Unverkäufliche Leseprobe des Propyläen Verlages
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<strong>Unverkäufliche</strong> <strong>Leseprobe</strong> <strong>des</strong><br />
<strong>Propyläen</strong> <strong>Verlages</strong><br />
Alle Rechte vorbehalten.<br />
Die Verwendung der Texte und Bilder, auch auszugsweise, ist ohne<br />
schriftliche Zustimmung <strong>des</strong> <strong>Verlages</strong> urheberrechtswidrig und<br />
strafbar.<br />
Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder<br />
die Verwendung in elektronischen Systemen.<br />
© <strong>Propyläen</strong> Verlag<br />
Weitere Infos unter:<br />
http://www.propylaeen-verlag.de
Dan Diner<br />
Feindbild Amerika<br />
Über die Beständigkeit eines Ressentiments<br />
<strong>Propyläen</strong><br />
3
<strong>Propyläen</strong> Verlag<br />
<strong>Propyläen</strong> ist ein Verlag <strong>des</strong> Verlagshauses<br />
Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG<br />
ISBN 3 549 07174 4<br />
© 2002 by Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG, München<br />
Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany<br />
Gesetzt aus der Baskerville bei<br />
Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin<br />
Druck und Bindung: Clausen & Bosse, Leck<br />
4
Inhalt<br />
Vorwort 7<br />
Verkehrungen:<br />
»Amerika« in Europa 13<br />
»Keine Nachtigall«:<br />
Romantische Abspaltung<br />
im 19. Jahrhundert 42<br />
»Wilson ist groß, und Kautsky<br />
ist sein Prophet«:<br />
Weimarer Ambivalenzen 66<br />
Onkel Sam und Onkel Shylock:<br />
Nationalsozialistische Imaginationen 90<br />
»USA-SA-SS«:<br />
Bun<strong>des</strong>republikanische Verschiebungen 115<br />
Nach dem 11. September:<br />
Apologie Amerikas 163<br />
Anmerkungen 207<br />
Literaturverzeichnis 221<br />
Personenregister 235<br />
5
6<br />
»Das Unverständnis der Deutschen,<br />
aber nicht nur der Deutschen,<br />
für angelsächsische Traditionen<br />
und amerikanische Wirklichkeit<br />
ist ein alte Geschichte.«<br />
Hannah Arendt
Vorwort<br />
Bei diesem Buch handelt es sich um eine überarbeitete und<br />
um ein Kapitel über die Folgen <strong>des</strong> 11. September erweiterte<br />
Fassung eines 1993 unter dem Titel »Verkehrte Welten« im<br />
Eichborn Verlag auf Anregung <strong>des</strong> Verlagslektors Albert Sellner<br />
erschienenen historischen Essays über das Phänomen<br />
<strong>des</strong> Antiamerikanismus in Deutschland. Das damalige Buch<br />
war von den Ritualen <strong>des</strong> Protests und den öffentlichen Reaktionen<br />
auf den Golfkrieg 1991 im gerade erst vereinigten<br />
Deutschland angestoßen worden. Dabei war vermutet worden,<br />
dass es nicht etwa eine durchaus legitime, begründete<br />
Gegnerschaft zum von den Vereinigten Staaten angeführten<br />
militärischen Vorgehen gegen den Irak war, die zu jenen Reaktionen<br />
führte. Vielmehr schien es, als entluden sich im<br />
Protest gegen den Krieg beziehungsweise gegen die USA<br />
Empfindungen, die nicht auf konjunkturelle politische Umstände<br />
allein, sondern auf tiefer angesiedelte Schichten eines<br />
gegen Amerika gerichteten historischen Ressentiments verwiesen.<br />
Es verwunderte jedenfalls, dass sich gerade jüngere<br />
Menschen, die doch von biographisch gebundenen Erfahrungen<br />
aus der Zeit <strong>des</strong> Zweiten Weltkriegs kaum berührt<br />
sein konnten, angesichts der politischen und militärischen<br />
Vorgänge zur Beschreibung ihrer Empfindungen und Reaktionen<br />
Begriffe und Bilder bedienten, die ebenjene Vergangenheit<br />
evozierten. Es lag also nahe, diesem merkwürdig anmutenden<br />
Phänomen nachzugehen. Daraus ist ein polemisch<br />
7
gemeinter, also durchaus die Zuspitzung suchender historischer<br />
Essay hervorgegangen.<br />
Die Form der Polemik bot sich als dem Gegenstand <strong>des</strong> Interesses<br />
angemessene Darstellungsweise insofern an, als es<br />
sich beim diagnostizierten Ressentiment <strong>des</strong> Antiamerikanismus<br />
nicht um allemal berechtigte Einwände gegen diese oder<br />
jene kritikwürdige Haltung der Vereinigten Staaten beziehungsweise<br />
deren Politik zu handeln schien, sondern eher um<br />
das Ergebnis einer verschrobenen Welterklärung, einer affektgeladenen<br />
Rationalisierung von gesellschaftlich Unverstandenem.<br />
In dieser Welterklärung wird Amerika immer wieder als<br />
Ursprung und Quelle aller nur möglichen Übel identifiziert.<br />
Insofern weist der Antiamerikanismus in Form wie Inhalt<br />
manche Affinität zum Antisemitismus auf, ohne mit diesem<br />
freilich identisch zu sein. So ficht das antiamerikanische Ressentiment<br />
die Vereinigten Staaten nicht in erster Linie dafür<br />
an, was sie tun, sondern dafür, was sie sind.<br />
Antiamerikanismus tritt nicht als geschlossene und sich auf<br />
den ersten Blick als solche zu erkennen gebende Weltanschauung<br />
auf, sondern legt sich als Schleier unterschiedlicher Konsistenz<br />
auf in den Vereinigten Staaten tatsächlich anzutreffende<br />
oder ihnen auch nur zugeschriebene Phänomene von<br />
Politik, Kultur und Alltagsleben. Insofern ist Antiamerikanismus<br />
anhand von gegen Amerika in Stellung gebrachten<br />
Bildern, Emblemen und Metaphern zu entschlüsseln. Solche<br />
häufig dem unerkannten Ressentiment entweichende Zuschreibungen<br />
sind nicht immer eindeutig, sondern als Teil<br />
eines überaus zwiespältigen Wahrnehmungsgefüges zu verstehen,<br />
in dem sich tatsächliche Vorkommnisse und andere Realien<br />
mit projektiven Anteilen zu einem undurchsichtigen<br />
Geflecht eines negativen Amerikabil<strong>des</strong> verdichten. Dabei weisen<br />
solche Zuschreibungen in den verschiedenen Milieus unterschiedliche<br />
und schichtenspezifische Konsistenzen auf. Bei<br />
aller Unterschiedlichkeit der Embleme und Metaphern <strong>des</strong><br />
8
antiamerikanischen Ressentiments ist ein Element jedenfalls<br />
von durchgängiger Beständigkeit – das Element einer ambivalenten,<br />
vornehmlich aber feindseligen, durch Angst bestimmten<br />
Reaktion auf die Moderne. Schließlich gilt die amerikanische<br />
Moderne als die modernste aller möglichen Varianten.<br />
Und weil sie, in welcher Ausformung auch immer, zur Zukunft<br />
aller zu werden droht, neigen Traditionsgesellschaften unterschiedlicher<br />
Provenienz dazu, auf die allgegenwärtigen Phänomene<br />
der Moderne in Gestalt ebenjenes antiamerikanischen<br />
Ressentiments zu reagieren. Ein offensichtliches Paradoxon<br />
stellt sich her: widerständige Reaktionen auf Zeichen einer inkriminierten<br />
Zeit – der Moderne – konvertieren in die Male<br />
eines denunzierten Ortes – Amerika.<br />
Die negativ affektierten Reaktionen in Europa der Neuen<br />
Welt gegenüber waren anfänglich eine Art mentales Vorrecht<br />
der Aristokratie. Schließlich hatte gerade sie die sich in der<br />
Neuen Welt ausbildende Gleichheit als ankündigende Annullierung<br />
ihrer tradierten Lebensform zu fürchten. Solche Reaktionen<br />
waren auf dem Kontinent bei weitem stärker ausgebildet<br />
als in England, wo die Nobilität sich schon recht früh<br />
auf Aktivitäten wie Handel, Gelderwerb und Börse eingelassen<br />
hatte und dabei Denkform und Habitus <strong>des</strong> Bürgertums<br />
übernahm. Zunehmend griffen die mit Amerika verbundenen<br />
Negativbilder im 19. Jahrhundert auch auf andere Schichten<br />
über, wobei allenthalben deutlich wurde, dass die gegen<br />
die Vereinigten Staaten gerichtete Stimmung vornehmlich in<br />
solchen Milieus Verbreitung fand, die sich durch die amerikanisch<br />
eingefärbte Moderne oder durch das, was Amerika<br />
zugeschrieben wurde, zunehmend bedrängt fühlten. Bei weniger<br />
privilegierten Schichten fand eine solche Stimmung nur<br />
wenig Resonanz. Schließlich sahen sie sich potenziell als einer<br />
neuen Welt zugewandte Immigranten.<br />
Die gegenwärtig als Globalisierung charakterisierte Tendenz<br />
auf dem Weltmarkt wird zu Unrecht allein mit Amerika<br />
9
in Verbindung gebracht. Vielmehr handelt es sich bei der National-<br />
wie Territorialstaatlichkeit unterlaufenden Entwicklung<br />
um ein universelles ökonomisches Phänomen. Zwar entsprechen<br />
die Formen der Globalisierung durchaus jenem<br />
traditionellerweise im 20. Jahrhundert von den Vereinigten<br />
Staaten gleichsam vertretenen Prinzips <strong>des</strong> Freihandels, doch<br />
kann die Globalisierung und die damit verbundene Offenheit<br />
der Märkte einzelnen Brancheninteressen in den USA durchaus<br />
zuwiderlaufen. Protektionistische Anwandlungen sind<br />
den Amerikanern nicht fremd und werden immer wieder<br />
zum Leidwesen ihrer Handelspartner praktiziert. Diese der<br />
Offenheit <strong>des</strong> Weltmarktes zuwiderlaufenden defensiven<br />
Ordnungspraktiken der USA – wie im Übrigen auch anderer<br />
als führend geltender Volkswirtschaften – zum Schaden der<br />
sich dem Weltmarkt öffnenden ärmeren Ökonomien widersprechen<br />
den Prinzipien der Globalisierung, wie überhaupt<br />
die allerorts wirksam werdenden Tendenzen der Deregulierung<br />
internationaler Mechanismen der Regulierung bedürfen.<br />
Die Reaktionen auf den 11. September haben deutlich werden<br />
lassen, dass sich mit dem ausgehenden 20. Jahrhundert<br />
und angesichts eines mit dem Verfall der Sowjetunion offenbar<br />
gewordenen Paradigmenwechsels, vor allem in Ländern und<br />
bei Intellektuellen der vormaligen Dritten Welt, insbesondere<br />
aber im Bereich <strong>des</strong> arabisch-muslimischen Kulturzusammenhanges,<br />
Amerika gegenüber Haltungen herausbildeten, die<br />
sich gleichfalls nicht allein aus einer durchaus mit ernst zu nehmenden<br />
Argumenten vorgetragenen Ablehnung amerikanischer<br />
Politik speisen können. Vielmehr erinnern sie an längst<br />
bekannte Reaktionen der europäischen Traditionsgesellschaften<br />
auf die Phänomene der Moderne und damit auf die Neue<br />
Welt. Insofern ist mit einiger Wahrscheinlichkeit zu vermuten,<br />
dass sich nunmehr weltweit, wenn auch mit signifikanten Unterschieden,<br />
ein Vorgang abspielt, der gewisse Ähnlichkeiten<br />
10
mit frühen Reaktionsmustern europäischer Traditionsgesellschaften<br />
Amerika gegenüber aufweist – freilich mit erheblichen,<br />
den Stadien der jeweiligen Säkularisierung geschuldeten<br />
Verschärfungen.<br />
Während der 1993 erschienene und für die vorliegende<br />
Neuausgabe nur unwesentlich revidierte Text allein der deutschen<br />
Variante <strong>des</strong> amerikafeindlichen Ressentiments gewidmet<br />
war, befasst sich das hinzugefügte Kapitel vornehmlich<br />
mit den vom Ereignis <strong>des</strong> 11. September ausgehenden<br />
Reaktionen und ihren vermuteten historischen wie gesellschaftlichen<br />
Hintergründen. Zudem soll stärker auf den besonderen<br />
Charakter der Vereinigten Staaten als universeller<br />
Republik und den sie auszeichnenden religiösen und ethnischen<br />
Pluralismus verwiesen werden. Schließlich ist Multiethnizität<br />
nicht ein amerikanisches Phänomen allein, sondern<br />
von einer weltweit zunehmenden Relevanz.<br />
Aufgrund <strong>des</strong> Charakters dieser Schrift als polemisch<br />
gehaltener historischer Essay erhebt der Text keinen akademischen<br />
Anspruch. Weder wurde alle hierzu vorliegende Literatur<br />
ausgewertet, noch wurden diejenigen einschlägigen<br />
Schriften zu Rate gezogen, die seit der Erstausgabe publiziert<br />
worden sind. Erwähnung und Dank gebührt Margret Plath,<br />
die das Buch neu lektoriert hat.<br />
Jerusalem und Leipzig, Sommer 2002<br />
11
Verkehrungen:<br />
»Amerika« in Europa<br />
»So war anfangs die ganze Welt ein Amerika.« Mit diesen<br />
Worten kennzeichnet John Locke im Jahre 1690 in seinem<br />
Buch »Zwei Abhandlungen über die Regierung« die Bedeutung<br />
<strong>des</strong> neuen Kontinents. 1 Solcher Formulierung ist ein Anflug<br />
von Schöpfungsgeschichte eigen: Mit der Entdeckung<br />
Amerikas sieht sich die Welt gleichsam neu erfunden. Die<br />
Wucht dieses Gründungsaktes und die davon ausgehenden<br />
tektonischen Beben finden schon 1552 in den Worten <strong>des</strong><br />
zeitgenössischen spanischen Historikers Francisco López de<br />
Gomara ihren angemessenen Ausdruck. Dieser glaubt in der<br />
Entdeckung Amerikas das bedeutendste Ereignis seit der Erschaffung<br />
der Welt auszumachen – von der Stiftung <strong>des</strong> Christentums<br />
freilich abgesehen, wie die gottgefällige Einschränkung<br />
lautet. 2 Adam Smith bewertet 1776 – dem seinerseits<br />
ikonographische Bedeutung annehmenden Datum der amerikanischen<br />
Revolution – die nunmehr fast dreihundert Jahre<br />
zurückliegende Entdeckung <strong>des</strong> neuen Kontinents als einen<br />
der folgenreichsten Einschnitte, welche »die Geschichte der<br />
Menschheit verzeichnet«. 3 In der Tat waren die Auswirkungen<br />
der Entdeckung Amerikas gewaltig – auf die materielle<br />
Lebenswirklichkeit wie auf das Bewusstsein der Menschen;<br />
und mit Glaubensfragen, wenn auch mit solchen eher profanen<br />
Charakters, blieben die Folgen jenes Vorganges bis in die<br />
Gegenwart hinein verknüpft.<br />
Mit der Unabhängigkeit der nordamerikanischen Kolo-<br />
13
nien, die sich bald darauf Vereinigte Staaten nannten, erfährt<br />
die Debatte um Amerika neuen Auftrieb. Von einer »Zweiten<br />
Entdeckung« <strong>des</strong> Kontinents war gar die Rede, und die sich<br />
an dieses Ereignis heftenden Urteile waren Legion. Sie reichten<br />
von hymnischer Lobpreisung bis zu abgrundtiefer Verdammung.<br />
In einem Brief vom Jahre 1778 äußerte sich etwa<br />
der Ökonom Turgot geradezu enthusiastisch: Amerika bedeute<br />
so etwas wie die »Hoffnung <strong>des</strong> Menschengeschlechts«;<br />
für Europa sei es jedenfalls nachahmenswert. 4 In seiner<br />
1768/69 in Berlin erschienenen Studie »Recherches philosophiques<br />
sur les américains« hingegen beklagt Cornelius de<br />
Pauw die Entdeckung und Eroberung der Neuen Welt als<br />
»das größte Unglück«, das der Menschheit je widerfahren sei. 5<br />
Wie kein anderer Kontinent hält Amerika die Phantasiewelt<br />
Europas in Atem. 6 Anders als die historisch älteren Kontinente<br />
Asien und Afrika war das neu entdeckte Amerika von<br />
Anfang an ein Objekt europäischer Imagination. Den Worten<br />
John H. Elliotts nach sind dieses projektiv gehaltenen Verhältnisses<br />
wegen die Schicksale beider Kontinente »unlösbar miteinander<br />
verbunden«. 7<br />
Die Entdeckung Amerikas kommt also einem Gründungsakt<br />
gleich. Die Welt fand sich von da an insofern wie neu erschaffen,<br />
als sie neu gedacht werden musste. So jedenfalls<br />
lässt sich John Lockes Aussage von jenem Anfang verstehen,<br />
der sowohl die Unberührtheit <strong>des</strong> Urzustan<strong>des</strong> als auch den<br />
Anbeginn einer neuen historischen Zeitrechnung umschreibt.<br />
»So war anfangs die ganze Welt ein Amerika« bezeichnet vornehmlich<br />
den Urzustand als Wildnis, all das, was Zivilisierung<br />
und Entfremdung vorausgeht und damit jenseits der<br />
menschlichem Geiste entsprungenen und von Menschenhand<br />
geschaffenen Segnungen wie Verheerungen liegt. Solcher<br />
Diagnose ist insgeheim der Auftrag zur Fortführung und<br />
Erfüllung <strong>des</strong> Vorausgegangenen eingeschrieben: Amerika<br />
soll Europa werden.<br />
14
Dies ist nur die eine, eher teleologischen Vorgaben von<br />
Fortschrittsgläubigkeit sich fügende Variante der Interpretation.<br />
Die lockesche Formel von jenem vorhistorischen Anfang,<br />
der ganz und gar Amerika war, lässt sich auch anders<br />
lesen, vor allem heute, nach manchem Fortschrittsüberdruss<br />
und Zivilisationsdegout. So gedeutet könnte mit »Neue Welt«<br />
ein von den Unbilden der Kultur unbehelligter Urzustand gemeint<br />
sein, ganz im Sinne jenes verlorenen Paradieses, einer<br />
in die Vorzeit verlegten Utopie, und jenseits <strong>des</strong> zivilisatorischen<br />
Sündenfalls der Moderne. Solche Phantasie von nach<br />
Amerika verlegten paradiesischen Zuständen ist durchaus<br />
kein Novum.<br />
Vorstellungen von konfliktfreien Lebenswelten hatten auch<br />
schon früher ihren heilsgeschichtlichen Phantasieort ganz<br />
weit nach Westen verlegt. Dies gilt für Thomas Morus’ 1516<br />
verfasste Schrift »Utopia« ebenso wie für Francis Bacons 1627<br />
veröffentlichtes Buch »New Atlantis«. 8 Vor dem Hintergrund<br />
misslicher Zustände in der Alten Welt waren Arkadien und<br />
Eden jenseits <strong>des</strong> Atlantiks gut zu imaginieren. Die Humanisten<br />
jedenfalls neigten dazu, ihre Sehnsüchte auf die Kulisse<br />
der Neuen Welt zu projizieren. Dort meinten sie Verhältnisse<br />
zu erkennen, »von denen in alten Schriften so oft erzählt wird:<br />
in der die Menschen einfach und in Unschuld leben, ohne<br />
den Zwang von Gesetzen, ohne streitende Richter und ohne<br />
Verleumdung, und die sich damit zufrieden geben, einfach<br />
nur der Natur zu genügen, und nicht zu wissen begehren, was<br />
der morgige Tag bringt«. 9<br />
Den Europäern bedeutet Amerika also Ur- und Naturzustand<br />
– und dies in doppeltem Sinn: wilde Natur, die es durch<br />
Verbreitung von Christentum und Zivilisation zu erlösen galt,<br />
und umgekehrt die von ebenjener Zivilisation vergewaltigte<br />
unschuldige Natur, ein umgeschlagenes Paradies, das als Ausbund<br />
der Moderne und Verderbnis der Welt Wut und Enttäuschung<br />
wie magnetisch auf sich zieht. Beiden Varianten<br />
15
Amerikas ist eines gemein: Amerika ist europäische Gegenwelt<br />
– ein Kontinent komplementär zur abendländischen Zivilisation<br />
und Projektionsfläche für all jene Bilder und Metaphern,<br />
die der Entgegensetzung zu Europa entspringen.<br />
Zunehmend erfasst die antimodernistische Reaktionsbildung<br />
über Europa hinausgehend auch solche Traditionsgesellschaften,<br />
die durch die Verwerfungen der Globalisierung in den<br />
Sog einer ohnehin zwiespältigen Moderne geraten. Deren alleinigen<br />
Verursacher glauben sie in der Neuen Welt, in den<br />
Vereinigten Staaten zu erkennen.<br />
Amerika wird für die Folgen der dunklen Seite der Moderne<br />
haftbar gemacht; die USA werden zur notorischen Projektionsfläche<br />
abgespaltener Anteile von Selbsthass. 10 So trägt<br />
Amerika das Stigma einer weltumspannenden Zivilisation.<br />
Der Erinnerungsdiskurs etwa zum fünfhundertjährigen<br />
Gedenken der Entdeckung Amerikas gemahnte offenkundig<br />
an solche Zuschreibungen. Eine weit verbreitete Rhetorik legte<br />
nahe, mit der Entdeckung und Besiedlung Amerikas sei<br />
das Ur-Verbrechen der Menschheit begangen worden, ein<br />
Sündenfall der Weltgeschichte, eine Art Gründungsakt <strong>des</strong><br />
Bösen. Bei genauerem Hinsehen wollte es gar scheinen, als<br />
habe jener inkriminierte Akt der »Entdeckung« seinen Ausgang<br />
eigentlich vom nördlichen Halbkontinent der Neuen<br />
Welt genommen und nicht etwa von der Iberischen Halbinsel.<br />
Dieser Eindruck entstand aufgrund der vorherrschenden<br />
Stimmung – und dies nicht nur in Lateinamerika, wo<br />
eigentümlicherweise ausgerechnet Kreolen und andere Nachkommen<br />
hispanischer Konquistadoren ihrer notorischen<br />
Amerikafeindlichkeit Luft machen, kommt man auf die Vereinigten<br />
Staaten auch nur zu sprechen.<br />
Es sind die USA, die das apokryphe Zeichen Amerikas tragen.<br />
Die von Menschenhand verursachten Leiden in der<br />
Neuen Welt und über diese hinaus werden vornehmlich den<br />
Nordamerikanern zur Last gelegt. Die Vereinigten Staaten ha-<br />
16
en das Ausgreifen einer grenzenlos angelegten bürgerlichen<br />
Gesellschaft zu verantworten; ihnen und ausschließlich ihnen<br />
wird eine schier alles nivellierende und die Vielfalt der Kulturen<br />
eliminierende Lebensform zugeschrieben. Der universell<br />
beklagte Verlust vertrauter Lebenswelten und tradierter Gewissheiten<br />
kennt demnach nur die USA als Verursacher, jenen<br />
omnipräsenten Ort und Moloch der Moderne, der von<br />
lüsternen, welterobernden Begierden angetrieben wird. Der<br />
Schriftsteller Ludwig Marcuse hat einmal beklagt, Amerika<br />
eigne sich zum idealen Sündenbock für die universelle Tendenz<br />
der Selbstentfremdung, und dies allein schon <strong>des</strong>halb,<br />
»weil es überall da ist«. Durch die sich global ausbreitende<br />
Moderne als einer vornehmlich, ja fast ausschließlich mit den<br />
Vereinigten Staaten in Verbindung gebrachten Lebensform<br />
würde Amerika »jedermanns mächtiger, zu sichtbarer Nachbar«.<br />
11 Bei Ignazio Silone findet solche Charakterisierung ihre<br />
treffende Pointierung: »Amerika ist überall.« 12<br />
In der Tat muten die Dimensionen Amerikas im Vergleich<br />
zu jenen Europas gigantisch an, und dies nicht bloß seiner<br />
schieren Größe wegen, sondern der davon ausgehenden Verschiedenheit.<br />
Eine amerikanische Schifffahrtsgesellschaft<br />
wusste in der Zwischenkriegszeit ihrem Werbetext die Einwirkung<br />
<strong>des</strong> Vergleichs auf das Bewusstsein paradox einzuschreiben:<br />
»Die Welt ist klein, nur Amerika ist groß.« 13<br />
Die Motive der Amerikafeindlichkeit haben vielfältige Ursprünge.<br />
Einer liegt in der sich zur Weltanschauung verdichtenden<br />
Entgegensetzung <strong>des</strong> alten und <strong>des</strong> neuen Kontinents.<br />
So gesehen handelt es sich bei Amerika gewissermaßen um<br />
Europas Alter Ego. Sowohl historisches Auseinandertreten<br />
wie politisches Zusammentreffen <strong>des</strong> Neuen und <strong>des</strong> Alten<br />
waren von zuweilen traumatischer Wirkung. Allein die Umstände,<br />
die Europäer zu Amerikanern machten, sind hierfür<br />
ein eindringlicher Beleg. An den Einwanderungswellen in die<br />
17
Neue Welt sind die Jahresringe europäischer Krisen abzulesen.<br />
An ihnen wiederum setzen sich Schichten amerikanischer<br />
Erinnerung ab, die über Europa wenig Gutes zu verbreiten<br />
hat. Die amerikanische Freiheit war schließlich nicht<br />
zuletzt die räumlich verschobene Reaktion auf die europäische<br />
Unfreiheit. Und die in steter Reihung aufeinander folgenden<br />
europäischen Katastrophen schienen das Prinzip<br />
Amerika immer wieder aufs Neue zu bestätigen. Die Distanz<br />
wurde immer größer. Thomas Jefferson wünschte sich jedenfalls<br />
nicht weniger als einen »Ozean aus Feuer« zwischen beide<br />
Kontinente gelegt. Das sich von Amerika abgrenzende europäische<br />
Bewusstsein wiederum sah die Neue Welt als einen<br />
schwelenden Herd der Bedrohung und Zersetzung eigener<br />
Werte. Von dort schien nichts Geringeres als Verfall und Dekadenz<br />
auszugehen – und zum Schrecken <strong>des</strong> erlauchten Publikums<br />
griff diese Seuche zunehmend auf Europa über.<br />
Zur Zeit der Aufklärung richteten sich Phantasiegebilde eines<br />
von Amerika ausgehenden Niedergangs vornehmlich auf<br />
vermeintliche Naturphänomene. Ohne die Neue Welt jemals<br />
zu Gesicht bekommen zu haben, vertrat der hoch angesehene<br />
Gelehrte Comte de Buffon selbstgewiss die Auffassung, in<br />
Amerika träten physiologische und psychologische Rückbildungen<br />
von Lebewesen ein. Siedler und aus Europa eingeführte<br />
Haustiere wiesen dort nach einiger Zeit Degenerationserscheinungen<br />
erheblichen Ausmaßes auf. Als Anhaltspunkt<br />
wurde das äußere Erscheinungsbild der Indianer herangezogen,<br />
die – verglichen mit den Europäern – in der Tat nur spärlichen<br />
Körperhaarwuchs aufweisen. 14 Auch der bereits erwähnte<br />
Abbé de Pauw erachtete die Lebensbedingungen, die<br />
Europäer in der Neuen Welt erwarteten, als bedrohlich, einer<br />
gedeihlichen zivilisierten Existenz jedenfalls abträglich. Neben<br />
Furcht und Entsetzen auslösenden Phänomenen der<br />
Dekadenz bei Tieren, die ihre Schwänze verlören, Hunden,<br />
denen das Bellen abhanden komme, und Menschen, deren<br />
18
Köpfe quadratische Form annähmen, sei die Umwelt von Gewürm,<br />
Schlangen, Reptilien und Insekten vergiftet. 15<br />
In der nach-aufklärerischen Periode verlor die Naturbilder<br />
zitierende Metaphorik in Deutung und Bewertung der<br />
Neuen Welt immer stärker an Wirkung. An ihrer statt konzentrierte<br />
sich die Bebilderung der Wahrnehmungen Amerikas<br />
nach und nach auf Phänomene <strong>des</strong> Gesellschaftlichen,<br />
die von denen Europas doch so verschieden waren. 16 Das Degenerationsmotiv<br />
kam zunehmend in politischer Rede zur<br />
Geltung. Der von Amerika ausgehende Niedergang sei in<br />
der Idee und Wirklichkeit von Gleichheit und Freiheit begründet,<br />
beklagten die reaktionären und konservativen Gegner<br />
der bürgerlichen Gesellschaft. Umgekehrt waren die<br />
Freunde der Neuen Welt von der Idee der Republik, von<br />
Freiheit und Gleichheit, wie sie in Amerika verwirklicht wurden,<br />
enthusiasmiert. Beiden Haltungen war wiederum eines<br />
gemeinsam: Sie sahen in Amerika die Zukunft Europas aufgehen<br />
und damit die Konturen von Zukunft schlechthin. Es<br />
war ein bleiben<strong>des</strong> Spiel: Negativ finden sich in »Amerika«<br />
die eigenen Verfallsängste gespiegelt, positiv werden Zukunftshoffnungen<br />
genährt. In ihrer Wirkung sind diese Bilder<br />
von langer Dauer; sie reichen aus der Vormoderne bis<br />
weit ins 20. Jahrhundert hinein. So geht die Rede, im Aufstieg<br />
Amerikas spiegele sich der Komplementärvorgang zum<br />
»Untergang <strong>des</strong> Abendlan<strong>des</strong>«, nicht etwa auf den Dekadenzschriftsteller<br />
Oswald Spengler zurück, sondern auf seinen<br />
Zeitgenossen Moeller van den Bruck. 17 Und die beklemmende<br />
modernistische Untergangsvision Aldous Huxleys<br />
trägt 1932 bezeichnenderweise die »Neue Welt« wie ein Stigma<br />
im Titel. Im sich traditionell rückversichernden europäischen<br />
Bewusstsein besetzt »Amerika« jene Metaphern, die<br />
vorzugsweise die dunkle Seite der Moderne bebildern. In jedem<br />
Fall steht es für eine als wenig anheimelnd diagnostizierte<br />
Zukunft der Menschheit.<br />
19
Einen Blick in die Zukunft der Menschheit werfen wollte<br />
auch der französische Historiker und Politiker Alexis de<br />
Tocqueville, der die Vereinigten Staaten bereiste und studierte.<br />
In seinem klassischen Werk »Über die Demokratie in Amerika«<br />
räumt er bereitwillig ein, in seinem Erkundungsdrang<br />
sei es ihm weniger um die Vereinigten Staaten als solche gegangen<br />
als um die Erforschung der demokratischen Lebensform.<br />
18 In einem Brief an John Stuart Mill bestätigt Tocqueville<br />
seine Intention: »Amerika war nur mein Rahmen;<br />
Demokratie war der Gegenstand.« 19 Deren Vorzügen und<br />
Nachteilen habe seine Neugierde insofern gegolten, als in der<br />
Neuen Welt die Zukunft Europas vorweggenommen werde.<br />
Was Tocqueville 1835 in den Vereinigten Staaten schon<br />
frühzeitig erkannte, irritierte die Europäer fortwährend: ein<br />
Gemeinwesen als bloße Gesellschaft – ganz ohne Staat. In der<br />
Tat handelte es sich bei Amerika um eine regelrechte Verkehrung<br />
europäischer Geschichtserfahrung. Dort, in der Alten<br />
Welt, hatte sich der Staat schon früh zur Voraussetzung von<br />
Ordnung und Wohlfahrt erhoben; der Staat ging der bürgerlichen<br />
Gesellschaft gleichsam voraus. In Amerika war eine gegenläufige<br />
Entwicklung zu diagnostizieren. Von Anbeginn an<br />
als bürgerliche Gesellschaft angelegt, schätzten die freiheitsversessenen<br />
Amerikaner jene alles überwölbende Staatlichkeit<br />
gering, die Europas Geschichtsbewusstsein beflügelte<br />
und die von Hegel als Inkarnation kultureller Überlegenheit<br />
gefeiert worden war. Der große Philosoph <strong>des</strong> deutschen<br />
Idealismus wiederum erachtete Amerika als dazu verdammt,<br />
bloß »bürgerliche Gesellschaft« zu sein. Damit war nicht nur<br />
eine historische Diagnose ausgesprochen, sondern auch ein<br />
entwicklungsgeschichtliches Werturteil gefällt, das Amerika<br />
auf einen niederen Rang verwies. Überhaupt lasse sich Nordamerika<br />
mit Europa erst dann vergleichen, wenn dort »die<br />
bürgerliche Gesellschaft in sich zurückgedrängt wäre … Amerika<br />
hat von dem Boden auszuscheiden, auf welchem sich bis<br />
20
heute die Weltgeschichte begab. Was bis jetzt sich hier ereignete,<br />
ist nur der Widerhall der Alten Welt und der Ausdruck<br />
fremder Lebendigkeit, und als Land der Zukunft geht es uns<br />
hier überhaupt nichts an.« 20<br />
Manfred Henningsen bringt den paradoxen Zusammenhang<br />
von einer sich zunehmend globalisierenden Erfahrung<br />
einerseits und der Verkennung der Vereinigten Staaten andererseits<br />
mit verborgenen und sich eurozentrisch auswirkenden<br />
geschichtsphilosophischen Anteilen alteuropäischen Bewusstseins<br />
in Verbindung. Hierbei handle es sich um die<br />
Wirkung von Spurenelementen hegelschen beziehungsweise<br />
in hegelscher Tradition sich bewegenden historischen Denkens.<br />
Auch der Umstand, dass die Französische Revolution<br />
schon immer der ihr doch zuvorgekommenen amerikanischen<br />
Revolution vorgezogen werde, gehe auf eine untergründig<br />
sich auswirkende Hegel-Linie zurück. Trotz jener der<br />
Französischen Revolution vorausgegangenen Menschenrechtserklärung<br />
in der Neuen Welt und ihres zentralen Motivs<br />
der Freiheit habe die amerikanische Revolution über<br />
zweihundert Jahre lang ein ihr wenig angemessenes Schattendasein<br />
geführt. »Ob Kant, Schiller oder Hegel, der ›Sonnenaufgang‹<br />
in Frankreich führte zur totalen Eklipse Amerikas.« 21<br />
Geschichtsverständnis und Geschichtsverlauf sind in Europa<br />
maßgeblich in Bildern und Begriffen der Französischen<br />
Revolution gedeutet worden – im Guten wie im Schlechten.<br />
Bereits mit der Einberufung der französischen Generalstände<br />
habe das Interesse der deutschen Öffentlichkeit an Nordamerika<br />
nachgelassen. 22 Vom Anbeginn der Großen Revolution<br />
an war das politische Phänomen Amerika durch das Prisma<br />
der französischen Ereignisse betrachtet worden. Und weil es<br />
sich seiner kolonialen Entstehungsgeschichte wegen allen Begriffen<br />
entzog, die für Europa konstitutiv gewesen waren,<br />
wurde es weitgehend ignoriert und nachgerade als fremd<br />
oder gar als feindlich angesehen. Die Muster der Französi-<br />
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schen Revolution, ihre politische Sprache, ihre Embleme und<br />
Begriffe ebenso wie das daraus gefolgerte Geschichtsverständnis<br />
kamen im Unterschied zur amerikanischen Revolution<br />
in den Genuss wohlfeiler Universalisierung.<br />
Das hohe Maß an Bedeutung, welches der Französischen Revolution<br />
auf Kosten ihrer amerikanischen Vorläuferin zuerkannt<br />
worden war – und dies vor allem wegen ihrer zeitverschobenen,<br />
»nachholenden« Wirkung überwiegend in den<br />
außereuropäischen, kolonialen Bereich hinein –, hat sie vornehmlich<br />
der Oktoberrevolution zu verdanken. Letztere wurde<br />
nicht bloß als die legitime Fortführung der Ideen von 1789<br />
angesehen; geschichtsphilosophisch wie auch der politischen<br />
Semantik nach wurde die Oktoberrevolution gar als Vollstreckerin<br />
ihrer großen Vorgängerin erachtet: die Französische<br />
Revolution und die Oktoberrevolution als ungleichzeitige<br />
Zwillinge ein und <strong>des</strong>selben universellen Vorgangs. Mittels<br />
der Diskussion über das Für und Wider <strong>des</strong> russischen Oktobers<br />
wurde zugleich die Kontroverse um Wirkung und Bedeutung<br />
der Französischen Revolution ausgetragen. Wer sich<br />
nach dem bolschewistischen Umsturz für 1789 stark machte,<br />
galt implizit als Befürworter von 1917 – und umgekehrt. Diese<br />
innengeleitete Verbindung beider Revolutionen im Bewusstsein<br />
der Zeitgenossen <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts führt nach<br />
dem abschlusslosen geschichtlichen Ende der russischen<br />
Revolution auch zur Beendigung der historischen Wirkungsgeschichte<br />
der anderen, der Französischen Revolution. Ihrem<br />
Historiker François Furet nach sei mit dem säkularen Zusammenbruch<br />
<strong>des</strong> »realen Sozialismus« nicht nur die Oktoberrevolution<br />
in ihrer welthistorischen Bedeutung annulliert<br />
worden, auch die Französische Revolution erfahre nunmehr<br />
ihr wirkungsgeschichtliches Ende.<br />
Nicht, dass die Werte der Großen Revolution damit zurückgenommen<br />
worden wären. Im Gegenteil: Mit dem Ver-<br />
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