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G. Lämmermann Die Konfirmation - ein familien- und ...

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unter den biographischen Aspekt. <strong>Die</strong> Aufklärungszeit machte dann die <strong>Konfirmation</strong><br />

immer mehr zum Mündigkeitsritus. <strong>Die</strong> <strong>Konfirmation</strong> wurde so zu <strong>ein</strong>er öffentlichen<br />

Proklamation der Persönlichkeit von Bürgern. Schon damit, aber erst recht durch ihre<br />

Ankopplung an die Schulentlassung wurde die <strong>Konfirmation</strong> zur liturgischen<br />

Einweisung ins bürgerliche Leben. Damit kam ihr <strong>ein</strong>e über das Kirchliche<br />

hinausweisende öffentliche Funktion zu, die ihr nun endgültig den Stempel <strong>ein</strong>es gesellschaftlichen<br />

Passageritus aufdrückte.<br />

In der frühbürgerlichen Gesellschaft beschränkten sich<br />

Individualisierungszwänge <strong>und</strong> -prozesse zunächst auf die bürgerlichen Schichten.<br />

Durch die Industrialisierung - <strong>und</strong> insbesondere durch die Entwurzelung der armen<br />

Landbevölkerung <strong>und</strong> ihre Umsetzung in die Industriestädte wurden sie allgem<strong>ein</strong>.<br />

Damit wurde auch die Trennung von Arbeits- <strong>und</strong> Lebenswelt allgem<strong>ein</strong>. Aus diesem<br />

Strukturwandel ergab sich für alle Heranwachsenden <strong>ein</strong>e biographische<br />

Schwellensituation: individuell das Ende der Kindheit <strong>und</strong> sozial das Ende <strong>ein</strong>er<br />

Zugehörigkeit zur Herkunftsfamilie. <strong>Die</strong> <strong>Konfirmation</strong> wurde zum Abnabelungs- <strong>und</strong><br />

Familienfest. Zugleich erwuchs ihr die seelsorgerliche Aufgabe, diesen Übergang<br />

rituell abzufedern. Im Unterschied zu heute war dies <strong>ein</strong> radikaler Bruch in der<br />

Biographie von Jugendlichen; ging es doch ohne jede familiäre Rückbindung hinaus in<br />

die Welt - als Handwerksbursche oder als Lohnarbeiter. Zum Verlust der Kindheit<br />

kommt die innere <strong>und</strong> äußere Trennung von der Ursprungsfamilie; <strong>ein</strong>e Dramatik, die<br />

so heute nicht mehr gegeben ist. Übrigens möchte ich darauf hinweisen, daß - m.E. -<br />

die Einführung der <strong>Konfirmation</strong> auch <strong>ein</strong>en sozialpolitischen Nebeneffekt hatte. Mit<br />

der <strong>Konfirmation</strong> war das Ende der Kindheit <strong>und</strong> damit die Kindheit selbst als<br />

eigenständige Lebensphase in den Blick gerückt. <strong>Die</strong>ser geschärfte Blick führte bei<br />

verantwortungsvollen Politikern <strong>und</strong> Industriellen dazu, den herrschenden Skandal der<br />

Kinderarbeit zu erkennen <strong>und</strong> abzuschaffen. Zumindest gibt es zwischen der<br />

Einführung von Jugendschutzbestimmungen <strong>und</strong> der <strong>Konfirmation</strong> <strong>ein</strong>en zeitlichen<br />

Konnex.<br />

Ich belasse es bei diesen kurzen Hinweisen. Ich m<strong>ein</strong>e, sie zeigen folgendes:<br />

<strong>Die</strong> <strong>Konfirmation</strong> erweist sich so in ihrer Genese als <strong>ein</strong>e Liturgie des öffentlichen <strong>und</strong><br />

privaten Lebens. Von dieser her ist dann die kirchliche Liturgie entworfen worden <strong>und</strong><br />

nicht - so behaupte ich - umgekehrt. Wie sieht dieser Zusammenhang nun heute aus?<br />

b) Kirchen- <strong>und</strong> religionssoziologischer Aspekt<br />

<strong>Die</strong> moderne Religionssoziologie geht in allen ihren unterschiedlichen Positionen<br />

gem<strong>ein</strong>sam von der Einsicht aus, daß die Kirchen <strong>ein</strong>e notwendige soziale Funktion<br />

haben. Durchgängig wird diese Funktion als Krisenbewältigung <strong>und</strong> als<br />

Integrationsleistung interpretiert - <strong>ein</strong>e Interpretation, auf die wir uns als Theologen<br />

<strong>ein</strong>lassen sollten <strong>und</strong> müssen. Denn sie macht uns auf darauf aufmerksam, was wir<br />

objektiv <strong>und</strong> faktisch tun, auch wenn unsere subjektive <strong>und</strong> theologische Interpretation<br />

<strong>ein</strong>e ganz andere ist. Religion <strong>und</strong> Kirche sind <strong>und</strong> bleiben - unabhängig davon, wie<br />

sie sich selbst verstehen wollen - Funktionen der Gesellschaft. <strong>Die</strong>se funktionale<br />

Betrachtung kann im Widerspruch zur substantiellen stehen: <strong>Die</strong> dialektischtheologische<br />

Programmatik von Ganz-anders-s<strong>ein</strong> des Glaubens <strong>und</strong> Gottes mag

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