Nervenzelle und Tiefenpsychologie
Nervenzelle und Tiefenpsychologie
Nervenzelle und Tiefenpsychologie
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
der Umwelt brauchen, um ablaufen zu können, problematisch hingegen bei<br />
Strukturen, die die Umwelt beeinflussen oder sich von ihr unabhängig machen.<br />
Wir gehen jetzt noch weiter als in der Unterscheidung von Appetenz <strong>und</strong> Aversion: es<br />
wurde gezeigt, dass aversive Reaktionen gr<strong>und</strong>sätzlich selbstbestätigenden<br />
Charakter haben. Es ist aber klar, dass überhaupt jede Möglichkeit, die nicht<br />
ausprobiert wird, wesentliche Information über die „Welt“ abblockt. Eine<br />
Reaktionskette hat die Tendenz, sich zu verifizieren, wenn dies nur irgendmöglich ist.<br />
Eher werden einige ad-hoc-Hypothesen gef<strong>und</strong>en als dass die Gr<strong>und</strong>hypothesen<br />
hinterfragt werden. Eine Reaktionskette misst <strong>und</strong> korrigiert sich demnach nur an<br />
ihrer Verifizierbarkeit, nicht aber an einer umfassenden Realitätsprüfung. Zudem sind<br />
(wie im oben zitierten Experiment) häufig Reaktionen in der Lage, Stimuli zu<br />
produzieren, auf die der Organismus im Sinne einer Bestätigung seiner Hypothesen<br />
weiter reagieren kann.<br />
Ein Beispiel ist die Entwicklung von Aberglauben: Ein Medizinmann vertritt die<br />
Hypothese, er könne mit einem ganz bestimmten Rauch Regen machen. Das mag<br />
einige Male funktionieren, d.h. wenn er im richtigen Moment (kurz vor einem Regen)<br />
sein Feuer macht, regnet es nachher. Dieser Ablauf ist geeignet, die Hypothese zu<br />
unterstützen. Meist wird es jedoch nicht so gut funktionieren: wenn er im falschen<br />
Moment sein Feuer macht, regnet es nicht. Jetzt wird nicht die Hypothese in Frage<br />
gestellt, sondern eine ad-hoc-Hypothese aufgestellt:<br />
Vielleicht muss man das Feuer länger machen (wenn er es lange genug probiert,<br />
wird es sicher irgendwann regnen).<br />
Vielleicht sind die Götter nicht günstig gesinnt: dann muss man das Feuer dann<br />
machen, wenn sie günstig gesinnt sind. Damit wird die Angelegenheit ad absurdum<br />
geführt: unser Medizinmann muss jetzt eine Meteorologie entwickeln, die ihm sagt,<br />
wann er sein Feuer machen darf, damit es nachher regnet. Das Feuer wäre zwar<br />
jetzt überflüssig, denn es regnet sowieso, wenn die Anzeichen da waren, aber der<br />
Medizinmann hat immerhin seine Hypothese nicht aufgeben brauchen.<br />
Genauso funktionieren Reaktionsketten, die auf vielen Ebenen mit ad-hoc-<br />
Hypothesen überlagert sein können, die aber nur in ganz besonderen Situationen<br />
aufgegeben werden: wenn sie mit allen Mitteln nicht mehr verifizierbar sind. Eine<br />
solche Situation ist – im guten Fall – die Psychoanalyse. In der Übertragungssituation<br />
werden alle Hypothesen durchgespielt <strong>und</strong> aufgedeckt, ohne dass sie Bestätigung<br />
finden können. Andere Methoden versuchen, gezielt auf diese Hypothesen (die meist<br />
nicht bewusst werden, oder für selbstverständlich gehalten <strong>und</strong> nicht reflektiert<br />
werden) hinzuarbeiten, sie verbal zugänglich zu machen (was bei den meisten<br />
möglich ist), so dass sie gezielt (wenn auch mit einiger Angst <strong>und</strong> Aufregung)<br />
überprüft werden können. Dazu gehört etwa die Transaktionale Analyse E. BERNEs<br />
(siehe BERNE 1972, STEINER 1974).<br />
4.7. Bewusstes <strong>und</strong> Unbewusstes<br />
Wir haben dargelegt, dass jede Auslösung einer Reaktion als Verstärker wirkt für die<br />
vorhergegangene Reaktion. Das beschriebene Beispiel enthält nur eine Reaktion, die<br />
Fluchtreaktion. Ein anderes Beispiel zeigt die Bedeutung der Verstärkung:<br />
Stehlen von Kirschen ist bekanntlich faszinierend. Kirschen schmecken gut, <strong>und</strong> die<br />
Furcht vor der Strafe (die früh konditioniert wurde) wirkt als Verstärker für die<br />
Tendenz, Kirschen zu stehlen.<br />
36