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Hitler und die Deutschen – ein symbiotisches Verhältnis? I ...

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<strong>Hitler</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>–</strong> <strong>ein</strong> <strong>symbiotisches</strong> <strong>Verhältnis</strong>?<br />

I.<br />

Konzentrierten sich Film <strong>und</strong> Fernsehen in der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland lange Zeit auf <strong>die</strong> Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft,<br />

so rücken seit den 1990er Jahren zunehmend <strong>die</strong> Täter in den<br />

Mittelpunkt. Speziell mit Blick auf <strong>Hitler</strong> hat jüngst vor allem der<br />

Film „Der Untergang“ mit Bruno Ganz in der Rolle des Diktators Furore<br />

gemacht. Das Echo war ambivalent. Um <strong>ein</strong> Beispiel anzuführen:<br />

Zum US-amerikanischen Start des Films unter dem Titel „Downfall“<br />

veröffentlichte <strong>die</strong> „New York Times“ <strong>ein</strong>e Rezension ihres Filmkritikers<br />

A.O. Scott, <strong>die</strong> neben manchem Lob auch kritische Punkte<br />

anführt. „The most disturbing aspect of ‘Downfall’“, schreibt Scott<br />

etwa, „is the way it allows the au<strong>die</strong>nce's sympathy to gravitate toward<br />

some of these characters. Next to the Goebbelses, and to <strong>Hitler</strong>, many<br />

of the others don't look too bad. In part, this is a result of the<br />

conventions of film narrative, which more often than not invite us to<br />

identify with someone on screen ... Thus, General Monke ...starts to<br />

look like a crusty, straight-talking old officer out of an American<br />

World War II picture, while the open, earnest features of Prof. Ernst-<br />

Günther Schenck ... bespeak an uneasy conscience and a good heart,<br />

in spite of the SS lightning bolts on his collar. And Traudl Junge [<strong>Hitler</strong>s<br />

Sekretärin, M.Z.], who Ms. Lara plays with a winning combination<br />

of pluck and vulnerability, comes to resemble a Hollywood career<br />

girl in a 1940's melodrama. ... ‘Downfall’ implicitly affirms her innocence,<br />

and extends it to the German people at large. When Goebbels<br />

and <strong>Hitler</strong> refuse to express compassion for their own civilians, and


2<br />

declare that the Germans have brought their fate upon themselves, the<br />

movie is sending its domestic au<strong>die</strong>nce the soothing message that ordinary<br />

Germans were above all the victims of Nazism.“<br />

Der „Untergang“ kann <strong>ein</strong>em unbefangenen Betrachter in der Tat den<br />

Eindruck vermitteln, dass Offiziere, <strong>die</strong> bis zuletzt für <strong>Hitler</strong> kämpften<br />

<strong>und</strong> erst im April 1945 am Sinn <strong>die</strong>ses Kampfes zweifelten, <strong>ein</strong>e Art<br />

Widerstandskämpfer seien, <strong>und</strong> er evoziert angesichts der vom Bombenkrieg<br />

zerstörten <strong>und</strong> von den überlegenen Kräften der Roten Armee<br />

angegriffenen Reichshauptstadt Berlin das ebenso suggestive wie<br />

historische falsche Bild von den <strong>Deutschen</strong> als Hauptopfern des<br />

Zweiten Weltkrieges.<br />

Hinzu kommt <strong>–</strong> <strong>und</strong> damit nähern wir uns dem Thema des heutigen<br />

Abends -, dass es sich bei „Der Untergang“ um <strong>ein</strong>e Art Kammerspiel<br />

im Führerbunker handelt. Wir sehen dort <strong>ein</strong>en Diktator, der mit der<br />

Gesellschaft, <strong>die</strong> er <strong>ein</strong>st beherrschte, kaum noch verb<strong>und</strong>en ist. Ein<br />

paar Generäle, Sekretärinnen <strong>und</strong> Leib<strong>die</strong>ner, <strong>die</strong> Satrapen <strong>und</strong><br />

Günstlinge, <strong>die</strong> er noch in s<strong>ein</strong>er Nähe duldet, Eva Braun <strong>und</strong> s<strong>ein</strong><br />

Schäferh<strong>und</strong> Blon<strong>die</strong> - das ist <strong>die</strong> Welt s<strong>ein</strong>er letzten Monate. Während<br />

zeitgleich noch H<strong>und</strong>erttausende an den Fronten, in den zerbombten<br />

Städten <strong>und</strong> als KZ-Häftlinge auf den Todesmärschen der SS<br />

starben, fokussiert sich der Film auf <strong>ein</strong>en Diktator, der in s<strong>ein</strong>en<br />

Kellern <strong>und</strong> Bunkern weiterkämpfen lässt, als es längst zwecklos ist.<br />

Nicht zufällig werden in dem Maße, wie der „Führer“ als öffentliche<br />

Figur zurücktritt, s<strong>ein</strong>e Neigung zur Realitätsflucht, <strong>die</strong> Suche nach<br />

Sündenböcken für das militärische Desaster, s<strong>ein</strong>e Wutausbrüche <strong>und</strong><br />

s<strong>ein</strong> ständiges, seit dem 20. Juli 1944 noch exponentiell gewachsenes


3<br />

Gefühl sichtbar, von Verrätern umgeben zu s<strong>ein</strong>, schließlich <strong>die</strong> unbändige<br />

Rachsucht, <strong>die</strong> ihn noch in s<strong>ein</strong>en letzten St<strong>und</strong>en beherrschte.<br />

II.<br />

Will man aber etwas über <strong>die</strong> nationalsozialistische Herrschaft, über<br />

<strong>Hitler</strong>s Rolle in <strong>die</strong>sem Herrschaftssystem <strong>und</strong> über das Bild <strong>Hitler</strong>s in<br />

der deutschen Volksm<strong>ein</strong>ung erfahren, sollte man hingegen auf <strong>die</strong><br />

<strong>ein</strong>schlägige historische Literatur <strong>und</strong> dort nicht zuletzt auf <strong>die</strong> zweibändige<br />

<strong>Hitler</strong>-Biographie des britischen Historikers Ian Kershaw zurückgreifen.<br />

Vergleicht man Ian Kershaws Interpretation mit Joachim Fest <strong>Hitler</strong>-<br />

Biographie aus den 1970er Jahren, so werden <strong>die</strong> Unterschiede schnell<br />

deutlich. Fests Arbeit glänzt durch <strong>ein</strong>e atmosphärisch dichte<br />

Milieubeschreibung ebenso wie durch s<strong>ein</strong>e Beobachtungen zur<br />

Psyche des Diktators. Fests Gr<strong>und</strong>frage war durch s<strong>ein</strong>er Herkunft <strong>und</strong><br />

s<strong>ein</strong>e Generation bestimmt: Wie hatte sich insbesondere das deutsche<br />

Bildungsbürgertum <strong>ein</strong>em solchen Mann faszinieren lassen können?<br />

Bei der Beantwortung <strong>die</strong>ser Frage arbeitete Fest <strong>die</strong> negative „Größe“<br />

<strong>Hitler</strong>s heraus, dessen suggestiver Kraft das in s<strong>ein</strong>en Gr<strong>und</strong>werten<br />

erschütterte Bürgertum ebenso wenig widerstanden habe wie andere<br />

Schichten.<br />

Kershaw Ausgangsfrage ist ähnlich: Wie konnte <strong>ein</strong> Mann, dessen<br />

persönliche Eigenschaften „kaum vorbildlich, erhebend oder bereichernd“<br />

waren, <strong>ein</strong>e „so gewaltige historische Wirkung entfalten“?<br />

Zur Beantwortung <strong>die</strong>ser Frage wendet er allerdings <strong>die</strong> Perspektive.<br />

S<strong>ein</strong> Blick zielt nicht so sehr auf <strong>die</strong> Person <strong>Hitler</strong>, sondern auf das


4<br />

Wesen s<strong>ein</strong>er Macht; zur Erklärung <strong>die</strong>ser Macht müsse man, so Kershaw,<br />

„in erster Linie auf <strong>die</strong> anderen <strong>und</strong> nicht auf <strong>Hitler</strong> selbst<br />

schauen“. Diese Perspektive sch<strong>ein</strong>t mir für <strong>die</strong> Fragestellung des<br />

heutigen Abends <strong>die</strong> fruchtbarere zu s<strong>ein</strong>, wenngleich - <strong>die</strong>s ist mehrfach<br />

kritisch zu Kershaws <strong>Hitler</strong>-Biographie angemerkt worden - der<br />

britische Autor selbst <strong>die</strong>se Blickrichtung nicht immer durchhält <strong>und</strong><br />

in <strong>ein</strong>er Biographie wohl auch nicht durchhalten kann.<br />

III.<br />

Adolf <strong>Hitler</strong> war zu Beginn s<strong>ein</strong>er politischen Aktivität, darin stimmen<br />

Kershaw <strong>und</strong> Fest über<strong>ein</strong>, <strong>ein</strong> sozial Gescheiterter im Dunstkreis des<br />

rechten Milieus, beherrscht von Ressentiments gegen jene, <strong>die</strong> s<strong>ein</strong>es<br />

Erachtens für das eigene Elend <strong>und</strong> das der Nation verantwortlich waren.<br />

Nach dem Ersten Weltkrieg stieg er schnell auf - vom deprimierten<br />

Sonderling zum Unikum mit <strong>ein</strong>er „großen Goschn“ zunächst,<br />

dann zum Hauptredner der Münchner Propagandaabteilung der<br />

Reichwehr, schließlich zum gefeierten Bierkelleragitator. Dort wurde<br />

er als der direkte Ausdruck der Empfindungen der Massen<br />

wahrgenommen, als von politischen Kompromissen <strong>und</strong> Intrigen unbefleckte<br />

Stimme der Entrechteten.<br />

Der Redner <strong>Hitler</strong>s orientierte sich am Beifall. Das, was am lautesten<br />

bejubelt wurde, verkündete er am heftigsten. Er sagt nichts anderes als<br />

<strong>die</strong> übrigen deutsch-völkischen Radikalen, aber er sagt es besonders<br />

ungezügelt. Am meisten tobten <strong>die</strong> Leute, wenn er gegen <strong>die</strong> Juden<br />

hetzte. Also sprach er mehr <strong>und</strong> mehr <strong>und</strong> bald fast nur noch über <strong>die</strong><br />

Juden. Er funktionierte wie <strong>ein</strong> Empfänger <strong>und</strong> Verstärker der von<br />

ihm erspürten Erwartungen. Je länger er so auftrat, desto mehr hielt er


5<br />

das unablässig Propagierte für s<strong>ein</strong>e eigene Überzeugung. Es war der<br />

anschwellende Beifall, der ihn allmählich glauben machte, er selbst<br />

sei nicht lediglich der „Trommler“ für <strong>ein</strong>en kommenden Führer,<br />

sondern <strong>die</strong>ser angekündigte „Führer“ höchstpersönlich.<br />

Was <strong>Hitler</strong> mit s<strong>ein</strong>er Anhänger- <strong>und</strong> Zuhörerschaft aus dem deutschvölkischen<br />

Lager verband, war wohl nicht <strong>ein</strong>e präzise politische<br />

Überzeugung als <strong>ein</strong> Gefühl: das Trauma der Erniedrigung, des Betrugs<br />

<strong>und</strong> der nationalen Katastrophe, markiert durch <strong>die</strong> Kriegsniederlage<br />

von 1918, <strong>die</strong> Novemberrevolution, den Versailler Frieden,<br />

durch Räterepublik <strong>und</strong> Rote Ruhrarmee, parlamentarische Demokratie<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Machtbeteiligung der vor 1914 als „vaterlandslose Gesellen“<br />

stigmatisierten Sozialdemokraten. Je unverständlicher der Absturz<br />

Deutschlands schien, desto heftiger wucherten Verschwörungstheorien<br />

<strong>und</strong> Antisemitismus: Danach trugen <strong>die</strong> f<strong>ein</strong>dlichen Mächte<br />

<strong>und</strong> anonyme internationale Kräfte, als deren Symbol <strong>die</strong> Juden figurierten,<br />

an allem Schuld. <strong>Hitler</strong>s Versprechen lautete: Wiederaufstieg<br />

zu alter nationaler Größe, ja mehr noch, zu nie gekannter Größe. Dass<br />

er dabei k<strong>ein</strong>e Risiken abwägte, sondern Vabanque spielte, blieb s<strong>ein</strong><br />

Erfolgsrezept über <strong>die</strong> Jahre, als Parteiführer wie als Diktator, in der<br />

Innen- wie in der Außenpolitik. Das machte ihn für andere, <strong>die</strong> Rücksichten<br />

nahmen <strong>und</strong> Risiken <strong>ein</strong>schätzten, so unberechenbar.<br />

IV.<br />

Es war <strong>ein</strong> seltsames Regime, das sich 1933 etablierte, mit <strong>ein</strong>em<br />

Diktator an der Spitze, der Reden hielt oder faulenzte, nicht aber systematisch<br />

regierte. Das Regime funktionierte gleichwohl, <strong>und</strong> <strong>Hitler</strong>s<br />

Nimbus schien immer strahlender. Zu sehen ist <strong>die</strong>s vor dem Hinter-


6<br />

gr<strong>und</strong> <strong>ein</strong>erseits der Weltwirtschaftskrise, andererseits <strong>ein</strong>er tiefen<br />

Traumatisierung durch Niederlage <strong>und</strong> Nachkriegszeit. Das wiederum<br />

konstituierte in breiten Teilen der Bevölkerung <strong>die</strong> Bereitschaft zur<br />

machtverheißenden Unterwerfung unter den, der versprach, <strong>die</strong><br />

„Schande“ von 1918 zu tilgen.<br />

Der Einfluss des Nationalsozialismus auf <strong>die</strong> deutsche Bevölkerung<br />

nach 1933 kann nicht all<strong>ein</strong> auf <strong>die</strong> brutale <strong>und</strong> rigorose Unterdrückung<br />

der politischen Opposition <strong>und</strong> auf M<strong>ein</strong>ungsmanipulation zurückgeführt<br />

werden, so wichtig <strong>die</strong>se Faktoren auch waren. Eine erhebliche<br />

Rolle spielten zudem <strong>die</strong> außenpolitischen Erfolge des Regimes<br />

von der Wieder<strong>ein</strong>führung der allgem<strong>ein</strong>en Wehrpflicht über <strong>die</strong><br />

Aufhebung der Entmilitarisierung des Rh<strong>ein</strong>lands bis zur Annexion<br />

Österreichs, des Sudentenlandes <strong>und</strong> Tschechiens. Hinzu kam <strong>ein</strong> propagandistisch<br />

induzierter, mit der Person <strong>Hitler</strong> <strong>und</strong> s<strong>ein</strong>em Politikstil<br />

ganz <strong>und</strong> gar nicht in Einklang stehender Führer-Mythos, der in denkbar<br />

großem Gegensatz zur geringen Popularität der NSDAP als Partei<br />

<strong>und</strong> der „kl<strong>ein</strong>en <strong>Hitler</strong>“ vor Ort stand. In <strong>die</strong>sem Mythos wurde <strong>Hitler</strong><br />

als „unser <strong>Hitler</strong>“, als Mann aus dem Volke, als rastlos Arbeitender<br />

<strong>und</strong> Vollstrecker des Volkswillens stilisiert. Jeder politische Erfolg<br />

wurde ihm von der Goebbelsschen Propaganda persönlich zugeschrieben.<br />

Zum zweiten wurde <strong>Hitler</strong> dort gemäß dem überkommenen<br />

Wunschbild vom „guten König“ als Herrscher modelliert, der über<br />

den Querelen des Alltags stand <strong>und</strong> für <strong>die</strong> „Untertanen“ jederzeit <strong>ein</strong><br />

offenes Ohr hatte. Zum dritten fand <strong>Hitler</strong> Anerkennung als <strong>ein</strong> Führer,<br />

der rigoros durchgriff, um Ordnung zu schaffen. Dabei applau<strong>die</strong>rte<br />

wohl <strong>die</strong> Mehrheit der Bevölkerung auch den skrupellosen<br />

Morden an der SA-Führung <strong>und</strong> warf damit bereitwillig anerzogene


7<br />

moralische Gr<strong>und</strong>sätze über Bord. Und nicht zuletzt sicherte der - vor<br />

allem aufrüstungsbedingte - wirtschaftliche Aufschwung <strong>Hitler</strong> breite<br />

Zustimmung.<br />

<strong>Hitler</strong> selbst wurde vermutlich erst nach der als Triumph empf<strong>und</strong>enen<br />

Aufhebung der Entmilitarisierung des Rh<strong>ein</strong>lands im März 1936<br />

vollends zum Anhänger des auf ihn gemünzten Führer-Mythos. Zuvor<br />

hatte er, wenn er von sich selbst sprach, kaum jene messianischen<br />

Wendungen verwandt, <strong>die</strong> Goebbels <strong>und</strong> andere zur Modellierung des<br />

Führermythos <strong>ein</strong>setzten. Am 14. März 1936 hörte man <strong>Hitler</strong> jedoch<br />

<strong>die</strong> Worte sagen: „Ich gehe mit traumwandlerischer Sicherheit den<br />

Weg, den mich <strong>die</strong> Vorsehung gehen heißt.“ Fortan an fehlten dergleichen<br />

Beschwörungen, <strong>die</strong> <strong>ein</strong>e mystische Verbindung zwischen Führer<br />

<strong>und</strong> Vorsehung herstellten, in kaum <strong>ein</strong>er wichtigen <strong>Hitler</strong>-Rede.<br />

V.<br />

Der Führermythos als Projektionsfläche für Unterwerfungs- <strong>und</strong><br />

Machtphantasien leitete darüber hinaus große Teile der NSDAP, der<br />

gesellschaftlichen Führungsgruppen aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung.<br />

Ähnliches galt für <strong>die</strong> Spitze der Reichswehr, <strong>die</strong> sich <strong>Hitler</strong><br />

1934 durch ihre Unterstützung der Mordaktionen an der SA-Führung<br />

moralisch bis zu <strong>ein</strong>em gewissen Grade ausgeliefert hatte.<br />

Nicht nur in der Spitze des Regimes agierte man vielfach ohne expliziten<br />

Führerbefehl <strong>und</strong> stellte sich, faktisch in eigener Machtvollkommenheit,<br />

vor, was <strong>Hitler</strong> in <strong>die</strong>ser oder jener Situation wohl tun<br />

oder wollen würde. „Dem Führer entgegenarbeiten“, so hat <strong>ein</strong> Regierungsbeamter<br />

<strong>die</strong>ses Handlungsmuster 1934 zum Ausdruck gebracht.<br />

Noch deutlicher hat es der Führerstellvertreter Rudolf Heß 1933 for-


8<br />

muliert: Jeder müsse mit den Augen des Führers sehen lernen. Voraussetzung<br />

für <strong>ein</strong> solches Verhalten war <strong>die</strong> Suggestion, dass <strong>Hitler</strong><br />

„traumwandlerisch sicher“ das Richtige tue <strong>und</strong> dass man selbst <strong>die</strong>ses<br />

Richtige in vorauseilendem Eifer erspüren könne. Ein anschauliches<br />

Beispiel für <strong>die</strong>ses Politikmuster, das den Untergebenen freie Hand<br />

zur Initiative ließ, ja sie geradezu zur Initiative ermunterte, war <strong>die</strong><br />

Leitlinie, <strong>die</strong> <strong>Hitler</strong> 1939 dem Gauleiter des nach Kriegsbeginn von<br />

Polen annektierten Warthelandes anheim gab: „Ich stelle euch k<strong>ein</strong>e<br />

Fragen. Erst in zehn Jahren frage ich euch: ist der Warthegau r<strong>ein</strong><br />

deutsch?“<br />

Im Wettlauf um <strong>die</strong> Gunst des Diktators suchten sich s<strong>ein</strong>e Satrapen<br />

gegenseitig den Rang abzulaufen, indem sie, den mutmaßlichen „Führerwillen“<br />

antizipierend, mit radikalen Initiativen vorpreschten. Nicht<br />

zuletzt aus <strong>die</strong>sem Wechselspiel zwischen den oft bloß vage angedeuteten<br />

Intentionen <strong>Hitler</strong>s <strong>und</strong> den Initiativen der ihm nachgeordneten<br />

Instanzen lässt sich <strong>die</strong> entfesselte Dynamik des Regimes erklären.<br />

Ein solches zunehmend anarchisches Herrschaftssystem bedurfte allerdings<br />

gewisser ideologischer Richtpunkte. Sie lauteten: neue Weltmachtstellung<br />

Deutschlands, Lebensraum im Osten auf Kosten Polens<br />

<strong>und</strong> der Sowjetunion, Entfernung der Juden. Unter Vorgabe <strong>die</strong>ser<br />

weltanschaulichen Ziele herrschte im nationalsozialistischen System<br />

<strong>ein</strong>e Art von politischem Sozialdarwinismus mit ständigen Rivalitäten<br />

<strong>und</strong> heftigen inneren Kämpfen.<br />

VI.<br />

Nach den Erfolgen in der Außen- sowie der Wirtschafts- <strong>und</strong> Sozialpolitik<br />

stieg <strong>Hitler</strong> in den späten 1930er Jahren im europäischen Ver-


9<br />

gleich zum wohl populärsten nationalen Politiker auf. Die Zustimmung<br />

zu s<strong>ein</strong>er Person, <strong>die</strong> oft <strong>die</strong> Gestalt ekstatischer Verehrung annahm,<br />

erfasste nahezu <strong>die</strong> gesamte deutsche Bevölkerung. Je größer<br />

<strong>die</strong> Erfolge schienen, desto unerreichbarer wurde jedoch auch <strong>Hitler</strong>s<br />

Position. Umgekehrt wurde dessen Blick auf <strong>die</strong> deutsche Gesellschaft<br />

unschärfer, da <strong>Hitler</strong> sich zunehmend aus der Innenpolitik zurückzog.<br />

Seit dem September 1939 befasste er sich fast nur noch mit Kriegspolitik<br />

<strong>und</strong> Militärstrategie. <strong>Hitler</strong>, nach wie vor <strong>ein</strong> unsteter, schwadronierender<br />

Nachtmensch, führte kaum noch geregelte Regierungsgeschäfte,<br />

zumal er das Reichskabinett schon seit 1938 nicht mehr <strong>ein</strong>berief.<br />

In den ersten Kriegsmonaten unternahm <strong>die</strong> NS-Regierung den Versuch,<br />

den sozialen Besitzstand der Industriearbeiter zugunsten der<br />

Kriegsrüstung zu beschneiden. Die Zuschläge für Überst<strong>und</strong>en sowie<br />

für Sonntags-, Feiertags <strong>und</strong> Nachtarbeit sollten gestrichen, <strong>die</strong> tägliche<br />

Arbeitszeit gestreckt, der Urlaub gekürzt werden. Man nahm <strong>die</strong>se<br />

Beschränkungen aber schon im Spätherbst 1939 zurück, da man<br />

Streiks k<strong>ein</strong>en Vorschub leisten wollte, wie sie den Nationalsozialisten<br />

aus dem Ersten Weltkrieg als Vorzeichen der Novemberrevolution<br />

von 1918 in traumatischer Erinnerung waren. Ein zweites 1918 sollte<br />

unbedingt vermieden werden. In <strong>die</strong>sem Kontext sind auch der vergleichsweise<br />

hohe Soldatensold <strong>und</strong> <strong>die</strong> Familienausgleichszahlungen<br />

für <strong>die</strong> an der Front kämpfenden Männer sowie <strong>ein</strong>e Steuerpolitik zu<br />

sehen, <strong>die</strong> kl<strong>ein</strong>ere Einkommen begünstigte, andererseits den seit 1933<br />

kontinuierlich gefallenen Anteil der Löhne am Volks<strong>ein</strong>kommen aber<br />

nicht hob.


10<br />

Die Zurückhaltung der Bevölkerung in den ersten Kriegstagen, <strong>die</strong><br />

durch <strong>die</strong> Erinnerung an den Ersten Weltkrieg bestimmt war, wich<br />

bald <strong>ein</strong>em nationalistischen Taumel: Der „Blitzkrieg“ in Polen, <strong>die</strong><br />

Besetzung Dänemarks <strong>und</strong> Norwegens, der deutsche Angriff auf <strong>die</strong><br />

Niederlande <strong>und</strong> Belgien, schließlich der siegreiche Einmarsch in Paris<br />

1940 führten zu <strong>ein</strong>en Siegesrausch, der dem Führermythos <strong>ein</strong>en<br />

letzten Höhepunkt bescherte, bei dem <strong>Hitler</strong> nun als überlegener Feldherr<br />

modelliert wurde. Aber auch <strong>die</strong> vergleichsweise günstig sch<strong>ein</strong>ende<br />

wirtschaftliche Lage <strong>und</strong> <strong>die</strong> sozialpolitischen Maßnahmen des<br />

Regimes vor allem zugunsten der Soldatenfamilien trugen das Ihre<br />

dazu bei, dass bis 1941 k<strong>ein</strong> breiterer Dissens zum Regime aufkam.<br />

Mit dem Beginn des Krieges gegen <strong>die</strong> Sowjetunion 1941 reduzierte<br />

sich <strong>Hitler</strong>s Auftreten in der Öffentlichkeit zunehmend. Das Geschehen<br />

jenseits der Kriegsfronten spielte für ihn kaum noch <strong>ein</strong>e Rolle.<br />

Ab <strong>und</strong> zu <strong>ein</strong> Besuch in Berlin, <strong>ein</strong> Staatsakt, <strong>ein</strong>e Rede <strong>–</strong> nach der<br />

deutschen Niederlage bei Stalingrad Anfang 1943 hört selbst das fast<br />

ganz auf.<br />

Im Winter 1941 widersetzte sich <strong>Hitler</strong> den Vorschlägen s<strong>ein</strong>er Generäle,<br />

sich an der Ostfront großflächig zurückzuziehen <strong>und</strong> blieb damit<br />

erfolgreich. Seither war s<strong>ein</strong> Vertrauen in <strong>die</strong> eigenen militärischen<br />

Führungsfähigkeit unbegrenzt. Auf Niederlagen reagierte er mit Wutanfällen;<br />

s<strong>ein</strong>e militärischen Berater tauschte er aus <strong>und</strong> ersetzte sie<br />

durch willfährigere. Als das nichts nützte, entließ er auch sie. Verrat<br />

wurde für <strong>Hitler</strong> mehr <strong>und</strong> mehr zur alles erklärenden Kategorie. Wutausbrüche,<br />

Schreiduelle mit s<strong>ein</strong>en Generälen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Übernahme von<br />

mehr <strong>und</strong> mehr Detailaufgaben der operativen Führung waren <strong>die</strong>


11<br />

Folge. Als der „Führer“ sich schließlich mit der Manteldicke von Panzergranaten<br />

<strong>und</strong> dem Einsatz <strong>ein</strong>zelner Infanteriedivisionen beschäftigte,<br />

konnte von <strong>ein</strong>er koordinierten Führung schon lange k<strong>ein</strong>e Rede<br />

mehr s<strong>ein</strong>.<br />

Womit sich <strong>Hitler</strong> jenseits der militärischen Operationen befasste,<br />

hing von Zufällen <strong>und</strong> von der Person dessen ab, der den jeweiligen<br />

Vorschlag machte. In <strong>die</strong>sem Sinne wurde der <strong>Hitler</strong>, mit dem Wort<br />

des Historikers Hans Mommsen, tatsächlich zu <strong>ein</strong>em „schwachen<br />

Diktator“. „Der Führer ist, wenn ihm <strong>ein</strong>e Sache von den verschiedensten<br />

Seiten vorgetragen wird, in s<strong>ein</strong>en Entschlüssen manchmal etwas<br />

schwankend“, notierte Propagandaminister Josef Goebbels in s<strong>ein</strong> Tagebuch.<br />

„Da muss schon etwas nachgeholfen werden.“<br />

VII.<br />

Die militärischen Rückschläge <strong>und</strong> der Rückzug <strong>Hitler</strong>s aus der Öffentlichkeit<br />

konnten nicht ohne Folgen für den Führermythos bleiben.<br />

Das Vertrauen, das <strong>die</strong> Bevölkerung in den ersten Kriegsjahren in den<br />

„Führer“ gesetzt hatte, begann zuerst langsam <strong>und</strong> seit 1943 rapide zu<br />

sinken. Der Balkankrieg, der Angriff auf <strong>die</strong> UdSSR, das Stocken des<br />

Vormarsches auf Moskau im Spätherbst 1941, <strong>die</strong> Kriegserklärung an<br />

<strong>die</strong> USA im Dezember 1941 <strong>und</strong> <strong>die</strong> seit 1942 verstärkten alliierten<br />

Bombenangriffe ließen den erwarteten Siegfrieden in weite Ferne rücken.<br />

Nach der deutschen Niederlage bei Stalingrad Anfang 1943 erreichte<br />

<strong>die</strong> Stimmung <strong>ein</strong>en Tiefpunkt. Hatte der Krieg sich den Soldaten<br />

anfangs eher als touristisches Großereignis dargestellt denn als<br />

Bündelung von Schrecknissen, so lernten sie an der Ostfront <strong>die</strong> Grausamkeit<br />

des Krieges kennen - <strong>und</strong> praktizierten sie oft selbst in <strong>ein</strong>er


12<br />

Weise, <strong>die</strong> in der Geschichte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts kaum ihresgleichen<br />

findet. Das gilt insbesondere für jene, <strong>die</strong> als Angehörige der SS, der<br />

Polizei oder auch der Sicherungs<strong>ein</strong>heiten der Wehrmacht in Osteuropa<br />

Juden, Zigeuner, psychisch Kranke, politische Gegner <strong>und</strong><br />

verm<strong>ein</strong>tliche oder reale Partisanen erschossen.<br />

In gewisser Weise waren <strong>die</strong>se Untaten, <strong>ein</strong>schließlich der Ausplünderung<br />

der besetzten Länder, aber auch <strong>ein</strong> später Kitt für <strong>die</strong> nationalsozialistische<br />

Herrschaft. Die NS-Führer wussten, dass sie <strong>und</strong> ihre Gefolgsleute<br />

Verbrechen begingen. Noch ehe der systematische Mord an<br />

den Juden begann, m<strong>ein</strong>te <strong>Hitler</strong> zu Goebbels, man habe „sowieso so<br />

viel auf dem Kerbholz, dass wir siegen müssen“.<br />

Die freiwilligen Meldungen zur Wehrmacht ließen 1942/43 indes<br />

nach; umgekehrt konnte jetzt <strong>die</strong> Drohung mit dem Front<strong>ein</strong>satz als<br />

Druckmittel gegen <strong>ein</strong>e wachsende Renitenz <strong>ein</strong>gesetzt werden.<br />

Zugleich weckten wachsende Versorgungslücken <strong>und</strong> <strong>die</strong> alliierten<br />

Bombenangriffe nicht lediglich Hass auf den Gegner, Revanchegefühle<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> illusionäre Hoffnung auf Vergeltungs- <strong>und</strong> W<strong>und</strong>erwaffen.<br />

Der Bombenkrieg zog auch das Prestige der Führung in Mitleidenschaft,<br />

da das Regime den versprochenen Schutz des deutschen<br />

Luftraums nicht gewährleisten konnte. Bombenangriffe, Versorgungsengpässe<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> in der zweiten Kriegshälfte nun doch überhandnehmenden<br />

Über- <strong>und</strong> Sonntagsschichten in Betrieben <strong>und</strong> Verwaltungen<br />

riefen Verdrossenheit <strong>und</strong> Sehnsucht nach <strong>ein</strong>em schnellen Kriegsende<br />

hervor. Und nicht nur <strong>die</strong> NSDAP, sondern auch <strong>Hitler</strong> selbst<br />

wurde jetzt explizit in <strong>die</strong> Kritik <strong>ein</strong>bezogen.


13<br />

Gleichwohl blieb es, sieht man von dem zahlenmäßig doch recht kl<strong>ein</strong>en<br />

Kreis des 20. Juli 1944, von der Weißen Rose <strong>und</strong> von versprengten<br />

kommunistischen Widerstandsgruppen ab, bei politischer<br />

Abstinenz. Das ist zum Teil auf den Abglanz zurückzuführen, der von<br />

<strong>Hitler</strong>s Nimbus geblieben war, aber eben nur zum Teil. Weitere Ursachen<br />

lagen in wachsender Repression - <strong>die</strong> Masse der nach 1933 an<br />

<strong>Deutschen</strong> vollstreckten schätzungsweise 30.000 Todesurteile fiel in<br />

<strong>die</strong> Kriegsjahre - <strong>und</strong> in schierer physischer Erschöpfung. Überschichten,<br />

nächtliche Fliegerangriffe, Bombentote in der eigenen Familie,<br />

das Bestreben, in den oft beschädigten Wohnungen weiterzuleben,<br />

nahmen Zeit <strong>und</strong> Energie nun nahezu ganz in Anspruch. Bombenkrieg<br />

<strong>und</strong> Trümmerlandschaft legten aber auch, so absurd das zunächst ersch<strong>ein</strong>en<br />

mag, Kräfte frei, <strong>die</strong> den Krieg verlängern halfen. Denn<br />

durch <strong>die</strong> Flucht in <strong>die</strong> Arbeit ließ sich das Nachdenken über <strong>die</strong><br />

desolate Gesamtlage vermeiden.<br />

Zu bedenken ist zudem der millionenfache „Ausländer<strong>ein</strong>satz“ in der<br />

deutschen Wirtschaft. Zunächst handelte es sich dabei um <strong>ein</strong> rücksichtsloses<br />

Ausbeutungssystem, dessen Hauptträger neben der Spitze<br />

des Regimes zahlreiche Unternehmen waren, während es für Ausländer<br />

in der Landwirtschaft vergleichsweise erträglich war. Wie es ausländischen<br />

Arbeitern in der Industrie erging, hing auch von den Wachmannschaften<br />

<strong>und</strong> von den deutschen Arbeitern ab. Deutsche, <strong>die</strong> in<br />

direktem Arbeitskontakt zu Ausländern standen, hatten <strong>die</strong> Rolle des<br />

Vorgesetzten inne. Das folgte aus der rassistischen „Arbeits<strong>ein</strong>satzpolitik“<br />

in der NS-Kriegswirtschaft. „Rassen“ <strong>und</strong> Nationalitäten sollten<br />

strikt getrennt bleiben; ganz oben rangierten <strong>die</strong> <strong>Deutschen</strong>, darunter<br />

Angehörige „germanischer Nachbarvölker“, auf wiederum niedrigeren


14<br />

Stufen französische Zivilarbeiter <strong>und</strong> Kriegsgefangene <strong>und</strong> ganz unten<br />

<strong>die</strong> Polen, <strong>die</strong> sowjetischen Fremdarbeiter <strong>und</strong> Kriegsgefangenen.<br />

Deutsche Arbeiter, <strong>die</strong> den Vorgesetzten-Status gegenüber Ausländern<br />

kennen lernten, erfuhren, wie es war, Befehle nicht nur zu empfangen,<br />

sondern auch zu erteilen. Während des „totalen Krieges“ trugen <strong>die</strong>ser<br />

neue soziale Status sowie <strong>die</strong> Erleichterungen im Arbeitsprozess, <strong>die</strong><br />

mit ihm verknüpft waren, nicht unerheblich zur weiteren Hinnahme<br />

des Regimes <strong>und</strong> des Krieges bei.<br />

Gleichwohl: Je länger der Krieg dauerte, desto mehr zerriss das Band<br />

zwischen <strong>Hitler</strong> <strong>und</strong> deutscher Bevölkerung. Die Berichte über das<br />

fassungslose Entsetzen, das erhebliche Teile der Bevölkerung nach<br />

dem Attentat vom 20. Juli 1944 ergriff, verweisen jedoch auf immer<br />

noch glimmende Reste des <strong>Hitler</strong>-Mythos. Die Mehrheit der <strong>Deutschen</strong><br />

war zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt aber nur noch mit dem eigenen Überleben<br />

befasst, mit dem Regime hatte man gebrochen.<br />

VIII.<br />

Ebenso wenig wie das Verhalten der deutschen Bevölkerung angesichts<br />

des Krieges lässt sich der systematische Mord, an den Juden all<strong>ein</strong><br />

aus dem Führermythos erklären. Sicher, <strong>Hitler</strong>s Äußerungen gegen<br />

<strong>die</strong> Juden waren durchweg von ungezügelter Radikalität, zugleich<br />

aber wenig konkret. Anders als bei der Kriegsführung griff der „Führer“<br />

hier in <strong>die</strong> Einzelheiten der Vernichtungspolitik nicht <strong>ein</strong>. Als<br />

überaus bedeutsam erwies sich allerdings, dass mit <strong>Hitler</strong> <strong>ein</strong> Judenhasser<br />

an der Spitze des Regimes stand, der als unablässig zu schärferem<br />

Vorgehen antrieb. Mit s<strong>ein</strong>er erstmals am 30. Januar 1939 <strong>und</strong><br />

dann wieder <strong>und</strong> wieder öffentlich ausgesprochenen Drohung, <strong>ein</strong> er-


15<br />

neuter Weltkrieg werde zur Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa<br />

führen, wies er früh <strong>die</strong> Perspektive zum Mord. Von besonderer<br />

Relevanz war dann <strong>die</strong> Verzahnung zwischen deutscher Kriegsführung<br />

im Osten <strong>und</strong> der Ermordung der jüdischen Opfer. Seit jeher<br />

hatten <strong>die</strong> Zerschlagung des Sowjetkommunismus <strong>und</strong> <strong>die</strong> Vernichtung<br />

der Juden im Zentrum von <strong>Hitler</strong>s Obsessionen gestanden. S<strong>ein</strong>e<br />

Entschlüsse, ganze Städte <strong>und</strong> Regionen der UdSSR dem Hungertod<br />

preiszugeben, sind bis ins Einzelne belegt.<br />

Aber das war nicht nur bei ihm all<strong>ein</strong> in <strong>die</strong> Anlage <strong>die</strong>ses Rassen<strong>und</strong><br />

Vernichtungskrieges <strong>ein</strong>geschrieben; es entsprach auch den Wünschen<br />

der Parteiführung <strong>und</strong> erheblicher Teile der Führungsgruppen in<br />

Verwaltung <strong>und</strong> Militär. Der Massenmord an den Juden, der Hungertod<br />

von H<strong>und</strong>erttausenden sowjetischen Kriegsgefangenen <strong>–</strong> am<br />

Ende kamen 3,3 Millionen der 5,7 Millionen Kriegsgefangenen aus<br />

der UdSSR in deutschem Gewahrsam um - wurde seit dem Sommer<br />

1941 Wirklichkeit, ohne dass es dazu <strong>ein</strong>es expliziten Führerbefehls<br />

bedurfte.<br />

Da jeder SS-Führer <strong>und</strong> Behördenchef in Polen <strong>und</strong> Russland wusste,<br />

dass „der Führer“ in der Judenpolitik radikalste Konzepte <strong>und</strong> Taten<br />

billigte, hatten hier Vorschläge, <strong>die</strong> auf Ausgleich oder Kompromiss<br />

bedacht waren oder auch nur <strong>die</strong> Belange der deutschen Kriegswirtschaft<br />

in den Vordergr<strong>und</strong> rückten, k<strong>ein</strong>e wirkliche Chance.<br />

Über <strong>die</strong> ideologischen, wirtschaftlichen <strong>und</strong> politischen Faktoren, <strong>die</strong><br />

in den deutsch besetzten Ostgebieten den Übergang zum Genozid bewirkten,<br />

erfährt man aus <strong>ein</strong>er auf <strong>Hitler</strong> fokussierten Perspektive<br />

kaum etwas. Der Diktator legitimierte <strong>die</strong> Massenvernichtung <strong>und</strong>


16<br />

kann als deren „ideologischer Motor“ (Hans Mommsen) bezeichnet<br />

werden, bei der konkreten Durchsetzung des massenhaften Mordens<br />

war er aber nur <strong>ein</strong> Faktor unter mehreren. Folgende wesentliche<br />

Kennzeichen der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik seien<br />

hier zusätzlich genannt:<br />

• Als gr<strong>und</strong>legende Determinanten Diktatur <strong>und</strong> Krieg. Der imperialistische<br />

<strong>und</strong> rassistische Eroberungskrieg des <strong>Deutschen</strong> Reiches in<br />

Osteuropa richtete sich auf <strong>ein</strong>e umfassende Vernichtung des F<strong>ein</strong>des,<br />

auf Zerstörung <strong>und</strong> Tod in extremster Form.<br />

• Als mentale Disposition <strong>ein</strong>e völkisch-rassistische Sicht gesellschaftlicher<br />

Fragen, <strong>die</strong> nicht all<strong>ein</strong> in den Weltanschauungseliten<br />

des Regimes verankert war <strong>und</strong> <strong>die</strong> vermittels solcher Termini wie<br />

„Endziel“ <strong>und</strong> „Endlösung“ den Weg zur systematischen Tötung<br />

ebnete. Der völkische Rassismus stellte hierfür <strong>ein</strong>en Diskurs zur<br />

Verfügung, der das herkömmliche projektive Abwehrverhalten<br />

nicht nur gegen <strong>die</strong> Juden, sondern auch gegen Gruppen wie <strong>die</strong><br />

‚Zigeuner’ in <strong>ein</strong> relativ geschlossenes Gesellschaftsbild überführte.<br />

In <strong>die</strong>ser Vorstellungswelt figurierten nicht Individuen oder <strong>ein</strong>e<br />

universale Menschheit, sondern „Völker“ als Träger der Geschichte.<br />

Die „Erbsubstanz“ des durch „Auslese“ zu fördernden<br />

„deutschen Volkes“ galt dabei im Innern als auch durch äußere Einflüsse<br />

von Gruppen <strong>und</strong> Personen gefährdet, <strong>die</strong> man als „minderwertig“<br />

stigmatisierte. Diese Biologisierung des Gesellschaftlichen,<br />

der zufolge sich mit der „rassischen R<strong>ein</strong>heit“ auch <strong>die</strong> Leistungsfähigkeit<br />

des deutschen Volkes zur Unüberwindbarkeit steigern<br />

werde, wurde zum Kern des nationalsozialistischen Projektes. Mit-


17<br />

samt der besonderen F<strong>ein</strong>dschaft gegen <strong>die</strong> Juden ging <strong>die</strong>ses Projekt<br />

als zentrale Voraussetzung in <strong>die</strong> konkreten Entscheidungsprozesse<br />

für <strong>die</strong> Vernichtungspolitik <strong>ein</strong>. Ein Abrücken von <strong>die</strong>ser zugleich<br />

dynamischen <strong>und</strong> utopischen Zielvorstellung wäre in der nationalsozialistischen<br />

Führung, <strong>die</strong> sich ja nicht auf <strong>Hitler</strong> reduzierte,<br />

als Selbstaufgabe empf<strong>und</strong>en worden <strong>und</strong> hätte in den Konkurrenzkämpfen<br />

an der Spitze des Regimes als Verrat in Anschlag gebracht<br />

werden können.<br />

• Mit dem Reichssicherheitshauptamt unter R<strong>ein</strong>hard Heydrich <strong>ein</strong>e<br />

dominante Verfolgungsinstanz, deren Selbstverständnis auf <strong>ein</strong>er<br />

primär rassistischen Sicht von „Sicherheit“ fußte <strong>und</strong> deren Durchsetzungsmacht<br />

nicht zuletzt auf <strong>die</strong>se funktionale Reduktion gesellschaftlicher<br />

Komplexität zurückzuführen ist.<br />

Eine wesentliches Element der Vernichtungspolitik lag in den mentalen<br />

Strategien sowohl zur Leugnung als auch zur Legitimation des<br />

Mordens. Polizei <strong>und</strong> Bürokratie tabuisierten <strong>die</strong> Deportationen von<br />

Juden als „Evakuierung“ <strong>und</strong> als „Transport“, als „Aus-“ oder „Umsiedlung“.<br />

Diese Begriffe verhüllten <strong>die</strong> Mordvorbereitungen gerade<br />

durch ihre Deutungsoffenheit. Die Deportationen waren darüber hinaus<br />

<strong>ein</strong> arbeitsteiliger Prozess. Die daraus folgende Aufspaltung der<br />

Zuständigkeiten, das Dienstanweisungsprinzip <strong>und</strong> <strong>die</strong> verm<strong>ein</strong>tliche<br />

Selbstlegitimation des bürokratischen Verfahrens begünstigten <strong>die</strong><br />

Betäubung des Gewissens <strong>und</strong> <strong>die</strong> Leugnung oder das Kl<strong>ein</strong>reden der<br />

eigenen Mitverantwortung. Bisweilen war auch <strong>die</strong> beschwichtigende<br />

Auffassung zu hören, bei den Morden, <strong>die</strong> man beobachtete oder von<br />

denen man wusste, könne es sich nur um ver<strong>ein</strong>zelte, von <strong>Hitler</strong> nicht


18<br />

gewollte Ausnahmen oder Entgleisungen handeln. Auf <strong>die</strong>se Weise<br />

brachten vor allem im besetzten Osteuropa etliche Deutsche zum Ausdruck,<br />

dass sie über den Mord an den Juden genug wussten, um - mit<br />

<strong>ein</strong>em Wort des israelischen Historikers David Bankier - „zu wissen,<br />

dass es besser ist, wenn man nicht noch mehr weiß.“<br />

Andere gem<strong>ein</strong>same Muster lauteten: Man befolge nur Befehle; andere<br />

Institutionen seien noch stärker an den Tötungen beteiligt <strong>und</strong> für<br />

sie verantwortlich als man selbst; bei den Massentötungen, <strong>die</strong> man<br />

selbst beobachtete oder von denen man wusste, könne es sich nur um<br />

kriegsbedingte, von der Führung nicht gewollte Ausnahmen oder Entgleisungen<br />

handeln. Eine psychisch entlastende Funktion hatte des<br />

weiteren das Bemühen, <strong>die</strong> Opfer ihres menschlichen Charakters zu<br />

entkleiden. So waren etwa <strong>die</strong> in Auschwitz-Birkenau zusammengepferchten<br />

Juden <strong>und</strong> Zigeuner bald in <strong>ein</strong>er Weise krank <strong>und</strong> schwach,<br />

dass sie den Verursachern <strong>die</strong>ses Zustandes vollends als „Untermenschen“<br />

galten. Eine Rolle spielte dann <strong>die</strong> Fiktion, den Opfern mittels<br />

der Massentötung gar <strong>ein</strong>e Gnade zu erweisen. Manche Beteiligte<br />

suchten <strong>die</strong>se Morde in der Tat mit der Behauptung zu legitimieren,<br />

sie seien <strong>die</strong> weitaus „humanere Lösung“ als <strong>ein</strong> qualvolles Dahinsiechen,<br />

sie würden zudem Epidemien verhindern <strong>und</strong> sogar das Leben<br />

der verschonten Opfer erhalten.<br />

Bei jenen, welche <strong>die</strong> Opfer selbst erschossen, war <strong>die</strong> Konstellation<br />

noch anders. Dort wurde das Gebot „Du sollst nicht töten“ nicht lediglich<br />

durch ideologische Motive, sondern auch durch <strong>ein</strong>en Gruppendruck<br />

zurückgedrängt, gemäß dem sich möglichst jeder - zumindest<br />

<strong>ein</strong>mal - aktiv an den Morden beteiligen sollte. Einfluss hatten


19<br />

außerdem Karrierismus, Verrohung, Alkoholismus, <strong>die</strong> zunehmende<br />

Lust am Töten selbst <strong>und</strong> <strong>ein</strong> Männlichkeitsbild, das den Mord zu<br />

maskuliner Härte verklärte. Hinzu kam das beruhigende Wissen, dass<br />

<strong>die</strong> Tötungen von der politischen Führung gebilligt <strong>und</strong> rückhaltlos<br />

gedeckt würden. Bei manchen Angehörigen der polizeilichen Tötungs<strong>ein</strong>heiten<br />

spielten <strong>die</strong>se Antriebsfaktoren jedoch kaum <strong>ein</strong>e<br />

Rolle. Dennoch mordeten auch sie. Das hat Jan Philipp Reemtsma zu<br />

der folgenden pointierten Formulierung veranlasst: „Viele taten es,<br />

weil sie es wollten. Andere wollten es, weil sie es taten.“<br />

Die Äußerungen, mit denen SS, Wehrmachts<strong>ein</strong>heiten <strong>und</strong> Polizei <strong>die</strong><br />

Tötung von Juden zu rechtfertigen suchten, stellten <strong>die</strong> gängigen antisemitischen<br />

Klischees in <strong>ein</strong>en instrumentellen Zusammenhang mit<br />

der deutschen Kriegsführung <strong>und</strong> Besatzungsherrschaft. Neben dem<br />

Stigma des „unnützen Essers“ wurde vor allem das Agenten- <strong>und</strong> Partisanenklischee<br />

gegen <strong>die</strong> Opfer in Anschlag gebracht. Solche Stereotype<br />

ermöglichten es den Mördern, ihre Verbrechen in phantasmagorischer<br />

Form gegen den „jüdischen Bolschewismus“ aufzurechnen<br />

<strong>und</strong> mit den imaginierten positiven Folgen für <strong>die</strong> eigene Kriegsführung<br />

zu legitimieren.<br />

Die Zahl der Täter lässt sich nur mehr ungefähr schätzen. Bezeichnet<br />

man als Täter all jene, <strong>die</strong> Verfolgung <strong>und</strong> Tötung vorbereiteten, organisierten,<br />

ausführten oder aktiv unterstützten, so gelangt man zu <strong>ein</strong>er<br />

Größenordnung von <strong>ein</strong>igen H<strong>und</strong>erttausend Reichsdeutschen, besonders<br />

in SS <strong>und</strong> Polizei, in den Besatzungs- <strong>und</strong> Innenverwaltungen,<br />

in den Sicherungstruppen der Wehrmacht <strong>und</strong> bei der Waffen-SS.<br />

Hinzu kamen Tausende von Auslandsdeutschen, <strong>die</strong> meist in Hilfs-


20<br />

funktionen agierten. Diese deutschen Täter wurden wiederum von<br />

mehreren H<strong>und</strong>erttausend ausländischen Hilfskräften unterstützt, sei<br />

es in kollaborierenden Staaten, in der Hilfspolizei, in den Hilfs<strong>die</strong>nsten<br />

der Wehrmacht oder in der Waffen-SS.<br />

Jenseits der Gruppe der Täter ist aber auch von Gewicht, dass viele<br />

Deutsche <strong>–</strong> <strong>und</strong> manche von ihnen sehenden Auges - von der Ausplünderung<br />

<strong>und</strong> Deportation der Juden materiell profitierten. All<strong>ein</strong> in<br />

Hamburg wurde zwischen 1941 <strong>und</strong> 1945 das Eigentum von 30.000<br />

Juden aus Deutschland <strong>und</strong> Westeuropa öffentlich versteigert. Mindestens<br />

100.000 Einwohner der Stadt <strong>und</strong> ihrer Umgebung dürften in<br />

<strong>die</strong>sem Zeitraum Gegenstände aus jüdischem Besitz erworben haben.<br />

Außerdem wurden viele jüdische Unternehmen in Europa durch Hamburger<br />

Firmen „arisiert“.<br />

XI.<br />

Ich komme zum Schluss: Das Verhalten der <strong>Deutschen</strong> zwischen 1933<br />

<strong>und</strong> 1945 all<strong>ein</strong> aus der Beziehung zu <strong>Hitler</strong> deuten zu wollen, wäre<br />

sicher <strong>ein</strong> zu <strong>ein</strong>fache Antwort auf <strong>ein</strong> überaus komplexes Problem,<br />

zumal der allgem<strong>ein</strong>e Terminus „<strong>die</strong> <strong>Deutschen</strong>“ unterschiedliche soziale<br />

Klassen, Schichten <strong>und</strong> Gruppen umgreift <strong>und</strong> <strong>die</strong> zwölf Jahre<br />

nationalsozialistischer Herrschaft, wie wir gesehen haben, recht differente<br />

Ausformungen des Führer-Mythos <strong>und</strong> s<strong>ein</strong>er Akzeptanz zeitigten.<br />

Festzuhalten bleibt jedoch zweierlei, das <strong>die</strong> große Bedeutung des<br />

Führermythos für <strong>die</strong> deutsche Gesellschaft <strong>und</strong> Politik zwischen 1933<br />

<strong>und</strong> 1945 zum Ausdruck bringt.<br />

Erstens: In <strong>ein</strong>er zunehmend zerrissenen <strong>und</strong> heterogenen Diktatur<br />

bildete der „Führer“ den <strong>ein</strong>zigen gem<strong>ein</strong>samen Bezugspunkt für <strong>die</strong>


21<br />

Vielzahl der sich ansonsten befehdenden Satrapen <strong>und</strong> Herrschaftsbereiche.<br />

In <strong>die</strong>ser konfliktübergreifenden Integrationsrolle lag <strong>die</strong> zentrale<br />

Bedeutung <strong>Hitler</strong>s im System der Führerdiktatur. Die Dynamik,<br />

<strong>die</strong> durch <strong>ein</strong>e solche anarchische Herrschaftsstruktur entfesselt<br />

wurde, war zudem <strong>ein</strong>e entscheidende Voraussetzung für <strong>die</strong> Radikalisierung<br />

der antisemitischen Vorkriegspolitik des Regimes hin zum<br />

Genozid nach dem Angriff auf <strong>die</strong> Sowjetunion, <strong>die</strong> man als Todf<strong>ein</strong>d<br />

ansah <strong>und</strong> von „jüdischen Bolschewisten“ beherrscht wähnte.<br />

Zweitens: Nicht weltanschaulich-politische Überzeugungen <strong>und</strong> wirtschaftspolitische<br />

Entscheidungen als solche haben das Dritte Reich in<br />

erster Linie integriert, sondern - ich folge hier Ian Keshaw - „der jahrelang<br />

ungebrochene, wirkungsmächtige, zum Schluss ins Nichts zerfallende<br />

Mythos <strong>ein</strong>es Mannes.“ Das <strong>Hitler</strong>bild in Propaganda <strong>und</strong><br />

Volksm<strong>ein</strong>ung modellierte den Diktator<br />

• als „unseren <strong>Hitler</strong>“, als kinder- <strong>und</strong> tierliebenden Mann aus dem<br />

Volke, der den Volkswillen exekutierte <strong>und</strong> für Arbeit <strong>und</strong> Brot<br />

sorgte;<br />

• als Herrscher, der über den Querelen des Alltags thronte <strong>und</strong> für<br />

<strong>die</strong> Verfehlungen s<strong>ein</strong>er Unterführer nicht verantwortlich zu machen<br />

sei;<br />

• als Führer, der rigoros durchgriff, um Ordnung zu schaffen;<br />

• <strong>und</strong> - schon abgehobener - als Feldherr, der Deutschlands Kriegsführung<br />

in West <strong>und</strong> Ost in genialischer Weise bestimmte.


22<br />

Hervorzuheben, da für den politischen Aufstieg <strong>Hitler</strong>s besonders<br />

wichtig, ist schließlich dessen Verheißung, das Trauma der nationalen<br />

Katastrophe, <strong>die</strong> Niederlage von 1918 durch den Wiederaufstieg zu<br />

nie gekannter Größe zu kompensieren. Mit der neuerlichen Kriegsniederlage,<br />

<strong>die</strong> sich spätestens mit der verlorenen Schlacht um Stalingrad<br />

deutlich abzeichnete, verging der Führer-Mythos deshalb aus <strong>ein</strong>em<br />

in<strong>ein</strong>ander verschränkten doppelten Gr<strong>und</strong>: Der Erfolg als Gr<strong>und</strong>bedingung<br />

<strong>die</strong>ses Mythos verkehrte sich in s<strong>ein</strong> Gegenteil, in Misserfolg<br />

<strong>und</strong> totale Niederlage - <strong>und</strong> <strong>die</strong>s mit dem Krieg in genau jenem Feld,<br />

das <strong>die</strong> Revanche für <strong>die</strong> Niederlage von 1918 hätte bringen <strong>und</strong> national-imperiale<br />

Größenphantasien hätte durchsetzen sollen.<br />

Michael Zimmermann (Essen)<br />

Literaturempfehlungen<br />

Joachim C. Fest: <strong>Hitler</strong>. Eine Biographie, Frankfurt am Main 1976<br />

Ulrich Herbert (Hrsg.): Nationalsozialistische Vernichtungspolitik 1939 - 1945.<br />

Neue Forschungen <strong>und</strong> Kontroversen, Frankfurt am Main 42001<br />

Ludolf Herbst: Das nationalsozialistische Deutschland 1933 - 1945. Die Entfesselung<br />

der Gewalt: Rassismus <strong>und</strong> Krieg, Frankfurt am Main 1996<br />

Ian Kershaw: Der <strong>Hitler</strong>-Mythos. Volksm<strong>ein</strong>ung <strong>und</strong> Propaganda im Dritten<br />

Reich, Stuttgart 1980<br />

Ian Kershaw: <strong>Hitler</strong>. 1889 - 1936, Stuttgart 1998<br />

Ian Kershaw: <strong>Hitler</strong>. 1936 - 1945, Stuttgart 2000

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