Systemorientierte Sozialpädagogik - Inspira GmbH
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<strong>Systemorientierte</strong> <strong>Sozialpädagogik</strong><br />
in der Familienbegleitung<br />
<strong>Inspira</strong>tion zur Veränderung<br />
Lötscher Cornelia<br />
Erwachsenenpädagogin MA<br />
Dipl. Sozialarbeiterin FH<br />
Dipl. Sozialpädagogin FH<br />
Ausbildung in systemischer<br />
Therapie und Beratung
Inhaltsverzeichnis<br />
Steckbrief der <strong>Inspira</strong> <strong>GmbH</strong><br />
Einleitung<br />
1. Mapping (Grundorientierung)<br />
1.1 Angaben zur Organisation (Organisationsprinzipien)<br />
1.2 Qualifikation von sozialpädagogischen Familienbegleitern<br />
und -begleiterinnen<br />
1.3 „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“ (Konstruktivismus)<br />
2. Navigation (Situationsanalyse) und Focusing (Zielorientierung)<br />
2.1 Auftragsklärung und Zusammenarbeitsvertrag<br />
2.2 Ziele und Wege<br />
3. Processing (Systemvernetzung)<br />
3.1 Von der Kooperation zum Wandel<br />
3.2 Zwischen Anfang und Ende (Prozessmoderation im Alltagsgeschehen)<br />
3.3 Professionelle Netze und Zusammenarbeit<br />
4. Controlling (Optimierung)<br />
4.1 Wissensmanagement<br />
4.2 Ausbildung von Studierenden der Sozialen Arbeit<br />
4.3 Reflexion und Evaluation<br />
Schlussworte<br />
Literatur- und Quellenangaben
Seite 2<br />
Steckbrief der <strong>Inspira</strong> <strong>GmbH</strong><br />
Die <strong>Inspira</strong> <strong>GmbH</strong> wurde am 2. November 2006 gegründet und im Handelsregister eingetragen.<br />
Seither beraten wir Einzelpersonen oder Familien individuell bei persönlichen Anliegen.<br />
Für Soziale Organisationen, Schulen, Behörden und Ausbildungsbetriebe erarbeiten<br />
wir massgeschneiderte Lösungen.<br />
Unsere Angebote für Einzelpersonen und Familien<br />
• Sozialpädagogische Begleitung von Familien und Einzelpersonen<br />
• Familienbegleitung bei Konflikten zwischen Eltern und Jugendlichen<br />
• Sozialpsychiatrische Begleitung von Familien und Einzelpersonen<br />
• Beratung von Paaren, Familien und Einzelpersonen<br />
• Vermittlung und Ausgestaltung von Besuchsrechtsvereinbarungen<br />
• Veranstaltung von Elternbildungsangeboten (standardisiert, z.B.<br />
• «Starke Eltern – Starke Kinder®» oder individuell und themenbezogen)<br />
Unsere Angebote für Soziale Organisationen und Behörden<br />
• Umfassende Abklärungen mit Empfehlung und/oder beschlussfähigem<br />
• Antrag für Vormundschaftsbehörden und Gerichte im Bereich<br />
• Kinder- und Erwachsenenschutz<br />
• Führen von vormundschaftlichen Massnahmen oder zeitlich befristete<br />
• Übernahme von Mandaten bei Krankheit, Militär oder dergleichen<br />
• Coaching, Support und Fachberatung von Teams und Einzelpersonen (Mandatsträgerinnen<br />
und Mandatsträger/Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter)<br />
Unsere Angebote für Schulen, Ausbildungsbetriebe und Auszubildende<br />
• Ambulante Schulsozialarbeit für kleinere und mittlere Schulgemeinden<br />
• Coaching, Support und Fachberatung von Ausbildnern und<br />
• Ausbildungsbetrieben
Seite 3<br />
Seit der Gründung hat sich die Anzahl unserer Mitarbeitenden stetig vergrössert. Mittlerweile<br />
arbeiten 9 Fachpersonen in Stellenprozenten zwischen 20 – 80 für die <strong>Inspira</strong> <strong>GmbH</strong>.<br />
Die <strong>Inspira</strong> ist Mitglied des Fachverbandes Schweiz für Sozialpädagogische Familiebegleitungen<br />
und der AvenirSocial.<br />
Einleitung<br />
Unsere Organisation ist ein junges Dienstleistungsunternehmen in Bereich der Sozialen<br />
Arbeit. Sie bietet in erster Linie sozialpädagogische Begleitungen von Familien und Einzelpersonen<br />
an. Sozialpädagogische Familienbegleitung versteht sich als aufsuchende Methode<br />
der Sozialen Arbeit. Die „Beratungen sind auf konkrete Situationen ausgerichtet und<br />
finden zu Hause und damit im alltäglichen Umfeld statt. Der direkte, intensive und zeitlich<br />
begrenzte Einsatz versteht sich als Hilfe zur Selbsthilfe mit dem Ziel, Familien oder Einzelpersonen<br />
in schwierigen Situationen so zu begleiten und zu unterstützen, dass sie so rasch<br />
als möglich wieder Orientierung finden und befähigt sind, sicher handeln und entscheiden<br />
zu können“ (Informationsbroschüre, <strong>Inspira</strong> <strong>GmbH</strong>).<br />
Wir scheinen mit unseren Angeboten am Puls der Zeit zu sein. Die aufsuchenden, zeitlich<br />
begrenzten Interventionen der Sozialen Arbeit verbessern mit ihren vergleichsweise geringen<br />
Kosten nicht nur die Haushaltpläne der Auftraggeberinnen und -geber, sondern sie<br />
ermöglichen nachhaltige Veränderungen in der Lebensführung von Familien und Einzelpersonen<br />
trotz möglichst gering gehaltenen Eingriffen in deren Individualität. In der Regel<br />
sind soziale Organisationen, Schulen und Behörden zuweisende Auftraggeberinnen. Unsere<br />
Beratungen werden aber immer häufiger auch direkt von Familien und Einzelpersonen<br />
beansprucht.<br />
Das hohe Qualitätsniveau der Dienstleistungen unserer Organisation gründet unter anderem<br />
auf dem grossen Reichtum an Fach-, Erfahrungs- und Methodenwissen im Unternehmen.<br />
Die systemorientierte Ausrichtung, welche Teil der Ausbildungen aller Mitarbeitenden<br />
ist, begünstigt ein stetes Streben nach Aufrechterhaltung und Verbesserung der<br />
Produktqualität. Die Wichtigkeit einer hohen Produktqualität wird dabei nicht nur als
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Marketingstrategie betrachtet, sondern sie entspricht einer tiefen Überzeugung, welche<br />
sich in der Professionsethik des täglichen Handelns zeigt. Die nachstehenden Ausführungen<br />
sollen dazu dienen, das alltägliche berufspraktische Tun im Bereich der sozialpädagogischen<br />
Familienbegleitung zu dokumentieren und reflektierend zu betrachten, im Bezug<br />
auf die Kernelemente systemorientierter Arbeitsweise<br />
1. Mapping (Grundorientierung)<br />
1.1 Angaben zur Organisation (Organisationsprinzipien)<br />
„Das Leitbild einer Organisation formuliert kurz und prägnant den Auftrag (Mission), die strategischen Ziele<br />
(Vision) und die wesentlichen Orientierungen für Art und Weise ihrer Umsetzung (Werte). Es soll damit<br />
allen Organisationsmitgliedern eine einheitliche Orientierung geben und die Identifikation mit der Organisation<br />
unterstützen“ (Krems in Online-Verwaltungslexikon, 2008)<br />
Unsere Organisation gilt als eigenständiges Kleinstunternehmen (KMU). Weil uns ein<br />
marktwirtschaftliches Denken auch im Sozial- und Gesundheitswesen ein Anliegen ist,<br />
wurde die Firma im Oktober 2006 in der Rechtsform einer <strong>GmbH</strong> gegründet und im<br />
Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB 2006) eingetragen.<br />
Die Gründung eines marktwirtschaftlich orientierten Dienstleistungsunternehmens im Bereich<br />
der Sozialen Arbeit hat zwei scheinbare Gegensätze in einer Organisation vereint. Die<br />
Entscheidung, das Unternehmen marktwirtschaftlich zu verorten und sich damit einem<br />
sorgfältigen Umgang mit Ressourcen jeglicher Art zu verschreiben, hängt eng mit unserem<br />
sozialarbeiterischen Interventionsverständnis zusammen. Dieses wiederum bildet eine<br />
der Grundlagen der Unternehmensziele. Der Inhalt des sich daraus ergebenden Leitbildes<br />
findet sich verschriftlicht auf unserer Homepage und in unserer Informationsbroschüre<br />
wieder:<br />
Wir beraten Einzelpersonen oder Familien individuell bei persönlichen Anliegen. Für Soziale Organisationen,<br />
Schulen, Behörden und Ausbildungsbetriebe erarbeiten wir massgeschneiderte Lösungen.<br />
Als Mitglied des AvenirSocial orientiert sich <strong>Inspira</strong> <strong>GmbH</strong> an dessen Berufskodex. Unser Selbstverständnis als
Seite 5<br />
Professionelle der Sozialen Arbeit basiert daher auf den folgenden Grundprinzipien:<br />
• Wir fördern Selbstaktivität und Selbstorganisation und leisten so Hilfe zur Selbsthilfe.<br />
• Wir achten die individuelle Persönlichkeit und die damit verbundene Meinungs- und Entscheidungsfreiheit.<br />
• Wir orientieren uns an Ressourcen und verwenden diese sorgfältig.<br />
• Wir reflektieren unsere beruflichen Tätigkeiten und die damit verbundenen Rollen in regelmässigen Inter- und<br />
Supervisionen<br />
Unsere Tätigkeit in Ihrer Angelegenheit ist dem Berufsgeheimnis unterstellt. Wir arbeiten interdisziplinär mit anderen<br />
Berufsgruppen zusammen (z.B. Ärzte, Arbeitgeber, Angehörige, Schule usw.). Persönliche Informationen<br />
werden wir nur direkt bei Ihnen oder nur mit Ihrem ausdrücklichen Einverständnis bei Drittpersonen einholen.<br />
(Quelle: <strong>Inspira</strong> <strong>GmbH</strong>, Leitbild)<br />
Unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben sich diesem Leitbild mit den Visionen, der<br />
Mission und den Werten des Unternehmens verschrieben. Dies kann in ihrem alltäglichen<br />
Handeln beobachtet werden. Sie setzen sich mit hohem Engagement für die Umsetzung<br />
der Grundprinzipien der Organisation ein.<br />
1.2 Qualifikation von sozialpädagogischen Familienbegleitern und -begleiterinnen<br />
„Das [..] Konzept setzt bei den FamilientherapeutInnen eine hohe Qualifikation voraus, zu der formal eine<br />
mindestens dreijährige systemische bzw. familientherapeutische Weiterbildung und ein Hochschulabschluss<br />
als Diplom-Psychologe, Diplom-Sozialpädagoge oder vergleichbare Abschlüsse gehören. Die massiven Problemballungen<br />
in diesen Familien erfordern es m. E. auch, dass die FamilientherapeutInnen in ihrer Co-Arbeit<br />
sowohl über umfangreiche Erfahrungen mit diesen Familien verfügen als auch mit entsprechenden Grundannahmen<br />
in diese Arbeit gehen. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, handelt es sich aus meiner Sicht<br />
nicht um ein Konzept, das Aufsuchende Familientherapie zu nennen wäre. Werden diese Standards nicht<br />
eingehalten, wird eindeutig die Qualität der Arbeit darunter leiden.“ (Conen in Conen, 2006, S. 9)<br />
Dieser Anspruch an Fachlichkeit, welcher Marie-Luise Conen an Familientherapeutinnen<br />
stellt, sollte weder unterschätzt noch unterboten werden. Er gilt ebenso für sozialpädagogische<br />
Familienbegleiter und –begleiterinnen. Erst diese Fachlichkeit ermöglicht den Mitarbeitenden<br />
unserer Organisation die angepriesene Unternehmensphilosophie (siehe Abb.<br />
1) umzusetzen.
Seite 6<br />
Abbildung 1: Ausschnitt aus der Informationsbroschüre der <strong>Inspira</strong> <strong>GmbH</strong><br />
Respekt und Wertschätzung gegenüber Familien und Einzelpersonen und deren Lebensentwürfen<br />
gelten neben einer hohen fachlichen Qualifikation als Voraussetzungen für ein<br />
gewinnbringendes Vorankommen in sozialpädagogischen Begleitungen. Dies ist indessen<br />
nicht immer so einfach zu verwirklichen, wie es sich niederschreiben lässt. Oftmals gelingt<br />
es nicht auf Anhieb, einer Familie Wertschätzung entgegen zu bringen, wenn sie beispielsweise<br />
unter prekärsten hygienischen Bedingungen lebt oder die Eltern die individuellen<br />
Bedürfnisse ihrer Kleinkinder scheinbar weder zu erkennen noch auf diese einzugehen<br />
vermögen. Und wie kann einem Vater, der im Verdacht steht, sexuelle und physische<br />
Gewalt gegen seine Frau und seine Kinder auszuüben, noch Respekt entgegen gebracht<br />
werden? Das Interesse, mehr noch die Neugier, zu erfahren, was jemanden zu einem solchen<br />
Verhalten wohl antreiben mag, kann dazu beitragen, Ekel und Verachtung zu überwinden.<br />
Wenn daraus aber ausschliesslich eine nüchterne Analyse entstünde, würde das<br />
unabdingbare Quantum an Affekten verloren gehen, welches Respekt und Wertschätzung<br />
erst möglich macht. Wir gehen davon aus, dass jeder Mensch sich nach seinen gegenwärtig<br />
verfügbaren Möglichkeiten den Anforderungen des Lebens stellt. Diese Einstellung<br />
macht es uns einfacher, ein Mindestmass an Achtung und Respekt aufzubringen. Das<br />
nachstehende Beispiel soll die Möglichkeit einer Orientierung an Ressourcen und / oder<br />
Kontexten näher veranschaulichen:<br />
Erster Hausbesuch bei Familie K. F.:<br />
Frau K. und Herr F. sind die Eltern von drei Kindern im Alter von 2 und 3 und 5 Jahren. Bei der Geburt des<br />
ältesten Sohnes Davy waren beide 19 Jahre alt. Die junge Familie lebte vom bescheidenen Einkommen des<br />
Vaters, der als Hilfsarbeiter in einem grossen Elektrounternehmen arbeitete. Die Wohnung im alten Bauernhaus,<br />
das sie bewohnten, wirkte auf den ersten Blick schmutzig und unordentlich. Die drei Kinder Cosma,
Seite 7<br />
(2), Benji (3) und Davy (5) spielten auf dem Boden im Wohnzimmer. Obschon es bereits später Nachmittag<br />
war, trugen alle Kinder noch ihre Schlafanzüge und ganz offensichtlich, alle unabhängig von ihrem Alter,<br />
noch Windeln. Die Kinder wirkten mit ihren ungekämmten Haaren und essensverschmierten Mündern sehr<br />
ungepflegt und schmuddelig. Die Eltern schienen in der Behandlung ihrer Kinder keine Unterscheidung<br />
aufgrund ihres unterschiedlichen Alters zu machen. So tranken beispielsweise alle Kinder ihre Milch nach<br />
wie vor aus Babytrinkflaschen. Auch das vorhandene Spielzeug entsprach mehrheitlich den Bedürfnissen<br />
von Babys und Kleinkindern. Das kleine Wohnzimmer schien aus allen Nähten zu platzen, denn zum Zeitpunkt<br />
des ersten sozialpädagogischen Begleitgespräches hielten sich ausser den Eltern und den Kindern<br />
noch der Stiefvater und die Halbschwester von Frau K., die gerade zu Besuch waren, im Wohnzimmer auf.<br />
Eine Situation, welche, wie es so oft vorkommt, ambivalente Gefühle in der sozialpädagogischen Familienbegleiterin<br />
hervorgerufen hatte. Einerseits ist sie so erschlagen von der offensichtlichen Überfülle der zu bearbeitenden<br />
Themen, dass sie am liebsten die Flucht ergreifen möchte. Anderseits ist ja gerade hier professionelle<br />
Hilfe durch ihre Präsenz unabdingbar. Die Erinnerung an die fein säuberlich sortierte Garderobe im<br />
Eingangsbereich – jedes Kind verfügte über eine eigene Hakenleiste und alle Jacken, Mäntel und Schuhe<br />
standen beziehungsweise hingen in Reih und Glied – vermochte einen Hauch von Struktur und Ordnung im<br />
Familienleben der Familie K. F. durchscheinen zu lassen. Die gut gepflegten Meerschweinchen in ihrem Käfig<br />
liessen zudem darauf schliessen, dass durchaus auch ein Bewusstsein für Hygiene und Sauberkeit vorhanden<br />
sein musste. Zwei kleine Anknüpfungspunkte (Ressourcen) also als ein Zeichen für die Möglichkeiten<br />
einer gelingenderen Lebenspraxis. Nun galt es für die Familienbegleiterin, keinesfalls auf all das von ihr<br />
beobachtete Nichtfunktieren hinzuweisen, da dies der Familie nicht helfen würde. Das Gegenteil wäre der<br />
Fall. Aufgrund ihrer Erfahrung erkannte sie, dass den Eltern ihre Situation sehr wohl bewusst war und dass<br />
sie diese gerne selber verändern wollten, wenn sie sich dazu in der Lage fühlten. Und dank dieser Haltung<br />
und ihrem Fach- und Erfahrungswissen gelang es der sozialpädagogischen Familienbegleiterin rasch, der<br />
jungen Familie soviel Respekt und Wertschätzung entgegenzubringen, dass eine Zusammenarbeit mit ihr<br />
möglich wurde.<br />
1.3 „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“ 1 (Konstruktivismus)<br />
„Denn wenn ein autopoietisches System nicht in einen direkten Kontakt zur Umwelt tritt, sondern Einflüsse<br />
aus der Umwelt lediglich als ‚Störungen’ oder – wie Humberto Maturano sagt – ‚Perturbationen’ aufnimmt<br />
und in die jeweils eigene ‚Sprache’ übersetzt, dann bildet beispielsweise das Gehirn die Umwelt nicht aufgrund<br />
von akustischen und optischen Informationen mehr oder weniger genau ab, sondern es ‚konstruiert’<br />
daraus und damit seine eigene Wirklichkeit“ (Pfeifer-Schaupp, 1995, S. 85)<br />
1 (von Foerster & Pörksen, 2006, Titel)
Seite 8<br />
Eine konstruktivistische Sichtweise meint gemäss dem Handlungskonzept unserer Organisation<br />
unter anderem, dass sich die sozialpädagogischen Familienbegleiterinnen und -<br />
begleiter der Subjektivität von Beobachtungen und Beschreibungen bewusst sind und den<br />
begleiteten Personen überdies das Recht zugestehen, ihre Geschichten sowohl den jeweiligen<br />
Personen als auch den jeweiligen Umständen (Kontexten) anzupassen. Wenn die allein<br />
erziehende Mutter auf dem Sozialamt verschweigt, dass ihr neuer Partner bereits seit<br />
einigen Monaten mit ihr und ihrem Kind zusammenlebt, tut sie dies nicht grundlos: Sie<br />
befürchtet vermutlich eine Kürzung der Sozialhilfe. Als Folge einer Verschärfung der finanziellen<br />
Notsituation allenfalls auch ihre neue Beziehung einer vorzeitigen Belastung<br />
ausgesetzt. Bei ausreichendem Vertrauen der Familienbegleiterin gegenüber wird sie indessen<br />
vom Zusammenleben mit ihrem neuen Partner erzählen und allfällige Schwierigkeiten,<br />
welche mit dieser Neukonstitution auftreten könnten, in einem Begleitgespräch<br />
thematisieren. Die Aufgabe der Familienbegleiterin könnte in diesem Fall darin liegen, mit<br />
der allein erziehenden Mutter zunächst die unterschiedlichen Ebenen des Zusammenlebens<br />
mit ihrem neuen Partner und die daraus entstehenden Folgen bewusst zu machen.<br />
Alsdann könnten zu den je spezifischen Ebenen passende Handlungsalternativen entworfen<br />
und betrachtet werden.<br />
Gerade wenn es in sozialpädagogischen Begleitungen darum geht, Veränderungen der<br />
Lebenspraxis in verhärteten Familienstrukturen zu initiieren, kann es bisweilen sehr hilfreich<br />
sein, eine konstruktivistische Sichtweise einzunehmen. Dies zeigt sich im Beispiel<br />
der Bauernfamilie S.:<br />
Die Bauernfamilie S. wurde aufgrund des hohen Übergewichtes der 14-jährigen Raphaela sozialpädagogisch<br />
begleitet. Im Anschluss an Raphaelas Aufenthalt in einer spezialisierten Klinik wurde die Familienbegleiterin<br />
mit der Unterstützung der Familie beauftragt. Die Familie stand vor der Herausforderung, dem Mädchen<br />
eine Umgebung zu bieten, welche es ihr ermöglichte, das Gewicht weiterhin zu reduzieren und zukünftig<br />
wieder an den sportlichen Aktivitäten ihrer Klasse teilzunehmen. In den Begleitgesprächen konnten<br />
zwei Glaubens- oder Leitsätze der Familie ausgemacht werden: ‚Wenn Du etwas werden willst, musst Du<br />
recht essen!’ und ‚Mädchen werden verheiratet und sind für den Haushalt zuständig und die Buben übernehmen<br />
den elterlichen Hof oder machen eine Lehre in der nahe gelegenen Stadt.’ Weil bekannt war, dass
Seite 9<br />
Raphaela sehr gute Noten in der Schule schrieb und eigentlich gerne das Gymnasium besuchen wollte,<br />
drängte sich die Hypothese auf, dass es für Raphaela aufgrund dieser familiären Leitsätze kaum möglich<br />
war, ihr Gewicht zu halten oder gar weiter zu reduzieren. Denn wollte sie nicht verheiratet sondern selbst<br />
„etwas“ werden, schien sie gefordert, „recht“ zu essen. Im Verlauf der sozialpädagogischen Begleitungen<br />
wurden schliesslich in der Familiengeschichte Lücken im Netz dieser beiden Leitsätze gefunden. So war es<br />
beispielsweise der jüngsten Schwester des Vaters gelungen, eine Ausbildung als Kindergärtnerin zu absolvieren<br />
und nach ihrer Heirat mit einem Handwerker weiterhin berufstätig zu bleiben. Dieses Beispiel wurde<br />
in der Folge als „Kopiervorlage“ für die Konstruktion neuer familiärer Leitsätze und damit neuer Wirklichkeitsentwürfe<br />
benutzt.<br />
2. Navigation (Situationsanalyse) und Focusing (Zielorientierung)<br />
2.1 Auftragsklärung und Zusammenarbeitsvertrag<br />
„Ein Problem ist etwas, das von jemandem einerseits als unerwünschter und veränderungsbedürftiger Zustand<br />
angesehen wird, andererseits aber auch als prinzipiell veränderbar. [...] Es braucht immer einen oder<br />
mehrere Beobachter, die einen Zustand entdecken und beschreiben. Diese können sich einig sein oder sich<br />
auch heftig darüber streiten, ob etwas ein Problem ist und wo das Problem ‚wirklich’ liegt.“ (von Schlippe &<br />
Schweitzer, 1998, S. 103)<br />
Wir haben einesteils zuweisende Auftraggeber wie soziale Organisationen, Schulen und<br />
Behörden. Andernteils werden ihre Beratungen direkt von Familien und Einzelpersonen<br />
beansprucht. Dies hat zur Folge, dass Navigation (Situationsanalyse) und Focusing (Zielorientierung)<br />
in unserer Organisation in eine Definitionsphase, wie sie aus dem Projektmanagement<br />
bekannt ist, zusammenfliessen.<br />
Unabhängig davon, ob eine Begleitungsanfrage von Sozialen Organisationen, Schulen und<br />
Behörden oder direkt von Familien und Einzelpersonen an die <strong>Inspira</strong> <strong>GmbH</strong> gelangt, findet<br />
jeweils ein vorläufiges Auftragsklärungsgespräch mit Auftraggeberinnen und -gebern<br />
statt. Ein erstes „zwischenzeitliches Aktionssystem“ zwischen dem Klientensystem, dem<br />
internen Hilfssystem (<strong>Inspira</strong> <strong>GmbH</strong>) und dem externen Hilfssystem (zuweisende Stelle)<br />
entsteht. Dabei geht es zunächst darum,<br />
die Gesprächsteilnehmenden über unsere Angebote zu informieren,<br />
die Finanzierung der Begleitung und allfällige Zuständigkeiten zu klären,
Seite 10<br />
die Wünsche der Auftragerteilenden entgegenzunehmen und<br />
die Begleitziele zu formulieren.<br />
Hier kann es durchaus geschehen, dass sich Auftraggeberin (zuweisende Stelle und häufig<br />
auch Rechnungsempfängerin) und Dienstleistungsempfänger (zu begleitende Personen)<br />
über den Auftrag (Problemsicht) nicht oder nur vordergründig einig sind. Diese Nichtübereinstimmung<br />
in der Problembeschreibung wird zu diesem Zeitpunkt als gegeben betrachtet<br />
und es findet keine Konsens stiftende Intervention statt. Im nachfolgenden Beispiel<br />
unterschiedlicher Problemsichten stellte sich die Frage nach den Möglichkeiten einer<br />
Rückplatzierung der 13-jährigen Leonie zu ihrer Mutter:<br />
• Beistand:<br />
Der Beistand orientierte sich an der Aktenlage und hegte Zweifel an der Erziehungsfähigkeit von Frau F..<br />
Zwar sah er in der langjährigen Partnerschaft von Frau F. und Herrn D. durchaus Chancen, doch im Zusammenhang<br />
mit der derzeitigen Entwicklungsphase von Leonie sah er in dieser Situation für die in Frage<br />
stehende Rückplatzierung auch Risiken. Zudem fühlte er sich unsicher über den Grad der Normalisierungsfähigkeit<br />
der Patchwork-Familie zugunsten einer dem Alter entsprechenden Entwicklung von Leonie.<br />
Und ihm schien, Leonie habe sich in ihrer Kindheit Überlebensstrategien angeeignet, die einem gewinnbringenden<br />
Zusammenleben der Patchwork-Familie wenig zuträglich sein dürften.<br />
• Privatrechtliche Organisation für Familienplatzierungen:<br />
Die Koordinatorin, welche die Platzierung von Leonie begleitete, sah in ihr einen „normalen“ Teenager,<br />
der sich gegenüber der Pflegemutter anständig und zuvorkommend verhielt. Leonie habe sich zwar nicht<br />
immer an die Regeln des Zusammenlebens gehalten, aber sie sei mit der Pflegemutter in eine Beziehung<br />
getreten, die von Offenheit und Vertrauen geprägt gewesen sei.<br />
• Lehrperson:<br />
Ihre Klassenlehrerin sah in Leonie ein auf ihren eigenen Vorteil bedachtes Mädchen, das nicht Willens<br />
war, sich für ihren schulischen Erfolg einzusetzen. Leonie sei nicht nur faul sondern auch frech. Zudem<br />
vertrat die Lehrerin die Meinung, dass Leonie bei der ihr bekannten Pflegefamilie sicher besser aufgehoben<br />
wäre als bei ihrer Mutter.<br />
• Frau F.:<br />
Frau F. befürchtete aufgrund ihrer eigenen Geschichte, dass sie – bei einer Rückkehr Leonies – ihr gegenüber<br />
zu wenig streng auftreten könne. Auch zeigte sie sich unsicher darüber, wie ihr Lebenspartner auf
Seite 11<br />
eine Rückkehr von Leonie reagieren würde. In regelmässigen Abständen sorgte sich Frau F. ausserdem<br />
über die schulischen Leistungen ihrer Tochter.<br />
• Leonie F.:<br />
Leonie wünschte sich nichts sehnlicher als zu ihrer Mutter zurückkehren zu können. Allerdings fand sie<br />
es völlig unnötig, dass sich der Lebenspartner ihrer Mutter immer in alles einmischen müsse. Dabei habe<br />
er ja eigentlich gar nichts zu sagen, was sie betreffe. Ihre schulische Situation beschrieb sie folgendermassen:<br />
Wenn alle ständig mehr von ihr erwarteten, als sie leisten könne, müsse man sich nicht verwundern,<br />
dass sie dann manchmal eben nicht mehr anständig bleibe.<br />
• Herr D.:<br />
Herr D. schien der Rückkehr von Leonie ambivalent gegenüber zu stehen. Zwar sagte er, dass er Leonie<br />
sehr gerne habe und sich immer freue, wenn sie zu Besuch komme. Doch schien er im Bezug auf das zukünftige<br />
Zusammenleben der Patchwork-Familie und vor allem Leonie gegenüber sehr hohe Erwartungen<br />
zu haben. Auch kamen seine Zweifel an der Erziehungsfähigkeit von Frau F. und an einen Einsatz<br />
von Leonie zu Gunsten der Gemeinschaft deutlich zum Ausdruck.<br />
Mit den Notizen des vorläufigen Auftragsklärungsgespräches in der Tasche finden erste<br />
Gespräche bei den begleiteten Familien oder Einzelpersonen statt. Der vertraute, sichere<br />
Rahmen ihres Zuhauses und die wertschätzende Haltung der sozialpädagogischen Familienbegleiterinnen<br />
und -begleiter ermöglichen es den betroffenen Personen oft, sich innerhalb<br />
von kurzer Zeit vertrauensvoll auf eine Zusammenarbeit einzulassen. So lässt die Darstellung<br />
ihrer eigenen Sichtweise auf die als problematisch bezeichnete Lebenssituation in<br />
der Regel nicht lange auf sich warten. Gemeinsam wird dann der vorläufige Auftrag, welcher<br />
aus dem ersten Auftragsklärungsgespräch mit den Auftragserteilenden hervorgegangen<br />
ist, nochmals betrachtet und auf seine Realisierbarkeit hin geprüft. Das heisst: Methode<br />
und Umfang werden auf die jeweils vorgefundene individuelle Situation abgestimmt und<br />
es findet eine erste Auslegeordnung der vorhandenen Ressourcen und Risiken (Situationsanalyse<br />
2 ) statt. Dabei wird nicht selten nach den ersten Gesprächen mit den zu begleitenden<br />
Personen deutlich, dass die von aussen als vordringlich bezeichneten Probleme von<br />
Schwierigkeiten überlagert sind, welche sich als noch vorrangiger erweisen. In solchen Fäl-<br />
2 In der Verwendung von Analyseinstrumenten greifen die Mitarbeitenden auf einen grossen Fundus an Techniken zurück und setzen diese der jeweiligen Situation gemäss<br />
ein.
Seite 12<br />
len müssen der vorläufige Auftrag und die Möglichkeiten der Familie oder Einzelperson<br />
auf einander abgestimmt werden. Das heisst, es findet eine erneute Auftragsklärung (Synchronisierung<br />
der Problemsicht) mit den zu begleitenden Personen und – falls diese nicht<br />
auch die Auftraggebenden sind – mit der zuweisenden Stelle statt. Diesmal mit dem Ziel,<br />
einen kleinsten gemeinsamen Nenner im Bezug auf die Problemsicht (Schaffen einer gemeinsamen<br />
Wirklichkeit) und das weitere Vorgehen zu finden. Die Ergebnisse dieser Synchronisierung<br />
der Problemsicht werden in einem Zusammenarbeitsvertrag als Begleitungsschwerpunkte<br />
und / oder –ziele mit dazugehörenden Indikatoren schriftlich festgehalten<br />
und als Zeichen der Verbindlichkeit allseitig unterzeichnet.
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Seite 17<br />
Regelmässige Standortgespräche mit den begleiteten Personen und den zuweisenden Stellen<br />
dienen der Überprüfung der vereinbarten Ziele. Nach Bedarf und Absprache können<br />
diese für eine weitere Begleitung neu festgelegt werden.<br />
2.2 Ziele und Wege<br />
Ziele müssen eindeutig definiert sein.<br />
Ziele müssen messbar sein (wer, was, wann, wie viel, wie oft).<br />
Ziele müssen erreichbar sein (Ressourcen).<br />
Ziele müssen bedeutsam sein (Mehrwert).<br />
Zu jedem Ziel gehört eine klare Terminvorgabe. (Deutsche Definition von S.M.A.R.T.-Zielen )<br />
Um Angemessenheit und Nachhaltigkeit der geplanten Veränderungen in den jeweiligen<br />
Lebensführungen zu gewährleisten, wird nur eine beschränkte Anzahl von Zielen in die<br />
Zusammenarbeitsverträge aufgenommen und die Begleitphasen werden auf jeweils drei<br />
Monate festgelegt. Gemeinsam mit den begleiteten Personen werden dann die Veränderungswünsche<br />
nach Priorität gewichtet und die einzelnen Zwischenschritte zur Zielerreichung<br />
geplant. Wer jetzt einwendet, dass dies aufgrund der häufig hochkomplexen Lebenssituationen<br />
kaum oder nur mit grösstem Aufwand zu bewerkstelligen sein könne, sei<br />
hier eines besseren belehrt: Die meisten Menschen wissen durchaus ‚wo der Schuh am<br />
meisten drückt’. Und nicht nur das: Sie haben auch häufig eine Ahnung davon, welchen<br />
Weg sie einschlagen könnten, damit sich ihre Situation verändern liesse. Einzig ihre Sicht<br />
darauf ist manchmal verstellt oder vernebelt. Die sorgfältige Unterstützung der sozialpädagogischen<br />
Familienbegleiterin dient deshalb zunächst dazu, die Sicht auf die verschiedenen<br />
Wege und Möglichkeiten frei zu geben und die Entscheidung für die Richtung der<br />
ersten Schritte zu erleichtern. So war es auch bei Frau K.:<br />
Frau K. lebte zu Beginn der sozialpädagogischen Begleitung mit ihren beiden Töchtern und Herrn D., dem<br />
Vater des jüngeren Kindes, zusammen in einem fast baufälligen Haus. Die Heizung funktionierte oftmals<br />
nicht und weil Herr D. viel Geld für seinen Cannabiskonsum ausgab, musste die Familie häufig auch ohne<br />
Strom auskommen. Die Schlange, welche sich Herr D. als Haustier hielt, versetzte Frau K. und die Kinder in<br />
Angst und Schrecken, wenn Herr D. vergass, das Terrarium zu schliessen. Herr D. hatte eine befristete Anstellung<br />
als Geleisebauer und Frau K. half hin und wieder abends in einer Bar aus. Wenn sie nach der Arbeit
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spät in der Nacht nach Hause kam und ihren Lebenspartner schlafend mit seiner Tochter in den Armen auf<br />
dem Sofa im Wohnzimmer vorfand, entbrannte regelmässig ein fürchterlicher Streit. Dabei kam es nicht selten<br />
vor, dass Frau K. mit ihrer jüngeren Tochter aus dem Haus flüchtete und bei ihrer Freundin übernachtete,<br />
die ganz in der Nähe wohnte. Wenn sie dann am anderen Tag wieder nach Hause kam, um ihre ältere<br />
Tochter für die Schule zu wecken, stellte sie fest, dass Herr D. offenbar noch Freunde eingeladen und bis in<br />
den frühen Morgen hinein gefeiert hatte.<br />
Erst als der Lehrer ihrer älteren Tochter drohte, seine Beobachtungen an die örtliche Vormundschaftsbehörde<br />
weiterzuleiten, schien Frau K. aus ihrer Lethargie zu erwachen. In den Gesprächen mit der sozialpädagogischen<br />
Familienbegleiterin ist es ihr schliesslich gelungen, ihre Lebenssituation und die ihrer Kinder neu zu<br />
betrachten. Zu erkennen, dass sie es in ihrer eigenen Not nicht geschafft hatte, ihren Kindern und insbesondere<br />
ihrer älteren Tochter ausreichend Schutz zu bieten, war schliesslich ausschlaggebend dafür, dass sie ihren<br />
Lebenspartner verliess. Nachdem sie einige Wochen mit ihren Kindern bei ihrer Freundin hatte wohnen<br />
können, teilte sie der Familienbegleiterin mit, dass sie zurück wolle zu ihrem Lebenspartner und Vater ihrer<br />
jüngeren Tochter. Sie liebe ihn immer noch und ausserdem sei er in guten Zeiten jeweils ein vorbildlicher<br />
Vater für beide Mädchen gewesen, der viel mit ihnen unternommen habe. Die sozialpädagogische Familienbegleiterin<br />
erteilte Frau K. daraufhin die Aufgabe, zwei Bilder anzufertigen. Das erste Bild sollte die Lebenssituation<br />
der Familie vor der Trennung darstellen und das zweite sollte aufzeigen, wie sich Frau K. ein Familienleben<br />
erträumte. In der Folge konnte Frau K. darin bestärkt werden, die Bedingungen für ein Zusammenleben<br />
mit Herrn D. mitzubestimmen, um so ihren Kindern in Zukunft einen besseren Schutz zu bieten.<br />
3. Processing (Systemvernetzung)<br />
3.1 Von der Kooperation zum Wandel<br />
„Fallverstehen in der Begegnung heisst, die Muster, d.h. die Fallstruktur zu erkennen, die eine bestimmte<br />
Lebenspraxis von Klientinnen regelhaft hervorbringt. Fallverstehen in der Begegnung enthält zwei Komponenten,<br />
die auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen: Begegnung schafft Nähe, Fallverstehen erfordert<br />
Distanz. Begegnung allein wäre nicht von privaten Beziehungen zu unterscheiden, Fallverstehen ohne Begegnung<br />
wäre unzureichend.“ (Borst, Lanfranchi & Hildenbrand, o. A., S. 1)<br />
Wir fördern Selbstaktivität und Selbstorganisation und leisten Hilfe zur Selbsthilfe. Umgesetzt<br />
in das alltägliche berufliche Handeln bedeutet dies, Verantwortungen, Funktionen<br />
und Macht so rasch als möglich wieder auf die begleiteten Personen zu übertragen. Dabei<br />
spielt die Beziehungsgestaltung eine wichtige Rolle. Damit Familien oder Einzelpersonen,
Seite 19<br />
die sich als ohnmächtig und überfordert erlebt haben, wieder eigenverantwortlich handeln<br />
können, muss ein affektiver Rahmen geschaffen werden, der von gegenseitigem Vertrauen<br />
geprägt ist. In der Begleitung das gebührende Mass an Nähe und Distanz zu finden,<br />
gleicht einem Balanceakt auf dem Hochseil. Dementsprechend besteht einerseits das<br />
Risiko, dass sozialpädagogischen Familienbegleiterinnen- und begleiter aus unbeteiligter<br />
Gefühlskälte heraus handeln, andererseits, dass sie aus schierer Sympathie für die zu begleitenden<br />
Menschen, die ursprünglich vereinbarten Veränderungsziele aus den Augen<br />
verlieren. Oder noch schlimmer: Sich im schlimmsten Fall gemeinsam mit den Betroffenen<br />
in deren Unglück suhlen. Erste Anzeichen dafür machen sich bemerkbar, wenn die stellvertretende<br />
Übernahme von Erziehungsaufgaben durch die Familienbegleitenden als kooperative<br />
Zusammenarbeit mit den Eltern interpretiert wird. Vollends in die Falle der unheilvollen<br />
Parteinahme getappt ist, wer sich gemeinsam mit den begleiteten Personen gegen<br />
die zu Recht bestehenden Anforderungen anderer Hilfssysteme zur Wehr setzt und<br />
diese gar als Bedrohung der Individualität der begleiteten Personen wahrnimmt. Dazu ein<br />
Beispiel:<br />
Der 10-jährige Sven stört in der Schule dermassen, dass es seiner Lehrerin nicht mehr möglich ist, die Ruhe<br />
und Aufmerksamkeit der Klasse für einen geordneten Unterricht herzustellen. Frau M., Svens Mutter kann<br />
dies nicht glauben, Sven zeige sich zu Hause stets von seiner besten Seite. Wenn sie am Abend manchmal<br />
müde und erschöpft von der Arbeit nach Hause komme, habe Sven meist schon die Hausaufgaben gemacht<br />
und einen Imbiss für das gemeinsame Abendessen vor dem Fernseher vorbereitet. In den Begleitgesprächen<br />
zeigt sich Frau M. sehr interessiert und offen für Erziehungsfragen. Sie scheint sehr viel zum Thema zu lesen<br />
und sich aktiv mit ihrem Erziehungsverhalten auseinanderzusetzen. Bald schon stellt sich der sozialpädagogische<br />
Familienbegleiter die Frage, ob diese Art von Unterstützung wirklich indiziert sei. Bis auf die Beanstandungen<br />
aus der Schule scheint eigentlich alles bestens zu laufen. Als Frau M. darum bittet, zum Elterngespräch<br />
in die Schule begleitet zu werden, nimmt der Familienbegleiter dies als eine Gelegenheit wahr, die<br />
schulische Situation von Sven ‚objektiv’ zu analysieren. Das Gespräch mit der Lehrerin erweckt beim Familienbegleiter<br />
den Eindruck, dass sie es offensichtlich einfach auf Sven abgesehen hat. Sie lässt kaum ein gutes<br />
Haar an ihm. Er scheint in der Dynamik der Klasse die Rolle des Prügelknaben erhalten zu haben. Als sich<br />
zwischen der Lehrerin und Frau M. ein Konflikt zu entzünden droht, ergreift der sozialpädagogische Familienbegleiter<br />
Partei für Frau M..
Seite 20<br />
Eine Woche später erhält der Familienbegleiter einen verzweifelten Telefonanruf von Frau M.. Sie wisse<br />
nicht mehr, was sie tun solle. Am Samstagmorgen habe sie Sven beim Frühstück mitgeteilt, dass sein Vater<br />
ihn – wie schon so oft – nicht abholen würde, um das Wochenende mit ihm zu verbringen. Da habe Sven urplötzlich<br />
das ganze Geschirr zu Boden geworfen und sich daraufhin den ganzen Tag in seinem Zimmer eingeschlossen.<br />
All ihre Versuche, mit ihm ins Gespräch zu kommen, habe Sven abgeblockt. Am Montag sei er<br />
zur Schule gegangen, als wäre nichts geschehen.<br />
Erst die Ausgewogenheit zwischen notwendiger Nähe und erforderlicher Distanz in der<br />
Beziehungsgestaltung ermöglicht es, Familien oder Einzelpersonen zu Veränderungen in<br />
ihrer Lebenspraxis anzuregen. Wenn es zudem gelingt, den begleiteten Personen aufzuzeigen,<br />
welcher Zugewinn an Lebensqualität eine bevorstehende Veränderung für sie bedeuten<br />
kann, können die Weichen in eine andere Richtung gestellt werden. Bei allem Bemühen<br />
um Wandel ist es wichtig zu wissen, dass Vertrautes weniger bedrohlich wirkt als<br />
Neues, auch wenn Ersteres als schwierig erlebt wird.<br />
3.2 Zwischen Anfang und Ende (Prozessmoderation im Alltagsgeschehen)<br />
„Ziele von affektiven Rahmungsprozessen in der Beratung sind:<br />
• Die Metastabilisierung eines instabilen Systems im Wandel;<br />
• anhaltende, langfristige Koppelung des instabilen Systems mit einem rahmenden, konstanteren System;<br />
• die Spannungsregulierung beim Individuum, bei Familie und Organisationen;<br />
• die Modellbildung durch beraterisch-therapeutische Fachkräfte;<br />
• das Erzeugen eins lösungsbezogenen Klimas durch Anknüpfen an vorhandene Fähigkeiten (Resilienz);<br />
• die Sicherung der Grundstruktur (Identität) von Individuen, Familien und Organisationen“<br />
(Welter-Enderlin R., 2006, S. 135)<br />
Diese Ziele affektiver Rahmungsprozesse stellen wichtige Fixpunkte auf dem Reissbrett<br />
der Hilfsprozessplanungen der sozialpädagogischen Familienbegleiterinnen und –<br />
begleiter in unserer Organisation dar. Die Vorgabe dieses Rahmens ermöglicht es, die vereinbarten<br />
Begleitziele mit den Familien oder Einzelpersonen mittels kreativer oder gar unkonventioneller<br />
Ideen umzusetzen. In der Ermittlung einer geeigneten Technik können<br />
die Mitarbeitenden bei Bedarf auf die Unterstützung ihres Teams zählen und / oder sie<br />
greifen auf ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten aus ihren früheren Berufsfeldern oder ihren
Seite 21<br />
Interessensgebieten zurück. Um eine Zielerreichung möglichst zu gewährleisten, wird der<br />
Weg dahin in übersichtliche und zu bewältigende Teilschritte gegliedert.<br />
Dabei kann es in Krisensituationen zunächst darum gehen, ungünstige familiäre Strukturen<br />
und Kommunikationsformen zu erkennen und Wege für deren Veränderungen aufzuzeigen<br />
(Metastabilisierung eines instabilen Systems im Wandel). Trennungen, Scheidungen<br />
oder Arbeitsplatzverluste können Familien und Einzelpersonen in ihren Grundfesten erschüttern.<br />
Nichts Bisheriges scheint dann noch Gültigkeit zu haben. Frau H. zum Beispiel<br />
bezeichnete die Situation nach der Trennung von ihrem Mann als ein Feld der Verwüstung:<br />
Um ihre Familie ernähren zu können, hatte Frau H., Mutter von vier Kindern (15, 14, 12 und 10 Jahre alt), ihre<br />
bisherige Tätigkeit als Programmiererin von 70 auf 90 Stellenprozente erhöht. Alles schien sich gut zu<br />
entwickeln, die Kinder besuchten an den Wochenenden regelmässig ihren Vater und Frau H. glaubte, dass<br />
die Trennung den ewiglichen Auseinandersetzungen des Ehepaares ein Ende gesetzt hätte. An einem Freitagabend,<br />
als Herr H. kam, um seine beiden jüngeren Kinder abzuholen, beschimpfte er Frau H. in Anwesenheit<br />
ihrer Kinder aufs Übelste. Er nannte sie eine Schlampe und Hure, die nur ihre berufliche Karriere im<br />
Kopf habe und ihren Kindern nie eine gute Mutter gewesen sei. Frau H. schilderte diese Situation im Nachhinein<br />
so, dass sie damals das Gefühl gehabt habe, vor ihr öffne sich ein riesiges Loch und sie drohe hinein<br />
zu stürzen. In den folgenden Wochen habe sich die Situation in der Familie H. dramatisch zugespitzt. Die<br />
Kinder hätten sich den Anweisungen und Regeln von Frau H. immer mehr widersetzt und ihr vorgeworfen,<br />
dass sie nie Zeit hätte, wenn sie sie brauchen würden. Tatsächlich habe sich Frau H. schon seit längerem von<br />
Schuldgefühlen geplagt gefühlt, weil sie soviel habe arbeiten müssen. Doch zu jenem Zeitpunkt habe sie<br />
keine andere Möglichkeit gesehen, ihre Familie ohne die ausstehenden Zahlungen ihres getrennt lebenden<br />
Mannes über Wasser halten zu können. Als Herr H. in einer erneuten Auseinandersetzung versuchte, die<br />
gemeinsamen Kinder als seine Verbündeten hinzuzuziehen, gelangte Frau H. mit der Anfrage um eine Begleitung<br />
an die <strong>Inspira</strong> <strong>GmbH</strong>.<br />
Bereits nach wenigen Gesprächen wurde deutlich, dass in der Familie H. die Kinder das Zepter in der Hand<br />
hielten, und das schon seit längerem. Auch in der Zeit vor der Trennung hatte Frau H. häufig die Kraft gefehlt,<br />
ihre Erziehungsvorstellungen durchzusetzen. Sie habe mit ihren Kindern immer wieder nach Kompromissen<br />
gesucht, um sie nicht zusätzlich zu den elterlichen Streitereien zu belasten. Die sozialpädagogische<br />
Familienbegleiterin illustrierte Frau H. ihre Beobachtungen anhand eines Beispiels. Sie zeigte Frau H.<br />
auf, was in Organisationen geschehen könne, wenn Vorgesetzte ihre Aufgaben nicht erfüllen und ihre Ver-
Seite 22<br />
antwortungen nicht tragen würden. Dieser Vergleich mit der Arbeitswelt ermöglichte es Frau H. rasch, die<br />
Wichtigkeit der Wiederherstellung der Hierarchieebenen in der Familie zu erkennen.<br />
Wenn erste Schritte zu einer Veränderung für alle Beteiligten erkennbar sind, besteht die<br />
grosse Gefahr, dass die neue Struktur unbewusst unterwandert wird. Hier wird Veränderungswiderstand<br />
sichtbar: Versäumte Termine werden in dieser Phase eher entschuldigt<br />
und die nächsten Ziele nicht mehr so forsch angegangen. Veränderungen scheinen den<br />
Menschen grundsätzlich Angst einzuflössen. Hier sind die sozialpädagogischen Familienbegleiterinnen<br />
und –begleiter gefordert: Ein empathischer und verstehender Zugang wirkt<br />
(selbst-)vertrauensbildend. Nachhaltige Veränderungen verlangen Ausdauer, Konstanz<br />
und Zuverlässigkeit in der Beziehungsgestaltung (anhaltende, langfristige Koppelung des instabilen<br />
Systems mit einem rahmenden, konstanteren System). Dies war auch vom sozialpädagogischen<br />
Familienbegleiter der Familie T. gefordert:<br />
Philipp T. hatte seit vielen Monaten die Schule nicht mehr regelmässig besucht. Die verzweifelten Eltern<br />
wandten sich mit der Bitte um Unterstützung an die <strong>Inspira</strong> <strong>GmbH</strong>. Nachdem sämtliche Versuche einer Beziehungsaufnahme<br />
durch den sozialpädagogischen Familienbegleiter zum 13-jährigen Philipp gescheitert<br />
waren, erinnerte sich jener an seine eigene Jugend und seine damalige Vorliebe für Computerspiele. Weil er<br />
wusste, dass Philipp an den Tagen, an denen er den Schulbesuch verweigerte, sehr viel Zeit in ein aktuelles<br />
Computerspiel investierte, nahm er sich vor, Philipp bei seinem nächsten Besuch darum zu bitten, dass er<br />
einmal mitspielen dürfe. Philipp schien am echten Interesse des Familienbegleiters zu zweifeln und bot ihm<br />
gönnerhaft den Vortritt in seinem kurz zuvor begonnen Spiel an. Er staunte nicht wenig, als sein neuer Mitspieler<br />
Punkte um Punkte abräumte und dabei völlig in Fahrt geriet. Nach fast einer Stunde des gemeinsamen<br />
„Gamens“ war das Eis zwischen den beiden gebrochen. Um mit Philipp an den vereinbarten Zielen arbeiten<br />
zu können, griff nun der Familienbegleiter auf ihr gemeinsames Interesse an Computerspielen zurück.<br />
In den folgenden Begleitgesprächen liess er Philipp beschreiben, welche Missionen er erfüllen würde<br />
oder müsste, um ein „Level“ weiterzukommen, angenommen, die Welt – beziehungsweise sein Leben – wäre<br />
ein „Game“. Dabei liess er Philipp genügend Zeit, um die Ausstattungen der dazu notwendigen Spielfiguren<br />
zusammenzustellen. Dieses Anknüpfen an Philipps Vorlieben und Fähigkeiten ermöglichte nicht nur<br />
eine Beziehungsaufnahme, sondern auch ein gemeinsames kreatives Arbeiten an den vereinbarten Begleitzielen.
Seite 23<br />
Veränderungsprozesse sind Ambivalenzen unterworfen. Denn Menschen suchen nicht<br />
nur Hilfe, wenn in ihrem Leben nichts mehr zu funktionieren scheint, sondern auch dann,<br />
wenn zuviel Veränderung das Bestehende bedroht, aber immer mit der leisen Hoffnung,<br />
den Ausgangszustand wiederherstellen zu können. Die Auswirkungen dieser Spannungen<br />
begegnen einem an unterschiedlichen Orten (Spannungsregulierung bei Individuen, bei<br />
Familien und Organisationen). Im nachfolgenden Fall war es Melanie, die mit dem Umzug<br />
ihrer Familie nicht klar kam:<br />
Familie K. war nach dem Arbeitsplatzverlust des Vaters mit ihren zwei Kindern überstürzt umgezogen. Die<br />
jugendliche Tochter, Melanie, beklagte sich gegenüber der sozialpädagogischen Familienbegleiterin darüber,<br />
dass sie sich in der neuen Klasse nicht integriert fühle. Sie traue sich nicht, von sich aus auf Klassenkameraden<br />
zuzugehen oder sich an Klassengesprächen zu beteiligen. Sie leide darunter, dass sie so unsicher sei und<br />
fürchte sich vor abschätzigen Kommentaren von Schulkollegen und -kolleginnen. Die Familienbegleiterin<br />
würdigte den Wunsch von Melanie, schnellstmöglich ihren Platz in der neuen Klasse zu finden. Sie versuchte<br />
ihr aber gleichzeitig zu vermitteln, dass Unsicherheit oder Ängstlichkeit auch positive Aspekte ihrer Persönlichkeit<br />
beinhalten (Umdeutung). Sie visualisierte das Besprochene mit Hilfe eines Wertequadrates 3 .<br />
☺<br />
Vorsichtig, zurückhaltend,<br />
abwartend in neuen Situationen<br />
☺<br />
Kommunikativ, offen,<br />
neugierig, interessiert<br />
☹<br />
Ängstlich, unsicher<br />
☹<br />
Aufdringlich, unüberlegt,<br />
überstürzt, grenzüberschreitend<br />
Melanie erfuhr so, dass es auch sympathisch wirken könne, wenn sie sich anfänglich etwas zurückhaltend<br />
zeigt und sich zuerst einen Überblick über die neue Klasse verschafft. So lerne sie alle Schülerinnen und<br />
Schüler kennen und gelange nicht unüberlegt in eine Gruppe, welcher sie lieber nicht angehören wolle. Sobald<br />
sie die Klassenkameraden besser kenne, könne sie mehr Vertrauen entwickeln und merke automatisch,<br />
dass sie sich mehr öffnen und damit auch an Gesprächen beteiligen könne, so wie dies ja auch in ihrer alten<br />
3 Ein Wertequadrat ist ein Instrument, um Spannungen zu erfassen und zu verdeutlichen. So kann mit einer Wertabwägung in einer strittigen Angelegenheit die Entscheidungsfindung<br />
unterstützt werden.
Seite 24<br />
Klasse der Fall gewesen sei. Die Familienbegleiterin wusste nämlich aus Erzählungen von Melanie, dass diese<br />
in ihrer alten Klasse sehr kommunikativ gewesen war und viele Freunde hatte, und zeigte dies der Jugendlichen<br />
nochmals als eine Seite ihrer Persönlichkeit auf. Melanie gewann dadurch neue Zuversicht, dass<br />
sie mit etwas Geduld bald ihren Platz in der neuen Klasse finden werde.<br />
Zu spüren, was man bereits kann oder erfolgreich gemeistert hat, verstärkt das Vertrauen<br />
in die Selbstwirksamkeit. Wenn solches wahrgenommen und sichtbar gemacht wird, vervielfacht<br />
sich seine Wirkung (durch Anknüpfen an vorhandene Fähigkeiten (Resilienz) ein lösungsbezogenes<br />
Klima erzeugen). Dieses Aufnehmen und Sichtbarmachen von Entwicklungsschritten<br />
durch die sozialpädagogische Familienbegleiterin hatten es Herr und Frau<br />
R. ermöglicht, die Strukturen in ihrer Familie so zu gestalten, dass ihre älteste Tochter die<br />
Anforderungen der Schule erfüllen konnte.<br />
Die Familie R. wohnte mit ihren drei Kindern in einer kleinen 3 ½ - Zimmerwohnung. Die Lehrerin der 8-<br />
jährigen Zwillinge hatte sich an die Schulleitung gewandt und Unterstützung für die Familie beantragt.<br />
Auch die älteste Tochter, Adriana R. (12) hatte Schulprobleme: Sie warf ihrer Familie vor, die Unruhen und<br />
Streitereien zu Hause würden verhindern, dass sie bessere Leistungen in der Schule zeigen könne. Sie äusserte<br />
den Wunsch, die Oberstufe auf dem Niveau E (E für erweitert) zu besuchen. Zusammen mit den Eltern<br />
und der sozialpädagogischen Familienbegleiterin wurde die derzeitige Situation analysiert und Strategien<br />
zur Zielerreichung erarbeitet. Adriana hielt schliesslich die Resultate auf einem Plakat fest, welches sie an<br />
die Türe des Kinderzimmers hängte, sodass ihre Pläne und ihr Weg zum Ziel nicht nur ihr selbst, sondern<br />
der ganzen Familie vor Augen blieben:
Seite 25<br />
In den folgenden Begleitgesprächen konnte immer wieder auf die Karte von Adriana zurückgegriffen werden,<br />
um den Eltern die Wichtigkeit von klaren Strukturen im familiären Alltag zu verdeutlichen.<br />
Wenn sich Gewohntes nicht mehr bewährt oder neue Herausforderungen auf einen zukommen,<br />
ist es notwendig, neue Strategien zur Bewältigung zu erlernen. Innerhalb von<br />
sozialpädagogischen Begleitungen werden in der Regel bereits vorhandene Fähigkeiten<br />
wieder ans Licht geholt, aber es kommt auch immer zu Momenten des Dazulernens. Dies<br />
geschieht nicht immer im vollen Bewusstsein von Lehrenden und Lernenden und häufig<br />
in Form eines Modelllernens (Modellbildung durch beraterisch-therapeutische Fachkräfte). Als<br />
Methode eingesetzt kann „Lernen am Modell“ dazu dienen, festgefahrene Muster zu<br />
durchbrechen. Im nächsten Beispiel ist dies der sozialpädagogischen Familienbegleiterin<br />
gelungen:<br />
Der 14-jährige Sohn Marc B. lebt nach einem langjährigen Aufenthalt in einer sozialpädagogischen Organisation<br />
seit einem halben Jahr wieder bei seiner Familie. Aufgrund der Schwierigkeiten von Marc, sich in seiner<br />
Familie wieder zurecht zu finden, wurde der Familie B. sozialpädagogische Familienbegleitung zur Seite gestellt.<br />
Ziel der Begleitung war es, die Familie darin zu unterstützen, Formen für eine gemeinsame Kommunikation<br />
zu finden, welche ein von gegenseitiger Achtung und Vertrauen geprägtes Zusammenleben ermöglicht.<br />
Marc war zunächst kaum für eine Zusammenarbeit zu motivieren. Es wurde entschieden, eine zusätzliche<br />
sozialpädagogische Familienbegleiterin solle ihm zur Seite stehen und ihn dabei unterstützen seinen<br />
Platz in der Familie wieder zu finden. Als sein persönlicher Coach sollte sie ihm dabei helfen, seiner Stimme<br />
in angemessener Weise Gehör zu verschaffen. Die Begleiterin stellte die ersten Kontakte zu Marc über<br />
Kurzmitteilungen auf seinem Handy her. Nachdem er seine Zusage für ein erstes persönliches Treffen gemacht<br />
hatte, schlug die Begleiterin vor, sich bei diesem Gespräch weiterhin in Form von Kurzmitteilungen<br />
zu unterhalten, aber diesmal auf einem Blatt Papier. Diese Kommunikationsform schien Marc sehr entgegen<br />
zu kommen:
Seite 26<br />
In der weiteren Begleitung der Familie B. wurden in Absprache mit Marc einzelne Themen aus Marcs Begleitungen<br />
in Familienkonferenzen aufgenommen. Unter Anleitung der Familienbegleiterinnen wurden dabei<br />
auch Rollenspiele durchgeführt. Dass Marc dabei einmal die Rolle seiner Mutter und seine Mutter umgekehrt<br />
Marcs Rolle übernommen hatte, bezeichneten beide in der Auswertung der Begleitzeit als ein Schlüsselmoment<br />
in der Veränderung ihrer Wahrnehmung.<br />
Neigt sich eine Begleitzeit einer Familie oder Einzelperson dem Ende zu, so geht es darum,<br />
erfolgte Veränderungen für eine gewinnbringendere Lebenspraxis nochmals aufzuzeigen<br />
und bestmöglich zu verankern (Sicherung der Grundstruktur (Identität) von Individuen,<br />
Familien und Organisationen). Häufig zeigen sich in dieser Phase nochmals<br />
„Rückfälle“ oder es eröffnen sich neue Schauplätze, die einer Beachtung bedürfen. In solchen<br />
Situation kann die „Versuchung“ entstehen, eine weitere Begleitzeit zu vereinbaren,<br />
um auch zukünftig Unterstützung leisten zu können. Als Mitarbeitende einer wirtschaftlich<br />
orientierten Organisation sind „unsere“ Familienbegleiterinnen und –begleiter dieser<br />
Verlockung besonders ausgesetzt. Wenn aber die Begleitperson über die Grösse und das<br />
professionelle Verständnis verfügt, sich gerade jetzt zurückziehen zu können, verschafft<br />
sie den Familien oder Einzelpersonen die Möglichkeit zu beweisen, dass sie nun wieder
Seite 27<br />
Verantwortungen, Funktionen und Entscheidungsmacht übernommen haben und wieder<br />
selbständig handeln können. Dies kann eine nachhaltige Stärkung des Selbstvertrauens in<br />
das eigenverantwortliche Handeln bewirken.<br />
3.3 Professionelle Netze und Zusammenarbeit<br />
„Aus der Tatsache, dass Freizeitpädagogen andere Aufgaben haben als Polizisten [.], Jugendgerichtshelfer<br />
andere als Staatsanwälte [.], Soziale Dienste andere als Schulen [.], folgt nicht, dass das Handeln und Entscheiden<br />
dieser anderen Instanzen für einen konkreten sozialpädagogischen Fall weniger wichtig wäre, als<br />
das, was die fallbearbeitenden SozialpädagogInnen selbst tun. Im Gegenteil zeigen alle drei Beispiele, dass<br />
das, was diese anderen tun oder lassen, sehr viel gravierender für die Betroffenen sein kann als alles, was Sozialarbeit<br />
tun kann. Gerade deshalb aber ist es wichtig, dass sich Sozialarbeit im je konkreten Fall auf diese<br />
anderen Instanzen bezieht, sie auch im Sinne der eigenen Aufgabe zu beeinflussen sucht, aber ohne diese eigene<br />
mit deren anderer Aufgabe zu verwechseln.“ (Müller, 1997, S. 103)<br />
Es ist eine Binsenwahrheit, dass erfolgreiches interdisziplinäres Handeln hohe Kenntnisse<br />
über die spezifischen Aufgabenbereiche der einzelnen Disziplinen voraussetzt. Systemtheoretisch<br />
wird von einer funktionalen Differenzierung der modernen Gesellschaft in etwa<br />
ein Dutzend Teilsysteme gesprochen: Wirtschaft, Politik, Recht, Religion, Wissenschaft,<br />
Bildung, Gesundheit, Intimbeziehungen usw.. Wird diese Strukturform der Gesellschaft<br />
mit Blick auf die einzelnen Gesellschaftsmitglieder betrachtet, so ist festzustellen,<br />
dass Individuen vielfältige teilsystemische Leistungen empfangen. Dabei bestimmen die<br />
Leistungen der verschiedenen gesellschaftlichen Teilsysteme an ein Individuum dessen<br />
Möglichkeiten in der Lebensführung (vgl. Burzan u. Schimank in Schwinn, 2004, S. 214).<br />
Welcher Ausschnitt der Lebensführung für ein Teilsystem von Bedeutung ist, steht zwingend<br />
im Zusammenhang mit der Funktion des Teilsystems. So unterscheidet beispielsweise<br />
das Rechtssystem in recht / unrecht und bestimmt, ob die Taten einer Person als Gesellschaft<br />
gefährdend gelten oder nicht. Im Bildungssystem entscheidet bestanden / nicht bestanden<br />
über den weiteren Verlauf der schulischen Karriere (vgl. Uecker, 2004, S. 6). Funktionssysteme<br />
sind selbst-substitutive Ordnungen. Kein Funktionssystem kann die Funktion<br />
eines anderen übernehmen. Jedes setzt voraus, dass andere Funktionen anderswo erfüllt<br />
werden (vgl. Luhmann, 1997, S. 753).
Seite 28<br />
Dieses Hintergrundwissen erleichtert es den sozialpädagogischen Familienbegleiterinnen<br />
und -begleitern in unserer Organisation einerseits, klare Abgrenzungen der Aufgabenbereiche<br />
vorzunehmen und andererseits, keine disziplinfremden Leistungen von anderen<br />
Funktionssystemen – oder hier: Helfersystemen – zu erwarten. Dass diese Klarheit der Zuständigkeiten<br />
die Zusammenarbeit der beteiligten Systeme enorm erleichtert, zeigt das<br />
Beispiel der Helfersitzung im Fall von Marco Z., einem 17-jährigen Jugendlichen, der nicht<br />
mehr bei seinen Eltern wohnen mochte:
Seite 29<br />
Aufgrund der hohen Teilnehmerzahl an der Sitzung und der Wichtigkeit der Klärung der Zuständigkeiten<br />
hatten die Beiständin von Marco und die sozialpädagogische Familienbegleiterin sich darauf geeinigt, für
Seite 30<br />
die Moderation auf die Unterstützung durch eine möglichst neutrale Person zurückzugreifen. Frau H. von<br />
der örtlichen Familien- und Jugendberatungsstelle erklärte sich bereit, diese Aufgabe zu übernehmen. Dies<br />
erwies sich als sehr gewinnbringend, denn so konnten sich alle Teilnehmenden der Helfersitzung ausschliesslich<br />
auf ihre Interessen und Bereiche konzentrieren. Niemand musste die Doppelrolle der Moderation<br />
und Teilnahme übernehmen. Die geschickte Moderation durch Frau H. ermöglichte es allen Teilnehmenden,<br />
ihre Sicht der Chancen und Risiken in der Entwicklung von Marco in ausreichendem Umfang darzulegen.<br />
Dabei wurden nochmals die Zuständigkeitsbereiche der einzelnen Teilnehmenden verdeutlicht. Am<br />
Schluss der Sitzung konnten die wichtigsten Schritte für die nähere Zukunft von Marco zusammengefasst<br />
werden und alle Beteiligten waren sich über ihre Aufgaben im Klaren. Am nächsten Tag wurde ein Ergebnisprotokoll<br />
an alle Teilnehmenden versandt, um so nochmals die getroffenen Vereinbarungen zu festigen.
Seite 31<br />
Grossangelegte Helfersitzungen können sehr hilfreich sein und der Fall von Marco Z. eignet<br />
sich hervorragend, um die Wichtigkeit von interdisziplinärer Zusammenarbeit aufzuzeigen.<br />
Im alltäglichen professionellen Handeln sind die kleinen Vernetzungen (kurze telefonische<br />
Rückfragen, E-Mail-Korrespondenzen usw.) dagegen fast noch von grösserer<br />
Bedeutung, denn zu wissen, wer in welcher Organisation für welche Bereiche zuständig<br />
ist, und diesen Personen auch schon vorgestellt worden zu sein, kann Kommunikationsund<br />
Entscheidungswege deutlich verkürzen. Und wenn die bereits gemachten Erfahrungen<br />
in der vergangenen Zusammenarbeit als lohnenswert eingestuft werden, sinkt auf<br />
beiden Seiten die Hemmschwelle zur Kontaktaufnahme. Doch auch hier liegen Fallstricke<br />
für die sozialpädagogischen Familienbegleiterinnen und -begleiter verborgen. Wirkt nämlich<br />
die Zusammenarbeit zwischen ihr und beispielsweise der Sozialarbeiterin des Sozialen<br />
Dienstes allzu freundschaftlich, so kann bei den begleiteten Personen leicht der Eindruck<br />
einer Koalition der professionell Helfenden hinter ihrem Rücken entstehen. Die sozialpädagogischen<br />
Familienbegleiterinnen und –begleiter in unserer Organsiation arbeiten
Seite 32<br />
daher zwar interdisziplinär mit anderen Organisationen und Berufsgruppen zusammen,<br />
aber persönliche Informationen über begleitete Familien oder Einzelpersonen werden nur<br />
mit deren ausdrücklichem Einverständnis weitergegeben. Stehen Helferkonferenzen bevor,<br />
so wird gemeinsam mit ihnen erarbeitet, welche Informationen weitergegeben werden<br />
können oder müssen, um die vereinbarten Begleitziele zu erreichen oder zu dokumentieren.<br />
4. Controlling (Optimierung)<br />
4.1 Wissensmanagement<br />
„Wissen sei verstanden als Gesamtheit der Kenntnisse und Fähigkeiten, die Personen zur Lösung von Problemen<br />
einsetzen. Dies umfasst sowohl theoretische Erkenntnisse als auch praktische Alltagsregeln und Handlungsanweisungen.<br />
[...] Wissen entsteht als ein individueller Prozess in einem spezifischen Kontext und manifestiert<br />
sich in Handlungen“. (Probst et al. 1997, o. A. zit. in North 2005, S. 33)<br />
Wir betreiben ein unseren Bedürfnissen angepasstes Wissensmanagement. Persönlicher<br />
Wissenstransfer findet in Form von wöchentlichen Teamsitzungen mit Intervisionen, monatlichen<br />
Supervisionen und einer Zusammenarbeit bei „offenen Türen“ statt. Diese Gefässe<br />
dienen nicht nur der Nutzung von „Schwarmintelligenz“ und der Multiplizierung<br />
der Wissensbestände, sondern sie fördern auch ein angenehmes Arbeitsklima. Zum Zweck<br />
einer von Personen unabhängigen Nutzung des vorhandenen Wissens werden Erfahrungen<br />
aus vergangenen Fallführungen protokolliert und zentral gespeichert. Ausserdem verfügen<br />
wir über eine gut ausgestattete Bibliothek. Aufgrund der hohen Mobilitätsanforderung<br />
an die Mitarbeitenden verfügen alle über einen eigenen Mobiltelefonanschluss. Die<br />
Gespräche innerhalb des Unternehmens sind nicht gebührenpflichtig, damit sinkt die<br />
Schwelle für einen Wissensaustausch von unterwegs. Externe zuweisende Stellen und begleitete<br />
Personen profitieren von dieser Mobilität des Wissens dadurch, dass bei Bedarf<br />
ein rascher Kontakt hergestellt ist und aktuelle Situationen oder Veränderungen bekannt<br />
gegeben oder die Informationen darüber eingeholt werden können.
Seite 33<br />
Anhand von individuellen Wissens- und Kompetenzportfolios aller Mitarbeitenden konnte<br />
ein Wissensträgerverzeichnis angelegt werden. So werden sowohl das bestehende Wissen<br />
als auch mögliche Wissenslücken auf individueller und organisationaler Ebene erkannt.<br />
Entsprechende Weiterbildungsmassnahmen können dadurch gezielt geplant werden.<br />
4.2 Ausbildung von Studierenden der Sozialen Arbeit<br />
„Der Geist heftet sich aus Trägheit oder Gewohnheit an das, was ihm leicht zugänglich oder angenehm ist.<br />
Diese Angewohnheit setzt unserem Geist Schranken, und keiner macht sich je die Mühe, seinen Geist ganz<br />
zu entfalten und ihn so weit zu führen, wie er zu gehen vermöchte.“ (François VI. Herzog von La Rochefoucauld,<br />
Prince de Marcillac, 1613 - 1680)<br />
Vor einigen Jahren bot die Berufs-, Fach- und Fortbildungsschule Bern, Abteilung <strong>Sozialpädagogik</strong>,<br />
im Rahmen eines Pilotprojektes einen Nachdiplomkurs (NDK) in sozialpädagogischer<br />
Familienbegleitung an. Dieses damals gesamtschweizerisch einzige Angebot<br />
wurde nach nur wenigen Durchführungen eingestellt und von keiner anderen Ausbildungsstätte<br />
übernommen. Dies bedeutet, dass es derzeit in der Schweiz keine entsprechende<br />
Weiterbildungsmöglichkeit mit zertifizierender Wirkung gibt. Für die Qualifikation<br />
von Mitarbeitenden im Bereich der sozialpädagogischen Familienbegleitung bedeutet<br />
dies, dass auf keinerlei gesetzliche oder anderweitig standardisierte Weiterbildungsvorgaben<br />
zurückgegriffen werden kann. Bezogen auf das Handeln von sozialpädagogischen<br />
Familienbegleitern heisst das, dass sich verschiedene Berufsleute aus der Sozialen Arbeit,<br />
aber auch aus anderen Berufen, ohne zusätzliche spezifische Weiterbildung in diesem Berufsfeld<br />
bewegen. In der Schweiz existiert nicht einmal eine Kontrollinstanz. Diesem Umstand<br />
versucht einzig der Fachverband Sozialpädagogische Familienbegleitung durch<br />
verbindliche Aufnahmekriterien in den Verband entgegen zu wirken (vgl. Fachverband<br />
Schweiz Sozialpädagogische Familienbegleitung, Qualitätsstandards, 2008). Vor dem Hintergrund<br />
der hohen fachlichen Anforderungen, welche an die sozialpädagogischen Familienbegleiterinnen<br />
und -begleiter in ihrem beruflichen Alltag gestellt werden, schätzen wir<br />
diese Situation als höchst unbefriedigend und problematisch ein.
Seite 34<br />
Um einen kleinen Teil dazu beizutragen, dass diese als desolat zu bezeichnende Ausbildungssituation<br />
sich etwas verbessert, bieten wir Studierenden der Fachhochschulen für<br />
Soziale Arbeit die Möglichkeit an, ein Ausbildungspraktikum im Bereich der sozialpädagogischen<br />
Familienbegleitung zu absolvieren. Die Auseinandersetzungen zwischen Lehrenden<br />
und Lernenden, die dabei entstehen, verlangen von den einzelnen Mitarbeitenden<br />
oftmals eine erneute Reflexion von Prozessabläufen in der Organisation, um diese theoretisch<br />
überzeugend zu begründen. So können beide Seiten immer wieder Neues lernen,<br />
Studierende wie Fallführende. Die Aufnahme von Studierenden der Sozialen Arbeit in ein<br />
Ausbildungspraktikum erlaubt überdies Auseinandersetzungen mit aktuellen wissenschaftlichen<br />
Diskursen.<br />
4.3 Reflexion und Evaluation<br />
„Supervision lässt sich […] als ‚ein durch Kontrakt verbindlich geregeltes Lehr- und Lernverfahren’ definieren.<br />
Während der Supervision geht es in erster Linie um Erfahrungslernen, durch welches die Fachlichkeit<br />
und die Persönlichkeit der Supervisandinnen sowie die Koordinationsfähigkeit von Arbeitsgruppen (Teams)<br />
kontrolliert und entwickelt werden soll“ (Kleve, 1996, S. 119).<br />
Fest vereinbarte Supervisionstermine mit einem externen Berater dient uns neben dem<br />
von Kleve erwähnten Lehr- / Lernprozess dazu, „blinde Flecken“ in der Fallführung aufzudecken<br />
und damit die Qualität des professionellen Handelns zu sichern. Die „blinden<br />
Flecken“, welche in den Supervisionen aufgespürt werden sollen, sind sozusagen die<br />
„blinden Flecken“ der „blinden Flecken“ bei Fallbesprechungen, Team-Sitzungen und Intervisionen.<br />
Die regelmässigen Standortgespräche mit den begleiteten Personen und den zuweisenden<br />
Stellen dienen zum einen der Überprüfung des Begleitungsprozesses und zum anderen<br />
aber auch der Verdeutlichung und Bewusstmachung von Veränderungen in der Lebenspraxis<br />
der Familien oder Einzelpersonen. Ebenso wird das Verfassen von Verlaufs- und<br />
Schlussberichten einerseits als persönliche Überprüfung des eigenen professionellen Handelns<br />
und anderseits als Dokumentation des Lernerfolgs der begleiteten Personen betrachtet.<br />
Drei bis sechs Monate nach Beendigung der Begleitungen finden erneute Kontaktauf-
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nahmen sowohl zu den zuweisenden Stellen als auch zu den begleiteten Familien und<br />
Einzelpersonen statt. Diese Rückfragen sollen dazu beitragen, die Nachhaltigkeit der erfolgten<br />
Veränderungen zu ermessen. Gleichzeitig kann dadurch die Qualität der erbrachten<br />
Dienstleistungen einschätzt und optimiert werden.<br />
Schlussworte<br />
„Unter <strong>Inspira</strong>tion [...] versteht man allgemeinsprachlich jene mentale Kraft, die neue Ideen hervorbringt.<br />
[...] <strong>Inspira</strong>tion bezeichnet häufig auch ein Erlebnis, das als Auslöser für eine neue Idee angesehen wird, z.B.<br />
die Begegnung mit einem Menschen, eine Reise oder ein Traum.“ (Wikipedia)<br />
Wir staunen eins ums andere Mal aufs Neue über die unerschöpfliche Kraft, die in uns<br />
Menschen zu stecken scheint. Angetrieben vom Willen zur Entwicklung gelingt es den<br />
durch uns begleiteten Familien und Einzelpersonen immer wieder, auch in scheinbar<br />
auswegslosen Situationen, sich für einen neuen Anfang inspirieren zu lassen.
Literatur- und Quellenverzeichnis<br />
Borst, U., Lanfranchi, A., Hildenbrand, B. (ohne Angaben). Das Meilener Konzept. Unterrichtsunterlagen<br />
des Ausbildungsinstituts Meilen.<br />
Conen, M. L. (2006). Gebrauchsanweisung und Warnung. In Conen M. L. (Hrsg.) (2006). Wo<br />
keine Hoffnung ist, muss man sie erfinden. Aufsuchende Familientherapie. (3. Aufl.)<br />
.Heidelberg: Carl-Auer.<br />
Fachverband Schweiz Sozialpädagogische Familienbegleitung: Qualitätsstandards für die<br />
Mitgliedschaft im Fachverband. URL: http://www.spffachverband.ch/content/index.html,<br />
2008<br />
<strong>Inspira</strong> <strong>GmbH</strong> (o. A.). Wir beraten Einzelpersonen oder Familien gerne individuell bei persönlichen<br />
Anliegen. Prospektmaterial.<br />
Kleve, H. (1996). Konstruktivismus und Soziale Arbeit. Aachen: Wissenschaftlicher Verlag<br />
des Instituts für Beratung und Supervision.<br />
Krems, B. (2008) Online-Verwaltungslexikon, www.olev.de. Management und Reform der öffentlichen<br />
Verwaltung. Leitbild. Gefunden am 11.02.09 unter<br />
http://www.olev.de/l/leitbild.htm.<br />
Lötscher, C. (2003). Systemorientierung in der <strong>Sozialpädagogik</strong>. Ein Beitrag zur Erarbeitung von<br />
Grundlagenwissen für Sozialpädagoginnen. Unveröffentlichte Diplomarbeit, FHS Hochschule<br />
für Technik, Wirtschaft und Soziale Arbeit St. Gallen, Rorschach.<br />
Luhmann, N. (1997). Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.<br />
Müller, B. (1997). Sozialpädagogisches Können. Ein Lehrbuch zur multiperspektivischen<br />
Fallarbeit. (3. Aufl.). Freiburg im Breisgau: Lambertus.<br />
North, K. (2005). Wissensorientierte Unternehmensführung. Wertschöpfung durch Wissen. (4.<br />
aktual. u. erw. Aufl.). Wiesbaden: Gabler.<br />
Pfeifer-Schaupp, H.U. (1995). Jenseits der Familientherapie. Systemische Konzepte in der Sozialen<br />
Arbeit. Freiburg im Breisgau: Lambertus.<br />
Burzan N., Schimank U. (2002) Inklusionsprofile – Überlegungen zu einer differenzierungstheoretischen<br />
„Sozialstrukturanalyse“. In Schwinn, T. (Hrsg). (2004). Differenzierung und soziale<br />
Ungleichheit. Die zwei Soziologien und ihre Verknüpfung. Frankfurt am Main: Humanties<br />
Online.<br />
Uecker, H., (2004). Kein Mensch in Sicht – Soziale Arbeit als Adressmanagement. URL:<br />
http://www.sozialarbeit.ch/dokumente/adressmanagement.pdf, 2008<br />
von Foerster, H., Pörksen, B. (2006). Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für<br />
Skeptiker. (7. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer-Systeme.<br />
von Schlippe, A., Schweitzer J. (1998). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. (5.<br />
Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht.
Literatur- und Quellenverzeichnis<br />
Welter-Enderlin, R. (2006). Wirksamkeit von Gefühlen in Beratung und Therapie. In Hundsalz,<br />
A., Nitsch, R., Reuser B. (Hrsg.) (2007) Die Macht der Gefühle. Affekte und Emotionen im<br />
Prozess von Erziehungsberatung und Therapie. Weinheim und München: Juventa.<br />
Wikipedia. (2009). <strong>Inspira</strong>tion. Gefunden am 20.03.2009 unter<br />
http://de.wikipedia.org/wiki/<strong>Inspira</strong>tion