Die Darstellung der sozialen Schichten in Diderots "Jacques le ...

Allerdings zeigen Pater Hudson und die unversöhnlichen Mönche
des Karmeliterordens, wieviel Macht von der Religion ausgeht.
Jacques stellt dazu sehr treffend fest, dass alle Predigten den
Präambeln der königlichen Edikte ähneln, denn "alle Prediger
möchten, daß man ihre Lehren befolgt, weil wir uns dabei vielleicht
besser stehen würden". (Diderot 1972: 103) Es lassen sich
dahingehend Parallelen zwischen der katholischen Auslegung von
Religion und einem totalitären politischen System ziehen, als dass
beide ihre Mitglieder unterdrücken und bis in ihre Gefühle hinein
dirigieren möchten. Doch nur der Macht einer Religion gelingt dies.
[M]it welcher Energie der Katholizismus willens war und ist,
über Menschen zu regieren, zeigt sich erschreckend deutlich in
den Bestimmungen, mit denen er glaubt, sogar den
Gefühlsbereich der ihm untergebenen Kleriker bis ins Detail
hinein kontrollieren zu können und zu müssen. [...] Die
katholische Kirche darf uneingeschränkt als dasjenige System
gelten, das am konsequentesten, am dauerhaftesten und am
erfahrungsreichsten [...] die psychische Entfremdung seiner
Mitglieder vorangetrieben und ausgebaut hat. 52
Diese psychischen Entfremdungen sind in den bereits angeführten
Abenteuern deutlich geworden. Diderot allerdings begründet und
entschuldigt diese Verfehlungen mit der Tatsache, dass die Kleriker
– vor allem die regulierten – eine Lebensweise gewählt haben, "die
dem Gebot der Natur entgegengesetzt ist." (Diderot 1972: 209)
Wahnsinn und Verzweiflung waren keine seltenen Folgen und ein
recht vertrautes Phänomen in den Klostermauern.
Diderots Einstellung zum Klerus ist also weder positiv noch negativ.
Er zeigt den gutmütigen Pater Ange, dessen Name sicherlich
bewusst auf sein "engelhaftes" Wesen hinweisen soll (cf. S. 10
dieser Arbeit), und in Opposition zu ihm den despotischen Pater
Hudson. Beide sind Opfer – der eine ist das Opfer der
unversöhnlichen Mönche, der andere das der Religion und des
Lebens contre la nature. Die in "Jacques le fataliste" noch zögerlich
anklingende Kritik wird in "La Religieuse" sehr viel deutlicher. Im
folgenden Kapitel sollen deshalb die darin beschriebenen Zustände
in den Klöstern näher untersucht, Gründe für den Schritt in ein Leben
gegen die Natur gesucht und dessen Folgen aufgezeigt werden.
52 Drewermann (1989), S. 188
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