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Demokratie kontra Diktatur - Bürger in Bewegung

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Über den langen Kampf der<br />

Menschheit gegen die<br />

Machtausübung durch E<strong>in</strong>zelne<br />

Gerd Breitenfeld


Gerd Breitenfeld veröffentlichte bereits 2010 <strong>in</strong><br />

eigenverlegerischer Form se<strong>in</strong>e Sicht auf e<strong>in</strong>e<br />

„demokratischere“ <strong>Demokratie</strong>. Der Autor beschreibt den<br />

Hang den Menschen sowohl im Drang zur Macht nach als<br />

auch dann die <strong>in</strong> liegende und sich entwickelnde Sucht –<br />

„Macht macht süchtig“ - nach Herrschaft nach. Stets blieb<br />

die Macht <strong>in</strong> den Händen e<strong>in</strong>er Person.<br />

Gerd Breitenfeld präsentiert <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Schrift e<strong>in</strong>e neue<br />

Form der des demokratischeren Lebens. <strong>Bürger</strong>gruppen<br />

von 15-20 Personen wählen immer drei Vertreter, die für<br />

sie sprechen, gleichzeitig dann e<strong>in</strong>e Ebene höher auch<br />

wieder zu Gruppen vere<strong>in</strong>igen, von den dann ebenfalls<br />

wieder drei Vertreter sowohl im Gruppennamen sprechen<br />

als auch sich noch „oben“ h<strong>in</strong> wieder mit den dreiköpfigen<br />

Vertreter anderer Gruppen – ggf. auf Länderebene – zu<br />

Landesparlamenten vere<strong>in</strong>igen.<br />

Schließlich sollten nach Me<strong>in</strong>ung des Autoren diese<br />

Länderparlamente drei Vertreter wählen, die dann z.B. als<br />

höchste Vertreter e<strong>in</strong>er Regierung – <strong>in</strong> Deutschland wäre<br />

das die Funktion des Bundeskanzlers – fungieren.<br />

Drei Repräsentanten an der Spitze e<strong>in</strong>er Volksvertretung<br />

s<strong>in</strong>d nach Me<strong>in</strong>ung des Autoren jedenfalls demokratischer<br />

<strong>in</strong> der Entscheidungsfällung als nur e<strong>in</strong>e Person.<br />

Erste Auflage 2010 – Selbstverlag Gerd Breitenfeld<br />

© 2012 Lizenzauflage für <strong>Bürger</strong> <strong>in</strong> <strong>Bewegung</strong> – für e<strong>in</strong>e<br />

andere Welt e.V. – Potsdam<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

Buchgestaltung: Matthias Drees, Düsseldorf<br />

Druck: Osthavelland-Druck und Verlag. Velten<br />

ISBN 978-3-944160-00-9<br />

1


Inhaltsverzeichnis<br />

Seite<br />

1. E<strong>in</strong>leitung 3<br />

2. Der Missbrauch des Wortes <strong>Demokratie</strong> 5<br />

3. Aber was ist e<strong>in</strong>e <strong>Diktatur</strong>? 9<br />

4. Über die Wurzeln der <strong>Diktatur</strong> 12<br />

5. Die Anfänge des <strong>Demokratie</strong>prozesses 17<br />

6. Die Gefährlichkeit der E<strong>in</strong>zelherrschaft 20<br />

7. Machtgier und Untertanengeist 22<br />

8. Der Übergang der Nomaden zur Sesshaftigkeit 25<br />

9. Die nächsten Schritte im <strong>Demokratie</strong>prozess 27<br />

10. Die E<strong>in</strong>schränkung der Machtbefugnis der<br />

Herrschenden 31<br />

11. Zur Geschichte der Wahlen 35<br />

12. Die Entwicklung der real existierenden<br />

<strong>Demokratie</strong> <strong>in</strong> Deutschland 33<br />

13. Die Kritik an der real existierenden <strong>Demokratie</strong> 42<br />

14. Was müsste geschehen? 48<br />

15. Die Krise der demokratischen Parteien 50<br />

16. Team statt E<strong>in</strong>zelleiter 55<br />

17. Die Parteien an die Front 60<br />

18. <strong>Demokratie</strong>? Ja! Aber wie? 64<br />

2


- 1. E<strong>in</strong>leitung –<br />

<strong>Demokratie</strong> - was für e<strong>in</strong> großartiges Wort! Schon <strong>in</strong><br />

der Schule haben wir gelernt, dass das Wort aus dem<br />

Griechischen stammt: von demos - das Volk und<br />

krate<strong>in</strong> - herrschen, Volksherrschaft also. <strong>Demokratie</strong><br />

gleich Volksherrschaft, das ist auch <strong>in</strong> jedem Lexikon<br />

nachzulesen.<br />

Jahrhundertelang hatte sich diese Vorstellung wie e<strong>in</strong><br />

katholisches Dogma <strong>in</strong> allen Köpfen festgesetzt.<br />

Sollten wirklich ke<strong>in</strong>erlei Zweifel an der Richtigkeit<br />

dieser Aussage aufgekommen se<strong>in</strong>? Dabei ist es doch<br />

so nahe liegend: Wenn <strong>Demokratie</strong> wirklich<br />

Volksherrschaft bedeuten würde, dann gäbe es<br />

nirgendwo auf der ganzen. Welt e<strong>in</strong>e <strong>Demokratie</strong>.<br />

Mehr noch: Es hätte <strong>in</strong> der ganzen Geschichte der<br />

Menschheit noch nie e<strong>in</strong>e <strong>Demokratie</strong> gegeben. Denn<br />

noch niemals und nirgendwo hat jemals das Volk<br />

geherrscht! Immer waren irgendwelche Herrscher die<br />

Machtausübenden, seien es Kaiser, Könige oder<br />

Kanzler, Präsidenten, Päpste oder Parteiführer,<br />

Fürsten, Pharaos oder Feldherrn gewesen. Oder auch<br />

Generale und. M<strong>in</strong>ister, Direktoren, Chefs und Bosse<br />

aller Couleur.<br />

Sage auch niemand: Das Volk regiert doch durch die<br />

Wahlen. Das wäre e<strong>in</strong> Trugschluss, denn noch immer<br />

haben besten falls die Gewählten regiert, niemals<br />

aber die Wähler! Trotzdem ist es schon e<strong>in</strong> gutes<br />

Stück <strong>Demokratie</strong>, wenn die Herrschenden<br />

wenigstens gewählt werden dürfen. Nur, deshalb von<br />

3


Volksherrschaft zu sprechen, ist ke<strong>in</strong>esfalls<br />

gerechtfertigt.<br />

Es gab Zeiten, <strong>in</strong> denen das Volk auf die Barrikaden<br />

g<strong>in</strong>g. Während e<strong>in</strong>er Revolution mag die Macht der<br />

Herrschenden geschwächt gewesen se<strong>in</strong>. Siegten die<br />

Revolutionäre wie <strong>in</strong> Russland 1917 oder <strong>in</strong> Frankreich<br />

1798 so g<strong>in</strong>g die Herrschaft doch nie ans Volk, sondern<br />

stets nahtlos an die neuen Führer. Auch 1989 <strong>in</strong> der<br />

DDR gab es zu ke<strong>in</strong>er Zeit e<strong>in</strong> Machtvakuum. Die Kette<br />

der Machtausübenden reichte von Honecker über<br />

Krenz, Modrow und de Maiziere nahtlos bis zu Kohl.<br />

Es gab zeitweilig <strong>in</strong>teressante demokratische<br />

Organisationsformen, die „Runden Tische", aber-bei<br />

allem E<strong>in</strong>fluss, den sie hatten - die Staatsmacht lag nie<br />

<strong>in</strong> ihren Händen und leider verschwanden sie wieder,<br />

sobald sich das neue System der Herrschaft etabliert<br />

hatte. Ne<strong>in</strong>, auch <strong>in</strong> dieser Zeit gab es ke<strong>in</strong>e<br />

Volksherrschaft.<br />

E<strong>in</strong> merkwürdiger Widerspruch tut sich da auf:<br />

Obwohl es ke<strong>in</strong>e Volksherrschaft gibt und obwohl so<br />

wenig Klarheit über Wesen der <strong>Demokratie</strong> besteht,<br />

nennen sich alle Parteien - so unterschiedlich ihre Ziele<br />

und ihre Wählerschaft auch se<strong>in</strong> mögen -<br />

„demokratisch": Es gibt Sozialdemokraten,<br />

Liberaldemokraten,<br />

Nationaldemokraten,<br />

Christdemokraten und die Partei Die L<strong>in</strong>ke, deren<br />

Mitglieder sich demokratische Sozialisten nennen. Die<br />

Grünen und die CSU, die als e<strong>in</strong>zige Parteien nicht das<br />

Wort <strong>Demokratie</strong> im Namen tragen, wären schwer<br />

gekränkt, wollte man sie nicht als demokratisch<br />

bezeichnen.<br />

4


Diese „Geme<strong>in</strong>samkeit" im Bild der Parteien hat ihre<br />

Hauptursache <strong>in</strong> dem Zwang durch unser<br />

Staatssystem, möglichst viele Wählerstimmen zu<br />

gew<strong>in</strong>nen, um an der Macht im Staate teilhaben zu<br />

können. Und dabei spielen nicht nur die<br />

demokratischen „Spielregeln", sondern auch das Wort<br />

„<strong>Demokratie</strong>" selbst e<strong>in</strong>e nicht zu unterschätzende<br />

Rolle.<br />

2. Der Missbrauch des Wortes <strong>Demokratie</strong><br />

Die menschliche Sprache bietet die wunderbare<br />

Möglichkeit zu argumentieren, also durch e<strong>in</strong>e<br />

s<strong>in</strong>nvolle Ane<strong>in</strong>anderreihung präzise treffender<br />

Wörter und deren geschickte Gewichtung andere<br />

Menschen von der Notwendigkeit e<strong>in</strong>es bestimmten<br />

Verhaltens zu überzeugen. Wer als Politiker, Lehrer,<br />

Geistlicher, Journalist oder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anderen Funktion<br />

vor der Aufgabe stellt, andere zu überzeugen, weiß<br />

wie schwer es ist, immer die richtigen Argumente zu<br />

f<strong>in</strong>den. Oft genug mussten Politiker nach e<strong>in</strong>em<br />

Wahldesaster sich e<strong>in</strong>gestehen, dass sie ihre Ziele<br />

„dem Wähler nicht rüber gebracht" hätten.<br />

Neben der Argumentationsfähigkeit spielt aber auch<br />

das Charisma e<strong>in</strong>er Persönlichkeit e<strong>in</strong>e große Rolle für<br />

ihre Glaubwürdigkeit. Es gab zu allen Zeiten<br />

charismatische Menschen, die mit ihrer<br />

Ausstrahlungskraft die Umwelt bee<strong>in</strong>druckten. Es ist<br />

schwer zu begründen, worauf diese<br />

Ausstrahlungskraft beruht. Ist es ihre Redegewalt?<br />

Oder ihre Körperfülle (als Vermutung von Stärke)?<br />

5


Ersparen wir uns den Versuch, das Wesen e<strong>in</strong>es<br />

Charisma zu ergründen. Hier genügt es, die Realität<br />

zur Kenntnis zu nehmen, dass es charismatische<br />

Führerpersönlichkeiten viel leichter haben als andere,<br />

das Vertrauen der Menschen zu err<strong>in</strong>gen. Man glaubt<br />

ihnen leider oft sogar dann, wenn ihre Argumente auf<br />

sehr schwachen Füßen stehen.<br />

Seltsamerweise enthält jede Sprache auch Wörter, die<br />

selbst e<strong>in</strong>e Art Charisma besitzen. Auch diese<br />

bedürfen ke<strong>in</strong>er logischen Argumentationskette, um<br />

trotzdem beim Hörer oder Leser e<strong>in</strong>e Fülle von<br />

gewünschten, wenn auch nur unklar bestimmbaren<br />

Assoziationen auszulösen. Solche Wörter s<strong>in</strong>d<br />

beispielsweise „Gott" oder „Freiheit" - oder eben<br />

auch „<strong>Demokratie</strong>"!<br />

Wen wundert es da noch, dass Alle, die durch Amt<br />

oder Beruf die Aufgabe haben, auf das Verhalten<br />

anderer Menschen E<strong>in</strong>fluss zu nehmen, bei jeder<br />

passenden - und oft genug auch bei e<strong>in</strong>er<br />

unpassenden - Gelegenheit das Wort <strong>Demokratie</strong><br />

gebrauchen.<br />

Nur wenige Begriffe haben <strong>in</strong> unserer Zeit e<strong>in</strong>en so<br />

guten Klang wie das Wort „<strong>Demokratie</strong>". Und<br />

merkwürdig, obwohl es dermaßen über Gebühr<br />

strapaziert wird, behält es se<strong>in</strong>e Gloriole und se<strong>in</strong>e<br />

Wirkung auf die Menschen. Es ist, als ob es die<br />

Menschen spüren, dass es hier um ihre ureigensten<br />

Interessen, ja um ihr Leben geht.<br />

6


Wie aber kann man versuchen, sich den wirklichen<br />

S<strong>in</strong>n der Verwendung des Wortes <strong>Demokratie</strong> zu<br />

erschließen?<br />

Täglich hören wir doch das Wort von unseren<br />

Politikern oder lesen es oft genug <strong>in</strong> der Zeitung. Man<br />

müsste doch aus dem Textzusammenhang<br />

entnehmen können, was für e<strong>in</strong>e Vorstellung dabei<br />

mit dem Wort <strong>Demokratie</strong> verbunden wird.<br />

Ich habe über 1000 Textstellen mit den Wörtern<br />

<strong>Demokratie</strong> und demokratisch aus Reden von<br />

Politikern wie Kohl, Schröder, Merkel, Westerwelle,<br />

Bisky, Kühnast sowie politischen Leitartikeln im<br />

„Spiegel" und regionalen Zeitungen unter diesem<br />

Aspekt ausgewertet. Das Ergebnis wird manche<br />

verblüffen: In etwa der Hälfte der Fälle wird damit<br />

nämlich nichts anderes charakterisiert als die<br />

bestehende Staatsform der Bundesrepublik<br />

Deutschland. Frau Merkel, Herr Merz und andere<br />

Politiker haben es so wörtlich zum Ausdruck gebracht.<br />

Also: <strong>Demokratie</strong>, das s<strong>in</strong>d wir! Das ist e<strong>in</strong>fach falsch.<br />

Unsere Staatsform ist e<strong>in</strong>e föderative Republik.<br />

Fast ebenso oft werden aber mit dem Wort<br />

<strong>Demokratie</strong> die Staatsformen unserer befreundeten<br />

„westlichen" Staaten gekennzeichnet. Auch das ist<br />

falsch. Die Staatsformen von Großbritannien,<br />

Schweden, Spanien u. a. Monarchien unterscheiden<br />

sich wesentlich von denen von Frankreich oder den<br />

USA oder eben auch von der der Bundesrepublik<br />

Deutschland.<br />

7


In zahlreichen der von mir untersuchten Textstellen<br />

war e<strong>in</strong>e klare Abgrenzung zwischen den beiden<br />

Kategorien überhaupt nicht möglich, was aber am<br />

Gesamtbild wenig ändern dürfte.<br />

Man könnte e<strong>in</strong>wenden, dass gelegentlich auch das<br />

dynamischere Wort „Demokratisierung" fällt, welches<br />

doch den Prozess Charakter der <strong>Demokratie</strong> zum<br />

Ausdruck br<strong>in</strong>gt. Das ist wohl richtig. Aber <strong>in</strong> welchem<br />

Zusammenhang spricht man denn von<br />

„Demokratisierung“? In der Regel doch nur dann,<br />

wenn es um Länder der Dritten Welt geht, oder um<br />

die „Schurkenstaaten", kurz, um Länder, deren<br />

staatliches System dem unsrigen nicht entspricht. Und<br />

auch hierbei wird unter der geforderten<br />

Demokratisierung lediglich die Übernahme unserer„<br />

Staatsform" verstanden. Es war vergebliche Mühe,<br />

das tiefere Wesen des <strong>Demokratie</strong>prozesses <strong>in</strong> den<br />

Reden unserer Politiker zu f<strong>in</strong>den.<br />

E<strong>in</strong>es jedoch wurde bei diesen Erkundungen deutlich,<br />

Politiker wie Journalisten betrachten nahezu<br />

ausnahmslos unsere Staatsform als die weitgehend<br />

erreichte Endstufe der <strong>Demokratie</strong>, als e<strong>in</strong>en<br />

statischen Zustand also, nicht als e<strong>in</strong>en notwendigen<br />

dynamischen Entwicklungsprozess. E<strong>in</strong>e derartig<br />

entstellende Verwendung des Wortes <strong>Demokratie</strong> ist<br />

e<strong>in</strong> schändlicher und schädlicher Missbrauch des<br />

Wortes und se<strong>in</strong>er charismatischen Wirkung.<br />

Ebenso bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Programm der<br />

politischen Parteien e<strong>in</strong>e Darstellung der <strong>Demokratie</strong><br />

als e<strong>in</strong>em Entwicklungsprozess, schon gar nicht als<br />

8


e<strong>in</strong>er Entwicklung, die noch <strong>in</strong> ihren Anfängen steckt.<br />

Und dem entsprechend fehlen auch konkrete<br />

Zielstellungen für e<strong>in</strong>e schrittweise Verbesserung des<br />

gegenwärtig noch so unzulänglichen Zustandes.<br />

Immerh<strong>in</strong>, es gab e<strong>in</strong>en großen deutschen Politiker,<br />

der die <strong>Demokratie</strong> als Prozess gesehen hat. Und Willi<br />

Brand hat diesen Prozess auch e<strong>in</strong>gefordert, nicht<br />

irgendwo <strong>in</strong> der Welt, sondern bei uns <strong>in</strong> Deutschland:<br />

„Mehr <strong>Demokratie</strong> wagen!"<br />

Das gibt Hoffnung!<br />

Vielleicht ist es s<strong>in</strong>nvoll, die <strong>Demokratie</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Zusammenhang mit ihrem Gegenteil zu untersuchen.<br />

Wie man e<strong>in</strong>en Schatten erst beschreiben kann, wenn<br />

man sich mit dem Licht beschäftigt, erschließt sich das<br />

Wesen der <strong>Demokratie</strong> wohl auch leichter <strong>in</strong> ihrem<br />

Verhältnis zu ihrem Gegenteil, der <strong>Diktatur</strong>.<br />

3. Aber was ist e<strong>in</strong>e <strong>Diktatur</strong>?<br />

Es verwundert nicht, dass die Frage nachdem<br />

Gegenteil von <strong>Demokratie</strong> von allen spontan mit<br />

„<strong>Diktatur</strong>" beantwortet wird, s<strong>in</strong>d doch die<br />

emotionalen Assoziationen, die sich mit den beiden<br />

Begriffen verb<strong>in</strong>den, außerordentlich stark und eben<br />

sehr konträr.<br />

Die Antwort auf die Frage, was e<strong>in</strong>e <strong>Diktatur</strong> ist,<br />

sche<strong>in</strong>t viel e<strong>in</strong>facher zu se<strong>in</strong> als die nach dem Wesen<br />

der <strong>Demokratie</strong>: E<strong>in</strong>e <strong>Diktatur</strong> ist die Machtausübung<br />

durch e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>zelnen. Diese Antwort kann man sicher<br />

9


vorerst gelten lassen. Dennoch muss diese Def<strong>in</strong>ition<br />

unter verschiedenen Aspekten noch h<strong>in</strong>terfragt<br />

werden. Kann z. B. e<strong>in</strong>e <strong>Diktatur</strong> auch durch mehrere<br />

Personen ausgeübt werden, denken wir etwa an e<strong>in</strong>e<br />

durch e<strong>in</strong>en Militärputsch an die Macht gekommene<br />

Junta, wie es <strong>in</strong> Late<strong>in</strong>amerika oder Afrika öfter<br />

geschehen ist?<br />

In den meisten Fällen hat sehr rasch e<strong>in</strong>er der Obristen<br />

die Junta dom<strong>in</strong>iert und wurde dadurch zum<br />

Alle<strong>in</strong>herrscher. E<strong>in</strong> Regime von mehreren<br />

gleichberechtigten Führern wäre auf Dauer nur dann<br />

regierungsfähig, wenn es klare „Spielregeln" für die<br />

Herbeiführung von Mehrheitsentscheidungen gäbe,<br />

falls <strong>in</strong> dem Gremium ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>stimmige Me<strong>in</strong>ung<br />

herrscht.<br />

Doch solche Regeln wären bereits e<strong>in</strong> demokratisches<br />

Element, wie es me<strong>in</strong>es Wissens leider bis heute noch<br />

nie entwickelt und erprobt wurde. Derartige Regeln<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>er <strong>Diktatur</strong> auch zutiefst wesensfremd. Die<br />

Annahme liegt nahe, dass gerade wegen des Fehlens<br />

solcher Regeln die aus der Geschichte bekannten Fälle<br />

e<strong>in</strong>er Machtausübung durch mehrere Personen<br />

gescheitert s<strong>in</strong>d. Als Beispiele sei an die Triumvirate<br />

des antiken Roms (Cäsar, Pompejus und Crassus oder<br />

nur 20 Jahre später Pompejus, Oktavfan und Lepidus)<br />

er<strong>in</strong>nert. Auch das Dreigestirn <strong>in</strong> der Nachfolge von<br />

Stal<strong>in</strong> konnte sich nicht lange behaupten.<br />

E<strong>in</strong>e Machtausübung durch nur zwei Personen bietet<br />

von vornhere<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e Möglichkeit zu e<strong>in</strong>er<br />

Entscheidung bei unterschiedlichen Ansichten der<br />

10


eiden Herrschenden, es sei denn, dass e<strong>in</strong>er der<br />

Beiden völlig im Schatten des anderen steht. Anders<br />

ist es kaum zu erklären, dass im alten Rom die Macht<br />

lange Zeit erfolgreich durch zwei Konsuln ausgeübt<br />

werden konnte.<br />

Es wird <strong>in</strong>teressant se<strong>in</strong> zu beobachten, wie sich die<br />

Leitung von Parteien mit e<strong>in</strong>er Doppelspitze (Die<br />

L<strong>in</strong>ke, die Grünen) <strong>in</strong> Zukunft bewährt.<br />

Marx prägte den Begriff „<strong>Diktatur</strong> des Proletariats"<br />

und gelegentlich wird von e<strong>in</strong>er „<strong>Diktatur</strong> der<br />

Wirtschaft" oder der Konzerne gesprochen. Natürlich<br />

wird hierbei der Begriff <strong>Diktatur</strong> nur im übertragenen<br />

S<strong>in</strong>ne verwendet.<br />

E<strong>in</strong>e andere Problematik ergibt sich aus unserem<br />

gegenwärtigen Sprachgebrauch. Unser moralisch<br />

stark abgewertetes Bild von e<strong>in</strong>er <strong>Diktatur</strong> wurde <strong>in</strong><br />

den vergangenen Jahrzehnten von den Verbrechen<br />

der Hitler und Stal<strong>in</strong> und der zahlreichen kle<strong>in</strong>en<br />

P<strong>in</strong>schers geprägt. Deshalb wird der Begriff <strong>Diktatur</strong> <strong>in</strong><br />

der Regel nicht für jede Machtausübung durch e<strong>in</strong>en<br />

E<strong>in</strong>zelnen, sondern nur sehr e<strong>in</strong>geschränkt benutzt,<br />

eigentlich nur, wenn sich e<strong>in</strong> Regime grober<br />

Menschenrechtsverletzungen und anderer Formen<br />

ernsten Machtmissbrauchs schuldig macht. Oder auch<br />

dann, wenn man e<strong>in</strong> missliebiges System<br />

propagandistisch herabwürdigen möchte. Natürlich<br />

haben z. B. die Präsidenten der USA oder Frankreichs,<br />

auch der Papst, außerordentlich umfangreiche<br />

Machtbefugnisse bei stark e<strong>in</strong>geschränkten<br />

demokratischen Kontrollrechten. Dennoch bezeichnet<br />

man sie eben wegen der negativen moralischen<br />

11


Belastung des Wortes nicht als Diktatoren. Auch <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er wissenschaftlichen Untersuchung sollte man die<br />

moralische Abwertung des Wortes „<strong>Diktatur</strong>"<br />

berücksichtigen und - besonders, wenn es die<br />

Gegenwart betrifft - möglichst von der<br />

„Machtausübung durch e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>zelnen" sprechen.<br />

Der Missbrauch der Macht ist - wie gleich noch näher<br />

dargestellt werden soll - e<strong>in</strong>e geradezu gesetzmäßige<br />

Begleitersche<strong>in</strong>ung jeder <strong>Diktatur</strong>, ihn aber als<br />

besonderes Merkmal der <strong>Diktatur</strong> aufzunehmen,<br />

verbietet sich schon alle<strong>in</strong> deshalb, weil Machtmissbrauch<br />

wie Korruption und Vetternwirtschaft,<br />

Verschaffung von Privilegien, persönliche<br />

Bereicherung, unangemessene Zwangsanwendungen<br />

und andere über das unvermeidbare Maß<br />

h<strong>in</strong>ausgehende E<strong>in</strong>schränkungen von<br />

Menschenrechten nicht nur <strong>in</strong> <strong>Diktatur</strong>en, sondern <strong>in</strong><br />

jeder bisher bekannten Staatsform - auch <strong>in</strong> unserer<br />

hoch entwickelten und dennoch so unvollkommenen<br />

<strong>Demokratie</strong> - vorkommen.<br />

4. Über die Wurzeln der <strong>Diktatur</strong><br />

Die <strong>Diktatur</strong> ist - allen Bedenken zum Trotz - die<br />

e<strong>in</strong>fachste und ursprünglichste Form der Leitung<br />

sozialer Geme<strong>in</strong>schaften, und dazu e<strong>in</strong>e der<br />

effektivsten. Sie entsteht ohne komplizierte Verfahren<br />

und hat nicht zuletzt dadurch ihre Bedeutung - und<br />

ihre Gefahr - bis <strong>in</strong> unsere Gegenwart h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> behalten.<br />

<strong>Diktatur</strong>en gab es lange vor den ersten Ansätzen der<br />

<strong>Demokratie</strong>. Die Wurzeln der <strong>Diktatur</strong> liegen bereits <strong>in</strong><br />

der tierischen Vergangenheit des Menschen. Aus dem<br />

12


Zusammenleben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sozialen Geme<strong>in</strong>schaft ergibt<br />

sich zwangsläufig die Notwendigkeit e<strong>in</strong>er Führung.<br />

Die menschliche Existenz war bereits damals wie auch<br />

heute nur im Rahmen e<strong>in</strong>er wie auch immer<br />

geordneten Geme<strong>in</strong>schaft möglich. Die<br />

Geme<strong>in</strong>schaften, <strong>in</strong> denen unsere Altvorderen gelebt<br />

haben, waren gewiss nicht unstrukturiert. Wie bereits<br />

bei den <strong>in</strong> Rudeln lebenden höheren Säugetieren,<br />

<strong>in</strong>sbesondere bei den Primaten, gab es Leittiere<br />

(Alphatiere), meist war es das stärkste Männchen, das<br />

von den anderen die absolute Unterwerfung forderte<br />

und sie eben als Stärkster auch durchsetzen konnte.<br />

Das Recht des Stärkeren beruhte dabei im<br />

Wesentlichen auf der Muskelkraft und der<br />

körperlichen Gewandtheit. Es kann ke<strong>in</strong> Zweifel daran<br />

bestehen, dass das <strong>in</strong> gleicher Weise auch für die<br />

ersten Geme<strong>in</strong>schaften der Urmenschen galt. Mit der<br />

allmählichen Entwicklung der Vernunft kam zu der<br />

anfangs dom<strong>in</strong>ierenden re<strong>in</strong> körperlichen Gewalt mit<br />

zunehmender Bedeutung als neuer Machtfaktor der<br />

herrschenden E<strong>in</strong>zelleiter die Intelligenz dazu, e<strong>in</strong>e<br />

Intelligenz, sowohl im S<strong>in</strong>ne von Klugheit und<br />

Lebenserfahrung, als auch im S<strong>in</strong>ne von H<strong>in</strong>terlist und<br />

Verschlagenheit.<br />

Manche der e<strong>in</strong>fachen notwendigen Regeln für e<strong>in</strong><br />

gedeihvolles Zusammenleben mögen sich durch das<br />

tätige Leben selbst ergeben haben. Bei der<br />

natürlichen pluralistischen Me<strong>in</strong>ungsvielfalt der<br />

Individuen ergeben sich allerd<strong>in</strong>gs zw<strong>in</strong>gend auch<br />

unterschiedliche Vorstellungen über die<br />

Notwendigkeit bestimmter Verhaltensweisen <strong>in</strong> der<br />

Geme<strong>in</strong>schaft, die aber eben auch klärungsbedürftig<br />

13


s<strong>in</strong>d und für alle verb<strong>in</strong>dliche Regeln erfordern. Wer<br />

klärt dann? Und wer legt diese Regeln fest?<br />

Logischerweise der, der die Verb<strong>in</strong>dlichkeit der Regeln<br />

oder der klärenden Entscheidung auch durchsetzen<br />

kann. Bei der Dom<strong>in</strong>anz des Rechtes der Stärke hat<br />

eben der Stärkste als E<strong>in</strong>ziger auch die Macht dazu. Er<br />

beherrscht die Geme<strong>in</strong>schaft und bestimmt über<br />

Rechte und Pflichten jedes E<strong>in</strong>zelnen.<br />

Nun sollte man - nach unserer heutigen Vorstellung<br />

über <strong>Diktatur</strong> - me<strong>in</strong>en, dieser Herrscher müsse doch<br />

auf den Widerstand der Beherrschten stoßen. Sicher<br />

wird es auch Machtkämpfe und e<strong>in</strong> Aufbegehren<br />

gegeben haben. Aber welche Erfolgsaussichten gibt<br />

es dafür, solange der Herrscher wirklich der Stärkste<br />

ist? Das Wissen um die Unterlegenheit lähmt von vorn<br />

here<strong>in</strong> die Motivation zum Widerstand. Bei Vielen mag<br />

auch die E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die Lebensnotwendigkeit e<strong>in</strong>er<br />

zielgerichteten Führung zur Unterordnung geführt<br />

haben. E<strong>in</strong>e <strong>Diktatur</strong> bedeutet eben nicht nur<br />

Unterdrückung, sondern ist <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie e<strong>in</strong><br />

Führungsprozess, dessen <strong>in</strong>nere Dramatik <strong>in</strong> dem<br />

Widerspruch zwischen dem sozialen Bedürfnis nach<br />

e<strong>in</strong>er Führung und der e<strong>in</strong>er <strong>Diktatur</strong> immer<br />

<strong>in</strong>newohnenden Möglichkeit der vorrangigen<br />

Wahrnehmung persönlicher Interessen durch den<br />

Diktator besteht. E<strong>in</strong>er <strong>Diktatur</strong> fehlen eben auch die<br />

demokratischen Instrumente, diesen natürlichen<br />

Konflikt zu lösen, etwa Streitgespräche oder<br />

Abstimmungen.<br />

Die Übernahme der Macht durch e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnes<br />

Mitglied der Geme<strong>in</strong>schaft, und zwar durch den<br />

14


Stärksten, ist e<strong>in</strong> sehr simpler Vorgang, sobald klar ist,<br />

wer dieser Stärkste ist. Manche Führungspersönlichkeit<br />

mag sich z. B. durch Erfolge bei der<br />

geme<strong>in</strong>samen Jagd oder auf andere Weise<br />

herauskristallisiert haben, so dass Alle auf se<strong>in</strong> Wort<br />

gehört haben. Es ist auch anzunehmen, dass häufig<br />

e<strong>in</strong> Zweikampf zwischen den Bewerbern erst darüber<br />

entschied, wer der Stärkere war. Irgendwelche noch<br />

so e<strong>in</strong>fachen <strong>Demokratie</strong>verfahren konnte es nicht<br />

geben. Wahlen oder Kandidatenaufstellungen s<strong>in</strong>d<br />

viel zu kompliziert, als dass man sie sich für die<br />

damalige Zeit vorstellen könnte.<br />

Es ist anzunehmen, dass das Streben nach Macht nicht<br />

erst e<strong>in</strong>e Ersche<strong>in</strong>ung der Neuzeit ist. Bei unseren<br />

tierischen Vorfahren waren ansche<strong>in</strong>end die sexuellen<br />

Triebe die vorherrschende Motivation für den Kampf<br />

um die Führungsrolle. Denken wir nur vergleichsweise<br />

an die bekannten Brunftkämpfe der Hirsche. Das wird<br />

auch bei den Primaten und die ersten Menschen e<strong>in</strong>e<br />

gewisse genetisch bed<strong>in</strong>gte Bedeutung gehabt haben.<br />

Es ersche<strong>in</strong>t mir daher nicht ausgeschlossen, dass bei<br />

vielen Menschen bis heute e<strong>in</strong>e ähnliche genetische<br />

Veranlagung vorhanden ist, wobei der sexuelle Aspekt<br />

sich jedoch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en sehr ähnlichen Machttrieb<br />

gewandelt hat. Vielleicht wird die Hirnforschung<br />

e<strong>in</strong>mal auch dafür Beweise f<strong>in</strong>den. Offenbar hat es<br />

jedenfalls immer Menschen - meist wohl Männer -<br />

gegeben, die energisch nach Macht gestrebt haben.<br />

Gewiss ist Mach mit bestimmten Privilegien<br />

verbunden und auch die Anerkennung durch die<br />

Mitmenschen ist e<strong>in</strong> erstrebenswertes Ziel. Doch man<br />

hört immer öfter die kritische Me<strong>in</strong>ung, das Streben<br />

15


nach Macht sei e<strong>in</strong> egoistischer Selbstzweck<br />

geworden.<br />

Wie ich schon erwähnt hatte, gab es und gibt es bis<br />

heute charismatische Menschen, Führerpersönlichkeiten,<br />

prädest<strong>in</strong>iert für die Rolle e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>zelleiters.<br />

Es ist schwer zu begründen, worauf diese<br />

Ausstrahlung beruht. Vielleicht tragen auch bewusst<br />

gesteuerte Legenden und Gerüchte oder <strong>in</strong> neuerer<br />

Zeit das durch die Medien verbreitete Bild dazu bei?<br />

Jedenfalls werden gerade diese charismatischen<br />

Persönlichkeiten von ihren Untergeordneten oft<br />

bedenkenlos anerkannt und geachtet. Aber eben das<br />

bee<strong>in</strong>flusst negativ die Entwicklung der Menschheit,<br />

denn es erzieht - <strong>in</strong>sbesondere mit der Dauer der<br />

<strong>Diktatur</strong> - die Menschen zu Duldung, Unterwürfigkeit<br />

und zum Untertanengeist. So kommt es wohl auch,<br />

dass <strong>in</strong> der Geschichte von <strong>Diktatur</strong>en das Volk oft nur<br />

als willenlose Masse <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung tritt.<br />

Diese Gleichschaltung ganzer Geme<strong>in</strong>schaften unter<br />

dem Willen des Diktators vermeidet aber viele „<strong>in</strong>nere<br />

Reibungsverluste" und kann dadurch, aber auch durch<br />

die Möglichkeit kurzfristiger Entscheidungen durch<br />

den Diktator, ökonomisch höchst effektiv se<strong>in</strong>. Es sei<br />

erlaubt, daran zu er<strong>in</strong>nern, dass e<strong>in</strong> Diktator Hitler für<br />

se<strong>in</strong>e verbrecherischen Kriegsziele mit se<strong>in</strong>en<br />

radikalen Methoden das 1933 wirtschaftlich<br />

darniederliegende Deutschland <strong>in</strong> nur knapp 7 Jahren<br />

ökonomisch und militärisch auf e<strong>in</strong>en sehr hohen<br />

Stand gebracht hatte.<br />

16


5. Die Anfänge des <strong>Demokratie</strong>prozesses<br />

Millionen Jahre haben sich unsere Altvorderen der<br />

<strong>Diktatur</strong> des jeweils Stärksten gebeugt. Verständlich,<br />

dass Demut und Untertanengeist ihre prägenden<br />

Spuren zum Teil bis heute h<strong>in</strong>terlassen haben. Gewiss<br />

wird dann und wann e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> <strong>in</strong>dividualistischer<br />

Außenseiter aufbegehrt haben. Aber man darf<br />

annehmen, dass er gleich wieder <strong>in</strong> die<br />

Geme<strong>in</strong>schaftsdiszipl<strong>in</strong> zurückgeprügelt wurde. Aus<br />

unserer heutigen Sicht liegt natürlich die Frage nahe,<br />

warum sich nicht mehrere Männer zusammen getan<br />

haben, um den Diktator davon zu jagen.<br />

Me<strong>in</strong>es Wissens hat man noch nie beobachtet, dass<br />

mehrere Junghirsche geme<strong>in</strong>sam gegen den<br />

Platzhirsch angetreten s<strong>in</strong>d, um die Macht im Rudel zu<br />

erobern. Auch aus der Affenbeobachtung ist wohl<br />

nicht bekannt, dass es mehrere jüngere Männchen<br />

versucht haben, geme<strong>in</strong>sam gegen das Alphatier<br />

vorzugehen. E<strong>in</strong> derartiges Verhalten ist offenbar<br />

genetisch nicht vorgesehen. Ich nehme mit e<strong>in</strong>iger<br />

Sicherheit an, dass hier wie auch bei den ersten<br />

Menschen e<strong>in</strong>ige wichtige Voraussetzungen für e<strong>in</strong><br />

geme<strong>in</strong>sames Vorgehen gegen den Diktator fehlten.<br />

E<strong>in</strong> solches geme<strong>in</strong>sames Vorgehen setzt zum e<strong>in</strong>en<br />

e<strong>in</strong>e Absprache voraus, also auch das Erreichen e<strong>in</strong>es<br />

gewissen, bereits recht hohen Niveaus der<br />

Entwicklung der menschlichen Sprache. Zum anderen<br />

muss auch das Bewusstse<strong>in</strong> der Menschen e<strong>in</strong>e Reife<br />

erreicht haben, die e<strong>in</strong>e detaillierte Vorausplanung<br />

und auch e<strong>in</strong> kameradschaftliches Vertrauens-<br />

17


verhältnis, e<strong>in</strong>schließlich der Fähigkeit zur Geheimhaltung,<br />

ermöglicht. Erst von diesem Zeitpunkt an<br />

drohte dem une<strong>in</strong>geschränkten Diktator erstmals e<strong>in</strong><br />

neuer ernsthafter Gegner: Der gleichzeitige Angriff<br />

e<strong>in</strong>er Mehrheit se<strong>in</strong>er Untertanen.<br />

Diese erste geme<strong>in</strong>sam organisierte Aktion von<br />

Untertanen gegen ihren Diktator war wohl die erste<br />

demokratische Aktivität <strong>in</strong> der Menschheitsgeschichte,<br />

sozusagen die Geburtsstunde der<br />

<strong>Demokratie</strong>.<br />

Diese Anfänge der <strong>Demokratie</strong> mögen brutal und<br />

primitiv gewesen se<strong>in</strong>: Absetzung, Vertreibung oder<br />

Tötung. Das sollte uns nicht daran h<strong>in</strong>dern, diese<br />

Vorgänge als demokratisch zu bezeichnen. Bis heute<br />

s<strong>in</strong>d fast alle revolutionären Ereignisse blutig und<br />

brutal verlaufen, denken wir nur an die zahlreichen<br />

Tyrannenmorde <strong>in</strong> geschichtlicher Zeit, an das<br />

Blutvergießen <strong>in</strong> den bürgerlichen Revolutionen <strong>in</strong><br />

Europa oder auch an die vielen Attentatsversuche<br />

gegen Hitler, deren demokratischer Charakter von<br />

niemanden <strong>in</strong> Frage gestellt wird.<br />

Die erste geme<strong>in</strong>same Überw<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>es Diktators<br />

hat gewiss noch nicht zu e<strong>in</strong>er anderen Führungsform<br />

geführt als e<strong>in</strong>er erneuten <strong>Diktatur</strong>. Man kannte gar<br />

nichts anderes. Aus dem Kreis der geme<strong>in</strong>samen<br />

Sieger entsprang der neue Diktator, vermutlich auf die<br />

gleiche Weise, wie noch heute <strong>in</strong> spontan<br />

entstehenden Geme<strong>in</strong>schaften - etwa e<strong>in</strong>er<br />

Straßengang oder e<strong>in</strong>er zufällig entstandenen<br />

Notgeme<strong>in</strong>schaft - durch die undemokratische<br />

18


Herausbildung e<strong>in</strong>er dom<strong>in</strong>ierenden Persönlichkeit.<br />

Die Vorstellung von Wahlen oder Abstimmungen -<br />

womöglich über aufgestellte Kandidaten - muss man<br />

auf e<strong>in</strong>en viel späteren Zeitpunkt verschieben. Das<br />

Gleiche muss wohl auch für den Fall der Suche nach<br />

e<strong>in</strong>em Nachfolger beim normalen Ableben des<br />

Diktators gelten.<br />

Wenn ich trotzdem - zugegeben, etwas kühn - von<br />

der Geburtsstunde der <strong>Demokratie</strong> spreche, dann aus<br />

zwei Gründen:<br />

1. Musste von nun an jeder Diktator mit e<strong>in</strong>em Angriff<br />

e<strong>in</strong>er Mehrheit rechnen, der er als E<strong>in</strong>zelner nicht<br />

gewachsen war. Er brauchte zur Sicherung se<strong>in</strong>er<br />

Macht Vasallen, die treu und geschlossen an se<strong>in</strong>er<br />

Seite standen. Das war der Beg<strong>in</strong>n des bis heute für<br />

die <strong>Demokratie</strong> so bedeutenden dialektischen<br />

Widerspruchs zwischen Opposition und<br />

„Regierungspartei".<br />

2. Entstanden zwischen dem Diktator und se<strong>in</strong>en<br />

Vasallen Abhängigkeiten, die - wie später noch<br />

ausführlicher darzulegen ist - nichts weniger als das<br />

Ende der absoluten <strong>Diktatur</strong> e<strong>in</strong>leiteten. Jede spätere<br />

Machtausübung durch e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>zelnen musste auf die<br />

Interessen der Vasallen Rücksicht nehmen und war so<br />

mehr oder weniger e<strong>in</strong>geschränkt. Damit s<strong>in</strong>d aber die<br />

Gefahren, die von der Machtausübung durch e<strong>in</strong>en<br />

E<strong>in</strong>zelnen ausgehen, ke<strong>in</strong>esfalls aus der Welt<br />

geschafft.<br />

19


6. Die Gefährlichkeit der E<strong>in</strong>zelherrschaft<br />

Die Effektivität der E<strong>in</strong>zelherrschaft und das<br />

Unkomplizierte ihrer Entstehung s<strong>in</strong>d ausreichend<br />

dargelegt worden. Aus diesem Grund besteht daher<br />

bis heute e<strong>in</strong>e Dom<strong>in</strong>anz des Pr<strong>in</strong>zips der E<strong>in</strong>zelleitung<br />

<strong>in</strong> nahezu allen Bereichen, die e<strong>in</strong>er organisierten<br />

Führung bedürfen. Das gilt sowohl für die Leitung von<br />

Staaten, Ländern und Kommunen, wie im<br />

Management von Wirtschaftse<strong>in</strong>heiten oder der<br />

Führung von sozialen Organisationen aller Art.<br />

Bei Anerkennung aller sich bietenden Vorteile ist<br />

jedoch bei jeglicher Machtausübung durch e<strong>in</strong>en<br />

E<strong>in</strong>zelnen e<strong>in</strong>e enorme Gefahr - wie bereits<br />

angedeutet - geradezu gesetzmäßig vorprogrammiert:<br />

Die Gefahr des Machtmissbrauchs. Es ist eben<br />

logisch und oft nicht e<strong>in</strong>mal vorwerfbar, dass jeder<br />

<strong>Bürger</strong>, der e<strong>in</strong>e Entscheidung zu treffen hat, se<strong>in</strong>e<br />

eigenen, <strong>in</strong>dividuellen Vorstellungen und Interessen<br />

bei der Ausübung se<strong>in</strong>er Macht berücksichtigt. Auch<br />

wenn man dem E<strong>in</strong>zelleiter im konkreten Fall - oder<br />

generell - die persönliche Überzeugung unterstellt,<br />

dass se<strong>in</strong>e Entscheidung optimal den Interessen der<br />

Betroffenen entspricht, realisiert er doch stets se<strong>in</strong>e<br />

subjektiven Vorstellungen von eben diesen<br />

Interessen. Die Gefahr, dass diese subjektiven<br />

Vorstellungen, von den wahren Interessen der von der<br />

Entscheidung Betroffenen abweichen, ist naturgemäß<br />

sehr groß und wächst mit der Dauer der<br />

Machtausübung. Die legalen Möglichkeiten der<br />

Betroffenen, ihre wahren Interessen gegen e<strong>in</strong>e<br />

Fehlentscheidung durchzusetzen, s<strong>in</strong>d<br />

20


ekanntermaßen bis <strong>in</strong> unsere Gegenwart h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />

wenig wirksam. Die oft unzulänglichen gesetzlichen<br />

Regelungen s<strong>in</strong>d meist auf spezielle Fälle beschränkt<br />

und werden wegen der aus der Unterordnung der<br />

Betroffenen sich ergebenden Hemmschwelle nicht<br />

e<strong>in</strong>mal immer genutzt. E<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames legales<br />

Vorgehen der Betroffenen wird durch die<br />

gegenwärtigen Rechtssysteme sehr e<strong>in</strong>geschränkt.<br />

Illegale Proteste werden mit der ganzen Kraft des<br />

Rechts verh<strong>in</strong>dert. In aller Regel fehlen demokratische<br />

Instrumentarien, die geeignet s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>e<br />

Übere<strong>in</strong>stimmung der Entscheidung des E<strong>in</strong>zelleiters<br />

mit den tatsächlichen gesellschaftlichen Interessen<br />

herbei zu führen. Man denke zur Veranschaulichung<br />

nur an die unpopuläre Entscheidung von Präsident<br />

Bush, den Irak mit Krieg zu überziehen.<br />

Wenn der E<strong>in</strong>zelherrscher auch bemüht e<strong>in</strong> wird, die<br />

Interessen der Betroffenen zu berücksichtigen -<br />

gezwungen wird er dazu nicht. Dar<strong>in</strong> liegt ja gerade<br />

das Wesen se<strong>in</strong>er Macht. Sobald es e<strong>in</strong>en<br />

Interessenkonflikt gibt, wird er natürlich se<strong>in</strong>e<br />

eigenen Interessen - soweit es eben <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Macht<br />

liegt - durchsetzen. Dazu kommt, dass die Praxis der<br />

Machtausübung auch zu e<strong>in</strong>em starken Machtbewusstse<strong>in</strong><br />

führt, das bis zur Überheblichkeit<br />

gesteigert se<strong>in</strong> kann. So etwas fördert <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Weise<br />

e<strong>in</strong>e freiwillige Berücksichtigung der Interessen<br />

anderer.<br />

Der Weg bis zum Missbrauch der Macht zur<br />

persönlichen Bereicherung ist nicht weit. Was für die<br />

Herrscher des Altertums wie für die Könige und Kaiser<br />

21


des Mittelalters e<strong>in</strong>e öffentliche Selbstverständlichkeit<br />

war, ist auch heute noch - und nicht nur bei<br />

den Machthabern <strong>in</strong> Bananenrepubliken - gang und<br />

gäbe wie die zahlreichen bekannt gewordenen<br />

Korruptionsfälle und Schwarzgeldaffären der<br />

Gegenwart <strong>in</strong> Europa beweisen.<br />

Dass e<strong>in</strong>e ungenügende demokratische Beschränkung<br />

der Machtausübung e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>zelnen zu unsäglichem<br />

Leid anderer Völker und auch des eigenen Volkes<br />

führen kann, zeigt das Beispiel des deutschen<br />

Hitlerfaschismus. Der Gedanke liegt nahe, dass im<br />

Zeitalter der Atombombe und anderer<br />

Massenvernichtungswaffen der unkontrollierte<br />

Machtmissbrauch e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>zelherrschers zum<br />

Untergang der Welt führen kann.<br />

7. Machtgier und Untertanengeist<br />

Die Millionen Jahre des Lebens der Menschen <strong>in</strong> der<br />

<strong>Diktatur</strong> haben tiefe Spuren <strong>in</strong> unserem Verhalten und<br />

wohl auch <strong>in</strong> unseren genetischen Anlagen<br />

h<strong>in</strong>terlassen. Wie bereits erwähnt, ist dies besonders<br />

an zwei charakteristischen Verhaltensweisen<br />

erkennbar. E<strong>in</strong>erseits ist es Streben nach Macht und<br />

andererseits da, weit verbreitete Bedürfnis, sich der<br />

Macht willenlos, unterzuordnen.<br />

Man sollte me<strong>in</strong>en, dass derartig konträre, den<br />

Charakter prägende Eigenschaften, e<strong>in</strong>ander<br />

auszuschließen. Das aber ist e<strong>in</strong> Irrtum. Wir f<strong>in</strong>den sie<br />

bei vielen Menschen deutlich erkennbar<br />

nebene<strong>in</strong>ander, vielleicht s<strong>in</strong>d sie sogar <strong>in</strong> jedem<br />

22


Menschen verankert, wenn auch <strong>in</strong> unterschiedlicher<br />

Relation zu e<strong>in</strong>ander. Zur Veranschaulichung,- mag<br />

das weit verbreitete Bild des Radfahrer, dienen: Nach<br />

unten treten, nach oben l:uckeln.<br />

Viele unserer charismatischen, machtausübenden<br />

Politiker s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> ihre Positionen erst gekommen,<br />

nachdem sie viele Jahre <strong>in</strong> untergeordneten<br />

Parteifunktionen „Karriere gemacht" haben. Sie<br />

konnten diese sogenannte „Ochsentour" nur<br />

erfolgreich bewältigen, <strong>in</strong>dem sie sich dem<br />

Totalitätsanspruch ihrer Partei, der „Parteidiszipl<strong>in</strong>"<br />

bed<strong>in</strong>gungslos unterworfen und jeden abweichenden<br />

eigenen Willen - bewusst oder unbewusst -<br />

unterdrückt hatten.<br />

Andererseits, erleben wir <strong>in</strong> der Gegenwart, wie es<br />

auch aus der Geschichte der Völker bekannt ist,<br />

Andererseits, e<strong>in</strong>e manipulierbare breite Masse ihren<br />

Führern ~\-ider alle Vernunft bl<strong>in</strong>ds vertraut und sie oft<br />

enthusiastisch verehrt. Das gilt nicht nur für Kaiser<br />

und Könige und andere politische Machthaber<br />

sondern für alle charismatischen Persönlichkeiten und<br />

sogar für von den Medien aufgebaute<br />

„Sche<strong>in</strong>charismatiker", z. B. Popstars, Schauspieler,<br />

Spitzensportler und sogar für adlige<br />

Fürstensprößl<strong>in</strong>ge, die durch ihre Sexskandale aus der<br />

Regenbogenpresse populär geworden s<strong>in</strong>d.<br />

Dieses Untertanenverhalten ist Gift für jeden Versuch,<br />

die <strong>Demokratie</strong> weiter zu entwickeln und zu stärken.<br />

Die Manipulierbarkeit der untertänigen Masse spiegelt<br />

23


sich heute häufig <strong>in</strong> Umfragen und selbst <strong>in</strong> Wahlen<br />

wider und wird oft genug bewusst missbraucht.<br />

Dass <strong>in</strong> dem vom Untertanengeist geprägten <strong>Bürger</strong><br />

das Streben nach Macht nicht abgestorben ist, kann<br />

man oft leicht an dem Verhalten e<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>geistigen<br />

Menschen erkennen, der - wenn auch nur als<br />

Schalterangestellter, Pförtner oder Busfahrer-e<strong>in</strong>en<br />

F<strong>in</strong>gerbreit Entscheidungsmacht erhält - sie prompt<br />

und oft genug ohne zw<strong>in</strong>gende Notwendigkeit zum<br />

Nachteil der auf ihn angewiesenen Menschen<br />

anwendet.<br />

Man sagt: „Macht macht süchtig". Kann se<strong>in</strong>.<br />

Jedenfalls tun sich die Mächtigen außerordentlich<br />

schwer, wenn sie nach e<strong>in</strong>er verlorenen Wahl, durch<br />

persönliche Fehltritte wie etwa e<strong>in</strong>er<br />

Schmiergeldaffäre oder aus anderen Umständen ihre<br />

Position verlieren. Kaum e<strong>in</strong>er schafft es, <strong>in</strong> die zweite<br />

Reihe zurück zu treten und se<strong>in</strong>er Partei weiter treu zu<br />

dienen. Viele ziehen sich <strong>in</strong> den Schmollw<strong>in</strong>kel zurück<br />

und schreiben zum eigenen Ruhme ihre Memoiren.<br />

Manche werden aus Mitgefühl von ihren Nachfolgern<br />

auf den Präsidentenstuhl irgende<strong>in</strong>er Stiftung, e<strong>in</strong>es<br />

Beirates (und wenn man ihn erst dazu gründen<br />

müsste! ) oder e<strong>in</strong>er mehr oder weniger bedeutenden<br />

Vere<strong>in</strong>igung gesetzt, um ihnen das Gefühl zu geben,<br />

sie s<strong>in</strong>d noch wer. Manche können es nicht lassen und<br />

versuchen e<strong>in</strong>en Neuanfang <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ganz anderen<br />

Metier, etwa <strong>in</strong> der Wirtschaft oder an e<strong>in</strong>er<br />

Universität.<br />

Mit etwas gutem Willen vergleichbare Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

gibt es auch außerhalb der Politik. Manche<br />

24


Unterhaltungskünstler, Profiboxer und andere<br />

Berühmtheiten haben Probleme nach ihrem Abschied<br />

von Bühne oder R<strong>in</strong>g und versuchen e<strong>in</strong> come back,<br />

um wieder die Huldigungen ihrer Fans genießen zu<br />

können. Oft genug enden diese come backs ziemlich<br />

jämmerlich.<br />

8. Der Übergang der Nomaden zur<br />

Sesshaftigkeit<br />

Die <strong>Diktatur</strong> <strong>in</strong> den relativ kle<strong>in</strong>en prähistorischen<br />

Gesellschaften mag sich <strong>in</strong> den vielen Jahrhunderten<br />

nach der von mir etwas kühn als Geburtsstunde der<br />

<strong>Demokratie</strong> bezeichneten Vorgängen nur wenig<br />

verändert haben, bis die reifer gewordene Menschheit<br />

sich zu e<strong>in</strong>er nahezu unglaublichen Veränderung<br />

aufgeschwungen hatte. Bisher war der Alltag <strong>in</strong> den<br />

Geme<strong>in</strong>schaften von e<strong>in</strong>em für uns Heutige<br />

unvorstellbar brutalen Kampf um die nackte Existenz<br />

geprägt. Der ständige Hunger trieb die Menschen aus<br />

Verzweiflung zu Raubüberfällen auf die Nachbarn bei<br />

denen es kaum e<strong>in</strong>mal Vorräte zu erbeuten gab, aber<br />

man konnte wenigstens die getöteten Gegner<br />

schlachten und aufessen. Die Vermutungen mancher<br />

Altertumsforscher sche<strong>in</strong>en durchaus glaubhaft,<br />

wonach <strong>in</strong> Zeiten größter Not selbst vor dem Verzehr<br />

der eigenen K<strong>in</strong>der oder der nicht mehr arbeitsfähigen<br />

Alten nicht zurück geschreckt wurde.<br />

Welch e<strong>in</strong> großartiger Fortschritt war es da, als es den<br />

kreativsten Völkern gelang, über Generationen<br />

h<strong>in</strong>weg aus mühsam gesammelten wilden Gräsern<br />

anbauwürdige Getreidesorten zu züchten. Aus<br />

25


Wildtieren wurden Nutztiere und Hausgenossen und<br />

auch die Vorratshaltung der Nahrung wurde durch<br />

neue Verfahren erst effektiv.<br />

Aber all das führte zu Veränderungen der<br />

Lebensverhältnisse, die sich auch auf die<br />

Herrschaftsstrukturen auswirken mussten. Es seien<br />

hier nur zwei Aspekte erwähnt, die für unseren<br />

Untersuchungsgegenstand von immenser Bedeutung<br />

werden sollten.<br />

Der Ackerbau war zwangsläufig mit dem Übergang<br />

zur Sesshaftigkeit verbunden. Es ergab sich die<br />

Notwendigkeit von Grenzen. Jeder Versuch, die<br />

landwirtschaftlichen Erträge zu vergrößern verführte<br />

logischerweise zu e<strong>in</strong>er Ausweitung des bebaubaren<br />

Territoriums und damit zum Kampf mit den Nachbarn.<br />

Es begann schließlich die Entstehung der großen<br />

Reiche am Anfang unserer historischen Zeit. Dieser<br />

erste Aspekt, unter dem ich die Sesshaftigkeit<br />

untersuchen möchte, hat zwei unterschiedliche<br />

Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der<br />

<strong>Diktatur</strong> zur Folge: Erstens war es durch die erhöhte<br />

Arbeitsproduktivität des E<strong>in</strong>zelnen nicht mehr<br />

s<strong>in</strong>nvoll, e<strong>in</strong>en besiegten Fe<strong>in</strong>d zu töten. Es war<br />

nunmehr viel e<strong>in</strong>träglicher, ihn als Sklaven arbeiten zu<br />

lassen und ihm das, was er mehr erzeugte als er selbst<br />

verbrauchte, abzunehmen. Es entstand e<strong>in</strong>e Zwei-<br />

Klassen-Gesellschaft.<br />

Und zweitens wuchsen diese Territorien bald so sehr,<br />

dass die Diktatoren zur Aufrechterhaltung ihrer Macht<br />

<strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen„ Prov<strong>in</strong>zen" „Unterdiktatoren"<br />

e<strong>in</strong>setzen mussten. Diese Vögte, Satrapen oder wie<br />

26


auch immer diese Teilherrscher genannt wurden,<br />

erwiesen sich sehr bald als Konkurrenten der Macht,<br />

aber auch - was später noch zu zeigen wäre - als starke<br />

Kräfte bei der E<strong>in</strong>schränkung der Macht des Diktators<br />

und damit als wichtige Triebkräfte für die<br />

Weiterentwicklung der <strong>Demokratie</strong>.<br />

E<strong>in</strong> ganz anderer Aspekt hat auch se<strong>in</strong>e wesentlichen<br />

Wurzeln <strong>in</strong> der Sesshaftigkeit: Mit dem Gew<strong>in</strong>n an<br />

Freizeit verbreiteten sich auch künstlerische<br />

Betätigungen. Gleichzeitig - und wohl <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em engen<br />

Zusammenhang mit der Kunst - festigten sich<br />

Totenkult, Geisterfurcht und erste primitive<br />

Göttervorstellungen. Bis <strong>in</strong> die heutige Zeit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> -<br />

wenn auch abnehmend - spielten religiöse Rituale und<br />

Ideologien e<strong>in</strong>e nicht unerhebliche Rolle bei der<br />

Stabilisierung von <strong>Diktatur</strong>en. Denken wir nur an die<br />

Kämpfe zwischen Kaiser und Papst im europäischen<br />

Mittelalter oder daran, dass viele Herrscher sich „von<br />

Gottes Gnaden" berufen fühlten. Vergessen wir auch<br />

nicht, dass noch bis zum Jahre 1945 der Kaiser (Tenno)<br />

de„ hoch <strong>in</strong>dustrialisierten Japans göttliche Verehrung<br />

genoss.<br />

9. Die nächsten Schritte im <strong>Demokratie</strong>prozess<br />

Seit dem, was ich als „Geburtsstunde der<br />

<strong>Demokratie</strong>" bezeichnet hatte, gab es also nie mehr<br />

wieder e<strong>in</strong>e völlig une<strong>in</strong>geschränkte <strong>Diktatur</strong>. Die seit<br />

dem berechtigte Furcht der Diktatoren vor e<strong>in</strong>er<br />

oppositionellen Mehrheit zwang sie nämlich dazu, da,<br />

Kräfteverhältnis nunmehr stet- -o zu ihren Gunsten zu<br />

gestalten, dass sie ihre Macht auch gegen e<strong>in</strong>e<br />

27


organisierte Mehrheit von Angreifern erfolgreich<br />

behaupten konnten. Dazu musste der Diktator aber<br />

Bundesgenossen. Er brauchte treue Vasallen. die ihm<br />

bei e<strong>in</strong>em Angriff der Opponenten zur Seite stehen.<br />

Aber auf Treueschwüre alle<strong>in</strong> konnte ich ke<strong>in</strong> Diktator<br />

verlassen. Was solche Treueschwüre wert waren,<br />

kann man im Nibelungenlied nachlesen, nämlich<br />

nicht,. Der Diktator musste vielmehr se<strong>in</strong>e Vasallen <strong>in</strong><br />

reale materielle Abhängigkeiten br<strong>in</strong>gen. Er nutzte<br />

se<strong>in</strong>e Macht, Privilegien und andere materielle<br />

Vorteile zu \,ergeben, die im Falle der möglichst<br />

wieder entzogen werden konnten. In der<br />

geschichtlichen Zeit kennen wir vielfältige Formen der<br />

Belehnung mit Gütern, die Berufung <strong>in</strong> hohe<br />

Funktionen bei Hofe, die Verleihung von Adels- und<br />

anderen Titeln. von Orden und Ehrenzeichen und -<br />

wenn mir e<strong>in</strong> Abgleiten <strong>in</strong> die Gegenwart gestattet ist<br />

- die Vergabe e<strong>in</strong>es sicheren Listenplatzes<br />

Diese Schaffung von Abhängigkeiten ist aber mit<br />

Gegenleistungen verbunden, sei es, dass der Diktator<br />

auf bestimmte Rechte gegenüber den Vasallen<br />

verzichtet, ihnen Mitspracherechte e<strong>in</strong>räumt oder sich<br />

selbst bestimmten Regelungen unterwirft, z. B.<br />

vere<strong>in</strong>barten Verpflichtungen, Gesetzen oder gar<br />

e<strong>in</strong>er Verfassung.<br />

Diese erzwungene E<strong>in</strong>schränkung der Rechte der<br />

E<strong>in</strong>zelherrscher ist als Teil des demokratischen<br />

Prozesses historisch von großer Bedeutung. In diesem<br />

Prozess werden die Entscheidungsbefugnisse des<br />

Diktators im Verlauf der Geschichte mehr und mehr<br />

28


eschnitten. Er musste Beratungsgremien<br />

akzeptieren, sich e<strong>in</strong>er Wahl stellen (z. B. durch<br />

Kurfürsten) und letztlich wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er konstitutionellen<br />

Monarchie sich e<strong>in</strong>er Verfassung unterwerfen, die ihm<br />

auch die letzten Machtbefugnisse raubt und ihn zu<br />

e<strong>in</strong>er bloßen Repräsentationsfigur abstempelt. Alle<br />

modernen Machtausübenden <strong>in</strong> der Politik s<strong>in</strong>d an<br />

Verfassungen und Gesetze gebunden. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />

gebieten die Anforderungen des modernen Lebens<br />

weitere ungeschriebene Pflichten, beispielsweise die<br />

Berücksichtigung anstehender Wahlen oder die Furcht<br />

vor e<strong>in</strong>er negativen Presse.<br />

Es ist e<strong>in</strong>e überraschende Erkenntnis, dass viele<br />

Elemente des <strong>Demokratie</strong>prozesses nicht von der<br />

Masse der e<strong>in</strong>fachen Untertanen oder der Opposition<br />

ausgegangen s<strong>in</strong>d, sondern von den Vasallen der<br />

Machtausübenden. Dennoch führte letztlich der<br />

potenzielle Druck e<strong>in</strong>er möglichen Opposition zu all<br />

den Konzessionen der „Regierungspartei“.<br />

Die größte Gefahr für die Machterhaltung g<strong>in</strong>g nun<br />

e<strong>in</strong>mal - wie bereits wiederholt dargelegt - von e<strong>in</strong>em<br />

möglichen Angriff e<strong>in</strong>er organisierten Opposition aus.<br />

Daher wurde seit der „Geburtsstunde der<br />

<strong>Demokratie</strong>" jeder Versuch e<strong>in</strong>er Opposition<br />

gnadenlos bekämpft. Die Tötung, die Verbannung und<br />

das E<strong>in</strong>sperren wirklicher oder verdächtigter<br />

Opponenten waren sicher bereits <strong>in</strong> prähistorischen<br />

Zeiten wie die ganze Geschichte h<strong>in</strong>durch bis <strong>in</strong> die<br />

Gegenwart h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> weit verbreitet. Erst als die Macht<br />

der E<strong>in</strong>zelherrscher weitgehend geschwächt war,<br />

gelang es vor wenigen hundert Jahren, oft als<br />

29


Ergebnis von Revolutionen die Opposition zu<br />

legalisieren. Seit dem und besonders unter<br />

Berücksichtigung der Macht der Medien bedient man<br />

sich subtilerer Methoden bei der Bekämpfung der<br />

Opposition als der E<strong>in</strong>richtung von<br />

Konzentrationslagern oder der Vertreibung <strong>in</strong>s Exil. So<br />

werden z. B. die Gründungen konkurrierender neuer<br />

Parteien mit Hilfe der 5%-Klausel und anderer<br />

erschwerender Bed<strong>in</strong>gungen beh<strong>in</strong>dert, die Ziele der<br />

Konkurrenz verfälscht dargestellt, die führenden<br />

Oppositionellen verleumdet und beleidigt, ihre<br />

persönlichen Schwächen öffentlich breitgetreten usw.<br />

Aber es gibt auch e<strong>in</strong>en Kampf gegen Konkurrenz aus<br />

den eigenen Reihen. Gerade charismatische deutsche<br />

Politiker wie Kohl oder Schröder waren Meister im<br />

Ausschalten nach Macht strebender Parteifreunde,<br />

ohne sich dabei die weiße Weste zu beschmutzen.<br />

Der Prozess der Demokratisierung g<strong>in</strong>g mit der<br />

wachsenden Reife der Menschheit unaufhaltsam<br />

se<strong>in</strong>en Weg weiter. Dabei gilt es <strong>in</strong>sbesondere zwei<br />

Richtungen zu verfolgen:<br />

1. Die kont<strong>in</strong>uierliche E<strong>in</strong>schränkung der<br />

Machtbefugnisse der Herrschenden und<br />

2. Die Wählbarkeit der Herrscher.<br />

10. Die E<strong>in</strong>schränkung der Machtbefugnisse<br />

der Herrschenden<br />

Ne<strong>in</strong>, die Griechen haben die <strong>Demokratie</strong> nicht<br />

erfunden, wie oft behauptet wird. Man kann sie auch<br />

gar nicht erf<strong>in</strong>den. Die <strong>Demokratie</strong> ist weder e<strong>in</strong><br />

Verfahren, noch e<strong>in</strong>e Form (Staatsform), sondern e<strong>in</strong><br />

30


Jahrtausende alter sozialer Entwicklungsprozess.<br />

Sicher hatten die alten Kulturvölker von Kle<strong>in</strong>asien bis<br />

Persien e<strong>in</strong>en zeitlichen Vorsprung vor den Griechen,<br />

da <strong>in</strong> den östlichen Gesellschaften Ackerbau,<br />

Viehzucht und Sesshaftigkeit, und damit die Bildung<br />

von abgegrenzten Herrschaftsbereichen (Staaten) viel<br />

früher erfolgt ist. So überliefert uns Herodot <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en<br />

„Historien", dass die <strong>Demokratie</strong> „lange vor dem<br />

Wirken von Kleisthenes von e<strong>in</strong>em jener persischen<br />

Adligen „erfunden" worden sei, die an der<br />

Verschwörung zum Sturz des Usurpators Smerdi<br />

beteiligt waren". (Nach Canforra) 1<br />

Das Wort „<strong>Demokratie</strong>" allerd<strong>in</strong>gs haben die Athener<br />

„erfunden". Es ist ihrer Sprache entnommen. Nur<br />

muss man stark bezweifeln, dass sie mit diesem<br />

Begriff auch so etwas wie Anerkennung oder gar Stolz<br />

verbunden hatten. Eher kl<strong>in</strong>gt mit dem Wort<br />

„<strong>Demokratie</strong>" etwas Abwertendes, Negatives mit. Der<br />

eben erwähnte Canforra kommt sogar zu der<br />

Erkenntnis: „Es existieren ke<strong>in</strong>e Texte athenischer<br />

Autoren, die die <strong>Demokratie</strong> hochleben lassen". (Nach<br />

Canforra) 2<br />

Um das zu verstehen, muss man wissen, dass sich im<br />

Vorderen Orient und danach <strong>in</strong> Griechenland<br />

<strong>in</strong>sbesondere im letzten Jahrtausend vor der<br />

Zeitwende gewaltige demokratische Veränderungen<br />

vollzogen hatten, demokratisch im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er<br />

Menschheitsentwicklung <strong>in</strong> Richtung e<strong>in</strong>er<br />

1 Nach Luciano Canforra „E<strong>in</strong>e kurze Geschichte der<br />

<strong>Demokratie</strong>“, Köln 2006, S. 21<br />

2 Canforra a.a.O. S. 20<br />

31


Volksherrschaft. Könige wurden gewählt, statt dass<br />

sie sich selbst durchsetzten, Elemente der direkten<br />

<strong>Demokratie</strong> wie Versammlungen der Häuptl<strong>in</strong>ge, der<br />

Ältesten oder des gesamten Stammes oder Volkes,<br />

traten wieder stärker <strong>in</strong> den Vordergrund.<br />

Schließlich entwickelten sich <strong>in</strong> Athen - neben dem<br />

Klassenkampf zwischen den Sklaven und dem „Volk" -<br />

e<strong>in</strong> lange anhaltendes Spannungsverhältnis zwischen<br />

den Aristokraten und ihren Macht<strong>in</strong>strumenten (z. B.<br />

dem Areopag) und den freien <strong>Bürger</strong>n, die weder dem<br />

Adel noch den <strong>in</strong>zwischen durch Handel und<br />

Grundbesitz entstandenen Besitzenden angehörten,<br />

sowie deren E<strong>in</strong>richtungen, z. B. den Argonauten.<br />

Diese freien <strong>Bürger</strong> bezeichneten sich als<br />

Demokraten. Sie fühlten sich benachteiligt und<br />

warenbereit, jeden Politiker zu unterstützen, der<br />

ihnen soziale Gerechtigkeit versprach. Kimon war<br />

wohl der erste, der versuchte mit Hilfe dieser<br />

Demokraten <strong>in</strong> Athen e<strong>in</strong>e Tyrannis zu errichten. Zwei<br />

Versuche scheiterten an der Macht und der<br />

Entschlossenheit der Besitzenden und er wurde<br />

verbannt. Andere hatten jedoch Erfolg. So entstand <strong>in</strong><br />

Griechenland die geradezu perverse Situation, dass<br />

die zahlreichen demokratischen Phasen des Landes<br />

eigentlich <strong>Diktatur</strong>en waren, die immer wieder von<br />

Oligarchien als Phasen der Adelsherrschaft abgelöst<br />

wurden. Me<strong>in</strong>es Erachtens ist das e<strong>in</strong>e<br />

Widerspiegelung der Suche nach neuen<br />

Herrschaftsformen, durch welche sich die traditionell<br />

dom<strong>in</strong>ierende Machtausübung durch E<strong>in</strong>zelne (damals<br />

meist durch Könige) ablösen lasse.<br />

32


E<strong>in</strong>e wichtige Form der E<strong>in</strong>schränkung der Macht der<br />

Herrschenden waren ihre B<strong>in</strong>dung an Gesetze und<br />

auch an religiöse Kulte. Wohl im Zusammenhang mit<br />

der Sesshaftwerdung hatten viele Menschen die<br />

Intellektuelle Reife erreicht, nach den Ursachen der<br />

Wunder <strong>in</strong> der Natur zu forschen. Was lag damals<br />

näher, als an das Wirken höherer Mächte zu glauben.<br />

Es entstanden Schamanen und Priester aller Art, die<br />

e<strong>in</strong>en zunehmenden E<strong>in</strong>fluss auf das Handeln der<br />

Machthaber gewannen. Auch die Machthaber selbst<br />

werden aus Angst vor der Rache der Götter ihre<br />

Handlungen bedacht haben.<br />

In dieser Zeit, erlebte die Sprache <strong>in</strong> vielen Teilen der<br />

Welt e<strong>in</strong>en Qualitätssprung: Es entwickelten sich die<br />

ersten Schriften, die es ermöglichten, Gesprochenes<br />

nicht nur mündlich weiter zu geben, sondern es für<br />

lange Zeit unveränderbar zu fixieren. Das gab auch<br />

der Herrschaft neue Möglichkeiten für die Verbreitung<br />

der Anordnungen, erschwerte aber gleichzeitig e<strong>in</strong>e<br />

Änderung dieser Anordnungen und den Spielraum für<br />

Willkür e<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>ige solcher uralten Verhaltensregeln<br />

s<strong>in</strong>d aus oder Ägypten bekannt. E<strong>in</strong>en ersten<br />

Höhepunkt erlebten derartige Gesetze im alten<br />

Griechenland. Bekannt s<strong>in</strong>d besonders die<br />

Gesetzgebungen des Solon und des Lykurg, die<br />

bereits e<strong>in</strong>en umfassenden Verhaltenskodex bildeten.<br />

Sie waren im Volke bekannt und konnten auch von<br />

den Herrschenden nicht ignoriert werden, ohne auf<br />

Widerstand zu stoßen.<br />

Im Römischen Reich erlebten Recht und Gesetz sowie<br />

die Justiz e<strong>in</strong>en weiteren Aufschwung. Auf dieser<br />

33


Grundlage gewannen Körperschaften wieder Senat<br />

e<strong>in</strong>en starken (demokratischen!) E<strong>in</strong>fluss auf die<br />

Regierenden, der <strong>in</strong> der späteren Kaiserzeit wieder<br />

weitgehend verloren g<strong>in</strong>g. Überhaupt brachte das<br />

kommende Mittelalter erneut e<strong>in</strong>e Dom<strong>in</strong>anz des<br />

Absolutismus, also der <strong>Diktatur</strong>. Erst zur gleichen Zeit<br />

wie die romantische Verklärung und Rückbes<strong>in</strong>nung <strong>in</strong><br />

Europa auf die hellenistische Kultur wurden im Zuge<br />

der Aufklärung auch das Streben nach <strong>Demokratie</strong><br />

wieder zu neuem Leben erweckt.<br />

Es ersche<strong>in</strong>t müßig, hier die bekannten historischen<br />

<strong>Demokratie</strong>bewegungen etwa <strong>in</strong> den USA, <strong>in</strong><br />

Frankreich oder 1848 <strong>in</strong> den deutschen Ländern<br />

darzulegen. Sie s<strong>in</strong>d weitgehend bekannt. Dafür<br />

sche<strong>in</strong>t es mir angebracht zu se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>ige<br />

Überlegungen speziell über das Entstehen des<br />

Paradestücks der modernen <strong>Demokratie</strong> anzustellen,<br />

nämlich die allgeme<strong>in</strong>en, gleichen, unmittelbaren und<br />

geheimen Wahlen zu den Parlamenten.<br />

11. Zur Geschichte der Wahlen<br />

Seit es Menschen gibt, wurde es gelegentlich<br />

notwendig, z.B. nach dem Tode des Anführers, e<strong>in</strong>en<br />

neuen zu f<strong>in</strong>den. In der Zeit der Geltung des Rechts<br />

des Stärkeren entschied notfalls e<strong>in</strong> Zweikampf, wer<br />

die Nachfolge antritt. Doch spätestens nach der von<br />

mir etwas kühn so genannten „Geburtsstunde der<br />

<strong>Demokratie</strong>" standen sich nicht mehr e<strong>in</strong>zelne<br />

Bewerber, sondern die Vasallen des Vorgängers und<br />

ggf.. e<strong>in</strong>e Opposition gegenüber. Vermutlich hatte<br />

bereits damals <strong>in</strong> vielen Fällen der alte Herrscher so<br />

34


viel Reichtum, Macht und Ansehen für sich und se<strong>in</strong>e<br />

Familie angehäuft, dass die Anführerschaft oft <strong>in</strong> der<br />

Familie blieb und wohl meist auf e<strong>in</strong>en Bruder oder<br />

den ältesten Sohn überg<strong>in</strong>g. Seltsamerweise hat sich<br />

die Methode des Machtübergangs durch Erbfolge<br />

Jahrtausende lang gehalten und wird selbst heute<br />

nicht nur <strong>in</strong> Monarchien, sondern auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen<br />

Republiken praktiziert. Dabei hat gerade diese<br />

Methode nichts, aber auch gar nichts, mit e<strong>in</strong>er<br />

Qualitätsauswahl zu tun, wurden auf diese Art doch<br />

sogar K<strong>in</strong>der und Geistesschwache zu „Herrschern".<br />

Die Massenpsychologie ist zwar erst e<strong>in</strong>e recht neue<br />

Wissenschaft. Das schließt aber nicht aus, dass schon<br />

<strong>in</strong> grauer Vorzeit e<strong>in</strong>ige kluge Männer erkannten, dass<br />

die <strong>in</strong>dividuelle Persönlichkeit des E<strong>in</strong>zelnen<br />

weitgehend untergeht, sobald sie sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Menschenmasse bef<strong>in</strong>det. Unter diesem Aspekt<br />

entwickelte sich irgendwann die primitivste aller<br />

Formen e<strong>in</strong>er Wahl: die Wahl durch Akklamation.<br />

E<strong>in</strong>er, der sich für die Aufgabe geeignet hält, rühmt<br />

sich selber und fragt die versammelte Menge: „Wollt<br />

ihr mich als euren neuen Anführer?" Jeder weiß, dass<br />

jetzt das „Jaaa!" im allgeme<strong>in</strong>en Jubel untergeht. So<br />

geschehen, wenn die künftigen Diktatoren die<br />

Athener zu Tausenden auf der engen Agora<br />

zusammen riefen, ihnen die damals bereits üblichen<br />

Wahlversprechen machten und aus dem bei fälligen<br />

Jubel die Bestätigung ihres Amtes herleiteten.<br />

Nicht viel anders stelle ich mir z. B. auch die Wahl von<br />

Hermann dem Cherusker durch die anderen<br />

35


Germanenfürsten zum Feldherrn gegen die Römer<br />

unter Varus vor.<br />

Diese Methode setzt natürlich e<strong>in</strong>e gehörige Portion<br />

Selbstbewusstse<strong>in</strong>, wenn nicht gar Überheblichkeit<br />

voraus, was später durchaus zu Vorwürfen und<br />

Ansehensverlust führen kann. Deshalb ließ man sich<br />

lieber von e<strong>in</strong>er anderen Person vorstellen und die<br />

Akklamation herbeiführen, wie es etwa bei der<br />

Ausrufung von Kaiser Wilhelm 1. zum Deutschen<br />

Kaiser 1871 <strong>in</strong> Versailles geschah.<br />

Die Wahl durch Akklamation ist deshalb so primitiv,<br />

weil sie 1. nicht geheim, sondern öffentlich ist.<br />

Dadurch führen die zahlreichen bestehenden<br />

natürlichen sozialen Abhängigkeiten zwischen den<br />

Beteiligten zu e<strong>in</strong>er Verfälschung der wirklichen<br />

eigenen Me<strong>in</strong>ung. Das Gleiche gilt auch für alle<br />

öffentlichen Abstimmungen, z. B. im Bundestag!<br />

2. unterdrückt die Wahl durch Akklamation, soweit sie<br />

durch größere Menschenmengen stattf<strong>in</strong>det, jede<br />

<strong>in</strong>dividuelle Me<strong>in</strong>ung nach den Regeln der<br />

Massenpsychologie.<br />

3. Gestattet die Akklamation ke<strong>in</strong>e Auswahl unter<br />

mehreren Kandidaten oder Varianten, e<strong>in</strong>er<br />

wesentlichen Anforderung der <strong>Demokratie</strong>.<br />

Alle<strong>in</strong> unter diesen Aspekten erweist sich die<br />

Akklamation bei Wahlen oder Abstimmungen - trotz<br />

ihrer weiten Verbreitung bis heute - als<br />

undemokratisch, genauer noch, als e<strong>in</strong> Instrument zur<br />

Vortäuschung von <strong>Demokratie</strong>!<br />

36


Im antiken Athen gab es neben der Akklamation auch<br />

andere Wahlverfahren, z. B. durch die Abgabe von<br />

gezeichneten Keramikstücken („Scherbengericht").<br />

Leider konnte ich nichts Näheres darüber ermitteln.<br />

Ebenso erg<strong>in</strong>g es mir mit den zahlreichen Wahlen im<br />

römischen Senat <strong>in</strong> der Vorkaiserzeit, bei denen durch<br />

Hand erheben abgestimmt wurde.<br />

Schließlich ist auch das ausgehende deutsche<br />

Mittelalter weitgehend e<strong>in</strong>e Grauzone. Es gab<br />

zahlreiche Wahlen, z. B. die Wahlen der Stadträte und<br />

<strong>Bürger</strong>meister <strong>in</strong> den Reichsstädten oder die der<br />

Universitätsleitungen, soweit die nicht von den<br />

Landesherrn e<strong>in</strong>gesetzt wurden. Interessant ist, dass<br />

all diese Wahlen mit großem öffentlichen Pomp<br />

verbunden waren (Gottesdienste, feierliche<br />

Prozessionen Vereidigungen der Gewählten,<br />

Volksfeste und andere Rituale), aber der Wahlakt<br />

selbst fand unter strengster Isolierung und<br />

Geheimhaltung statt. Immerh<strong>in</strong> gibt es <strong>in</strong> den<br />

Archiven e<strong>in</strong>iger Universitäten und Städte neben den<br />

üblichen Insignien der Macht gelegentlich kle<strong>in</strong>e<br />

kostbare Beutel mit silbernen und goldenen<br />

Kügelchen, mit denen bei der „Wahl" „das Los<br />

geworfen wurde". Manchmal wurde dazu e<strong>in</strong>(<br />

kunstvoll hergestellte Hand benutzt. Näher& über das<br />

Verfahren ist mir leider nichtbekannt Wer sich die tiefe<br />

Religiosität des Mittelalten vorstellen kann, wird auch<br />

verstehen, dass viel( der Wählenden überzeugt davon<br />

waren, das! der allwissende Gott schon den<br />

Geeignetster auswählen wird.<br />

37


Ähnliches mag auch für die Wahl des Kaisers durch die<br />

7 Kurfürsten gelten. Das Übergewicht der drei<br />

kirchlichen Fürsten war so dom<strong>in</strong>ierend, dass die<br />

weltlichen Kurfürsten sich oft nur durch irgende<strong>in</strong>en<br />

Höfl<strong>in</strong>g vertreten ließen.<br />

Interessant und prägend für unsere heutig( Situation<br />

<strong>in</strong> Mitteleuropa wurde der demokratische<br />

Entwicklungsprozess der Menschheit erst wieder im<br />

17. und 18. Jahrhundert. Es gab viele Verhältnisse,<br />

Strömungen und Ideologien, die die Menschen<br />

aufgeschlossen machten für neue Gedanken,<br />

Vorstellungen und Denkweisen. Da waren die<br />

unerträglicher Klassenspannungen des Feudalismus,<br />

die wachsende Wirksamkeit der Aufklärung, die<br />

europäischen Reformationen, der Neoklassizismus,<br />

der bürgerliche Liberalismus, die Arbeiterbewegung<br />

und andere E<strong>in</strong>flüsse. Alle das mündete schließlich <strong>in</strong><br />

konkrete Forderungen nach Menschenrechten, nach<br />

Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit - und eben nach<br />

<strong>Demokratie</strong>.<br />

12. Die Entwicklung der real existierenden<br />

<strong>Demokratie</strong> <strong>in</strong> Deutschland<br />

In den euphorischen Jubel über die Befreiung vom<br />

napoleonischen Joch mischten sich immer stärker die<br />

politischen Forderungen nach Menschenrechten,<br />

Freiheit und <strong>Demokratie</strong>.<br />

Nationale, bürgerlich-liberale und auch revolutionäre<br />

<strong>Bewegung</strong>en erhielten Zulauf. Was war geschehen?<br />

38


Endlich hatte e<strong>in</strong>e der brutalsten Veränderung des<br />

materiellen Dase<strong>in</strong>s der Menschen, die <strong>in</strong>dustrielle<br />

Revolution, auch die deutschen Lande erreicht. Die<br />

Dampfmasch<strong>in</strong>e hatte die Massenproduktion <strong>in</strong> den<br />

Fabriken und e<strong>in</strong>e wahrhaft revolutionäre<br />

Produktivitätssteigerung im Bergbau ermöglicht. Aber<br />

die Fabriken brauchten e<strong>in</strong>e Armee von Arbeitern. Die<br />

gab es jedoch nur <strong>in</strong> den Dörfern. Aber die Bauern<br />

waren fest an ihre feudalen Grundherren gebunden.<br />

Ohne e<strong>in</strong>e Befreiung der Bauern von ihren feudalen<br />

Lasten konnte sich die Industrie und damit auch der<br />

Kapitalismus nicht weiter entwickeln. Es lief alles<br />

zw<strong>in</strong>gend auf e<strong>in</strong>e bürgerliche Revolution zu.<br />

Doch die Grundbesitzer waren noch mächtig und<br />

e<strong>in</strong>flussreich genug. Schon <strong>in</strong> den Verfassungen der<br />

Französischen Revolution von 1791 und 1795 waren<br />

Lohnempfänger von jeder Teilnahme am Wahlrecht<br />

ausgeschlossen und auch <strong>in</strong> der ersten modernen<br />

Republik, den USA, hatten nur Vermögende e<strong>in</strong><br />

Wahlrecht. In Deutschland kam es noch reaktionärer.<br />

Um 1820 herum setzten die Grundbesitzer <strong>in</strong> den<br />

frühkonstitutionellen Verfassungen und den<br />

entsprechenden Wahlgesetzen <strong>in</strong> Bayern, Hessen und<br />

Württemberg durch, dass ausschließlich die<br />

Grundbesitzer e<strong>in</strong> Wahlrecht haben. Auch die<br />

sächsische konstitutionelle Verfassung von 1831<br />

versuchte noch die alten Strukturen zu retten. Aber<br />

die Macht des Faktischen war stärker. Bereits e<strong>in</strong> Jahr<br />

danach wurde e<strong>in</strong> Gesetz über Ablösung, über die<br />

Aufhebung des Ges<strong>in</strong>de-Zwangsdienstes sowie über<br />

die Aufhebung der Erbuntertänigkeit erlassen. Das<br />

bedeutete aber nur, dass sich die Bauern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

39


schwierigen Antragsverfahren und gegen Bezahlung<br />

freikaufen konnten. Doch woher sollten die das Geld<br />

nehmen? Aber im Interesse der Industrie wurde z. B.<br />

<strong>in</strong> Sachsen 1834 e<strong>in</strong>e Landrentenbank gegründet, die<br />

mit günstigen Z<strong>in</strong>sen den Bauern die Rückzahlung<br />

ihrer Schulden beim Gutsherrn und ihren Freikauf<br />

ermöglichte. Nun strömten die Dörfler <strong>in</strong> die<br />

Industriestädte. „Stadtluft macht frei!" hieß es<br />

damals und der Ruf nach Freiheit schallte weiter, denn<br />

noch immer war die Patrimonial-Gerichtsbarkeit nicht<br />

aufgehoben. Und noch immer gab es ke<strong>in</strong> Wahlrecht<br />

für Arbeiter, Angestellte und Bauern, für Frauen<br />

ohneh<strong>in</strong> nicht.<br />

Erst nach den revolutionären Vorgängen um 1848<br />

verfassten die Delegierten der Frankfurter Paulskirche<br />

e<strong>in</strong> Wahlgesetz, das erstmals e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es und<br />

gleiches Wahlrecht für alle mündigen männlichen<br />

Deutschen vorsah. Doch das revolutionäre Zeitfenster<br />

hatte sich bereits wieder geschlossen. Die alten Kräfte<br />

konnten die fortschrittliche Frankfurter Verfassung<br />

noch e<strong>in</strong>mal verh<strong>in</strong>dern.<br />

Dazu passte das preußische Drei-Klassen-Wahlrecht<br />

von 1849. Es war sche<strong>in</strong>bar sowohl gleich als auch<br />

allgeme<strong>in</strong>, denn jeder volljährige Preuße, der e<strong>in</strong><br />

E<strong>in</strong>kommen hatte (also auch Lohnempfänger, außer<br />

Frauen) bekam e<strong>in</strong>e Stimme. Doch der Sche<strong>in</strong> trügt.<br />

Denn <strong>in</strong> jedem Wahlkreis hatten die Stimmen der<br />

wenigen Reichen der 1. Klasse, die e<strong>in</strong> Drittel des<br />

Steueraufkommens erbrachten, das gleiche Gewicht,<br />

wie die vielen Stimmen der nur ger<strong>in</strong>ge oder gar ke<strong>in</strong>e<br />

Steuer zahlenden armen Volksmasse der 3. Klasse. Die<br />

40


Wahl war nicht geheim und auch nicht unmittelbar,<br />

denn es wurden nicht die Abgeordneten, sondern nur<br />

Wahlmänner gewählt. Dieses undemokratische<br />

Wahlrecht galt <strong>in</strong> Preußen sage und schreibe bis 1919!<br />

Das fortschrittliche Wahlrecht der Frankfurter<br />

Paulskirche war nicht völlig verloren gegangen. Es<br />

wurde <strong>in</strong> die Verfassung des Norddeutschen Bundes<br />

übernommen und erlangte 1871 nach der Gründung<br />

des Deutschen Reiches Bedeutung für die<br />

Reichstagswahl.<br />

Erst mit der Weimarer Verfassung und dem<br />

entsprechenden Wahlgesetz war der Durchbruch zu<br />

e<strong>in</strong>em modernen, demokratischen Wahlrecht erzielt.<br />

Es hatte endlich auch den Frauen die gleichberechtigte<br />

Wahlbeteiligung gebracht. Man kann sich<br />

streiten, ob die Zulassung so vieler Parteien e<strong>in</strong> Schritt<br />

zu mehr <strong>Demokratie</strong> oder e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>dernis für e<strong>in</strong>e starke<br />

<strong>Demokratie</strong> war. Ich halte die erste Me<strong>in</strong>ung für<br />

überzeugender. Auch b<strong>in</strong> ich im Gegensatz zu vielen<br />

anderen der Ansicht, dass auch e<strong>in</strong>e andere<br />

Verfassung oder e<strong>in</strong> anderes Wahlrecht nicht die<br />

Hitlerdiktatur hätte verh<strong>in</strong>dern können.<br />

Als sich die Bundesrepublik Deutschland 1949 vom<br />

alten deutschen Reichsgebiet abgespalten hatte,<br />

erarbeitete e<strong>in</strong> Parlamentarischer Rat unter starkem<br />

E<strong>in</strong>fluss der westlichen Siegermächte e<strong>in</strong><br />

Grundgesetz, das als Provisorium bis zur Vere<strong>in</strong>igung<br />

der beiden deutschen Staaten gelten und dann durch<br />

e<strong>in</strong>e vom Volk verabschiedete Verfassung abgelöst<br />

werden sollte.<br />

41


Bekanntlich wurde das von der Regierung Kohl<br />

verh<strong>in</strong>dert, obwohl e<strong>in</strong>e Kommission e<strong>in</strong>en nach<br />

me<strong>in</strong>er persönlichen E<strong>in</strong>schätzung diskussionswürdigen<br />

Entwurf ausgearbeitet hatte.<br />

Das Grundgesetz und die dazu gehörenden<br />

Wahlgesetze wurden bis heute vielfach geändert,<br />

meist auf Antrag der CDU, ohne dass sich der<br />

unzulängliche <strong>Demokratie</strong>gehalt verbessert hätte.<br />

Eher ist das Gegenteil der Fall.<br />

13. Die Kritik an der real existierenden<br />

<strong>Demokratie</strong><br />

Seit mit dem Ende des kalten Krieges e<strong>in</strong>e Kritik an<br />

unserem politischen System ke<strong>in</strong> Tabu mehr ist,<br />

ersche<strong>in</strong>en <strong>in</strong> zunehmenden Maße wissenschaftliche<br />

Arbeiten von Staatsrechtlern, Politologen,<br />

Philosophen und anderen Experten, <strong>in</strong> denen die<br />

grundlegenden gesetzlichen Regelungen unserer<br />

<strong>Demokratie</strong> e<strong>in</strong>er strengen Analyse unterzogen<br />

werden. Die Ergebnisse s<strong>in</strong>d erschütternd. Es werden<br />

Unzulänglichkeiten festgestellt und dargelegt, wie <strong>in</strong><br />

der Verfassungswirklichkeit oft genug sogar das<br />

Grundgesetz verletzt wird. Die Kritiken richten sich<br />

auch gegen das Wahlsystem, die Arbeit der Parteien,<br />

des Parlaments und der anderen Organe des Staates.<br />

Um e<strong>in</strong> Beispiel aus der Vielfalt der Arbeiten zu<br />

nennen, verweise ich auf die zahlreichen Bücher von<br />

Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim, <strong>in</strong>sbesondere auf<br />

„Das System", das mich durch die wissenschaftliche<br />

Sachlichkeit der Analyse und die überzeugende<br />

Sprache stark bee<strong>in</strong>druckt hat.<br />

42


Auch <strong>in</strong> populärwissenschaftlichen Büchern und<br />

Artikeln werden die Schwächen unseres Systems<br />

gnadenlos aufgedeckt und gelegentlich sogar von<br />

e<strong>in</strong>er „Sche<strong>in</strong>demokratie" gesprochen.<br />

Im Ergebnis all dessen s<strong>in</strong>kt natürlich das Vertrauen <strong>in</strong><br />

die <strong>Demokratie</strong>, was sich sowohl <strong>in</strong> zahlreichen<br />

Leserbriefen, als auch besonders <strong>in</strong> der zunehmenden<br />

Nichtteilnahme an den Kernstücken unserer<br />

<strong>Demokratie</strong>, den Landtags- und Bundestagswahlen<br />

widerspiegelt. Die dafür von den Medien <strong>in</strong><br />

verdächtiger E<strong>in</strong>stimmigkeit als Grund angegebene<br />

„Politikverdrossenheit" soll ansche<strong>in</strong>end verschleiern,<br />

dass es sich bei vielen Nichtwählern um e<strong>in</strong>en<br />

bewussten politischen Boykott aus Unzufriedenheit<br />

mit dem System handelt.<br />

Der wenigstens <strong>in</strong> den Politikerreden erkennbare<br />

Stolz auf unsere <strong>Demokratie</strong> ist so unberechtigt nun<br />

auch wieder nicht. Selbst wer sich noch e<strong>in</strong>en<br />

kritischen Blick auf unser politisches System bewahrt<br />

hat, wird <strong>in</strong> Verlegenheit geraten, wenn er die Frage<br />

beantworten soll: Wo <strong>in</strong> aller Welt gibt es e<strong>in</strong><br />

besseres, e<strong>in</strong> effektiveres, aber eben auch<br />

demokratischeres politisches System? Und: Hat es<br />

jemals <strong>in</strong> der Geschichte der Menschheit e<strong>in</strong> solches<br />

demokratischeres System gegeben? Ne<strong>in</strong>, bei allen<br />

kritischen Vorbehalten: Es gibt gegenwärtig<br />

nirgendwo mehr <strong>Demokratie</strong> und es gab bisher noch<br />

nie bessere, demokratischere Staaten:<br />

43


Wie, zum Teufel, vere<strong>in</strong>bart sich das? Erst e<strong>in</strong>e<br />

geradezu vernichtende Kritik an unserer real<br />

existierenden <strong>Demokratie</strong> und gleichzeitig die<br />

Behauptung, dass diese <strong>Demokratie</strong> die Beste - oder<br />

wenigstens e<strong>in</strong>e von den Besten - ist?<br />

Dieser Widerspruch ist nur e<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>barer. Die<br />

Erklärung liegt dar<strong>in</strong>, dass der <strong>Demokratie</strong>prozess erst<br />

seit wenigen Jahrhunderten an Dynamik gewonnen<br />

hat und noch längst nicht aus den K<strong>in</strong>derschuhen<br />

heraus gewachsen ist! Wir s<strong>in</strong>d noch weit, weit weg<br />

von e<strong>in</strong>er idealen <strong>Demokratie</strong>!<br />

Es kann hier nicht die Aufgabe se<strong>in</strong>, die <strong>in</strong> so vielen<br />

wissenschaftlichen Werken analysierten<br />

Systemmängel noch e<strong>in</strong>mal zu wiederholen, aber es<br />

sei mir gestattet, gewissermaßen als Beispiel, e<strong>in</strong>e<br />

eklatante Verfassungswidrigkeit und ihre<br />

Auswirkungen, nämlich den Fraktionszwang,<br />

ausführlich darzulegen, auch weil selbst viele<br />

Systemkritiker sich offenbar mit diesem<br />

schwerwiegenden Mangel bereits als Realität<br />

abgefunden haben.<br />

Vor wenigen Jahren noch hätte jeder Politiker<br />

hartnäckig geleugnet, dass es e<strong>in</strong>en Fraktionszwang<br />

gibt. Er musste das auch, denn <strong>in</strong> den Verfassungen<br />

vieler Länder, <strong>in</strong> Deutschland durch Art. 38 GG, ist<br />

ausdrücklich geregelt, dass Abgeordnete „an Aufträge<br />

und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem<br />

Gewissen unterworfen" s<strong>in</strong>d. Jeder Druck von außen,<br />

sei es von Partei, Fraktion oder e<strong>in</strong>em „Förderer" ist<br />

e<strong>in</strong>deutig verfassungswidrig.<br />

44


Inzwischen hat sich aber die Realität des<br />

Fraktionszwanges so e<strong>in</strong>gebürgert, dass e<strong>in</strong><br />

Bundeskanzler Kohl ohne jede Hemmung <strong>in</strong> aller<br />

Öffentlichkeit im Bundestag vor e<strong>in</strong>er Abstimmung<br />

ausnahmsweise e<strong>in</strong>mal den Fraktionszwang<br />

„aufheben" konnte. Und später drohte der damalige<br />

Geschäftsführer der SPD, Herr Müntefer<strong>in</strong>g, ohne sich<br />

zu schämen, vor den laufenden Fernsehkameras allen<br />

Abgeordneten der Regierungskoalition mit „harten<br />

Strafen", falls sie gegen den Regierungsentwurf über<br />

den E<strong>in</strong>satz deutscher Soldaten außerhalb<br />

Deutschlands abstimmen.<br />

Natürlich ist es nicht nur pe<strong>in</strong>lich, sondern es<br />

erschwert die Regierungsarbeit, wenn - <strong>in</strong>sbesondere<br />

bei knappen Mehrheiten im Parlament - nicht e<strong>in</strong>mal<br />

die Abgeordneten der eigenen Partei für e<strong>in</strong>en Antrag<br />

der Regierung stimmen. So liegt es nahe, dass die<br />

regierende Partei Druck auf das Abstimmungsverhalten<br />

ihrer Abgeordneten den ausübt. Da ja die<br />

Partei auch über die Listenplätze für die nächste Wahl<br />

entscheidet, ist für sie leicht, damit zu drohen, die<br />

Abweichler nicht wieder kandidieren zu lassen.<br />

unausgesprochen hängt diese Drohung mit,-le<strong>in</strong><br />

Verlust aller Privilegien wie e<strong>in</strong> Damoklesschwert über<br />

den Abgeordneten.<br />

Dieser real vorhandene Druck auf die Abgeordneten<br />

ist nicht nur selbst e<strong>in</strong>e Todsünde gegen die<br />

<strong>Demokratie</strong>, sondern zieht e<strong>in</strong>e Reihe weiterer<br />

schwerwiegender Verstöße nach sich:<br />

45


1. Das Verhalten der Regierungsfraktion führt<br />

logischerweise auch zu e<strong>in</strong>em gleichen Verhalten der<br />

Opposition.<br />

2. Um den Fraktionszwang kontrollierbar zu machen,<br />

erfordert er - allen demokratischen Pr<strong>in</strong>zipien zum<br />

Trotz - offene Abstimmungen.<br />

3. Offene Abstimmungen eröffnen die Möglichkeit,<br />

Abgeordnete zu bestechen. Wirklich geheime<br />

Abstimmungen würden sowohl dem Fraktionszwang,<br />

als auch der Korruption die Kontrollmöglichkeit und<br />

damit den Boden entziehen.<br />

4. Die Existenz des Fraktionszwanges auch bei der<br />

Opposition macht e<strong>in</strong> Regieren durch die stärkste<br />

Partei alle<strong>in</strong> (M<strong>in</strong>derheitsregierung) unmöglich, wenn<br />

sie nicht die absolute Mehrheit erreicht. Diese<br />

Erkenntnis wiederum führt zu zwei undemokratischen<br />

Tendenzen:<br />

a) Es werden Zwei-Parteien-Systeme angestrebt, weil<br />

dann immer e<strong>in</strong>e Partei die absolute Mehrheit hätte.<br />

Das geschieht durch die Ausgrenzung und<br />

Benachteiligung kle<strong>in</strong>erer Parteien - z. B. durch die 5%-<br />

Klausel-und der Erschwerung von Neugründungen.<br />

Bestimmte Interessengruppen der <strong>Bürger</strong> werden<br />

dadurch von vornhere<strong>in</strong> von e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>fluss auf die<br />

Regierung ausgeschlossen.<br />

b) Gel<strong>in</strong>gt es nicht, das Zwei-Parteien-System<br />

vollständig oder wenigstens weitgehend<br />

durchzusetzen, ist die Regierungspartei gezwungen,<br />

e<strong>in</strong>e Koalition mit e<strong>in</strong>er oder mehreren der anderen<br />

kle<strong>in</strong>eren Parteien zu bilden. Dabei muss die<br />

Regierungspartei Kompromisse schließen, <strong>in</strong> denen<br />

sie Programmziele aufgeben muss, für deren<br />

Verwirklichung sie eigentlich gewählt wurde.<br />

46


Andererseits werden Vertreter kle<strong>in</strong>er Parteien, die<br />

nur e<strong>in</strong>en unbedeutenden Wählerkreis h<strong>in</strong>ter sich<br />

haben, M<strong>in</strong>ister und sogar Vizekanzler. Sie gew<strong>in</strong>nen<br />

dadurch e<strong>in</strong>en unangemessen hohen E<strong>in</strong>fluss auf die<br />

Politik, was natürlich den sich aus der Wahl<br />

ergebenden demokratischen Mehrheitsverhältnissen<br />

krass widerspricht.<br />

5. Wenn die Abgeordneten ohneh<strong>in</strong> nicht nach ihrer<br />

persönlichen Überzeugung und ihrer Lebenserfahrung<br />

abstimmen dürfen, besteht auch ke<strong>in</strong>e<br />

Notwendigkeit, die Fähigsten als Kandidaten<br />

aufzustellen. In der Praxis werden brave, diszipl<strong>in</strong>ierte<br />

Parteisoldaten ausgewählt, die <strong>in</strong> langjähriger Arbeit<br />

im Parteiapparat ihre Parteidiszipl<strong>in</strong> unter Beweis<br />

gestellt haben.<br />

6. Diese Kriterien für die Auswahl der Kandidaten<br />

lassen es letztlich unangebracht ersche<strong>in</strong>en, die<br />

demokratische Öffentlichkeit an der Auswahl<br />

teilhaben zu lassen. Die Kandidaten bleiben<br />

weitgehend unbekannt, gelten aber als<br />

Repräsentanten des ganzen Volkes.<br />

7. Wenn die Regierungspartei, bzw. die<br />

Regierungskoalition e<strong>in</strong>en derartigen E<strong>in</strong>fluss auf die<br />

Abgeordneten nehmen kann, ist e<strong>in</strong>e wichtige<br />

Funktion des Parlaments, nämlich die Kontrolle der<br />

Regierung, völlig ausgeschlossen.<br />

Alles <strong>in</strong> allem: Wesentliche Pr<strong>in</strong>zipien der schwer<br />

erkämpften <strong>Demokratie</strong> werden auf diese und andere<br />

Weise ausgehöhlt und zum Teil ad absurdum geführt.<br />

Es erhebt sich die Frage, warum e<strong>in</strong> Volk mit großen<br />

demokratischen Traditionen wie das deutsche so<br />

widerstandslos die E<strong>in</strong>schränkung se<strong>in</strong>er mühsam<br />

47


erworbenen Rechte h<strong>in</strong>nimmt. Warum erfolgt auch<br />

ke<strong>in</strong> Aufschrei der sonst so kritischen Massenmedien?<br />

14. Was müsste geschehen?<br />

Es ist e<strong>in</strong>e Schande für Deutschland, dass wir wohl als<br />

e<strong>in</strong>zige der großen europäischen Kulturnationen bis<br />

heute noch ke<strong>in</strong>e vom Volk diskutierte und mit<br />

Mehrheit vom Volke beschlossene Verfassung haben.<br />

Stattdessen wird e<strong>in</strong> provisorisches „Grundgesetz"<br />

aufrecht erhalten, das vor 60 Jahren von e<strong>in</strong>em<br />

Parlamentarischen Rat ausgearbeitet wurde, der nicht<br />

vom Volk gewählt worden war, und unter starkem<br />

E<strong>in</strong>fluss der Siegermächte stand. Obwohl dieses<br />

Provisorium nach se<strong>in</strong>em eigenen Art. 146 nach der<br />

Vere<strong>in</strong>igung durch e<strong>in</strong>e echte Verfassung abgelöst<br />

werden sollte, „die vom deutschen Volke <strong>in</strong> freier<br />

Entscheidung beschlossen" werden sollte und obwohl<br />

- wie bereits erwähnt - <strong>in</strong> der Wendezeit e<strong>in</strong>e<br />

Kommission an e<strong>in</strong>em Verfassungsentwurf arbeitete,<br />

wurde das vom Kanzler der verkorksten E<strong>in</strong>heit mit<br />

e<strong>in</strong>er Handbewegung vom Tisch gefegt. Seitdem<br />

haben die herrschenden Parteien und Koalitionen<br />

dieses Grundgesetz dutzendfach verändert.<br />

Selbst dieser so logische erste Schritt der Schaffung<br />

e<strong>in</strong>er demokratischen Verfassung sche<strong>in</strong>t unter den<br />

gegebenen Bed<strong>in</strong>gungen nur schwer realisierbar zu<br />

se<strong>in</strong>.<br />

Als nächster Aufgabenkomplex müsste Schritt für<br />

Schritt die Rückführung der „ausgehöhlten", starren<br />

<strong>Demokratie</strong> <strong>in</strong> den dynamischen <strong>Demokratie</strong>prozess <strong>in</strong><br />

48


Angriff genommen werden. Also, um bei unserem<br />

Beispiel zu bleiben, das Verbot des Fraktionszwanges<br />

bei Abschaffung der Öffentlichkeit aller<br />

Abstimmungen. Oder Ausschluss der Lobbyisten aus<br />

der Abgeordneten- und Regierungsarbeit. Förderung<br />

der Direkten <strong>Demokratie</strong> (Volksbefragungen,<br />

Volksabstimmungen, Volksentscheide usw.). Auch die<br />

Aufhebung der zahlreichen undemokratischen<br />

E<strong>in</strong>schränkungen, wie etwa die 5%Hürde, wäre e<strong>in</strong><br />

Schritt weiter. Neben den Parteien sollten alle<br />

anderen gesellschaftlichen Organisationen das Recht<br />

zur Kandidatenaufstellung erhalten, z. B.<br />

<strong>Bürger</strong>geme<strong>in</strong>schaften, Religionen, Gewerkschaften,<br />

Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) und andere.<br />

Natürlich würde dadurch das Machtmonopol der<br />

Parteien durchbrochen, e<strong>in</strong> Monopol, dass ohneh<strong>in</strong><br />

verfassungswidrig ist. Denn die Macht sollte nicht von<br />

den Parteien, sondern vom Volke ausgehen, während<br />

den Parteien gem. Art. 21 des Grundgesetzes lediglich<br />

die Aufgabe zusteht, an der politischen Willensbildung<br />

des Volkes mitzuwirken.<br />

Zusammenfassend kann man sagen, dass jede der<br />

zahlreichen von den Kritikern beanstandeten<br />

Unzulänglichkeiten unserer real existierenden<br />

<strong>Demokratie</strong> e<strong>in</strong>er Prüfung unterzogen und mit<br />

geeigneten demokratischen Methoden korrigiert<br />

werden müsste.<br />

Sicher gibt es Argumente gegen jede der genannten<br />

Aufgaben, aber es wäre schon e<strong>in</strong> Erfolg, wenn es<br />

überhaupt zu Diskussionen über die sachlich<strong>in</strong>haltliche<br />

Problematik dieser Fragen kommen würde.<br />

49


Aber alle, auch diejenigen, die me<strong>in</strong>e Vorstellungen<br />

aus \ Überzeugung teilen, werden nachdenklich, wenn<br />

sie sich fragen, wie das <strong>in</strong> der politischen Realität<br />

umgesetzt werden kann. Wo gibt es die Kräfte, die<br />

derartige Veränderungen überhaupt durchsetzen<br />

können? Die Parteien werden mit Krallen und Zähnen<br />

ihr Machtmonopol verteidigen und sich gegen jede<br />

Neuerung wehren, die ihnen ke<strong>in</strong>en unmittelbaren<br />

Vorteil verspricht.<br />

Wo aber gibt es andere Kräfte, die es mit der Potenz<br />

der Parteien aufnehmen können? Natürlich gibt es<br />

e<strong>in</strong>e wachsende Unzufriedenheit im Lande. Diese<br />

Unzufriedenheit kann sich bei weiteren<br />

provozierenden politischen Fehlleistungen der<br />

Regierung durchaus zu spontanen, anarchischen<br />

Revolten entwickeln. Derartiges kann aber nicht zu<br />

e<strong>in</strong>er Weiterentwicklung der <strong>Demokratie</strong>, sondern<br />

höchstens zu Elementen e<strong>in</strong>er <strong>Diktatur</strong> führen und<br />

sollte unter allen Umständen verh<strong>in</strong>dert werden.<br />

Es bleibt ke<strong>in</strong> anderer, friedlicher Weg zur<br />

<strong>Demokratie</strong>, als auf die E<strong>in</strong>sicht, die Weitsicht und den<br />

Verstand der Parteien e<strong>in</strong>zuwirken und die Macht des<br />

Parlaments zu benutzen, um ohne wirtschaftliche und<br />

soziale Rückschläge, vor allem auch ohne<br />

Blutvergießen, e<strong>in</strong>en dynamischen demokratischen<br />

Entwicklungsprozess der Gesellschaft e<strong>in</strong>zuleiten. Die<br />

realen Aussichten s<strong>in</strong>d derzeit gar nicht so schlecht.<br />

15. Die Krise der demokratischen Parteien<br />

Me<strong>in</strong>e Hoffnung stützt sich dabei auf zwei<br />

bemerkenswerte Entwicklungen. Die erste besteht<br />

50


dar<strong>in</strong>, dass die großen Volksparteien, aber<br />

zunehmend, auch die anderen Parteien von e<strong>in</strong>er tief<br />

gehenden S<strong>in</strong>neskrise erfasst werden.<br />

Wir wissen doch: Alle Macht geht leider nicht vom<br />

Volke, sondern von den Parteien aus, denn nicht die<br />

Wähler, sondern die Gewählten s<strong>in</strong>d die<br />

Machtausübenden und die werden im Wesentlichen<br />

von den Parteien gestellt. Und wir wissen auch, wie<br />

hart der Kampf um die Flacht.<br />

Der systembed<strong>in</strong>gte Zwang zur Mehrheit hat alle<br />

Parteien von ihrer historisch bed<strong>in</strong>gten Klientel<br />

entfremdet. Wer die Macht im Staat err<strong>in</strong>gen und<br />

behaupten will, kann sich nicht nur auf<br />

gesellschaftliche Teilgruppen stützen, sondern muss<br />

zur Massenpartei werden.<br />

So denken Sozialdemokraten heute nur mit<br />

Unbehagen an ihre Wurzeln <strong>in</strong> der Arbeiterbewegung.<br />

Aus e<strong>in</strong>er l<strong>in</strong>ken Partei wurde e<strong>in</strong>e Partei der „Mitte".<br />

Die freien Demokraten haben sich weit von den Ideen<br />

des bürgerlichen Liberalismus entfernt, wollen ihr<br />

Image als Partei der Besserverdienenden abschütteln<br />

und streben an, e<strong>in</strong>e Volkspartei zu werden. Auch die<br />

L<strong>in</strong>ke ist längst ke<strong>in</strong>e Partei der Arbeiter und Bauern<br />

mehr und die C-Parteien s<strong>in</strong>d offen für alle Religionen,<br />

sie hätten ke<strong>in</strong>e Scheu, auch Atheisten aufzunehmen,<br />

wenn ihnen das Stimmen br<strong>in</strong>gt. Bemerkenswert ist<br />

die hohe Zahl kirchlicher die nicht der Union, sondern<br />

der SPD beigetreten s<strong>in</strong>d.<br />

51


Dieser erbitterte Kampf um parlamentarische<br />

Mehrheiten zw<strong>in</strong>gt also dazu, immer mehr Mitglieder<br />

mit stark abweichenden Grund<strong>in</strong>teressen <strong>in</strong> die<br />

Parteien aufzunehmen, und vor allem Wählerkreise<br />

zugew<strong>in</strong>nen, die bisher wenig mit den Grundanliegen<br />

der Partei zu tun hatten.<br />

Das Ergebnis ist e<strong>in</strong> antagonistischer, also<br />

unüberbrückbarer Widerspruch zwischen der<br />

erforderlichen Geschlossenheit der Partei und dem<br />

Pluralismus, der natürlichen Me<strong>in</strong>ungsvielfalt unter<br />

den Mitgliedern und auch unter den Wählern.<br />

Dieser Widerspruch zwischen Geschlossenheit und<br />

Pluralismus hat verschiedene - immer aber<br />

undemokratische - Auswirkungen.<br />

Wir wissen: E<strong>in</strong>e Partei ist umso schlagkräftiger, je<br />

diszipl<strong>in</strong>ierter jedes Mitglied sich für jedes der<br />

zahlreichen E<strong>in</strong>zelziele der Partei e<strong>in</strong>setzt. Lässt man<br />

dem Pluralismus freien Lauf, führt das zu<br />

Schwächung, Spaltung und Machte<strong>in</strong>buße der Partei,<br />

zumal leider auch der Wähler die Geschlossenheit im<br />

Übermaße honoriert. R<strong>in</strong>gt die Partei aber<br />

notgedrungen um Geschlossenheit - und alle tun das -<br />

dann werden große Teile der Mitgliedschaft zur<br />

Parteidiszipl<strong>in</strong> gezwungen und dadurch <strong>in</strong> ihrer<br />

Me<strong>in</strong>ungsbildung und Verhaltensweise e<strong>in</strong>geengt. Der<br />

Pluralismus wird zerstört. Wen wundert es noch, dass<br />

das Interesse an e<strong>in</strong>er Parteimitgliedschaft nachlädt?<br />

Diese S<strong>in</strong>neskrise führt zum Verlust von Mitgliedern<br />

und Wählern. Sie schwächt die Geschlossenheit der<br />

Partei und fördert die Bereitschaft, über<br />

demokratische Veränderungen nachzudenken.<br />

52


Die zweite Entwicklung, die me<strong>in</strong>e Hoffnung auf die<br />

Bereitschaft der Parteien stützt, sich neuen Gedanken<br />

vorurteilsfreier zu öffnen, besteht <strong>in</strong> Folgendem:<br />

Das gesellschaftliche Leben selbst wird von Jahr zu<br />

Jahr vielfältiger, komplizierter. Es entstehen ständig<br />

neue Interessensbereiche, die von ke<strong>in</strong>er Partei alle<strong>in</strong><br />

erfasst werden können. Wer von den<br />

Gründungsvätern konnte schon ahnen, welche<br />

bedeutsamen geme<strong>in</strong>samen Interessen durch das<br />

Automobil, das Internet, den Sport oder das<br />

Fernsehen usw. erwachsen würden? Ke<strong>in</strong>e der<br />

bestehenden Parteien orientiert sich voll auf diese<br />

großen Interessentenpotenziale (oder jede zu wenig).<br />

Das übernehmen mehr und mehr spezielle<br />

nichtstaatliche Organisationen, wie der ADAC,<br />

Sportvere<strong>in</strong>e, Attac und viele andere. E<strong>in</strong>es dieser<br />

neuerkannten Interessenbereiche hat sogar zur<br />

Gründung e<strong>in</strong>er Partei geführt: Der Umweltschutz!<br />

Das Werben um Mitglieder und Wählerstimmen<br />

zw<strong>in</strong>gt unter diesen Umständen die Parteien <strong>in</strong><br />

Deutschland zu e<strong>in</strong>em deutlich zu beobachtenden<br />

Trend: Sie vermeiden <strong>in</strong> ihren Programmen möglichst<br />

jede konkrete Zielstellung, um ja nicht irgend e<strong>in</strong>e<br />

Interessentengruppe vor den Kopf zu stoßen.<br />

Stattdessen orientieren sie auf den kle<strong>in</strong>sten<br />

geme<strong>in</strong>sam annehmbaren Nenner und bleiben<br />

deshalb bei durchaus ehrenwerten Forderungen wie<br />

Kampf um den Frieden, Schutz der Umwelt, christliche<br />

Ethik, soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung der<br />

Geschlechter und ähnlichen, leider aber<br />

schwammigen, pflaumenweichen Formulierungen.<br />

53


Auch so kann man leichtgläubige Sympathisanten<br />

gew<strong>in</strong>nen und auch e<strong>in</strong>e gewisse<br />

Sche<strong>in</strong>geschlossenheit erreichen, die dann später<br />

(evtl. nach der Wahl!) wieder ause<strong>in</strong>ander bricht,<br />

wenn es zur Konkretisierung des Geme<strong>in</strong>platzes, z.B.<br />

der Gleichberechtigung der Geschlechter kommt.<br />

Man könnte bei jedem beliebigen politischen Problem<br />

beweisen, dass die Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>er Partei<br />

geradezu gesetzmäßig bei e<strong>in</strong>em Teil der kritischen<br />

Mitglieder zu Gewissenskonflikten führen muss. Die<br />

Ursache ist eben dar<strong>in</strong> begründet, dass jede Partei mit<br />

dem Anspruch auf Regierungsfähigkeit sich zu allen<br />

wichtigen Problemen des so vielschichtigen<br />

gesellschaftlichen Lebens auf e<strong>in</strong>e bestimmte Position<br />

festlegen muss, was - nebenbei bemerkt - zu e<strong>in</strong>er<br />

merkwürdigen Ähnlichkeit der Programme <strong>in</strong> ihren<br />

Inhalten und ihrer verwaschenen Unkonkretheit führt.<br />

Bereits das Auftreten neuer Parteien im Bundestag<br />

und den Landesparlamenten reduziert die Stärke der<br />

großen Parteien und zw<strong>in</strong>gt sie zum Nachdenken über<br />

die Konkretisierung ihrer Aufgaben und evtl. zu e<strong>in</strong>er<br />

Spezialisierung. Dieser Trend wird verstärkt durch das<br />

zunehmende Entstehen weiterer Parteien. Interessant<br />

ist die Entwicklung <strong>in</strong> den unteren Ebenen. In vielen<br />

Geme<strong>in</strong>deräten sitzen immer mehr Vertreter von<br />

Sportvere<strong>in</strong>en, Freiwilligen Wählergeme<strong>in</strong>schaften,<br />

<strong>Bürger</strong><strong>in</strong>itiativen, sogar der Feuerwehr, und<br />

verdrängen Vertreter der „etablierten" Parteien.<br />

Warum sollte das auf Dauer nicht auch auf die<br />

höheren parlamentarischen Ebenen übergreifen?<br />

Nun wird diese notwendige Anpassung der Parteien<br />

an die Weiterentwicklung der Gesellschaft nur<br />

54


allmählich und nicht heute oder morgen, sondern<br />

irgendwann erfolgen, irgendwann erst, aber mit<br />

Sicherheit. Denn auf Dauer kann ke<strong>in</strong>e Partei diesen<br />

<strong>in</strong>neren Widerstreit zwischen der notwendigen<br />

Geschlossenheit und der natürlichen Me<strong>in</strong>ungsvielfalt<br />

ihrer Mitglieder aushalten und mit Zwang<br />

überbrücken. E<strong>in</strong>mal wird die Zeit reif se<strong>in</strong> für die<br />

Aufgabe der Me<strong>in</strong>ungsunterdrückung und die<br />

Parteien werden sich beschränken auf kle<strong>in</strong>ere<br />

Gruppen mit wirklich weitgehend übere<strong>in</strong>stimmenden<br />

geme<strong>in</strong>samen Interessen.<br />

Je zersplitterter aber die Parteienlandschaft ist, um so<br />

weniger kann es e<strong>in</strong>zelnen Parteien gel<strong>in</strong>gen,<br />

vernünftige Gesetze zu blockieren und um so<br />

erfolgversprechender ist es, e<strong>in</strong>e bürgernahe, sozial<br />

ausgewogene Regierungsarbeit durchzusetzen. Das<br />

gilt <strong>in</strong> besonderem Maße auch für die<br />

Weiterentwicklung und Realisierung von Elementen<br />

des dynamischen <strong>Demokratie</strong>prozesses.<br />

16. Team statt E<strong>in</strong>zelleiter<br />

Es wird harte Arbeit und erbitterte Kämpfe kosten,<br />

unsere ausgehöhlte bürokratisierte <strong>Demokratie</strong><br />

wieder für e<strong>in</strong>e Weiterentwicklung zu öffnen. Die<br />

Hauptverantwortung dafür liegt bei den Politikern.<br />

Politiker s<strong>in</strong>d aber nüchterne Realisten, die sich mit<br />

mehr oder weniger Erfolg bemühen, unsere<br />

Gegenwart unter dem Druck der Ereignisse erträglich<br />

zu gestalten. Welcher Politiker hat heute die Ruhe und<br />

die Fähigkeit, an die langfristige Perspektive der<br />

Gesellschaft zu denken? Von den Naturwissenschaften<br />

55


und den sensationslüsternen Medienkommen<br />

Vorstellungen über das Klima <strong>in</strong> hundert Jahren oder<br />

die Besiedelung des Mars. Das mag irreal und<br />

fantastisch ersche<strong>in</strong>en, aber es ist trotzdem e<strong>in</strong>e<br />

gewisse Vorgabe, e<strong>in</strong>e Zielstellung auch für die<br />

wissenschaftliche und politische Arbeit <strong>in</strong> der<br />

Gegenwart.<br />

Wer aber Visionen für den <strong>Demokratie</strong>prozess sucht,<br />

der f<strong>in</strong>det sie weder bei den Politikern, noch bei den<br />

meisten Kritikern unseres politischen Systems und<br />

nicht e<strong>in</strong>mal bei den Zukunftsforschern. Auch die<br />

demokratischen Parteien enthalten <strong>in</strong> ihren<br />

Programmen außer vielleicht e<strong>in</strong>em vagen H<strong>in</strong>weis auf<br />

Volksbefragungen und -entscheide nichts Visionäres.<br />

Selbst Wille Brand, der uns aufforderte, mehr<br />

<strong>Demokratie</strong> zu wagen, hat uns leider<br />

nichth<strong>in</strong>terlassen, was wir konkret wagen sollten. War<br />

das Wagnis damals etwa zu groß?<br />

E<strong>in</strong>e aktuelle Studie im Auftrag der Friedlich-Ebert-<br />

Stiftung kommt zu dem traurigen Ergebnis, dass<br />

rechtsextreme Ansichten selbst <strong>in</strong> der Mitte der<br />

Gesellschaft weit verbreitet s<strong>in</strong>d. Gleichzeitig wird e<strong>in</strong><br />

erschütternd ger<strong>in</strong>ges <strong>Demokratie</strong>verständnis<br />

festgestellt. „Die da oben machen sowieso was sie<br />

wollen" sei e<strong>in</strong>e weit verbreitete Me<strong>in</strong>ung. Die Studie<br />

fordert zu Recht neue demokratische<br />

Partizipationsmöglichkeiten, leider ohne e<strong>in</strong>e solche<br />

zu benennen. Schließlich wird auch e<strong>in</strong>e<br />

„tiefgreifende Demokratisierung gesellschaftlicher<br />

Institutionen" dr<strong>in</strong>gend verlangt. Aber auch hier<br />

fehlen konkrete Vorschläge.<br />

56


Wahrsche<strong>in</strong>lich ist die desillusionierende Feststellung<br />

berechtigt, dass wir alle noch ke<strong>in</strong>e greifbare<br />

Vorstellung von den langfristigen Zielen e<strong>in</strong>er<br />

dynamischen <strong>Demokratie</strong>bewegung haben. Nun ist ja -<br />

wenn man sich ke<strong>in</strong>e prophetischen Gaben e<strong>in</strong>bildet -<br />

jegliche Zukunftsvorhersage beschränkt, beschränkt<br />

durch den <strong>in</strong> der Gegenwart erreichten Stand der<br />

Erkenntnis über die gesellschaftlichen<br />

Entwicklungstendenzen der Menschheit.<br />

Ich hoffe, sie auf Grund eigener Überlegungen und<br />

vielleicht auch durch me<strong>in</strong>e Darlegungen angeregt -<br />

worüber ich sehr glücklich wäre - mit mir folgende<br />

grundlegenden Erkenntnisse teilen:<br />

1. Die Machtausübung durch E<strong>in</strong>zelne (<strong>Diktatur</strong>) ist die<br />

ursprünglichste, am unkompliziertesten zu<br />

<strong>in</strong>stallierende Form der Leitung gesellschaftlicher<br />

Prozesse.<br />

2. Die Machtausübung durch E<strong>in</strong>zelne ist hocheffektiv,<br />

birgt aber größte Gefahren für die jeweilige<br />

Gesellschaft und sogar für die gesamte Menschheit.<br />

3. Die <strong>Demokratie</strong> ist ke<strong>in</strong> fixer Zustand und schon gar<br />

ke<strong>in</strong> Ende der menschlichen Entwicklung, sondern e<strong>in</strong><br />

dynamischer Entwicklungsprozess der Menschheit,<br />

der noch lange nicht ausgereift ist.<br />

4. Ausgangspunkt und Hauptziele dieses<br />

<strong>Demokratie</strong>prozesses s<strong>in</strong>d die Beschränkung, die<br />

Kontrolle und die weitgehende Beseitigung der<br />

Machtausübung durch E<strong>in</strong>zelne.<br />

57


Auf der Grundlage dieses Erkenntnisstandes ergibt<br />

sich die Forderung, E<strong>in</strong>zelleiter, wie sie <strong>in</strong> allen<br />

Lebensbereichen, besonders gerade <strong>in</strong> der Politik,<br />

gegenwärtig noch dom<strong>in</strong>ieren, durch kollektive<br />

Leitungen (Team) zu ersetzen. Trotz aller negativer<br />

Erfahrungen <strong>in</strong> der bisherigen Geschichte bietet sich<br />

dafür e<strong>in</strong> dreiköpfiger Vorstand (Rat oder wie auch<br />

immer bezeichnet) an. E<strong>in</strong>e ungerade Anzahl müsste<br />

es schon se<strong>in</strong>, um Pattsituationen zu vermeiden. Bei<br />

fünf oder gar sieben Personen wäre der<br />

Personalaufwand wohl zu aufwendig.<br />

Die historischen Erfahrungen lehren, dass e<strong>in</strong> solches<br />

Triumvirat ause<strong>in</strong>anderbricht, bzw. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>zelherrschaft ausartet, wenn bei Entscheidungen<br />

ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>stimmigkeit erzielt werden kann. E<strong>in</strong>e<br />

Regelung, nach der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen Falle die Stimme<br />

des Vorsitzenden entscheidet, hebt die Kollektivität<br />

der Entscheidung auf und bedeutet <strong>in</strong>haltlich e<strong>in</strong>en<br />

Rückfall <strong>in</strong> die <strong>Diktatur</strong>. Leider ist diese oder e<strong>in</strong>e<br />

ähnliche Regel dort wo bereits heute kollektive<br />

Leitungen existieren, e<strong>in</strong>e den demokratischen<br />

Charakter dieser Leitungsform zerstörende Praxis. Die<br />

e<strong>in</strong>zige demokratische Lösung des Problems der<br />

Entscheidungsfähigkeit des Triumvirats bei fehlender<br />

E<strong>in</strong>stimmigkeit ist die Regel, dass konsequent immer<br />

zwei Stimmen entscheiden, auch wenn dadurch der<br />

„Vorsitzende" überstimmt wird.<br />

Der Bundeskanzler bestimmt nach Art. 55 des<br />

Grundgesetzes die Richtl<strong>in</strong>ien der Politik. Er ist nicht<br />

etwa auf die Zustimmung des Kab<strong>in</strong>ettsangewiesen,<br />

sondern übt se<strong>in</strong>e Macht als E<strong>in</strong>zelner aus. Wir haben<br />

<strong>in</strong> Deutschland reichlich schlechte Erfahrungen mit<br />

58


„Basta-Politikern" wie Schröder, Kohl oder Schmidt<br />

gesammelt.<br />

Stellen sie sich daher bitte statt der Bundeskanzler<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong> Triumvirat an der Spitze der Regierung vor. Die<br />

Kanzler<strong>in</strong> könnte (und müsste!) jeden Beschluss mit<br />

ihren beiden Mitregenten sorgfältig beraten.<br />

Kurzfristige Fehlentscheidungen wären gewiss<br />

erheblich seltener. Das Parlament oder das Kab<strong>in</strong>ett<br />

s<strong>in</strong>d für derartige <strong>in</strong>tensive Beratungen schon wegen<br />

ihrer Größe ungeeignet.<br />

Natürlich erfordern derart tiefe E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> das<br />

bestehende System sehr viel Überzeugungsarbeit,<br />

aber ohne die und ohne tiefe E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> das<br />

Gewohnte kommt die <strong>Demokratie</strong>bewegung nicht<br />

voran. Wie stark wird sich der natürliche konservative<br />

Widerstand gegen alles Neue erweisen? Wie primitiv<br />

und e<strong>in</strong>fach - wenn auch unmenschlich - wäre<br />

dagegen der Übergang zu e<strong>in</strong>er <strong>Diktatur</strong>. Ich er<strong>in</strong>nere<br />

aus gutem Grund an diese Gefahr, die uns leider auf<br />

unserem Weg begleiten wird.<br />

Der Austausch der E<strong>in</strong>zelleiter <strong>in</strong> allen<br />

Lebensbereichen braucht viel Zeit und Arbeit. Er sollte<br />

aber -von unten nach oben durchgeführt werden. Es<br />

gibt e<strong>in</strong>e natürliche Grenze da, wo der erhöhte<br />

Personalaufwand <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Verhältnis zum Gewicht<br />

der Entscheidungen steht oder die Zeit, selbst für<br />

kurze Beratungen, fehlt, etwa bei<br />

Katastrophene<strong>in</strong>sätzen der Feuerwehr u. ä.<br />

Neue Ziele werfen aber neue Probleme auf. Natürlich<br />

müssen die neuen Leitungen gewählt werden. Aber<br />

59


wie? Wie kommen die Vertrauenswürdigsten an die<br />

Schalthebel der Macht und nicht irgendwelche<br />

„Parteisoldaten"? Wie werden sie kontrolliert und<br />

eventuell abgelöst? Fragen über Fragen und es wird<br />

klar, dass das nicht ohne weitere tiefe E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> das<br />

bestehende System möglich wird.<br />

17. Die Parteien an die Front<br />

Das Grundgesetz gibt den Parteien zwar nicht die<br />

Macht im Staate, wohl aber den verpflichtenden<br />

Auftrag, bei der politischen Willensbildung des Volkes<br />

mitzuwirken (Art. 21). Der gleiche Artikel zw<strong>in</strong>gt sie<br />

auch, ihre <strong>in</strong>nere Ordnung demokratischen<br />

Grundsätzen entsprechend zu gestalten.<br />

Nach me<strong>in</strong>er Vorstellung erfordert dies, die<br />

Basisgruppen auf e<strong>in</strong>e Mitgliederzahl zu beschränken,<br />

die es optimal zulässt, im kreativen Streitgespräch<br />

unter Beteiligung aller e<strong>in</strong> Problem e<strong>in</strong>er Lösung<br />

zuzuführen. Nach allgeme<strong>in</strong>er Erfahrung und<br />

zahlreichen wissenschaftlichen Studien liegt dieses<br />

Optimum unter 20 Personen. E<strong>in</strong> größerer Kreis bietet<br />

bestenfalls schöne Reden, aber weder die Zeit noch<br />

die Atmosphäre für offene Diskussionen. Me<strong>in</strong><br />

Vorschlag wäre, die Basisgruppen flexibel auf 8-16<br />

Mitglieder zu beschränken, also im Durchschnitt 12. So<br />

könnte e<strong>in</strong>mal die Stabilität der Gruppe bei Abgängen<br />

oder Zugängen erhalten bleiben. Zum anderen wäre <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er fast familiären Atmosphäre jede Scheu vor<br />

Me<strong>in</strong>ungsäußerungen ke<strong>in</strong> Problem mehr. Und<br />

schließlich wäre auch der f<strong>in</strong>anzielle und<br />

arbeitsmäßige Aufwand bei der Vorbereitung, den<br />

60


E<strong>in</strong>ladungen und der Durchführung von<br />

Versammlungen m<strong>in</strong>imiert.<br />

Wenn wir endlich mehr <strong>Demokratie</strong> wagen wollen,<br />

sollten zu den vom Grundgesetz geforderten<br />

demokratischen Grundsätzen für die <strong>in</strong>nere Ordnung<br />

der Parteien auch folgende gelten:<br />

1. Auch diese kle<strong>in</strong>e Gruppe sollte e<strong>in</strong>en Vorstand aus<br />

drei Mitgliedern wählen.<br />

2. Jedes Mitglied der Gruppe hat <strong>in</strong> entsprechender<br />

Berücksichtigung des Art. 38, Abs. 2 des<br />

Grundgesetzes nicht nur das Recht zu wählen,<br />

sondern auch das Recht gewählt zu werden. Die<br />

Namen der Gruppenmitglieder gehören ausnahmslos<br />

auf den Wahlzettel. Jede Kandidatenaufstellung<br />

schließt widerrechtlich andere von ihrem passiven<br />

Wahlrecht aus.<br />

3. Auch <strong>in</strong> diesem kle<strong>in</strong>en Kreis gelten<br />

une<strong>in</strong>geschränkt die Regeln der geheimen<br />

Abstimmung, sonst würden bewusst oder unbewusst<br />

die Abhängigkeiten des gesellschaftlichen Lebens die<br />

wahre Me<strong>in</strong>ung manches Wählers verfälschen. Es<br />

reicht, wenn sich jeder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Versammlungspause<br />

zurückziehen und unbeobachtet se<strong>in</strong>e Wahl treffen<br />

kann.<br />

4. Jeder Wähler kreuzt die Namen der drei<br />

Vertrauenswürdigsten an. Er darf e<strong>in</strong>e Stimme auch<br />

sich selbst geben. Man könnte e<strong>in</strong> entsprechendes<br />

Verbot ohneh<strong>in</strong> nicht überprüfen.<br />

5. Es wird <strong>in</strong> der Gruppe öffentlich ausgezählt. E<strong>in</strong><br />

neutraler Wahlleiter sollte h<strong>in</strong>zugezogen werden.<br />

61


6. Wer die meisten Stimmen hat, ist Vorsitzender. Die<br />

Mitglieder mit den zweit- oder drittmeisten Stimmen<br />

s<strong>in</strong>d gleichberechtigte Beisitzer - oder wie man sie<br />

sonst nennen möchte.<br />

7. Jede Entscheidung oder Festlegung des Vorstandes<br />

bedarf der Stimmen von wenigstens zwei<br />

Vorstandsmitgliedern, wenn e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>stimmigkeit nicht<br />

erzielt werden kann. Der Vorsitzende leitet <strong>in</strong> der<br />

Regel die Versammlung, kann aber bei<br />

Entscheidungen von bei den Beisitzern geme<strong>in</strong>sam<br />

überstimmt werden.<br />

E<strong>in</strong>e Bewerbung um e<strong>in</strong>en Platz im Vorstand oder<br />

Vorschläge dafür würden den demokratischen<br />

Charakter der Wahl e<strong>in</strong>schränken. Natürlich kann jeder<br />

Gewählte se<strong>in</strong>e Wahl ablehnen, obwohl das e<strong>in</strong><br />

unfreundlicher Akt gegen das ihm entgegen<br />

gebrachte Vertrauen wäre. Dann rückt eben der mit<br />

der nächsthöheren Stimmenzahl nach.<br />

Maßstab für die Wahl ist e<strong>in</strong>deutig die<br />

Vertrauenswürdigkeit, die der Gewählte bei se<strong>in</strong>en<br />

Gibt es e<strong>in</strong>en anderen, womöglich besseren Maßstab<br />

für den Wert e<strong>in</strong>es Menschen?<br />

Was aber s<strong>in</strong>d die Kriterien der Vertrauenswürdigkeit?<br />

Das muss wohl jeder Wähler für sich selbst<br />

entscheiden. Natürlich s<strong>in</strong>d Alter und Erfahrung des zu<br />

Wählenden, se<strong>in</strong>e Bildung und se<strong>in</strong>e Intelligenz, se<strong>in</strong>e<br />

Kommunikationsfähigkeit und se<strong>in</strong>e Eignung für die<br />

vorgesehene Funktion wichtig. Sage auch niemand,<br />

dass Religion, Geschlecht, Nationalität oder Vermögen<br />

ke<strong>in</strong>e Rolle spielen, aber man sollte das nicht<br />

62


überbewerten. Entscheiden d für die Wahl ist letztlich<br />

wohl die persönliche Sympathie, die man dem<br />

Gewählten entgegenbr<strong>in</strong>gt und die ist wohl e<strong>in</strong>e<br />

schwer def<strong>in</strong>ierbare Mischung aus Vernunft,<br />

Lebenserfahrung und -gefühl.<br />

Wie aber gelangt man von den demokratisch<br />

gewählten Ortsvorständen zu e<strong>in</strong>em ebenso<br />

demokratisch gewählten Parteivorstand der Republik?<br />

Wenn wir den gewohnten, demokratisch aber<br />

antiquierten Weg über Delegiertenversammlungen<br />

und dem Abnicken von oft <strong>in</strong> H<strong>in</strong>terstübchen<br />

ausgekungelten Kandidaten verlassen wollen, bleibt<br />

nur der Weg, wirklich mehr <strong>Demokratie</strong> zu wagen!<br />

Dieser Weg kann nach allen Erkenntnissen nur über<br />

e<strong>in</strong>en stufenweisen Aufbau der <strong>in</strong>neren Ordnung der<br />

Partei erfolgen.<br />

Das bedeutet, dass die gewählten Ortsvorstände<br />

gleichzeitig als Delegierte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zweiten, höheren<br />

Stufe der Partei aktiv werden. Nach me<strong>in</strong>em Vorschlag<br />

sollten die Vorstände von 3 bis 5 territorial<br />

benachbarten Basisgruppen, also 9 bis 15 Mitglieder<br />

sich als zweite Ebene zusammensetzen und aus<br />

diesem Kreis wiederum die drei Vertrauenswürdigsten<br />

als Vorstand e<strong>in</strong>er zweiten Ebene wählen, etwa als<br />

Kreisvorstand oder als Vorstand e<strong>in</strong>es größeren Ortes,<br />

je nach Mitgliederstärke der Partei. Die<br />

„hochgewählten" Vorstandsmitglieder können ohne<br />

großen Aufwand <strong>in</strong> den betroffenen Basisgruppen<br />

durch Nachrücken oder Neuwahl ersetzt werden. Das<br />

müsste von Stufe zu Stufe <strong>in</strong> gleicher Weise<br />

fortgesetzt werden bis <strong>in</strong> der 8. oder 10. Stufe e<strong>in</strong><br />

63


dreiköpfiger Parteivorstand auf Bundesebene gewählt<br />

würde.<br />

Zur anschaulichen Vorstellung dient folgendes Bild:<br />

Der Vorstand der ersten Ebene leitet als Team etwa 12<br />

Mitglieder, <strong>in</strong> der 2. Ebene s<strong>in</strong>d es bereits etwa 50. Die<br />

dritte Vorstandsebene ist schon für etwa 200, die<br />

vierte für etwa 800, die fünfte bereits für mehrere<br />

tausend Mitglieder zuständig.<br />

Jedem Dreierkopf auf jeder Ebene stünden 9-15<br />

„Berater", eben die Vorstände der nächst unteren<br />

Ebene, zur Verfügung, die gleichzeitig e<strong>in</strong>e wirksame<br />

Kontrollfunktion hätten und bei groben<br />

Leitungsfehlern ohne e<strong>in</strong> aufwendiges Verfahren den<br />

von ihnen selbst gewählten Vorstand durch e<strong>in</strong>e<br />

Neuwahl verändern oder auswechseln könnten.<br />

18. <strong>Demokratie</strong>? Ja! Aber wie?<br />

Die Parteien von diesem oder e<strong>in</strong>em ähnlichen Weg zu<br />

überzeugen, dürfte nicht e<strong>in</strong>fach, aber dennoch zu<br />

schaffen se<strong>in</strong>. Schließlich würde durch e<strong>in</strong>e<br />

Demokratisierung die Transparenz der Parteiarbeit<br />

und damit das Ansehen der Parteien bei den Wählern<br />

erheblich steigen. Viele von den <strong>Bürger</strong>n immer<br />

wieder beanstandete undemokratische<br />

Ersche<strong>in</strong>ungen würden wegfallen, z. B. das <strong>in</strong>terne<br />

Auskungeln von Kandidaten und Listenplätzen oder<br />

das Gerangel um Positionen.<br />

Die Demokratisierung von Parteien wäre e<strong>in</strong><br />

Funktionstest für die Stufenwahl und e<strong>in</strong> Vorbild für<br />

die Demokratisierung der gesamten Gesellschaft,<br />

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denn noch s<strong>in</strong>d die geforderten „tiefgreifenden<br />

Veränderungen" unserer <strong>Demokratie</strong> gar nicht erfolgt!<br />

Um wirklich allen <strong>Bürger</strong>n das passive Wahlrecht und<br />

reale Möglichkeiten zur Partizipation zu verschaffen,<br />

führt me<strong>in</strong>es Erachtens ke<strong>in</strong> Weg daran vorbei, auch <strong>in</strong><br />

den Dörfern und Städten nach dem territorialen<br />

Pr<strong>in</strong>zip überschaubare kle<strong>in</strong>e <strong>Bürger</strong>zellen ähnlich wie<br />

<strong>in</strong> den Parteien und nach den gleichen Grundsätzen zu<br />

bilden. In e<strong>in</strong>er ersten Phase könnten die drei<br />

Vorstandsmitglieder der vierten oder fünften Ebene<br />

die Aufgaben der <strong>Bürger</strong>meister übernehmen und<br />

selbst geme<strong>in</strong>sam mit anderen e<strong>in</strong>en „Kreistag"<br />

bilden.<br />

Es ist wichtig, dass schon die Vorstände der ersten<br />

Ebene bestimmte e<strong>in</strong>fache kommunale Aufgaben<br />

übertragen bekommen, damit die Wähler nicht<br />

irgendwelche, sondern eben die<br />

Vertrauenswürdigsten wählen.<br />

Erst wenn sich die Stufenwahl auf kommunaler Ebene<br />

e<strong>in</strong>gespielt und bewährt hat, sollte man nach der<br />

gleichen Methode von Stufe zu Stufe nach oben<br />

fortschreiten, bis letztlich e<strong>in</strong> Trio von<br />

„Bundeskanzlern" an der Spitze des Staates steht.<br />

Gerade diese letzte Phase erfordert erhebliche<br />

Gesetzesänderungen und br<strong>in</strong>gt dann wohl endlich<br />

die überfällige, vom Volk dann diskutierte und<br />

angenommene Verfassung.<br />

Manche E<strong>in</strong>zelheit wird sich wohl erst im Verlaufe der<br />

Durchführung als weniger geeignet erweisen und zu<br />

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s<strong>in</strong>nvollen Änderungen und Ergänzungen führen.<br />

Aber das ist bei jedem Entwicklungsprozess so und<br />

br<strong>in</strong>gt durch die neuen Erkenntnisse nachhaltigere<br />

Ergebnisse.<br />

Zu den von der Stufendemokratie erwarteten<br />

wesentlichen Ergebnissen gehören <strong>in</strong>sbesonders<br />

folgende:<br />

1. Jeder <strong>Bürger</strong> erhält neben dem aktiven auch das<br />

passive Wahlrecht.<br />

2. Bereits <strong>in</strong> der ersten Stufe werden 25% der<br />

Wahlberechtigten aktiv <strong>in</strong> die Politik e<strong>in</strong>bezogen.<br />

3. Die Aussicht, die Anerkennung se<strong>in</strong>er Mitbürger<br />

durch die Wahl zu verdienen, erzieht zu e<strong>in</strong>em<br />

gesellschaftsgerechten Verhalten.<br />

4. Jeder <strong>Bürger</strong> erhält die Gelegenheit, <strong>in</strong> vertrautem<br />

Kreise se<strong>in</strong>e nachbarschaftlichen Probleme, wie auch<br />

se<strong>in</strong>e politischen Ansichten zur Diskussion zu stellen<br />

und dadurch stärker als es bisher möglich war, am<br />

politischen Leben teilzunehmen.<br />

5. Die politische Willensbildung <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en Gruppen<br />

verh<strong>in</strong>dert weitgehend die zerstörerische Tendenz<br />

e<strong>in</strong>es anonymen Verhaltens der Individuen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Menschenmasse.<br />

6. Durch das Kriterium der Vertrauenswürdigkeit ist<br />

gewährleistet, dass von Stufe zu Stufe e<strong>in</strong>e qualitative<br />

Auswahl erfolgt und nur die Geeignetsten an die<br />

Spitze gelangen.<br />

7. Das Stufenmodell hat das Potenzial, auch <strong>in</strong><br />

anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens<br />

angewandt zu werden, etwa <strong>in</strong> den Kirchen und<br />

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anderen Organisationen, besonders aber <strong>in</strong> der<br />

Wirtschaft.<br />

8. Schließlich sollte nicht unerwähnt bleiben, dass das<br />

Modell auch für e<strong>in</strong>e übernationale Anwendung<br />

geeignet se<strong>in</strong> könnte, z. B. für die EU.<br />

In dem Jahrtausende langen, weltweiten,<br />

dynamischen Entwicklungsprozess der Menschheit ist<br />

die <strong>Demokratie</strong> der Kampf gegen jegliche<br />

Machtausübung durch E<strong>in</strong>zelne und deren<br />

unberechenbare Gefahren. Diese Funktion könnte<br />

durch die Verbreitung der Stufendemokratie <strong>in</strong> der<br />

bestmöglichen Weise erfüllt werden. Denn e<strong>in</strong>e<br />

Machtausübung durch E<strong>in</strong>zelne wäre weitgehend<br />

abgeschafft und die wenigen, s<strong>in</strong>nvollen Ausnahmen<br />

stünden unter Kontrolle oder wären auf<br />

gesellschaftlich so unbedeutende Entscheidungen<br />

beschränkt, für die e<strong>in</strong> erhöhter Personalaufwand<br />

nicht gerechtfertigt wäre.<br />

Es ist falsch anzunehmen, dass der <strong>Demokratie</strong>prozess<br />

dann beendet wäre. Neue äußere<br />

Bed<strong>in</strong>gungen, neue ethisch-moralische Auffassungen<br />

und viele andere Faktoren, die wir heute <strong>in</strong> unseren<br />

kühnsten Vorstellungen noch nicht erfassen können,<br />

werden den dynamischen Prozess <strong>Demokratie</strong> weiter<br />

voranbr<strong>in</strong>gen. Die Zukunft kann nur schöner werden!<br />

Seelitz / Sachsen, 10. 12. 2010<br />

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