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Vom “Sturm und Drang” zur Romantik 13 - Heinrich Detering

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Vorlesung Sommersemester 20<strong>13</strong>:<br />

<strong>Vom</strong> „Sturm <strong>und</strong> Drang“ bis <strong>zur</strong> <strong>Romantik</strong><br />

<strong>13</strong>. Die Götter Griechenlands,<br />

Brot <strong>und</strong> Wein:<br />

Schiller <strong>und</strong> Hölderlin


Schillers Dramen der Autonomie – <strong>und</strong> der Politik<br />

nach den Dramen im Gefolge des Sturm <strong>und</strong> Drang<br />

(Die Räuber 1781, Die Verschwörung des Fiesco zu Genua<br />

1783, Kabale <strong>und</strong> Liebe. Ein bürgerliches Trauerspiel 1784)<br />

die ‚klassischen‘ Dramen:<br />

Dom Karlos, Infant von Spanien (später: Don Carlos) 1787<br />

Wallensteins Lager/ Die Piccolomini/ Wallensteins Tod 1800<br />

Maria Stuart 1801<br />

Die Jungfrau von Orléans 1801<br />

Die Braut von Messina (frei erf<strong>und</strong>ene Handlung!) 1803<br />

Wilhelm Tell 1804<br />

• Wallensteins friedliche europäische Zukunftordnung vs. alte Ordnung<br />

des Kaisers, in dessen Dienst er steht;<br />

• von der Diplomatie des wohlverstandenen Eigeninteresses zum Hochverrat<br />

in der Kollaboration mit den Schweden;<br />

• Lüge gegenüber dem Kaiser, gegenüber den eigenen Soldaten,<br />

gegenüber seiner Familie – <strong>und</strong> gegenüber sich selbst.


Friedrich Schiller: Die Sänger der Vorwelt (1795)<br />

Sagt, wo sind die Vortrefflichen hin, wo find ich die Sänger,<br />

Die mit dem lebenden Wort horchende Völker entzückt,<br />

Die vom Himmel den Gott, zum Himmel den Menschen gesungen,<br />

Und getragen den Geist hoch auf den Flügeln des Lieds?<br />

Ach, noch leben die Sänger, nur fehlen die Taten, die Lyra<br />

Freudig zu wecken, es fehlt ach! ein empfangendes Ohr.<br />

Glückliche Dichter der glücklichen Welt! Von M<strong>und</strong>e zu M<strong>und</strong>e<br />

Flog, von Geschlecht zu Geschlecht euer empf<strong>und</strong>enes Wort.<br />

Wie man die Götter empfängt, so begrüßte jeder mit Andacht,<br />

Was der Genius ihm, redend <strong>und</strong> bildend, erschuf.<br />

An der Glut des Gesangs entflammten des Hörers Gefühle,<br />

An des Hörers Gefühl nährte der Sänger die Glut.<br />

Nährt’ <strong>und</strong> reinigte sie! Der Glückliche, dem in des Volkes<br />

Stimme noch hell <strong>zur</strong>ück tönte die Seele des Lieds.<br />

Dem noch von außen erschien, im Leben, die himmlische Gottheit,<br />

Die der Neuere kaum, kaum noch im Herzen vernimmt.


Konsequenter Klassizismus auf dem Theater:<br />

Friedrich Schiller, Die Braut von Messina oder<br />

Die feindlichen Brüder.<br />

Ein Trauerspiel mit Chören. Weimar 1803.<br />

• Psychologisch gesteigertes „Schicksals“-<br />

Konzept: unbewusster Inzest (Sohn will<br />

Schwester heiraten) steigert die Todfeindschaft<br />

zwischen den beiden in dieselbe Frau verliebten<br />

Brüdern, die im Brudermord (Don Manuels<br />

durch Don Cesar) <strong>und</strong> Selbstmord (Don Cesars)<br />

kulminiert <strong>und</strong> den geweissagten Untergang des<br />

Geschlechts bewirkt.<br />

• Motivation durch Begehren, Tabuisierung,<br />

Verdrängung, Wiederkehr des Verdrängten (im<br />

Traum, in Aggression <strong>und</strong> Selbstaggression).<br />

• Anti-Iphigenie: Durchsetzung des fatum gegen<br />

alle Versuche einer Aufklärung <strong>und</strong> Sittigung.


• Analytisches Drama nach dem Vorbild des Sophokles <strong>und</strong> Aischylos,<br />

• „nach der strengen griechischen Form“ (Schiller an Körner 1801),<br />

• begünstigt durch Schillers Bühnenfassung von Goethes Iphigenie 1802<br />

• <strong>und</strong> Goethes Inszenierung von Aug. Wilh. Schlegels Ion 1802,<br />

• verb<strong>und</strong>en jedoch mit Shakespeares ‚synthetischem‘ Drama (Folge<br />

aller erzählten Vorgeschichten sind Mord <strong>und</strong> Selbstmord) – also der…<br />

• Versuch einer Synthese aus Antike <strong>und</strong> ‚Moderne‘: durch<br />

die Wahl des Schauplatzes <strong>und</strong> der Zeit (Sizilien als antiker <strong>und</strong><br />

christlicher Schauplatz, in einem stilisierten Mittelalter)<br />

• die metrische Form: Blankverse <strong>und</strong> jambische Trimeter, chorische<br />

Oden <strong>und</strong> Hymnen,<br />

• die Einführung des Chores (Vorwort der Buchausgabe: Über den<br />

Gebrauch des Chors in der Tragödie) als Repräsentation des Volkes,<br />

politischer Öffentlichkeit,<br />

• durch die Verbindung von antikem fatum-Modell <strong>und</strong> moderner<br />

Psychologie: Das Gr<strong>und</strong>thema von Heteronomie <strong>und</strong> Autonomie wird<br />

zum Strukturprinzip des Dramas.


Vorwort: Über den Gebrauch des Chors in der Tragödie<br />

„Es ist nicht wahr, … daß das Publikum die Kunst herabzieht; der<br />

Künstler zieht das Publikum herab … Das Publikum braucht nichts als<br />

Empfänglichkeit, <strong>und</strong> diese besitzt es. Es tritt vor den Vorhang mit einem<br />

unbestimmten Verlangen, mit einem vielseitigen Vermögen. Zu dem<br />

Höchsten bringt es eine Fähigkeit mit; es erfreut sich an dem Verständigen<br />

<strong>und</strong> Rechten, <strong>und</strong> wenn es damit angefangen hat, sich mit dem<br />

Schlechten zu begnügen, so wird es zuverlässig damit aufhören, das<br />

Vortreffliche zu fordern, wenn man es ihm erst gegeben hat. … Indem<br />

man das Theater ernsthafter behandelt, will man das Vergnügen des<br />

Zuschauers nicht aufheben, sondern veredeln. Alle Kunst ist der Freude<br />

gewidmet, <strong>und</strong> es gibt keine höhere <strong>und</strong> keine ernsthaftere Aufgabe, als<br />

die Menschen zu beglücken. Die rechte Kunst ist nur diese, welche den<br />

höchsten Genuß verschafft. Der höchste Genuß aber ist die Freiheit des<br />

Gemütes in dem lebendigen Spiel aller seiner Kräfte. … hier hatte man<br />

lange <strong>und</strong> hat noch jetzt mit dem gemeinen Begriff des Natürlichen zu<br />

kämpfen, welcher alle Poesie <strong>und</strong> Kunst geradezu aufhebt <strong>und</strong> vernichtet.


Der bildenden Kunst gibt man zwar notdürftig, doch mehr aus konventionellen<br />

als aus innern Gründen, eine gewisse Idealität zu; aber von der<br />

Poesie <strong>und</strong> von der dramatischen insbesondere verlangt man Illusion, die,<br />

wenn sie auch wirklich zu leisten wäre, immer nur ein armseliger Gauklerbetrug<br />

sein würde. Alles Äußere bei einer dramatischen Vorstellung<br />

steht diesem Begriff entgegen – Alles ist nur ein Symbol des Wirklichen.<br />

Der Tag selbst auf dem Theater ist nur ein künstlicher, die Architektur ist<br />

nur eine symbolische, die metrische Sprache selbst ist ideal; aber die<br />

Handlung soll nun einmal real sein <strong>und</strong> der Teil das Ganze zerstören. So<br />

haben die Franzosen, die den Geist der Alten zuerst ganz mißverstanden,<br />

eine Einheit des Ortes <strong>und</strong> der Zeit nach dem gemeinsten empirischen<br />

Sinn auf der Schaubühne eingeführt, als ob her ein anderer Ort wäre, als<br />

der bloß ideale Raum, <strong>und</strong> eine andere Zeit, als bloß die stetige Folge der<br />

Handlung. Durch Einführung einer metrischen Sprache ist man indes der<br />

poetischen Tragödie schon um einen großen Schritt näher gekommen. Die<br />

Einführung des Chors wäre der letzte, der entscheidende Schritt – <strong>und</strong><br />

wenn derselbe auch nur dazu diente, dem Naturalism in der Kunst offen<br />

<strong>und</strong> ehrlich den Krieg zu erklären …


Der Chor … folgte [in der alten Tragödie] schon aus der poetischen<br />

Gestalt des wirklichen Lebens. In der neuen Tragödie wird er zu einem<br />

Kunstorgan; er hilft die Poesie hervorbringen. Der neuere Dichter findet<br />

den Chor nicht mehr in der Natur, er muß ihn poetisch erschaffen <strong>und</strong><br />

einführen …<br />

Der Palast der Könige ist jetzt geschlossen, die Gerichte haben sich von<br />

den Toren der Städte in das Innere der Häuser <strong>zur</strong>ückgezogen, die<br />

Schrift hat das lebendige Wort verdrängt, das Volk selbst, die sinnlich<br />

lebendige Masse, ist, wo sie nicht als rohe Gewalt wirkt, zum Staat,<br />

folglich zu einem abgezogenen Begriff geworden, die Götter sind in die<br />

Brust des Menschen <strong>zur</strong>ückgekehrt. Der Dichter muß die Paläste wieder<br />

auftun, er muß die Gerichte unter freien Himmel hinausführen, er muß<br />

die Götter wieder aufstellen,<br />

er muß alles Unmittelbare, das durch die künstliche Einrichtung des<br />

wirklichen Lebens aufgehoben ist, wieder herstellen …


Der Chor verläßt den engen Kreis der Handlung, …um die großen<br />

Resultate des Lebens zu ziehen <strong>und</strong> die Lehren der Weisheit auszusprechen.<br />

Aber er tut dies mit der vollen Macht der Phantasie, mit einer<br />

kühnen lyrischen Freiheit, welche auf den hohen Gipfeln der menschlichen<br />

Dinge, wie mit Schritten der Götter, einhergeht – <strong>und</strong> er tut es,<br />

von der ganzen sinnlichen Macht des Rhythmus <strong>und</strong> der Musik in<br />

Tönen <strong>und</strong> Bewegungen begleitet.“


1. Akt, 1. Auftritt. Die Scene ist eine geräumige Säulenhalle, auf beiden<br />

Seiten sind Eingänge, eine große Flügelthüre in der Tiefe führt zu einer<br />

Kapelle. Donna Isabella in tiefer Trauer, die Aeltesten von Messina stehen<br />

um sie her. Isabella: Der Not gehorchend, nicht dem eignen Trieb,<br />

Tret‘ ich, ihr greisen Häupter dieser Stadt,<br />

Heraus zu euch aus den verschwiegenen<br />

Gemächern meines Frauensaals, das Antlitz<br />

Vor euren Männerblicken zu entschleiern.<br />

Denn es geziemt der Witwe, die den Gatten<br />

Verloren, ihres Lebens Licht <strong>und</strong> Ruhm,<br />

Die schwarz umflorte Nachtgestalt dem Aug<br />

Der Welt in stillen Mauern zu verbergen …<br />

Beginn des Schlussakts, Don Cesar:<br />

Das Recht des Herrschers üb‘ ich aus zum letzten Mal,<br />

Dem Grab zu übergeben diesen theuren Leib,<br />

Denn dieses ist der Todten letzte Herrlichkeit.<br />

Vernehmt denn meines Willens ernstlichen Beschluß,<br />

Und wie ich's euch gebiete, also übt es aus …


Erster Akt, dritter Auftritt:<br />

Chor tritt auf. Er besteht aus zwei Halbchören …<br />

Erster Chor:<br />

Dich begrüß‘ ich in Ehrfurcht,<br />

Prangende Halle,<br />

Dich, meiner Herrscher<br />

Fürstliche Wiege,<br />

Säulengetragenes herrliches Dach.<br />

Tief in der Scheide<br />

Ruhe das Schwert,<br />

Vor den Thoren gefesselt<br />

Liege des Streits schlangenhaarigtes Scheusal. …<br />

Zweiter Chor:<br />

Zürnend ergrimmt mir das Herz im Busen,<br />

Zu dem Kampf ist die Faust geballt,<br />

Denn ich sehe das Haupt der Medusen,<br />

Meines Feindes verhaßte Gestalt.<br />

Kaum gebiet‘ ich dem kochenden Blute. …


Erster Chor:<br />

Weisere Fassung<br />

Ziemet dem Alter,<br />

Ich, der Vernünftige, grüße zuerst.<br />

(Zu dem zweiten Chor.)<br />

Sei mir willkommen,<br />

Der du mit mir<br />

Gleiche Gefühle<br />

Brüderlich teilend,<br />

Dieses Palastes<br />

Schützende Götter<br />

Fürchtend verehrst! …<br />

Der ganze Chor:<br />

Aber treff ich dich draußen im Freien,<br />

Da mag der blutige Kampf sich erneuen,<br />

Da erprobe das Eisen den Muth.


Gereimte Stichomythie der Chöre im ersten Auftritt des dritten Akts:<br />

Erster Chor: Du würdest wohl tun, diesen Platz zu leeren.<br />

Zweiter Chor: Ich will‘s, wenn bessre Männer es begehren.<br />

Erster Chor: Du könntest merken, dass du lästig bist.<br />

Zweiter Chor: Deswegen bleib‘ ich, weil es dich verdrießt.<br />

Erster Chor: Hier ist mein Platz. Wer darf <strong>zur</strong>ück mich halten?<br />

Zweiter Chor: Ich darf es tun, ich habe hier zu walten.<br />

Erster Chor: Mein Herrscher sendet mich, Don Manuel!<br />

Zweiter Chor: Ich stehe hier auf meines Herrn Befehl.<br />

Erster Chor: Dem ältern Bruder muss der jüngre weichen.<br />

Zweiter Chor: Dem Erstbesitzenden gehört die Welt.<br />

Erster Chor: Verhasster, geh <strong>und</strong> räume mir das Feld. [Und so weiter!]<br />

„Ich habe den Chor zwar in zwei Teile getrennt <strong>und</strong> im Streit mit sich<br />

selbst dargestellt; aber dies ist nur dann der Fall, wo er als wirkliche<br />

Person <strong>und</strong> als blinde Menge mithandelt. Als Chor <strong>und</strong> als ideale Person<br />

ist er immer eins mit sich selbst.“ ( – ? )<br />

Das Drama der Versöhnung von Antike <strong>und</strong> Moderne als Dokument<br />

‚modernen‘ Scheiterns: ein klassizistischer Abschied vom Klassizismus.


Schillers poetische Reflexion über Antike <strong>und</strong> Moderne:<br />

Die Götter Griechenlands<br />

zuerst 1788 in Wielands Zeitschrift<br />

Der Teutsche Merkur, 25 Strophen,<br />

hier die gekürzte zweite Fassung in Schillers<br />

Ausgabe seiner gesammelten<br />

Gedichte, 16 Strophen,<br />

Leipzig 1800 / 1804


Die Götter Griechenlands<br />

Da ihr noch die schöne Welt regieret,<br />

An der Freude leichtem Gängelband [Schiller, An die Freude, 1785]<br />

Selige Geschlechter noch geführet,<br />

Schöne Wesen aus dem Fabelland!<br />

Ach, da euer Wonnedienst noch glänzte,<br />

Wie ganz anders, anders war es da!<br />

Da man deine Tempel noch bekränzte,<br />

Venus Amathusia! [Venus-Aphrodite als Göttin der Schönheit]<br />

Da der Dichtung zauberische Hülle<br />

Sich noch lieblich um die Wahrheit wand –<br />

Durch die Schöpfung floss da Lebensfülle,<br />

Und was nie empfinden wird, empfand.<br />

An der Liebe Busen sie zu drücken,<br />

Gab man höhern Adel der Natur,<br />

Alles wies den eingeweihten Blicken,<br />

Alles eines Gottes Spur.


Wo jetzt nur, wie unsre Weisen sagen,<br />

Seelenlos ein Feuerball sich dreht,<br />

Lenkte damals seinen gold‘nen Wagen<br />

Helios [der Sonnengott] in stiller Majestät.<br />

Diese Höhen füllten Oreaden, [Berg-Nymphen]<br />

Eine Dryas [Baum-Nymphe] lebt‘ in jenem Baum,<br />

Aus den Urnen lieblicher Najaden [Wasser-Nymphen]<br />

Sprang der Ströme Silberschaum.<br />

Jener Lorbeer wand sich einst um Hilfe,<br />

Tantals Tochter [Niobe, die Versteinerte] schweigt in diesem Stein,<br />

Syrinx‘ [Fluss-Nymphe, in Schilf verwandelt] Klage tönt' aus jenem Schilfe,<br />

Philomelens [in Nachtigall verwandelte Prinzessin] Schmerz in diesem Hain.<br />

Jener Bach empfing Demeters [Fruchtbarkeitsgöttin] Zähre,<br />

Die sie um Persephonen geweint, [ihre in die Unterwelt entführte Tochter]<br />

Und von diesem Hügel rief Cythere [Venus, Aphrodite]<br />

Ach umsonst! den schönen Fre<strong>und</strong>. [Adonis, Leidensgenosse Persephones]


Zu Deukalions Geschlechte stiegen [König von Thessalien, ‚Noah‘]<br />

Damals noch die Himmlischen herab,<br />

Pyrrhas [seiner Frau] schöne Töchter zu besiegen,<br />

Nahm der Leto Sohn [Apoll] den Hirtenstab.<br />

Zwischen Menschen, Göttern <strong>und</strong> Heroen<br />

Knüpfte Amor einen schönen B<strong>und</strong>.<br />

Sterbliche mit Göttern <strong>und</strong> Heroen<br />

Huldigten in Amathunt [Kultort der Venus-Aphrodite].<br />

Finstrer Ernst <strong>und</strong> trauriges Entsagen<br />

War aus eurem heitern Dienst verbannt,<br />

Glücklich sollten alle Herzen schlagen,<br />

Denn euch war der glückliche verwandt.<br />

Damals war nichts heilig als das Schöne,<br />

Keiner Freude schämte sich der Gott,<br />

Wo die keusch errötende Kamöne [Quellen-Nymphe, Muse],<br />

Wo die Grazie gebot. [Grazien / Chariten: Göttinnen der Anmut]


Eure Tempel lachen gleich Palästen,<br />

Euch verherrlichte das Heldenspiel<br />

An des Isthmus kronenreichen Festen,<br />

Und die Wagen donnerten zum Ziel.<br />

Schön geschlungne seelenvolle Tänze<br />

Kreis‘ten um den prangenden Altar,<br />

Eure Schläfe schmückten Siegeskränze,<br />

Kronen euer duftend Haar.<br />

Das Evoe muntrer Thyrsusschwinger [der Ruf der Dionysos-Nachfolger]<br />

Und der Panther prächtiges Gespann<br />

Meldeten den großen Freudebringer, [den Dionysos]<br />

Faun <strong>und</strong> Satyr taumeln ihm voran,<br />

Um ihn springen rasende Mänaden,<br />

Ihre Tänze loben seinen Wein,<br />

Und des Wirtes braune Wangen laden<br />

Lustig zu dem Becher ein.


Damals trat kein grässliches Gerippe<br />

Vor das Bett des Sterbenden. Ein Kuss<br />

Nahm das letzte Leben von der Lippe,<br />

Still <strong>und</strong> traurig senkt‘ ein Genius<br />

Seine Fackel. Schöne lichte Bilder [Lessing: Wie die Alten den Tod gebildet]<br />

Scherzten auch um die Notwendigkeit,<br />

Und das ernste Schicksal blickte milder<br />

Durch den Schleier sanfter Menschlichkeit.<br />

Seine Freuden traf der frohe Schatten<br />

In Elysiens Hainen wieder an;<br />

Treue Liebe fand den treuen Gatten<br />

Und der Wagenlenker seine Bahn;<br />

Orpheus‘ Spiel tönt die gewohnten Lieder<br />

In Alcestens Arme sinkt Admet,<br />

[Alkestis geht für ihren Mann in den Tod, Herakles bringt sie zu ihm <strong>zur</strong>ück]<br />

Seinen Fre<strong>und</strong> erkennt Orestes wieder, [Orest <strong>und</strong> Pylades]<br />

Seine Waffen Philoktet. [der verw<strong>und</strong>et von Odyseus ausgesetzt worden ist<br />

<strong>und</strong> geholt werden muss, weil seine W<strong>und</strong>erwaffen gebraucht werden]


Damals trat kein grässliches Gerippe<br />

Vor das Bett des Sterbenden. Ein Kuss<br />

Nahm das letzte Leben von der Lippe,<br />

Still <strong>und</strong> traurig senkt‘ ein Genius<br />

Seine Fackel. Schöne lichte Bilder [Lessing: Wie die Alten den Tod gebildet]<br />

Scherzten auch um die Notwendigkeit,<br />

Und das ernste Schicksal blickte milder<br />

Durch den Schleier sanfter Menschlichkeit.<br />

Seine Freuden traf der frohe Schatten<br />

In Elysiens Hainen wieder an;<br />

Treue Liebe fand den treuen Gatten<br />

Und der Wagenlenker seine Bahn;<br />

Orpheus‘ Spiel tönt die gewohnten Lieder<br />

In Alcestens Arme sinkt Admet,<br />

[Alkestis geht für ihren Mann in den Tod, Herakles bringt sie zu ihm <strong>zur</strong>ück]<br />

Seinen Fre<strong>und</strong> erkennt Orestes wieder, [Orest <strong>und</strong> Pylades]<br />

Seine Waffen Philoktet. [der verw<strong>und</strong>et von Odyseus ausgesetzt worden ist<br />

<strong>und</strong> geholt werden muss, weil seine W<strong>und</strong>erwaffen gebraucht werden]


Höh‘re Preise stärkten da den Ringer<br />

Auf der Tugend arbeitvoller Bahn:<br />

Großer Taten herrliche Vollbringer<br />

Klimmten zu den Seligen hinan;<br />

Vor dem Wiederforderer der Toten [Herakles holt die Alcestis <strong>zur</strong>ück]<br />

Neigte sich der Götter stille Schar.<br />

Durch die Fluten leuchtet dem Piloten<br />

<strong>Vom</strong> Olymp das Zwillingspaar. [Castor <strong>und</strong> Pollux, Schützer der Seefahrer –<br />

Herakles, Castor <strong>und</strong> Pollux als vergöttlichte Menschen]<br />

Schöne Welt, wo bist du? – Kehre wieder,<br />

Holdes Blütenalter der Natur! [das Goldene Zeitalter: das Paradies]<br />

Ach! nur in dem Feenland der Lieder<br />

Lebt noch deine goldne Spur.<br />

Ausgestorben trauert das Gefilde,<br />

Keine Gottheit zeigt sich meinem Blick,<br />

Ach! von jenem lebenwarmen Bilde<br />

Blieb nur das Gerippe mir <strong>zur</strong>ück.


Alle jene Blüten sind gefallen<br />

von des Nordes winterlichem Wehn.<br />

Einen zu bereichern, unter allen,<br />

Musste diese Götterwelt vergehn.<br />

Traurig such ich an dem Sternenbogen,<br />

Dich, Selene [Mondgöttin], find ich dort nicht mehr;<br />

Durch die Wälder ruf ich, durch die Wogen,<br />

Ach! sie wiederhallen leer!<br />

Unbewusst der Freuden, die sie schenket,<br />

Nie entzückt von ihrer Trefflichkeit,<br />

Nie gewahr des Armes, der sie lenket,<br />

Reicher nie durch meine Dankbarkeit,<br />

Fühllos selbst für ihres Künstlers Ehre,<br />

Gleich dem toten Schlag der Pendeluhr,<br />

Dient sie knechtisch dem Gesetz der Schwere [Newtons Gravitationsgesetz]<br />

Die entgötterte Natur!


Morgen wieder neu sich zu entbinden,<br />

Wühlt sie heute sich ihr eignes Grab,<br />

Und an ewig gleicher Spindel winden<br />

Sich von selbst die Monde auf <strong>und</strong> ab.<br />

Müßig kehrten zu dem Dichterlande<br />

Heim die Götter, unnütz einer Welt<br />

Die, entwachsen ihrem Gängelbande,<br />

Sich durch eignes Schweben hält.<br />

Ja, sie kehren heim <strong>und</strong> alles Schöne<br />

Alles Hohe nahmen sie mit fort,<br />

Alle Farben, alle Lebenstöne,<br />

Und uns blieb nur das entseelte Wort.<br />

Aus der Zeitflut weggerissen schweben<br />

Sie gerettet auf des Pindus Höhn, [Gebirge zwischen Epirus <strong>und</strong> Thessalien]<br />

Was unsterblich im Gesang soll leben<br />

Muss im Leben untergehn.


Aus der frühen Fassung (in Wielands Zs. Teutscher Merkur, 1788):<br />

Fre<strong>und</strong>los, ohne Bruder, ohne Gleichen,<br />

Keiner Göttin, keiner Ird‘schen Sohn,<br />

Herrscht ein Andrer in des Äthers Reichen<br />

Auf Saturnus umgestürztem Thron.<br />

Selig, eh sich Wesen um ihn freuten,<br />

Selig im entvölkerten Gefild,<br />

Sieht er in dem langen Strom der Zeiten<br />

Ewig nur – sein eignes Bild.<br />

Bürger des Olymps konnt‘ ich erreichen,<br />

Jenem Gotte, den sein Marmor preist,<br />

Konnte einst der hohe Bildner gleichen;<br />

Was ist neben Dir der höchste Geist<br />

Derer, welche Sterbliche geboren?<br />

Nur der Würmer Erster, Edelster.<br />

Da die Götter menschlicher noch waren,<br />

Waren Menschen göttlicher.


Schiller: Christus oder Dionysos<br />

Das Evoe muntrer Thyrsusschwinger<br />

Und der Panther prächtiges Gespann<br />

Meldeten den großen Freudebringer,<br />

Faun <strong>und</strong> Satyr taumeln ihm voran,<br />

Um ihn springen rasende Mänaden,<br />

Ihre Tänze loben seinen Wein,<br />

Und des Wirtes braune Wangen laden<br />

Lustig zu dem Becher ein. …<br />

Fre<strong>und</strong>los, ohne Bruder, ohne Gleichen,<br />

Keiner Göttin, keiner Ird‘schen Sohn,<br />

Herrscht ein Andrer in des Äthers Reichen<br />

Auf Saturnus umgestürztem Thron.<br />

Selig, eh sich Wesen um ihn freuten,<br />

Selig im entvölkerten Gefild,<br />

Sieht er in dem langen Strom der Zeiten<br />

Ewig nur – sein eignes Bild.


Friedrich Hölderlin:<br />

Brot <strong>und</strong> Wein. An Heinse. (1800)<br />

Erste Strophe separat u. d. T. Die Nacht 1807,<br />

vollständiger Druck erst 1884:<br />

9 Strophen mit jeweils 9 Distichen.

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