />
Was mögen Sie an ihr?<br />
Dass sie die Balance zwischen ihrer bayerischen<br />
Tradition und zeitgemäßer Ästhetik<br />
so perfekt hinbekommt. Ich<br />
komme aus einer sehr konservativen Familie<br />
aus Süditalien, ich mag es, wenn<br />
es ordentlich und korrekt zugeht. Trotzdem<br />
müssen die Münchner aufpassen:<br />
Ordnung ist nicht das Wichtigste im<br />
Leben, sie kann auch hinderlich sein,<br />
aber egal, ich habe damals in einer kleinen<br />
Wohnung in Harlaching gewohnt,<br />
und wenn ich nachts das Fenster offen<br />
hatte, war es so unglaublich still, dass<br />
ich den Schnee fallen hören konnte, das<br />
werde ich nie vergessen. In welcher Millionenstadt<br />
ist so etwas schon möglich?<br />
In Rom schneit es halt nicht so oft.<br />
Und selbst wenn, könnte man es nicht hören.<br />
Es ist so laut in dieser Stadt. Immer hört man<br />
irgendwo Musik, eine Waschmaschine oder<br />
Geschrei. Einmal – es war zwei Uhr<br />
nachts – konnte ich meine Nachbarin,<br />
die gerade Karaoke sang, nur<br />
zur Ruhe bringen, indem<br />
ich sehr laut Bach spielte<br />
– nach ein paar<br />
Minuten hatte<br />
sie es begriffen.<br />
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