Zeitschrift des Titanic- Verein Schweiz
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und gestoppt sei. Diese Meldung<br />
drang jedoch nie zur Schiffsführung<br />
der TITANIC durch. Später wurde<br />
Lord vorgehalten, dass er, wenn<br />
er die TITANIC schon so explizit<br />
warnen liess, davon ausgegangen<br />
sein muss, dass die Lichter, die er<br />
sehen konnte, die von der TITANIC<br />
waren. Wenn allerdings die Stopp-<br />
Position der CALIFORNIAN korrekt<br />
war, konnte sie in den 40 Minuten<br />
seit dem Stoppen nicht so weit<br />
nach Süden verdriftet worden<br />
sein, um die TITANIC sehen zu können.<br />
Der Funker Evans legte sich nach<br />
der missratenen Kommunikation<br />
mit der TITANIC schlafen.<br />
Bis Mitternacht hatte der 3. Offizier<br />
Groves Wache. Er war der einzige<br />
unter den Nautikern, der das<br />
andere Schiff mit eigenen Augen<br />
gesehen und für ein Passagierschiff<br />
gehalten hat. Sein Kapitän<br />
widersprach ihm bereits auf der<br />
Brücke, konnte Groves aber offensichtlich<br />
nicht von dem Eindruck<br />
abbringen.<br />
Groves sah, wie das andere Schiff<br />
um 23:40 Uhr Schiffszeit CALIFOR-<br />
NIAN stoppte und die Lichter auszuschalten<br />
schien. Auf Nachfragen<br />
<strong>des</strong> britischen Untersuchungsausschuss<br />
gab Groves zu, dass ein<br />
Verlöschen der Lichter auch eine<br />
optische Täuschung gewesen sein<br />
könnte - wenn das andere Schiff<br />
nämlich so stark abgedreht hatte,<br />
dass es statt der Breitseite der CA-<br />
LIFORNIAN nun den Bug zuwandte.<br />
Einige Minuten nach Mitternacht<br />
wurde Groves vom 2. Offizier<br />
Stone und dem Anwärter Gibson<br />
abgelöst. Stone war von Lord eingeschärft<br />
worden, das andere<br />
Schiff genau zu beobachten. Wie<br />
vor ihm schon Groves versuchte<br />
Stone, mit der Morselampe Kontakt<br />
mit dem anderen Schiff aufzunehmen,<br />
erhielt jedoch keine<br />
Antwort. Dafür sah er allerdings<br />
erst einen Lichtblitz über dem anderen<br />
Schiff, den er ab der zweiten<br />
Erscheinung dieser Art dann<br />
für weisse Raketen hielt. Insgesamt<br />
wurden von CALIFORNIAN aus<br />
acht Raketen gesichtet - und diese<br />
Raketen bereiteten Stone einiges<br />
Kopfzerbrechen. Denn zum<br />
einen stiegen sie nicht so hoch auf<br />
wie Raketen es normalerweise taten,<br />
so dass er die Vermutung hegte,<br />
diese Raketen würden von einem<br />
anderen Schiff hinter dem<br />
Horizont abgefeuert; zum anderen<br />
jedoch verwirrte es Stone, dass die<br />
Raketen ihre Peilung veränderten,<br />
wenn auch das andere Schiff seine<br />
Peilung änderte, so dass diese Raketen<br />
eigentlich doch von dem<br />
Dampfer abgefeuert worden sein<br />
mussten 7 . Denn laut Stone begann<br />
die Peilung <strong>des</strong> anderen Schiffes<br />
sich mit Beginn <strong>des</strong> Abfeuerns der<br />
Raketen zu verändern, was darauf<br />
hindeutete, dass das andere Schiff<br />
wieder Fahrt aufnahm. Auch hörten<br />
weder Stone noch Gibson die<br />
Explosionsgeräusche von den Raketen.<br />
Beide beobachteten das<br />
andere Schiff weiter, und Gibson<br />
bemerkte, dass dieses irgendwie<br />
schräg im Wasser zu liegen schien,<br />
als wenn es Schlagseite nach<br />
steuerbord zu haben schien - so<br />
sagte er zumin<strong>des</strong>t vor dem britischen<br />
Untersuchungsausschuss 8 .<br />
So verlockend die Schlagseite nach<br />
steuerbord auch zu sein scheint:<br />
An dieser Stelle muss betont werden,<br />
dass die TITANIC nach Aussagen<br />
Überlebender Schlagseite<br />
nach backbord hatte!<br />
Stone informierte Kapitän Lord<br />
per Sprachrohr über die abgefeuerten<br />
Raketen und liess später den<br />
Anwärter den Kapitän noch persönlich<br />
informieren, dass das andere<br />
Schiff ausser Sicht war. Lord<br />
fragte bezüglich der Raketen je<strong>des</strong><br />
Mal, ob es Reedereisignale wären<br />
und ob sie irgendwelche Farben<br />
hätten - Stone erklärte, dass er<br />
nicht wüsste, ob es Reedereisignale<br />
wären, und dass alle Raketen<br />
weiss waren.<br />
Mit dem Wissen, das seit dem 15.<br />
April 1912 verfügbar ist, liegt es<br />
natürlich nahe, dass die CALIFORNI-<br />
AN die Notraketen der TITANIC gesichtet<br />
hat - allerdings gibt es einen<br />
entscheidenden Punkt: Stone<br />
sah, wie das andere Schiff seine<br />
Peilung veränderte, woraus er<br />
schloss, dass dieses Schiff in Fahrt<br />
sei, und dementsprechend antwortete<br />
er vor dem britischen Untersuchungsausschuss,<br />
als er offenbar<br />
zu der Erklärung gebracht<br />
werden sollte, dass er die Seenot<br />
<strong>des</strong> anderen Dampfers anhand der<br />
Raketen hätte erkennen müssen:<br />
«Ein Dampfer, der in Seenot ist,<br />
fährt nicht vor Ihnen weg, my<br />
Lord.» 9<br />
Nachdem der andere Dampfer verschwunden<br />
war, sah Gibson einige<br />
Zeit später erneut einen Lichtblitz<br />
am Horizont und kurz darauf noch<br />
mal zwei weitere, die in Intervallen<br />
abgefeuert wurden. Diese<br />
Leuchtsignale schienen aus noch<br />
grösserer Entfernung als die ersten<br />
acht zu kommen.<br />
6<br />
TITANIC-Post Nr. 65, September 2008