Hitler und die Deutschen – ein symbiotisches Verhältnis? I ...

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8 muliert: Jeder müsse mit den Augen des Führers sehen lernen. Voraussetzung für ein solches Verhalten war die Suggestion, dass Hitler „traumwandlerisch sicher“ das Richtige tue und dass man selbst dieses Richtige in vorauseilendem Eifer erspüren könne. Ein anschauliches Beispiel für dieses Politikmuster, das den Untergebenen freie Hand zur Initiative ließ, ja sie geradezu zur Initiative ermunterte, war die Leitlinie, die Hitler 1939 dem Gauleiter des nach Kriegsbeginn von Polen annektierten Warthelandes anheim gab: „Ich stelle euch keine Fragen. Erst in zehn Jahren frage ich euch: ist der Warthegau rein deutsch?“ Im Wettlauf um die Gunst des Diktators suchten sich seine Satrapen gegenseitig den Rang abzulaufen, indem sie, den mutmaßlichen „Führerwillen“ antizipierend, mit radikalen Initiativen vorpreschten. Nicht zuletzt aus diesem Wechselspiel zwischen den oft bloß vage angedeuteten Intentionen Hitlers und den Initiativen der ihm nachgeordneten Instanzen lässt sich die entfesselte Dynamik des Regimes erklären. Ein solches zunehmend anarchisches Herrschaftssystem bedurfte allerdings gewisser ideologischer Richtpunkte. Sie lauteten: neue Weltmachtstellung Deutschlands, Lebensraum im Osten auf Kosten Polens und der Sowjetunion, Entfernung der Juden. Unter Vorgabe dieser weltanschaulichen Ziele herrschte im nationalsozialistischen System eine Art von politischem Sozialdarwinismus mit ständigen Rivalitäten und heftigen inneren Kämpfen. VI. Nach den Erfolgen in der Außen- sowie der Wirtschafts- und Sozialpolitik stieg Hitler in den späten 1930er Jahren im europäischen Ver-
9 gleich zum wohl populärsten nationalen Politiker auf. Die Zustimmung zu seiner Person, die oft die Gestalt ekstatischer Verehrung annahm, erfasste nahezu die gesamte deutsche Bevölkerung. Je größer die Erfolge schienen, desto unerreichbarer wurde jedoch auch Hitlers Position. Umgekehrt wurde dessen Blick auf die deutsche Gesellschaft unschärfer, da Hitler sich zunehmend aus der Innenpolitik zurückzog. Seit dem September 1939 befasste er sich fast nur noch mit Kriegspolitik und Militärstrategie. Hitler, nach wie vor ein unsteter, schwadronierender Nachtmensch, führte kaum noch geregelte Regierungsgeschäfte, zumal er das Reichskabinett schon seit 1938 nicht mehr einberief. In den ersten Kriegsmonaten unternahm die NS-Regierung den Versuch, den sozialen Besitzstand der Industriearbeiter zugunsten der Kriegsrüstung zu beschneiden. Die Zuschläge für Überstunden sowie für Sonntags-, Feiertags und Nachtarbeit sollten gestrichen, die tägliche Arbeitszeit gestreckt, der Urlaub gekürzt werden. Man nahm diese Beschränkungen aber schon im Spätherbst 1939 zurück, da man Streiks keinen Vorschub leisten wollte, wie sie den Nationalsozialisten aus dem Ersten Weltkrieg als Vorzeichen der Novemberrevolution von 1918 in traumatischer Erinnerung waren. Ein zweites 1918 sollte unbedingt vermieden werden. In diesem Kontext sind auch der vergleichsweise hohe Soldatensold und die Familienausgleichszahlungen für die an der Front kämpfenden Männer sowie eine Steuerpolitik zu sehen, die kleinere Einkommen begünstigte, andererseits den seit 1933 kontinuierlich gefallenen Anteil der Löhne am Volkseinkommen aber nicht hob.
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