Das Bild des Anderen - Katholische Kirche (Schweiz)
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cher Bin<strong>des</strong>trich im Ausdruck jüdisch-christlich behaupte eine Vereinigung, die so<br />
nicht bestehe.<br />
Dieser ambivalenten Beziehung zwischen Judentum und Christentum muss das<br />
interreligiöse Gespräch Rechnung tragen, indem es nicht nur religiöse Gemeinsamkeiten,<br />
sondern auch theologische Unterschiede herausstellt.<br />
Vielleicht hatte die christliche Hinwendung zur jüdischen Religion in den vergangenen<br />
Jahrzehnten notwendigerweise den Charakter einer neuen Selbstbegegnung,<br />
denn mit wachsender Kenntnis <strong>des</strong> Judentums vertiefte sich das christliche Verständnis<br />
der eigenen Wurzeln, die Erkenntnis von Jesu Ju<strong>des</strong>ein und vom Eigenwert<br />
<strong>des</strong> Alten Testaments als Hebräischer Bibel. Als Zeugnisse der Anerkennung<br />
der Autorität der Hebräischen Bibel ist besonders auf die beiden Dokumente der<br />
Päpstlichen Bibelkommission hinzuweisen: Die Interpretation der Bibel in der<br />
<strong>Kirche</strong> (1993) und <strong>Das</strong> jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen<br />
Bibel (2001).<br />
Juden und Christen sollen nicht unter Absehung ihres Glaubens, sondern aus der<br />
Tiefe ihres Glaubens sich gegenseitig annehmen und miteinander versöhnen. 18 <strong>Das</strong><br />
Bewusstsein der eigenen religiösen Identität und die Anerkennung <strong>des</strong> Eigenwerts<br />
<strong>des</strong> <strong>Anderen</strong> sind Voraussetzungen eines authentischen Dialogs zwischen den<br />
Religionen. Standfestigkeit und Dialogfähigkeit, Wahrung <strong>des</strong> Eigenen und Öffnung<br />
auf den <strong>Anderen</strong> bilden eine fruchtbare Spannung, die in der jüdischchristlichen<br />
Begegnung sinnvoll durchgehalten werden muss. <strong>Das</strong> wahre Interesse<br />
am <strong>Anderen</strong> setzt bei einer Aufmerksamkeit für den <strong>Anderen</strong> ein, die, gerade weil<br />
sie um das eigene Selbst weiss, den <strong>Anderen</strong> in seiner eigenen Art und seinem<br />
Eigenwert zu verstehen sucht, die nicht nur das Verwandte, sondern auch das<br />
Fremde wahrnimmt und annimmt.<br />
So schreibt der jüdisch-ägyptische Denker Edmond Jabès: „In seinem Willen zum<br />
<strong>Das</strong>ein lehrt uns der Fremde, dass es keine Selbsterkenntnis geben kann ohne vorhergehende<br />
Selbstanerkenntnis. (...) Der Andere, indem er mich anerkennt, lehrt<br />
mich, mich selbst zu erkennen (…).“ 19 Indem mich der Fremde zum Fremden<br />
macht, eröffnet er mir mein Selbstsein, meine Identität. Erst die Erfahrung <strong>des</strong><br />
Andersseins und Fremdseins ermöglicht das Ich-Selbst-Sein und die Einzigartigkeit<br />
<strong>des</strong> Ich und <strong>des</strong> Du.<br />
<strong>Das</strong> Wesen <strong>des</strong> Dialogs mit dem <strong>Anderen</strong> beschrieb Martin Buber in seiner Schrift<br />
Ich und Du: „Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du. Alles wirkliche Leben<br />
ist Begegnung.“ 20<br />
18 Vgl. Joseph Kardinal Ratzinger, Evangelium, Katechese, Katechismus. Streiflichter auf den Katechismus<br />
der katholischen <strong>Kirche</strong>, München 1995, 63–83: Jesus von Nazareth, Israel und die Christen.<br />
Ihre Beziehung und ihr Auftrag nach dem Katechismus der katholischen <strong>Kirche</strong> von 1992; 82.<br />
19 Edmond Jabès, Ein Fremder mit einem kleinen Buch unterm Arm, München, Wien 1993, 113f.<br />
20 Martin Buber, Ich und Du, Gerlingen 12 1994, 18.<br />
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