Skript zur Vorlesung REGELUNGSTECHNIK
Skript zur Vorlesung REGELUNGSTECHNIK
Skript zur Vorlesung REGELUNGSTECHNIK
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Skript</strong> <strong>zur</strong> <strong>Vorlesung</strong><br />
<strong>REGELUNGSTECHNIK</strong><br />
Prof. Dr.–Ing. R. Tracht<br />
Universität Essen<br />
Lehrstuhl für Automatisierungstechnik<br />
16. Dezember 2002
Inhaltsverzeichnis<br />
1 Einleitung 1<br />
1.1 Entwicklung der Regelungstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1<br />
1.2 Grundlegende Begriffe (DIN 19226) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />
1.3 Struktur von Regelkreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />
1.4 Statisches Verhalten von Regelkreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />
1.5 Kennlinien von Stellgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />
2 Modellbildung und Identi¿kation 13<br />
2.1 Elementare Übertragungsglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />
2.1.1 Das Proportionalglied (P–Glied) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />
2.1.2 Das Integrierglied (I–Glied) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />
2.1.3 Das Differenzierglied (D–Glied) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />
2.1.4 Das Totzeitglied (Tt–Glied) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />
2.1.5 Verzögerungsglied 1.Ordnung (P–T1–Glied) . . . . . . . . . . . . . 29<br />
2.1.6 Systeme zweiter Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />
a) gedämpfte Schwingung 0 D 1 . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />
b) aperiodischer Grenzfall D 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44<br />
c) ungedämpfte Schwingung D 0 . . . . . . . . . . . . . . . . . 44<br />
d) aperiodisches Verhalten D 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46<br />
e) instabiles Verhalten D 0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46<br />
2.2 Analogiebeziehungen bei technischen Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . 46<br />
2.2.1 Mechanisch–translatorische Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . 48<br />
2.2.2 Mechanisch–rotatorische Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50<br />
I
INHALTSVERZEICHNIS II<br />
2.2.3 Elektrische Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51<br />
2.2.4 Strömungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53<br />
2.2.5 Thermische Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56<br />
2.3 Der Frequenzgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58<br />
2.3.1 Frequenzgang eines P–T1–Gliedes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60<br />
2.3.2 Frequenzgang eines P–T2–Gliedes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61<br />
2.3.3 Frequenzgang einer Reihenschaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . 62<br />
2.3.4 Logarithmische Frequenzkennlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63<br />
3 Analyse von linearen Regelkreisen 74<br />
3.1 Übertragungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74<br />
3.1.1 Die Laplace – Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74<br />
3.1.2 Lösung von gewöhnlichen Differentialgleichungen mit konstanten Koef¿zienten<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81<br />
3.1.3 Bestimmung von Übertragungsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . 83<br />
3.1.4 Reduktion von Blockschaltbildern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85<br />
3.2 Stabilität von linearen zeitinvarianten Übertragungssystemen . . . . . . . . . 86<br />
3.2.1 Stabilitätsde¿nition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86<br />
3.2.2 Stabilitätskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87<br />
3.3 Stabilität von Regelkreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89<br />
4 Standardregler 92<br />
4.1 Der P–Regler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92<br />
4.2 Der PI–Regler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93<br />
4.3 Der PID–Regler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93<br />
4.4 Einstellregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94<br />
4.4.1 Ziegler–Nichols–Einstellregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94<br />
4.4.2 CHR–Einstellregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95<br />
5 Reglerentwurf mit dem Frequenzkennlinienverfahren 96<br />
5.1 Synthese von Regelkreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96<br />
5.2 Anforderungen an den Frequenzgang des Regelkreises . . . . . . . . . . . . 97
INHALTSVERZEICHNIS III<br />
5.3 Anforderungen an das Zeitverhalten von Regelkreisen . . . . . . . . . . . . . 99<br />
5.4 Kompensationsglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103<br />
5.5 Reglerentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105<br />
6 Das Wurzelortsverfahren 107<br />
6.1 Systemvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107<br />
6.2 Bedingungen für die Wurzelortskurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108<br />
6.3 Regeln <strong>zur</strong> Konstruktion von Wurzelortskurven . . . . . . . . . . . . . . . . 108
Abbildungsverzeichnis<br />
2.1 Übergangsfunktion h t für 0 D 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44<br />
2.2 Übergangsfunktion h t für D 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45<br />
2.3 Übergangsfunktion h t für D 0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45<br />
2.4 BodeDiagramm PGlied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65<br />
2.5 BodeDiagramm IGlied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66<br />
2.6 Reihenschaltung zweier PT1Glieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69<br />
2.7 BodeDiagramm PT2Glied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72<br />
2.8 BodeDiagramm TotzeitGlied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73<br />
5.1 Lageregelkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96<br />
5.2 StandardRegelkreisStruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97<br />
5.3 Einschwingverhalten der Sprungantwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100<br />
5.4 Zusammenhang zwischen Mp und D . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101<br />
5.5 Zusammenhang PhasenreserveDämpfungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . 102<br />
5.6 Phasengang von LeadGliedern, m 1 2 12 . . . . . . . . . . . . . . . 105<br />
6.1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111<br />
IV
Kapitel 1<br />
Einleitung<br />
1.1 Entwicklung der Regelungstechnik<br />
Unter Regelung versteht man im allgemeinen die selbsttätige Einstellung oder Anpassung von<br />
Größen in einer Anlage oder in einem System. Ein derartiges System muß dabei nicht technischer<br />
Natur sein, sondern kann aus der Biologie, der Ökonomie oder der Soziologie stammen.<br />
Im Folgenden werden jedoch ausschließlich technische Regelungssysteme betrachtet.<br />
Im Vordergrund steht dabei die Entwicklung von Vorrichtungen, durch die automatisch eine<br />
gewünschte Reaktion der Anlagen auf äußere Einwirkungen erfolgt.<br />
Erste Ansätze <strong>zur</strong> Nutzung physikalischer Effekte für automatische Aktionen ¿ndet man bereits<br />
im Altertum. Bei den Griechen wurde z. B. bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. die Ausdehnung<br />
der Luft bei Erwärmung dazu eingesetzt, um nach Entzünden eines Opferfeuers die<br />
Tempeltüren ohne direkten Eingriff von Menschen zu öffnen.<br />
Die systematische Anwendung von regelungstechnischen Prinzipien im technischen Bereich<br />
begann Ende des 18. Jahrhunderts. Bekanntestes Beispiel ist die von Thomas Mead entwickelte<br />
Drehzahlregelung über Fliehkraftpendel, die von James Watt 1798 bei Dampfmaschinen<br />
eingesetzt wurde. Dieses Prinzip wurde später noch verfeinert und lange Zeit in vielen technischen<br />
Anlagen noch genutzt.<br />
Zu einer eigenständigen Disziplin wurde die Regelungstechnik nach dem zweiten Weltkrieg.<br />
Dazu haben vor allem zwei Entwicklungen beigetragen. Zum einen wurden die Gesetzmäßigkeiten<br />
<strong>zur</strong> Beschreibung von Regelungsvorgängen untersucht und damit eine theoretische<br />
Grundlage für die Reglerentwicklung bereitgestellt. Parallel dazu wurden die gerätetechnischen<br />
Voraussetzungen für die Umsetzung von mathematisch formulierten Reglergesetzen<br />
entscheidend verbessert. Vor allem die Entwicklung im Bereich der Elektronik hat wesentlich<br />
dazu beigetragen, dass auch komplizierte Steuerungs und Regelungsalgorithmen realisiert<br />
werden können.<br />
Kennzeichen einer Regelung ist die Messung von Systemgrößen und deren Nutzung <strong>zur</strong> BeeinÀussung<br />
des zeitlichen Verhaltens des Systems. Der Gegenstand der Untersuchung ist in<br />
der Regelungstechnik also die Dynamik von Systemen. Dabei zeigt es sich, dass die gleichen<br />
1
1.2 GrundlegendeBegriffe(DIN 19226) 2<br />
mathematischen Beziehungen für die Beschreibung des Zeitverhaltens von Anlagen aus sehr<br />
unterschiedlichen technischen Bereichen auftreten.<br />
Ziel der <strong>Vorlesung</strong> ist es, mathematische Werkzeuge bereitzustellen, um das Zeitverhalten von<br />
technischen Systemen beurteilen zu können und damit die geeigneten Regler auszuwählen<br />
oder zu entwickeln.<br />
Man kann damit Regelungstechnik de¿nieren als<br />
Methoden und Prinzipien <strong>zur</strong> Analyse und <strong>zur</strong> BeeinÀussung von dynamischen<br />
Prozessen aus unterschiedlichen technischen Bereichen.<br />
In den nächsten Abschnitten werden die grundlegenden Begriffe eingeführt und typische Regelkreise<br />
betrachtet.<br />
1.2 Grundlegende Begriffe (DIN 19226)<br />
Wie bereits erwähnt, treten vergleichbare Aufgabenstellungen in unterschiedlichen Anwendungsbereichen<br />
auf. Es ist daher sinnvoll, für Systemgrößen und Anlagenteile mit den gleichen<br />
Eigenschaften bzw. Funktionen spezielle Begriffe einzuführen. Diese Begriffe sind in<br />
der Norm DIN 19226 de¿niert und erläutert. Anhand von zwei typischen regelungstechnischen<br />
Beispielen werden sie im Folgenden genauer betrachtet.<br />
a) Temperaturregelung (gasbeheizter Glühofen)<br />
Zur Präzisierung der Aufgabenstellung ist es zweckmäßig, die für die Regelung wichtigen<br />
Anlagenteile schematisch darzustellen (Technologieschema, Wirkschaltplan).<br />
Heizgas<br />
Stellantrieb<br />
Stellventil Gas-Brenner<br />
Stelldruck<br />
Glühgut<br />
Regler und<br />
Messumformer<br />
Gasbeheizter Glühofen<br />
Solltemperatur<br />
Thermoelement
1.2 GrundlegendeBegriffe(DIN 19226) 3<br />
Das Ziel der Regelung ist es, das Glühgut auf eine bestimmte Temperatur zu erwärmen.Diese<br />
vorgegebene Temperatur kann entweder ein konstanter Wert oder aber ein bestimmter Zeitverlauf<br />
etwa für die Wärmebehandlung von Stahl sein. Eine derartige zeitveränderliche vorgegebene<br />
Größe bezeichnet man als Führungsgröße w. Wenn die Führungsgröße nur zwischen<br />
konstanten Werten verstellt wird, nennt man sie auch Sollwert xs. In der oben dargestellten<br />
Anlage wird der Sollwert an einem Potentiometer eingestellt.<br />
Die zu beeinÀussende Systemvariable im Beispiel die Temperatur des Glühgutes nennt<br />
man Aufgabengröße xa. Diese Größe ist nicht direkt messbar. Als Ersatzgröße wird stattdessen<br />
die Temperatur im Ofen gemessen und für die Regelung benutzt. Diese Größe bezeichnet<br />
man daher als Regelgröße x. Die Regelgröße ist abhängig vom zugeführten Wärmestrom, der<br />
wiederum durch den Heizgasvolumenstrom beeinÀusst wird. Durch eine Änderung des Heizgasvolumenstroms<br />
kann also die Regelgröße ”verstellt” werden. Daher wird der Heizgasvolumenstrom<br />
auch als Stellgröße y bezeichnet. Die gerätetechnische Vorrichtung in der hier<br />
betrachteten Anlage ein Ventil <strong>zur</strong> Veränderung der Stellgröße wird nach DIN 19226 als<br />
Stellglied bezeichnet. Durch Stellglieder werden im Allgemeinen Systemvariable verändert,<br />
die zum Transport von Leistung notwendig sind und daher ein hohes Energieniveau besitzen.<br />
Die Information an das Stellglied über den einzustellenden Wert der Stellgröße liefert das<br />
Stellsignal yR. In dem hier betrachteten Beispiel wird ein pneumatisches Ventil eingesetzt. Der<br />
Heizgasvolumenstrom hängt von der Ventilöffnung und diese wiederum vom Hub der Ventilspindel<br />
ab. Der Ventilhub kann durch den Stelldruck verändert werden. Das Stellsignal ist also<br />
hier der Stelldruck.<br />
Der zu regelnde dynamische Prozeß, in diesem Fall der Glühofen mit Gasbrenner sowie das<br />
Glühgut, wird als Regelstrecke bezeichnet.<br />
Bei genauer Kenntnis des Zusammenhangs zwischen Stellsignal und Aufgabengröße kann der<br />
Stellsignalverlauf einmal berechnet werden und dann aufgeschaltet werden. Für eine Änderung<br />
der Glühguttemperatur auf einen höheren Wert müsste dazu beispielsweise zunächst das<br />
Ventil für die Aufheizphase weit geöffnet werden und dann soweit geschlossen werden, dass<br />
nur noch die Wärmeverluste über die Ofenwände kompensiert werden. Eine Erfolgskontrolle<br />
¿ndet hier jedoch nicht statt. Weder die Aufgabengröße noch eine von ihr abhängige Regelgröße<br />
wird <strong>zur</strong>ückgeführt und mit dem Sollwert verglichen. Man hat es hier also mit einer<br />
offenen Wirkungskette zu tun. Eine solche Kon¿guration bezeichnet man als Steuerung.<br />
Durch eine reine Steuerung kann im allgemeinen das Ziel, die Regelgröße der Führungsgröße<br />
möglichst genau anzunähern, nicht erreicht werden, da neben der Stellgröße weitere EinÀussgrößen<br />
wirken. So beeinÀussen z. B. Druckschwankungen oder Heizwertschwankungen des<br />
Heizgases den zugeführten Wärmestrom, während durch Schwankungen bei der Umgebungstemperatur<br />
der abgeführte Wärmestrom verändert wird. Derartige zusätzliche EinÀussgrößen,<br />
die messtechnisch nur schwer oder gar nicht erfasst werden können, bezeichnet man als Störgrößen<br />
z. Ein zweites Problem bei einer reinen Steuerung sind Änderungen des Zusammenhangs<br />
zwischen Stellsignal und Aufgabengröße, zum Beispiel durch Alterung oder Verschmutzung<br />
von Anlagenteilen, das heißt durch Parameterschwankungen der Regelstrecke.<br />
Aus den genannten Gründen ist es zweckmäßig, die Regelgröße mit der Führungsgröße zu vergleichen,<br />
also einen SollwertIstwert durchzuführen und das Stellsignal in Abhängigkeit von<br />
der so gebildeten Regeldifferenz e zu verändern. Die automatische Einstellung des Stellsignals
1.2 GrundlegendeBegriffe(DIN 19226) 4<br />
übernimmt der Regler. Es entsteht damit ein geschlossener Wirkungsablauf: ein Regelkreis.<br />
Die Regelung gestattet also durch Rückführung der Regelgröße bei ungenauer Kenntnis der<br />
Regelstrecke und bei unbekannten Störungen die selbsttätige Verringerung bzw. im Idealfall<br />
Beseitigung der Regeldifferenz.<br />
b) Lageregelung (Werkzeugmaschine)<br />
Als zweites Beispiel betrachten wir nun eine Regelungsaufgabe aus einem ganz anderen Anwendungsbereich.<br />
Bei einer Werkzeugmaschine soll das Werkstück gegenüber dem Werkzeug<br />
so bewegt werden, dass bei Werkzeugeingriff die gewünschte Kontur entsteht. Der Einfachheit<br />
halber betrachten wir nur eine Bewegungsrichtung. Eine schematische gerätetechnische<br />
Darstellung zeigt Bild 2.<br />
Sollwertpotentiometer<br />
Regler<br />
Leistungsverstärker<br />
Gleichstrommotor<br />
Maschinentisch<br />
Werkstück<br />
Lagepotentiometer<br />
Lageregelung bei einer Werkzeugmaschine<br />
Werkzeug<br />
Das Ziel einer Regelung ist es also, den Maschinentisch mit aufgespanntem Werkstück in<br />
eine vorgegebene Position zu bewegen. Diese Bewegung kann durch Verdrehen der Vorschubspindel<br />
mit einem Gleichstrommotor erfolgen. Da Maschinentisch und Antriebsmotor gerätetechnisch<br />
eine Einheit bilden, ist es naheliegend, diesen Teil der Anlage <strong>zur</strong> Regelstrecke<br />
zusammenzufassen. Die Drehzahländerung beim Gleichstrommotor erfolgt über einen Leistungsverstärker,<br />
der bei größeren Antrieben aus Stromrichterschaltungen realisiert ist. Dieser<br />
Leistungsverstärker ist hier also das Stellglied. Für die Lagemessung kann z. B. ein Potentiometer<br />
verwendet werden, das dann unser Messglied darstellt. Die Regelgröße ist folglich<br />
bei dieser Regelungsaufgabe die Lage, die Stellgröße ist die Ankerspannung des Gleichstrommotors,<br />
das Stellsignal ist die Spannung am Verstärkereingang und die Rückführgröße ist die<br />
Potentiometerspannung. Als wichtige Störgröße tritt hier das Lastmoment des Motors bedingt<br />
durch den Werkzeugeingriff auf.<br />
Man erkennt also, dass in unterschiedlichen technischen Bereichen vergleichbare Problemstellungen<br />
auftreten und Anlagenteile mit der gleichen regelungstechnischen Funktion eingesetzt<br />
werden. Physikalisch sehr unterschiedliche Größen besitzen dann regelungstechnisch die gleiche<br />
Funktion.<br />
In Tabelle 1 sind die wichtigsten regelungstechnischen Begriffe und ihre englische Übersetzung<br />
zusammengestellt.
1.3 Struktur von Regelkreisen 5<br />
Tabelle 1: Die wichtigsten regelungstechnischen Begriffe<br />
Begriff Symbol Englische Bezeichnung<br />
Regelung feedback control, closed loop control<br />
Steuerung feedforward control, open loop control<br />
Regelstrecke plant<br />
Stellglied actuator<br />
Messglied sensor<br />
Regler controller, regulator<br />
Regelgröße x output y, controlled variable<br />
Stellgröße y control input u, manipulated variable<br />
Störgröße z disturbance d<br />
Aufgabengröße xa<br />
Regeldifferenz e error signal e<br />
Führungsgröße * reference variable r<br />
1.3 Struktur von Regelkreisen<br />
Für regelungstechnische Untersuchungen ist, wie oben gezeigt wurde, nicht die gerätetechnische<br />
Realisierung, sondern die Wirkungsstruktur maßgebend. Zur Darstellung der Wirkungsstruktur<br />
eignen sich Blockschaltpläne (Wirkungspläne) Dabei werden Teilsysteme durch Blöcke<br />
charakterisiert, die durch Wirkungslinien miteinander verbunden sind. Die Wirkungslinien geben<br />
den InformationsÀuss an und nicht etwa den EnergieÀuss.Zwischen einzelnen Blöcken<br />
soll keine Rückwirkung vorhanden sein. Es wird also eine annähernd rückwirkungsfreie Kopplung<br />
der Teilsysteme vorausgesetzt.Falls doch Rückwirkungen auftreten, sind dafür gesonderte<br />
Wirkungslinien einzuführen.<br />
Im Folgenden werden für die beiden oben betrachteten Beispiele sowie für weitere häu¿g<br />
vorkommende Regelkreise Blockschaltpläne zusammen mit den physikalischen Variablen und<br />
ihrer regelungstechnischen Funktion dargestellt.<br />
a) Temperaturregelung (gasbeheizter Glühofen)<br />
Die Zuordnung der Anlagenteile zu den regelungstechnischen Teilsystemen Regelstrecke,<br />
Stellglied, Messeinrichtung und Regler führt auf den dargestellten Blockschaltplan.Die Festlegung,<br />
welche Systemteile <strong>zur</strong> Regelstrecke gehören und was als Stellglied ausgewählt wird, ist<br />
nicht immer eindeutig. So wäre es durchaus denkbar, den Brenner als eigentliches Stellglied<br />
anzusehen. Da er aber Bestandteil der Ofenanlage ist, wird er hier <strong>zur</strong> Regelstrecke zugeordnet.
1.3 Struktur von Regelkreisen 6<br />
Solltemperatur<br />
¡�¤¤�£�¢�<br />
Messumformer<br />
und Regler<br />
Regeleinrichtung<br />
¡¢£¤¤¥¦§¨©¤� Stelldruck<br />
Stellglied und<br />
Stellventil<br />
Stellglied<br />
Thermospannung<br />
��������§���£�<br />
Druckschwankungen<br />
Heizgas-<br />
Volumenstrom<br />
¡¢£¤¤§���£�<br />
¡¢��§���£�<br />
Blockschaltplan der Temperaturregelung<br />
Ofen und<br />
Brenner und<br />
Glühgut<br />
Regelstrecke<br />
Thermoelement<br />
Messglied<br />
Ofentemperatur<br />
�£§£¤§���£�<br />
Die Aufgabe der Regelungstechnik ist es, für die Regelungsaufgabe einen geeigneten Regler<br />
zu entwickeln. Häu¿g genügt es, einen Reglertyp auszuwählen und für die Parametereinstellung<br />
zu bestimmen. Das wesentliche Kriterium ist dabei das zeitliche Verhalten der Regeldifferenz.Aus<br />
diesem Grund wird der Sollwert– Istwertvergleich besonders hervorgehoben und<br />
dafür ein eigenes Symbol (das Vergleichsglied bestehend aus einem Kreis mit vorzeichenbehafteten<br />
Pfeilen) eingeführt.<br />
Dies führt auf die Struktur des einschlei¿gen Standardregelkreises.<br />
* e<br />
Regler<br />
yR Stellglied<br />
y<br />
z!<br />
Regelstrecke<br />
! ! ! ! B !<br />
r<br />
Meßeinrichtung<br />
*: Führungsgröße e: Regeldifferenz yR: Stellsignal<br />
y: Stellgröße x: Regelgröße z: Störgröße<br />
Meist wird der oben gezeigte Regelkreis weiter vereinfacht. Dazu werden Stellglied, Regelstrecke<br />
und Messeinrichtung zu einem Block zusammengefasst. Eine solche Aufteilung ist<br />
jedoch nicht zwingend. Bei manchen Anwendungen ist es zweckmäßig, die Messeinrichtung,<br />
den Regler und das Stellglied zu einer Einheit zusammenzufassen.<br />
b) Lageregelung (Werkzeugmaschine)
1.3 Struktur von Regelkreisen 7<br />
Der Blockschaltplanfür die oben betrachtete Lageregelung ergibt sich direkt aus der schematischen<br />
gerätetechnischen Darstellung.<br />
�����<br />
����<br />
Elektronisch<br />
er Regler<br />
c) Füllstandsregelung<br />
Regler Stellglied<br />
Regler-<br />
Ausgangs-<br />
Leistungsverstärker<br />
Schleiferspannung<br />
���������������<br />
Motor-Ankerspannung<br />
spannung ������������<br />
�������������<br />
Blockschaltplan des Lageregelkreises<br />
Regelstrecke<br />
Maschinentisch<br />
, Werkstück,<br />
Antrieb<br />
Lagepotentionmeter<br />
Meßglied<br />
Werkstück-<br />
Lage<br />
�������<br />
������<br />
Eine häu¿g auftretende Regelungsaufgabe ist die Niveauregelung bei Behälterfüllständen.<br />
Die schematische gerätetechnische Darstellungfür einen einfachen Regelkreis dieser Art ist<br />
im nachfolgenden Bild angegeben. Der dort eingezeichnete Regler benötigt keine gesonderte<br />
Energieversorgung. Er wird daher auch als Regler ohne Hilfsenergie bezeichnet.<br />
Zufluß<br />
Stellventil<br />
Hebel<br />
Füllstandsregelung<br />
Schwimmer<br />
Behälter<br />
Abfluß
1.3 Struktur von Regelkreisen 8<br />
Auch hier ist die Aufteilung in Regelstrecke, Stellglied, Regler und Messglied offensichtlich<br />
und führt zu folgendem Blockschaltplan:<br />
!<br />
!<br />
d) DurchÀußregelung<br />
Ventilhub<br />
! !<br />
Hebel Stellventil Behälter<br />
Schwimmerposition<br />
Schwimmer<br />
!<br />
Zu�uß<br />
Flüssigkeitsniveau<br />
Eine Regelungsaufgabe, die insbesondere in verfahrenstechnischen Anlagen häu¿g vorkommt,<br />
ist die DurchÀussregelung Die schematische gerätetechnische Darstellungfür eine typische<br />
DurchÀussregelung ist im nachfolgenden Bild angegeben.<br />
Stellantrieb<br />
Stellventil<br />
Stelldruck<br />
Sie führt auf folgenden Blockschaltplan:<br />
!<br />
!<br />
Regler und<br />
Meßumformer<br />
Differenzdruck<br />
Regler und<br />
Messumformer<br />
DurchÀussregelung<br />
! !<br />
Differenzdruck<br />
Solldurchfluss<br />
!<br />
Messblende<br />
Stellventil Rohrleitung<br />
Meßblende<br />
Druckschwankungen<br />
!<br />
Durch�uß<br />
Es ist hier zweckmäßig, das Stellventil als Bestandteil der Regelstrecke anzusehen, da das<br />
Verhalten des Regelkreises wesentlich durch das Ventil beeinÀußt wird.<br />
!
1.4 StatischesVerhalten von Regelkreisen 9<br />
1.4 Statisches Verhalten von Regelkreisen<br />
Ziel der meisten Regelungen ist es, ein technisches System, gegen den EinÀuß von Störgrößen,<br />
auf einen festen Betriebspunkt zu halten. Dies hat eine einfache Ursache, da z.B. ein<br />
Elektromotor bei einer bestimmten Nenndrehzahl den größten Wirkungsgrad hat.<br />
Aus diesem Grund reduziert sich die regelungstechnische Systembeschreibung auf einen kleinen<br />
Bereich um den festgelegten Betriebspunkt. Somit genügt eine Erklärung des statischen<br />
und dynamischen Verhaltens in der Umgebung dieses Betriebspunktes.<br />
Anhand des nächsten Beispiels wird das statische Ein– und Ausgangsverhalten mit den auftretenden<br />
Störgrößen als Parameter, unter Zuhilfenahme des Kennlinienfeldes untersucht.<br />
DurchÀuß q<br />
q0<br />
h0<br />
h<br />
p3<br />
q<br />
p2<br />
p1<br />
p1 p2 p3<br />
Ventilstellung h<br />
Aus dem Kennlinienfeld ist zu ersehen, dass der DurchÀuß (q) eine Funktion vom Eingangsdruck<br />
(pE) und der Ventilstellung (h) ist.<br />
q f h pE<br />
Da ein statischer Signalzusammenhang vorliegt und wir uns auf kleine Auslenkungen um den<br />
Betriebspunkt beschränken, können wir diese Funktion im Betriebspunkt (hier q0) in eine<br />
Taylorreihe entwickeln.<br />
Für pE konst. gilt:<br />
q q f h0 pE0<br />
q K )<br />
sy h mit K )<br />
sy<br />
" f<br />
"h h0 pE0<br />
" f<br />
"h h0 pE0<br />
h<br />
" f<br />
"pE h0 pE0 pE0 (1.1)<br />
K )<br />
sy : Proportionalbeiwert (1.2)
1.5 Kennlinien von Stellgliedern 10<br />
Analog gilt für h konst.:<br />
q K )<br />
sz p mit K )<br />
sz<br />
" f<br />
"pE h0 pE0<br />
K )<br />
sz : Proportionalbeiwert (1.3)<br />
Die hier aufgestellten Gleichungen sind jeweils dimensionsbehaftet, jedoch kann dies von<br />
Nachteil sein, weil dadurch eine einheitliche Behandlung der Systeme und die numerische<br />
Berechnung mittels Rechnern erschwert wird bzw. unmöglich ist. Aus diesem Grund ist eine<br />
Normierung der physikalischen Größen zweckmäßig.<br />
Bei diesem Verfahren werden diese Variablen zu konstanten Bezugsgrößen, die z.B. die Größen<br />
im Betriebszustand seien können, ins Verhältnis gesetzt.<br />
Mit: x<br />
q<br />
q0<br />
und q K )<br />
sy h bzw. q K )<br />
sz<br />
folgt x K )<br />
sy<br />
Ksy K )<br />
sy<br />
h0<br />
q0<br />
h0<br />
q0<br />
y<br />
h<br />
h0<br />
y bzw. x K )<br />
sz<br />
z<br />
p<br />
pE0<br />
bzw. Ksz K )<br />
sz<br />
p0<br />
q0<br />
x Ksy y bzw. x Ksz z<br />
1.5 Kennlinien von Stellgliedern<br />
p<br />
p0<br />
q0<br />
z<br />
Ksy Ksz: normierter Proportionalbeiwert<br />
Exemplarisch für Systeme mit nichtlinearen Kennlinien soll im Folgenden ein Stellventil beschrieben<br />
werden. Das Stellventil dient <strong>zur</strong> BeeinÀussung des Volumenstroms. Wie bei allen<br />
Drosselgeräten gilt für den DurchÀuss<br />
q : A<br />
Dabei ist A der Nennquerschnitt, : die DurchÀusszahl, p die Druckdifferenz am Ventil und I<br />
die Dichte des Mediums. Da Ventile für die DurchÀusseinstellung von unterschiedlichen Medien<br />
eingessetzt werden, wurde für die Ventilauswahl eine charakteristische Kenngröße eingeführt.<br />
Dazu legt man Einheitsbedingungen fest. Als Medium wird Wasser mit einer Temperatur<br />
zwischen 5 0 C und 30 0 C gewählt. Der Druckabfall am Ventil soll p 1bar (98100 Pa) betragen.<br />
Der DurchÀuss unter diesen Bedingungen wird VentildurchÀusskoef¿zient (KV Wert)<br />
genannt.<br />
V<br />
2 p<br />
I
1.5 Kennlinien von Stellgliedern 11<br />
Für den KV Wert des tatsächlich stömenden Mediums gilt dann<br />
KV q<br />
DerKV Wert ist vom Ventilhub abhängig. Für den Nennhub H100 erhält man den SollKV <br />
Wert KV S , für den Hub 0 den KV Wert KV 0. Die Abhängigkeit des KV Wertes vom Hub<br />
wird durch die Bauform des Ventils bestimmt. Zwei Bauformen sind üblich:<br />
lineare Kennlinien<br />
gleichprozentige Kennlinien.<br />
Zur Darstellung der Kennlinien werden normierte Größen für den DurchÀuss und den Ventilhub<br />
eingeführt. Als Bezugsgröße für den DurchÀuss wird der SollKV Wert KV S gewählt.<br />
Man erhält dann den relativen DurchÀusskoef¿zienten<br />
V<br />
KV<br />
KV S<br />
Der Ventilhub wird auf den Nennhub H100 bezogen.<br />
h<br />
H<br />
H100<br />
Für die lineare DurchÀusskennlinie ergibt sich damit die Beziehung<br />
Dabei ist m 1 0 die Steigung der Kennlinie.<br />
p0<br />
p<br />
0 m h<br />
Bei der gleichprozentigen DurchÀusskennlinie haben gleiche relative Hubänderungen h die<br />
gleiche Änderung des relativen DurchÀusskoef¿zienten <strong>zur</strong> Folge. D.h. es gilt:<br />
KV<br />
KV<br />
Nach Grenzübergang und Integration erhält man<br />
n H<br />
H100<br />
I<br />
I 0
1.5 Kennlinien von Stellgliedern 12<br />
ln KV<br />
KV 0<br />
n H<br />
H100<br />
Mit Hilfe der Umkehrfunktion für den Logarithmus folgt daraus<br />
KV<br />
KV 0<br />
H<br />
n H e 100<br />
Nach Erweiterung mit KV S erhält man daraus die Beziehung für den relativen DurchÀusskoef¿zienten<br />
0 e nh<br />
Der relative DurchÀusskoef¿zient bei geschlossenem Ventil 0 ist dabei als theoretische Größe<br />
anzusehen. Der Kehrwert von 0 wird auch als theoretisches Stellverhältnis bezeichnet.<br />
Für reale Ventile gilt die theoretische Kennlinie bei h 0 nicht. Bei geschlossenem Ventil ist<br />
für reale Ventile der DurchÀuss Null.<br />
In der folgenden Abbildung sind die beiden Kennlinien dargestellt.<br />
Φ<br />
Φ 0<br />
1<br />
0.9<br />
0.8<br />
0.7<br />
0.6<br />
0.5<br />
0.4<br />
0.3<br />
0.2<br />
0.1<br />
Lineare Kennlinie<br />
Gleichprozentige<br />
Kennlinie<br />
0<br />
0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1<br />
Ventilkennlinien<br />
Neben den beiden genannten Kennlinienformen sind noch verschiedene andere Kennlinien in<br />
Gebrauch. In der Norm sind dafür jedoch keine mathematischen Beschreibungen festgelegt.<br />
h