Hat Freud nur geträumt? - Institut für Psychologie und ...
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Universität Bremen<br />
Studiengang <strong>Psychologie</strong><br />
Bremer <strong>Institut</strong> <strong>für</strong> Theoretische <strong>und</strong> Angewandte Psychoanalyse<br />
<strong>und</strong><br />
<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Psychologie</strong> <strong>und</strong> Kognitionsforschung<br />
<strong>Hat</strong> <strong>Freud</strong> <strong>nur</strong> <strong>geträumt</strong>?<br />
Die Funktion von Träumen<br />
aus psychoanalytischer <strong>und</strong> neurowissenschaftlicher Sicht<br />
Diplomarbeit<br />
vorgelegt von Jana Steinig<br />
Bremen, Juli 2005<br />
Erstgutachterin: Prof. Dr. E. Reinke<br />
Zweitgutachterin: Prof. Dr. C. Basar-Eroglu
Inhaltsverzeichnis<br />
1. Einleitung.............................................................................................................. 1<br />
2. Definition <strong>und</strong> historischer Rückblick ............................................................... 5<br />
2.1. Definition ......................................................................................................... 5<br />
2.2. Historischer Rückblick..................................................................................... 6<br />
3. Psychoanalytische Traumtheorie........................................................................ 8<br />
3.1. <strong>Freud</strong> <strong>und</strong> die Traumdeutung .......................................................................... 8<br />
3.1.1. Die Traumarbeit ...................................................................................... 9<br />
3.1.2. Die Funktion von Träumen ................................................................... 16<br />
3.2. Psychoanalytische Traumdeutung nach <strong>Freud</strong>.............................................. 23<br />
3.2.1. Der Traum in der analytischen Therapie............................................... 25<br />
3.2.2. Experimentelle psychoanalytische Traumforschung ............................ 27<br />
3.3. Die Funktion des Traumes aus psychoanalytischer Sicht.............................. 30<br />
3.3.1. Der Traum als Kompensation ............................................................... 30<br />
3.3.2. Der Traum als Prospektion / Konfliktlösung ........................................ 31<br />
3.3.3. Der Traum als Ausdrucksmittel des seelischen Zustandes ................... 32<br />
3.3.4. Der Traum als Kommunikationsmittel.................................................. 33<br />
3.3.5. Die integrative Funktion ....................................................................... 34<br />
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie............................................................. 37<br />
4.1. Physiologische Gr<strong>und</strong>lagen ........................................................................... 37<br />
4.1.1. Das Elektroenzephalogramm ................................................................ 37<br />
4.1.2. Die verschiedenen Schlafstadien........................................................... 38<br />
4.2. Anfänge der neurowissenschaftlichen Traumforschung ................................ 41<br />
4.2.1. Die Entdeckung des REM-Schlafes...................................................... 41<br />
4.2.2. Das Modell der reziproken Interaktion ................................................. 43<br />
4.2.3. REM-Schlaf = Träumen? ...................................................................... 47<br />
4.2.4. Die klinisch-anatomische Korrelation................................................... 48
4.3. Neurowissenschaftliche Traumforschung heute ............................................ 52<br />
4.3.1. Die Neurodynamik des Träumens......................................................... 52<br />
4.3.2. Träume <strong>und</strong> bildgebende Verfahren...................................................... 60<br />
4.4. Die Funktionsfrage aus neurowissenschaftlicher Sicht ................................. 63<br />
4.4.1. Die Funktion des Schlafes..................................................................... 64<br />
4.4.2. Die Funktion des REM-Schlafes........................................................... 66<br />
4.4.3. Die Funktion von Träumen ................................................................... 71<br />
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften - Zusammenführung der beiden<br />
Ansätze ................................................................................................................ 74<br />
5.1. <strong>Freud</strong>s Wandel von den Neurowissenschaften zur Psychoanalyse................ 74<br />
5.2. Das Zustands-Wechsel-Modell nach Koukkou <strong>und</strong> Lehmann........................ 78<br />
5.3. Der dynamische Traumprozess nach Solms <strong>und</strong> seine Implikationen <strong>für</strong> die<br />
Psychoanalyse................................................................................................ 81<br />
5.4. Der Traum <strong>und</strong> die Psychosen ....................................................................... 89<br />
5.5. Kritik an der Neuro-Psychoanalyse............................................................... 91<br />
6. Zusammenfassung <strong>und</strong> Ausblick...................................................................... 96<br />
6.1. Zusammenfassung .......................................................................................... 96<br />
6.2. Ausblick.......................................................................................................... 98<br />
Danksagung ............................................................................................................ 100<br />
Literatur.................................................................................................................. 101<br />
Erklärung gem. § 16 Abs. 6 DPO ........................................................................ 109
1. Einleitung<br />
1. Einleitung<br />
Fast jeder Mensch träumt, die meisten können sich - zumindest schemenhaft - an ihre<br />
nächtlichen Traumschöpfungen erinnern, aber <strong>nur</strong> wenige haben eine Vorstellung,<br />
worum es sich dabei wirklich handelt: Was genau sind Träume? Warum können sich<br />
manche von uns an sie erinnern, andere dagegen nicht? Enthält der Traum eine Bot-<br />
schaft, die es zu entschlüsseln gilt? Was geschieht in unserem Gehirn, während wir<br />
träumen? Und vor allem: Warum träumen wir überhaupt?<br />
Als ein äußerst subjektives Phänomen haben sich Träume lange Zeit jeglicher wis-<br />
senschaftlichen Beobachtung <strong>und</strong> Kontrolle entzogen. Aus Mangel an objektiven<br />
Kriterien <strong>und</strong> Maßstäben sowie Kontroll- <strong>und</strong> Vergleichsmöglichkeiten ist man ver-<br />
sucht zu glauben, bei den Träumen handle es sich lediglich um eine höchst persönli-<br />
che, individuell sehr unterschiedliche Erscheinung, die jedoch den Anforderungen<br />
der wissenschaftlichen <strong>und</strong> experimentellen Untersuchung nicht genügt. Trotzdem<br />
fasziniert das Thema Träume die Menschheit seit jeher. Die Alten in der Antike, die<br />
Griechen, die Gelehrten <strong>und</strong> die Laien - alle bilden sich, wie wir im 2.Kapitel dieser<br />
Arbeit sehen werden, schon seit Menschengedenken ihre ganz eigene Meinung <strong>und</strong><br />
Theorie zu diesem Thema.<br />
Als der Österreicher Sigm<strong>und</strong> <strong>Freud</strong> (1856-1939) im Jahre 1900 mit seiner ‚Traum-<br />
deutung’ den ersten umfassenden Versuch unternimmt, eine allgemeingültige Traum-<br />
theorie zu etablieren, ist ein wichtiger Schritt getan, Träume zu einem wissenschaft-<br />
lichen Thema zu machen. So wichtig die ‚Traumdeutung’ <strong>für</strong> <strong>Freud</strong> persönlich <strong>und</strong><br />
sein weiteres Schaffen ist, so wichtig ist sie auch <strong>für</strong> den Traum selbst, der damit auf<br />
einmal ins Zentrum einer wissenschaftlich orientierten Öffentlichkeit gerückt ist.<br />
Auch wenn es in der heutigen Zeit immer mehr Kritik an <strong>Freud</strong>s - angeblich veralte-<br />
ten - Theorien gibt <strong>und</strong> eine experimentelle Untermauerung der aufgestellten Hypo-<br />
thesen verlangt wird, bedeutet dies nicht, dass der Traum völlig von der Bildfläche<br />
verschw<strong>und</strong>en wäre. Interessanterweise suchen heute immer mehr Neurowissen-<br />
schaftler die Herausforderung, sich mit diesem schwierigen Thema zu befassen <strong>und</strong><br />
neurophysiologische Hinweise <strong>für</strong> oder gegen die <strong>Freud</strong>sche Theorie zu finden.<br />
Wie im 5.Kapitel dieser Arbeit ersichtlich werden wird, scheint diese Verknüpfung<br />
von Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften (unter diesem Begriff fasse ich Neuro-<br />
physiologie, Neurochemie, Neurobiologie <strong>und</strong> Neuropsychologie zusammen) gar<br />
1
1. Einleitung<br />
nicht so weit hergeholt zu sein. <strong>Freud</strong> selbst, der von Haus aus Neurologe ist, hat<br />
ursprünglich zum Ziel, ein „Arbeitsmodell der Psyche als eines neurologischen Ap-<br />
parates“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.18) zu errichten. Während der Entstehung seines ‚Entwurfs<br />
einer <strong>Psychologie</strong>’ im Jahre 1895, strebt er an, „psychische Vorgänge darzustellen<br />
als quantitativ bestimmte Zustände aufzeigbarer materieller Teile“ (<strong>Freud</strong>, 1900,<br />
S.17), wobei er mit „materiellen Teilen“ die Neurone meint. Dabei wird deutlich,<br />
dass <strong>Freud</strong> hier bereits eine Zusammenführung der Psychoanalyse <strong>und</strong> der Neuro-<br />
wissenschaften anstrebt. Aus Mangel an neurowissenschaftlichen Erkenntnissen zu<br />
seiner Zeit, aber auch aus verschiedenen anderen Gründen (siehe Kapitel 5.1), inte-<br />
ressiert sich <strong>Freud</strong> nach Abschluss seines ‚Entwurfs’ jedoch immer mehr <strong>für</strong> die psy-<br />
chologischen <strong>und</strong> klinischen Aspekte als <strong>für</strong> die medizinischen <strong>und</strong> theoretischen<br />
Probleme, bis er sich schließlich ganz von den Neurowissenschaften ab <strong>und</strong> der Psy-<br />
choanalyse zu wendet. Von nun an bemüht er sich nicht mehr explizit um die neuro-<br />
physiologische F<strong>und</strong>ierung seiner Theorien, obwohl davon ausgegangen werden<br />
kann, dass er nie ganz aufhört hat zu hoffen, dass eines Tages die naturwissenschaft-<br />
lichen Beweise <strong>für</strong> seine Annahmen geliefert werden würden.<br />
Dies stellt sich lange Zeit als unrealistische Hoffnung dar, wird doch gerade der Psy-<br />
choanalyse vorgeworfen, ihre Hypothesen ohne wissenschaftliche Belege zu vertre-<br />
ten. So kam es, dass sich Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften einander lange<br />
Zeit fast feindselig gegenüberstanden. Während die Neurowissenschaftler <strong>Freud</strong>s<br />
Theorien als unhaltbar <strong>und</strong> hypothetisch kritisieren, vertreten die Psychoanalytiker<br />
die Meinung, dass <strong>nur</strong> mit Hilfe der ihnen eigenen Techniken (freie Assoziation,<br />
Übertragung, Gegenübertragung, etc.) die unbewussten Konflikte <strong>und</strong> Wünsche auf-<br />
gespürt werden können, die sich ihrer Ansicht nach hinter den Neurosen <strong>und</strong> ihren<br />
Symptomen verbergen. Erst seit kurzem, also r<strong>und</strong> h<strong>und</strong>ert Jahre später, entsteht ein<br />
neuer Trend, der zu einer Annäherung beider Disziplinen führt. Im Jahre 2000 wird<br />
in London die internationale Gesellschaft <strong>für</strong> Neuro-Psychoanalyse gegründet mit<br />
dem Ziel, eine Zusammenführung der beiden Disziplinen anzustreben. Vorsitzende<br />
sind der englische Neurowissenschaftler <strong>und</strong> Psychoanalytiker Mark Solms <strong>und</strong> der<br />
estnische Neurowissenschaftler Jaak Panksepp. Die Zeitschrift „Neuro-<br />
Psychoanalysis“ erscheint zweimal im Jahr <strong>und</strong> soll den Austausch innerhalb der<br />
beiden Richtungen gewährleisten. Auch in Deutschland gibt es ähnliche Strömungen.<br />
So entsteht am Sigm<strong>und</strong>-<strong>Freud</strong>-<strong>Institut</strong> in Frankfurt im Jahre 2003 das ‚Center for<br />
2
1. Einleitung<br />
Neuro-Psychoanalysis’ das sich in einem von mehreren Forschungsprojekten auch<br />
mit der neurophysiologischen Traumdynamik <strong>und</strong> ihren Verbindungen zur <strong>Freud</strong>-<br />
schen Traumtheorie befasst. Weitere Zentren gibt es außer in London <strong>und</strong> Frankfurt<br />
noch in New York, Michigan <strong>und</strong> Kapstadt <strong>und</strong> in Kürze vermutlich auch in Stock-<br />
holm <strong>und</strong> Paris. Auf diese Weise wird <strong>Freud</strong>s Wunsch, seine <strong>Psychologie</strong> auf ein<br />
physiologisches F<strong>und</strong>ament zu stellen, immer wahrscheinlicher, da sich heute ver-<br />
schiedene Forscher weltweit darum bemühen, die scheinbar gegensätzlichen Annah-<br />
men von Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften miteinander zu vereinigen.<br />
Ich persönlich finde diesen Versuch, <strong>Freud</strong>s h<strong>und</strong>ertjährige psychoanalytische Theo-<br />
rien einer neurowissenschaftlichen Betrachtung zu unterziehen <strong>und</strong> zu versuchen,<br />
seine Vermutungen auf Gr<strong>und</strong> aktueller Ergebnisse der Hirnforschung zu widerlegen<br />
oder zu bestätigen, höchst spannend. Dass sich diese zwei, bislang eher skeptisch,<br />
wenn nicht gar feindselig gegenüber stehenden Disziplinen, damit annähern, halte<br />
ich <strong>für</strong> äußerst fruchtbar <strong>und</strong> vielversprechend. Dabei geht es meiner Ansicht nach<br />
allerdings nicht darum nachzuweisen, wer ‚Recht’ hat <strong>und</strong> wer nicht, sondern viel-<br />
mehr um eine gegenseitige Ergänzung.<br />
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit möchte ich die Ergebnisse dieser Annäherung<br />
im Bereich der Traumforschung darstellen. Ich konzentriere mich dabei vor allem<br />
auf die Frage nach der Funktion von Träumen. Warum träumen wir? <strong>Hat</strong> es über-<br />
haupt einen Sinn oder handelt es sich dabei lediglich um völlig bedeutungslose Es-<br />
kapaden unseres schlafenden Gehirns? Eine isolierte Betrachtungsweise allein der<br />
Funktion des Träumens erweist sich als sehr schwierig, da es eine kaum überschau-<br />
bare Menge an Theorien zum Thema Träume gibt. Im Rahmen dieser Arbeit soll der<br />
Schwerpunkt daher auf den psychoanalytischen <strong>und</strong> neurowissenschaftlichen Theo-<br />
rien liegen.<br />
Dazu befasse ich mich im 2.Kapitel zunächst mit einer möglichen Definition des<br />
Traumes <strong>und</strong> einem kurzen historischen Rückblick. Anschließend gehe ich im<br />
3.Kapitel auf die psychoanalytischen Traumtheorie ein. Nach Vorstellung der we-<br />
sentlichen Annahmen aus <strong>Freud</strong>s epochalem Werk - der ‚Traumdeutung’ - werde ich<br />
auf weitere psychoanalytische Theorien zu diesem Thema, sowie auf aktuellere, ex-<br />
perimentelle Untersuchungen innerhalb der psychoanalytischen Traumforschung<br />
hinweisen. Abschließend stelle ich verschiedene Modelle zur Funktion des Traumes<br />
aus psychoanalytischer Sicht dar. Im 4.Kapitel möchte ich einige der wichtigsten<br />
3
1. Einleitung<br />
Annahmen der neurowissenschaftlichen Traumtheorie, sowie die da<strong>für</strong> essentiellen<br />
physiologischen Gr<strong>und</strong>lagen aufzeigen. Auch hier gibt es zahlreiche Theorien zur<br />
Funktion des Träumens bzw. Schlafens, auf die ich abschließend eingehe. Daran<br />
anknüpfend stelle ich im 5.Kapitel eine mögliche Synthese der bis dahin vorgestell-<br />
ten Annahmen dar <strong>und</strong> zeige anhand einer denkbaren Abfolge des Traumprozesses<br />
aus neurowissenschaftlicher Sicht auf, inwiefern sich Anknüpfungspunkte zur <strong>Freud</strong>-<br />
schen Theorie ergeben. So wird hoffentlich deutlich, wie fruchtbar die Integration<br />
von Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften - zumindest im Bereich der Traumfor-<br />
schung - sein kann. Somit hoffe ich dann auch die eingangs gestellte Frage nach der<br />
Funktion der Träume aus dieser erweiterten Perspektive ausführlicher <strong>und</strong> erschöp-<br />
fender beantworten zu können. Dabei möchte ich an den Leser mit den Worten Roths<br />
appellieren: „Was ich vortrage, ist unvermeidbar lückenhaft <strong>und</strong> von Fehlern durch-<br />
setzt; niemand kann - soviel Mühe <strong>und</strong> Zeit er auch aufwendet - alles, was einschlä-<br />
gig ist, lesen <strong>und</strong> dann auch noch korrekt wiedergeben. In dieser Hinsicht bitte ich<br />
den Leser eindringlich um die gebotene Nachsicht.“ (Roth, 2001, S.10)<br />
4
2. Definition <strong>und</strong> historischer Rückblick<br />
2. Definition <strong>und</strong> historischer Rückblick<br />
2.1. Definition<br />
Bereits bei der Definition des Begriffes „Traum“ taucht das erste Problem auf, denn<br />
eine gemeinhin akzeptierte Traum-Definition scheint es bisher nicht zu geben. Ur-<br />
sächlich hier<strong>für</strong> ist vermutlich, wie in der Einleitung bereits angesprochen, die Tatsa-<br />
che, dass das Thema Träume so wenig greifbar ist. Es gibt keine objektiven Maßstä-<br />
be - letzen Endes ist nicht einmal die Person, die ihren nächtlichen Traum berichtet,<br />
objektiv, denn auch sie kann <strong>nur</strong> das berichten, was sie zu erinnern glaubt. Überprü-<br />
fen kann dies jedoch niemand. Da sich somit keine allgemeingültigen Kriterien <strong>für</strong><br />
Träume aufstellen lassen, fällt auch die Definition schwer.<br />
<strong>Freud</strong> (1900) definiert den Traum als „sinnvolles psychisches Gebilde (...), welches<br />
an angebbarer Stelle in das seelische Treiben des Wachens einzureihen ist“ (S.29).<br />
Schredl (1999) schlägt in seinem Buch die relativ nüchterne Definition von Hall <strong>und</strong><br />
van de Castle (1966) vor:<br />
Ein Traum kann operational als das definiert werden, was eine Person berichtet,<br />
wenn sie nach einem Traum gefragt wird; abgesehen von Aussagen, die Kom-<br />
mentare über den Traum oder Interpretationen des Traums sind.<br />
(Zitiert nach Schredl, 1999, S.12)<br />
Allerdings räumt Schredl ein, dass diese Definition die Entscheidung, was genau als<br />
Traum angesehen wird, der jeweiligen Person überlässt. Im Verlauf dieser Arbeit<br />
werde ich darüber hinaus noch andere Gründe aufzeigen, aus denen diese Definition<br />
als unzureichend betrachtet werden kann. Trotzdem möchte ich sie <strong>für</strong> den Moment<br />
so akzeptieren.<br />
Eine weitere, meiner Ansicht nach gelungene Definition, schlagen Hobson, Pace-<br />
Schott & Stickgold (2000) vor. Sie sehen Träumen als:<br />
Mental activity occurring in sleep characterized by vivid sensorimotor imagery<br />
that is experienced as waking reality despite such distinctive cognitive features<br />
as impossibility or improbability of time, place, person and actions; emotions,<br />
especially fear, elation, and anger predominate over sadness, shame, and guilt<br />
5
2. Definition <strong>und</strong> historischer Rückblick<br />
and sometimes reach sufficient strength to cause awakening; memory for even<br />
very vivid dreams is evanescent and tends to fade quickly upon awakening. 1<br />
(Hobson et al., 2000 ; S.795)<br />
Solms (2000) wiederum definiert Träume als „subjective experience of a complex<br />
hallucinatory episode during sleep“ (S.849) 2 - eine Definition, die den stark subjekti-<br />
ven Aspekt des Träumens betont.<br />
Ich denke, es ist deutlich geworden, dass es sich als sehr schwierig erweist, eine<br />
stimmige, alles umfassende Definition des Traumes zu erstellen.<br />
2.2. Historischer Rückblick<br />
Die Frage nach der Funktion von Träumen, ihrer Bedeutung <strong>und</strong> ihrem Sinn, hat die<br />
Menschen zu allen Zeiten in allen Kulturen beschäftigt. Die Ägypter sind der Über-<br />
zeugung, während des Schlafes Nachrichten der Toten aus dem Jenseits vermittelt zu<br />
bekommen. Gleichzeitig schreiben sie ihren Träumen eine prophetische Funktion zu,<br />
indem sie davon ausgehen, dass sie „den Menschen in seine Zukunft führen“ (Tho-<br />
mas, 1989, S.17). Im alten Mesopotamien gehen die Menschen ebenfalls davon aus,<br />
dass der Traum Einblicke in die Zukunft ermöglicht. Gleichzeitig sind sie überzeugt,<br />
„dass die Wirkung des Traumes von der Deutung abhängt <strong>und</strong> dass Träume auch das<br />
Alltagsleben widerspiegeln“ (Fink, 1977, S.8). Eine ähnliche Auffassung vertreten<br />
die alten Griechen. Sie sind der Ansicht, der Traum sei von den Göttern oder Dämo-<br />
nen gesandt, um die Handlungen der Menschen zu lenken. Ihrer Meinung nach haben<br />
Träume die eindeutige Funktion, dem Träumer seine Zukunft zu verkünden <strong>und</strong> so<br />
das Schicksal der Menschen zu beeinflussen (<strong>Freud</strong>, 1900). Sowohl Homer im 9.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert v. Chr., als auch Plato (427-347 v. Chr.) <strong>und</strong> Sokrates (469-399 v. Chr.),<br />
sind davon überzeugt, dass ein Großteil der Träume Einblick in die Zukunft ver-<br />
schafft. Trotzdem, so merkt Homer an, sind Träume auch manchmal „belanglose<br />
Gebilde, die keine Beachtung verdienen“ (Thomas, 1989, S.22). Sokrates nimmt in<br />
1 „Mentale Aktivität, die während des Schlafes auftritt <strong>und</strong> durch lebhafte sensomotorische Bilder<br />
charakterisiert ist <strong>und</strong> trotz ausgeprägter kognitiver Eigenschaften wie Unmöglichkeit <strong>und</strong> Unwahrscheinlichkeit<br />
von Zeit, Ort, Person <strong>und</strong> Handlungen als wache Realität erlebt wird; Emotionen, vor<br />
allem Angst, <strong>Freud</strong>e <strong>und</strong> Wut dominieren über Trauer, Scham <strong>und</strong> Schuldgefühlen <strong>und</strong> erreichen<br />
manchmal ein ausreichendes Maß an Intensität, um zum Erwachen zu führen; die Erinnerung, selbst<br />
<strong>für</strong> sehr lebhafte Träume, ist sehr gering <strong>und</strong> tendiert dazu, nach dem Erwachen sehr schnell zu verschwinden“<br />
(eigene Übersetzung).<br />
2 „Subjektives Erleben komplexer halluzinatorischer Episoden während des Schlafes“ (eigene Über-<br />
setzung).<br />
6
2. Definition <strong>und</strong> historischer Rückblick<br />
beachtlicher Weise bereits einige der psychoanalytischen Erkenntnisse <strong>Freud</strong>s (siehe<br />
Kapitel 3.1) voraus, indem er sagt:<br />
Unter den entbehrlichen sinnlichen Genüssen <strong>und</strong> Trieben befinden sich einige,<br />
die verbrecherisch sind. (...). Ich meine die, welche im Schlafe hervortreten. Der<br />
eine Teil der Seele, der vernünftige, gemäßigte Herr des anderen Teiles, ruht;<br />
dieser andere aber, der tierische, ungebändigte (...) wird lebendig. (...). Du<br />
weißt, er ist dann zu allem fähig; alle Scham <strong>und</strong> Besinnung ist ihm abhanden<br />
gekommen. Er schrickt nicht davor zurück, in Gedanken die eigne Mutter zu<br />
umarmen, ebenso jeden anderen Menschen, jeden Gott, jedes Tier. Er begeht<br />
jeden Mord <strong>und</strong> genießt jede Speise, nach der es ihn gelüstet. Mit einem Wort,<br />
es gibt keine Torheit <strong>und</strong> Frechheit, die er nicht beginge.<br />
(Zitiert nach Thomas, 1989, S.23-24)<br />
Als sich Aristoteles (384-322 v. Chr.) in seinen Schriften mit dem Traum befasst, ist<br />
dieser bereits ein Gegenstand der <strong>Psychologie</strong> geworden. So geht er weniger davon<br />
aus, dass es sich bei den Träumen um gottgesandte Botschaften oder Nachrichten aus<br />
der Zukunft handelt, sondern definiert Träume als „Seelentätigkeit des Schlafenden“<br />
(zitiert nach Thomas, 1989, S.34). Im 5. Jahrh<strong>und</strong>ert v. Chr. betont der Arzt Hippo-<br />
krates vor allem den medizinischen Aspekt der Zukunftsweisung von Träumen <strong>und</strong><br />
stellt fest, dass Träume oft dazu dienen, unbemerkte Körperempfindungen zu ver-<br />
stärken <strong>und</strong> somit Hinweise auf bevorstehende Krankheiten liefern.<br />
Von der Antike übers Mittelalter zur Neuzeit, vom Talmud über den Koran zur Bi-<br />
bel, in den verschiedensten Kulturen, Religionen <strong>und</strong> Mythen findet man die unter-<br />
schiedlichsten Theorien <strong>und</strong> Hypothesen zum Wesen <strong>und</strong> zur Funktion der Träume.<br />
Das Geheimnis, das sie umgibt, fasziniert die Menschen auch heute noch - gibt es<br />
doch nach wie vor keine allgemeingültige Theorie, die das Rätsel vollständig löst.<br />
In den folgenden Kapiteln werde ich die psychoanalytische Traumtheorie <strong>Freud</strong>s,<br />
sowie die aktuellere neurowissenschaftlich orientierte Traumforschung vorstellen.<br />
Vielleicht kann durch die Kombination dieser beiden Ansätze das Rätsel des Trau-<br />
mes eines Tages gelöst werden.<br />
7
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
3.1. <strong>Freud</strong> <strong>und</strong> die Traumdeutung<br />
Mit <strong>Freud</strong>s ‚Traumdeutung’, die bereits Anfang November 1899 erschien, auf der<br />
Titelseite jedoch ins neue Jahrh<strong>und</strong>ert vordatiert wurde, entstand wohl ein „Meister-<br />
werk von Weltrang“ (Mahony, 1999, S.287) <strong>und</strong> zweifelsfrei ein Meilenstein in der<br />
Geschichte der Traumdeutung. Gleichzeitig kann der Zeitpunkt des Erscheinens die-<br />
ses Werkes als „Geburtsst<strong>und</strong>e der Psychoanalyse“ (Zauner, 1983, S.3) angesehen<br />
werden. <strong>Freud</strong> selbst betrachtet die ‚Traumdeutung’ als sein größtes Werk <strong>und</strong> dar-<br />
über hinaus als Stück seiner Selbstanalyse, die als Reaktion auf den einschneidenden<br />
Verlust durch den Tod seines Vaters im Oktober 1896 erfolgte. Bei vielen der berich-<br />
teten Träume handelt es sich um seine eigenen, so dass sich Selbstanalyse <strong>und</strong><br />
Schreiben mit der Zeit immer mehr vermischen. Insgesamt arbeitet <strong>Freud</strong> von Ende<br />
1897 bis Ende 1899 an der ‚Traumdeutung’ (Mahony, 1999).<br />
Auch wenn die ‚Traumdeutung’ noch Jahre nach ihrer Erscheinung von der Öffent-<br />
lichkeit weitgehend ignoriert wird, ist <strong>Freud</strong> sich der Bedeutung dieses Werkes stets<br />
bewusst. In dem Vorwort zur dritten englischen Ausgabe heißt es: „Insight such as<br />
this falls to one’s lot but once in a lifetime“ (<strong>Freud</strong>, 1931; zitiert nach Flanders, 1993,<br />
S.2). Allerdings zeigen sich die damaligen Ärzte, Psychiater sowie die breite Öffent-<br />
lichkeit von <strong>Freud</strong>s neuer Auffassung der Träume derartig befremdet, dass er be-<br />
<strong>für</strong>chtet, „dass Totgeschwiegenwerden das Schicksal dieses meines Werkes sein<br />
müsse“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.23). Auch wenn das Interesse bis zur Veröffentlichung der<br />
fünften Auflage im Jahre 1918 etwas ansteigt, ist <strong>Freud</strong> der Meinung, sein Werk ha-<br />
be nun „in nahezu zwanzigjähriger Existenz seine Aufgabe erledigt“ (<strong>Freud</strong>, 1900,<br />
S.26). Bereits drei Jahre später, im Vorwort zur sechsten Auflage, revidiert er jedoch<br />
diese Aussage <strong>und</strong> sieht sich nun vor der neuen Herausforderung, die sich bis dato<br />
aus der ‚Traumdeutung’ ergebenden Missverständnisse aufzuklären. 3<br />
Im Laufe der Jahre wird die ‚Traumdeutung’ in diverse Sprachen übersetzt <strong>und</strong> fin-<br />
det nach <strong>und</strong> nach weltweite Anerkennung. Auch heute noch hat dieses Werk nichts<br />
3 So zum Beispiel die nie aufgestellte Behauptung, alle Träume seinen sexueller Natur (<strong>Freud</strong>, 1933).<br />
8
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
an Bedeutung eingebüsst, selbst wenn es im Verlauf des vergangenen Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
immer wieder zu heftigen Diskussionen <strong>und</strong> Auseinandersetzungen geführt hat.<br />
Bereits zehn Jahre vor Veröffentlichung der ‚Traumdeutung’ stößt <strong>Freud</strong> bei der Be-<br />
handlung von Frau Emmy von N. auf die Bedeutung des Traumes, als er beobachtet,<br />
dass diese Patientin von sich aus ihre Träume berichtet. Er beginnt, den Traum als<br />
Ausgangspunkt <strong>für</strong> die freie Assoziation zu benutzen (Altman, 1981). Dabei handelt<br />
es sich um eine von <strong>Freud</strong> entwickelte Technik, bei der der Patient seine Gedanken<br />
schweifen lässt <strong>und</strong> seine Einfälle dem Analytiker ohne Einschränkung <strong>und</strong> mit<br />
„Verzicht auf die Kritik der wahrgenommenen Gedankenbildungen“ (<strong>Freud</strong>, 1900,<br />
S.121) mitteilt. Schiller beschreibt diese Methode als „Zurückziehen der Wache von<br />
den Toren des Verstandes“ (zitiert nach <strong>Freud</strong>, 1900, S.123). Auf diese Weise erhofft<br />
sich <strong>Freud</strong> zu den unbewussten Gedanken hinter den Symptomen <strong>und</strong> Träumen vor-<br />
zudringen.<br />
Mit der Möglichkeit, den Traum einer Deutung zu unterziehen, <strong>und</strong> der Ansicht,<br />
„dass der Traum kein somatisches, sondern ein psychisches Phänomen ist“ (<strong>Freud</strong>,<br />
1916-17, S.116), widersetzt sich <strong>Freud</strong> der damals vorherrschenden Theorie zu<br />
Traumentstehung <strong>und</strong> -funktion, die von einem somatischen Ursprung des Traumer-<br />
lebens ausgeht (z.B. Maury, 1878; vgl. <strong>Freud</strong>, 1900). Doch obwohl die Vertreter die-<br />
ser Theorie davon überzeugt sind, dass körperliche Reize oder auch äußere Sinnes-<br />
reize als Auslöser des Träumens fungieren, existiert vor allem unter den Laien die<br />
Meinung, jeder Traum habe eine tiefere Bedeutung - eine Botschaft die es zu ent-<br />
schlüsseln gilt. Dieser Meinung schließt <strong>Freud</strong> sich an <strong>und</strong> entwickelt seine eigene<br />
Theorie zur Technik der Traumdeutung.<br />
3.1.1. Die Traumarbeit<br />
<strong>Freud</strong> unterscheidet in seiner Traumtheorie den manifesten vom latenten Traumin-<br />
halt. Als manifesten Traum bezeichnet er das, was der Patient von seinem Traum<br />
erinnert <strong>und</strong> erzählt. Hierbei handelt es sich seiner Ansicht nach um eine verborgene<br />
Botschaft, die im Rahmen der Analyse mit der Methode der Traumdeutung ent-<br />
schlüsselt werden muss. Hinter diesem manifesten Traum stehen vorbewusste <strong>und</strong><br />
unbewusste Gedanken <strong>und</strong> Emotionen, die den sogenannten latenten Trauminhalt<br />
bilden. Moser (2003) formuliert es so: „Der manifeste Traum gleicht einer sprachlich<br />
formulierten Karte über die Orte möglicher Bohrlöcher“ (S.649). Obwohl wir uns im<br />
9
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
Alltag mehr <strong>für</strong> den manifesten Traum interessieren, ist es vor allem der dahinter<br />
stehende latente Trauminhalt, der weitaus bedeutsamer ist, sagt er doch viel mehr<br />
über unsere unbewussten Wünsche, Sehnsüchte <strong>und</strong> ‚Bohrlöcher’ aus (Altman, 1981;<br />
<strong>Freud</strong>, 1900). Mit Hilfe der Traumarbeit wird die Sprache der latenten Traumgedan-<br />
ken in die Bilderschrift des manifesten Traumes übersetzt - in Bilder umgesetzt, er-<br />
scheinen uns diese latenten Gedanken <strong>und</strong> Gefühle dann im manifesten Traum. Hier-<br />
bei handelt es sich um einen äußerst bedeutsamen Prozess, wie <strong>Freud</strong> ausdrücklich<br />
betont. Der Traumarbeit gegenüber steht die Deutungsarbeit, mit deren Hilfe die<br />
Traumarbeit quasi aufgehoben wird, indem man vom manifesten Trauminhalt das<br />
latente Traummaterial zurück verfolgt (<strong>Freud</strong>, 1916-17).<br />
Bevor ich auf die verschiedenen Mechanismen der Traumarbeit zu sprechen komme,<br />
werde ich einen kurzen Überblick über <strong>Freud</strong>s Vorstellung des psychischen Appara-<br />
tes geben, da dieser Hintergr<strong>und</strong> sowohl <strong>für</strong> das Verständnis seiner Traumtheorie, als<br />
auch in Hinblick auf die angestrebte Verknüpfung der psychoanalytischen <strong>und</strong> der<br />
neurowissenschaftlichen Traumtheorie im 5.Kapitel dieser Arbeit wichtig <strong>und</strong> inte-<br />
ressant ist.<br />
<strong>Freud</strong>s Ansicht nach, besteht der „seelische Apparat“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.512) aus ver-<br />
schiedenen Systemen, die bei einem psychischen Ereignis (zeitlich) nacheinander<br />
durchlaufen werden. Zusätzlich besitzt dieser Apparat zwei Enden: ein sensibles zum<br />
Empfangen von Wahrnehmungen <strong>und</strong> ein motorisches Ende. Da dieser Apparat (an-<br />
knüpfend an Fechners Konstantprinzip) nach einem möglichst neutralen Erregungs-<br />
zustand strebt, wird von außen - oder von innen - ankommende sensible Erregung<br />
alsbald auf motorischem Wege abgeführt. <strong>Freud</strong> geht also davon aus, dass ein psy-<br />
chischer Vorgang vom Wahrnehmungs- zum Motalitätsende verläuft (progrediente<br />
Richtung). Gemäß seines topographischen Modells ist vor dem motorischen Ende<br />
das Unbewusste (Zugang zum Bewusstsein wird <strong>nur</strong> über das Vorbewusste <strong>und</strong> unter<br />
Bedingung gewisser Veränderungen gestattet) <strong>und</strong> das Vorbewusste (Erregungsvor-<br />
gänge können bei ausreichender Intensität <strong>und</strong> Aufmerksamkeit ungehindert ins Be-<br />
wusstsein gelangen) zwischengeschaltet. 4 Während tagsüber ein bestimmter Hemm-<br />
mechanismus, den <strong>Freud</strong> als Zensur bezeichnet, verhindert, dass unbewusste Gedan-<br />
4 Im Jahre 1923 führt <strong>Freud</strong> in seinem Werk ‚Das Ich <strong>und</strong> das Es’ anstelle des früheren topographischen<br />
Modells den strukturellen Ansatz ein, der den psychischen Apparat in die drei Systeme Es, Ich<br />
<strong>und</strong> Über-Ich gliedert. Diese Strukturtheorie kann als Beginn der ‚Ich-<strong>Psychologie</strong>’ betrachtet werden<br />
(Struck, 1992).<br />
10
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
ken ins Vorbewusste vordringen, scheint dieser Widerstand im Schlaf herabgesetzt<br />
<strong>und</strong> die Grenze zwischen Unbewusstem <strong>und</strong> Vorbewusstem weniger streng bewacht<br />
zu sein. So könnte es der Traumerregung gelingen, sich bis ins Vorbewusste durch-<br />
zusetzen <strong>und</strong> einen Traum zu generieren. Das kann allerdings nicht der alleinige<br />
Gr<strong>und</strong> sein, da dies zu nächtlichen Vorstellungen <strong>und</strong> Gedanken führen würde, die<br />
denen des Wachzustandes ähneln, nicht aber zu jenen halluzinatorischen Erlebnissen,<br />
die <strong>für</strong> unsere Träume so charakteristisch sind. <strong>Freud</strong> erklärt dies damit, dass die Er-<br />
regung einen rückläufigen Weg einschlägt. Statt also, wie im Wachzustand vom sen-<br />
siblen zum motorischen Ende zu laufen, schlägt sie die umgekehrte Richtung ein <strong>und</strong><br />
läuft vom motorischen zum sensiblen Ende (regrediente Richtung), wo es dann zur<br />
„halluzinatorische[n] Belebung der Wahrnehmungsbilder“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.519)<br />
kommt. Der Träumer scheint also - auf Gr<strong>und</strong> des Widerstandes <strong>und</strong> der Tatsache,<br />
dass im Schlaf der Weg über die Motilität blockiert ist - innerhalb des psychischen<br />
Apparates zu regredieren, so dass „sich im Traum die Vorstellung in das sinnliche<br />
Bild rückverwandelt, aus dem sie irgendeinmal hervorgegangen ist“ (<strong>Freud</strong>, 1900,<br />
S.519). 5 Eine während des Schlafes aufkommende Triebregung wird demnach nicht<br />
in einen Handlungsimpuls, sondern in eine halluzinatorische Wahrnehmung umge-<br />
setzt. Dabei regrediert der Träumer auf eine „primitive archaische Stufe seelischer<br />
Funktionsweisen, die <strong>für</strong> die früheste Seelentätigkeit typisch ist, d.h. zum Primärpro-<br />
zess“ (Altman, 1981, S.20). Auf dieser Stufe drängen Bedürfnisse auf unmittelbare<br />
Befriedigung, Spannungsabfuhr erfolgt direkt <strong>und</strong> unkontrolliert <strong>und</strong> auf Rationalität<br />
<strong>und</strong> Realität wird kein Wert gelegt. 6 Die Traumarbeit operiert nach diesen Prinzipien<br />
des Primärprozesses <strong>und</strong> auch die Denkweise im Traum ist primärprozesshaft, was<br />
<strong>für</strong> die Bizarrheit der meisten manifesten Träume mitverantwortlich zu sein scheint<br />
(Altman, 1981). Innerhalb der Traumarbeit werden die folgenden Mechanismen un-<br />
terschieden:<br />
5 <strong>Freud</strong> sagt weiter: „Das Gefüge der Traumgedanken wird bei der Regression in sein Rohmaterial<br />
aufgelöst.“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.519;Hervorhebung v. Verf.)<br />
6 Diese Regression, die während des Träumens zu beobachten ist, tritt auch bei der neurotischen Symptomatik<br />
deutlich hervor (Struck, 1992). Diese Gemeinsamkeit unterstützt <strong>Freud</strong>s Hypothese, dass<br />
eine Auseinandersetzung mit dem Thema Träume zu einem besseren Verständnis der Neurosen führen<br />
würde (<strong>Freud</strong>, 1900).<br />
11
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
Verdichtung<br />
Es ist offensichtlich, dass auf dem Weg von den latenten Traumgedanken zum mani-<br />
festen Trauminhalt eine starke Verdichtung stattfindet. Im Vergleich zu den weit-<br />
schweifigen, umfangreichen Traumgedanken erscheint der Traum selbst eher kurz<br />
<strong>und</strong> knapp. Oftmals erliegt man der Versuchung, das Ausmaß dieser Verdichtung zu<br />
unterschätzen, wenn man „die ans Licht gebrachten Traumgedanken <strong>für</strong> das voll-<br />
ständige Material hält“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.282). Dabei kann weitere Deutungsarbeit<br />
meist immer noch mehr versteckte Gedanken enthüllen, so dass man letztlich nie<br />
ganz sicher sein kann, einen Traum vollständig gedeutet zu haben. Dabei sagen wir<br />
im Traum oft viel mehr, als uns klar ist. Meist handelt es sich um Dinge, die wir im<br />
Wachzustand niemals mitteilen würden, „aus Angst, uns zu verraten“ (Altman, 1981,<br />
S.21). Aufgabe der Analyse ist es nun, das durch die Verdichtung entstandene Kon-<br />
zentrat wieder aufzulösen.<br />
Verdichtung kann sich in der Verschmelzung mehrerer Bilder oder Gedanken äu-<br />
ßern. So entstehen die zahlreichen Mischgestalten der Träume, indem z.B. einzelne<br />
Züge einer Person mit denen einer anderen vermischt werden.<br />
Meine Mutter sprach, aber nicht mit ihrer Stimme. Es klang wie meine Schwes-<br />
ter; sie hatte das rote Haar meiner anderen Schwester <strong>und</strong> trug ein Kleid von ihr.<br />
(Altman, 1981, S.20)<br />
Laut <strong>Freud</strong> (1900) ist die „Herstellung von Sammel- <strong>und</strong> Mischpersonen (...) eines<br />
der Hauptarbeitsmittel der Traumverdichtung“ (S.295). Eine andere Möglichkeit der<br />
Verdichtung besteht darin, verwandte Begriffe zu einem einzigen zusammenzufas-<br />
sen, so dass ein Begriff daraufhin mehrere Bedeutungen besitzt. Dabei entstehen<br />
oftmals komische Wortneuschöpfungen. 7<br />
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Verdichtungsarbeit eine ungeheure<br />
Einsparung an Zeit <strong>und</strong> Energie bedeutet, indem bestimmte Inhalte so stark kompri-<br />
miert werden, dass mittels weniger Bilder viel mehr gesagt wird, als man auf den<br />
ersten Blick vermuten würde. Außerdem liegt der Sinn der Verdichtung offenbar<br />
darin, „beunruhigende Gedanken durch die verdichtende Umformung abzumildern“<br />
(Struck, 1992, S.51).<br />
7 Diese Wortschöpfungen erinnern an die Wortkreationen kleiner Kinder, die in einer bestimmten<br />
Phase großen Gefallen an solchen Neuschöpfungen finden.<br />
12
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
Bei der Fülle der möglichen, hinter dem Traum stehenden latenten Traumgedanken,<br />
stellt sich jedoch die Frage, was die Auswahl der letztlich im Traum erscheinenden<br />
Elemente bestimmt. Hier kommt <strong>Freud</strong> zu dem Schluss, dass diejenigen Elemente in<br />
den Traum Einzug finden, die „mit den meisten Traumgedanken die ausgiebigsten<br />
Berührungen aufweisen können, also Knotenpunkte darstellen, in denen sehr viele<br />
der Traumgedanken zusammen treffen“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.286). Demnach wird also<br />
das Element ausgewählt, welches mehrfach in den Traumgedanken vertreten ist. Das<br />
bedeutet, „infolge der Verdichtung kann dann ein Element im manifesten Traum<br />
zahlreichen Elementen in den latenten Traumgedanken entsprechen; umgekehrt kann<br />
aber auch ein Element der Traumgedanken durch mehrere Bilder im Traum vertreten<br />
werden“ (<strong>Freud</strong>, 1933, S.463).<br />
Verschiebung<br />
Während mit Hilfe der Verdichtung latente Trauminhalte durch Verschmelzung oder<br />
Vereinigung verschlüsselt werden, führt die Verschiebung zu einer Verlagerung der<br />
Bedeutung. Dies ist ein unbewusster Vorgang <strong>und</strong> dient dazu, verpönte Triebwün-<br />
sche unbewusst zu machen. Das bedeutet, der Sinn der Verschiebung besteht darin,<br />
ein unangenehmes Gefühl, welches mit einer bestimmten Situation verb<strong>und</strong>en ist, auf<br />
eine andere zu verschieben, um so vom eigentlichen Objekt abzulenken. Dies kann in<br />
vielen verschiedenen Formen geschehen <strong>und</strong> sowohl Menschen, Orte, Gefühle oder<br />
Handlungen betreffen.<br />
Altman beschreibt den Fall eines Patienten, der folgenden Traum hat, nachdem er<br />
den Wunsch äußert, die Analyse abzubrechen, gleichzeitig aber Angst vor den Kon-<br />
sequenzen verspürt:<br />
Ich ging in ein Drugstore an der Ecke, nahe bei Ihrer Praxis. Das Geschäft<br />
schien schlecht zu gehen <strong>und</strong> sollte geschlossen werden. Hinter der Theke<br />
träumte der Verkäufer. Er schenkte mir keine Aufmerksamkeit, <strong>und</strong> ich dachte:<br />
„Der wird nicht lange bleiben.“<br />
(Altman, 1981, S.24)<br />
In diesem Fall bezieht sich die Verschiebung offensichtlich auf Ort <strong>und</strong> Person. Der<br />
Verkäufer steht <strong>für</strong> den Analytiker <strong>und</strong> der Drugstore <strong>für</strong> seine Praxis. Dieser Traum<br />
erklärt den Wunsch des Patienten, die Analyse abzubrechen, da sich der Analytiker<br />
13
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
(Verkäufer) seinem Gefühl nach nicht <strong>für</strong> ihn interessiert <strong>und</strong> „nicht lange bleiben“<br />
wird.<br />
Die Verschiebung betrifft nicht <strong>nur</strong> Orte, Personen <strong>und</strong> Handlungen, sondern kann<br />
auch eine gewisse Mehrdeutigkeit schaffen, indem ein Teil <strong>für</strong> das Ganze steht. Eine<br />
weitere Möglichkeit der Verschiebung besteht in der Umkehrung, wodurch latente<br />
Traumgedanken besonders wirkungsvoll entstellt werden. Als Beispiel hier<strong>für</strong> be-<br />
richtet Altman den Traum eines anderen Patienten:<br />
Ich lag auf der Couch, als jemand sich mir von hinten näherte <strong>und</strong> mir auf den<br />
Kopf schlug.<br />
(Altman, 1981, S.25)<br />
Die in diesem Traum geäußerte Feindseligkeit lässt Vermutungen darüber zu, wer<br />
hier in Wirklichkeit zuschlagen will <strong>und</strong> ob es sich hier eventuell um eine Umkeh-<br />
rung handelt. Das würde bedeuten, dass der Träumer selbst aggressive Impulse ver-<br />
spürt, die er in seinem Traum jedoch auf andere Personen verschiebt. Dabei werden<br />
nicht <strong>nur</strong> Handlungen umgekehrt, sondern auch Gefühle. So können beispielsweise<br />
sexuelle Phantasien im Traum als negative Affekte wie Scham oder Verlegenheit<br />
getarnt erscheinen (Altman, 1981). Die Verschiebung kann dazu führen, dass Ele-<br />
mente, die sich im Trauminhalt besonders hervor tun, in den Traumgedanken kaum<br />
eine Rolle spielen <strong>und</strong> umgekehrt. Was also im manifesten Traum als zentrales<br />
Merkmal erscheint, muss im latenten Trauminhalt kaum wesentlich sein. Es handelt<br />
sich um eine durchaus „inkonstante Relation zwischen Traumgedanken <strong>und</strong> Traum-<br />
inhalt“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.306). Somit trägt die Verschiebung ebenfalls erheblich zur<br />
Entstellung des Traumes bei.<br />
Symbolbildung<br />
Neben den Mechanismen der Verdichtung <strong>und</strong> Verschiebung spielt auch die Symbo-<br />
lisierung eine wichtige Rolle bei der weiteren Entstellung der latenten Traumgedan-<br />
ken. Dabei werden die Symbole nicht von der Traumarbeit erschaffen, sondern sind<br />
in Kultur, Zeit <strong>und</strong> Sprache bereits vorhanden. Symbole sprechen eine allgemeingül-<br />
tige Sprache, sie schaffen Verbindungen zwischen einander ähnlichen Gedanken,<br />
Bildern <strong>und</strong> Affekten. Diese Beziehungen entstehen durch das „infantile unbewusste<br />
Denken, das typischerweise Objekte, die eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen, gleich-<br />
setzt“ (Altman, 1981, S.28). Während der Regression im Traum kommt es auch zu<br />
14
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
einer Regression der Wahrnehmung <strong>und</strong> Begriffe, was zu Symbolbildung <strong>und</strong><br />
-sprache führt. Somit sind Symbole quasi die Überbleibsel der infantilen Denkweise.<br />
Da der Erwachsene diese Denkweise im Verlauf seines Lebens aber vergessen hat,<br />
ist er meist nicht mehr in der Lage, den Zusammenhang zwischen Symbol <strong>und</strong> ur-<br />
sprünglicher Bedeutung zurück zu verfolgen (Altman, 1981). Darum erscheinen uns<br />
unsere Träume auch so sonderbar <strong>und</strong> wir verstehen oftmals nicht die darin ver-<br />
schlüsselte Botschaft.<br />
Neben individuell unterschiedlich häufig auftretenden Symbolen gibt es eine Reihe<br />
typischer Symbole, anhand derer der erfahrene Analytiker den manifesten Traum in<br />
die latenten Traumgedanken ‚übersetzen’ kann (Altman, 1981). Selbstverständlich<br />
handelt es sich dabei nicht um eine bloße Eins-zu-Eins-Übersetzung, denn natürlich<br />
kann ein <strong>und</strong> dasselbe Symbol von Person zu Person unterschiedliche Bedeutungen<br />
haben <strong>und</strong> individuelle Lebensumstände <strong>und</strong> Hintergründe müssen unbedingt mit<br />
berücksichtigt werden. Selbst wenn das Symbol scheinbar eindeutig ist, können <strong>nur</strong><br />
die Assoziationen des Träumers zu dem dahinter stehenden Sinn führen.<br />
Wie <strong>Freud</strong> (1916-17) bereits feststellt, ist „der Umfang der Dinge, die im Traume<br />
symbolische Darstellung finden, (...) nicht groß“ (S.162). Dies ist aber nicht weiter<br />
verw<strong>und</strong>erlich, wenn man bedenkt, dass sich die Bedeutung der Symbole auf die<br />
ursprünglichen <strong>und</strong> generellen Interessen von Kindern beziehen. Dabei handelt es<br />
sich vorwiegend um Themen wie Tod, Geburt, Körper <strong>und</strong> Sexualorgane, sowie na-<br />
hestehende Menschen (Altman, 1981).<br />
Darstellbarkeit des Traumes<br />
Im Traum werden die latenten Traumgedanken durch visuelle Bilder dargestellt, was<br />
neben der Verdichtung, Verschiebung <strong>und</strong> Symbolbildung außerdem zu einer Ent-<br />
stellung führt. 8 Gleichzeitig erfordert dies ein hohes Maß an Kreativität, schließlich<br />
muss es dem Traum irgendwie gelingen, die logischen Relationen zwischen den<br />
Traumgedanken dazustellen. So wird ein logischer Zusammenhang im Traum bei-<br />
spielsweise durch Gleichzeitigkeit mehrerer Elemente ausgedrückt <strong>und</strong> eine Kausal-<br />
beziehung durch Konstruktion eines Vor- <strong>und</strong> eines Haupttraumes verdeutlicht. Ein<br />
8 Anders ist es bei Affekten, die nicht umgewandelt werden, sondern auch im Traum als Affekte auftauchen<br />
– wenn auch möglicherweise in veränderter oder umgekehrter Form (Altman, 1981).<br />
15
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
„Entweder-Oder“ darzustellen ist der Traum hingegen kaum in der Lage - die Alter-<br />
nativen werden lediglich aneinandergereiht <strong>und</strong> erscheinen dadurch gleichberechtigt.<br />
Auch Gegensätze „werden mit Vorliebe zu einer Einheit zusammengezogen“ (<strong>Freud</strong>,<br />
1900, S.316), so dass der Traum kaum zu einem klaren „Nein“ fähig ist. Ähnlichkeit,<br />
Übereinstimmung <strong>und</strong> Gemeinsamkeit wiederum erfahren im Traum vielfältige Dar-<br />
stellungsweisen. Meist werden dabei die betreffenden Elemente zu einer Einheit zu-<br />
sammengezogen, was z.B. zu Identifizierungen oder Mischbildungen führen kann<br />
(siehe Verdichtung) (<strong>Freud</strong>, 1900).<br />
Insgesamt mangelt es der bildhaften Darstellung durch den Traum durchaus nicht an<br />
Phantasie <strong>und</strong> Einfallsreichtum.<br />
3.1.2. Die Funktion von Träumen<br />
Neben den oben beschriebenen Mechanismen der Traumarbeit beschäftigt sich <strong>Freud</strong><br />
auch mit der Frage nach der Funktion von Träumen. Dazu beschreibt er zunächst,<br />
anknüpfend an das oben beschriebene Modell des psychischen Apparates, zwei mög-<br />
liche Wege, die ein unbewusster Erregungsvorgang nehmen kann. „Entweder er<br />
bleibt sich selbst überlassen, dann bricht er endlich irgendwo durch <strong>und</strong> schafft sei-<br />
ner Erregung <strong>für</strong> dies eine Mal einen Abfluß in die Motilität, oder er unterliegt der<br />
Beeinflussung des Vorbewussten, <strong>und</strong> seine Erregung wird durch dasselbe geb<strong>und</strong>en<br />
anstatt abgeführt“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.550; Hervorhebung v. Verf.). Letzteres ist nun<br />
beim Traum der Fall. Das bedeutet, es wird zugelassen, dass der unbewusste Wunsch<br />
einen Traum auslöst, der wiederum durch einen verhältnismäßig geringen Aufwand<br />
an vorbewusster Arbeit geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> unschädlich gemacht wird. Weitaus aufwendi-<br />
ger wäre es, das Unbewusste die ganze Nacht hindurch in Schach zu halten. Dem-<br />
nach besteht die Funktion des Traumes darin, „die freigelassene Erregung des Ubw<br />
[Unbewussten] wieder unter die Herrschaft des Vorbewussten zu bringen“ (<strong>Freud</strong>,<br />
1900, S.551). 9 So findet die unbewusste Erregung ein Ventil <strong>und</strong> kann auf diese<br />
Weise abgeführt werden, ohne den Schlaf nachhaltig zu stören. Es handelt sich also<br />
quasi um eine Art Kompromissbildung, indem der Traum versucht, beiden Ansprü-<br />
chen gerecht zu werden: der unbewussten Wunschregung nach zu kommen <strong>und</strong><br />
9 In seinem 1923 eingeführten strukturellen Modell sieht <strong>Freud</strong> den Traum „nunmehr als das Ergebnis<br />
einer Kompromissbildung zwischen den Triebwünschen des Es, den unbewusst operierenden Abwehrmechanismen<br />
des Ichs <strong>und</strong> den normativen Bewertungen des Über-Ichs“ an (Mertens, 1993,<br />
S.106).<br />
16
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
trotzdem die Fortdauer des Schlafes zu gewährleisten. Der Traum hat also vor allem<br />
zwei Aufgaben:<br />
Der Traum als Wunscherfüllung<br />
Während der intensiven Beschäftigung mit einem seiner eigenen Träume (dem be-<br />
rühmten ‚Irma-Traum’) stößt <strong>Freud</strong> - scheinbar nebenbei - auf eine mögliche Funk-<br />
tion von Träumen. „Der Traum erfüllt einige Wünsche“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.137), so<br />
<strong>Freud</strong> selbst. Ein denkbares Motiv scheint demnach die Wunscherfüllung zu sein.<br />
Damit setzt <strong>Freud</strong> voraus, dass der Traum an sich nicht unsinnig <strong>und</strong> nutzlos, son-<br />
dern durchaus sinnvoll ist. Er stellt seiner Meinung nach ein „vollgültiges psychi-<br />
sches Phänomen“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.141) dar <strong>und</strong> ähnelt somit unseren ebenfalls sinn-<br />
vollen Aktionen im Wachleben.<br />
<strong>Freud</strong> führt in Kapitel VII seiner ‚Traumdeutung’ vier verschiedene Möglichkeiten<br />
<strong>für</strong> den Ursprung eines solchen Wunsches an:<br />
1. Es kann sich um einen tagsüber erregten Wunsch handeln, der aber keine Be-<br />
friedigung erfahren hat. Somit handelt es sich um einen anerkannten, aber un-<br />
erledigten Wunsch.<br />
2. Der Wunsch kann tagsüber aufgetaucht, aber gleich wieder verdrängt worden<br />
sein, d.h. es handelt sich um einen unterdrückten <strong>und</strong> unerledigten Wunsch.<br />
3. Außerdem kann der Wunsch zu denen gehören, die sich erst nachts aus dem<br />
Unterdrückten regen, wobei es sich also um unbewusste <strong>und</strong> verdrängte<br />
Triebregungen handelt.<br />
4. Eine letzte Quelle des Traumwunsches stellen Bedürfnisse dar, die sich aktu-<br />
ell während des Schlafes regen, wie z.B. Durst oder sexuelles Verlangen. 10<br />
Während ein tagsüber unbefriedigt gebliebener Wunsch der ersten Gruppe vor allem<br />
bei Kindern als Traumerreger ausreicht <strong>und</strong> sich im Traum relativ unverhüllt äußert,<br />
geht <strong>Freud</strong> davon aus, dass solch ein vorbewusster Wunsch bei Erwachsenen Ver-<br />
stärkung in Form eines unbewussten Wunsches benötigt, um einen Traum auszulö-<br />
sen. Hierbei handelt es sich seiner Ansicht nach stets um einen verdrängten infantilen<br />
10 <strong>Freud</strong>s topographischer Ansicht des psychischen Apparats zufolge, kann die erste Gruppe der Wünsche<br />
dem Vorbewussten zugeordnet werden, während die Wünsche zweiter Art vom Vorbewussten<br />
ins Unbewusste zurück gedrängt worden sind <strong>und</strong> die dritte Gruppe ausschließlich im Unbewussten<br />
anzusiedeln ist (<strong>Freud</strong>, 1900).<br />
17
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
Wunsch. Mit dieser Theorie tritt die Bedeutung der Wunschregungen aus dem be-<br />
wussten Wachzustand in den Hintergr<strong>und</strong>. Zwar lassen sich diese sogenannten Ta-<br />
gesreste mannigfach im Trauminhalt nachweisen, allerdings müssen sie sich den Be-<br />
dingungen des Unbewussten fügen, um in den Traum aufgenommen zu werden (sie-<br />
he auch Kapitel 5.4.1). In diesem Zusammenhang verwendet <strong>Freud</strong> das Gleichnis des<br />
Unternehmers (der Tagesgedanke), der die Unterstützung des Kapitalisten (der un-<br />
bewusste Wunsch) benötigt, um groß raus zu kommen. Die treibende Kraft, aus der<br />
heraus ein Traum entsteht, ist demnach immer der verdrängte, infantile Wunsch<br />
(<strong>Freud</strong>, 1900). 11<br />
Als einfaches Beispiel <strong>für</strong> einen Traumwunsch aus der letzten Gruppe führt <strong>Freud</strong><br />
den ‚Dursttraum’ an, der deutlich zeigt, wie der Schlafende bereits im Traum sein<br />
Bedürfnis stillt, indem er davon träumt, zu trinken. Obwohl dies eher einen „Be-<br />
quemlichkeitstraum“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.142) darstellt, ist die Wunscherfüllung darin<br />
offensichtlich. 12 Darüber hinaus gibt es zahlreiche ähnliche Träume, in denen der<br />
Wunscherfüllungscharakter ebenso deutlich sichtbar ist. So war es <strong>Freud</strong> beispiels-<br />
weise ein Leichtes, den Traum der Ehefrau eines Fre<strong>und</strong>es zu deuten, die träumte,<br />
ihre Periode zu bekommen. Da dies aber in Wirklichkeit offensichtlich nicht der Fall<br />
war, erfüllte sich ihr Wunsch, nicht mit so jungen Jahren bereits Mutter zu werden,<br />
im Traum (<strong>Freud</strong>, 1900).<br />
Zwar handelt es sich bei Kinderträumen meist um „simple Wunscherfüllungen“<br />
(<strong>Freud</strong>, 1900, S.145), trotzdem stellen bekanntermaßen längst nicht alle Träume den<br />
darin verborgenen Wunsch so unverhohlen zur Schau. Dennoch sind sie wichtig, um<br />
einerseits zu beweisen, „dass der Traum seinem innersten Wesen nach eine Wunsch-<br />
erfüllung bedeutet“ (<strong>Freud</strong>, 1916-17, S.141) <strong>und</strong> um andererseits aufzuzeigen, dass<br />
die Traumentstellung „nicht zum Wesen des Traumes“ (ebd.) gehört. Vor allem bei<br />
Erwachsenen handelt es sich oftmals um weitaus kompliziertere, verworrenere<br />
Traumgebilde, die auf den ersten Blick kaum eine Wunscherfüllung vermuten lassen.<br />
Gerade diese Träume benutzen Kritiker, um <strong>Freud</strong> zu beweisen, dass keinesfalls je-<br />
11 Dass es sich bei den Elementen aus dem Tagesgeschehen meist um völlig indifferente <strong>und</strong> gleichgültige<br />
handelt, erklärt <strong>Freud</strong> damit, dass sie „von der Widerstandszensur am wenigsten zu be<strong>für</strong>chten<br />
haben“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.537).<br />
12 Ebenso deutlich wird hierbei die unten beschriebene Funktion des Traumes als Hüter des Schlafes,<br />
denn wie <strong>Freud</strong> richtig beobacht, gilt die in diesen Träumen vorgegaukelte Befriedigung der Bedürfnisse<br />
auch dazu, den Träumer vor dem Erwachen zu schützen.<br />
18
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
der Traum auf die Erfüllung eines Wunsches abzielt. Wie kann beispielsweise ein<br />
Traum mit hoch peinlichem oder unangenehmem Inhalt einen Wunsch erfüllen wol-<br />
len? Was ist mit Angst-, Straf- <strong>und</strong> Alpträumen? Hier muss man allerdings beden-<br />
ken, dass es sich aufgr<strong>und</strong> der Entstellung, die durch die oben beschriebenen Mecha-<br />
nismen der Traumarbeit erfolgt, oftmals als sehr schwierig erweist, den jeweiligen<br />
Wunsch herauszufinden. Außerdem bezieht sich die Wunscherfüllungstheorie nicht<br />
auf den manifesten Traum, sondern auf die dahinter stehenden latenten Traumgedan-<br />
ken. Somit kann eine sorgfältige Deutung des manifesten Traumes auch hinter einem<br />
peinlichen oder einem Angsttraum eine versteckte Wunscherfüllung zutage fördern<br />
(<strong>Freud</strong>, 1900). 13<br />
Trotzdem stellt sich die Frage, warum ein Traum überhaupt gedeutet werden muss<br />
<strong>und</strong> warum der Trauminhalt nicht einfach ohne Umwege das ausdrückt, was er zu<br />
sagen beabsichtigt. Wozu also dient die Traumenstellung? <strong>Freud</strong> erklärt die aufwen-<br />
dige Entstellung der latenten Traumgedanken damit, dass das Ich des Träumers nie-<br />
mals ganz schläft. Die Zensur - der kontrollierende Anteil des Ich - die verhindert,<br />
dass unbewusste Triebregungen an die Oberfläche gelangen, ist auch während des<br />
Schlaf-Zustandes weitestgehend aktiv. In dem Fall, in dem die Wunscherfüllung bis<br />
zur Unkenntlichkeit entstellt worden ist, muss eine starke Abwehr gegen diesen<br />
Wunsch vorhanden gewesen sein, die dazu geführt hat, dass dieser Wunsch <strong>nur</strong> ver-<br />
schlüsselt, bzw. zensiert im Traum erscheint. 14 An dieser Stelle kommen die oben<br />
bereits beschriebenen Mechanismen der Traumarbeit (Verdichtung, Verschiebung<br />
etc.) zum Einsatz (<strong>Freud</strong>, 1900).<br />
Was dies zusammenfassend bedeutet, beschreibt <strong>Freud</strong> mit folgenden Worten: „Wir<br />
dürfen also als die Urheber der Traumgestaltung zwei psychische Mächte (Strömun-<br />
gen, Systeme) im Einzelmenschen annehmen, von denen die eine den durch den<br />
Traum zum Ausdruck gebrachten Wunsch bildet, während die andere eine Zensur an<br />
diesem Traumwunsch übt <strong>und</strong> durch diese Zensur eine Entstellung seiner Äußerung<br />
erzwingt“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.160). Da der latente Trauminhalt vor der Analyse unbe-<br />
13 Mit dieser Behauptung zieht <strong>Freud</strong> sich wohl die schärfste Kritik zu. Trotzdem hält er daran fest<br />
<strong>und</strong> sieht <strong>nur</strong> das wiederholte Auftauchen eines erlebten psychischen Traumas im Traum als Ausnahme<br />
dieser Regel (<strong>Freud</strong>, 1933).<br />
14 Eben diese Abwehr äußert sich oftmals als Widerstand gegen die Deutung der Träume in der Analyse.<br />
Später (1923) ordnet <strong>Freud</strong> diesen Aspekt der Kontrollinstanz in seiner Strukturtheorie dem<br />
Über-Ich zu.<br />
19
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
wusst ist <strong>und</strong> <strong>nur</strong> der manifeste Traum bewusst erinnert wird, scheint die Funktion<br />
der zweiten Instanz - der Zensur - in der Zulassung zum Bewusstsein bzw. der even-<br />
tuell erforderlichen Verschlüsselung zu bestehen. Dementsprechend muss jeder<br />
Wunsch (erstes System) stets an der zweiten Instanz (Zensur) vorbei. 15 So kann es<br />
dann auch passieren, dass beispielsweise besonders peinliche Trauminhalte tatsäch-<br />
lich zur Verschleierung eines erwünschten Inhalts dienen. Mit anderen Worten „kön-<br />
nen wir jetzt auch sagen, die peinlichen Träume enthalten tatsächlich etwas, was der<br />
zweiten Instanz peinlich ist, was aber gleichzeitig einen Wunsch der ersten Instanz<br />
erfüllt“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.161).<br />
Da also jeder Traum vom ersten System ausgeht, ist jeder Traum ein Wunschtraum,<br />
oder wie <strong>Freud</strong> selbst es ausdrückt: „Der Traum ist die (verkleidete) Erfüllung eines<br />
(unterdrückten, verdrängten) Wunsches“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.175). Konzentriert man sich<br />
jedoch lediglich auf den Beitrag der zweiten Instanz <strong>und</strong> die entstellten Elemente des<br />
manifesten Trauminhalts, wird der Traum, sowie seine Bedeutung, wohl immer un-<br />
verständlich bleiben.<br />
Der Traum als Hüter des Schlafes<br />
Im Zusammenhang mit der oben beschriebenen Wunscherfüllungstheorie nennt<br />
<strong>Freud</strong> eine weitere Funktion der Träume. „Aus den Kinderträumen haben wir erfah-<br />
ren, die Traumarbeit beabsichtige die Beseitigung eines den Schlaf störenden seeli-<br />
schen Reizes durch eine Wunscherfüllung“ (<strong>Freud</strong>, 1916-17, S.217), so <strong>Freud</strong> selbst.<br />
Hiermit spielt er auf seine Theorie an, der zufolge der Traum als „Wächter des Schla-<br />
fes“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.240) fungiert. Da im Schlaf die Mechanismen der Verdrängung<br />
herabgesetzt sind, besteht die Gefahr, dass der Schlafende durch äußere Sinnesein-<br />
drücke, Tagesreste die ihn weiter beschäftigen, oder unbewusste Triebregungen, die<br />
an die Oberfläche drängen, geweckt wird. Der Traum hat nun die Funktion, diese<br />
Einflüsse in ein „unschädliches halluzinatorisches Erlebnis“ (<strong>Freud</strong>, 1933, S.459)<br />
umzuformen, um so die Fortsetzung des Schlafes zu gewährleisten. 16<br />
Diese Aufgabe gilt ebenso <strong>für</strong> Angstträume, auch wenn sie uns oftmals zum Erwa-<br />
chen bringen. Das liegt daran, dass in diesen Fällen der Schlaf unterbrochen wird,<br />
15 <strong>Freud</strong> (1900) vergleicht Träume mit Zeitungen unter einer Diktatur: Träume müssen nachts herauskommen,<br />
dabei dürfen sie aber die Wahrheit nicht offen sagen, sondern müssen sie verschlüsseln.<br />
16 Vgl.: „Die Träume sind Beseitigungen schlafstörender (psychischer) Reize auf dem Wege der halluzinierten<br />
Befriedigung.“ (<strong>Freud</strong>, 1916-17, S.148)<br />
20
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
„ehe der verdrängte Wunsch des Traumes seine volle Erfüllung gegen die Zensur<br />
durchgesetzt hat“ (<strong>Freud</strong>, 1916-17, S.221). Angstträume sind laut <strong>Freud</strong> nämlich<br />
meist dadurch gekennzeichnet, dass sie eine „offene Erfüllung eines verdrängten<br />
Wunsches“ (<strong>Freud</strong>, 1916-17, S.220) darstellen. Die Angst entsteht, weil die Zensur<br />
es nicht schafft, die aufkommenden verpönten Triebregungen zu unterdrücken <strong>und</strong><br />
der verdrängte Wunsch sich anschickt unverhüllt an die Oberfläche zu gelangen. Der<br />
Schläfer erwacht, um dies zu vermeiden. Auch wenn dadurch der Schlaf unterbro-<br />
chen wird, nimmt der Traum seine Funktion als Schlafhüter dennoch wahr, indem er<br />
noch größeren Schaden vermeidet. 17<br />
Morgenthaler (1986) beschreibt dieses Verhältnis von Träumer, Traum <strong>und</strong> unbe-<br />
wussten Triebregungen sehr anschaulich mittels folgender Theater-Analogie:<br />
Im Schlaf sitzt der Träumer als Besucher in einem Theater. Der Vorhang geht<br />
auf <strong>und</strong> er sieht auf der Bühne eine Szene, zum Beispiel den Sommernachts-<br />
traum von Shakespeare. Hinter den Kulissen sitzen die Traumregisseure. Das<br />
sind die Instanzen der unbewussten Ichanteile, die da<strong>für</strong> sorgen, dass auf der<br />
Bühne alles so vor sich geht, wie es geplant ist (...). Das Volk aber ist unzufrie-<br />
den, weil im Theater nie das aufgeführt wird, was es wirklich will. Unzufrieden<br />
sind vor allem die ungesitteten, schwer unter Kontrolle zu haltenden Aufbegeh-<br />
rer, die alles immer in Unordnung bringen wollen. Während der Theaterauffüh-<br />
rung drängen diese Leute von der Straße durch den Artisteneingang ins Theater.<br />
Einige sind betrunken, andere kommen mit einem H<strong>und</strong> oder Ziegenbock. Eine<br />
schreiende Frau ist auch dabei <strong>und</strong> vieles mehr. Diese Leute sind Störfaktoren<br />
<strong>und</strong> drohen auf die Bühne durchzubrechen (...). Die Eindringlinge sind die un-<br />
bewussten Triebregungen. Auf der Bühne muss alles schön <strong>und</strong> geregelt ablau-<br />
fen, damit der Träumer, der im Theater sitzt, nicht erwacht. (...) Nun kommen<br />
die Traumregisseure in Aktion. Ihnen steht das Arsenal der Vergangenheit von<br />
allem Erlebten zur Verfügung, um daraus die Requisiten <strong>und</strong> Verkleidungsmög-<br />
lichkeiten zu wählen, mit denen sie die Eindringlinge so verändern, (...) dass sie<br />
dann, (...) die Szene, die gerade gespielt wird, nicht stören. Je intensiver <strong>und</strong><br />
drängender die Impulse sind, die zur Bühne gelangen wollen, je schneller das<br />
vor sich geht <strong>und</strong> je größer die Menge der Eindringlinge ist, desto schwieriger<br />
wird es <strong>für</strong> die Traumregisseure, alles rechtzeitig zuzudecken. Es kann dann<br />
17 <strong>Freud</strong> vergleicht den Traum mit einem Nachtwächter, der mitunter nicht vermeiden kann, etwas<br />
Lärm zu machen um den Ruhestörer zu vertreiben, der den Träumenden mit seinem Krach andernfalls<br />
wecken würde (<strong>Freud</strong>, 1916-17).<br />
21
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
vorkommen, dass eine Prinzessin auf der Bühne noch irgendein Horn trägt, weil<br />
es der Traumregie nicht mehr gelungen ist, den Ziegenbock ganz zu verkleiden.<br />
Geraten die Traumregisseure durch die eindringenden unbewussten Triebimpul-<br />
se in noch größere Schwierigkeiten, können sie den zentralen elektrischen<br />
Schalter bedienen <strong>und</strong> das ganze Theater Dunkelheit hüllen. In solchen Fällen<br />
wacht der Träumer nicht auf (...). Wenn die Traumregisseure ihre Aufgabe nicht<br />
mehr bewältigen <strong>und</strong> ein Durchbruch der Eindringlinge auf die Bühne droht,<br />
lassen sie den Vorhang herunter <strong>und</strong> schalten das Licht im Publikumsraum an.<br />
Das entspricht dem Erwachen aus einem Traum. Das Erwachen aus einem<br />
Traum ist immer ein Zeichen da<strong>für</strong>, dass Angst aufträte, wenn der Traum wei-<br />
terginge (...).<br />
(Morgenthaler, 1986, S.81-84) 18<br />
Neben dem Aufwachen steht dem Träumer noch eine weitere Möglichkeit zur Ver-<br />
fügung, um den Schlaf beruhigt fortsetzen zu können. In dem Fall, in dem die Zensur<br />
durch einen bereits zugelassenen Traum überrumpelt wird, kann sie dies durch die<br />
Äußerung „Es ist ja <strong>nur</strong> ein Traum“ herunterspielen. Dies dient „zur Einschläferung<br />
einer gewissen Instanz, die in dem gegebenen Moment alle Veranlassung hätte, sich<br />
zu regen <strong>und</strong> die Fortsetzung des Traums (...) zu verbieten“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.470).<br />
Mit der Rechtfertigung „Es ist ja <strong>nur</strong> ein Traum“ kann der Schlaf jedoch ruhigen<br />
Gewissens fortgesetzt <strong>und</strong> der Traum geduldet werden. Anscheinend kommt also<br />
„der sonst <strong>nur</strong> als Zensur tätigen psychischen Instanz ein regelmäßiger Anteil an der<br />
Traumbildung“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.471) zu, was darauf hindeutet, dass das Traummate-<br />
rial vermutlich nicht ausschließlich aus den Traumgedanken stammt. Der Anteil die-<br />
ser besagten psychischen Instanz besteht dabei nicht <strong>nur</strong> in der oben bereits be-<br />
schriebenen Funktion der Zensur, die in Entstellungen, Abschwächungen <strong>und</strong> Aus-<br />
lassungen besteht, sondern offensichtlich auch in Einmischungen <strong>und</strong> Vermehrungen<br />
des Trauminhalts. Mit diesen Zusätzen werden die „Lücken im Aufbau des Traums“<br />
(ebd.) gestopft, so dass er weniger zusammenhangslos erscheint. Diese sogenannte<br />
sek<strong>und</strong>äre Bearbeitung, die ebenfalls zu den Mechanismen der Traumarbeit zählt,<br />
versucht also, den Trauminhalt in einen logischen Rahmen zu fügen, so dass ein<br />
halbwegs sinnvolles Ganzes entsteht. Mit Altmans Worten wissen wir demnach,<br />
18 Die Frage, inwieweit die Tatsache, dass der Träumer in dieser Analogie als passiver Zuschauer <strong>und</strong><br />
nicht als aktiver Darsteller verstanden wird, Sinn macht, soll an dieser Stelle nicht weiter diskutiert<br />
werden.<br />
22
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
„dass Zusammenhang <strong>und</strong> Logik im manifesten Traum das Ergebnis der sek<strong>und</strong>ären<br />
Bearbeitung sind“ (1981, S.39).<br />
Nach der Vorstellung der <strong>Freud</strong>schen Theorie zu Traumentstehung, Traumfunktion<br />
<strong>und</strong> Traumdeutung, geht es in den folgenden Abschnitten vor allem um die Weiter-<br />
entwicklung der psychoanalytischen Traumtheorie. Wie wir sehen werden, musste<br />
<strong>und</strong> muss der Traum bis heute noch um seine Position innerhalb der psychoanalyti-<br />
schen Praxis kämpfen. Während es eine Reihe Analytiker gibt, die dem Traum seine<br />
einzigartige Bedeutung absprechen, betonen andere nach wie vor den wichtigen Stel-<br />
lenwert des Traumes.<br />
3.2. Psychoanalytische Traumdeutung nach <strong>Freud</strong><br />
In seiner ‚Revision der Traumlehre’ (1933) beklagt sich <strong>Freud</strong> über das scheinbar<br />
deutlich nachlassende Interesse am Traum: „Die Analytiker benehmen sich, als hät-<br />
ten sie über den Traum nichts mehr zu sagen, als wäre die Traumlehre abgeschlos-<br />
sen“ (S.452). Bereits in den 20er Jahren besitzt der Traum eine immer geringer wer-<br />
dende Bedeutung innerhalb der Psychoanalyse. Leuschner (1999) führt dies darauf<br />
zurück, dass es sich als weitaus schwieriger erwies, die latenten Traumgedanken hin-<br />
ter dem manifesten Trauminhalt zu erkennen, als <strong>Freud</strong> es darstellt. Dies kann seiner<br />
Ansicht nach vor allem daran liegen, dass es sich bei vielen der in der ‚Traumdeu-<br />
tung’ behandelten Träume um <strong>Freud</strong>s eigene handelt. Dementsprechend muss er sich<br />
<strong>nur</strong> wenig bis gar nicht mit Phänomenen wie Widerstand, Übertragung <strong>und</strong> Gegen-<br />
übertragung auseinander setzen, mit denen sich die Analytiker tagtäglich in ihrer<br />
Praxis konfrontiert sehen <strong>und</strong> die die Deutungsarbeit erschweren.<br />
Auch heute zweifeln einige Analytiker an der Relevanz von Träumen <strong>für</strong> die psycho-<br />
analytische Praxis, so dass die Bearbeitung von Träumen im Rahmen der Analyse<br />
oftmals <strong>nur</strong> noch eine untergeordnete Rolle spielt. Es stellt sich tatsächlich die Frage,<br />
ob der Traum <strong>nur</strong> noch ein „Stiefkind der Psychoanalyse“ (Zauner, 1983, S.3) ist. In<br />
diesem Zusammenhang kommt die Kris Study Group 1967 (vgl. Greenson, 1970)<br />
nach einer zweijährigen Traum-Studie u.a. zu folgenden ernüchternden Schlussfolge-<br />
rungen: der Traum stellt ein ganz gewöhnliches Kommunikationsmittel innerhalb der<br />
Psychoanalyse dar, er eröffnet in keiner Weise Zugang zu Materialien, die sonst ver-<br />
deckt bleiben würden <strong>und</strong> er ist nicht in besonderer Weise dazu geeignet, unterdrück-<br />
te Kindheitserinnerungen ans Licht zu bringen. Auf diese Weise wird dem Traum<br />
23
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
jegliche herausragende Bedeutung abgesprochen <strong>und</strong> <strong>Freud</strong>s Theorie zur Traumar-<br />
beit <strong>und</strong> Traumdeutung völlig vernachlässigt. Auch Brenner (1969) ist der Überzeu-<br />
gung, dass die Traumdeutung nicht die einzige Methode darstellt, mit deren Hilfe<br />
man unbewusstem Material auf die Spur kommen kann. Seiner Ansicht nach stellen<br />
ebenso wie der Traum auch neurotische Symptome, Fehlleistungen, Witze, viele<br />
Charakterzüge <strong>und</strong> sogar die Wahl des Berufes, Tagträume, bewusste Kindheitserin-<br />
nerungen <strong>und</strong> vor allem die freien Assoziationen während der Analyse einen Kom-<br />
promiss zwischen instinktiven Wünschen <strong>und</strong> den Anforderungen des Über-Ich dar.<br />
Wie jeder Traum reflektieren auch sie das Ergebnis eines Zusammenspiels unbe-<br />
wusster, vorbewusster <strong>und</strong> bewusster Strebungen bzw. des Es, Ich <strong>und</strong> Über-Ich.<br />
Demnach sollte laut Brenner die Bedeutung des Traumes nicht überschätzt <strong>und</strong> die<br />
Aufmerksamkeit ebenfalls auf alle anderen Aspekte dessen, was der Klient mitteilt,<br />
gerichtet werden.<br />
Altman (1969) macht vor allem den Trend zur Ich-<strong>Psychologie</strong> <strong>für</strong> das nachlassende<br />
Interesse am Traum verantwortlich. Während sich das Hauptaugenmerk nun auf die<br />
Analyse der Abwehr richtet, wird die Arbeit am Traum zur Erforschung unbewusster<br />
Triebwünsche mehr <strong>und</strong> mehr vernachlässigt. Dies liegt nach Ansicht von Altman<br />
daran, dass Analytiker seit dem Beginn der Ich-<strong>Psychologie</strong> kaum noch die Erfah-<br />
rung einer Analyse ihrer eigenen Träume machen können <strong>und</strong> dementsprechend<br />
Träume auch bei der Arbeit mit ihren Klienten in den Hintergr<strong>und</strong> treten.<br />
Ermann (1983) <strong>und</strong> Moser (2003) weisen darüber hinaus auf eine wichtige Verschie-<br />
bung in der Bewertung des Traums hin, die ebenfalls mit dem Beginn der Ich-<br />
<strong>Psychologie</strong> zusammen fällt. Diese Verschiebung besteht darin, dass der immensen<br />
Bedeutung der Entschlüsselung des latenten Trauminhalts zur Aufdeckung unbe-<br />
wusster Triebe <strong>und</strong> Wünsche der manifeste Traum inzwischen fast gleichwertig ge-<br />
genüber steht. 19 Er wird dabei als „Äußerung des Ich in seinem Bemühen um die<br />
Strukturierung der Primärprozesse des Unbewussten“ (Ermann, 1983, S.X) angese-<br />
hen. So vertritt Ehebald (1981; vgl. Zauner, 1983) die Ansicht, dass der manifeste<br />
Traum nicht <strong>nur</strong> eine Wunscherfüllung darstellt, sondern auch Einblicke in die Ar-<br />
beitsweisen des Ich erlaubt <strong>und</strong> damit ebenso viel Aufmerksamkeit wie der latente<br />
19 Spanjaard (1969) weist darauf hin, dass Federn 1914 als Erster das Interesse auf den manifesten<br />
Traum lenkt. Im Wesentlichen geht diese Verschiebung der Aufmerksamkeit jedoch auf Erikson zurück,<br />
der im Jahre 1949 am Psychoanalytischen <strong>Institut</strong> von San Franzisko ein Seminar abhält, in dem<br />
er das Augenmerk vor allem auf den manifesten Traum richtet (Beese, 1983).<br />
24
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
Trauminhalt verdient. 20 Darüber hinaus wird vor allem in der Arbeit mit Ich-<br />
gestörten Patienten die Arbeit mit Träumen vermieden, da die Traumassoziation,<br />
sowie wie freie Assoziation zu regressionsfördernd ist <strong>und</strong> damit zu Dekompensatio-<br />
nen führen kann.<br />
Selbstverständlich gibt es daneben nach wie vor zahlreiche Analytiker, die die Be-<br />
deutung der Träume keineswegs anzweifeln (z.B. Altman, 1981, Greenson, 1970). 21<br />
So ist Greenson (1970) überzeugt, dass eine erfolgreiche, tiefgehende Analyse nicht<br />
ohne das Verständnis <strong>und</strong> den Einbezug der Träume möglich ist. Auch Mertens<br />
(1993) ist der Ansicht, dass Träume - wenn auch meist in verschlüsselter Form - „den<br />
Weg zu den kindlichen Konflikten <strong>und</strong> Konfliktverarbeitungen weisen <strong>und</strong> wertvolle<br />
Rekonstruktionshilfen bereitstellen, die dann wiederum ein besseres Verständnis der<br />
Übertragungsbeziehung im Hier <strong>und</strong> Jetzt ermöglichen“ (S.109). Somit stellt der<br />
Traum seiner Ansicht nach ein wertvolles Mittel dar, Ereignisse der Gegenwart mit<br />
Erlebnissen, Emotionen <strong>und</strong> Wünschen der Vergangenheit zu verbinden.<br />
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass, obwohl Phänomene wie z.B. Wider-<br />
stand, Übertragung <strong>und</strong> Gegenübertragung heutzutage einen großen Stellenwert in<br />
der psychoanalytischen Praxis haben, nach wie vor ein großes Interesse am Traum<br />
besteht. Allerdings wird er dabei von manchen Autoren inzwischen weniger als „Via<br />
Regia zur Kenntnis des Unbewussten“ (<strong>Freud</strong>, 1900; S.577; Hervorhebung v. Verf.),<br />
sondern als weitere Möglichkeit zum Verständnis der Arbeitsweise des Ich angese-<br />
hen.<br />
Die wohl bekannteste Weiterentwicklung der <strong>Freud</strong>schen Traumtheorie stellt die<br />
C.G. Jungs dar. Im Rahmen dieser Arbeit werde ich seine Erkenntnisse jedoch aus<br />
Platzgründen weitestgehend vernachlässigen <strong>und</strong> <strong>nur</strong> kurz im Abschnitt 3.3.1 andeu-<br />
ten, womit ich ihre Bedeutung aber keinesfalls herunterspielen möchte.<br />
3.2.1. Der Traum in der analytischen Therapie<br />
Bei denjenigen Analytikern, die Träume weiterhin als „Königsweg“ zum Unbewuss-<br />
ten ansehen, geht es, anknüpfend an <strong>Freud</strong>, vor allem darum, mittels Deutungstech-<br />
20 In diesem Zusammenhang wird auch die Traumarbeit als „eine besondere (integrative, konfliktlösende<br />
bzw. schöpferische) Leistung des Ich“ (Struck, 1992, S.76) angesehen.<br />
21 Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird ersichtlich werden, dass die Traumdeutung heute ausgerechnet<br />
von Seiten der Neurowissenschaften einen erneuten Aufschwung erfährt, seitdem auch dort<br />
Träume als Forschungsgegenstand entdeckt wurden.<br />
25
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
niken den latenten Traumgedanken auf die Spur zu kommen, die sich hinter dem<br />
manifesten Trauminhalt verbergen, um so die Gr<strong>und</strong>lagen der Konflikte <strong>und</strong> Sym-<br />
ptome aufdecken, bearbeiten <strong>und</strong> integrieren zu können. Eine wichtige Technik ist<br />
hier die unter 3.1 bereits beschriebene Methode der freien Assoziation. <strong>Freud</strong> geht<br />
davon aus, dass diese Technik am besten dazu geeignet sei, Zugang zur Bedeutung<br />
des Traumes zu erlangen, da die „zunächst oft beziehungslos scheinenden, schwei-<br />
fenden Gedanken unweigerlich in die Nähe der unbewussten Motivation“ (Struck,<br />
1991, S.81) führen, die sich hinter dem manifesten Trauminhalt verbirgt. Allerdings<br />
gilt es zu bedenken, dass diese Assoziationen <strong>und</strong> Einfälle noch nicht die latenten<br />
Traumgedanken darstellen, sie liefern lediglich Hinweise <strong>und</strong> deuten Mögliches an.<br />
Bei der Traumdeutung in der analytischen Praxis kann es zu gewissen Schwierigkei-<br />
ten kommen, da Analytiker <strong>und</strong> Analysand oftmals unterschiedliche <strong>und</strong> sehr subjek-<br />
tive Traumtheorien haben. Ziel ist darum zunächst, „die Übernahme des Traums in<br />
die gemeinsame interpretative Mikrowelt von Analytiker <strong>und</strong> Analysand“ (Moser,<br />
2003, S.645). Im Laufe der Deutung des Traumes kann es dazu kommen, dass sich<br />
der Analysand gegen bestimmte Interpretationen oder die gesamte Traumarbeit<br />
wehrt. Solche Widerstände äußern sich z.B. darin, dass der Analysand einen Traum<br />
gar nicht mehr erzählt, vorgibt, ihn vergessen zu haben, dem Analytiker <strong>nur</strong> einzelne<br />
Fragmente liefert oder jegliche Bedeutung seines Traumes abstreitet. Dies stellt nach<br />
Ansicht von Moser ein wichtiges Problem dar, denn „Distanzierungen in Bezug auf<br />
den Traumprozess, offen oder versteckt, sind ein untrügliches Zeichen da<strong>für</strong>, dass<br />
der psychoanalytische Prozess intellektualisiert verläuft“ (Moser, 2003, S.645).<br />
Laut Fink (1977) erfüllt der Traum in der analytischen Therapie nach wie vor einige<br />
wichtige Aufgaben. So weist Fink auf die Bedeutung des ersten Traumes, der vom<br />
Analysand berichtet wird, hin. Er geht, wie auch Jung (1945), davon aus, dass dieser<br />
sogenannte Initialtraum den derzeitigen Zustand des Klienten widerspiegelt <strong>und</strong> so-<br />
mit eine wichtige diagnostische <strong>und</strong> prognostische Funktion hat. Darüber hinaus re-<br />
flektieren die berichteten Träume die jeweilige Interaktion <strong>und</strong> können somit auch<br />
Auskünfte über die Beziehung zwischen Analysand <strong>und</strong> Analytiker liefern. Die Art<br />
<strong>und</strong> Weise, wie auch die Häufigkeit, mit der Träume während der Analyse berichtet<br />
werden, gibt dem Analytiker außerdem wichtige Hinweise auf den „jeweiligen Stand<br />
des Widerstandes“ (Fink, 1977, S.291) des Klienten. Abschließend vermutet Fink,<br />
26
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
dass der Inhalt des Traumes (oral, anal, genital, narzisstisch etc.) Aufschluss über das<br />
Ausmaß der Regression gibt.<br />
3.2.2. Experimentelle psychoanalytische Traumforschung<br />
Bei der Psychoanalyse handelt es sich um eine über h<strong>und</strong>ertjährige Wissenschaft.<br />
Doch gerade der wissenschaftliche Status dieser Disziplin wird von Gegnern <strong>und</strong><br />
Kritikern der Psychoanalyse immer wieder massiv in Frage gestellt. Tatsächlich sind<br />
sich auch immer mehr Vertreter aus den eigenen Reihen der Tatsache bewusst, dass<br />
die Psychoanalyse weitaus erfolgreicher darin ist, Hypothesen aufzustellen, als sie<br />
experimentell zu testen <strong>und</strong> zu überprüfen. So weist der Nobelpreisträger Eric Kan-<br />
del (1999) darauf hin, dass es die Psychoanalyse vor allem versäumt habe, sich wis-<br />
senschaftlich weiter zu entwickeln. Dies äußere sich in dem gravierenden Mangel an<br />
objektiven Methoden, mit deren Hilfe die Vermutungen <strong>und</strong> Hypothesen über die<br />
Psyche des Menschen belegt werden könnten. Auch Leuschner, Hau & Fischmann<br />
(1998) warnen vor der „Gefahr des wissenschaftlichen Stillstandes“ (S.825) <strong>und</strong> plä-<br />
dieren <strong>für</strong> „methodische Erweiterungen“ (ebd.), um die psychoanalytischen Theorien<br />
(über)prüfen <strong>und</strong> (weiter)entwickeln zu können. Kandel bedauert den allmählich<br />
nachlassenden Einfluss der Psychoanalyse im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert, da sie seiner Meinung<br />
nach immer noch das schlüssigste <strong>und</strong> intellektuell befriedigendste Modell unserer<br />
Psyche darstellt. Als Ausweg aus dieser Misere schlägt er eine größere Offenheit<br />
anderen Disziplinen, wie z.B. der Biologie <strong>und</strong> den Neurowissenschaften gegenüber<br />
vor. Dies wird das Thema des 5.Kapitels sein. Im Folgenden möchte ich zunächst auf<br />
Bestrebungen eingehen, die innerhalb der psychoanalytischen Schlaf- <strong>und</strong> Traumfor-<br />
schung stattgef<strong>und</strong>en haben, mit dem Ziel, die aufgestellten Hypothesen experimen-<br />
tell zu validieren.<br />
Auch wenn der Mangel an hypothesengeleiteter, experimenteller Untersuchung der<br />
psychoanalytischen Theorien dieser Fachrichtung heute deutlich angekreidet wird,<br />
sollte man nicht vergessen, dass die experimentelle Untersuchung des Traumes den-<br />
noch eine lange Tradition innerhalb der Psychoanalyse hat. Bereits im Jahre 1878<br />
führt Maury (vgl. Fink, 1977) erwähnenswerte Traum-Experimente durch. Ihm ge-<br />
lingt es schon zu diesem Zeitpunkt nachzuweisen, dass während des Schlafes darge-<br />
botene Reize in den Traumbericht Zugang finden. Auch Schrötter (1912; vgl. <strong>Freud</strong>,<br />
1916-17) macht die Beobachtung, dass sich bestimmte Inhalte, die er hypnotisierten<br />
27
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
Personen suggeriert, anschließend in den Träumen dieser Personen nachweisen las-<br />
sen. Einen mindestens ebenso wichtigen Beitrag liefert Pötzl (1917; vgl. Leuschner,<br />
1999), der mit Hilfe seiner Experimente die Existenz unbewusster Prozesse offen<br />
legt. Indem er seinen Versuchspersonen bestimmte Bilder subliminal (also quasi un-<br />
bewusst, durch die Darbietung unterhalb der Wahrnehmungsschwelle) präsentiert,<br />
die dann nachweislich im darauffolgenden Traumschlaf auftauchen, liefert er bedeut-<br />
same Hinweise auf die offensichtlich existierende unbewusste Wahrnehmungsverar-<br />
beitung. Dieser Methode der subliminalen Wahrnehmung bedienen sich zahlreiche<br />
weitere Forscher, um die Träume ihrer Probanden experimentell zu beeinflussen<br />
(siehe unten).<br />
Mit der Entdeckung des REM-Schlafes im Jahre 1953 (siehe Kapitel 4.2.1) kommt es<br />
vor allem im Bereich der physiologischen Schlaf- <strong>und</strong> Traumforschung zu einem<br />
erheblichen Anstieg der experimentellen Untersuchung des Traumes. Da sich daran<br />
auch einige Psychoanalytiker wie z.B. Shevrin, Fiss, Pine <strong>und</strong> Fisher beteiligen, wird<br />
es möglich, die innerhalb der analytischen Situation gesammelten Erfahrungen <strong>und</strong><br />
Vermutungen im Labor zu überprüfen.<br />
Whitman stellt 1963 (vgl. Leuschner, 1999) bei einer vergleichenden Untersuchung<br />
fest, dass Patienten innerhalb der Analyse andere Träume berichten als im Labor.<br />
Dies erklärt er mit der jeweils unterschiedlichen Übertragungsbeziehung, die zwi-<br />
schen Patient <strong>und</strong> Analytiker bzw. Patient <strong>und</strong> Forscher besteht. Fiss untersucht 1980<br />
die Labor-Träume von Alkoholikern während des Entzugs <strong>und</strong> stellt fest, dass „die<br />
hochgradig Süchtigen weitaus häufiger vom Trinken träumen, als die weniger ‚Be-<br />
gierigen’“ (Leuschner, 1999, S.366). Dies spricht zunächst <strong>für</strong> die <strong>Freud</strong>sche Theorie<br />
der Wunscherfüllung, allerdings weist Fiss (1993) darauf hin, dass jene Träumer zu-<br />
sätzlich stark konfliktgeladene <strong>und</strong> selbst abwertende Trauminhalte aufweisen.<br />
Greenberg <strong>und</strong> Pearlman (1975) untersuchen ebenfalls den Trauminhalt ihrer Patien-<br />
ten aus der analytischen Praxis im Labor <strong>und</strong> stellen fest, dass ein Großteil des mani-<br />
festen Trauminhaltes direkt auf die dem Schlaf vorangegangene analytische Sitzung<br />
zurück zu führen ist. Dies interpretieren die Autoren dahingehend, dass Träume die<br />
Gelegenheit bieten, rezente Erfahrungen neu zu organisieren <strong>und</strong> mit vergangenen<br />
Erfahrungen zu integrieren. Eine ähnliche Auffassung vertreten French <strong>und</strong> Fromm<br />
(1964) <strong>und</strong> postulieren, dass der Traum einen Adaptionsprozess, bzw. einen Versuch,<br />
gegenwärtige Konflikte zu lösen, darstellt (siehe Kapitel 3.3.2). Nach Ansicht von<br />
28
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
Greenberg <strong>und</strong> Pearlman erlaubt der manifeste Trauminhalt demnach Rückschlüsse<br />
auf emotional bedeutsames Material, welches den Träumer aktuell, vor allem inner-<br />
halb der Analyse, beschäftigt. Allerdings bedeutet dies nicht, dass dieses Material<br />
völlig unverzerrt im Traum erscheint, sondern meist in eine Art metaphorischer<br />
Sprache umgewandet wird (vgl. <strong>Freud</strong>s Traumarbeit). Anknüpfend an <strong>Freud</strong> gehen<br />
sie zusammenfassend davon aus, dass Träume die Integration von vergangenen<br />
Wünschen <strong>und</strong> gegenwärtigen Bedürfnissen reflektieren.<br />
Wie oben bereits angedeutet machen sich viele Forscher die von Pötzl angewandte<br />
Methode der subliminalen Wahrnehmung zu Nutze, um die Verarbeitung unbewuss-<br />
ter Informationen während des Traumes zu beobachten. So stellen Spence <strong>und</strong> Gor-<br />
don 1973 (vgl. Leuschner, 1999) mit Hilfe der Pötzl-Methode beispielsweise fest,<br />
dass subliminale Stimuli „gr<strong>und</strong>sätzlich in der Lage sind, Zugang zu unbewussten<br />
Phantasien zu verschaffen bzw. unbewussten Wünschen ermöglichen, im Traum zu<br />
erscheinen“ (Leuschner, 1999, S.368). Leuschner selbst entwickelt mit seinen Kolle-<br />
gen das sogenannte tachyakustische Verfahren. Dabei wird dem Probanden ein be-<br />
stimmter Text in 2,5-facher Geschwindigkeit vorgespielt, so dass bewusstes Verste-<br />
hen völlig unmöglich ist. Trotzdem kommt es daraufhin zu einem statistisch signifi-<br />
kanten Wiederauftreten von Inhalten dieser Texte im Traumbericht, sowie in freien<br />
Assoziationen - <strong>und</strong> das bis zu drei Tagen nach Darbietung. Dies bedeutet nach An-<br />
sicht der Autoren, dass die dargebotenen Texte vorbewusst wahrgenommen <strong>und</strong> ver-<br />
standen wurden (Leuschner et al., 1998).<br />
Es gibt demnach durchaus eine gewisse Tradition der experimentellen psychoanalyti-<br />
schen Traumforschung. Allerdings hat es die Psychoanalyse bis heute leider weitge-<br />
hend versäumt, diese Methoden <strong>und</strong> Techniken auszubauen, um mit ihrer Hilfe auch<br />
weiterhin die aufgestellten Hypothesen <strong>und</strong> Theorien zu stützen. Dabei darf nicht<br />
außer Acht gelassen werden, dass die psychoanalytische Laborforschung auch<br />
Schwierigkeiten aufweist. Im Gegensatz zur analytischen Situation gibt es laut<br />
Leuschner (1999) im Labor „keine Patienten mehr, keine Behandlung, kein Hier-<br />
<strong>und</strong>-Jetzt gemeinsamer Erkenntnis. Es gibt nicht mehr den Detektiv <strong>und</strong> nicht mehr<br />
den Archäologen, keine Hermeneutik. Übertragungsprozesse gelten erst mal nichts“<br />
(S.374). Vielleicht ist darum die Kombination von Erkenntnissen, die innerhalb der<br />
Analyse gewonnen werden <strong>und</strong> jenen, die im Labor zutage treten, so wertvoll, um<br />
auf der einen Seite nicht den Patienten <strong>und</strong> seine besondere therapeutische Bezie-<br />
29
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
hung zum Analytiker, andererseits aber auch nicht die experimentelle Validierung<br />
der aufgestellten Hypothesen aus den Augen zu verlieren. Forschung <strong>und</strong> Heilung<br />
sollten sich im Idealfall ergänzen. So sind die klinischen Erfahrungen <strong>und</strong> die aus der<br />
Praxis gewonnenen Einsichten <strong>für</strong> die Laborforschung ebenso unerlässlich, wie auch<br />
die Ergebnisse der experimentellen Untersuchung <strong>für</strong> das Verständnis des therapeuti-<br />
schen Prozesses sinnvoll sein können. So ist z.B. die mittels der subliminalen Me-<br />
thode experimentell nachgewiesenen Tatsache, dass wir nicht <strong>nur</strong> bewusst, sondern<br />
gleichzeitig auch vorbewusst wahrnehmen, verstehen <strong>und</strong> kommunizieren, <strong>für</strong> die<br />
analytische Situation von großer Bedeutung.<br />
3.3. Die Funktion des Traumes aus psychoanalytischer Sicht<br />
Wie unter 3.1.2 beschrieben, geht <strong>Freud</strong> von zwei wesentlichen Funktionen des<br />
Traumes aus: der Traum als Wunscherfüllung <strong>und</strong> der Traum als Hüter des Schlafes.<br />
Im Zuge der Weiterentwicklung der psychoanalytischen Theorie entstehen noch viele<br />
weitere Vermutungen zum Sinn <strong>und</strong> Zweck des Träumens. Im Folgenden werde ich<br />
eine Auswahl dieser Hypothesen kurz darstellen, wobei ich aus Platzgründen <strong>nur</strong><br />
einige wenige aus der großen Menge der Theorien herausgreifen <strong>und</strong> lediglich kurz<br />
andeuten kann.<br />
3.3.1. Der Traum als Kompensation<br />
Der prominenteste Vertreter der Kompensations-Theorie ist sicherlich C.G. Jung<br />
(1945). Er vermutet, dass sich im Traum jene Anteile offenbaren, die im bewussten<br />
Leben verdrängt <strong>und</strong> unterdrückt worden sind. Dabei gilt: je einseitiger die aktuelle<br />
Bewusstseinslage, desto ausgeprägter der kompensatorische Charakter der Träume.<br />
Auf diese Weise wird das Gleichgewicht der Seele garantiert - entsprechend Jungs<br />
Auffassung von einem ganzheitlichen <strong>und</strong> ausgewogenen Menschen. Im Unterschied<br />
zu <strong>Freud</strong> handelt es sich bei den zu kompensierenden Anteilen jedoch nicht aus-<br />
schließlich um verdrängte Triebregungen, sondern um alle möglichen Einstellungen<br />
<strong>und</strong> Faktoren, die im bewussten Leben nicht ausreichend vertreten werden. Dabei<br />
wird das Interesse eher auf den manifesten Trauminhalt gelenkt, während bei <strong>Freud</strong><br />
vor allem die Bedeutung des latenten Traummaterials betont wird (siehe Kapitel 3.2).<br />
Demnach ist die Wunscherfüllung <strong>nur</strong> einer von vielen möglichen manifesten Inhal-<br />
ten, es kann sich dabei ebenso um Illusionen, Erinnerungen etc. handeln. Letztlich<br />
30
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
stellt dies aber keinen Widerspruch zur <strong>Freud</strong>schen Theorie dar, denn auch <strong>Freud</strong><br />
gibt zu, dass der manifeste Traum alles mögliche darstellen kann. Wesentlich ist sei-<br />
ner Ansicht jedoch, dass der Motor des Traumbildungsprozesses stets ein unbewuss-<br />
ter Triebwunsch ist, dem der Traum eine Äußerung ermöglicht (Deserno, 1999;<br />
Eckes-Lapp,1980). 22<br />
Laut Schultz-Hencke (1949) nimmt der Mensch aufgr<strong>und</strong> frühkindlicher Erfahrun-<br />
gen stets auf seine Umwelt Rücksicht, was dazu führt, dass es zu „motorische[r] Zu-<br />
rückhaltung“, „reflektorische[n] Einschränkungen“ <strong>und</strong> sogar „völligen Ausfallser-<br />
scheinungen“ (Eckes-Lapp, 1980, S.23) kommt. Das dadurch Versäumte holt der<br />
Mensch in seinen Träumen nach, kompensiert so die tagsüber erlebten Beschränkun-<br />
gen <strong>und</strong> „füllt die Lücken des Wacherlebens“ (Schultz-Hencke, 1949, S.207). Dabei<br />
konzentriert sich Schultz-Hencke wie <strong>Freud</strong> auf die nicht-gelebten Triebanteile, wäh-<br />
rend sich der Traum bei Jung nicht <strong>nur</strong> auf Triebregungen, sondern auch auf Einstel-<br />
lungen, Emotionen u.a. bezieht.<br />
Eine ähnliche Auffassung vertritt Siebenthal (1953), indem er behauptet, dass der<br />
Traum insofern kompensatorisch ist, als er gerade das darstellt, was im Wachzustand<br />
<strong>nur</strong> ungenügende Beachtung gef<strong>und</strong>en hat. So kommt es dazu, dass der Schlafende in<br />
seinen Träumen genau mit den Emotionen, Gedanken, Trieben etc. konfrontiert wird,<br />
von denen er im bewussten Leben nichts wissen wollte - der Traum zeigt also häufig<br />
eine Einstellung, die der im Wachzustand vorzufindenden Haltung genau entgegen-<br />
gesetzt ist.<br />
All diesen Theorien ist gemeinsam, dass sie von einer ausgleichenden Funktion der<br />
Träume ausgehen. Sie werden als Äußerung des Unbewussten angesehen, die die im<br />
Wachzustand wenig beachteten Anteile berücksichtigen, um so eine Art Gleichge-<br />
wicht herzustellen <strong>und</strong> Einseitigkeit auszugleichen. Wichtig ist dabei, dass die Ver-<br />
treter dieser Theorie - im Gegensatz zu <strong>Freud</strong> - vom manifesten Traum ausgehen.<br />
3.3.2. Der Traum als Prospektion / Konfliktlösung<br />
Einige der oben genannten Autoren, wie z.B. Jung <strong>und</strong> Schultz-Hencke betonen wie<br />
Maeder <strong>und</strong> Adler neben der Kompensationsfunktion auch die prospektive Tendenz<br />
22 Darüber hinaus sieht Jung den Traum als Individuationsprozess an. Das bedeutet, dass sich im<br />
Traum die Entwicklung des Träumers, sowie seine aktuelle Lage ablesen lässt (siehe auch Kapitel<br />
3.3.2 <strong>und</strong> 3.3.3).<br />
31
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
des Traumes. So geht Maeder (1912; vgl. Boss, 1953) davon aus, dass Träume Lö-<br />
sungsversuche <strong>für</strong> Konflikte darstellen können. Indem der Traum als eine Art Trock-<br />
enübung <strong>für</strong> spätere, im Wachleben erfolgende Problemlöseversuche aufgefasst wird,<br />
wird ihm in gewisser Weise ein vorausschauender, in die Zukunft gerichteter Cha-<br />
rakter zugeschrieben. Der Traum ist somit ein „Vorläufer der Tat“ (Eckes-Lapp,<br />
1980, S.27).<br />
Auch Adler (1936) postuliert die vorausdenkende Funktion des Traumes. Er geht<br />
dabei jedoch einen Schritt weiter <strong>und</strong> behauptet, Träumen sei „ein Zeichen von Fehl-<br />
anpassung“ (Eckes-Lapp, 1980, S.28). Wenn ein Mensch sich demnach tagsüber in<br />
ausreichender Weise mit sich, seinem derzeitigen Zustand <strong>und</strong> seinem Seelenleben<br />
auseinander setzt, bräuchte er theoretisch gar nicht zu träumen. Ein Traum entsteht<br />
seiner Ansicht erst dann, wenn der Mensch mit einem Problem konfrontiert wird,<br />
welches zu lösen er im Wachzustand bisher nicht in der Lage war. Im Traum übt die<br />
betreffende Person dann die Lösung des Konfliktes <strong>und</strong> sucht den Schlüssel dazu in<br />
der Phantasie.<br />
Eckes-Lapp (1980) weist darauf hin, dass dank der prospektiven Tendenz der Träu-<br />
me eine Vorschau auf die zukünftige Entwicklung des Träumers möglich ist, so dass<br />
anhand der Träume „eine prognostische Hypothese <strong>für</strong> die Persönlichkeitsentwick-<br />
lung“ (S.31) aufgestellt werden kann.<br />
<strong>Freud</strong> (1900) hingegen wehrt sich ausdrücklich gegen diese Auffassungen. Sowohl<br />
die prognostische, als auch die problemlösende Tätigkeit sieht er lediglich als zwei<br />
unter vielen möglichen Leistungen der Tagesreste, die in Verbindung mit einem un-<br />
bewussten Wunsch im Traum auftreten. Die prognostische Funktion des Traumes ist<br />
demnach vielmehr eine Funktion des vorausgegangenen bewussten Denkens am Ta-<br />
ge <strong>und</strong> keine spezifische Funktion des Traumes an sich. <strong>Freud</strong> warnt davor, den<br />
Traum ausschließlich mit den latenten Traumgedanken gleichzusetzen, nachdem<br />
lange Zeit der Traum mit dem manifesten Traum gleich gestellt wurde.<br />
3.3.3. Der Traum als Ausdrucksmittel des seelischen Zustandes<br />
Die oben bereits erwähnten Autoren Maeder, Jung <strong>und</strong> Adler, aber auch Silberer<br />
gehen noch von einer weiteren Funktion des Träumens aus - der „Ausdrucks- <strong>und</strong><br />
Darstellungsfunktion“ (Eckes-Lapp, 1980, S.32). Im Gegensatz zu <strong>Freud</strong>s eher trieb-<br />
psychologischem Ansatz zeigt diese Theorie, ähnlich wie die der Konfliktlösung des<br />
32
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
Träumens, allerdings mehr in eine Ich-psychologische Richtung, wobei dem mani-<br />
festen Traum eine größere Rolle zugewiesen wird. Die Autoren sind der Ansicht,<br />
dass unbewusste Inhalte in Traumbilder umgesetzt werden, die somit Rückschlüsse<br />
auf die aktuelle seelische Befindlichkeit des Träumers zulassen. Demnach besteht<br />
eine unmittelbare Verbindung zwischen der Darstellungsweise der manifesten<br />
Traumbilder <strong>und</strong> dem Zustand des Unbewussten. Das bedeutet, dass eine sehr an-<br />
schauliche, ausdrucksvolle Darstellungsweise des Traumes auf einen reifen Zustand<br />
hindeutet, während eine verworrene, <strong>und</strong>eutliche Darstellungsweise eher <strong>für</strong> einen<br />
chaotischen Zustand des Seelenlebens des Träumers spricht. Zudem werden ange-<br />
nehme oder unangenehme Emotionen innerhalb des Traumes als entsprechendes<br />
Spiegelbild der realen Situation aufgefasst. Abschließend weisen die Autoren darauf<br />
hin, dass sich die Ausdrucksfunktion des Traumes nicht allein auf die Tatsache be-<br />
zieht, „dass Seelisches im Traum ausgedrückt wird, sondern dieser Ausdruck wird<br />
finalisiert, indem er den Sinn <strong>und</strong> Zweck erfüllt, das Bewusstsein auf latentes, bisher<br />
nicht zu Bewusstsein zugelassenes Erleben aufmerksam zu machen“ (Eckes-Lapp,<br />
1980, S.34).<br />
Heute geht Mancia (2002) ebenfalls davon aus, dass der Traum eine reale Erfahrung<br />
ist, „die als eine Darstellung der inneren Welt des Träumers die Ganzheit der Über-<br />
tragung in ihrer unmittelbaren Gegenwart ausdrückt“ (S.220). So erlaubt der Traum-<br />
bericht seiner Ansicht nach Rückschlüsse auf Spaltungen, Abwehmechanismen,<br />
Ängste etc. des Träumenden <strong>und</strong> kann im Rahmen einer Analyse wertvolle Hinweise<br />
auf den inneren Zustand des Patienten liefern (siehe auch nächstes Kapitel). Daneben<br />
stellt der Traum <strong>für</strong> den Träumer nach Ansicht von Mancia „ein Werkzeug zur Er-<br />
kenntnis seines Selbst“ (ebd.) dar. Außerdem schreibt er dem Traum eine Reihe wei-<br />
terer Funktionen zu: er kann eine Mitteilung an den Analytiker, die Erfüllung eines<br />
verdrängten Wunsches oder auch ein Ausagieren innerhalb der Sitzung darstellen,<br />
indem „zu Abfuhrzwecken Träume in großer Zahl gebracht werden, <strong>nur</strong> um den ana-<br />
lytischen Raum zu füllen“ (ebd.).<br />
3.3.4. Der Traum als Kommunikationsmittel<br />
Auch wenn es sich beim Träumen um ein sehr persönliches Phänomen handelt, spü-<br />
ren wir oft das Verlangen, anderen unsere Träume mitzuteilen. Diese Tendenz, den<br />
Traum als Kommunikationsmittel zu benutzen, wird vor allem im Rahmen der The-<br />
33
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
rapie bzw. Analyse deutlich. Wie <strong>Freud</strong> (1900) bereits feststellt, kommen viele Pati-<br />
enten früher oder später dazu, über ihre Träume zu berichten. Eckes-Lapp (1980)<br />
gibt einen Überblick über Vertreter dieser Theorie, zu denen Rosenbaum, Bergmann,<br />
Klauber, Becker <strong>und</strong> Grunert gehören. Sie beschäftigen sich vor allem mit dem In-<br />
halt des Traumberichtes, den der Patient seinem Therapeuten liefert. Ihrer Ansicht<br />
nach können so Rückschlüsse sowohl auf den Stand der Übertragung <strong>und</strong> die Bezie-<br />
hung zwischen Analysand <strong>und</strong> Analytiker, als auch auf die „innerpsychische Kon-<br />
fliktsituation“ (Eckes-Lapp, 1980, S.36) gezogen werden. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e wird<br />
dem sogenannten Initialtraum in der Analyse so eine große Bedeutung zugeschrieben<br />
- dabei handelt es sich um den ersten Traum, den der Analysand seinem Analytiker<br />
mitteilt. Hier vertritt Jung (1945; siehe Kapitel 3.2.1) eine ähnliche Auffassung, in-<br />
dem er betont, dass dieser Initialtraum wichtige Informationen, z.B. über Art <strong>und</strong><br />
Schweregrad der Störung, mögliche Entwicklungsschritte <strong>und</strong> eventuell sogar sinn-<br />
volle Therapiemöglichkeiten enthält. Auch Beese (1983) geht von einer diagnosti-<br />
schen Bedeutung des Traumes aus. Dabei merkt er einschränkend an, dass ohne die<br />
genaue Kenntnis der Vorgeschichte <strong>und</strong> der Persönlichkeit des Klienten sowie seine<br />
freien Assoziationen eine Unterscheidung zwischen dem Traum eines Ges<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />
dem eines Neurotikers bzw. Psychotikers schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist.<br />
Allerdings können die Träume von präpsychotischen Patienten u.U. relativ deutliche<br />
Hinweise auf einen bevorstehenden Ausbruch der Psychose liefern.<br />
Der Traum ist also insofern wichtig, als dass er viele wichtige Informationen in sich<br />
trägt, die auf diese Weise einer anderen Person mitgeteilt werden. Dabei muss es sich<br />
nicht immer um eine bewusste Kommunikation handeln, sondern auch um vorbe-<br />
wusste bzw. unbewusste Vorgänge. Viele Inhalte werden auf symbolischer Ebene<br />
mitgeteilt <strong>und</strong> ebenso wie der Traum enthält auch die Mitteilung über ihn eine mani-<br />
feste <strong>und</strong> eine latente Ebene, wobei der Analytiker aufgr<strong>und</strong> seiner Erfahrungen auch<br />
diese unbewussten bzw. latenten Informationen zu verstehen in der Lage sein sollte<br />
(Eckes-Lapp, 1980).<br />
3.3.5. Die integrative Funktion<br />
Vor allem Kemper (1955) ist ausdrücklich um eine integrative Theorie zur Traum-<br />
funktion bemüht, die möglichst viele der oben erwähnten Annahmen zusammenführt.<br />
Er betont dabei insbesondere die regulierende Funktion des Traumes. Demnach ent-<br />
34
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
steht der Traum als Reaktion auf ein tagsüber statt gef<strong>und</strong>enes Erlebnis, welches die<br />
seelische Balance durcheinander gebracht hat. Indem er nun das Gleichgewicht wie-<br />
der herstellt, vereinigt er mehrere Funktionen: er behütet den Schlaf, indem er die<br />
nachts aufkommende psychische Erregung durch die Traumbildung bindet <strong>und</strong> ab-<br />
führt, er stellt eine Wunscherfüllung dar, im „Sinne des Ausgleichs von Diskrepan-<br />
zen zwischen Triebanspruch, äußeren <strong>und</strong> inneren Hemmnissen“ (Eckes-Lapp, 1980,<br />
S.41) <strong>und</strong> er erfüllt gleichzeitig eine kompensatorische <strong>und</strong> eine prospektive Funkti-<br />
on, indem er die tagsüber nicht gelebten Seiten im Traum hervorhebt. Dieser Theorie<br />
zufolge spielt der Traum eine sehr wichtige Rolle, da er seelische Funktionen regu-<br />
liert <strong>und</strong> integriert. Auch Klauber (1969; vgl. Eckes-Lapp, 1980) vertritt eine integra-<br />
tive Theorie <strong>und</strong> vermutet, dass der Traum die synthetische Funktion des Ich dar-<br />
stellt, indem er versucht, jene psychischen Strukturen zu integrieren die im Falle ei-<br />
nes aktuellen Konfliktes durcheinander geraten sind. Diese synthetische Funktion<br />
besteht in der Neutralisierung unerwünschter Es-Impulse, indem sie auf Objekte ver-<br />
schoben werden, die das Ich akzeptieren kann. Dies erinnert an das Verhältnis vom<br />
latenten zum manifesten Trauminhalt. Auch dort werden mit Hilfe der Traumarbeit<br />
unbewusste, verpönte Triebregungen umgewandelt, so dass sie <strong>für</strong> das Ich des Schlä-<br />
fers keine Gefahr mehr darstellen <strong>und</strong> somit Zutritt zum Bewusstsein erhalten.<br />
Darüber hinaus gibt es eine Reihe verhältnismäßig moderne Theorien, die eine inte-<br />
grative, regulierende bzw. reorganisierende Funktion des Träumens postulieren. 23 So<br />
geht Fosshage (1983) beispielsweise von einer organisierenden <strong>und</strong> synthetischen<br />
Funktion des Träumens aus. Er vermutet, dass die Hauptaufgabe der Träume darin<br />
besteht, psychische Prozesse <strong>und</strong> Strukturen zu entwickeln, aufrecht zu erhalten <strong>und</strong><br />
zu regulieren. Außerdem vertritt der die Ansicht, dass „Träume zur Einschätzung des<br />
Niveaus der Objektbeziehungen <strong>und</strong> des Ausmaßes an Differenzierung <strong>und</strong> Struktu-<br />
rierung von Selbst- <strong>und</strong> Objektrepräsentanzen nützlich sind“ (Mertens, 1993, S.113).<br />
Breger (1977) bezieht sich in seiner Theorie auf Ergebnisse der Gedächtnisforschung<br />
<strong>und</strong> geht davon aus, dass Träume dazu dienen, emotional erregendes Material in jene<br />
Strukturen des Gedächtnissystems einzufügen, die sich im Umgang mit ähnlichem<br />
Material bereits bewährt haben (siehe Kapitel 4.4.3). Auch Palombo (1984) ist ähnli-<br />
cher Ansicht <strong>und</strong> vermutet, dass Träumen eine adaptive Funktion besitzt, indem neue<br />
23 Einige dieser Hypothesen weisen verblüffende Ähnlichkeiten zu den in Kapitel 4.4 behandelten<br />
neurowissenschaftlichen Annahmen zur Funktion des Schlafens bzw. Träumens auf.<br />
35
3. Psychoanalytische Traumtheorie<br />
Wahrnehmungen <strong>und</strong> Erlebnisse mit bereits gespeichertem Material verb<strong>und</strong>en wird.<br />
Auf diese Weise wird der Rückgriff auf Daten aus dem Kurzzeitgedächtnis erleich-<br />
tert. Vor allem die vollständige Abwendung von jeglichen Reizen aus der Umwelt<br />
während des Schlafes macht nach Palombo das Träumen <strong>für</strong> die Synthese <strong>und</strong> inter-<br />
ne Transformation neuer Daten geeignet.<br />
Selbstverständlich erhebt diese kurze Übersicht keinerlei Anspruch auf Vollständig-<br />
keit. Neben den oben angedeuteten Hypothesen gibt es zahlreiche weitere wichtige<br />
Traumtheorien, auf die ich aus Platzgründen nicht näher eingehen kann. Zu den ver-<br />
nachlässigten oder stark verkürzt dargestellten <strong>und</strong> in ihrer Bedeutung beschnittenen<br />
Theorien gehören u.a. die von Jung, Adler oder auch die Traumtheorie aus Sicht der<br />
Ich-<strong>Psychologie</strong> (z.B. Erikson), der Selbst-<strong>Psychologie</strong> (z.B. Kohut) oder der Ob-<br />
jektbeziehungstheorie (z.B. Klein, Fairbairn).<br />
36
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
Auch wenn die Hirnforschung gerade in diesen Jahren einen immensen Aufschwung<br />
erfährt <strong>und</strong> auch hier das Thema Träume mit ins Zentrum der Aufmerksamkeit ge-<br />
rückt ist, haben Neurowissenschaftler bereits kurz nach <strong>Freud</strong>s Tod im Jahre 1939<br />
damit begonnen, sich näher mit diesem Thema zu befassen. Wie im Folgenden er-<br />
sichtlich werden wird, scheinen diese naturwissenschaftliche Betrachtungsweise <strong>und</strong><br />
die so gewonnenen Ergebnisse <strong>und</strong> Erkenntnisse zunächst mehr dazu geeignet, der<br />
<strong>Freud</strong>schen Theorie zu widersprechen, als sie zu stützen. Inzwischen gibt es jedoch<br />
auch Wissenschaftler, wie z.B. Solms (1995, 1997, 2000), die der Ansicht sind, dass<br />
die Ergebnisse der neurowissenschaftlichen Traumforschung mit <strong>Freud</strong>s in der<br />
‚Traumdeutung’ aufgestellten <strong>und</strong> im vorherigen Kapitel behandelten Hypothesen<br />
vereinbar sind.<br />
Dieses Kapitel befasst sich mit der physiologischen Schlaf- <strong>und</strong> Traumforschung.<br />
Nach einer kurzen Vorstellung des Elektroenzephalogramms (EEG), einem kleinen<br />
Exkurs zum Thema Schlaf, Schlafstadien <strong>und</strong> Neurobiologie bzw. -chemie des<br />
Schlafes sowie der Entdeckung des REM-Schlafes werden verschiedene Theorien<br />
<strong>und</strong> Resultate der neurowissenschaftlichen Traumforschung vorgestellt. Dabei wird<br />
die Frage nach der Funktion von Träumen sowohl aus dem Blickwinkel damaliger<br />
Forschungen als auch aktueller Ergebnisse betrachtet.<br />
4.1. Physiologische Gr<strong>und</strong>lagen<br />
4.1.1. Das Elektroenzephalogramm<br />
Im Jahre 1928 entwickelt der deutsche Psychiater Hans Berger (vgl. Zschocke, 1995)<br />
eine Methode, mit der die elektrische Aktivität des Gehirns dargestellt werden kann:<br />
das Elektroenzephalogramm (EEG). Zu diesem Zweck werden Elektroden an der<br />
Kopfhaut befestigt, welche die Spannung, die durch synchronisierte Aktivität vieler<br />
unterhalb der Elektrode befindlicher Synapsen hervorgerufen wird, messen. Die so<br />
gemessenen Signale werden durch ihre Frequenz (Anzahl der Potentialschwankun-<br />
gen pro Sek<strong>und</strong>e, Einheit ist Hertz) <strong>und</strong> Amplitude (Spannungsdifferenz) definiert<br />
(Zschocke, 1995).<br />
37
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
Es werden fünf Frequenzbänder unterschieden:<br />
- Delta (0,5-3 Hz): Tiefschlaf, bei Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen auch im Wach-<br />
zustand<br />
- Theta (4-7 Hz): tiefe Entspannung, Einschlafphase, leichter Schlaf, sowie bei<br />
Kleinkindern <strong>und</strong> pathologischen Veränderungen der Hirnaktivität<br />
- Alpha (8-13 Hz): entspannter Wachzustand, v.a. bei geschlossenen Augen<br />
- Beta (14-30 Hz): aktiver Wachzustand <strong>und</strong> in REM-Schlafphasen<br />
- Gamma (31-70 Hz): funktionelle Zuordnung ist sehr kontrovers, scheint ver-<br />
b<strong>und</strong>en mit Verarbeitung von Wahrnehmungen, Aufmerksamkeitsprozessen<br />
<strong>und</strong> komplexen Phänomenen wie Sprachverarbeitung (Hoff, 2004)<br />
4.1.2. Die verschiedenen Schlafstadien<br />
Wie viel Schlaf ein Mensch braucht, ist individuell verschieden, durchschnittlich<br />
schläft ein Erwachsener etwa 7-8 St<strong>und</strong>en täglich. Hochgerechnet bedeutet dies, dass<br />
wir fast ein Drittel unseres Lebens ‚verschlafen’. Ganz entgegen der äußerlichen In-<br />
aktivität, bleibt das Gehirn dabei jedoch stets aktiv, auch wenn es keine Sinnesein-<br />
drücke mehr verarbeitet (Hobson, 1990). Diese Aktivität lässt sich mit Hilfe des oben<br />
beschriebenen EEGs registrieren. Neben dem EEG ist auch die Aufzeichnung der<br />
Augenbewegungen mittels der sogenannten Elektrookulographie (EOG) sinnvoll, da<br />
mit ihrer Hilfe die raschen Augenbewegungen während der REM-Phase (siehe Kapi-<br />
tel 4.2.1) erfasst werden können. Der nächtliche Muskeltonus wird mit dem Elektro-<br />
myogramm (EMG) registriert (Zschocke, 1995).<br />
Mit Hilfe des EEGs wird Mitte der sechziger Jahre festgestellt, dass wir im Laufe<br />
einer Nacht verschiedene Schlafstadien durchlaufen. Nach der heute üblichen Eintei-<br />
lung von Rechtschaffen <strong>und</strong> Kales (1968; vgl. Hobson, 1990), unterscheidet man<br />
fünf solcher Stadien (vier Non-REM- <strong>und</strong> ein REM-Schlafstadium), die sich anhand<br />
unterschiedlicher Frequenzen <strong>und</strong> Amplituden der Hirnwellen im EEG voneinander<br />
<strong>und</strong> vom Wachzustand abgrenzen lassen. 24 Daneben gibt es die sogenannte hypnago-<br />
ge Phase (Einschlafphase). Hier wandeln sich die im aktiven Zustand meist vorhan-<br />
denen Beta-Wellen (14-30 Hz) bei geschlossenen Augen <strong>und</strong> entspannter Lage all-<br />
24 Während im REM-Schlaf, wie auch im Wachzustand, der Kortex weitestgehend aktiviert ist, ist <strong>für</strong><br />
den Non-REM-Schlaf eine cerebrale Deaktivierung charakteristisch (Gottesmann, 2000; siehe auch<br />
Kapitel 4.3.2).<br />
38
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
mählich in die langsameren <strong>und</strong> regelmäßigeren Alpha-Wellen (8-13 Hz) um. Die<br />
Person kann in dieser Phase noch relativ leicht geweckt werden <strong>und</strong> befindet sich<br />
daher mehr in einer Art Halbschlaf. Mit der Zeit erschlaffen die Muskeln, Herzfre-<br />
quenz <strong>und</strong> Atembewegungen werden langsamer <strong>und</strong> die Augen bewegen sich lang-<br />
sam in vertikaler Richtung (Zschocke, 1995).<br />
Dann tritt die Person in Stadium 1 der ersten Non-REM-Phase (absteigendes Stadium<br />
1) ein. In dieser Non-REM-Phase durchläuft der Schlafende die unten näher charak-<br />
terisierten Stadien 1-4. Im Anschluss daran kehrt sich die Reihenfolge der Stadien<br />
um, so dass der Schlafende über Stadium 3 <strong>und</strong> 2 wieder Stadium 1 erreicht. Nun<br />
folgt mit Stadium 5 die erste REM-Schlafphase (aufsteigendes Stadium 1) (der<br />
REM-Schlaf wird in Kapitel 4.2.1 ausführlicher behandelt). Diese erste REM-<br />
Schlafphase dauert <strong>nur</strong> wenige Minuten, darauf folgen erneut Stadium 1, 2, 3 <strong>und</strong> 4<br />
der zweiten Non-REM-Phase. Im Laufe einer Nacht werden 4-5 solcher Schlafzyklen<br />
durchlaufen. Während der Tiefschlaf vor allem in den ersten beiden Zyklen deutlich<br />
in Erscheinung tritt, dann aber immer kürzer wird, werden die REM-Schlafphasen<br />
stetig länger, je weiter fortgeschritten der Schlaf zeitlich ist. Während die erste REM-<br />
Schlafphase also <strong>nur</strong> etwa 10 Minuten dauert, ist die zweite REM-Schlafphase dop-<br />
pelt so lang. Gegen Morgen können sie sogar Längen von r<strong>und</strong> einer St<strong>und</strong>e haben.<br />
Insgesamt dauert ein solcher Zyklus, der aus jeweils 4 Non-REM- <strong>und</strong> 1 REM-<br />
Schlafphasen besteht, bei einer erwachsenen Person etwa 90 Minuten (Borbély,<br />
1998).<br />
Zusammenfassend lässt sich anhand des EEGs beobachten, dass sich nach Einsetzen<br />
des Schlafes „das Bild des EEGs kontinuierlich von einem Potentialmuster mit nied-<br />
riger Spannung (flach) <strong>und</strong> hoher Frequenz (schnell) in eines mit hoher Spannung<br />
<strong>und</strong> niedriger Frequenz (langsam)“ wandelt (Hobson, 1990, S.28).<br />
Tabelle 1 <strong>und</strong> Abbildung 1 vermitteln einen Überblick über die verschiedenen<br />
Schlafstadien, ihre jeweiligen Charakteristika <strong>und</strong> EEG-Muster.<br />
39
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
Schlafstadium<br />
1<br />
(Non-<br />
REM)<br />
2<br />
(Non-<br />
REM)<br />
3<br />
(Non-<br />
REM)<br />
4<br />
(Non-<br />
REM)<br />
5<br />
(REM)<br />
Frequenz<br />
/Amplitude<br />
4 – 8 Hz /<br />
50-100 mV<br />
8 – 15 Hz /<br />
50-150 mV<br />
2 – 4 Hz /<br />
100-150mV<br />
0.5 – 2 Hz /<br />
100-200mV<br />
> 12 Hz<br />
5-50mV<br />
Typ Charakteristika<br />
Alpha,<br />
Theta<br />
Theta,<br />
Schlafspindeln,<br />
K-<br />
Komplexe<br />
Delta,<br />
Theta<br />
Delta,<br />
Theta<br />
Tabelle 1: Charakteristika der verschiedenen Schlafstadien<br />
- Sehr leichter Schlaf; Übergangsphase<br />
zwischen Schlafen <strong>und</strong> Wachen; dauert<br />
<strong>nur</strong> wenige Minuten<br />
- Langsame, rollende Augenbewegungen<br />
(SEM = Slow Eye Movement)<br />
- Anfangs- <strong>und</strong> Endpunkt des wiederkehrenden<br />
Schlafzyklus<br />
- Eigentlicher Schlafbeginn<br />
- Kaum noch Augenbewegungen bzw.<br />
Muskeltonus<br />
- Auftreten von Schlafspindeln (sporadisch<br />
auftretende rasche Wellen, 12-14Hz) <strong>und</strong><br />
K-Komplexen (vereinzelte hohe, langsame<br />
Ausschläge)<br />
- Auch Delta- oder Tiefschlaf oder Slowwave-sleep<br />
(SWS) genannt<br />
- 20-50% der Hirnwellen sind Delta-,<br />
der Rest Theta-Wellen<br />
- Tiefster Schlafzustand (ebenfalls Delta-<br />
oder Tiefschlaf oder Slow-wave-sleep<br />
(SWS) genannt)<br />
- Mehr als 50% der Hirnwellen sind Delta-,<br />
der Rest Theta-Wellen<br />
- Vollständige körperliche Entspannung<br />
- Tiefste Schlafstufe vor dem REM-Schlaf;<br />
Stufen kehren sich um, dann beginnt der<br />
REM-Schlaf<br />
Beta - Desynchronisation des EEGs (ähnlich<br />
dem Wachzustand)<br />
- Plötzliches Auftreten rascher Augenbewegungen<br />
(REM = Rapid Eye Movement)<br />
- Erhöhte Atem- <strong>und</strong> Herzschlagfrequenz,<br />
ansonsten völlig erschlaffte Muskulatur<br />
- PGO-Wellen (haben Ursprung in der<br />
Pons, pflanzen sich dann zum Corpus geniculatum<br />
laterale <strong>und</strong> visuellen Kortex<br />
fort)<br />
- Auch Traum- oder ‚paradoxer’ Schlaf genannt<br />
40
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
Hypnagoge<br />
Phase<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
Abbildung 1: EEG-Muster der Schlafstadien (nach Birbaumer & Schmidt, 1996) Stadium 1 entspricht<br />
der Einschlafphase, Stadium 2 dem Schlafbeginn <strong>und</strong> Stadium 3 <strong>und</strong> 4 dem Tiefschlaf.<br />
4.2. Anfänge der neurowissenschaftlichen Traumforschung<br />
4.2.1. Die Entdeckung des REM-Schlafes<br />
Im Jahre 1953 gelingt den amerikanischen Neurologen Aserinsky <strong>und</strong> Kleitman (vgl.<br />
Solms, 1999a) mit der Entdeckung des REM-Schlafes (engl.: rapid eye movement)<br />
der erste große Durchbruch auf dem Gebiet der physiologischen Schlaf- <strong>und</strong> Traum-<br />
forschung. Sie beobachten einen eigentümlichen Zustand, der etwa alle 90 Minuten<br />
während des Schlafes auftritt <strong>und</strong> folgende charakteristische Merkmale aufweist:<br />
Veränderungen im EEG (siehe oben), gesteigerte Aktivierung des Gehirns, plötzli-<br />
ches Auftreten rascher Augenbewegungen, erhöhter Puls, beschleunigte Atemfre-<br />
quenz, genitale Erektion <strong>und</strong> Lähmung sämtlicher Körperbewegungen mit Ausnahme<br />
von Atmung <strong>und</strong> Augenbewegungen. Sie bezeichnen diesen Zustand als ‚paradoxen<br />
Schlaf’, da die Person zwar hochgradig erregt ist, gleichzeitig aber tief schläft. Auf-<br />
gr<strong>und</strong> dieser Entdeckung vermuten Aserinsky <strong>und</strong> Kleitman „dass dieser REM-<br />
Schlafzustand (...) die äußere Manifestation dessen sei, was subjektiv als Träumen<br />
erlebt wird“ (Solms, 1999a, S.101). Diese Vermutung wird durch die Beobachtung<br />
gestützt, dass Weckungen am Ende einer REM-Schlafphase zu 70-95% einen<br />
Traumbericht zur Folge haben, während Personen, die aus einer Non-REM-<br />
41
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
Schlafphase geweckt werden <strong>nur</strong> in 5-10% der Fälle einen Traum berichten können<br />
(Aserinsky & Kleitman, 1955; Dement & Kleitman, 1957; Kales et al., 1967; vgl.<br />
Kahn, Pace-Schott & Hobson, 1997). 25 Durch diese Entdeckung fühlen sich die da-<br />
maligen Forscher endgültig in ihrer Ansicht bestätigt, Träume seien lediglich „ein<br />
Epiphänomen des REM-Schlafs“ (Hobson et al., 1998b; zitiert nach Solms, 1999a,<br />
S.105).<br />
Dies führt zu großer Euphorie unter den Wissenschaftlern, da man vermutet, endlich<br />
eine „objektive, körperliche Manifestation des Träumens - also des subjektivsten<br />
aller psychischen Zustände - konkret zu fassen bekommen“ (Solms, 1999a, S.102).<br />
Träume <strong>und</strong> REM-Schlaf scheinen demnach untrennbar miteinander verb<strong>und</strong>en zu<br />
sein. Als nächstes hoffen die Forscher, die <strong>für</strong> den REM-Schlaf zuständigen neuralen<br />
Mechanismen aufdecken zu können. Auf diese Weise erwarten sie, den vermeintli-<br />
chen Beleg da<strong>für</strong> zu bekommen, wie das Gehirn träumt, da ihrer Meinung nach die<br />
gleichen Hirnmechanismen, die den REM-Schlaf kontrollieren, auch <strong>für</strong> die Traum-<br />
generierung zuständig sein müssen.<br />
Daraufhin erscheinen zahlreiche<br />
Studien, in denen die Forscher bei<br />
Säugetieren (z.B. Katzen) ver-<br />
schiedene Gehirnregionen entfer-<br />
nen, um so die Hirnstrukturen<br />
herauszufinden, die den REM-<br />
Schlaf <strong>und</strong> somit angeblich auch<br />
das Träumen auslösen. Schließlich<br />
findet Jouvet (vgl. Solms, 2000)<br />
1962 heraus, dass der REM-Schlaf<br />
durch eine bestimmte Zellgruppe<br />
im Pons-Bereich des Stammhirns<br />
kontrolliert wird. Der Hirnstamm<br />
(siehe Abbildung 2) ist als<br />
Abbildung 2: Sagitalschnitt durch den Hirnstamm<br />
(aus: Birbaumer & Schmidt, 1996, S.552)<br />
Verlängerung des Rückenmarks ein Teil des Zentralnervensystems <strong>und</strong> verbindet<br />
25 Mögliche Gründe <strong>für</strong> die Tatsache, dass Weckungen aus REM-Schlafphasen mit höherer Wahrscheinlichkeit<br />
zu einem Traumbericht führen, liefert das unter 5.2 beschriebene Zustands-Wechsel-<br />
Modell.<br />
42
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
höhere Hirnstrukturen mit dem Rückenmark. Er setzt sich aus der Medulla oblongata<br />
(verlängertes Rückenmark), der Pons (Brücke), dem Hypothalamus <strong>und</strong> dem Mesen-<br />
cephalon (Mittelhirn) zusammen (Hobson, 1990). Im Gegensatz dazu scheinen höhe-<br />
re Gehirnregionen (z.B. der Kortex) bei der Traumentstehung keine wesentliche<br />
Rolle zu spielen <strong>und</strong> so gehen die damaligen Forscher davon aus, dass der REM-<br />
Schlaf, wie auch das Träumen, ausschließlich an die Aktivität des Hirnstamms ge-<br />
b<strong>und</strong>en sind. Eine Annahme, die - wie wir im Verlauf dieser Arbeit noch sehen wer-<br />
den - jedoch bald widerlegt wurde (siehe Kapitel 4.2.3).<br />
4.2.2. Das Modell der reziproken Interaktion<br />
Anfang der sechziger Jahre befassen sich Forscher mit der Frage nach den chemi-<br />
schen Eigenschaften der Hirnstamm-Neurone. Sie weisen nach, dass Nervenzellen,<br />
die in bestimmten Arealen der Pons lokalisiert sind, zwei chemische Stoffe produzie-<br />
ren <strong>und</strong> über das gesamte Gehirn verteilen. Während der Neurotransmitter Serotonin<br />
in den Nervenzellen der Raphé-Kerne gebildet wird, entsteht der Neurotransmitter<br />
Noradrenalin in den Neuronen des Nucleus locus coeruleus (siehe Abbildung 2).<br />
Beide Substanzen gehören zu der Gruppe der biogenen Amine (darum werden die<br />
Neurone, die sie produzieren ‚aminerg’ genannt) <strong>und</strong> regulieren die Reaktionsbereit-<br />
schaft des Gehirns. Im Gegensatz zu diesen beiden hemmenden Botenstoffen hat der<br />
Neurotransmitter Acetylcholin eine erregende Funktion. Die diese Substanz produ-<br />
zierenden Nervenzellen, die sich sowohl in der Pons als auch im basalen Vorderhirn<br />
<strong>und</strong> im medialen Septum befinden, werden als ‚cholinerg’ bezeichnet (Hobson,<br />
1990).<br />
Mitte der siebziger Jahre versuchen die Neurophysiologen Hobson <strong>und</strong> McCarley<br />
diejenigen Neurone zu identifizieren, die <strong>für</strong> die Auslösung der REM-Schlafphasen<br />
<strong>und</strong> somit auch <strong>für</strong> das Träumen zuständig sind. Dabei stellen sie fest, dass sich wäh-<br />
rend dieser Phasen bestimmte, tief in der Pons-Region gelegene Nervenzellgruppen<br />
buchstäblich anschalten (REM-on Zellen), während sich andere ausschalten (REM-<br />
off Zellen). Bei den REM-on Zellen handelt es sich dabei um die Nervenzellen, die<br />
Acetylcholin frei setzen <strong>und</strong> bei den REM-off Zellen um die oben beschriebenen<br />
Neurone in den Raphé-Kernen <strong>und</strong> im Nucleus locus coeruleus, die Serotonin <strong>und</strong><br />
Noradrenalin ausschütten. Auf dieser Beobachtung basiert das 1975 von Hobson <strong>und</strong><br />
McCarley aufgestellte ‚Modell der reziproken Interaktion’ (siehe Abbildung 3).<br />
43
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
Demnach aktiviert die Ausschüttung des Botenstoffes Acetylcholin die höheren, kor-<br />
tikalen Hirnregionen <strong>und</strong> regt sie zur Generation bewusster Vorstellungsbilder an.<br />
Diese Vorstellungsbilder sind nach Ansicht der Autoren ohne Sinn <strong>und</strong> stellen <strong>nur</strong><br />
den Versuch der höheren Gehirnregionen dar, „aus einem schlechten Job - in Gestalt<br />
der Rauschsignale, die ihnen aus dem Hirnstamm heraufgeschickt werden - das<br />
Bestmögliche zu machen“ (Hobson & McCarley, 1977; zitiert nach Solms, 1999a,<br />
S.103.). Nach einigen Minuten setzt nun die zweite in der Pons-Region gelegene<br />
Zellformation die Botenstoffe Serotonin <strong>und</strong> Noradrenalin frei. Diese aminergen<br />
Neurotransmitter wirken der cholinergen Aktivierung vom Hirnstamm entgegen <strong>und</strong><br />
führen so zu einem ‚Abschalten’ des REM-Schlafzustandes <strong>und</strong> somit laut Hobson<br />
<strong>und</strong> McCarley auch des Traumerlebens. 26<br />
Zusammenfassend besagt das Modell, dass die cholinergen REM-on Zellen gehemmt<br />
sind, während die aminergen REM-off Zellen aktiv sind <strong>und</strong> umgekehrt <strong>und</strong> die ent-<br />
sprechenden Neurotransmitter des Hirnstamms reziprok interagieren. Das bedeutet,<br />
dass „REM-Schlaf entweder durch Verstärken der cholinergen Erregung oder durch<br />
Vermindern der aminergen Hemmung von REM-erzeugenden Neuronen“ (Hobson,<br />
1990, S.35) ausgelöst werden kann. 27<br />
Ach<br />
+<br />
REM-On<br />
Zellen<br />
(cholinerg)<br />
_<br />
NA, 5HT<br />
REM-Off<br />
Zellen<br />
(aminerg)<br />
Abbildung 3: Strukturelles Modell der reziproken Interaktion (nach Hobson et al., 2000)<br />
NA, 5HT<br />
Diese Theorie impliziert eine völlige Negierung der am Träumen beteiligten inner-<br />
psychischen Prozesse, die <strong>Freud</strong> in seiner Traumdeutung so ausdrücklich betont (sie-<br />
he Kapitel 3.1). An Stelle dieser Prozesse wird nun ein „simpler Oszillationsvor-<br />
26 Kahn, Pace-Schott & Hobson (1997) erinnern daran, dass diese aminerge Neuromodulation im<br />
Wachzustand eine wichtige Gedächtnisfunktion hat <strong>und</strong> ihr Wegfall während des REM-Schlafes somit<br />
<strong>für</strong> die kurzzeitige Amnesie verantwortlich sein könnte.<br />
27 Während im Wachzustand vor allem die aminergen Neurone aktiv, die cholinergen jedoch weitestgehend<br />
gehemmt sind, weisen im REM-Schlaf vor allem die cholinergen Neurone eine erhöhte Aktivierung<br />
auf, während die aminergen Neurone ihr Feuern einstellen (Birbaumer & Schmidt, 1996).<br />
+<br />
Ach<br />
_<br />
44
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
gang“ (Solms, 1999a, S.103) gesetzt <strong>und</strong> die Rolle von Neuronengruppen ausgerech-<br />
net in den ‚primitiveren’ Abschnitten des Gehirns (Stammhirn) betont. Hobson <strong>und</strong><br />
McCarley bringen die damals vorherrschende Ansicht auf den Punkt: „Die primäre<br />
Motivation des Träumens ist nicht psychologischer, sondern physiologischer Art“<br />
(Hobson & McCarley, 1977; zitiert nach Solms, 1999a, S.104.). Demnach stellen<br />
Traumbilder nach Auffassung der Autoren nichts weiteres dar, als den Versuch, „die<br />
vom selbstaktivierten Gehirn produzierte Flut von allenfalls rudimentär organisierten<br />
Daten auf einen möglichst passenden Nenner zu bringen“ (Hobson, 1988; zitiert<br />
nach Solms, 1999a, S.104). Träume sind also weder verschleiert noch zensiert son-<br />
dern vielmehr unverhüllt <strong>und</strong> unüberarbeitet (Hobson, 1992). Diese Auffassung<br />
drückt Zimmer (1986), der der Psychoanalyse sehr kritisch gegenüber steht, mit fol-<br />
genden Worten aus:<br />
Wenn es sich nämlich so verhält, wie Hobson <strong>und</strong> McCarley meinen, dann<br />
träumen wir etwa von einem Treppensturz nicht, weil uns irgendein psychisches<br />
Bedürfnis dazu veranlasst, uns selber eine solche Phantasie zu erzeugen, ein<br />
Wunsch nach dem Sturz oder eine Furcht davor, <strong>und</strong> wir träumen davon auch<br />
nicht, weil wir nach Geschlechtsverkehr verlangen <strong>und</strong> Treppensteigen ein<br />
Symbol da<strong>für</strong> ist, <strong>und</strong> wir den peinlichen Wunsch doppelt verstecken, indem<br />
wir das Steigen in ein Fallen umkehren. Wir träumen den Sturz, weil gerade ei-<br />
ne zufällige Impulssalve aus dem Hirnstamm hinten im Kleinhirn angekommen<br />
ist, eine dem Fallen entsprechende Aktivation ausgelöst hat, <strong>und</strong> unser Be-<br />
wusstsein sich darauf nun recht <strong>und</strong> schlecht einen Vers machen muss.<br />
(Zitiert nach Mertens, 1993, S.111)<br />
Demnach scheint sich <strong>Freud</strong> mit seiner Theorie vom Traum als „Königsweg“ zum<br />
Unbewussten wohl eher auf dem Holzweg zu befinden. Seine Theorie gerät schwer<br />
ins Wanken <strong>und</strong> weitere Forschungsergebnisse dieser Zeit unterstützen den Trend zu<br />
der Auffassung zurückzukehren, die bereits vor <strong>Freud</strong> herrschte: „Träume sind<br />
Schäume“ - mehr nicht.<br />
Eine weitere wichtige Schlussfolgerung aus der damaligen Auffassung, dass REM-<br />
Schlaf, <strong>und</strong> damit vermutlich auch Träume, durch Hirnstamm-Mechanismen kontrol-<br />
liert werden, besteht darin, dass Vorderhirn-Mechanismen <strong>für</strong> die REM-Schlaf-<br />
Regulierung irrelevant sein müssten. So weist Jouvet 1962 (vgl. Solms, 2000) nach,<br />
dass das Frontalhirn tatsächlich nicht dazu in der Lage ist, REM-Schlaf zu generie-<br />
ren, denn wenn man den Kortex vom Hirnstamm isoliert, findet der normale Zyklus<br />
45
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
der REM-Aktivität nicht mehr statt, da dieser im isolierten Hirnstamm konserviert<br />
ist. Es wird also vermutet, dass das Frontalhirn <strong>nur</strong> passiv am REM-Schlafzustand<br />
beteiligt ist.<br />
Auf dieser Basis entwickeln Hobson <strong>und</strong> McCarley 1977 (vgl. Hobson, 1990) als<br />
„psychologisches Gegenstück“ (Hobson, 1990, S.154) zum ‚Modell der reziproken<br />
Interaktion’ das sogenannte ‚Aktivierungs-/Synthese-Modell’. Kernstück dieses Mo-<br />
dells ist die Annahme, dass Träume Folge einer automatischen Hirnaktivierung im<br />
Schlaf sind. Dabei spielen nach Ansicht der Autoren dieselben thalamocorticalen<br />
Schaltkreise, die im Wachzustand dem Bewusstsein zugr<strong>und</strong>e liegen auch während<br />
des Schlaf-Zustands eine wichtige Rolle. Im Schlaf sind jedoch charakteristischer-<br />
weise sowohl die sensorischen Inputs als auch die motorischen Outputs blockiert, so<br />
dass das Gehirn, statt von außen kommende Signale zu verarbeiten, interne Signale<br />
als Informationsquellen benutzt, um aus ihnen ein Traumerlebnis zu konstruieren.<br />
Anstatt auf externe Signale zu reagieren, aktiviert sich das Gehirn praktisch selbst.<br />
Die Autoren gehen demnach davon aus, dass kausale Stimuli <strong>für</strong> die Traumbilder<br />
durch Aktivierung des Hirnstamms entstehen <strong>und</strong> nicht in den kognitiven Arealen<br />
des Großhirns. Das Vorderhirn hat nun die Aufgabe, dieser chaotischen Aktivierung<br />
aus dem Hirnstamm einen Sinn zu verleihen <strong>und</strong> bemüht sich, aus den willkürlichen<br />
Signalen eine Geschichte - unseren Traum - zu konstruieren. 28 Das bedeutet, dass<br />
Träume (als kognitive Komponente des REM-Schlafes) lediglich die geeignetste<br />
Form einer Synthese der <strong>und</strong>ifferenzierten <strong>und</strong> chaotischen Impulse des aktivierten<br />
Hirnstamms durch das Vorderhirn darstellen, oder wie Hobson (1990) es formuliert:<br />
Träume stellen „das direkte <strong>und</strong> unveränderte subjektive Bewusstwerden der automa-<br />
tischen Aktivierung des Gehirns im Schlaf“ (S.172) dar. Träume werden somit aktiv<br />
vom Hirnstamm generiert <strong>und</strong> passiv vom Vorderhirn synthetisiert. Das Frontalhirn<br />
spielt demnach vermutlich eine völlig passive Rolle. 29<br />
Wie später noch deutlich werden wird, ist diese neurophysiologische Theorie, die die<br />
formalen Traum-Charakteristika erklären soll, nicht mit den aktuellen Ergebnissen<br />
28 Diese synthetisierende Funktion des Vorderhirns könnte laut Leuschner (1999) als „neurologisierte<br />
Variante der sek<strong>und</strong>ären Bearbeitung <strong>Freud</strong>s“ (S.359) angesehen werden.<br />
29 Hobson <strong>und</strong> McCarley gehen sogar einen Schritt weiter <strong>und</strong> behaupten, dass - wenn die Annahme,<br />
dass das physiologische Substrat unseres Bewusstseins im Frontalhirn angesiedelt ist, zutrifft - die<br />
oben genannten Forschungsergebnisse nichts anderes bedeuten können, als dass “die psychische Vorstellungswelt<br />
bzw. deren neurale Substrate auf keine denkbare Weise zur primären Triebkraft des<br />
Traumprozesses beitragen können“ (Hobson & McCarley, 1977; zitiert nach Solms, 1999a, S.104).<br />
46
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
klinisch-anatomischer (Kaplan-Solms & Solms, 2003; Solms, 1997, 2000) <strong>und</strong> funk-<br />
tionell-bildgebender (Braun et al., 1997; Maquet et al., 1996, 1997) Untersuchungen<br />
vereinbar (siehe Kapitel 4.3).<br />
4.2.3. REM-Schlaf = Träumen?<br />
Parallel zu den oben genannten Forschungsergebnissen summieren sich mit der Zeit<br />
Beobachtungen einiger Neurowissenschaftler, die entgegen den oben genannten Er-<br />
kenntnissen vermuten lassen, dass REM-Schlaf <strong>und</strong> Träumen nicht gleichzusetzen<br />
sind. Auch wenn eine durchaus wichtige Verbindung zwischen REM-Schlaf <strong>und</strong><br />
Träumen besteht, scheinen beide doch klar voneinander unterscheidbare Zustände zu<br />
sein, wonach sowohl REM-Schlafphasen ohne Träume als auch Träume unabhängig<br />
vom REM-Schlaf auftreten können (Hobson, 1992). Die Behauptung, der REM-<br />
Schlafzustand sei das physiologische Korrelat des Träumens, gründet sich nämlich<br />
allein auf der oben bereits erwähnten Beobachtung, dass nach dem Wecken aus<br />
REM-Phasen in 70-95% der Fälle ein Traumbericht erfolgt, während die Wahr-<br />
scheinlichkeit bei Weckungen aus dem Non-REM-Schlaf <strong>nur</strong> bei 5-10% liegt (De-<br />
ment & Kleitman, 1957; Hobson, 1988b; vgl. Solms, 1999a). Bei näheren Untersu-<br />
chungen stellt sich jedoch heraus, dass die Gleichung REM-Schlaf = Träumen bzw.<br />
Non-REM-Schlaf = Nicht-Träumen so nicht gültig ist. So berichten bis zu 50% der<br />
Versuchspersonen, die aus Non-REM-Schlafphasen geweckt werden, über „komple-<br />
xe psychische Abläufe“ (Solms, 1999a, S.105), sobald sie, wie Foulkes 1962 heraus-<br />
findet, gefragt werden, was ihnen gerade durch den Kopf ging <strong>und</strong> nicht, was sie<br />
gerade <strong>geträumt</strong> haben. Weitere Studien bestätigen Foulkes Beobachtung <strong>und</strong> lassen<br />
die Vermutung zu, dass durchschnittlich etwa 43% Non-REM-Weckungen zu einem<br />
Traumbericht führen. 30<br />
Trotzdem scheint es qualitative Unterschiede zwischen REM- <strong>und</strong> Non-REM-<br />
Träumen zu geben. So werden Non-REM-Träume als mehr gedankenartig <strong>und</strong> weni-<br />
ger bildlich beschrieben. REM-Träume dagegen sind meist weitaus phantasievoller,<br />
bizarrer, emotional geladener <strong>und</strong> länger, enthalten häufiger andere Personen <strong>und</strong><br />
30 Dabei erweist sich die Anzahl der erhaltenen Traumberichte als abhängig sowohl von der Weck-<br />
<strong>und</strong> Interviewmethode, als auch von der Traum-Definition, des jeweiligen Untersuchers (Foulkes,<br />
1966; vgl. Solms 2000).<br />
47
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
zeigen weniger Bezüge zu Material aus dem Wachleben auf (Foulkes, 1962). 31 Dies<br />
wiederum stützt die Vermutung, dass sich die Unterschiede in den physiologischen<br />
Zuständen des REM- bzw. Non-REM-Schlafzustandes in Unterschieden der kogniti-<br />
ven Zustände der REM- bzw. Non-REM-Träume wiederspiegeln (Solms, 2000).<br />
Somit scheint die Hypothese, Träume würden einzig durch die physiologischen Me-<br />
chanismen des REM-Schlaf generiert, widerlegt <strong>und</strong> man vermutet eher einen konti-<br />
nuierlichen Traumprozess, „der innerhalb <strong>und</strong> zwischen den verschiedenen Schlaf-<br />
stadien eine gewisse Variabilität aufweist“ (Cavallero et al., 1992; zitiert nach Solms,<br />
1999a, S.106). 32<br />
Um diesen Entwicklungen Rechnung zu tragen, modifiziert Hobson im Jahre 1992<br />
sein ‚Aktivierungs-/Synthese-Modell’, was dazu führt, dass die Behauptung, alle<br />
Träume werden allein durch die Hirnstamm-Mechanismen generiert, die auch <strong>für</strong> den<br />
REM-Schlafzustand zuständig sind, aufgegeben wird. In der revidierten Version<br />
(‚Activation-Input-Mode (AIM) model’) werden sowohl REM- als auch Non-REM-<br />
Träume mit den reziproken Interaktionen zwischen aminergen <strong>und</strong> cholinergen Hirn-<br />
stamm-Neuronen in Verbindung gebracht. Somit wird also die Annahme einer Kon-<br />
trolle des Träumens durch pontine Hirnstamm-Mechanismen beibehalten, obwohl die<br />
Überzeugung, auf die sie sich ursprünglich stützte, nämlich die eines Isomorphismus<br />
zwischen REM-Schlaf <strong>und</strong> Träumen widerlegt wurde. Dabei hat sich die Beweisfüh-<br />
rung <strong>für</strong> die erstere Annahme von einer phänomenologischen Verbindung zwischen<br />
REM-Schlaf <strong>und</strong> Träumen hin zu einer anatomischen Verbindung zwischen dem<br />
pontinen Hirnstamm <strong>und</strong> Träumen verschoben (Hobson, 1992; Solms, 2000).<br />
4.2.4. Die klinisch-anatomische Korrelation<br />
Auf Gr<strong>und</strong> der oben berichteten Beobachtung, dass Träume auch außerhalb von<br />
REM-Schlafphasen auftreten, wird die Annahme einer ausschließlichen Bindung von<br />
Träumen an den REM-Schlafzustand (Isomorphismus zwischen REM-Schlaf <strong>und</strong><br />
Träumen) verworfen. Die hohe Korrelation zwischen Weckungen am Ende einer<br />
31<br />
Dabei gilt, dass der Traumbericht meist umso länger ist, je ausgedehnter die jeweilige REM-Phase<br />
ausfällt (Hobson, 1990).<br />
32<br />
Interessanterweise erhält man bei Weckungen während der initialen Schlafphase (d.h. in den ersten<br />
Minuten nach dem Einschlafen) in 50-70% der Fälle Traumberichte. Dies ist ein weitaus höherer<br />
Prozentsatz als zu jedem anderen Zeitpunkt der Non-REM-Schlafphasen <strong>und</strong> erreicht fast die<br />
Traumhäufigkeit der REM-Schlafphasen. Dies könnte als Beweis da<strong>für</strong> gelten, dass Non-REM-<br />
Traumberichte nicht bloß fehlerinnerte REM-Träume sind, da die Personen noch gar nicht in die erste<br />
REM-Phase eingetreten sind (Solms, 1999a).<br />
48
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
REM-Phase <strong>und</strong> Traumberichten muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass beide auf<br />
demselben Gehirnmechanismus beruhen. Für die Kontrolle von REM-Schlaf <strong>und</strong><br />
Traumaktivität sind sogar viel wahrscheinlicher zwei verschiedene Hirnregionen<br />
zuständig. Ob es im Gehirn tatsächlich zwei anatomisch <strong>und</strong>/oder funktionell von-<br />
einander getrennte Mechanismen gibt, von denen einer <strong>für</strong> den REM-Schlafzustand<br />
<strong>und</strong> einer <strong>für</strong> das Träumen zuständig ist, kann mit Hilfe der sogenannten klinisch-<br />
anatomischen Korrelation überprüft werden. Diese Technik wurde in ähnlicher Form<br />
bereits zu <strong>Freud</strong>s Zeiten angewandt (siehe Kapitel 5.1) <strong>und</strong> noch heute benutzen sie<br />
Wissenschaftlicher wie z.B. Solms (siehe Kapitel 4.3.1), um der Beziehung zwischen<br />
mentalen Funktionen <strong>und</strong> spezifischen Gehirnarealen auf den Gr<strong>und</strong> zu gehen.<br />
Bei dieser Methode untersucht man die Fälle, in denen jene Bereiche des Gehirns<br />
entfernt oder zerstört sind, die <strong>für</strong> den REM-Schlaf verantwortlich zu sein scheinen<br />
<strong>und</strong> beobachtet, ob die betreffende Person nach wie vor Träume berichtet oder nicht.<br />
Ebenso werden jene Fälle untersucht, in denen die Anteile des Gehirns entfernt sind,<br />
deren Ausfall mit einer Unterbrechung der Traumaktivität verb<strong>und</strong>en ist <strong>und</strong> beo-<br />
bachtet, ob trotzdem noch REM-Phasen auftreten. Sollte es nun der Fall sein, dass<br />
REM-Phasen <strong>und</strong> Traumerleben in unterschiedlicher Weise beeinträchtigt werden<br />
(dissoziierte Schädigung), spricht dies da<strong>für</strong>, dass jeweils unterschiedliche Gehirn-<br />
mechanismen verantwortlich sind. Werden sie jedoch beide durch Zerstörung ein <strong>und</strong><br />
derselben Gehirnregion beeinträchtigt, kann man davon ausgehen, dass ihnen ein<br />
gemeinsamer neuraler Mechanismus zugr<strong>und</strong>e liegt.<br />
Wie Jones (vgl. Solms, 1999a) bereits 1979 heraus findet, führt die Zerstörung spezi-<br />
fischer Areale im Pons-Bereich des Hirnstamms bei Säugetieren zum Ausfall der<br />
REM-Schlafphasen. Zwar sind solche Experimente am Menschen nicht durchführ-<br />
bar, allerdings gibt es neurologische Patienten, bei denen eben diese Hirnregionen<br />
z.B. durch Unfälle, Krankheiten oder operative Eingriffe beschädigt sind. In der neu-<br />
rologischen Fachliteratur werden bis Ende der 80er Jahre etwa 26 Fälle beschrieben,<br />
bei denen es aufgr<strong>und</strong> einer Schädigung der Pons-Region zu einem Verlust des<br />
REM-Schlafes gekommen ist (Chase et al., 1968; Cummings & Greenberg, 1977;<br />
Feldman, 1971; Markand & Dyken, 1976; vgl. Vertes & Eastman, 2000). Interessant<br />
ist, dass <strong>nur</strong> einer dieser Patienten darüber hinaus auch über einen Verlust der<br />
49
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
Traumtätigkeit berichtet (Feldman, 1971). 33 In allen anderen Fällen scheinen sich die<br />
Forscher nicht <strong>für</strong> die Untersuchung des Traumverhaltens zu interessieren, so dass<br />
keine weiteren Ergebnisse vorliegen. 34 Somit kann kaum eine Unterbrechung der<br />
Traumtätigkeit in Fällen von REM-Schlafverlust aufgr<strong>und</strong> von Hirnstamm-Läsionen<br />
beobachtet werden. Genau so wenig ausreichend werden allerdings Beispiele einer<br />
Erhaltung der Traumaktivität in solchen Fällen beschrieben. Dies könnte allerdings<br />
zumindest teilweise daran liegen, dass pontine Hirnstamm-Läsionen, die groß genug<br />
sind, den REM-Schlaf auszulöschen, üblicherweise dazu führen, dass die betreffende<br />
Person das Bewusstsein verliert. Somit ist die Behauptung, Träumen werde durch<br />
Hirnstamm-Mechanismen reguliert, mittels Läsions-Daten fast unmöglich zu<br />
widerlegen. Trotzdem kann sie indirekt durch die oben bereits beschriebene<br />
schlussfolgernde Hypothese widerlegt werden, die besagt, dass Träumen nicht durch<br />
Vorderhirn-Mechanismen kontrolliert wird. Das heißt, die Hirnstamm-Hypothese<br />
könnte durch die klinisch-anatomische Methode falsifiziert werden, wenn eindeutig<br />
bewiesen werden kann, dass Träumen durch Vorderhirn-Läsionen, die den<br />
Hirnstamm komplett aussparen, eliminiert wird.<br />
Bereits im Jahre 1887 beschreibt Wilbrand (vgl. Solms, 2000) als Erster den Fall<br />
eines subjektiven Traumverlustes aufgr<strong>und</strong> einer fokalen Vorderhirn-Läsion. Die<br />
betroffene Patientin berichtet, nach einer bilateralen okzipital-temporalen Thrombose<br />
fast gar nicht mehr zu träumen. Müller (vgl. Solms, 2000) beschreibt 1892 einen<br />
ganz ähnlichen Fall einer Patientin mit bilateralen okzipitalen Blutungen, die angibt,<br />
seit Beginn ihrer Krankheit nicht mehr zu träumen. Daran anknüpfend werden in der<br />
Literatur über h<strong>und</strong>ert weitere Fälle mit vollständigem oder beinahe vollständigem<br />
Traumverlust beschrieben, bei denen der pontine Hirnstamm stets komplett ausspart<br />
bleibt <strong>und</strong> die Läsionen andere Areale betreffen (Boyle & Nielsen, 1954; Epstein,<br />
1979; Epstein & Simmons, 1983; Farah et al., 1988; vgl. Solms, 1999a).<br />
Interessanterweise ist aber der REM-Schlafzustand in allen Fällen, in denen der<br />
Schlafzyklus evaluiert wird, vollständig erhalten (Benson & Greenberg, 1969; Jus et<br />
al., 1973; Kerr et al., 1978; Michel & Sierhoff, 1981; vgl. Solms, 2000).<br />
33<br />
Allerdings lässt sich nicht ausschliessen, dass in diesem Fall auch das Vorderhirn beschädigt wurde<br />
(Solms, 2000).<br />
34<br />
Tatsächlich sollte es noch knapp 15 Jahre dauern, bis Solms (1995) die frappierende Entdeckung<br />
macht, dass Läsionen im Bereich des Hirnstamms keineswegs zu einem Verlust der Traumtätigkeit<br />
führen, eine Tatsache, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht explizit nachgewiesen wurde (siehe Kapitel<br />
4.3.l).<br />
50
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
Durch diese eindeutigen Ergebnisse wird die Theorie „vom REM-Schlafzustand als<br />
physiologischem Äquivalent des Traumzustandes“ (Solms, 1999a, S.109) erheblich<br />
ins Wanken gebracht. Statt dessen vermutet man nun, dass <strong>für</strong> Träumen <strong>und</strong> REM-<br />
Schlaf zwei voneinander getrennte Gehirnmechanismen zuständig sein müssen, die<br />
sowohl anatomisch als auch funktionell weit auseinander liegen. Während der REM-<br />
Schlaf offensichtlich von Zellgruppen im Pons-Bereich des Hirnstamms reguliert<br />
wird, lassen sich die veröffentlichen Fälle zum Traumverlust aufgr<strong>und</strong> von fokalen<br />
Vorderhirn-Läsionen in zwei Gruppen einteilen. Demnach scheint Träumen vor<br />
allem an die Aktivität folgender höherer Gehirnabschnitte geb<strong>und</strong>en zu sein:<br />
- In 16 der berichteten Fälle ist die Läsion im Marklager um die frontalen Hörner<br />
der lateralen Ventrikel lokalisiert. Genauer gesagt handelt es sich hierbei um<br />
einen Faserzug, der bilateral innerhalb der weißen Substanz der Frontallappen<br />
zu finden ist <strong>und</strong> frontale <strong>und</strong> limbische Strukturen (z.B. Gyrus Cinguli <strong>und</strong><br />
Nucleus accumbens) mit den dopaminergen Zellen im ventralen Tegmentum<br />
des Mittelhirns verbindet (Solms, 2000). Durch Ausschüttung des Neuro-<br />
transmitters Dopamin leitet er Impulse aus dem Mesencephalon an höhere<br />
Regionen des Gehirns weiter. Eine Schädigung dieser Bahn führt zu einem<br />
Verlust der Traumtätigkeit, während der REM-Schlafzyklus unbeeinträchtigt<br />
bleibt (Frank, 1946, 1950; Gloning & Sternbach, 1953; Jus et al., 1973; Solms,<br />
1997; vgl. Solms, 2000). Dies bestätigt die Theorie, dass Traum <strong>und</strong> REM-<br />
Schlaf durch unterschiedliche Gehirnmechanismen hervorgerufen werden.<br />
Während der REM-Schlaf durch cholinerge Hirnstamm-Mechanismen<br />
kontrolliert wird, scheinen <strong>für</strong> das Träumen dopaminerge Vorderhirn-<br />
Mechanismen zuständig zu sein. 35 In Kapitel 4.3.1 <strong>und</strong> 5.3 werde ich erneut auf<br />
diesen Hirnabschnitt zu sprechen kommen.<br />
- In 94 Fällen befindet sich die Läsion in der posterioren Konvexität der<br />
Hemisphären, in oder neben der Region der parieto-temporo-okzipital (PTO)<br />
Kreuzung. Dieser Bereich des Kortex stellt die höchste Stufe bei der<br />
35 Dies wird außerdem durch die Beobachtung gestützt, dass eine Stimulation dieser dopaminergen<br />
Bahn (beispielsweise mittels Medikamente, wie L-Dopa) zu einem beträchtlichen Anstieg der<br />
Traumaktivität führt, während Häufigkeit <strong>und</strong> Ausmaß der REM-Schlafphasen unverändert bleiben<br />
(Hartmann et al., 1980; Klawans et al., 1978; Nausieda et al., 1982; vgl. Solms, 1999a). Andersrum<br />
lässt sich die durch dopaminerge Stimulation ausgelöste exzessive Traumaktivität durch<br />
Dopaminantagonisten (z.B. Neuroleptica wie Haloperidol) wieder reduzieren (Sacks, 1985).<br />
51
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
Verarbeitung von Wahrnehmungen dar <strong>und</strong> spielt „bei der Umsetzung konkre-<br />
ter Wahrnehmung in abstraktes Denken“ (Lurija, 1973; zitiert nach Solms,<br />
1999a, S.114) eine wichtige Rolle. In Kapitel 5.3 wird diese Region <strong>und</strong> ihr<br />
Beitrag zum Traumprozess näher behandelt.<br />
Wie im nächsten Abschnitt deutlich wird, werden diese Ergebnisse durch neuere<br />
Forschungen von Solms (1995, 1997, 2000), sowie Kaplan-Solms <strong>und</strong> Solms (2003)<br />
bestätigt <strong>und</strong> ergänzt.<br />
4.3. Neurowissenschaftliche Traumforschung heute<br />
Da sowohl bezüglich der genauen Mechanismen, die während des Träumens in unse-<br />
rem Gehirn ablaufen, als auch der Frage nach der Funktion von Träumen immer<br />
noch viele Fragen offen sind <strong>und</strong> das Rätsel längst nicht gelöst ist, beschäftigen sich<br />
nach wie vor viele Neurowissenschaftler mit diesem spannenden Thema. Im Folgen-<br />
den stelle ich aktuelle Ergebnisse der neurowissenschaftlichen Schlaf- <strong>und</strong> Traum-<br />
forschung dar <strong>und</strong> gehe dabei vor allem auf die Resultate der Untersuchungen von<br />
Solms (1995, 1997, 2000) <strong>und</strong> Kaplan-Solms <strong>und</strong> Solms (2003) ein. Anknüpfend an<br />
frühere, unter 4.2.4 skizzierte Ergebnisse <strong>und</strong> die dort bereits beschriebene Methode<br />
der klinisch-anatomischen Korrelation, beschäftigen sich diese Autoren ausführlich<br />
mit der Identifizierung der am Traumprozess beteiligten Gehirnregionen <strong>und</strong> ihren<br />
jeweiligen Funktionen.<br />
4.3.1. Die Neurodynamik des Träumens<br />
Kaplan-Solms <strong>und</strong> Solms (2003) tragen die Ergebnisse ihrer langjährigen For-<br />
schungsarbeit an über 300 Patienten zusammen, die sich u.a. mit dem Thema Träume<br />
befasst. Am Ende dieser sorgfältigen <strong>und</strong> langwierigen Untersuchungen sind sie in<br />
der Lage, interessante <strong>und</strong> umfassende Hinweise darauf zu geben ‚wie das Gehirn<br />
träumt’. Im Folgenden gehe ich kurz näher auf die angewandte Methode ein, um an-<br />
schließend die damit gewonnenen Ergebnisse darzustellen.<br />
Die Autoren orientieren sich bei ihren Untersuchungen an der von <strong>Freud</strong> bereits ge-<br />
schätzten <strong>und</strong> von Lurija im Jahre 1939 weiterentwickelten Methode der klinisch-<br />
anatomischen Korrelation (siehe Kapitel 4.2.4). Als Fortsetzung der <strong>Freud</strong>schen<br />
Idee, der diese Methode bereits erfolgreich anwendet (siehe Kapitel 5.1), modifiziert<br />
Lurija die klinisch-anatomische Methode insofern, als dass nun auch dynamische<br />
52
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
Prozesse untersucht werden können (Methode der „dynamischen Lokalisation“; Luri-<br />
ja, 2001, S.29), um so von der Beschreibung eines Symptoms auf die zerebrale Or-<br />
ganisation komplexer psychischer Prozesse (wie z.B. das Träumen) schließen zu<br />
können. Damit vertritt er die gleiche Ansicht wie <strong>Freud</strong>, der ebenfalls davon ausgeht,<br />
dass komplexe <strong>und</strong> dynamische geistige Funktionen nicht in statischen kortikalen<br />
Arealen lokalisiert werden können (Solms & Saling, 1986).<br />
In einem ersten Schritt gilt es, das Symptom sorgfältig zu bestimmen <strong>und</strong> zu qualifi-<br />
zieren. Die Defizite des Patienten werden gründlich untersucht (Symptomqualifikati-<br />
on) um die dem Symptom zugr<strong>und</strong>e liegenden (psychologischen) Faktoren zu<br />
bestimmen, denn erst wenn diese, „dem beobachteten Symptom zugr<strong>und</strong>eliegenden<br />
Ursachen erkannt sind, können Schlüsse über die Lokalisation auf den der Störung<br />
zugeordneten Herd gezogen werden“ (Lurija, 2001, S.33). 36 Anschließend wird im<br />
zweiten Schritt das Syndrom als Ganzes detailliert analysiert (Syndromanalyse), um<br />
alle Symptome, die auf dieselbe Läsion zurück gehen, zu erfassen. Auf diese Weise<br />
stößt man auf die verschiedenen Faktoren, die eine bestimmte psychische Tätigkeit<br />
bedingen <strong>und</strong> kann so Rückschlüsse auf die gr<strong>und</strong>legenden Funktionen der unter-<br />
schiedlichen Gehirnbereiche ziehen. Schließlich können so die zahlreichen Teilkom-<br />
ponenten der einzelnen Funktionssysteme identifiziert <strong>und</strong> im Gehirn lokalisiert wer-<br />
den. Der dynamische Aspekt wird deutlich, wenn man bedenkt, dass Lurija (wie auch<br />
schon <strong>Freud</strong> vor ihm) davon ausgeht, dass der mentale Prozess selbst zwischen die-<br />
sen einzelnen Komponenten <strong>und</strong> ihren entsprechenden Gehirnarealen lokalisiert ist.<br />
Der Unterschied zur klassischen Methode der klinisch-anatomischen Korrelation<br />
besteht demnach darin, dass nicht versucht wird, komplexe mentale Prozesse auf eng<br />
umgrenzte Hirnregionen festzulegen. Statt die psychische Funktion als Ganzes zu<br />
lokalisieren werden ihre Teilkomponenten identifiziert <strong>und</strong> der dynamische Prozess<br />
zwischen diesen einzelnen Komponenten betont (Lurija, 2001).<br />
Diese Methode wenden die Forscher Kaplan-Solms <strong>und</strong> Solms in ihren Untersu-<br />
chungen an, um anhand klinischer Syndrome von Patienten mit Hirnschädigungen<br />
auf die neurologische Organisation bestimmter dynamischer mentaler Funktionen zu<br />
schließen. Sie versuchen nicht, die jeweils defekte psychische Fähigkeit einem um-<br />
36 Wie Kaplan-Solms <strong>und</strong> Solms (2003) feststellen, weist Lurijas Methode der Symptomqualifikation<br />
große Ähnlichkeit mit <strong>Freud</strong>s psychoanalytischer Vorgehensweise auf. Man könnte sagen, „dass Lurijas<br />
Methode <strong>für</strong> die Neurologie ist, was <strong>Freud</strong>s Methode <strong>für</strong> die Psychiatrie bedeutet“ (S.43).<br />
53
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
schriebenen Gehirnareal zuzuordnen, sondern die entsprechenden Teilkomponenten<br />
zu identifizieren, „zwischen denen physiologische Prozesse (durch dynamische In-<br />
teraktionen) das Vorhandensein psychischer Fähigkeiten abbilden“ (Kaplan-Solms &<br />
Solms, 2003, S.46).<br />
Mit Hilfe dieser Methode der dynamischen Lokalisation setzt sich Solms (1995,<br />
1997, 2000) im Rahmen seiner Forschungen schon seit längerem intensiv mit der<br />
Frage nach der Funktion <strong>und</strong> der neuronalen Organisation des Träumens auseinan-<br />
der. Dabei beschreibt er zunächst alle möglichen Störungsvarianten dieses Prozesses,<br />
indem er die jeweils geschädigten Hirnregionen <strong>und</strong> die Auswirkungen dieser Schä-<br />
digung auf das Träumen untersucht (Symptomqualifikation). Im zweiten Schritt<br />
(Syndromanalyse) wird nun untersucht, welche weiteren psychischen Funktionen<br />
ebenfalls beeinträchtigt sind <strong>und</strong> somit eine Verbindung zu dem ursprünglichen<br />
Symptom haben. Da davon ausgegangen wird, dass alle mentalen Fähigkeiten, die<br />
durch Läsion ein <strong>und</strong> desselben Gehirnareals in ihrer Funktion beeinträchtigt sind,<br />
eine Gemeinsamkeit aufweisen, kann dieser gemeinsame Faktor als die wesentliche<br />
Funktion dieses Hirnabschnitts betrachtet werden. Somit wird durch Aufdeckung<br />
dieses gr<strong>und</strong>legenden Faktors nicht <strong>nur</strong> erklärt, warum eine Läsion in diesem Bereich<br />
zu einer Einschränkung der Traumfähigkeit führt, sondern auch, welches die einzel-<br />
nen Komponenten sind, die zum Träumen notwendig sind.<br />
Als sich Solms nun daran macht, die Traumfähigkeit bei mehr als 360 Patienten mit<br />
unterschiedlichen Gehirnläsionen zu untersuchen, stößt er auf sehr verschiedene Stö-<br />
rungsbilder - je nachdem, welche Hirnregion beschädigt ist. Anhand dieser Ergebnis-<br />
se vermutet er, dass ein neuronales Netzwerk aus unterschiedlichen, vor allem höhe-<br />
ren Vorderhirnsstrukturen am Träumen beteiligt ist. Da die Ergebnisse interessante<br />
Rückschlüsse auf die am Träumen beteiligten Gehirnregionen als einzelne Kompo-<br />
nenten eines großen Ganzen zulassen, werde ich sie im Folgenden kurz zusammen-<br />
fassen. Insgesamt scheinen Solms Beobachtungen zufolge vor allem sechs Gehirn-<br />
strukturen <strong>für</strong> das Träumen von Bedeutung zu sein (siehe Abbildung 4).<br />
54
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
Abbildung 4: Darstellung der am Träumen beteiligten Hirnregionen (aus: Kaplan-Solms & Solms,<br />
2003, S.56)<br />
Der linke inferiore Parietallappen<br />
Läsionen in diesem Bereich (A) führen zu einem Verlust des bewussten Traumerle-<br />
bens. Weitere Symptome einer solchen Schädigung sind: Unfähigkeit zwischen links<br />
<strong>und</strong> rechts zu unterscheiden <strong>und</strong> der Verlust der Fähigkeit die eigenen Finger zu er-<br />
55
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
kennen <strong>und</strong> zu unterscheiden (Fingeragnosie). 37 Gemeinsam ist diesen Symptomen<br />
das Unvermögen, „abstrakte Konzepte von räumlich organisierten multimodalen<br />
Informationen abzubilden“ (Kaplan-Solms & Solms, 2003, S.48). Das bedeutet, dass<br />
die betreffende Person nicht in der Lage ist, wahrgenommene Informationen symbo-<br />
lisch abzubilden. Auch wenn die Wahrnehmung an sich voll funktionsfähig ist, ge-<br />
lingt es nicht, Wahrnehmungen aller Modalitäten in abstrakte Konzepte umzusetzen.<br />
Da Traumverlust ein Teil dieses Symptomkomplexes darstellt, kann davon ausge-<br />
gangen werden, dass die Fähigkeit zur Abstraktion, Symbol- <strong>und</strong> Begriffsbildung <strong>für</strong><br />
den Traumprozess eine große Bedeutung hat <strong>und</strong> vermutlich eine der Teilkomponen-<br />
ten darstellt, die <strong>für</strong> das Träumen wesentlich sind (Kaplan-Solms & Solms, 2003). 38<br />
Der rechte inferiore Parietallappen<br />
Hier (B) führen Läsionen, genau wie im entsprechenden Bereich der linken Hemi-<br />
sphäre (siehe oben), ebenfalls zu einem Verlust der bewussten Traumerfahrung. Zu-<br />
sätzlich lassen sich in diesem Fall Störungen des visuell-räumlichen Arbeitsgedächt-<br />
nisses beobachten (Solms, 1997). Der Patient ist z.B. nicht in der Lage, sich visuell-<br />
räumliche Informationen, <strong>und</strong> sei es <strong>nur</strong> <strong>für</strong> einen kurzen Zeitraum, zu merken. Auch<br />
hier kann wieder der Schluss gezogen werden, dass diese Fähigkeit zur konkreten<br />
räumlichen Repräsentation bzw. zum Halten visuell-räumlicher Informationen im<br />
Gedächtnis vermutlich eine wichtige Rolle innerhalb des Traumprozesses spielt <strong>und</strong><br />
durch diese Hirnregion repräsentiert wird (auch wenn die Annahme, diese Funktion<br />
sei ausschließlich in diesem Bereich lokalisiert, nicht zulässig ist, wie sie auch <strong>für</strong><br />
alle anderen Hirnregionen <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Funktionen nicht zulässig ist).<br />
Dies wird verständlich wenn man bedenkt, dass es nicht <strong>nur</strong> <strong>für</strong> extern, sondern auch<br />
<strong>für</strong> intern generierte Wahrnehmungen gilt <strong>und</strong> die betreffende Person aufgr<strong>und</strong> einer<br />
Schädigung des rechten inferioren Parietallappens nicht mehr in der Lage ist, die<br />
nachts generierten Traumbilder im Bewusstsein zu halten (Kaplan-Solms & Solms,<br />
2003).<br />
37 Beide Symptome stellen einen Teil des sogenannten Gerstmann-Syndroms dar (Solms, 1995, 1997).<br />
38 Diese Teilaspekte erinnern an die Mechanismen der Verdichtung bzw. Verschiebung, die Bestand-<br />
teile der <strong>Freud</strong>schen Traumarbeit sind.<br />
56
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
Die tiefliegende ventromesiale Frontalhirnregion<br />
Dieser Bereich ist eine der beiden unter 4.2.4 beschriebenen Strukturen, die in<br />
früheren Forschungen bereits als wesentliche Teilhaber am Traumprozess<br />
identifiziert wurden. Kommt es zu Störungen innerhalb der weißen Substanz im tie-<br />
fergelegenen bifrontalen Bereich (C), die limbische Strukturen mit dem frontalen<br />
Kortex verbindet, führt dies zu einem vollständigen Verlust der Traumfähigkeit.<br />
Darüber hinaus kommt es zu verschiedenen anderen Symptomen, vor allem zur so-<br />
genannten Adynamie (Verlust der Fähigkeit zu spontanen eigenmotivierten Hand-<br />
lungen) <strong>und</strong> anderen Antriebsstörungen. Die betroffene Person verliert jegliches Inte-<br />
resse an der Welt, ihre Spontaneität <strong>und</strong> Motivation. Demnach spielt dieses mesocor-<br />
ticale-mesolimbische Dopamin-System offensichtlich eine entscheidende Rolle im<br />
Bereich der Motivation. Gleichzeitig scheint sie wesentlich <strong>für</strong> die Generierung von<br />
Träumen zu sein, da es <strong>nur</strong> bei Schädigungen dieser Region zu einem kompletten<br />
Ausfall der Traumaktivität kommt. Diese Beobachtung ist sehr bedeutsam <strong>für</strong> die<br />
Stützung der <strong>Freud</strong>schen Hypothese, dass Träume „sinnvolle psychische Ereignisse“<br />
(Kaplan-Solms & Solms, 2003, S.50) sind <strong>und</strong> nicht bloß ‚Schäume’, doch dazu spä-<br />
ter mehr (siehe Kapitel 5.3). 39<br />
Der Okzipital- <strong>und</strong> Temporallappen<br />
Läsionen innerhalb des ventromesialen Okzipital- <strong>und</strong> Temporallappenbereichs (D)<br />
führen dazu, dass Träume zwar bewusst erfahren werden, dabei aber keinerlei bild-<br />
hafte Vorstellungen enthalten (z.B. Farben, Formen, Gesichter, Bewegungen). Diese<br />
Unfähigkeit, Bilder mental abzubilden, findet sich auch im Wachzustand <strong>und</strong> wird<br />
als Irreminiszenz bezeichnet. Damit handelt es sich quasi um das Gegenbild der unter<br />
‚Der linke inferiore Parietallappen’ beschriebenen Störung: während es im oben be-<br />
schriebenen Fall zu einer Unfähigkeit kommt, Wahrnehmungen in abstrakte Bilder<br />
umzuwandeln, kommt es hier zu einem Unvermögen, „visuell wahrgenommene In-<br />
formationen konkret abzubilden“ (Kaplan-Solms & Solms, 2003, S.51; Hervorhe-<br />
bung v. Verf.), also zu einer Art nicht-visuellen Träumens. Gestört ist in diesem Fall<br />
39 In diesem Zusammenhang erwähnen die Autoren die interessante Tatsache, dass es sich bei diesem<br />
Bereich um genau die Hirnregion handelt, die Mitte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts noch Ziel der sogenannten<br />
präfrontalen Leukotomie war. Damals wurden Teile dieser Region entfernt, da man hoffte, auf diese<br />
Weise schwerwiegende psychische Störungen in den Griff zu bekommen. Zwar führte dies tatsächlich<br />
zu einem Nachlassen der positiven psychotischen Symptomatik, allerdings auch zu einem Verlust der<br />
Traumfähigkeit (Kaplan-Solms & Solms, 2003; siehe Kapitel 5.4).<br />
57
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
vermutlich die sogenannte visuelle Musteraktivierung (Kosslyn, 1994; siehe auch<br />
Kapitel 5.3). Allerdings scheint die Fähigkeit zur Symbolisierung <strong>und</strong> zum räumli-<br />
chen Denken eine wichtigere Rolle zu spielen, da bei Läsionen im Bereich A oder B<br />
der gesamte Traumprozess zusammenbricht, während nach Läsionen im Bereich D<br />
Träumen weiterhin möglich ist - mit der Einschränkung, dass es dem Traum an visu-<br />
ellen Bildern mangelt. Da der Traumprozess an sich jedoch weitestgehend unbeein-<br />
trächtigt bleibt, kann dieser Faktor der visuellen Repräsentation vermutlich am Ende<br />
des Prozesses der Traumerzeugung platziert werden (Solms, 1999b). Das würde be-<br />
deuten, dass die Phasen der Abstraktion, Begriffs- <strong>und</strong> Symbolbildung der konkreten<br />
Wahrnehmung voraus gehen - ein Vorgang, der der im Wachzustand ablaufenden<br />
kognitiven Wahrnehmungsverarbeitung genau entgegengesetzt ist (siehe Kapitel<br />
5.3).<br />
Das frontale limbische System<br />
Läsionen im vorderen Teil des limbischen Systems (E) (dazu gehören die basalen<br />
Vorderhirnkerne, der mittlere paralimbische frontale Kortex, das anteriore Cingulum,<br />
sowie die anterioren <strong>und</strong> mediodorsalen Thalamuskerne) führen im Gegensatz zu den<br />
oben beschriebenen Störungsbildern keineswegs zu einer Einschränkung der Traum-<br />
funktion, sondern vielmehr zu einer Art exzessivem Träumen. Problematisch dabei<br />
ist, dass die Patienten meist nicht in der Lage sind, zwischen Traum <strong>und</strong> Realität zu<br />
unterscheiden. Zusätzlich weisen sie eine Reihe weiterer Symptome auf, die eben-<br />
falls „eine Beeinträchtigung des Urteilsvermögen hinsichtlich der Überprüfung ande-<br />
rer Wirklichkeitsaspekte“ (Kaplan-Solms & Solms, 2003, S.52) beinhalten. So leiden<br />
die Patienten beispielsweise unter Anosognosie (Leugnung der eigenen Krankheit),<br />
Neglekt (fehlende Aufmerksamkeit <strong>für</strong> die linke oder rechte Raum- <strong>und</strong> Körperhälf-<br />
te), reduplikativer Paramnesie (Verschmelzung zweier Realitäten) <strong>und</strong> konfabulatori-<br />
schen Amnesien. Gemein ist all diesen Symptomen der offensichtliche Verlust der<br />
Realitätsprüfung - der Patient ist unfähig, zwischen Traum, Wirklichkeit, Erinnerung,<br />
Wahrheit, Phantasie <strong>und</strong> Gedanken zu unterscheiden. Dies leuchtet ein, wenn man<br />
bedenkt, dass sich „wesentliche Anteile der reflexiven Systeme am frontalen Ende<br />
des limbischen Hirnbereichs“ (Solms, 1999a, S.117) befinden, während des Schlafes<br />
jedoch weitgehend inaktiv sind. Dies führt dazu, dass der Träumer seine Traum-<br />
schöpfungen nicht kritisch hinterfragt, sondern als real hinnimmt. Schädigungen die-<br />
ses Bereiches führen demnach dazu, dass die betroffene Person auch im Wachzu-<br />
58
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
stand nicht mehr in der Lage ist, zwischen Imagination <strong>und</strong> Wirklichkeit zu unter-<br />
scheiden. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen:<br />
Patientin: Ich lag grübelnd in meinem Bett, <strong>und</strong> plötzlich war mein [verstorbe-<br />
ner] Mann da <strong>und</strong> unterhielt sich mit mir. Dann ging ich <strong>und</strong> badete die Kinder,<br />
<strong>und</strong> plötzlich öffnete ich die Augen <strong>und</strong> dachte: „Wo bin ich?“ - ich war allein!<br />
Untersucher: Waren Sie eingeschlafen?<br />
Patientin: Ich glaube nicht, es war eben, als ob meine Gedanken sich in Realität<br />
verwandelt hätten.<br />
(Kaplan-Solms & Solms, 2003, S.53)<br />
In diesem Fall ist also nicht das Träumen an sich gestört, sondern vielmehr der Fak-<br />
tor, der unter normalen Umständen da<strong>für</strong> sorgt, das Träumen zu hemmen. Da diese<br />
Hemmung aufgehoben bzw. beeinträchtigt ist, kommt es auch tagsüber zu traumähn-<br />
lichem Denken <strong>und</strong> die betreffende Person kann nicht mehr zwischen Traum <strong>und</strong><br />
Wirklichkeit unterscheiden. Einige der typischen Traum-Charakteristika, wie z.B.<br />
Halluzinationen, Desorientiertheit <strong>und</strong> Wahnideen, könnten demnach mit einer Inhi-<br />
bition dieser Hirnstrukturen während des Schlafes zusammenhängen (Solms, 2000).<br />
Das temporale limbische System<br />
Eine weitere Form exzessiven Träumens ist bei Schädigungen des temporalen An-<br />
teils des limbischen Systems (F) zu beobachten. In diesem Fall kommt es zu stereo-<br />
typ immer wieder auftretenden Alpträumen, sowie unangenehmen halluzinatorischen<br />
Erfahrungen während des Wachzustandes. Ein ähnliches Phänomen tritt in Fällen<br />
von cerebralen Krampfanfällen in diesem Bereich auf (Kardiner, 1932; Rodin et al.,<br />
1955; Epstein, 1964; vgl. Solms 1999a). Dass zudem die künstliche Stimulation des<br />
Temporallappenbereiches dieselbe Traumszene immer wieder auslösen kann, wäh-<br />
rend entsprechende Medikation oder Operation die wiederkehrenden Alpträume un-<br />
terbinden kann, spricht da<strong>für</strong>, dass das limbische System eine wesentliche Rolle bei<br />
der Auslösung von Träumen spielt. Die typische emotionale Qualität der Träume<br />
scheint demnach auf eine Aktivierung dieser Strukturen während des Schlafes zurück<br />
zu führen zu sein (Solms, 2000). Dabei ist diese emotionale Erregung, die <strong>für</strong> den<br />
Traumprozess ebenfalls von Bedeutung ist, vermutlich gleich zu Beginn platziert,<br />
während die visuell-räumliche Repräsentation, wie oben beschrieben, am anderen<br />
Ende dieses Prozesses zu finden ist (siehe Kapitel 5.3).<br />
59
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
Die Ergebnisse von Solms <strong>und</strong> Kaplan-Solms <strong>und</strong> Solms erlauben interessante Rück-<br />
schlüsse auf das am Träumen beteiligte neurale Netzwerk <strong>und</strong> die darin involvierten<br />
Strukturen. 40 Neben zahlreichen Patienten, die nach Läsionen einer der oben be-<br />
schriebenen Gehirnareale eine Störung der Traumaktivität berichten, beobachtet<br />
Solms auch Fälle von Schädigungen anderer Bereiche, die keinerlei Auswirkung auf<br />
den Traumprozess zu haben scheinen. So zeigt sich, dass Läsionen im Bereich des<br />
pontinen Hirnstamms (G) zwar zu einem Ausfall des REM-Schlafes führen, die be-<br />
wusste Traumerfahrung dabei jedoch unbeeinträchtigt bleibt. Frappierenderweise ist<br />
Solms (nach Feldman, 1971) der Erste, der tatsächlich nachweist, dass ein Verlust<br />
des REM-Schlafes keineswegs mit einem Verlust der Traumtätigkeit einher geht<br />
(siehe Kapitel 4.2.4). Zu weiteren Hirnstrukturen, die ebenfalls nicht essentiell <strong>für</strong>s<br />
Träumen sind, gehören der dorsolaterale präfrontale Kortex, der sensomotorische<br />
Kortex <strong>und</strong> der primäre visuelle Kortex (Solms, 1997).<br />
Im folgenden Abschnitt wird ersichtlich, dass die Ergebnisse <strong>und</strong> Vermutungen von<br />
Solms durch Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren gestützt werden. Wie der<br />
Traumprozess nach Ansicht der Autoren unter Beteiligung der beschriebenen Hirn-<br />
strukturen abläuft werde ich im Kapitel 5.3 zusammenfassen.<br />
4.3.2. Träume <strong>und</strong> bildgebende Verfahren<br />
Mit Hilfe bildgebender <strong>und</strong> elektrophysiologischer Verfahren ist es heute möglich,<br />
die Verteilung neuraler Aktivität im Gehirn abzubilden. So lässt sich feststellen, dass<br />
sowohl Wach- <strong>und</strong> Schlafzustand, als auch REM- <strong>und</strong> Non-REM-Schlaf jeweils ver-<br />
schiedene cerebrale Aktivierungen aufweisen. Während der Non-REM-Schlaf durch<br />
eine globale Deaktivierung des Gehirns charakterisiert ist, kommt es im REM-Schlaf<br />
zu einer Reaktivierung bestimmter Hirnareale, die auch im wachen Leben aktiv sind.<br />
Mit Hilfe des EEGs ließen sich schon früh, wie in Kapitel 4.1.2 bereits beschrieben,<br />
die verschiedenen Schlafstadien voneinander <strong>und</strong> vom Wachzustand abgrenzen. So<br />
lassen sich auch mittels dieser Methode Unterschiede zwischen Non-REM- <strong>und</strong><br />
REM-Schlaf bzw. Gemeinsamkeiten von REM-Schlaf <strong>und</strong> Wachzustand aufzeigen.<br />
Inzwischen hat man nachweisen können, dass während des REM-Schlafes Gamma-<br />
40 Es ist jedoch wichtig zu bedenken, dass sich die hier untersuchten Auswirkungen unterschiedlicher<br />
Läsionen auf das bewusste Traumerleben, also den manifesten Traumprozess beziehen. Um die „unbewusste<br />
Struktur psychischer Syndrome“ (Solms, 1999b, S.67) aufdecken zu können ist eine<br />
ausführliche psychoanalytische Behandlung notwendig.<br />
60
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
Aktivität (die mit kognitiven Prozessen in Verbindung gebracht wird; Kahn et al.,<br />
1997) aufzutreten scheint. Nachdem Bouyer at al. 1981 (vgl. Gottesmann, 1999)<br />
Gamma-Aktivität zum erstenmal bei Katzen während hoher Vigilanz <strong>und</strong> Bewe-<br />
gungslosigkeit beobachten, können Llinás <strong>und</strong> Ribary im Jahre 1993 diese 40 Hz-<br />
Oszillationen erstmalig auch beim Menschen feststellen. Sie weisen in ihrer Untersu-<br />
chung Gamma-Aktivität sowohl während des Wachzustandes, als auch während des<br />
REM-Schlafes nach, wohingegen sie während des Non-REM-Schlafes deutlich nach-<br />
lässt. 41 Dies könnte nach Ansicht von Hobson, Pace-Schott, Stickgold & Kahn<br />
(1998) die Ursache da<strong>für</strong> sein, dass die REM-Träume im Gegensatz zu Non-REM-<br />
Träumen so lebhaft <strong>und</strong> bizarr erscheinen. So könnte die Gamma-Aktivität mögli-<br />
cherweise das neurale Substrat der gleichermaßen vielfältigen, aber qualitativ doch<br />
verschiedenen kognitiven Prozesse während des REM-Schlafes <strong>und</strong> des Wachzu-<br />
standes widerspiegeln. Im Gegensatz dazu scheint die Abwesenheit von Gamma-<br />
Oszillationen während des Non-REM-Schlafes das Nicht-Vorhandensein dieser Art<br />
von kognitiven Prozesse zu erklären.<br />
Auch mit Hilfe der Positron-Emission-Tomographie (PET), die den regionalen Blut-<br />
fluss im Gehirn sichtbar macht, können die physiologischen Unterschiede zwischen<br />
Non-REM-Schlaf, REM-Schlaf <strong>und</strong> Wachzustand eindeutig nachgewiesen werden.<br />
Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Non-REM-Schlaf im Vergleich zum REM-<br />
Schlaf bzw. Wachzustand mit einer globalen Abnahme des kortikalen Blutflusses<br />
einhergeht. Vor allem Thalamus, pontiner Hirnstamm, orbitofrontaler Kortex <strong>und</strong><br />
anteriorer cingulärer Kortex weisen eine deutliche Deaktivierung auf (Braun et al.,<br />
1997; Hofle et al., 1997; Maquet et al., 1997). Die Deaktivierung der aufsteigenden<br />
erregenden Systeme (Pons <strong>und</strong> Mesencephalon) führt nach Ansicht von Hobson et al.<br />
(1998) zu einer verminderten globalen Vorderhirn-Aktivierung <strong>und</strong> somit zu einem<br />
verringerten kognitiven Output des cerebralen Kortex. Zusätzlich verhindert vermut-<br />
lich die regionale Abnahme der Aktivierung in multimodalen Assoziations-Kortizes<br />
in präfrontalen <strong>und</strong> parietalen Arealen (Braun et al., 1997) während des Non-REM-<br />
Schlafes höhere kognitive Aktivität während dieser Phase. Die verringerte Aktivie-<br />
41 Diese Gamma-Aktivität kann im Wachzustand mittels sensorischer Stimuli evoziert werden, nicht<br />
aber im REM- oder Tief-Schlaf. Somit weisen zwar sowohl Wachzustand als auch REM-Schlaf beide<br />
Gamma-Oszillationen auf, unterscheiden sich aber durch den Mangel an sensorischen Antworten.<br />
61
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
rung der limbischen Areale wiederum führt zu einem weitaus weniger affektiv gela-<br />
denen Denken als während des REM-Schlafes.<br />
Die drastische Abnahme des regionalen Blutflusses in diesen Arealen steht in Kon-<br />
trast zur Aktivierung eben dieser Bereiche während des REM-Schlafes. Im Gegen-<br />
satz zum Non-REM-Schlaf kommt es im REM-Schlaf nämlich in bestimmten Regio-<br />
nen zu einer deutlichen Erhöhung der Stoffwechselaktivität. Dabei weisen einige<br />
jener Areale, die auch im Wachzustand aktiv, während des Non-REM-Schlafes je-<br />
doch inaktiv sind, eine cerebrale Aktivierung auf (z.B. Thalamus <strong>und</strong> pontiner Hirn-<br />
stamm). Außerdem kommt es im REM-Schlaf zu einer deutlichen Aktivierung limbi-<br />
scher <strong>und</strong> paralimbischer Areale, wie z.B. der hippocampalen Formation, dem ante-<br />
rioren Cingulum, medial orbitofrontalen Kortizes <strong>und</strong> der Amygdala (Braun et al.,<br />
1997; Nofzinger, Mintun, Wiseman, Kupfer & Moore, 1997; Maquet et al., 1996).<br />
Die Aktivität dieser Areale kann während des REM-Schlafes durchaus höher sein als<br />
während des Wachzustandes (Braun et al., 1997). Dies könnte ebenfalls eine Erklä-<br />
rung da<strong>für</strong> sein, warum die mentale Aktivität während des Träumens viel bizarrer,<br />
desorientierter <strong>und</strong> verworrener ist als unser Denken im wachen Leben (Kahn et al.,<br />
1997). Darüber hinaus stellen Madsen et al. (vgl. Gottesmann, 1999) bereits 1991 mit<br />
Hilfe der SPECT (single photon emission computed tomography) einen Anstieg des<br />
kortikalen Blutflusses in den assoziativen visuellen Kortexarealen während des<br />
REM-Schlafes fest, was auf ablaufende visuelle Traumerfahrung schließen lässt.<br />
Neben der Zunahme des kortikalen Blutflusses in diesen Arealen beobachten Madsen<br />
et al. (ebenso wie Braun et al. 1997 <strong>und</strong> Maquet et al. 1996) außerdem eine Deakti-<br />
vierung des dorsolateralen präfrontalen Kortex <strong>und</strong> des posterioren Cingulum. Ma-<br />
quet et al. (1996) vermuten daher, dass die erhöhte Aktivität der limbischen Struktu-<br />
ren die emotionalen <strong>und</strong> affektiven Aspekte der Träume bedingt, während andere<br />
formale Traum-Charakteristika (zeitliche Verzerrung, Desorientierung, Schwächung<br />
der selbstreflektiven Kontrolle, Amnesie beim Erwachen) auf die präfrontale Deakti-<br />
vierung <strong>und</strong> die damit einhergehenden exekutiven Defizite zurück geführt werden<br />
können (Gottesmann, 1999; Hobson et al., 2000). 42 Zusammenfassend lässt sich fest-<br />
halten, dass das Gehirn während des REM-Schlafes eine generalisierte Aktivität<br />
42 Bezüglich des präfrontalen Kortex gibt es diskrepante Ergebnisse. Während Maquet et al. (1996)<br />
<strong>und</strong> Braun et al. (1997) eine Abnahme der Aktivität während des REM-Schlafes in diesem Bereich<br />
beobachten, stellen Nofzinger, Mintun, Wiseman, Kupfer & Moore (1997) eine Zunahme des Glukose<br />
Verbrauchs im präfrontalen Kortex im Vergleich zum Wachzustand fest.<br />
62
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
aufweist, mit Ausnahme der exekutiven Systeme, die normalerweise an höheren<br />
kognitiven Funktionen <strong>und</strong> der Integration neuraler Informationen beteiligt sind<br />
(Braun et al., 1997). Tabelle 2 verdeutlicht die Zu- (↑) bzw. Abnahme (↓) der<br />
Aktivität unterschiedlicher Hirnstrukturen während des REM- bzw. Non-REM-<br />
Schlafes.<br />
Gehirnregion REM-Schlaf Non-REM-Schlaf<br />
Pontines Tegmentum ↑ ↓<br />
Limbische Areale (Hippocampus, anteriores<br />
Cingulum, Amygdala)<br />
↑ ↓<br />
Thalamische Kerne ↑ ↓<br />
Basalganglien ↑ ↓<br />
Cerebellum ↑ ↓<br />
Striatärer Kortex ⎯ ↓<br />
Extrastriatärer Kortex ↑ ↓<br />
Parietaler Kortex ↓ ↓<br />
Dorsolateraler Präfrontaler Kortex ↓ ↓<br />
Mediobasaler Präfrontaler Kortex ↑ ↓<br />
Medialtemporaler Kortex ↑ ↓<br />
Tabelle 2: Zusammenfassung der Ergebnisse verschiedener Studien (Braun et al., 1997, Hofle et al.,<br />
1997, Maquet et al., 1996, 1997, Nofzinger, Mintun, Wiseman, Kupfer & Moore., 1997) zur Aktivierung<br />
/ Deaktivierung unterschiedlicher Hirnstrukturen während des REM-Schlafes / Non-REM-<br />
Schlafes im Vergleich zum Wachzustand (nach Walker & Hobson, 2000)<br />
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass sich die Ergebnisse von Studien mittels<br />
bildgebender Verfahren hervorragend mit den Resultaten der in Kapitel 4.3.1 be-<br />
schriebenen Untersuchungen mit hirngeschädigten Patienten ergänzen. In beiden<br />
Fällen wird deutlich, dass sowohl frontale <strong>und</strong> limbische Strukturen, aber auch Regi-<br />
onen innerhalb der parietalen Konvexität wesentlich <strong>für</strong> den Prozess des Träumens<br />
sind. Ebenfalls bestätigt wird die Vermutung, dass Non-REM-Schlaf, REM-Schlaf<br />
<strong>und</strong> Wachzustand jeweils klar voneinander unterscheidbare Zustände darstellen.<br />
4.4. Die Funktionsfrage aus neurowissenschaftlicher Sicht<br />
Mit der Entdeckung des REM-Schlafes im Jahre 1953 (siehe Kapitel 4.2.1) erlangen<br />
Schlaf <strong>und</strong> Träume einen wichtigen Stellenwert innerhalb der neurowissenschaftlich<br />
orientierten Forschung. Allerdings wurde <strong>und</strong> wird es oftmals versäumt, bei der<br />
Funktionsfrage zwischen Schlaf, REM-Schlaf <strong>und</strong> Träumen zu unterscheiden. Viele<br />
Forscher erstellen Hypothesen bezüglich der Funktion des REM-Schlafes, worin die<br />
der Träume stets impliziert ist. Wie oben beschrieben kommen Träume allerdings<br />
nachweislich auch in Non-REM-Phasen vor <strong>und</strong> müssen somit als eigenständiges<br />
63
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
psychisches Phänomen angesehen werden. Darum ist bei der Frage nach der Funkti-<br />
on diese Unterscheidung stets im Auge zu behalten. Insgesamt gibt es eine fast un-<br />
überschaubare Anzahl von Theorien, von denen ich einige im Folgenden kurz zu-<br />
sammenfasse.<br />
4.4.1. Die Funktion des Schlafes<br />
Zur Funktion des Schlafes gibt es unzählige Hypothesen, wie z.B. die der Einsparung<br />
von Energie durch die nächtliche Herabsetzung sämtlicher Stoffwechselprozesse.<br />
Daran anknüpfend geht Hobson (1990) davon aus, dass die Funktion des Schlafes<br />
vor allem in der Einsparung aminerger Neurotransmitter besteht. Wie oben bereits<br />
erwähnt, produzieren die Zellen der Raphé-Kerne <strong>und</strong> des Nucleus Coeruleus im<br />
Hirnstamm die Botenstoffe Serotonin <strong>und</strong> Noradrenalin, die <strong>für</strong> bewusstes Lernen<br />
<strong>und</strong> Erinnern wichtig sind. Die Ausschüttung dieser aminergen Neurotransmitter<br />
wird während der Non-REM-Phasen allmählich gedrosselt, bis sie im REM-Schlaf<br />
ganz aussetzt (darum auch die Bezeichnung REM-Off-Zellen). Hobson geht nun da-<br />
von aus, dass diese „Feuerpause“ (S.196) dazu dient, die aminergen Transmitter ein-<br />
zusparen. Da vermutlich aber auch während des Schlafes neue Transmittermoleküle<br />
synthetisiert, vor allem während der REM-Phasen aber nicht ausgeschüttet werden,<br />
führt der Schlaf einer Nacht - insbesondere mit vielen REM-Schlafphasen - dazu,<br />
dass der Vorrat an aminergen Neurotransmittern wieder aufgefüllt ist. Auch hier wird<br />
insbesondere die Rolle des REM-Schlafes betont, auf die ich weiter unten genauer<br />
eingehen werde.<br />
Tiefere Einblicke in die Funktion des Schlafes liefern vor allem die zahlreichen<br />
Schlafentzugs-Experimente (<strong>für</strong> einen Überblick siehe: Jovanovic, 1978). Die meis-<br />
ten Untersucher berichten über vielfältige Auffälligkeiten nach längeren schlaflosen<br />
Phasen, wie z.B. kognitive Einbußen, Wahrnehmungsverzerrungen, Aggressivität,<br />
Halluzinationen, Reizbarkeit, Verlangsamung der Psycho-Motorik, Schreckhaftigkeit<br />
<strong>und</strong> Konzentrationsschwäche. Laut Jovanovic führen viele Autoren diese Symptoma-<br />
tik vor allem auf den Verlust des REM-Schlafes zurück, da im Erholungsschlaf, der<br />
den Entzug-Nächten folgt, ein drastischer Anstieg des REM-Schlafes zu beobachten<br />
ist (engl.: rebo<strong>und</strong>). Ein ähnlicher Effekt ist <strong>nur</strong> noch beim Stadium 4 des Tiefschla-<br />
fes (SWS) zu beobachten. Dementsprechend scheint dem REM- <strong>und</strong> dem Tiefschlaf<br />
eine besondere Bedeutung zu zukommen, so dass vor allem versucht wird, den<br />
64
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
REM- bzw. den Tiefschlaf selektiv zu deprivieren, um weitere Antworten zu be-<br />
kommen (siehe unten).<br />
Cai (1995) geht, wie manche andere Forscher, davon aus, dass neben dem REM-<br />
Schlaf vor allem der Tiefschlaf (SWS, Stadien 3 <strong>und</strong> 4) eine große Bedeutung hat.<br />
Da<strong>für</strong> spricht die Beobachtung, dass selektive SWS-Deprivation einen Anstieg in<br />
Intensität <strong>und</strong> Dauer des SWS im Schlafzyklus der darauf folgenden Nacht zur Folge<br />
hat (Dijk & Beersma, 1989) 43 . Der Tiefschlaf erfüllt laut Cai statt bloßer körperlicher<br />
Erholung <strong>und</strong> Energie-Einsparung vermutlich zwei wichtige Funktionen: die Regu-<br />
lierung emotionaler Balance <strong>und</strong> die Verarbeitung emotionaler Gedächtnisinhalte. 44<br />
Die erste Hypothese wird durch verschiedene Beobachtungen gestützt. So führt bei-<br />
spielsweise selektive Stadium 4 Deprivation zu depressivem Verhalten (Agnew et<br />
al., 1967; vgl. Cai, 1995), während depressive Patienten charakteristischerweise kür-<br />
zere SWS-Phasen aufweisen (Kupfer et al., 1985). Entsprechend können Wehr et al.<br />
(1979; vgl. Cai, 1995) nachweisen, dass sich der depressive Zustand durch eine Er-<br />
höhung der Tiefschlaf-Dauer deutlich bessert <strong>und</strong> Kupfer, Frank, McEachran & Gro-<br />
chocinski (1990), dass Patienten mit einem hohen Anteil an Delta-Oszillationen eine<br />
geringere Wahrscheinlichkeit eines Wiederauftretens der depressiven Symptomatik<br />
haben. Zusätzlich weisen Ramm <strong>und</strong> Frost (1983) eine erhöhte regionale Stoffwech-<br />
sel-Aktivität in einigen limbischen Regionen (Hypothalamus <strong>und</strong> Hippocampus)<br />
nach, während sich der Umsatz in den sensorischen <strong>und</strong> motorischen Arealen herab-<br />
setzt. All diese Beobachtungen sprechen <strong>für</strong> eine Funktion des Tiefschlafs bei der<br />
Regulierung des emotionalen Gleichgewichts, bzw. der Bewältigung emotionaler<br />
Störungen des limbischen Systems. Da im Wachzustand die allmähliche Anhäufung<br />
zufällig erlernter emotionaler Gedächtnisinhalte in den limbischen Strukturen unwei-<br />
gerlich zu einem emotionalen Ungleichgewicht führen würde, scheint der Tiefschlaf<br />
essentiell, um diese Balance wieder herzustellen <strong>und</strong> Depressionen zu verhindern. 45<br />
Auch die zweite Vermutung, dass der Tiefschlaf bei der Verarbeitung emotionaler<br />
43 Ferrara et al. (1999) weisen nach, dass dieser Anstieg des SWS signifikant von der Dauer des SWS<br />
in der vorangegangenen Nacht abhängig ist <strong>und</strong> nicht von der totalen Schlafdauer.<br />
44 Die Aufgabe der Verarbeitung emotionaler Gedächtnisinhalte übernimmt nach Ansicht anderer<br />
Autoren nicht <strong>nur</strong> der SWS, sondern auch der REM-Schlaf (Cartwright et al., 1975; Grieser et al.,<br />
1972; McGrath & Cohen, 1978; vgl. Stickgold et al., 2001).<br />
45 Zwar kann auch im Wachzustand die emotionale Balance mit Hilfe der aufsteigenden Noradrenalin,<br />
Dopamin-, Acetylcholin- uind Serotonin-Systeme reguliert werden, allerdings handelt es sich dabei<br />
<strong>nur</strong> um einen vorübergehenden Effekt, während die emotionale Regulation während des Schlafes<br />
dauerhafter ist (Cai, 1995).<br />
65
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
Gedächtnisinhalte wichtig ist, konnte durch mehrere Studien belegt werden. So fin-<br />
den Pavlides <strong>und</strong> Winson (1989) heraus, dass diejenigen hippocampalen Zellen, die<br />
im Wachzustand aktiv sind, im darauf folgenden Schlaf vor allem während des SWS<br />
eine erhöhte Entladungsrate aufweisen. 46 Dies könnte bedeuten, dass die Informatio-<br />
nen, die im Wachzustand im Hippocampus enkodiert wurden, während des Tief-<br />
schlafs weiter verarbeitet werden. Da der Hippocampus bekanntermaßen die Funkti-<br />
on hat, neu erworbene Informationen vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis zu über-<br />
tragen (Trepel, 1999), kann man vermuten, dass die Reaktivierung der hippocampa-<br />
len Aktivität während des Schlafes der langfristigen Speicherung neuer Gedächtnis-<br />
inhalte dient. Wie im nächsten Abschnitt deutlich wird, gibt es zahlreiche Autoren,<br />
die auch dem REM-Schlaf eine wichtige Rolle bei der Gedächtnis-Konsolidierung<br />
zusprechen.<br />
4.4.2. Die Funktion des REM-Schlafes<br />
Seit der Entdeckung des REM-Schlafes im Jahre 1953 beschäftigen sich die Forscher<br />
mit der Frage nach der Funktion dieses speziellen Zustandes. 47 Einen großen Stel-<br />
lenwert nehmen hier die sogenannten Entwicklungstheorien ein. Bereits im Jahre<br />
1966 vermuten Roffwarg et al. (vgl. Hobson, 1990), dass der REM-Schlaf eine wich-<br />
tige Rolle bei der Hirnreifung spielt. Auch Marks, Shaffery, Oksenberg, Speciale &<br />
Roffwarg (1995) gehen von einer ontogenetischen Funktion des REM-Schlafes aus<br />
<strong>und</strong> vermuten, dass die spezifischen REM-Schlaf Prozesse die Aufgabe haben, die<br />
Gehirnentwicklung voran zu treiben. Gestützt wird diese Hypothese durch die Tatsa-<br />
che, dass 70% des Schlafes Neugeborener aus REM-Schlaf besteht. Mit zunehmen-<br />
dem Alter fällt dieser Anteil immer geringer aus, bis er im Erwachsenenalter weniger<br />
als 15% beträgt (Carlson, 2004). Hobson (1990) ist der Ansicht, dass dieser hohe<br />
Anteil an REM-Schlafphasen während der frühkindlichen Entwicklung die Aufgabe<br />
hat, „dem Gehirn, <strong>und</strong> insbesondere dem Sehsystem, die <strong>für</strong> seine Entwicklung not-<br />
wendige Stimulation zu vermitteln“ (S.90). Das Gehirn aktiviert sich demnach selbst,<br />
indem das Sehsystem während des REM-Schlafes durch Signale aus dem Hirnstamm<br />
angeregt wird. Diese „Simulation von wachem Verhalten während des Schlafes“<br />
(ebd.) könnte dazu führen, dass der Fötus zum Zeitpunkt seiner Geburt bereits einen<br />
46 Wilson <strong>und</strong> McNaughton (1994; vgl. Louie & Wilson, 2001) betonen, dass dieses Wiederauftreten<br />
am stärksten in dem SWS ist, der dem Verhalten des Wachzustandes unmittelbar folgt.<br />
47 Für eine Übersicht siehe Hennevin <strong>und</strong> Leconte (1971; vgl. Hennevin,, Hars, Maho & Bloch, 1995).<br />
66
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
großen Teil seiner Funktionsfähigkeit erreicht hat. Dies stimmt mit der Beobachtung<br />
von Marks et al. (1995) überein, dass REM-Deprivation einen Einfluss auf die Ent-<br />
wicklung des visuellen Systems zu haben scheint.<br />
Die unzähligen Deprivations-Experimente zeigen deutlich, dass dem REM-Schlaf<br />
eine besondere Bedeutung zukommt, da eine Person, die während der REM-Phasen<br />
geweckt wird, diese später nachholt (Rebo<strong>und</strong>-Phänomen; siehe auch SWS oben). Es<br />
zeigt sich, dass der Anstieg des REM-Schlaf-Anteils in der dem Entzug folgenden<br />
Nacht umso höher ausfällt, je länger die Probanden unter REM-Schlafentzug litten<br />
(Jovanovic, 1978). Dement (1960) beobachtet verschiedene motivationale <strong>und</strong> beha-<br />
viorale Auswirkungen, wie z.B. Hyperaktivität, Ängstlichkeit, Reizbarkeit, Irritier-<br />
barkeit <strong>und</strong> Konzentrationsschwäche, die nach REM-Schlafentzug auftauchen. So-<br />
bald die Personen nicht mehr in ihrem REM-Schlaf gestört werden, bessert sich die<br />
Symptomatik unmittelbar. Trotzdem warnt Dement vor einem allzu langen REM-<br />
Entzug, denn sonst „müsste man möglicherweise mit einem ernsthaften Zerfall der<br />
Persönlichkeit rechnen“ (S.328).<br />
Viele Forscher betonen bei der Frage nach der Funktion des REM-Schlafes vor allem<br />
seine Rolle bei Lern- <strong>und</strong> Gedächtnisprozessen. So hat Hartley (1791; vgl. Stickgold,<br />
Hobson, Fosse & Fosse, 2001) bereits vor über zweih<strong>und</strong>ert Jahren die Idee, dass<br />
Träumen der Verknüpfung neu erworbener Gedächtnisinhalte dient. Diese Hypothese<br />
wird durch zahlreiche Versuche an Tieren bestätigt (Horne & McGrath, 1984). Die<br />
Untersuchungen dieser Autoren deuten darauf hin, dass neu erlernte<br />
Gedächtnisinhalte bis zum Eintreten des REM-Schlafes labil bleiben <strong>und</strong> erst im<br />
Laufe dieser Schlafphasen gefestigt werden. Vermutlich gibt es sogar bestimmte<br />
Aufgaben, die stärker durch REM-Schlafentzug beeinträchtig werden, als andere. So<br />
scheint das Gedächtnis <strong>für</strong> deklarative bzw. explizite Aufgabentypen kaum durch<br />
REM-Deprivation gestört zu werden, während das Gedächtnis <strong>für</strong> prozedurale bzw.<br />
implizite Aufgaben durchaus Defizite nach REM-Schlafentzug aufweist (Smith,<br />
1993). 48<br />
Für die Vermutung, dass der REM-Schlaf vor allem <strong>für</strong> die Gedächtnis-<br />
Konsolidierung wesentlich ist, scheinen folgende Beobachtungen <strong>und</strong> daraus resul-<br />
tierende Schlussfolgerungen zu sprechen:<br />
48 Das Gedächtnis <strong>für</strong> explizite Aufgaben weist dagegen eine deutliche Beeinträchtigung nach SWS-<br />
Deprivation auf (z.B. Barrett & Ekstrand, 1972; vgl. Maquet, 2001).<br />
67
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
1. Intensive Lernphasen führen zu einem Anstieg der REM-Schlafdauer in der<br />
darauf folgenden Nacht (Hennevin & Leconte, 1971; Smith et al., 1974; Smith<br />
& Lapp, 1986; vgl. Smith, 1995). Dieser Anstieg ist nach Ansicht der Autoren<br />
darauf zurück zu führen, dass die neu erlernten Gedächtnisinhalte in dieser<br />
Phase konsolidiert <strong>und</strong> damit dauerhaft gespeichert werden. 49<br />
2. REM-Schlafdeprivation scheint zu Einbußen in der Gedächtnisleistung zu füh-<br />
ren, was daran liegen könnte, dass Gedächtnisinhalte nicht ausreichend konso-<br />
lidiert wurden (Fishbein & Gutwein, 1977; McGrath & Cohen, 1978; Pearlman,<br />
1979; Smith, 1985; vgl. Hennevin, Hars, Maho & Bloch, 1995).<br />
3. Wie im Tiefschlaf (siehe Kapitel 4.4.1) kommt es auch während des REM-<br />
Schlafes zu einer Reaktivierung jener Hirnareale, die bei Lernaufgaben im<br />
Wachzustand aktiv sind (Louie & Wilson, 2001), so dass während des Schlafes<br />
offensichtlich Gedächtnisprozesse abzulaufen scheinen (Hennevin et al., 1995).<br />
Träume wären demnach die Manifestation dieser Prozesse.<br />
Auch wenn die Resultate dieser Autoren auf eine enge Verbindung zwischen REM-<br />
Schlaf <strong>und</strong> Gedächtnis-Konsolidierung hinweisen, gibt es eine sehr kontroverse Dis-<br />
kussion über die Gültigkeit dieser Hypothese (Horne & McGrath, 1984; Maquet,<br />
2001; Vertes & Eastman, 2000) Daran anknüpfend berichtet Siegel (2001) in seiner<br />
Übersichtsarbeit über Ergebnisse verschiedener Studien, die jede der eben aufgeführ-<br />
ten Schlussfolgerungen <strong>und</strong> somit die gesamte Gedächtnis-Konsolidierungs-<br />
Hypothese zweifelhaft erscheinen lassen.<br />
Die erste Schlussfolgerung scheint richtig zu sein, wenn man davon ausgeht, dass im<br />
Anschluss an eine Lernaufgabe eine erhöhte Gedächtnis-Konsolidierung erforderlich<br />
wird. Da diese Gedächtnis-Konsolidierung dem REM-Schlaf zugesprochen wird,<br />
müsste es im Laufe der folgenden Nacht zu einem Anstieg der REM-Schlafdauer<br />
kommen (siehe oben). Laut Siegel ist diese Annahme jedoch zu hinterfragen, da<br />
nicht eindeutig nachweisbar ist, inwieweit nicht vielleicht Stress oder andere emotio-<br />
nale Variablen (z.B. Frustration) während der Lernsituation ebenfalls einen Einfluss<br />
49 Smith (1985; vgl. Stickgold, Hobson, Fosse & Fosse, 2001) spricht hier vom sogenannten ‚REM-<br />
Fenster‘. Dabei handelt es sich um die Zeit nach dem Erlernen einer gewissen Aufgabe, in der es zu<br />
einer überdurchschnittlichen Erhöhung des REM-Schlafes kommt. Deprivation des REM-Schlafes<br />
während dieses REM-Fensters führt laut Smith zu Gedächtnis-Einbußen. Allerdings ließen sich solche<br />
REM-Fenster bislang <strong>nur</strong> bei Tieren nachweisen (Vertes & Eastman, 2000).<br />
68
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
auf die darauf folgende REM-Schlafdauer haben. So können Gonzales et al. (1995;<br />
vgl. Siegel, 2001) <strong>und</strong> Rampin et al. (1991; vgl. Maquet, 2001) beispielsweise nach-<br />
weisen, dass bereits moderater Stress, völlig unabhängig von einer Lernaufgabe, zu<br />
einem Anstieg der REM-Schlafdauer führt. Darüber hinaus liefern die verschiedenen<br />
Studien zu diesem Thema sehr widersprüchliche Ergebnisse. So weisen Vertes <strong>und</strong><br />
Eastman (2000) darauf hin, dass Untersuchungen an Tieren zwar eine erhöhte REM-<br />
Schlafdauer nach voran gegangenen Lernexperimenten ergeben (Horne, 1988; Smith<br />
1985; vgl. Vertes & Eastman, 2000), Untersuchungen an Menschen hingegen einen<br />
ähnlichen Effekt nicht nachweisen können (Allen et al., 1972; Zimmerman et al.,<br />
1978; vgl. Vertes & Eastman, 2000). Horne <strong>und</strong> McGrath (1984) zweifeln darüber<br />
hinaus auch die Ergebnisse der Tierexperimente an <strong>und</strong> sind der Meinung, dass der<br />
Anstieg der REM-Schlafdauer auch auf einen umfassenden Anstieg der totalen<br />
Schlafdauer zurück zu führen ist, da das Verhältnis von REM-Schlaf <strong>und</strong> totaler<br />
Schlafdauer unverändert bleibt (Tagney, 1973; vgl. Vertes & Eastman, 2000).<br />
Die zweite Schlussfolgerung, die die Gedächtnis-Konsolidierungs-Hypothese stützen<br />
soll, beruft sich auf REM-Deprivations-Experimente, nach denen die betreffenden<br />
Personen Gedächtnisausfälle zeigen, was angeblich auf eine ungenügende Konsoli-<br />
dierung schließen lässt. Die unzähligen Studien, die hierzu durch geführt wurden,<br />
liefern jedoch durchaus keine einheitlichen Ergebnisse. Während einige dieser Un-<br />
tersuchungen eine Blockierung der Konsolidierung aufgr<strong>und</strong> REM-Schlaf Deprivati-<br />
on beobachten, stellen andere keinen Effekt der Deprivation fest (Miller et al., 1971;<br />
vgl. Vertes & Eastman, 2000), während wieder andere Studien sogar einen gegentei-<br />
ligen Effekt nachweisen, indem REM-Schlafentzug zu einer verbesserten Konsoli-<br />
dierung führen soll (Horne, 2000; vgl. Siegel, 2001). Untersuchungen mit Tieren von<br />
Van Hulzen <strong>und</strong> Coenen (1982), in denen Ratten auf eine vergleichsweise sanfte Art<br />
am REM-Schlaf gehindert werden (leichte schaukelnde Bewegungen des Käfigs),<br />
können als Beleg da<strong>für</strong> angesehen werden, dass Stress <strong>und</strong> nicht REM-Schlafentzug<br />
die kritische Variable ist, da diese Tiere keinerlei Lern-Defizite aufweisen. Bei Men-<br />
schen kommt es durch die Gabe von MAO-Hemmern (z.B. zur Behandlung von De-<br />
pressionen) zu einem vollständigen REM-Schlaf Verlust. In diesen Fällen können<br />
jedoch kaum Einschränkungen der Gedächtnisleistung <strong>und</strong> der kognitiven Fähigkei-<br />
69
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
ten beobachtet werden (Vertes & Eastman, 2000). 50 Dies deutet darauf hin, dass der<br />
REM-Schlaf keine wesentliche Bedeutung <strong>für</strong> Lernprozesse <strong>und</strong> Gedächtnis-<br />
Konsolidierung haben kann. Abschließend erinnern Vertes <strong>und</strong> Eastman (2000) an<br />
die Ergebnisse von Untersuchungen hirngeschädigter Patienten mit Läsionen in der<br />
Pons-Region, bei denen die Schädigung zu einem totalen Ausfall des REM-Schlafes<br />
führt (siehe Kapitel 4.2.3), während die kognitiven Fähigkeiten, einschließlich der<br />
Gedächtnisfunktionen keinerlei Einschränkungen aufweisen. Diese Beobachtungen<br />
sprechen gegen eine wesentliche Rolle des REM-Schlafes beim Lernen, so dass zu-<br />
sammenfassend festgehalten werden kann, dass die gegenwärtige Literatur <strong>nur</strong> sehr<br />
widersprüchliche Ergebnisse zur Bedeutung des REM-Schlafes bei der Gedächtnis-<br />
Konsolidierung aufweist.<br />
Die dritte Schlussfolgerung, dass während des REM-Schlafes Gedächtnisprozesse<br />
ablaufen, wird durch die Beobachtung gestützt, dass die neuronale Aktivität, die<br />
während der Lernphase registriert wird, auch in der darauf folgenden REM-<br />
Schlafphase auftritt. Dies jedoch, widerspricht Siegel (2001), muss noch kein Hin-<br />
weis auf ablaufende Konsolidierungs-Prozesse sein. Im Gegenteil könnte dieses<br />
Wiederauftreten (engl.: replay) in die genetisch vorprogrammierte neuronale Ent-<br />
wicklung involviert sein (vgl. den hohen Anteil an REM-Schlaf im frühen Kindesal-<br />
ter; siehe Kapitel 4.3.2) <strong>und</strong> bei der Löschung irrelevanter Gedächtnis-Spuren eine<br />
Rolle spielen (Crick & Mitchison, 1983; siehe Kapitel 4.3.3). Poe, Nitz, McNaughton<br />
& Barnes (2000) untersuchen (ähnlich wie Pavlides & Winson im Jahre 1989; siehe<br />
Kapitel 4.3.1) das Feuern bestimmter Zellgruppen im Hippocampus während des<br />
REM-Schlafes. Während Pavlides <strong>und</strong> Winson ein Wiederauftreten der im Wachzu-<br />
stand stattgef<strong>und</strong>enen hippocampalen Aktivität vor allem im darauf folgenden Tief-<br />
schlaf festgestellt haben, konzentrieren sich Poe et al. verstärkt auf den REM-Schlaf<br />
<strong>und</strong> seine Rolle bei der Gedächtnis-Konsolidierung. Ihre Ergebnisse deuten auf einen<br />
möglichen Mechanismus während des REM-Schlafes hin, durch den Erinnerungen<br />
an kürzlich statt gef<strong>und</strong>ene Ereignisse verstärkt <strong>und</strong> die Spuren entfernterer Erinne-<br />
rungen geschwächt werden. Louie <strong>und</strong> Wilson (2001) beobachten in ihren Untersu-<br />
chungen mit Ratten ebenfalls eine Reaktivierung der hippocampalen Aktivität des<br />
50 Siegel führt als möglichen Einwand an, dass die MAO-Hemmer eventuell lediglich die polygraphischen<br />
Zeichen des REM-Schlafes maskieren, während der REM-Schlaf in seinen wesentlichen Aspekten<br />
(wie z.B. der Gedächtnis-Konsolidierungs-Funktion) weiter fortbesteht.<br />
70
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
Wachzustandes während des REM-Schlafes. Interessanterweise kommt es zu diesem<br />
Wiederauftreten jedoch in jenen REM-Schlaf-Episoden, die den täglichen Lern-<br />
durchgängen der Tiere unmittelbar vorausgehen <strong>und</strong> nicht in jenen, die der Lernauf-<br />
gabe folgen. Die Autoren erklären dies damit, dass die Lernaufgaben wiederholt an<br />
mehreren aufeinander folgenden Tagen durchgeführt wurden <strong>und</strong> sich die Reaktivie-<br />
rung der hippocampalen Aktivität während des REM-Schlafes vermutlich jeweils auf<br />
die Lernaufgabe des vorherigen Tages bezieht. Hier widerspricht Siegel (2001) je-<br />
doch <strong>und</strong> behauptet, dies erkläre noch nicht, warum dieses Wiederauftreten nicht<br />
auch im nachfolgenden REM-Schlaf erscheint. Da die gleichen Tiere darüber hinaus<br />
keinerlei ‚Replay’ in der nachfolgenden REM-Schlafphase zeigen, wenn sie mit einer<br />
völlig neuen Lernaufgabe konfrontiert werden, sprechen diese Ergebnisse keinesfalls<br />
<strong>für</strong> die Gedächtnis-Konsolidierungs-Hypothese.<br />
Insgesamt scheint die Frage nach der Funktion des REM-Schlafes nicht eindeutig<br />
beantwortet zu sein. Auch bezüglich der Rolle bei der Gedächtnis-Konsolidierung<br />
bleiben viele Fragen offen. Dass der REM-Schlaf eine spezielle Verbindung zu Lern-<br />
<strong>und</strong> Gedächtnisprozessen hat, scheint unbestritten, allerdings ist es nach Ansicht von<br />
Maquet (2001) nach wie vor unklar, ob der REM-Schlaf zur Konsolidierung von<br />
Gedächtnisinhalten unbedingt notwendig ist, oder ob diese Phase lediglich Bedin-<br />
gungen erfüllt, die die Konsolidierung von Erinnerungen im Gegensatz zu anderen<br />
Erregungszuständen begünstigt.<br />
4.4.3. Die Funktion von Träumen<br />
Wie bereits angedeutet, ist es sehr schwer, die Frage nach der Funktion des REM-<br />
Schlafes klar von der des Träumens zu trennen. Vor allem Vertreter der Gedächtnis-<br />
Konsolidierungs-Hypothese (siehe Kapitel 4.4.2) sind dazu geneigt, ihre Theorien<br />
auch auf die Funktion der Träume zu übertragen. Dabei muss jedoch im Auge behal-<br />
ten werden, dass, wie oben beschrieben, längst erwiesen ist, dass REM-Schlaf <strong>und</strong><br />
Träume nicht gleich zu setzen sind. Eine Unterscheidung ist also unbedingt sinnvoll,<br />
da Träume ein subjektives bewusstes Erleben beinhalten, während der REM-Schlaf<br />
lediglich eine physiologisch bestimmte Phase unseres nächtlichen Schlafzyklus dar-<br />
stellt (Revonsuo, 2000). Dementsprechend haben REM-Schlaf <strong>und</strong> Träume vermut-<br />
lich auch sehr unterschiedliche Funktionen. Allerdings lässt sich insgesamt festhal-<br />
71
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
ten, dass es im Vergleich zum REM-Schlaf <strong>nur</strong> wenige <strong>und</strong> sehr gegensätzliche neu-<br />
rowissenschaftlich orientierte Theorien zur Funktion des Träumens gibt.<br />
Auf der einen Seite positionieren sich u.a. Forscher wie Foulkes (1962), Hall <strong>und</strong><br />
Van de Castle (1966; vgl. Vertes & Eastman, 2000) <strong>und</strong> Domhoff (1999, 2001), die<br />
davon ausgehen, dass Träume die Fortsetzung des mentalen Lebens aus dem Wach-<br />
zustand darstellen (sog. ‚Kontinuitätshypothese’) <strong>und</strong> somit als durchaus sinnvoll zu<br />
betrachten sind. 51 Für diese Annahme spricht laut von Domhoff (1999) z.B. die Beo-<br />
bachtung, dass emotionale Themen aus dem Wachzustand oftmals im Trauminhalt<br />
fortgeführt werden <strong>und</strong> dass der Trauminhalt Erwachsener über Jahre <strong>und</strong> Jahrzehnte<br />
hinweg eine hohe Konsistenz aufweist.<br />
Demgegenüber stehen z.B. Hobson (1988, 1998; vgl. Vertes & Eastman, 2000) <strong>und</strong><br />
seine Kollegen, die der Überzeugung sind, dass Träume ausschließlich physiologi-<br />
schen Ursprungs sind (siehe Kapitel 4.2.2). Der Nobelpreisträger Crick <strong>und</strong> sein Kol-<br />
lege Mitchison (1983) vertreten eine ähnliche Meinung, die den oben beschriebenen<br />
Lerntheorien des REM-Schlafes völlig entgegengesetzt ist. So gehen sie davon aus,<br />
dass wir träumen, um zu vergessen. Sie sind der Ansicht, dass während des REM-<br />
Schlafes, in dem bekanntermaßen Träume am häufigsten auftreten, irrelevante Ge-<br />
dächtnisspuren entfernt werden. Sinnlose Verbindungen, die tagsüber geknüpft wur-<br />
den, werden auf diese Weise wieder gelöscht <strong>und</strong> das Gehirn so von unnötigem Bal-<br />
last befreit. Dies stellt gewissermaßen einen Schutzmechanismus dar, der verhindern<br />
soll, dass unser Gehirn mit unerwünschten <strong>und</strong> unnötigen Informationen überlastet<br />
wird, während wichtige Informationen darin untergehen. Auch die Tatsache, dass es<br />
uns so schwer fällt, uns an unsere Träume zu erinnern, bestätigt die Autoren in ihrer<br />
Vermutung, „dass das Träumen eher dem Löschen als dem Verstärken bestimmter<br />
Gedächtnisinhalte dient“ (Hobson, 1990, S.203). 52<br />
Stickgold et al. (2001) weisen auf die möglichen Unterschiede in den Funktionen der<br />
verschiedenen Traumarten hin. So scheinen Träume der hypnagogen Phase <strong>und</strong> der<br />
Non-REM-Phasen, denen im Gegensatz zu REM-Träumen meist der typische bizarre<br />
Charakter fehlt, weitaus häufiger Elemente aus dem Wachleben zu enthalten, die<br />
51 Vgl. <strong>Freud</strong>s (1900) Annahme vom Traum als „sinnvolles psychisches Gebilde (...), welches an<br />
angebbarer Stelle in das seelische Treiben des Wachens einzureihen ist“ (S.29).<br />
52 Allerdings wird meiner Meinung nach auch hier die Trennung zwischen REM-Schlaf <strong>und</strong> Träumen<br />
nicht sehr sauber vollzogen.<br />
72
4. Neurowissenschaftliche Traumtheorie<br />
wiederum oftmals mit Erinnerungen an vergangene Ereignisse assoziiert werden.<br />
Auch wenn Emotionen eine wichtige Rolle bei der Auswahl der Erinnerungen, die in<br />
die Non-REM-Träume miteingehen spielen, haben Träume dieser Phase an sich ei-<br />
nen sehr geringen emotionalen Inhalt (Emberger, 2001; vgl. Stickgold et al., 2001).<br />
Damit unterscheiden sie sich in einem weiteren wesentlichen Punkt von den REM-<br />
Träumen, deren Inhalt oft hoch emotional ist.<br />
Entgegen der Theorie, dass Träume lediglich ein Nebenprodukt des REM-Schlafes<br />
darstellen, ohne dabei eine ersichtliche Funktion zu erfüllen, geht Revonsuo (2000)<br />
davon aus, dass die Aufgabe des Träumens darin besteht, bedrohliche Ereignisse zu<br />
simulieren, um so die Wahrnehmung <strong>und</strong> die Vermeidung von Gefahren zu üben. Er<br />
erklärt dies aus einer evolutionstheoretischen Perspektive heraus, wonach Träume<br />
stets einen bestimmten Sinn gehabt haben müssen, um sich bis heute durchsetzten zu<br />
können. Dieser Sinn besteht seiner Ansicht nach schon seit jeher darin, bedrohliche<br />
Ereignisse aus dem Wachleben im Traum wieder <strong>und</strong> wieder zu reproduzieren, um<br />
auf diese Weise effektive Fähigkeiten zur Abwendung von Gefahren zu entwickeln.<br />
Wie ersichtlich wird, kann die Frage nach der Funktion von Träumen aus neurowis-<br />
senschaftlicher Sicht bis heute nicht eindeutig beantwortet werden. Zwar gibt es ei-<br />
nige Theorien <strong>und</strong> Hypothesen, allerdings liefert keine eindeutige <strong>und</strong> unwiderlegba-<br />
re Antworten. Dies hat vermutlich verschiedene Gründe <strong>und</strong> könnte u.a. mit der Tat-<br />
sache zusammen hängen, dass auch heute noch REM-Schlaf <strong>und</strong> Träume oftmals<br />
gleichgesetzt werden. Darüber hinaus birgt die naturwissenschaftliche Beobachtung<br />
eines solch subjektiven Phänomens wie das des Träumens immense Schwierigkeiten<br />
in sich. Da es bisher aber weder Psychoanalyse noch Neurowissenschaften geschafft<br />
haben, allgemein akzeptierte Annahmen <strong>und</strong> Theorien zum Thema Träume zu lie-<br />
fern, macht es vielleicht Sinn zu untersuchen, inwieweit eine Verknüpfung der bei-<br />
den Richtungen fruchtbar ist. Wo weder die Hypothesen der einen, noch die der an-<br />
deren Seite befriedigende Antworten liefern, liegt der Schlüssel zu einer aufschluss-<br />
reicheren Betrachtungsweise vielleicht in der Synthese. Diese Synthese möchte ich<br />
im folgenden Kapitel wagen.<br />
73
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -<br />
Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
Im Folgenden möchte ich aufzeigen, inwieweit die, auf den ersten Blick sehr ver-<br />
schiedenen Annahmen <strong>und</strong> Hypothesen der psychoanalytischen Traumtheorie <strong>und</strong><br />
der neurowissenschaftlichen Traumforschung eventuell miteinander vereinbar sind.<br />
<strong>Freud</strong>s ursprüngliches Vorhaben, seine psychoanalytischen Theorien auf ein neuro-<br />
physiologischen F<strong>und</strong>ament zu stellen, wurde lange Zeit aus den Augen verloren.<br />
Erst seit kurzem besinnen sich einige Forscher auf den gemeinsamen Ursprung dieser<br />
beiden Disziplinen. Aus diesem Gr<strong>und</strong> gehe ich in diesem Kapitel zunächst etwas<br />
ausführlicher auf die Umstände ein, unter denen <strong>Freud</strong> vor mehr als h<strong>und</strong>ert Jahren<br />
von den Neurowissenschaften zur Psychoanalyse wechselte. Im Anschluss daran<br />
werde ich anhand des Zustands-Wechsel-Modells von Koukkou <strong>und</strong> Lehmann<br />
(1983) einen ersten Versuch darstellen, psychologische <strong>und</strong> psychophysische Traum-<br />
theorien miteinander zu vereinbaren. Am etwas aktuelleren Modell der Traumentste-<br />
hung von Solms (1995, 1997, 2000) <strong>und</strong> Kaplan-Solms <strong>und</strong> Solms (2003) zeige ich<br />
anschließend weitere Möglichkeiten auf, wie psychoanalytische <strong>und</strong> neurowissen-<br />
schaftliche Erkenntnisse einander ergänzen können.<br />
5.1. <strong>Freud</strong>s Wandel von den Neurowissenschaften zur<br />
Psychoanalyse<br />
Wie in der Einleitung bereits angedeutet, denkt <strong>Freud</strong> schon vor gut einem Jahrhun-<br />
dert bei der Entwicklung der Psychoanalyse als völlig neuer Wissenschaft an eine<br />
Verbindung dieser Disziplin mit den Neurowissenschaften. Dieses Vorhaben wird<br />
nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass die Psychoanalyse quasi aus den Neuro-<br />
wissenschaften, bzw. der Neuropsychologie heraus entstanden ist <strong>und</strong> dort ihre Wur-<br />
zeln hat.<br />
Seit Beginn seiner Ausbildung im Jahre 1880 ist <strong>Freud</strong> bereits mehrere Jahre in sei-<br />
ner Funktion als Neurologe tätig, als es zu einem entscheidenden Wandel in seiner<br />
wissenschaftlichen Laufbahn kommt. Dieser Wandel findet seinen Höhepunkt zwi-<br />
schen den Jahren 1895-1900, die den Beginn der Psychoanalyse markieren. Seine<br />
Erkenntnisse über die menschliche Psyche ziehen ihn derartig in den Bann, dass er<br />
74
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
sich voll <strong>und</strong> ganz seiner neu entwickelten geisteswissenschaftlichen Methode zu<br />
<strong>und</strong> gleichzeitig von seinen bisherigen neurowissenschaftlichen Forschungen ab<br />
wendet. Gründe <strong>für</strong> diesen Wandel gibt es sicher zahlreiche:<br />
<strong>Freud</strong> ist anfangs ein großer Kenner <strong>und</strong> Wertschätzer der unter Kapitel 4.2.4 <strong>und</strong><br />
4.3.1 beschriebenen Methode der klinisch-anatomischen Korrelation. Er entwickelt<br />
sich als wahrer Experte darin, anhand klinischer Syndrome auf die Art <strong>und</strong> Lokalisa-<br />
tion der dahinter stehenden Schädigungen bestimmter Gehirnareale zu schließen. In<br />
diesem Zusammenhang stellt sich bald heraus, „dass neurologische Störungen den<br />
Patienten in seiner Persönlichkeit verändern <strong>und</strong> demzufolge das Wesen des Men-<br />
schen irgendwo im Gehirngewebe abgebildet sein musste“ (Kaplan-Solms & Solms,<br />
2003, S.19; Hervorhebung v. Verf.). Demnach sollte theoretisch eine physiologische<br />
Lokalisation verschiedenster psychischer Funktion möglich sein 53 - eine Idee, <strong>für</strong> die<br />
sich <strong>Freud</strong> sehr schnell begeistert (Kaplan-Solms & Solms, 2003).<br />
Bereits Ende 1885 deutet sich ein erster Wandel an, als <strong>Freud</strong> von der stark anato-<br />
misch orientierten deutschen Schule unter Helmholtz <strong>und</strong> Meynert zu der eher kli-<br />
nisch ausgerichteten französischen Schule an der berühmten Salpêtière unter der Lei-<br />
tung von Charcot wechselt. Ein Gr<strong>und</strong> <strong>für</strong> diesen Wechsel ist vermutlich <strong>Freud</strong>s ver-<br />
stärktes Interesse an den Neurosen, denen die deutsche Schule auf Gr<strong>und</strong> nicht vor-<br />
handener Gehirnläsionen ratlos gegenüberstand, während die klinische Methode der<br />
französischen Schule die Symptome lediglich zu beschreiben suchte. Zwar betonen<br />
Kaplan-Solms <strong>und</strong> Solms (2003), dass dieser „Loyalitätswechsel nicht mit dem<br />
Wechsel von der Neurologie zur <strong>Psychologie</strong> gleichzusetzen ist“ (S.25), aber den-<br />
noch könnte dies richtungsweisend <strong>für</strong> seine spätere Entwicklung sein.<br />
Mit der Zeit entwickelt <strong>Freud</strong> immer mehr seine eigenen, damals einzigartigen Vor-<br />
stellungen. Dabei distanziert er sich nach <strong>und</strong> nach von der Meinung Charcots, der<br />
sich mit der Beschreibung der Neurosen begnügt <strong>und</strong> auf eine Enthüllung der patho-<br />
logisch-anatomischen Zusammenhänge mittels verbesserter Techniken in der Zu-<br />
kunft hofft. <strong>Freud</strong> jedoch vermutet, dass die Aufklärung anatomischer Aspekte allein<br />
53 Wegweisend hier<strong>für</strong> waren die Beobachtungen des französischen Neurologen Broca in den 60er<br />
Jahren. Er fand heraus, dass die Schädigung eines bestimmten Gehirnabschnittes (‚Broca-Areal’) zu<br />
einer Störung der Sprechfähigkeit führt (motorische Aphasie). Mit Hilfe der klinisch-anatomischen<br />
Methode konnte somit erstmals der ‚Sitz’ einer bekannten mentalen Funktion im Gehirn abgebildet<br />
werden. Einige Jahre später demonstrierte der deutsche Neurologe Wernicke, dass Schädigungen in<br />
einem anderen Areal (‚Wernicke-Areal’) zum Verlust des Sprachverständnisses führen (sensorische<br />
oder rezeptive Aphasie).<br />
75
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
nicht ausreichen würde, um die Neurosen vollständig erklären zu können. Statt des-<br />
sen betont er, „dass die Läsion bei den hysterischen Lähmungen ganz <strong>und</strong> gar unab-<br />
hängig von der Anatomie des Nervensystems sein muss, denn die Hysterie benimmt<br />
sich in ihren Lähmungen <strong>und</strong> anderen Manifestationen, als ob es die Anatomie nicht<br />
gäbe oder als ob sie keinerlei Kenntnis derselben hätte“ (<strong>Freud</strong>, 1893; zitiert nach<br />
Kaplan-Solms & Solms, 2003, S.26). Indem er die Hysterie als psychische Störung<br />
<strong>und</strong> „ihre physiologischen Korrelate als zwischen den anatomischen Elementen des<br />
Nervensystems existierende ‚Assoziationen’“ (Kaplan-Solms & Solms, 2003, S.26;<br />
Hervorhebung v. Verf.) versteht, vertritt <strong>Freud</strong> einen völlig neuen Standpunkt. Er<br />
betont dabei die dynamischen Prozesse, gestützt durch die Beobachtung, dass Läsio-<br />
nen bestimmter Gehirnareale nicht zum Totalausfall spezifischer psychischer Funkti-<br />
onen, sondern vielmehr zu einer Veränderung bzw. Verzerrung derselben führt. Dar-<br />
aus folgt, dass nicht ein bestimmtes Areal eine bestimmte mentale Funktion abbildet,<br />
sondern dass es eine Art Wechselwirkung zwischen verschiedenen Gehirnregionen<br />
zu geben scheint. <strong>Freud</strong> schließt daraus, „dass psychische Funktionen über eine inne-<br />
re komplexe Organisation verfügen, die nach eigenen funktionellen Gesetzen ein<br />
kompliziertes Ganzes ergibt <strong>und</strong> aus einem vielfältigen Wechselspiel von Wirkfakto-<br />
ren besteht, dass sich zwischen seinen elementaren Komponenten vollzieht“ (Kap-<br />
lan-Solms & Solms, 2003, S.27). Mit der Behauptung, dass psychische Funktionen<br />
innerhalb eines dynamischen Systems <strong>und</strong> nicht durch streng festgelegte anatomische<br />
Orte im Gehirn abgebildet sind 54 , widersetzt sich <strong>Freud</strong> der damals vorherrschenden<br />
Meinung. Damit hat er interessanterweise schon vor mehr als h<strong>und</strong>ert Jahren geahnt,<br />
was heute als selbstverständlich angesehen wird, da man längst den Versuch, psychi-<br />
sche Funktionen (wie z.B. das Gedächtnis) eng umgrenzten Gehirnarealen zuzuord-<br />
nen, zu Gunsten einer dynamisch orientierten Theorie mehrerer beteiligter Hirnregi-<br />
onen aufgegeben hat.<br />
Da es zu der damaligen Zeit <strong>Freud</strong>s Ansicht nach noch nicht möglich ist, komplexe<br />
<strong>und</strong> dynamische psychische Funktionen innerhalb des Gehirns zu lokalisieren 55 , ver-<br />
zichtet er mit der Zeit immer mehr auf den Versuch einer anatomischen Zuordnung<br />
54 Vgl. <strong>Freud</strong>s Ansicht, dass „Vorstellungen, Gedanken, psychische Gebilde im allgemeinen überhaupt<br />
nicht in organischen Elementen des Nervensystems lokalisiert werden dürfen, sondern sozusagen<br />
zwischen ihnen“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.579; Hervorhebung v. Verf.).<br />
55 Dies sollte erst nach <strong>Freud</strong>s Tod mit Lurijas Methode der ‚dynamischen Lokalisation’ möglich<br />
werden (siehe Kapitel 4.3.1).<br />
76
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
klinischer Syndrome, bis er sich letztlich ausschließlich der Psychoanalyse widmet.<br />
Hier markiert die 1900 erschienene ‚Traumdeutung’ den entscheidenden Wende-<br />
punkt. Trotzdem - <strong>und</strong> das ist der wesentliche Punkt - negiert er keinesfalls die ana-<br />
tomischen <strong>und</strong> physiologischen Aspekte psychischer Störungen. Er widerspricht le-<br />
diglich der Behauptung, dass komplexe kognitive Prozesse innerhalb einzelner um-<br />
schriebener Gehirnarealen lokalisiert werden können. Zwar widmet er von nun an<br />
seine volle Aufmerksamkeit der psychoanalytischen Theorie, aber dies bedeutet<br />
nicht, dass er nicht weiter an eine physiologische F<strong>und</strong>ierung seiner aufgestellten<br />
Hypothesen glaubt. Aufgr<strong>und</strong> methodischer Grenzen <strong>und</strong> aus Mangel an neurowis-<br />
senschaftlichen Erkenntnissen zu seiner Zeit, vor allem bezüglich der Lokalisation<br />
dynamischer Prozesse, erwartet er lediglich zum damaligen Zeitpunkt nicht, anato-<br />
misch-physiologische Unterstützung seiner Theorien zu erfahren. Statt dessen hofft<br />
er darauf, dass dies zukünftig einmal möglich sein wird. 56<br />
Nach Ansicht von Solms, kann die bisher kaum statt gef<strong>und</strong>ene Annährung der bei-<br />
den Disziplinen hauptsächlich auf das Fehlen einer geeigneten Methode, mit der die<br />
klinischen Ergebnisse der Psychoanalyse mit den Resultaten der neurowissenschaft-<br />
lichen Untersuchungen verb<strong>und</strong>en werden können, zurück geführt werden. Um hier<br />
Abhilfe zu schaffen bedient er sich der unter 4.3.1 beschriebenen, von Lurija modifi-<br />
zierten Variante der klinisch-anatomischen Korrelation, um so auch die Lokalisation<br />
dynamischer Prozesse möglich zu machen. Mit Hilfe dieser Methode scheint nun<br />
endlich der seit jeher von <strong>Freud</strong> gehegte Wunsch in Erfüllung zu gehen, die neurolo-<br />
gische Organisation jener Funktionen <strong>und</strong> Prozesse aufzuspüren, die <strong>für</strong> die Psycho-<br />
analyse wesentlich sind.<br />
Hiermit wird deutlich, wie eng Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften ursprüng-<br />
lich miteinander verknüpft waren <strong>und</strong> das erst im Laufe der Jahrzehnte eine stetige<br />
Auseinanderbewegung eingesetzt hat, die zu zwei scheinbar völlig gegensätzlichen<br />
Disziplinen geführt hat. Umso erstrebenswerter erscheint das Vorhaben, den Versuch<br />
einer Annäherung zu unternehmen <strong>und</strong> damit <strong>Freud</strong>s inzwischen h<strong>und</strong>ertjährigen<br />
Traum einer Reintegration ein Stück näher zu kommen. Neben Solms (1995, 1998,<br />
2000) <strong>und</strong> Kaplan-Solms <strong>und</strong> Solms (2003) sind es dabei vor allem Koukkou <strong>und</strong><br />
56 Vgl.: „Das Lehrgebäude der Psychoanalyse, das wir geschaffen haben, ist in Wirklichkeit ein Überbau,<br />
der irgendeinmal auf sein organisches F<strong>und</strong>ament aufgesetzt werden soll; aber wir kennen dieses<br />
noch nicht“ (<strong>Freud</strong>, 1916-1917, S.377).<br />
77
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
Lehmann (1983, 1995), die sich bereits seit 20 Jahren um eine Synthese hirnphysio-<br />
logischer <strong>und</strong> psychoanalytischer Erkenntnisse bemühen. Bei der Darstellung dieser<br />
beiden, in erster Linie neurophysiologisch bzw. neuroanatomisch orientierten Theo-<br />
rien werden die jeweiligen Implikationen <strong>für</strong> die Psychoanalyse in kursiver Schrift an<br />
entsprechender Stelle kenntlich gemacht.<br />
5.2. Das Zustands-Wechsel-Modell nach Koukkou <strong>und</strong><br />
Lehmann<br />
Koukkou <strong>und</strong> Lehmann (Koukkou-Lehmann, 1995; Koukkou & Lehmann, 1983;<br />
Lehmann & Koukkou, 1983) legen auf der Gr<strong>und</strong>lage ihrer langjährigen Forschun-<br />
gen ein „neuro-psycho-physiologisches Modell der Traumentstehung“ (Lehmann &<br />
Koukkou, 1983, S.54) vor. Dieses Modell stellt einen, meiner Ansicht nach sehr er-<br />
wähnenswerten Versuch dar, die Ergebnisse aus psychologischer <strong>und</strong> physiologi-<br />
scher Schlaf- <strong>und</strong> Traumforschung miteinander in Einklang zu bringen. Kernstück ist<br />
die Vermutung, dass der Traum das Ergebnis eines spezifischen funktionellen Zu-<br />
standes des Gehirns während des Schlafes <strong>und</strong> den damit verb<strong>und</strong>enen spezifischen<br />
Informationsverarbeitungsprozessen darstellt.<br />
Die Autoren gehen davon aus, dass es eine Reihe unterschiedlicher funktionaler Zu-<br />
stände des Gehirns gibt, die jeweils <strong>für</strong> einen anderen Modus der Informationsverar-<br />
beitung zuständig sind <strong>und</strong> <strong>für</strong> die jeweils ein besonderer Gedächtnisspeicher exis-<br />
tiert. Sie vermuten weiterhin, dass neue Information direkt in dem zustandszugehöri-<br />
gen Gedächtnisspeicher abgelegt wird. Optimalerweise erfolgt auch der erneute Ab-<br />
ruf aus dem entsprechenden funktionellen Zustand, wobei jeweils auch jenes Materi-<br />
al abgerufen werden kann, welches in höher organisierten funktionellen Zuständen<br />
des Gehirns gespeichert worden ist, nicht aber jenes aus niederen Zuständen (Asym-<br />
metrie der Gedächtnisfunktionen). Somit erlaubt bzw. beschränkt ein bestimmter<br />
funktioneller Zustand den Zugriff auf bestimmtes Material.<br />
Der funktionelle Zustand unseres Gehirns ändert sich im Laufe eines Tages häufig,<br />
was gemäß dem oben beschriebenen Modell dazu führt, dass z.B. Informationen, die<br />
morgens gelernt werden, abends schwieriger wieder abzurufen sind, als am folgen-<br />
den Morgen (gleicher funktioneller Zustand). Auch während des Schlafes durchlau-<br />
fen wir verschiedene funktionelle Hirnzustände, die mit Hilfe des EEGs registriert<br />
78
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
werden können (siehe Kapitel 4.1.2). 57 Da das EEG während der REM-Schlafphasen<br />
dem Wachzustand mehr gleicht als das des Non-REM-Schlafes, können Träume<br />
nach Weckungen aus REM-Schlafphasen am besten erinnert werden. Interessanter-<br />
weise können auch im Non-REM-Schlaf mehr Träume erinnert werden, wenn das<br />
EEG „vor der Weckung wachheitsnäher war“ (Koukkou & Lehmann, 1983, S.56).<br />
Auch dies stützt die Vermutung, dass Gelerntes am besten dann wieder reproduziert<br />
wird, wenn sich das Gehirn beim Abruf in einem gleichen oder ähnlichen funktionel-<br />
len Zustand befindet, wie beim Erlernen (‚Zustandsabhängigkeit’).<br />
Koukkou <strong>und</strong> Lehmann (1983) weisen darauf hin, dass sowohl die Wellenfrequenz<br />
des EEGs als auch die Ausbildung differenzierter kognitiver Strategien im Laufe der<br />
Entwicklung zunimmt. So weist das Auftreten vornehmlich langsamer Wellen im<br />
EEG auf relativ einfache funktionelle Zustände hin. Sie treten z.B. bei Müdigkeit,<br />
z.T. während des Schlafes <strong>und</strong> bei Kindern auf. Die Autoren vermuten, dass es wäh-<br />
rend des Schlafes zu einer Art physiologischer Regression auf einfachere funktionel-<br />
le Zustände kommt, die denen früherer Entwicklungsstufen ähneln. Durch das zeit-<br />
weise Zurückfallen auf niedere funktionelle Hirnzustände wird der Weg zu jenen<br />
Gedächtnisspeichern frei, die frühe Erinnerungen <strong>und</strong> Denkstrategien enthalten. So-<br />
mit kommt es zu Zuständen, in denen ältere Erinnerungen <strong>und</strong> kognitive Strategien<br />
mit neuen Erfahrungen verknüpft <strong>und</strong> die Gedächtnisspeicher der Kindheit wieder<br />
zugänglich gemacht werden können.<br />
Damit gehören die Autoren zu den ersten naturwissenschaftlich orientierten Traum-<br />
forschern, die ein neurowissenschaftliches Äquivalent zur <strong>Freud</strong>schen Regression<br />
anbieten. Ihre Vorstellung von einer ‚physiologischen Regression’ auf frühe, infanti-<br />
le funktionelle Hirnzustände ähnelt stark dem Konzept der Regression nach <strong>Freud</strong>,<br />
wonach der Schläfer während des Traumes auf frühkindliche Entwicklungsstufen<br />
regrediert (siehe Kapitel 3.1.1). Dass dabei der Zugriff auf unbewusstes, verdrängtes<br />
Material möglich wird, welches dann Richtung Bewusstsein drängt, erklärt dieses<br />
Modell damit, dass nun auch die Gedächtnisspeicher der Kindheit wieder zugänglich<br />
werden, während der Zugang zu ihnen im Wachzustand meist längst verschüttet ist.<br />
57 Tatsächlich scheint ein einzelner dieser Hirnzustände jeweils <strong>nur</strong> einige Sek<strong>und</strong>en anzuhalten, so<br />
dass es zu „fortwährenden Fluktuationen des funktionellen Zustandes“ (Koukkou & Lehmann, 1983,<br />
S.59) kommt.<br />
79
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
Die Autoren erklären die vielfältigen Traum-Charakteristika (Bizarrheit, Diskontinu-<br />
ität etc.) durch „die wiederholte Veränderung des funktionellen Zustands <strong>und</strong> die<br />
damit bewirkte Verkettung von Gedanken, die aus verschiedenen zustandszugehöri-<br />
gen Denkstrategien <strong>und</strong> jeweils zugänglichen Gedächtnisspeicherplätzen resultiert“<br />
(Koukkou & Lehmann, 1983, S.63).<br />
Durch den steten Wechsel unterschiedlicher funktioneller Hirnzustände <strong>und</strong> den je-<br />
weils begrenzen Zugriff auf bestimmte Gedächtnisspeicher <strong>und</strong> kognitive Strategien<br />
wird Material verschoben, verdichtet, bekommt eine neue Bedeutung, wird unver-<br />
ständlich, bizarr, losgelöst von seinem Kontext <strong>und</strong> verknüpft sich mit anderem Ma-<br />
terial. Dieser physiologische Wechsel entspricht nach Ansicht der Autoren den psy-<br />
chologischen Mechanismen der Verdichtung, Verschiebung, Symbolbildung etc., kurz<br />
- der Traumarbeit.<br />
Parallel dazu bewirkt eine Veränderung in Richtung höher organisierte funktionelle<br />
Hirnzustände (was u.a. immer dann geschieht, wenn die zu verarbeitenden Informa-<br />
tionen <strong>für</strong> die Person neu <strong>und</strong> alarmierend sind), dass der Zugang zu den niederen<br />
Gedächtnisspeichern versperrt wird. Dadurch wird es unmöglich, dass „die endgülti-<br />
ge kognitive Interpretation der Information das gesamte Kontextmaterial berücksich-<br />
tigen kann, das ursprünglich entscheidend <strong>für</strong> die alarmierenden Eigenschaften der<br />
Information verantwortlich war“ (Koukkou & Lehmann, 1983, S.64).<br />
Genau diesen Ablauf setzten Koukkou <strong>und</strong> Lehmann in enge Verbindung mit den<br />
Mechanismen der Verdrängung <strong>und</strong> des Vergessens - also mit der <strong>Freud</strong>schen Vor-<br />
stellung der Zensur. Die Zensur verhindert den vollen Zugriff <strong>und</strong> das Bewusstwer-<br />
den verdrängten Materials, was im Zustands-Wechsel-Modell durch die oben be-<br />
schriebene Asymmetrie der Gedächtnisfunktionen gewährleistet wird. Sie verhindert,<br />
dass von einem bestimmten funktionellen Zustand aus Material, das in niederen Sys-<br />
temen gespeichert ist, zugänglich wird.<br />
Auch die Schwierigkeiten, sich nach dem Aufwachen an seine Träume zu erinnern,<br />
erklärt das Modell mit der Tatsache, dass sich unser Gehirn in zu verschiedenen<br />
funktionellen Zuständen befindet. Dabei gilt, dass die Erinnerung um so leichter fällt,<br />
je näher sich der Zustand kurz vor dem Erwachen dem des Wachzustandes angenä-<br />
hert hat. Auch auf die Frage nach der Funktion des Träumens bietet diese Theorie<br />
eine Antwort: Träumen ist wichtig, um erneuten Zugang zu dem in frühen Entwick-<br />
80
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
lungsphasen gesammelten Wissen zu erlangen <strong>und</strong> so früher gespeicherte Informati-<br />
onen <strong>und</strong> Erinnerungen „unter Berücksichtigung neu aufgenommener Information in<br />
Speicherplätze zu bringen, die von der Wachheit aus zumindest teilweise zugänglich<br />
<strong>und</strong> somit <strong>für</strong> das bewusste Wachleben nutzbar sind“ (Koukkou & Lehmann, 1983,<br />
S.64). Auf diese Weise werden alte Informationen mit neuen verknüpft <strong>und</strong> integriert<br />
<strong>und</strong> das bestehende Wissen reorganisiert. Mit dieser Theorie einer adaptiven Funkti-<br />
on des Träumens stehen die Autoren nicht alleine da (siehe Kapitel 3.3.5).<br />
Dieses Modell versucht meiner Ansicht nach auf eine bemerkenswerte Weise, phy-<br />
siologische Daten mit psychologischen Erfahrungen in Einklang zu bringen <strong>und</strong> bie-<br />
tet so mögliche Erklärungen <strong>für</strong> psychoanalytische Konzepte wie Regression,<br />
Traumarbeit oder Zensur. Auch auf die Frage, warum es uns so schwer fällt, uns im<br />
Wachleben an unsere Träume zu erinnern, liefert die Theorie eine plausible Antwort.<br />
Neben den Forschungen von Solms scheint mir dieses Modell ebenfalls ein Meilen-<br />
stein auf dem Weg, Hirnforschung <strong>und</strong> Psychoanalyse miteinander zu verbinden, zu<br />
sein.<br />
5.3. Der dynamische Traumprozess nach Solms <strong>und</strong> seine<br />
Implikationen <strong>für</strong> die Psychoanalyse<br />
Im Folgenden knüpfe ich an die unter 4.3.1 bereits beschriebenen Ergebnisse von<br />
Solms <strong>und</strong> Kaplan-Solms <strong>und</strong> Solms an <strong>und</strong> lege ihre neurodynamische Theorie des<br />
Traumprozesses dar. Auch hierbei ergeben sich - wie beim Zustands-Wechsel-<br />
Modell - oftmals interessante Querverbindungen zur psychoanalytischen Theorie, auf<br />
die ich (in den kursiven Abschnitten) jeweils genauer eingehen werde. So wird mei-<br />
ner Ansicht nach deutlich, dass sich ein neuroanatomisch <strong>und</strong> neurophysiologisch<br />
orientiertes Modell der Traumentstehung zumindest teilweise mit den psychoanalyti-<br />
schen Annahmen <strong>Freud</strong>s verbinden lässt.<br />
Solms (1995, 1997, 1998, 2000) <strong>und</strong> Kaplan-Solms <strong>und</strong> Solms (2003) stellen anhand<br />
der Ergebnisse ihrer jahrelangen Forschungsarbeit Vermutungen über die funktionel-<br />
le Anatomie des Träumens <strong>und</strong> den dabei ablaufenden neurodynamischen Prozess<br />
an, an dem alle sechs der unter 4.3.1 erwähnten <strong>und</strong> in Abbildung 4 dargestellten<br />
Gehirnstrukturen beteiligt zu sein scheinen: der linke (A) <strong>und</strong> der rechte (B) inferiore<br />
Parietallappen, der tiefgelegene ventromesiale Frontalbereich (C), der ventromesiale<br />
81
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
Temporal- <strong>und</strong> Okzipitallappen (D), sowie der frontale (E) <strong>und</strong> der temporale (F)<br />
Anteil des limbischen Systems. Aber auch wenn verschiedene am Traumprozess be-<br />
teiligte Faktoren <strong>und</strong> Areale identifiziert werden konnten, bedeutet dies nicht, dass<br />
die einzelnen Funktionen innerhalb dieser Hirnregionen lokalisiert werden können.<br />
Wie schon erwähnt <strong>und</strong> auch von <strong>Freud</strong> ausdrücklich betont, handelt es sich statt<br />
dessen um einen dynamischen Prozess, der sich zwischen den einzelnen Komponen-<br />
ten eines großen Ganzen entfaltet. Bezüglich dieser Dynamik des Traumvorganges<br />
entwickeln die Autoren folgende Vorstellung: 58<br />
Am Anfang des Traumprozesse steht ein bestimmter Reiz, der eine Aktivierungsre-<br />
aktion (Arousal) zur Folge hat. Diese gesteigerte cerebrale Aktivierung des Gehirns<br />
kann verschiedene Auslöser haben - der wohl bekannteste ist der im 90-minütigen<br />
Rhythmus auftretende, durch spezifische physiologische Hirnstamm-Mechanismen<br />
(G) ausgelöste REM-Zustand (siehe Kapitel 4.2.1), während dem das Gehirn hoch<br />
aktiv ist. Darüber hinaus scheinen Traumberichte aber auch mit bestimmten Non-<br />
REM-Phasen zu korrelieren, z.B. mit dem absteigenden Stadium 1 (Einschlafphase)<br />
<strong>und</strong> der frühen Morgenphase. Auch bei diesen Phasen, die den Übergang zwischen<br />
Wachen <strong>und</strong> Schlafen markieren, handelt es sich um Phasen gesteigerter Aktivie-<br />
rung. Ein weiterer Zustand, in dem es vermehrt zu Traumberichten kommt, ist die<br />
unter 4.3.1 beschriebene cerebrale Krampfaktivität in temporal-limbischen Arealen<br />
(F). Da es sich hierbei jedoch um eine Art pathologische Form gesteigerter Hirn-<br />
Aktivierung während des Schlafes handelt, führt dies vor allem zu Angst- <strong>und</strong> Alp-<br />
träumen (Solms, 1998). Auch die Beobachtung, dass stimulierende Medikamente,<br />
inklusive cholinerger <strong>und</strong> dopaminerger Wirkstoffe, Träume künstlich anregen kön-<br />
nen, deutet nach Ansicht der Autoren darauf hin, dass ein gewisser Aktivierungszu-<br />
stand des Gehirns Voraussetzung <strong>für</strong> die Initiierung des Traumprozesses ist (Solms,<br />
2000). 59 Hierbei wird deutlich, dass der REM-Schlaf lediglich einen von vielen mög-<br />
lichen Arousal-Zuständen darstellt, die den Traumprozess auszulösen fähig sind.<br />
Theoretisch kann „jegliche Stimulation des schlafenden Gehirns einen möglichen<br />
58 Solms (1997) betont ausdrücklich, dass es sich hierbei lediglich um ein spekulatives Modell handelt,<br />
welches versucht, die Ergebnisse klinisch-anatomischer Studien mit bereits vorhandenem Wissen<br />
zu integrieren.<br />
59 Dabei ist es von besonderem Interesse, dass dopaminerge Wirkstoffe zwar Einfluss auf Intensität,<br />
Dauer <strong>und</strong> Frequenz des Träumens haben, der REM-Schlaf davon jedoch gänzlich unbeeinflusst bleibt<br />
(Hartmann et al., 1980; vgl. Solms, 2000). Dies spricht <strong>für</strong> die unter 4.2.4 bereits aufgestellt Hypothese,<br />
das REM-Schlaf durch einen cholinergen <strong>und</strong> Träumen durch einen dopaminergen Mechanismus<br />
kontrolliert werden.<br />
82
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
Auslöser <strong>für</strong> den Traumprozess darstellen“ (Kaplan-Solms & Solms, 2003, S.54;<br />
Hervorhebung v. Verf.).<br />
Die bloße Aktivierung des Gehirns reicht jedoch nicht aus, um den Traumprozess in<br />
Gang zu setzen. Erst wenn der auslösende Reiz bzw. das Erregungsniveau intensiv<br />
genug ist, das unter 4.2.4 <strong>und</strong> 4.3.1 beschriebene dopaminerge Motivationssystem<br />
innerhalb der tiefergelegenen ventromesialen Frontallappen (C) zu aktivieren, sind<br />
die Voraussetzungen zur Bildung eines Traumes gegeben. 60<br />
Dass dieser Bereich eine so wesentliche Rolle zu spielen scheint, ist interessant. Aber<br />
worum genau handelt es sich bei diesem Faserzug innerhalb der Frontallappen? Die<br />
Funktion dieser Region scheint vor allem eine motivationale zu sein (siehe Kapitel<br />
4.3.1). Panksepp vermutet, dass dieses System „zielgerichtete Verhaltensweisen <strong>und</strong><br />
Appetenzinteraktionen eines Organismus mit der Umwelt“ (Panksepp, 1985, zitiert<br />
nach Kaplan-Solms & Solms, 2003, S.57) auslöst. Das bedeutet, dass der Mensch<br />
über diese dopaminerge Bahn dazu motiviert wird, äußere Objekte zur Befriedigung<br />
seiner inneren Bedürfnisse aufzuspüren <strong>und</strong> mit ihnen zu interagieren. 61 Eine ähnli-<br />
che Tendenz findet sich auch in der <strong>Freud</strong>schen Traumtheorie wieder. So ist er der<br />
Ansicht, dass diese unbewusste Suche nach einem Objekt zur Erregungsabfuhr eine<br />
primäre Triebkraft der Träume darstellt. Schäden innerhalb dieser Bahn führen ne-<br />
ben einem totalen Ausfall der Traumaktivität außerdem zu Störungen, die durch<br />
vermindertes Interesse, Initiative, Imagination <strong>und</strong> eine verminderte Fähigkeit zur<br />
Vorausplanung gekennzeichnet sind (Panksepp, 1985; vgl. Solms, 2000; siehe<br />
Kapitel 4.3.1). Der Zusammenhang zwischen der Beschädigung dieser Bahn, einer<br />
Unterbrechung der Traumaktivität sowie der gleichzeitigen Verringerung eigenmoti-<br />
vierter Verhaltensweisen ist hoch interessant, da er darauf hindeutet, dass Träume<br />
tatsächlich „motivierte Phänomene <strong>und</strong> ihre Triebkraft Wünsche sind“ (Solms,<br />
1999a, S.111). Anrecht darauf verschafft die Tatsache, dass der cholinerge Mecha-<br />
60 Um es in aller Deutlichkeit zu sagen, scheint der spezifische (cholinerge / aminerge) Hirnstamm-<br />
Mechanismus, der den REM-Schlaf generiert, weder notwendig, noch ausreichend zu sein, um den<br />
Traumprozess zu initiieren. Im Übrigen erinnert diese Beobachtung stark an <strong>Freud</strong>s Analogie, der<br />
zufolge ein Traum erst dann entsteht, wenn sich der traumauslösende Reiz (der Unternehmer) mit<br />
einem unbewussten Wunsch (dem Kapitalisten) verbindet, um mit seiner Hilfe einen Traum auszulösen<br />
(<strong>Freud</strong>, 1900).<br />
61 Die Positiv-Symptomatik der Schizophrenie (die z.T. künstlich durch die Gabe von z.B. L-Dopa<br />
induziert werden kann) wird mit einer Überaktivität dieses Systems in Verbindung gebracht<br />
(Panksepp, 1998). Darüber hinaus wird es als primäre Wirkungsstätte antipsychotischer Medikation<br />
betrachtet.<br />
83
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
nismus, der die REM-Schlafphasen hervorruft, zwar als „motivational neutral“<br />
(McCarley & Hobson, 1977; zitiert nach Solms, 1999a, S.112) anzusehen ist, der<br />
dopaminerge Mechanismus, der <strong>für</strong> die Traumentstehung zuständig zu sein scheint,<br />
hingegen das eben beschriebene motivationale Steuerungssystem des Gehirns dar-<br />
stellt. Diese könnte darauf hindeuten, dass die Traumaktivität eng mit unseren in-<br />
nersten Motivationen verb<strong>und</strong>en ist <strong>und</strong> <strong>Freud</strong> mit seiner Wunscherfüllungs-<br />
Theorie des Traumes wohlmöglich gar nicht so Unrecht hatte.<br />
Da diese dopaminergen Vorderhirn-Kreisläufe <strong>für</strong> den Traumprozess von unerlässli-<br />
cher Bedeutung zu sein scheinen (bei Läsionen in diesem Bereich fällt das Träumen<br />
vollständig aus), vermutet Solms (2000), dass diese Kreisläufe den finalen gemein-<br />
samen Pfad darstellen, der von unterschiedlichen Formen cerebraler Aktivierung<br />
während des Schlafes (REM <strong>und</strong> Non-REM) zum Träumen führt. Wie oben bereits<br />
erwähnt, besteht die Aufgabe dieses Motivationssystems im Wachzustand darin, eine<br />
Handlung zu initiieren, die auf ein bestimmtes Ziel oder Interesse hin ausgerichtet<br />
ist. Jeglicher erregender Stimulus würde demnach in Richtung einer efferenten Ant-<br />
wort streben, also in Richtung der motorischen Systeme. Da die motorischen Output-<br />
Kanäle (H) während des Schlafes jedoch blockiert sind, kann die normalerweise<br />
stattfindende zielorientierte Handlung nicht ausgeführt werden. Laut Solms (1995)<br />
hat die bestehende Aktivierung nun zwei Möglichkeiten: entweder sie überwindet die<br />
inhibierten motorischen Systeme <strong>und</strong> resultiert doch in einer zielgerichteten Hand-<br />
lung, was dazu führen würde, dass der Schlaf gestört wird. Oder die Erregung schlägt<br />
(wohlmöglich um den Schlaf zu schützen?) einen rückläufigen Weg ein <strong>und</strong> bewegt<br />
sich von den motorischen Zentren weg in Richtung auf die posterioren Wahrneh-<br />
mungssysteme der parieto-okzipitalen Region (A, B <strong>und</strong> D) <strong>und</strong> resultiert in einer<br />
Halluzination. 62 Das bedeutet, dass „der Träumer im Schlaf <strong>nur</strong> in seiner Vorstellung<br />
<strong>und</strong> nicht in Wirklichkeit sich gemäß seinen Motiven handelnd betätigt (Solms,<br />
1999a, S.119; Hervorhebung v. Verf.).<br />
Die Beobachtung, dass die psychische Erregung einen rückläufigen Weg nimmt, er-<br />
innert sogleich an das <strong>Freud</strong>sche Konzept der Regression. In seiner Traumtheorie<br />
geht er - wie in Kapitel 3.1.1 beschrieben - davon aus, dass der Mensch während des<br />
Schlafes regrediert. Diese Regression findet seiner Ansicht nach innerhalb des psy-<br />
62 Exakt diese Vermutung äußerte <strong>Freud</strong> bereits vor mehr als h<strong>und</strong>ert Jahren (siehe Kapitel 3.1.2).<br />
84
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
chischen Apparates statt, indem die psychische Erregung (im Gegensatz zum Wach-<br />
zustand) vom motorischen zum sensorischen Ende läuft. Damit hat er vor mehr als<br />
h<strong>und</strong>ert Jahren schon genau das vermutet, was heute anhand neurowissenschaftli-<br />
cher Untersuchungen der Wahrnehmungsverarbeitung während des Träumens bestä-<br />
tigt werden kann.<br />
Wie bereits in Kapitel 4.3.1 angedeutet, scheinen auch die Schritte innerhalb der<br />
Wahrnehmungsverarbeitung während des Schlafes im Vergleich zum normalerweise<br />
ablaufenden Verarbeitungsprozess genau umgekehrt zu sein. Während im wachen<br />
Leben die Wahrnehmungsverarbeitung von der konkreten Wahrnehmung zur ab-<br />
strakten Symbol- <strong>und</strong> Begriffsbildung läuft, werden im Schlaf zunächst die höheren<br />
Ebenen der Wahrnehmungssysteme aktiviert, die <strong>für</strong> Gedächtnis <strong>und</strong> abstraktes Den-<br />
ken zuständig sind. Im Anschluss daran kommt es zu einer Aktivierung der niederen<br />
Systeme, die „<strong>für</strong> den konkreten Bildaufbau“ (Solms, 1999a, S.118) verantwortlich<br />
sind. Für diese Theorie spricht die Beobachtung, dass es bei Schädigungen im Be-<br />
reich der PTO-Kreuzung (höchste Ebene der Wahrnehmungsverarbeitung, Region A<br />
<strong>und</strong> B) zu einem totalen Ausfall des bewussten Traumerlebens kommt (siehe Kapitel<br />
4.2.4 <strong>und</strong> 4.3.1), während sich Schädigungen der niederen Ebene des visuellen Sys-<br />
tems (z.B. im Bereich des Okzipitallappens) <strong>nur</strong> auf die Endphase des Traumentste-<br />
hungsprozesses auswirken (Kerr et al. 1978, Sacks & Wasserman, 1987; vgl. Solms,<br />
1999a). Daraus lässt sich schließen, dass bei der Traumentstehung der Beitrag der<br />
höheren Ebenen dem der niederen Ebene zuvor kommt. Da im wachen Leben die<br />
Wahrnehmung gerade bei Schädigungen der untersten Ebenen ausfällt, handelt es<br />
sich demnach auch hier um einen der Reihenfolge im Wachleben entgegengesetzten<br />
regressiven Prozess, bei dem eine Information quasi innerhalb des Systems zurück<br />
projiziert wird (Kosslyn, 1994). Das würde bedeuten, dass beim Träumen „innerlich<br />
erzeugt Bilder rückwärts in die visuellen Rindenfelder übermittelt [werden], so als<br />
kämen sie von außen“ (Zeki, 1993; zitiert nach Solms 1999a, S.116). 63<br />
Wenn nun tatsächlich „Traumbilder über einen Prozess generiert werden, der die<br />
Umkehrung der normalen Abfolge von Schritten bei der Wahrnehmungsverarbeitung<br />
darstellt, so ergibt sich daraus die Vermutung, dass im Traum abstrakte Gedanken<br />
63 Dieser regressive Charakter des Traumprozesses konnte durch umfangreiche Forschungen zur visuellen<br />
Informationsverarbeitung sowie durch Patienten mit neurologischen Erkrankungen nachgewiesen<br />
werden (Solms, 1997).<br />
85
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
<strong>und</strong> Erinnerungen in konkrete Wahrnehmungen umgesetzt werden“ (Solms, 1999a,<br />
S.114-115). Dies erinnert wiederum stark an den Gedanken, den <strong>Freud</strong> bereits vor<br />
vielen Jahren hatte, als er schrieb: „Das Gefüge der Traumgedanken wird bei der<br />
Regression in sein Rohmaterial aufgelöst“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.519). Anders formuliert<br />
ging er davon aus, dass „sich im Traum die Vorstellung in das sinnliche Bild rück-<br />
verwandelt, aus dem sie irgendeinmal hervorgegangen ist“ (ebd.). Dementsprechend<br />
hat <strong>Freud</strong> seinerzeit bereits vermutet, dass sich die Abfolge der Schritte der Wahr-<br />
nehmungsverarbeitung während des Schlafes umkehrt.<br />
Dies bedeutet also, dass sich „der Fokus des nächtlichen Erregungsprozesses auf die<br />
posterioren Systeme des Gehirns, welche die Wahrnehmungsfunktionen steuern,<br />
sowie die auf Wahrnehmung beruhenden höheren räumlichen <strong>und</strong> symbolischen<br />
Operationen“ (Solms, 1999b, S.66) verschiebt. Hiermit spielt Solms auf die wichtige<br />
Bedeutung des linken inferioren Parietallappens (A, Symbolisierung), des rechten<br />
inferioren Parietallappens (B, räumliches Denken) <strong>und</strong> der ventromesialen Bereiche<br />
des Temporal- <strong>und</strong> Okzipitallappens (D, visuelle Bilder) an.<br />
Diese Beobachtung scheint wiederum in gewissem Einklang mit der <strong>Freud</strong>schen<br />
Vorstellung einer Regression innerhalb des psychischen Apparates zu stehen. Wie<br />
in Kapitel 4.3.2 beschrieben, kann die Stoffwechselaktivität des Gehirns im Wach-<br />
<strong>und</strong> im Schlafzustand mit Hilfe bildgebender Verfahren beobachtet werden. Interes-<br />
sant ist dabei vor allem, dass der dorsolaterale Frontalhirnbereich während des ge-<br />
samten Traumprozesses vollständig inaktiv ist. Dies ist insofern erstaunlich, als ge-<br />
rade dieser Bereich im Wachzustand äußerst aktiv ist <strong>und</strong> viele wichtige exekutive<br />
Funktionen, wie z.B. Handlungsplanung, Inhibition oder Problemlösen koordiniert.<br />
Dies <strong>und</strong> die oben beschriebene Tatsache, dass sich der Fokus des nächtlichen Erre-<br />
gungsprozesses auf eher posteriore, parieto-okzipitale Areale (Wahrnehmung <strong>und</strong><br />
Gedächtnis) verlagert, scheint die Vermutung Fechners, „der Schauplatz, auf dem<br />
sich die Träume (in der Seele) abspielen, sei ein anderer als der des wachen Vorstel-<br />
lungserlebens“ (1889; zitiert nach <strong>Freud</strong>, 1916-17, S.107), zu bestätigen. Im Wach-<br />
leben befindet sich dieser ‚Schauplatz’ im Bereich der dorsolateralen Frontalhirnre-<br />
gion (Schaltstelle zwischen Denken <strong>und</strong> Handeln), beim Träumen hingegen im weiter<br />
posterior gelegenen parieto-okzipitalen Bereich (Gedächtnis- <strong>und</strong> Wahrnehmungs-<br />
systeme; Region A, B <strong>und</strong> D). Deutlich wird dies außerdem durch die oben beschrie-<br />
bene Tatsache, dass das psychische Geschehen im Wachzustand normalerweise in<br />
86
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
Handeln mündet, während dies im Traum aufgr<strong>und</strong> der Blockierung sowohl der dor-<br />
solateralen Frontalhirnregion, die die Schaltstelle zu den motorischen Systemen bil-<br />
det, als auch der motorischen Outputkanäle, nicht möglich ist (Braun et al., 1997,<br />
1998). Der ‚Schauplatz’ verlagert sich also vom motorischen zum sensorischen En-<br />
de, entsprechend der <strong>Freud</strong>schen Vorstellung der Regression innerhalb des psychi-<br />
schen Apparates (siehe Kapitel 3.1.1).<br />
Da aber die reflexiven Systeme am frontalen Ende des limbischen Systems (E) wäh-<br />
rend des Schlafs inaktiv sind, nimmt der Träumer die imaginierten Traumbilder als<br />
reale Wahrnehmungen an (Solms, 1999a). 64 Die Tatsache, dass im Schlaf meist die<br />
zweite der oben genannten Möglichkeiten eintritt <strong>und</strong> der Schlaf fortgesetzt werden<br />
kann, schreibt Solms dem Einfluss des ventromesialen Frontallappenbereichs (C) zu,<br />
der vermutlich auch eine hemmende Funktion besitzt. So fungiert diese Region zu-<br />
sammen mit den frontalen limbischen Arealen (E) quasi als eine Art Kontrollmecha-<br />
nismus.<br />
Da diese Bereiche u.a. <strong>für</strong> die Affektregulation, Impulskontrolle <strong>und</strong> Realitätsprü-<br />
fung zuständig sind, könnte man vermuten, dass sie jene Aufgaben übernehmen, die<br />
<strong>Freud</strong> in seiner Traumtheorie der Zensur zuschreibt. Er ist der Ansicht, dass die<br />
Zensur das ungehinderte Durchdringen unbewusster Wünsche <strong>und</strong> verdrängter Er-<br />
innerungen zum Bewusstsein verhindert. Genau diese ‚Durchlass-Funktion’ scheinen<br />
die eben beschriebenen Regionen C <strong>und</strong> E zu besitzen, so dass Solms (2000) vermu-<br />
tet, dass sie zumindest mögliche Komponenten des <strong>Freud</strong>schen Konzepts der Zensur<br />
darstellen könnten.<br />
Solms (1995) geht demnach davon aus, dass appetitive subkortikale Impulse durch<br />
die oben beschriebenen Areale (C <strong>und</strong> E) zensiert <strong>und</strong> anschließend aus ‚Sicherheits-<br />
gründen’ in die posterioren Areale, die <strong>für</strong> Wahrnehmung <strong>und</strong> symbolische bzw.<br />
räumliche Repräsentation zuständig sind (A, B <strong>und</strong> D), zurück projiziert werden.<br />
64 Allerdings scheinen diese reflexiven Systeme während des Schlafes nicht vollständig inaktiv zu<br />
sein, denn es gibt neurologische Erkrankungen oder Schädigungen, bei denen dies der Fall ist (siehe<br />
Kapitel 4.3.1). Diese Patienten träumen während des gesamten Schlafes fast ununterbrochen <strong>und</strong> sind<br />
auch im Wachzustand nicht fähig, zwischen Gedanken <strong>und</strong> realen Wahrnehmungen zu unterscheiden.<br />
Dies deutet darauf hin, dass der psychische Prozess auch während des Schlafens nicht aussetzt <strong>und</strong><br />
„<strong>nur</strong> unter bestimmten physiologischen Bedingungen (unter denen der REM-Schlafzustand eine, aber<br />
bei weitem nicht die einzige Bedingung darstellt) die Form des Träumens annimmt“ (Solms, 1999a,<br />
S.118).<br />
87
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
Schädigungen dieser hemmenden Regionen (C <strong>und</strong> E) führen dazu, dass die motori-<br />
schen Systeme während des Schlafes nicht länger inhibiert sind, Träumen unmöglich<br />
<strong>und</strong> der Schlaf gestört wird. Aber selbst bei intakter Funktion dieser Regionen kann<br />
es passieren, dass sie von einem außergewöhnlich starken Reiz (wie z.B. während<br />
nächtlicher Krampfanfälle) überwältigt werden. Dies führt zu einem massiven Auf-<br />
treten von Angst, der Träumer wacht auf <strong>und</strong> wiederum ist der Schlaf gestört (Solms,<br />
1995).<br />
Deuten diese Beobachtung darauf hin, dass <strong>Freud</strong> auch mit seiner Theorie vom<br />
Traum als Hüter des Schlafes (siehe Kapitel 3.1.2) Recht behalten könnte? Tatsäch-<br />
lich impliziert seine Annahme, dass der Traum eine Reaktion auf etwas ist, was den<br />
Schlaf stört. Und tatsächlich haben alle möglichen Mechanismen, die als Auslöser<br />
<strong>für</strong> Träume fungieren können, eines gemeinsam, nämlich dass „sie alle einen Zu-<br />
stand gesteigerter cerebraler Erregung (arousal) im Schlaf hervorrufen“ (Solms,<br />
1999a, S.112; siehe oben). Daran anknüpfend macht Fink (1977) die Beobachtung,<br />
dass die Weckschwelle während des REM-Schlafes, in dem nachweislich die meisten<br />
Träume auftreten, wesentlich höher liegt, als in den anderen Schlaf-Stadien. Außer-<br />
dem stellt er fest, „dass neurologische <strong>und</strong> psychiatrische Anfälle jeder Art niemals<br />
in den traumanfälligen REM-Phasen auftreten“ (S.281). Solms (1995, 1997) bestä-<br />
tigt diese Resultate in dem er nachweist, dass Patienten, bei denen es auf Gr<strong>und</strong> ei-<br />
ner Hirnschädigung zu einem Verlust der Traumfähigkeit gekommen ist, weitaus<br />
häufiger unter Schlafstörungen leiden, als hirngeschädigte Patienten mit intakter<br />
Traumfunktion. Diese Beobachtungen scheinen <strong>für</strong> eine mögliche Funktion des<br />
Traumes als Hüter des Schlafes zu sprechen.<br />
Zusammenfassend weist das eben beschriebene neuroanatomisch <strong>und</strong> neuropsycho-<br />
logische Modell zur Traumentstehung recht deutlich darauf hin, dass es sich - wie<br />
vor h<strong>und</strong>ert Jahren bereits von <strong>Freud</strong> vermutet - beim Träumen um einen regressiven<br />
Prozess handelt, der durch nächtliche Erregungszustände ausgelöst wird. Solch ein<br />
efferenter Aktivierungsprozess schlägt unter der hemmenden <strong>und</strong> regulierenden Kon-<br />
trolle mediobasal frontal-limbischer Mechanismen (Region C <strong>und</strong> E) einen regressi-<br />
ven Weg zu den posterioren Wahrnehmungssystemen der temporo-parieto-<br />
okzipitalen Region (A, B <strong>und</strong> D) ein. Demnach wird die Erregung nicht wie im<br />
Wachzustand auf motorischem Wege (H) abgeführt, sondern resultiert in einem hal-<br />
luzinatorischen Erlebnis.<br />
88
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
Anhand dieser hypothetischen Abfolge des Traumprozesses wird deutlich, dass es<br />
zwischen der neurowissenschaftlichen <strong>und</strong> der psychoanalytischen Vorstellung von<br />
Traumfunktion <strong>und</strong> Traumentstehung eine Reihe Parallelen gibt <strong>und</strong> eine Verknüp-<br />
fung der Ansätze sehr fruchtbar sein kann. Da sich nicht <strong>nur</strong> bezüglich des Traum-<br />
prozesses, sondern auch hinsichtlich der von <strong>Freud</strong> oftmals betonten Beziehung von<br />
Traum <strong>und</strong> Psychosen interessante Ähnlichkeiten nachweisen lassen, möchte ich<br />
darauf im Folgenden kurz eingehen.<br />
5.4. Der Traum <strong>und</strong> die Psychosen<br />
Schon lange vor <strong>Freud</strong> haben sich die Menschen mit der Beziehung zwischen Traum<br />
<strong>und</strong> Geistesstörungen befasst. Kant sagt bereits 1764: „ Der Verrückte ist also ein<br />
Träumer im Wachen.“ (S.265) <strong>und</strong> Krauß (1859): „Der Wahnsinn ist ein Traum in-<br />
nerhalb des Sinneswachseins.“ (zitiert nach <strong>Freud</strong>, 1900, S.111). Auch W<strong>und</strong>t (1906)<br />
findet Gemeinsamkeiten des Traumes mit den „schwersten Formen geistiger Zerrüt-<br />
tung“ (S.358) <strong>und</strong> bezeichnet den Traum als „Zustand normalen transitorischen Irre-<br />
seins“ (S.355). Hier wird bereits die Parallele deutlich, die offensichtlich zwischen<br />
Träumen <strong>und</strong> Geisteskrankheiten bzw. Psychosen besteht. <strong>Freud</strong>s Ansicht zufolge<br />
müsste demnach das sorgfältige Studium der Träume hilfreiche Informationen über<br />
die Psychosen ergeben <strong>und</strong> so geht er davon aus, „dass wir an der Aufklärung der<br />
Psychosen arbeiten, wenn wir uns bemühen, das Geheimnis des Traumes aufzuhel-<br />
len“ (<strong>Freud</strong>, 1900, S.113).<br />
Beide Phänomene sind durch recht ähnliche Zustände charakterisiert, wie z.B. ver-<br />
minderte Fähigkeit zur Realitätsprüfung, veränderte Wahrnehmungen, lose Verbin-<br />
dung der Vorstellungen <strong>und</strong> Gedanken allein nach den Gesetzen der Assoziation,<br />
Fehlen jeglichen Zeitgefühls etc. In beiden Fällen scheint es sich um den Durchbruch<br />
unbewusster Regungen <strong>und</strong> Phantasien zu handeln. Der gemeinsame Mechanismus<br />
ist demnach vermutlich, wie Griesinger 1861 (vgl. <strong>Freud</strong>, 1900) bereits vermutet <strong>und</strong><br />
<strong>Freud</strong> später wieder aufgreift, die Wunscherfüllung. Während sich in unseren Träu-<br />
men verdrängte unbewusste Wünsche einen Weg ins Bewusstsein bahnen (was, wie<br />
in Kapitel 3.1.1 beschrieben, <strong>nur</strong> nach Entstellung durch die Zensur möglich ist),<br />
scheinen bei psychotischen Patienten diese Wünsche auch im Wachzustand durch zu<br />
brechen. Dies liegt vermutlich an einer Schwächung eben dieser Kontrollinstanz, so<br />
dass es im Fall der Psychose nicht <strong>nur</strong> im Schlaf, sondern auch im Wachleben zur<br />
89
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
halluzinatorischen Befriedigung der unbewussten Wünsche kommt. Das bedeutet,<br />
dass wir im Schlaf eine Art „harmlose Traumpsychose“ (<strong>Freud</strong>, 1933, S.459) durch-<br />
machen, die mit dem Aufwachen wieder verschwindet, während die Psychose die<br />
pathologische Form dieses Phänomens darstellt. Dies vermuten auch schon Scho-<br />
penhauer (1862; vgl. <strong>Freud</strong>, 1900), der den Traum einen kurzen Wahnsinn <strong>und</strong> den<br />
Wahnsinn einen langen Traum nennt <strong>und</strong> Radestock (1879; vgl. <strong>Freud</strong>, 1900), der<br />
den Wahnsinn als krankhafte <strong>und</strong> übersteigerte Version des normalen Traumzustan-<br />
des betrachtet.<br />
Dass zwischen dem Traum <strong>und</strong> den Psychosen gewisse Gemeinsamkeiten bestehen,<br />
wird nun auch von neurowissenschaftlicher Seite belegt. So spricht selbst Hobson<br />
vom Traum als „nächtliche[m] Verrücktsein“ (1990, S.174) <strong>und</strong> ist - wie <strong>Freud</strong> - der<br />
Ansicht, dass ein Verständnis des Traumprozesses zum besseren Verständnis der<br />
Psychosen beitragen kann. Aber worin genau äußern sich diese Gemeinsamkeiten<br />
von Traum <strong>und</strong> Psychose in neurowissenschaftlicher Hinsicht?<br />
Im Wachzustand wird der Kortex, der <strong>für</strong> die Regulierung unserer mentalen Aktivitä-<br />
ten zuständig ist, durch aufsteigende Impulse aus dem Hirnstamm aktiviert (Moruzzi<br />
& Magoun, 1949; vgl. Gottesmann, 2000). Parallel zu dieser Aktivierung üben die<br />
aminergen Neurone (Dopamin, Noradrenalin, Serotonin, Histamin) einen eher hem-<br />
menden Einfluss aus. Durch das Zusammenwirken dieser beiden Einflüsse (Erregung<br />
<strong>und</strong> Hemmung) wird unser logisches <strong>und</strong> rationales Denken im Wachzustand mög-<br />
lich: während die aktivierenden Impulse die Funktionsfähigkeit des Kortex garantie-<br />
ren, sorgen die hemmenden Impulse da<strong>für</strong>, diese Aktivierung zu kontrollieren <strong>und</strong> so<br />
eine ‚normale’ mentale Arbeitsweise zu ermöglichen. Im Tiefschlaf kommt es zu<br />
einem Abfall beider Einflüsse, was dazu führt, dass die mentale Aktivität eher ge-<br />
dankenartig wird. Während des REM-Schlafes jedoch, einer Phase in der weitaus<br />
häufiger Träume berichtet werden, ist der Kortex weiterhin aktiviert (ähnlich dem<br />
Wachzustand), gleichzeitig aber auch weitestgehend disinhibiert, da die hemmenden<br />
aminergen Neurone, mit Ausnahme der dopaminergen, ihr Feuern in diesem Stadium<br />
einstellen (siehe Kapitel 4.2.2). Die Gemeinsamkeit von REM-Schlaf <strong>und</strong> Wachzu-<br />
stand scheint demnach in der kortikalen Aktivierung zu bestehen. Der Unterschied<br />
zwischen diesen beiden Zuständen wiederum äußert sich darin, dass im Wachzustand<br />
eine gleichzeitige Hemmung durch die aminergen Neurone statt findet. Während des<br />
REM-Schlafes hingegen ist der Kortex auf Gr<strong>und</strong> einer Abnahme des inhibitorischen<br />
90
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
Einflusses gleichzeitig aktiviert <strong>und</strong> enthemmt. Diese Disinhibition bzw. die vermin-<br />
derte Kontrolle der kortikalen Erregung (hervorgerufen durch Abnahme der Aus-<br />
schüttung der aminergen Neurone, mit Ausnahme von Dopamin), könnte die Bi-<br />
zarrheit der mentalen Inhalte dieser Stufe erklären. 65 Genau diese Bizarrheit, ebenso<br />
wie das Auftreten sensomotorischer Halluzinationen, verminderten selbst-<br />
reflektiertem Bewusstseins, instinktiven Verhaltens etc. (Hobson et al., 1998; vgl.<br />
Gottesmann, 2000) ist sowohl den mentalen Prozessen während des Träumens als<br />
auch während der Psychose gemeinsam. Somit scheint also vor allem die andauernde<br />
Ausschüttung von Dopamin in Zusammenhang mit dem Sistieren der Abgabe der<br />
weiteren aminergen Neurone während des REM-Schlafes <strong>für</strong> die Psychose-ähnliche<br />
mentale Aktivität während des Träumens verantwortlich zu sein. Diese Hypothese<br />
wird außerdem dadurch bestätigt, dass übermäßige Ausschüttung von Dopamin zu<br />
psychotischen Störungen führt (Buffenstein et al., 1999; vgl. Gottesmann, 2000). Im<br />
Gegensatz dazu führte die in den 50er <strong>und</strong> 60er Jahren durchgeführte präfrontale<br />
Leukotomie (neurochirurgische Durchtrennung der unter 4.2.4 <strong>und</strong> 4.3.1 beschriebe-<br />
nen dopaminergen Bahn) bei der Behandlung psychotischer Störungen zu einer deut-<br />
lichen Abnahme der psychotischen Symptome (Gottesmann, 1999, Solms, 1999a).<br />
5.5. Kritik an der Neuro-Psychoanalyse<br />
Auch wenn sich heute weltweit immer mehr Forscher aus den verschiedensten Dis-<br />
ziplinen zusammen tun, um den Versuch zu unternehmen, die Neurowissenschaften<br />
mit der Psychoanalyse zu vereinen, gibt es selbstverständlich auch heftige Gegner<br />
dieser Strömung. Kritik bleibt nie aus - vor allem nicht, wenn es sich um so ein teil-<br />
weise recht spekulatives Unterfangen handelt, wie das Bemühen, die <strong>Freud</strong>sche The-<br />
orie auf ein neurophysiologisches F<strong>und</strong>ament zu stellen.<br />
Einer der erbittersten Gegner, sowohl der <strong>Freud</strong>schen Theorien als auch der Solm-<br />
schen Interpretationen neurowissenschaftlicher Daten im Hinblick auf die psycho-<br />
analytischen Traumhypothesen ist Allan Hobson. Anstelle jeglicher innerpsychischer<br />
65 Gottesmann (2000) erinnert in diesem Zusammenhang an <strong>Freud</strong>s Theorie vom manifesten Trauminhalt<br />
als verschlüsselte Botschaft der latenten Traumgedanken (siehe Kapitel 3.1.3). So weist <strong>Freud</strong><br />
bereits damals auf den meist unlogischen <strong>und</strong> irrationalen Charakter des manifesten Trauminhaltes<br />
hin. Nach Ansicht von Gottesmann <strong>und</strong> Stickgold et al. (2001) könnte dies sowohl auf die Deaktivierung<br />
des dorsolateralen präfrontalen Kortes (siehe Kapitel 4.3.2) als auch auf die oben beschriebene<br />
Abnahme der Ausschüttung aminerger Neurotransmitter zurück geführt werden.<br />
91
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
Prozesse, unbewusster Triebregungen <strong>und</strong> unterdrückter Wünsche setzt er sein rein<br />
neurowissenschaftliches Aktivierungs-/Synthese-Modell (siehe Kapitel 4.2.2) <strong>und</strong><br />
negiert damit jegliche tiefere Bedeutung unserer Träume. Zwar räumt er in einer<br />
neueren Version seines Modells die Möglichkeit ein, dass neben dem Hirnstamm<br />
auch andere Bereiche (wie z.B. limbische <strong>und</strong> paralimbische Areale, sowie basale<br />
Vorderhirnstrukturen) am Traumprozess beteiligt sein könnten, trotzdem geht er von<br />
einem biologischen Determinismus jeglicher psychischer Prozesse aus (Gilmore &<br />
Neressian, 2000). Seit jeher plädiert er <strong>für</strong> eine Modifizierung der psychoanalyti-<br />
schen Traumtheorie im Hinblick auf die aktuellen neurowissenschaftlichen Ergebnis-<br />
se (Hobson, 1992). 66 In Abbildung 5 stellt er dem psychoanalytischen Modell seine<br />
Aktivierungs-/Synthese-Hypothese gegenüber.<br />
Hobson wirft der Psychoanalyse vor, in ihrer Traumtheorie keinerlei Bezug zu hirn-<br />
Psychoanalytical Dream Theory<br />
Activation-Synthesis Hypothesis<br />
Abbildung 5: Die Traumentstehung aus Sicht der Psychoanalyse<br />
<strong>und</strong> aus Sicht des Aktivierungs-/Synthese-<br />
Modells nach Hobson (aus: Hobson, 1992, S.464)<br />
physiologischen Prozessen aufzu-<br />
weisen. Der Traumbericht wird als<br />
symbolisch enkodierte Transfor-<br />
mation des tatsächlichen Traum-<br />
reizes angesehen, der einer Deu-<br />
tung bedarf, um den dahinter ste-<br />
henden latenten Trauminhalt auf-<br />
zudecken. Im Aktivierungs-/Syn-<br />
these-Modell hingegen wird der<br />
Traum als transparentes <strong>und</strong><br />
durchschaubares Produkt einer un-<br />
gewöhnlichen Art <strong>und</strong> Weise der<br />
Informationsverarbeitung angese-<br />
hen; eine Unterscheidung von la-<br />
tentem <strong>und</strong> manifestem Traumin-<br />
halt gibt es nicht. Hobson kritisiert<br />
die seiner Meinung nach irrige<br />
Annahme der psychoanalytischen<br />
66 Dieser Vorschlag, die eigenen Theorien in Hinblick auf die aktuellen Ergebnisse des interdisziplinären<br />
Dialoges zu modifizieren, kann meiner Ansicht nach postwendend an Hobson selbst gerichtet<br />
werden.<br />
92
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
Traumtheorie, der zufolge es dem Nervensystem an eigener Energie fehlt, so dass es<br />
die Energie zur Initiierung des Traumprozesses aus zwei non-neuronalen Quellen<br />
bezieht: der äußeren Welt <strong>und</strong> der inneren Triebe. Heute wisse man aber, dass das<br />
Gehirn seine eigene Energie generiere <strong>und</strong> weder von der äußeren Welt noch von<br />
somatischen Trieben abhängig sei. Dementsprechend ist die Energie, die das Gehirn<br />
während des REM-Schlafes aktiviert, neuronal (Hobson, 1992). Während <strong>Freud</strong> da-<br />
von ausgeht, dass unbewusste Wünsche <strong>und</strong> Tagesreste die treibendenden Kräfte der<br />
Trauminitiierung sind, stellen diese beiden Faktoren <strong>für</strong> das Aktivierungs-/Synthese-<br />
Modell lediglich zwei von vielen möglichen formenden Kräften innerhalb des syn-<br />
thetischen Prozesses dar. Im Gegensatz zur Psychoanalyse kann also ein verdrängter<br />
Konflikt gemäß des Aktivierungs-/Synthese-Modells in die Traumhandlung mit ein-<br />
gehen, stellt aber gleichzeitig <strong>nur</strong> einen von vielen möglichen Faktoren dar <strong>und</strong> ist<br />
allein weder ausreichend noch notwendig, um den Traumprozess einzuleiten. Dem-<br />
nach ist die Bedeutung der Träume leicht zu erkennen <strong>und</strong> kann ohne Dekodierung<br />
erschlossen werden.<br />
Seine drastische Ansicht fasst Hobson in folgendem wohlgemeinten Rat zusammen:<br />
„What I mean is that if you want to <strong>und</strong>erstand your dreams, the last person you<br />
would want to consult is Sigm<strong>und</strong> <strong>Freud</strong> or one of his psychoanalytic protégés!”<br />
(Hobson, 2000, S.951). Diesen Hinweis, sich zur Interpretation seiner Träume tun-<br />
lichst von <strong>Freud</strong> <strong>und</strong> seinen Anhängern fernzuhalten, beruht auf Hobson’s unerschüt-<br />
terlicher Überzeugung, dass unbewusste Wünsche keinerlei wesentliche Rolle bei der<br />
Auslösung von Träumen spielen, dass unsere Emotionen keinesfalls verschlüsselt<br />
oder zensiert in den Trauminhalt eingehen, dass der Schlaf nicht vom Traum bewacht<br />
wird <strong>und</strong> dass die Trauminterpretation mittels freier Assoziation jeglicher wissen-<br />
schaftlicher Gr<strong>und</strong>lage entbehrt. Statt anhand der Forschungsergebnisse von Solms<br />
seine eigene Hypothese von Aktivierung <strong>und</strong> Synthese kritisch zu hinterfragen, will<br />
er sie lediglich benutzen, um sein Modell dahingehend zu modifizieren, die angebli-<br />
che Schwäche der <strong>Freud</strong>schen Theorie <strong>nur</strong> noch offensichtlicher darzulegen (Hob-<br />
son, 2000).<br />
Es erscheint mir fast unvorstellbar, dass Hobson eines der subjektivsten, bedeutends-<br />
ten <strong>und</strong> vielfältigsten Phänomene - das Träumen - auf derart simple <strong>und</strong> nüchterne<br />
Annahmen reduzieren will: Träume werden durch automatische Hirnaktivierung im<br />
Schlaf hervorgerufen, Träume sind bizarr, weil sich dieser Aktivierungs-Prozess in<br />
93
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
wesentlichen Punkten von dem im Wachleben unterscheidet, Träume sind hyperemo-<br />
tional, weil das emotionale Gehirn während des Schlafes selektiv aktiviert ist, <strong>und</strong><br />
Träume werden vergessen, weil das Gedächtnissystem auf Gr<strong>und</strong> eines zeitweiligen<br />
Mangels aminerger Neurotransmitter <strong>für</strong> neue Erinnerungen während des Schlafes<br />
inaktiv ist - kurz: jeglicher Eindruck psychischer Aktivität bzw. Relevanz während<br />
unserer Träume ist durch biologische Mechanismen determiniert, oder wie Hobson<br />
(1990) selbst es ausdrückt: „Träumen [ist] in all seinen formalen Aspekten durch die<br />
menschliche Physiologie bestimmt (...): Die visuellen Wahrnehmungen, die<br />
Fremdartigkeit, das unlogische Denken, der Gedächtnisausfall, die Gefühle <strong>und</strong> die<br />
fehlende Einsicht - sie alle werden durch den physiologischen Zustand des Gehirns<br />
im REM-Schlaf bestimmt.“ (S.151)<br />
An dieser Stelle üben Gilmore <strong>und</strong> Nersessian (2000) berechtigte Kritik, indem sie<br />
auf die Einseitigkeit von Hobson’s Modell hinweisen. Es handele sich dabei um eine<br />
Einbahnstrasse, die lediglich vom Gehirn zur Psyche, aber nicht zurück führe. Dieser<br />
‚biologische Reduktionismus’ führt zu der Annahme, dass jedes psychisches Phäno-<br />
men durch spezifische Gehirnfunktionen determiniert ist, während psychische Ereig-<br />
nisse jedoch nicht bestimmte Hirnfunktionen determinierten können. Gilmore <strong>und</strong><br />
Neressian erinnern an die Beobachtung, dass psychische Zustände neurophysiologi-<br />
sche Veränderungen im Gehirn hervorrufen können (Gabbard, 1998; vgl. Gilmore &<br />
Neressian, 2000), so dass die Annahme einer ausschließlich einseitigen Verlaufswei-<br />
se nicht zutreffen kann.<br />
Leuschner et al. (1998) kritisieren die Solmsche Vorgehensweise von einer anderen<br />
Seite her. Sie weisen darauf hin, dass Läsionsdaten nicht dazu geeignet sind, „unmit-<br />
telbar auf normale Teilfunktionen des psychischen Apparates zu schließen, wie<br />
Solms das speziell im Falle der Traumbildung versucht“ (S.828). Jedoch übersehen<br />
die Autoren meiner Meinung nach, dass Solms genau dies zu vermeiden sucht indem<br />
er betont, dass die identifizierten, am Traumprozess beteiligten Faktoren nicht mit<br />
den jeweiligen Funktionen der entsprechenden Strukturen gleichzusetzen sind. Dar-<br />
über hinaus weist er stets auf den spekulativen Charakter seiner Hypothesen hin, ist<br />
sich „der Lücken <strong>und</strong> der Inkonsitenzen“ (Kaplan-Solms & Solms, 2003, S.226)<br />
durchaus bewusst <strong>und</strong> weist ausdrücklich darauf hin, „dass all diese Schlussfolge-<br />
rungen mit Vorsicht zu genießen sind“ (S.224). Trotzdem stellen seine Untersuchun-<br />
gen <strong>und</strong> Interpretationen meiner Meinung nach einen der bemerkenswertesten Ver-<br />
94
5. Psychoanalyse <strong>und</strong> Neurowissenschaften -Zusammenführung der beiden Ansätze<br />
suche dar, die Neurowissenschaften mit der Psychoanalyse zu verbinden <strong>und</strong> Hin-<br />
weise auf die neurologische Organisation bestimmter psychologischer Funktionen zu<br />
erlangen. Da es sich hier um ein sehr großes <strong>und</strong> ehrgeiziges Projekt handelt, wel-<br />
ches sich quasi noch in den Kinderschuhen befindet, gibt es natürlich auch Schwach-<br />
stellen, Lücken <strong>und</strong> Kritikpunkte, aber <strong>nur</strong> so kann ein Projekt wie dieses wachsen<br />
<strong>und</strong> sich weiter entwickeln.<br />
95
6. Zusammenfassung <strong>und</strong> Ausblick<br />
6. Zusammenfassung <strong>und</strong> Ausblick<br />
6.1. Zusammenfassung<br />
Ziel der vorliegenden Arbeit ist, der Frage nach der Funktion <strong>und</strong> der Entstehung von<br />
Träumen aus psychoanalytischer <strong>und</strong> neurowissenschaftlicher Sicht nachzugehen<br />
<strong>und</strong> dabei aufzuzeigen, inwieweit ein interdisziplinärer Dialog <strong>für</strong> beide Seiten ge-<br />
winnbringend sein kann.<br />
Zu diesem Zweck habe ich zunächst Ausschnitte der wegweisenden Traumtheorie<br />
<strong>Freud</strong>s dargestellt (siehe Kapitel 3.1). Er erkennt den Traum als „vollwichtigen psy-<br />
chischen Akt“ (1900, S.51) an <strong>und</strong> beschreibt, wie die latenten Traumgedanken mit<br />
Hilfe der Mechanismen der Traumarbeit in die Bilderschrift des manifesten Traumes<br />
übersetzt werden. Triebfeder eines jeden Traumes ist seiner Ansicht nach stets ein<br />
unbewusster infantiler Wunsch, der sich mit sogenannten Tagesresten verbindet <strong>und</strong><br />
von der Zensur entstellt im Traum erscheint. Demnach ist eine wichtige Funktion des<br />
Träumens laut <strong>Freud</strong> die Erfüllung verdrängter Triebwünsche. Eine weitere Funktion<br />
besteht seiner Ansicht nach darin, den Schlaf zu schützen, das Emporsteigen unbe-<br />
wusster Triebregungen, Wünsche <strong>und</strong> Ängste zu verhindern <strong>und</strong> so die Fortsetzung<br />
des Schlafes zu gewährleisten. Wie im weiteren Verlauf des 3.Kapitels ersichtlich<br />
wird, gehen andere Vertreter der psychoanalytischen Denkweise nach <strong>Freud</strong> von<br />
weiteren möglichen Funktionen des Traumes aus. So sehen sie den Traum z.B. als<br />
Kompensation (Jung, 1945; Schultz-Hencke, 1949; Siebenthal, 1953), schreiben ihm<br />
prospektive <strong>und</strong> konfliktlösende Eigenschaften zu (Adler, 1936; Eckes-Lapp, 1980),<br />
sehen in ihm ein Ausdrucksmittel der innerpsychischen Verfassung (Adler, 1936;<br />
Jung, 1945; Mancia, 2002), ein Kommunikationsmittel (Beese, 1983; Jung, 1945)<br />
oder stellen eine integrative Theorie zur Traumfunktion auf (Breger, 1977; Fosshage,<br />
1983; Kemper, 1955; Palombo, 1984).<br />
Mit der Entdeckung des REM-Schlafes Mitte der 50er Jahre <strong>und</strong> der Beobachtung,<br />
dass Träume vor allem nach Weckungen in diesen Phasen berichtet werden, kommt<br />
es zu einer großen Wende innerhalb der Schlaf- <strong>und</strong> Traumforschung. Von nun an<br />
werden Träume lediglich als Epiphänomen des REM-Schlafes angesehen <strong>und</strong> allein<br />
die physiologischen Hirnstamm-Mechanismen, die <strong>für</strong> die Generierung des REM-<br />
Schlafes ausschlaggebend sind, als Traumauslöser anerkannt (Hobson & McCarley,<br />
96
6. Zusammenfassung <strong>und</strong> Ausblick<br />
1977; vgl. Hobson, 1992). Somit verliert der Traum jegliche psychische Bedeutung<br />
(siehe Kapitel 4.2). Im Laufe der Jahre wird aufgr<strong>und</strong> der Beobachtung, dass Träume<br />
nicht <strong>nur</strong> in REM-Phasen vorkommen, die Behauptung eines Isomorphismus zwi-<br />
schen REM-Schlaf <strong>und</strong> Träumen in Frage gestellt <strong>und</strong> vermutet, dass Träume von<br />
anderen Hirnmechanismen kontrolliert werden. So gelingt es Solms (1995, 1997) mit<br />
Hilfe einer modifizierten Variante der klinisch-anatomischen Korrelation insgesamt<br />
6 Gehirnregionen <strong>und</strong> ihren jeweiligen Beitrag am Traumprozess zu identifizieren.<br />
Dabei handelt es sich um Ergebnisse, die inzwischen auch mit Hilfe bildgebender<br />
Verfahren bestätigt werden konnten (Braun et al., 1997; Hofle et al., 1997; Maquet et<br />
al., 1997; siehe Kapitel 4.3). Diese Untersuchungen <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Re-<br />
sultate lassen - im Gegensatz zu früheren neurowissenschaftlichen Traumtheorien -<br />
wieder neue Hypothesen über die Funktion des Träumens zu <strong>und</strong> erlauben z.T. inte-<br />
ressante Querverweise zur psychoanalytischen Theorie.<br />
Wie im 5.Kapitel dargestellt, ist der Versuch einer Verknüpfung der „methodologi-<br />
schen Herangehensweise der Psychoanalyse, die dem Traum einen Sinn verleiht“<br />
(Giampieri-Deutsch, 2002, S.27) mit „der Methodologie der Neurowissenschaften,<br />
die die an der Produktion, Organisation <strong>und</strong> Narration des Traumes beteiligten Struk-<br />
turen untersucht“ (ebd.) sogar sehr fruchtbar. So bieten sowohl das neuro-psycho-<br />
physiologisches Modell der Traumentstehung nach Koukkou <strong>und</strong> Lehmann (1983;<br />
Kapitel 5.2) als auch dass neuroanatomisch <strong>und</strong> neuropsychologisch orientierte Mo-<br />
dell der Traumentstehung nach Solms (1995, 1997; Kapitel 5.3) interessante Mög-<br />
lichkeiten einer möglichen Zusammenführung neurowissenschaftlicher <strong>und</strong> psycho-<br />
analytischer Theorien. Beispielsweise lassen sich bezüglich der <strong>Freud</strong>schen Theorien<br />
vom Traum als Wunscherfüllung <strong>und</strong> als Hüter des Schlafes von neurophysiologi-<br />
scher <strong>und</strong> neuroanatomischer Seite Anzeichen da<strong>für</strong> nachweisen, dass <strong>Freud</strong> mit die-<br />
sen Annahmen zumindest nicht völlig falsch lag. Ebenso finden sich einige Theorien<br />
psychoanalytischer Traumforscher (z.B. der Traum als Prospektion bzw. als Lö-<br />
sungsversuch <strong>für</strong> Konflikte, die organisierende, regulierende <strong>und</strong> adaptive Funktion<br />
des Traumes, die Verknüpfung von neuem <strong>und</strong> alten Gedächtnismaterial etc.) inner-<br />
halb der neurowissenschaftlich orientierten Hypothesen in ähnlicher Weise wieder.<br />
Zwar rechtfertigen diese Ergebnisse in keiner Weise Aussprüche wie „<strong>Freud</strong> hatte<br />
Recht!“, aber immerhin erlauben sie Feststellungen wie „Vielleicht hatten wir damals<br />
Unrecht, als wir nach den ersten Ergebnissen der neurowissenschaftlichen Schlaf-<br />
97
6. Zusammenfassung <strong>und</strong> Ausblick<br />
<strong>und</strong> Traumforschung allzu schnell riefen: ‚<strong>Freud</strong> ist widerlegt!’“. Mit anderen Wor-<br />
ten: statt zu behaupten „<strong>Freud</strong> hatte Recht!“ trifft es vielleicht eher die Formulierung<br />
„<strong>Freud</strong> ist nicht widerlegt!“.<br />
Trotzdem kann die Frage nach der Funktion von Träumen nach ausgiebiger Litera-<br />
turrecherche weder aus Sicht der Psychoanalyse noch vom neurowissenschaftlichen<br />
Standpunkt aus erschöpfend beantwortet werden. Auf beiden Seiten gibt es nach wie<br />
vor zahlreiche Theorien, von denen keine eine allumfassende, allgemeingültige Lö-<br />
sung zu bieten scheint. Meiner Ansicht nach bringt uns an dieser Stelle <strong>nur</strong> der inter-<br />
disziplinäre Dialog weiter. Dort wo sich Überschneidungen ergeben, wo Ähnlichkei-<br />
ten zwischen den psychoanalytischen <strong>und</strong> den neurowissenschaftlichen Vermutungen<br />
auftauchen <strong>und</strong> sich die Hypothesen ergänzen, kann eventuell der Schlüssel zu einer<br />
umfassenderen Antwort liegen. Das Rätsel unserer Träume ist demnach immer noch<br />
nicht vollständig gelöst. Trotzdem lässt sich zusammenfassend festhalten, dass vor<br />
allem die neueren neurowissenschaftlichen Beiträge zum Thema Träume z.T. durch-<br />
aus mit der <strong>Freud</strong>schen Auffassung vereinbar sind. Abschließen möchte ich mit fol-<br />
genden Worten:<br />
Insgesamt scheinen die Übereinstimmungen zwischen der Psychoanalyse<br />
<strong>Freud</strong>s <strong>und</strong> den neueren Erkenntnissen der Hirnforschung (...) zumindest soweit<br />
zu gehen, dass sich ein intensives Gespräch zwischen den beiden ‚Lagern’<br />
lohnt. Für den talentierten jungen Neurologen <strong>und</strong> Neurobiologen <strong>Freud</strong> wäre<br />
dies sicher eine w<strong>und</strong>erbare Sache gewesen.<br />
(Roth, 2001, S.376)<br />
6.2. Ausblick<br />
Ich denke, im Rahmen der obigen Zusammenfassung ist deutlich geworden, dass uns<br />
die Funktion der Träume nach wie vor Rätsel aufgibt. Ich möchte mich der Meinung<br />
von Solms anschließen, der an zukünftige neurowissenschaftlich orientierte Forscher<br />
appelliert, die weitere Untersuchung des Traumes endgültig von der des REM-<br />
Schlafes zu trennen. Gleichzeitig gelte es, „künftige Forschungsbemühungen (...) auf<br />
die Erhellung der Hirnvorgänge [zu richten], die das neurale Korrelat zu den von<br />
<strong>Freud</strong> im 6. <strong>und</strong> 7.Kapitel seines Buches geschilderten Mechanismen darstellen - den<br />
Mechanismen der eigentlichen Traumarbeit“ (Solms, 1999a, S.120). Auf der anderen<br />
Seite muss sich die Psychoanalyse dem immer größer werdenden Ruf nach empiri-<br />
98
6. Zusammenfassung <strong>und</strong> Ausblick<br />
scher Validierung ihrer Hypothesen stellen. Auch hier ist meines Erachtens eine An-<br />
näherung an die Neurowissenschaften sinnvoll <strong>und</strong> hilfreich. Die Neuro-<br />
Psychoanalyse ist erst in ihren Anfängen begriffen <strong>und</strong> leider gibt es auf beiden Sei-<br />
ten noch erhebliche Widerstände gegen eine Annäherung der beiden Disziplinen.<br />
Trotzdem denke ich, dass gerade in dieser Synthese der Schlüssel zu neuen Erkennt-<br />
nissen liegt <strong>und</strong> hoffe sehr, dass eines Tages die neurologische Repräsentation jener<br />
psychischen Funktionen möglich sein wird, die innerhalb der Psychoanalyse eine<br />
wichtige Rolle spielen.<br />
99
Danksagung<br />
Danksagung<br />
Nun ist diese Arbeit beendet - <strong>und</strong> mein ganz persönlicher Traum wahr geworden.<br />
Allerdings wäre sie nicht ohne die Hilfe <strong>und</strong> Unterstützung vieler wichtiger Men-<br />
schen entstanden.<br />
Darum möchte ich mich vor allem sehr herzlich bei Frau Prof. Dr. Ellen Reinke <strong>und</strong><br />
Frau Prof. Dr. Canan Başar-Eroğlu <strong>für</strong> die w<strong>und</strong>erbare Betreuung <strong>und</strong> die Offenheit<br />
gegenüber meiner Begeisterung <strong>für</strong> die Neuro-Psychoanalyse bedanken. Statt der<br />
be<strong>für</strong>chteten Skepsis stieß ich auf ehrliches Interesse <strong>und</strong> Wohlwollen, so dass ich<br />
nie an mir <strong>und</strong> meiner Arbeit zweifelte.<br />
Ebenfalls bedanken möchte ich mich beim gesamten EEG-Labor <strong>für</strong> die herzliche<br />
Aufnahme, die vielen Anregungen <strong>und</strong> Hilfestellungen <strong>und</strong> da<strong>für</strong>, dass ich doch stets<br />
daran gehindert wurde, in einem meiner diversen Anfälle tiefster Abneigung gegen-<br />
über der elektronischen Textverarbeitung, meinen Computer aus dem Fenster zu wer-<br />
fen.<br />
Ein ganz besonderer Dank gebührt meinen Eltern, die mich von Anfang an liebevoll<br />
unterstützt haben <strong>und</strong> ohne die nichts so wäre, wie es ist. Danke <strong>für</strong> Euer Vertrauen<br />
in mich <strong>und</strong> da<strong>für</strong>, dass Ihr immer an mich glaubt.<br />
Ebenso aufrichtig möchte ich mich bei Maarten bedanken, der mich trotz gewisser<br />
thematischer Interessenunterschiede immer unterstützt, mich aufgeheitert <strong>und</strong> abge-<br />
lenkt hat. Danke auch <strong>für</strong> Deinen herrlichen Geistesblitz, aus dem heraus der Titel<br />
dieser Arbeit entstanden ist.<br />
Ein herzliches Dankeschön darüber hinaus an meine „Uni-Mädels“. Was wäre mein<br />
Studium, was diese Arbeit <strong>und</strong> was die ganzen letzten Monate <strong>und</strong> Jahre ohne Euch?<br />
Danke!!<br />
100
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Erklärung gem. § 16 Abs. 6 DPO<br />
Hiermit versichere ich, dass ich diese Arbeit selbständig verfasst <strong>und</strong> keine anderen<br />
als die angegebenen Quellen <strong>und</strong> Hilfsmittel benutzt habe.<br />
Bremen, den 20.07.2005<br />
Jana Steinig<br />
109