Dezember 2012 - Greifswald
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Die<br />
Wenn ich an Weihnachten denke, fällt mir immer<br />
eine ganz bestimmte kleine Katze ein. Zum<br />
ersten Mal begegnete ich ihr an einem<br />
Herbsttag, als Mrs. Ainsworth mich gebeten<br />
hatte, nach einem ihrer Hunde zu sehen. Überrascht<br />
schaute ich mir das kleine struppige<br />
Geschöpf an, das da vor dem Kamin saß. "Ich<br />
wusste gar nicht, dass Sie eine Katze haben",<br />
sagte ich. Mrs. Ains-worth lächelte. "Wir haben<br />
auch keine. Das ist Debbie. Sie ist eine<br />
Streunerin. Sie kommt zwei- oder dreimal in der<br />
Woche, und wir geben ihr etwas zu fressen."<br />
"Haben Sie den Eindruck, dass sie bei Ihnen bleiben<br />
möchte?" "Nein." Mrs. Ainsworth schüttelte<br />
den Kopf. "Sie ist ein scheues kleines Ding.<br />
Kommt hereingeschlichen, frisst ein bisschen,<br />
und schon ist sie wieder weg. Sie hat etwas<br />
Rührendes, aber sie will offenbar weder mit mir<br />
noch mit irgendjemand sonst etwas zu tun<br />
haben." Ich sah mir die Katze wieder an. "Aber<br />
heute will sie nicht einfach nur gefüttert werden."<br />
"Das stimmt. Es ist komisch, aber ab und zu<br />
kommt sie hereingehuscht und sitzt ein paar<br />
Minuten am Kamin. Als ob sie sich einmal etwas<br />
Gutes gönnen möchte." "Ja, ich verstehe." Es war<br />
etwas Außergewöhnliches in Debbies Haltung.<br />
Sie saß kerzengerade auf dem dicken Teppich<br />
vor dem Kamin und machte keine Anstalten, sich<br />
zusammenzurollen oder zu putzen, sondern<br />
blickte nur still vor sich hin. Und irgendetwas an<br />
dem staubigen Schwarz ihres Fells, ihrem halbwilden,<br />
mageren Äußeren sagte mir, dass das<br />
hier ein besonderes Ereignis in ihrem Leben war,<br />
eine seltene und wunderbare Sache. Sie genoss<br />
voll Wonne eine Behaglichkeit, von der sie sonst<br />
nicht einmal träumen konnte. Während ich sie<br />
noch beobachtete, drehte sie sich um, schlich<br />
lautlos aus dem Zimmer und war fort. "So ist das<br />
immer mit Debbie", lachte Mrs. Ainsworth. "Sie<br />
bleibt nie länger als zehn Minuten." Mrs.<br />
Ainsworth war eine mollige Frau mit freundlichem<br />
Gesicht, etwas über vierzig und genau so,<br />
wie ein Tierarzt sich seine Kunden wünscht -<br />
wohlhabend, großzügig und Besitzerin von drei<br />
verhätschelten Bassets. Der für diese Rasse typische<br />
leidende Gesichtsausdruck brauchte sich<br />
nur ein wenig zu verstärken, und schon geriet<br />
Mrs. Ainsworth in größte Aufregung und eilte ans<br />
Telefon. Meine Besuche bei Mrs. Ainsworth<br />
waren deshalb häufig, aber ohne ernsten<br />
Hintergrund, und ich hatte reichlich Gelegenheit,<br />
die Katze zu beobachten, die mich brennend<br />
interessierte.<br />
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