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3.2.1.1 Allgemeiner Teil Pharmakologie<br />
3.2.1.1 Intravenöse Anästhesie – TIVA<br />
V. VON DOSSOW-HANFSTINGL<br />
15 Urologie<br />
1 Allgemeiner Überblick –<br />
Pharmakologische Grundlagen<br />
Ein wichtiges Ziel der Anästhesieführung<br />
ist es, eine adäquate Medikamentenwirkung<br />
während des gesamten Verlaufes einer<br />
Operation bis in die postoperative Phase<br />
sicherzustellen. Zu den Anästhetika zählen<br />
Hypnotika, Analgetika und die Muskelrelaxanzien.<br />
Diese Medikamente werden<br />
verabreicht, um die bewusste und unbewusste<br />
Wahrnehmung zu unterdrücken,<br />
um die hämodynamischen Reaktionen auf<br />
schmerzhafte Stimuli zu dämpfen und um<br />
ein bewegungsfreies Operationsfeld zu gewährleisten.<br />
Um dieses therapeutische Ziel<br />
zu erreichen, muss die Dosierung der Anästhetika<br />
den individuellen Bedürfnissen des<br />
einzelnen Patienten ständig angepasst<br />
werden.<br />
Eine unabdingbare Vor<strong>aus</strong>setzung für eine<br />
adäquate Narkoseführung sind die Kenntnisse<br />
der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik<br />
der in der Anästhesie verwendeten<br />
intravenösen Substanzen, um folgende<br />
Anforderungen an die Narkose zu gewährleisten<br />
[1]:<br />
• Steuerbarkeit: Vertiefen, Abflachen oder<br />
Beenden der Narkose bei Bedarf möglich<br />
• Ausreichende Sicherheitsbreite: Dosierung<br />
zum Ausschalten von Schmerzempfinden<br />
und Bewusstsein sollte um<br />
ein Vielfaches niedriger sein als die Dosierung,<br />
bei der vitale Funktionen <strong>aus</strong>fallen<br />
(Regulation von Herz-Kreislauffunktion,<br />
Temperatur, Wasser- und Elektrolyth<strong>aus</strong>halt)<br />
• Reversibilität: rasches Abklingen der<br />
Ausfallserscheinungen nach Ende der<br />
Narkose<br />
• Heute wird im englischsprachigen<br />
Schrifttum der bekannte Aphorismus<br />
zur Erläuterung der Pharmakokinetik<br />
und Pharmakodynamik herangezogen<br />
[2, 3].<br />
Merke: „Pharmacokinetics is what the<br />
body does to the drug“. „Pharmacodynamic<br />
is what the drug does to the body“.<br />
Intravenöse Anästhetika besitzen einen<br />
schnellen Wirkungseintritt und sind daher<br />
zur Narkoseeinleitung meist besser geeignet<br />
als die <strong>Inhal</strong>ationsanästhetika. Die<br />
Steuerbarkeit der Wirkung während der<br />
Narkose ist allerdings ungünstiger.<br />
1.1 Pharmakokinetik<br />
Die Pharmakokinetik befasst sich ganz allgemein<br />
mit den Einflüssen des Organismus<br />
auf Pharmaka. Sie beschreibt insbesondere<br />
die Verteilung von Medikamenten im Körper<br />
sowie deren Ausscheidung. Dazu nutzt<br />
sie vor allem Kompartimentmodelle, die es<br />
ermöglichen, den zeitabhängigen Verlauf<br />
von Plasmakonzentrationen zu berechnen<br />
und auch vorherzusagen. Die Pharmakokinetik<br />
untersucht dabei den Zusammenhang<br />
zwischen der Dosierung eines Medikamentes<br />
und dem resultierenden Konzentrationsverlauf.<br />
Für die meisten der in<br />
Eckart • Jaeger • Möllhoff – <strong>Anästhesiologie</strong> – 21. Erg.-Lfg. 2/11 1<br />
7 Gefäßchirurgie 6 Anästhesieverfahren 5 Begleiterkrankungen 4 Neurochirurgie 3 Pharmakologie 16 Schmerztherapie<br />
21
Pharmakologie Allgemeiner Teil 3.2.1.1<br />
7 Gefäßchirurgie 6 Anästhesieverfahren 5 Begleiterkrankungen 4 Neurochirurgie 3 Pharmakologie 16 Schmerztherapie 15 Urologie<br />
der Anästhesie angewandten Medikamente<br />
liegt eine lineare Pharmakokinetik im<br />
eingesetzten Dosierungsbereich vor. Dies<br />
bedeutet, dass die pharmakokinetischen<br />
Parameter wie z.B. die Gesamtclearance,<br />
Verteilungsvolumen und Halbwertszeit<br />
konzentrations- bzw. dosisabhängige Größen<br />
sind.<br />
Die Pharmakokinetik eines intravenösen<br />
Anästhetikums wird im Wesentlichen durch<br />
zwei Prozesse bestimmt [2]:<br />
Verteilungsvolumen (V d ): Das Verteilungsvolumen<br />
stellt den Zusammenhang zwischen<br />
der Dosis und der Konzentration eines<br />
Pharmakons her<br />
V d =<br />
Menge (Dosis)<br />
Konzentration<br />
1.1.1 Die Bestimmung des Verteilungsvolumens<br />
Ein typischer Ansatz ist die Verabreichung<br />
einer intravenösen Dosis D als Bolus und<br />
die nachfolgende Messung der Blut- und<br />
Plasmakonzentration. Vor<strong>aus</strong>setzungen<br />
sind allerdings, dass der Arzneistoff homogen<br />
verteilt sowie die bis dahin <strong>aus</strong> dem<br />
Volumen entfernte Menge des Arzneistoffes<br />
fassbar ist. In der Regel ist die entfernte<br />
Menge eines Arzneistoffes <strong>aus</strong> dem Volumen<br />
nicht bestimmbar. Daher ist es sinnvoll,<br />
das Verteilungsvolumen bei einer länger<br />
dauernden Dosierung zu bestimmen.<br />
Beispiel: Bolusgabe Propofol: 150 mg, Konzentration:<br />
C 0 = 5 µg/ml, so ergibt sich ein<br />
initiales Verteilungsvolumen: 30 l<br />
Clearance (Cl): Die Clearance ist das fiktive<br />
Blutvolumen, <strong>aus</strong> dem pro Zeiteinheit die<br />
Substanz vollständig eliminiert wird.<br />
2 Eckart • Jaeger • Möllhoff – <strong>Anästhesiologie</strong> – 21. Erg.-Lfg. 2/11<br />
Steady state: Je länger die Applikation eines<br />
Pharmakons erfolgt, desto wahrscheinlicher<br />
das „Steady state“, das sogenannte<br />
Fließgleichgewicht. Im „Steady state“ ist<br />
die Menge, die pro Zeiteinheit dem Körper<br />
zugeführt wird, gleich der Menge, die <strong>aus</strong><br />
dem Körper eliminiert wird. Zur Aufrechterhaltung<br />
des „Steady state“ ist die Dosierungsrate<br />
umso größer, je höher die Konzentration<br />
des Anästhetikums sein soll. Das<br />
bedeutet, dass <strong>aus</strong>gehend von einer linearen<br />
Pharmakokinetik, eine direkte Proportionalität<br />
zwischen der Applikationsrate und<br />
Konzentration besteht. Eine Verdopplung<br />
der Dosierung bewirkt eine Verdopplung<br />
des Konzentrationsverlaufs [2].<br />
Beispiel: Einleitungsdosis (loading dosis) =<br />
Verteilungsvolumen × gewünschte Konzentration<br />
d.h. V = 30 l, gewünschte Konzentration<br />
= 3 µg/ml = 150 mg<br />
Erhaltungsdosis: Clearance × gewünschte<br />
Konzentration, d.h. Cl: 1,5l/min × 3 µg/ml =<br />
4,5 mg/min<br />
1.1.2 Kompartimentmodelle<br />
Kompartimentmodelle lassen sich anhand<br />
eines hydraulischen Modells sehr anschaulich<br />
erklären (z.B. Wassereimer). Der Boden<br />
(Querschnittsfläche) des Eimers stellt das<br />
Verteilungsvolumen dar, die Wasserhöhe<br />
entspricht der Konzentration. Das zugeführte<br />
Wasser ist die Menge einer Substanz,<br />
die dem Körper zugeführt wird. Bei<br />
einer definierten zugeführten Menge Wasser,<br />
nimmt der Wasserspiegel (Konzentration)<br />
zu wenn die Querschnittsfläche des Eimers<br />
(Verteilungsvolumen) abnimmt.<br />
22
3.2.1.1 Allgemeiner Teil Pharmakologie<br />
Merke: Je größer das Verteilungsvolumen,<br />
desto geringer die Konzentration.<br />
Je kleiner das Verteilungsvolumen,<br />
desto größer die Konzentration.<br />
Die bekanntesten pharmakokinetischen<br />
Modelle für intravenöse Anästhetika sind<br />
„mammilläre“ 2- oder 3-Kompartimentmodelle,<br />
die <strong>aus</strong> einem zentralen Kompartiment<br />
oder Verteilungsvolumen und einem<br />
oder 2 peripheren Kompartimenten bzw.<br />
Verteilungsvolumina bestehen. Mamillär<br />
bedeutet, dass in das zentrale Verteilungsvolumen<br />
dosiert wird, die Elimination nur<br />
<strong>aus</strong> diesem erfolgt, und die peripheren<br />
Kompartimente nur mit diesem verbunden<br />
sind und nicht untereinander.<br />
1.1.3 Kontextsensitive Halbwertszeit<br />
Eine kontinuierliche Infusion ist geeigneter,<br />
um den Plasmaspiegel der Anästhetika<br />
über längere Zeit konstant im therapeutischen<br />
Bereich zu halten. Bei einer länger<br />
andauernden Infusionsdauer wird der Konzentrationsabfall<br />
weniger von Umverteilungsvorgängen<br />
und umso mehr von der<br />
Höhe der Clearance sowie deren Verhältnis<br />
zum Verteilungsvolumen bestimmt. Betrachtet<br />
man die Geschwindigkeit des Konzentrationsabfalles<br />
in Relation zum therapeutischen<br />
Bereich, erhält man eine Vorstellung<br />
von der zu erwartenden Nachwirkzeit<br />
nach Abstellen der Infusion. Hierbei<br />
wird klar, dass die Eliminationshalbwertszeit<br />
als eine die Anästhesiedauer bestimmende<br />
Größe nicht zutreffend ist, da sie einen<br />
Konzentrationsbereich weit unterhalb<br />
der Wirkschwelle beschreibt. Speziell für<br />
die neueren Anästhetika wurde daher das<br />
Konzept der kontext-sensitiven Halbwertszeit<br />
entwickelt.<br />
Merke: Die kontextsensitive Halbwertszeit<br />
ist die Zeit, die benötigt wird,<br />
um von einer gegebenen Ausgangskonzentration<br />
um 50 % auf 50 % dieser<br />
Konzentration abzufallen, in Abhängigkeit<br />
von der Infusionsdauer (also<br />
dem Kontext). Die kontextsensitive<br />
Halbwertszeit ist somit ein indirektes<br />
Maß für die Steuerbarkeit einer Substanz<br />
bei Infusionsdosierung.<br />
1.2 Pharmakodynamik<br />
Die Pharmakodynamik beschreibt die Einflüsse<br />
eines Pharmakons auf den Organismus.<br />
Sie setzt die Wirkung eines Medikaments<br />
in Beziehung zu dessen Konzentration.<br />
Die pharmakodynamischen Parameter<br />
sind in der Regel zeitunabhängig und die<br />
Beziehung zwischen Konzentration und<br />
Wirkung ist nicht-linear.<br />
1.2.1 Biophase und Effektkompartiment<br />
Der Pharmakologe SEGRÉ [4] hatte schon<br />
frühzeitig beobachtet, dass die Erhöhung<br />
des Blutdrucks dem Verlauf des Blutspiegels<br />
von Noradrenalin nur verzögert folgt.<br />
Ein ähnliches Phänomen wurde bereits für<br />
das Muskelrelaxans Pancuronium beschrieben<br />
[5]. Das Problem wurde durch<br />
Einführung einer sog. „Biophase“ gelöst,<br />
ein zusätzliches Kompartiment, in das sich<br />
das Pharmakon verteilt und in dem der<br />
Wirkort angenommen wird [2].<br />
1.2.2 Hysterese und repetitive<br />
Dosierung<br />
Die zeitliche Verzögerung des Konzentrationsverlaufs<br />
in der Biophase gegenüber<br />
dem im Blut wird als Hysterese bezeichnet.<br />
Eckart • Jaeger • Möllhoff – <strong>Anästhesiologie</strong> – 21. Erg.-Lfg. 2/11 3<br />
7 Gefäßchirurgie 6 Anästhesieverfahren 5 Begleiterkrankungen 4 Neurochirurgie 3 Pharmakologie 16 Schmerztherapie 15 Urologie<br />
23
Pharmakologie Allgemeiner Teil 3.2.1.1<br />
7 Gefäßchirurgie 6 Anästhesieverfahren 5 Begleiterkrankungen 4 Neurochirurgie 3 Pharmakologie 16 Schmerztherapie 15 Urologie<br />
Die Hysterese zwischen Blutkonzentration<br />
und Effekt ist während der Narkoseeinleitung<br />
und während der repetitiven Dosierung<br />
von Anästhetika von großer Bedeutung:<br />
1.2.3 Narkoseeinleitung<br />
Bei gleichzeitiger Verabreichung eines<br />
Hypnotikums und eines nicht-depolarisierenden<br />
Muskelrelaxans kann die Anschlagszeit<br />
des Muskelrelaxans so lange<br />
dauern, dass zum Zeitpunkt der Intubation<br />
die Patienten zwar vollständig relaxiert<br />
sind, die Wirkung des Hypnotikums aber<br />
schon nachlässt [2].<br />
1.2.4 Narkoseaufrechterhaltung<br />
Bei der repetitiven Bolusdosierung zur Aufrechterhaltung<br />
der Narkose kann die Hysterese<br />
maßgeblich die Praktikabilität der<br />
Dosierung bestimmen. Die Verzögerung<br />
durch die Biophase stellt einen wesentlichen<br />
Mechanismus, um starke Blutspiegelschwankungen<br />
am Ort der Wirkung „zu<br />
glätten“ [2]. Anästhetika mit <strong>aus</strong>geprägter<br />
Hysterese zwischen zentralem Kompartiment<br />
und Biophase eignen sich besser für<br />
repetitive Bolusdosierungen zur Aufrechterhaltung<br />
der Narkose als Anästhetika mit<br />
weniger <strong>aus</strong>geprägter Hysterese.<br />
2 Intravenöse Anästhetika<br />
2.1 Hypnotika<br />
Intravenöse Anästhetika besitzen einen<br />
schnellen Wirkungseintritt und sind daher<br />
zur Narkoseeinleitung besonders geeignet.<br />
Die Steuerbarkeit der intravenösen<br />
Anästhetika während der Narkose ist allerdings<br />
ungünstiger, so dass nur wenige<br />
4 Eckart • Jaeger • Möllhoff – <strong>Anästhesiologie</strong> – 21. Erg.-Lfg. 2/11<br />
Hypnotika für eine kontinuierliche Gabe<br />
während einer Narkose geeignet sind.<br />
2.1.1 Wirkort<br />
Die intravenösen Anästhetika (Barbiturate,<br />
Propofol, Benzodiazepine, Etomidat) entfalten<br />
ihre Wirkung am GABA A -Rezeptor-<br />
Komplexes [6]. Der GABA A -Rezeptor-Komplex<br />
gehört zur Familie der Neurotransmitter-aktivierten<br />
Rezeptorkanäle. Es handelt<br />
sich um einen Chloridkanal. Der GABA A -Rezeptor<br />
besteht <strong>aus</strong> fünf Untereinheiten, die<br />
<strong>aus</strong> verschiedenen Glykoproteinen bestehen<br />
können. Eine Aktivierung des GABA A -<br />
Rezeptors erhöht die Chloridleitfähigkeit<br />
des Ionenkanals mit konsekutiver Hyperpolarisation<br />
der Zellen und führt folglich zu<br />
einer verminderten Erregbarkeit der postsynaptischen<br />
Neuronen. Die Anästhetikawirkung<br />
wird über unterschiedliche Bindungsstellen<br />
am Rezeptor vermittelt.<br />
2.1.2 Wirkdauer<br />
Die Wirkdauer der intravenösen Anästhetika<br />
im Gehirn ist durch Umverteilungsphänomene<br />
deutlich kürzer. Nach einer Umverteilungsphase<br />
werden die intravenösen<br />
Anästhetika hauptsächlich über die Leber<br />
metabolisiert (hydrolysiert, oxidiert, reduziert,<br />
decarboxyliert oder konjugiert). Sie<br />
werden anschließend über die Galle oder<br />
die Nieren eliminiert (Cave: Dosisanpassung<br />
bei eingeschränkter Leber- und Nierenfunktion).<br />
Nach Injektion eines intravenösen Anästhetikums<br />
kann die Pharmakokinetik nicht<br />
mehr beeinflusst werden, so dass die Steuerbarkeit<br />
verschlechtert wird. Zudem beeinflusst<br />
die Infusionsdauer aufgrund der<br />
Lipophilie der intravenösen Anästhetika<br />
die Halbwertszeit, sodass das Konzept der<br />
24
3.2.1.1 Allgemeiner Teil Pharmakologie<br />
kontext-sensitiven Halbwertszeit, die Zeit,<br />
in der das Hypnotikum auf 50 % des Ausgangswerts<br />
nach Abstellen der Infusion<br />
gesunken ist, etabliert wurde. Diese ist von<br />
der Infusionsdauer abhängig. „Die bedeutsame<br />
Konzentrationsabfallzeit“ stellt eine<br />
Weiterentwicklung der kontextsensitiven<br />
Halbwertszeit dar. Sie gibt die Zeit bis zum<br />
Wirkverlust des Hypnotikums an (z.B. Aufwachen<br />
des Patienten).<br />
2.1.3 Wirkintensität<br />
Die Wirkintensität ist abhängig von der<br />
verabreichten Dosis, der Injektionsgeschwindigkeit,<br />
der Plasmaeiweißbindung<br />
und dem Herzzeitvolumen.<br />
Als Barbiturate werden heute nur die kurz<br />
wirksamen Barbiturate Thiopental (Trapanal,<br />
Byk Gulden) und Methohexital (Brevimytal,<br />
Lilly) eingesetzt. Ausgangssubstanz<br />
aller Barbiturate ist die pharmakologisch<br />
inaktive Barbitursäure, die Position 2 und 5<br />
substituiert ist. Über eine angefügte <strong>Seiten</strong>kette<br />
an Position 5 entfaltet sie ihre<br />
hypnotische Wirkung. Die Stereoisomerie<br />
spielt bei der biologischen Wirkung der<br />
Barbiturate ebenfalls eine Rolle. So besitzen<br />
Thiopental und Methohexital Chiralitätszentren,<br />
Kohlenstoffatome mit vier verschiedenen<br />
Liganden, wor<strong>aus</strong> sich die Existenz<br />
zueinander spiegelbildlicher Stereoisomere,<br />
so genannter Enantiomere ergibt.<br />
Beide Barbiturate stehen jedoch bislang<br />
nur als razemische Mischung für die klinische<br />
Anwendung zur Verfügung.<br />
Merke: Thiopental trägt eine Schwefelgruppe<br />
an Position 2 (5-Äthyl-5-(l-Methyl-Butyl)-2-Thiobarbitursäure)<br />
und<br />
gehört zu den Thiobarbituraten. Methohexital<br />
trägt eine O 2 -Gruppe an Position<br />
2 (1-Methyl-5-Allyl-5-(1-Methyl-2-<br />
Pentynyl)-2-Barbirtursäure) und ist damit<br />
ein Oxybarbiturat.<br />
15 Urologie<br />
16 Schmerztherapie<br />
3 Pharmakologie<br />
Merke: Je höher die verabreichte Dosis,<br />
desto geringer die Plasmaeiweissbindung.<br />
Je schneller die Injektionsgeschwindigkeit<br />
oder je kleiner das Herzzeitvolumen,<br />
desto höher die initiale<br />
Wirkung mit Gefahr der zu hohen Dosierung.<br />
2.2 Barbiturate<br />
2.2.1 Struktur und Wirkmechanismen<br />
Merke: Thiopental und Methohexital<br />
sind schwache Säuren (P ka -Wert Thiopental:<br />
7,6; P ka -Wert Methohexital: 7,9).<br />
Der pH-Wert der gelösten Substanzen<br />
ist stark alkalisch (pH > 10). (Cave: Inkompatibilität<br />
mit den meisten in der<br />
Anästhesie eingesetzten Substanzen,<br />
z.B. Ringer-Laktat, Cave: parvasale oder<br />
intraarterielle Injektion) [7].<br />
Der Hauptwirkort ist der rostrale aszendierende<br />
Teil der Formatio retikularis und das<br />
limbische System. Sie führen zu einer Aktivierung<br />
des GABA-Rezeptors mit einer Erhöhung<br />
des Chlorideinstroms und nachfolgenden<br />
Hyperpolarisation mit Hemmung<br />
des postsynaptischen Neurons.<br />
2.2.2 Pharmakokinetik: Aufnahme und<br />
Verteilung<br />
Beide Substanzen sind gut fettlöslich und<br />
führen zu einem raschen Wirkungseintritt<br />
nach Diffusion in das Gehirn. Die kurze<br />
Wirkdauer beider Substanzen beruht nicht<br />
Eckart • Jaeger • Möllhoff – <strong>Anästhesiologie</strong> – 21. Erg.-Lfg. 2/11 5<br />
7 Gefäßchirurgie 6 Anästhesieverfahren 5 Begleiterkrankungen 4 Neurochirurgie<br />
25
Pharmakologie Allgemeiner Teil 3.2.1.1<br />
7 Gefäßchirurgie 6 Anästhesieverfahren 5 Begleiterkrankungen 4 Neurochirurgie 3 Pharmakologie 16 Schmerztherapie 15 Urologie<br />
auf Metabolisierung oder Ausscheidung,<br />
sondern auf Umverteilung der Substanzen.<br />
Die Verteilungszeit von Thiopental beträgt<br />
8,5 Minuten, die von Methohexital 5,6 Minuten.<br />
Methohexital ist 3 × so potent wie<br />
Thiopental. Die kontextsensitive Halbwertszeit<br />
bei kontinuierlicher Infusion<br />
steigt für Thiopental stark an, so dass dieses<br />
Barbiturat nicht kontinuierlich verabreicht<br />
werden kann (Ausnahme: Therapie<br />
des erhöhten intrakraniellen Drucks).<br />
Tab. 1: Pharmakokinetische Daten: Thiopental/Methohexital<br />
(nach [7])<br />
Verteilungshalbwertszeit<br />
(min)<br />
Eliminationshalbwertszeit<br />
(min)<br />
zentrales Verteilungsvolumen<br />
(l/kg)<br />
Clearance (ml/<br />
min/kg)<br />
Thiopental<br />
8,5 5,6<br />
700 230<br />
0,38 0,39<br />
3 10<br />
2.2.3 Pharmakodynamik<br />
Methohexital<br />
2.2.3.1 Wirkungen am zentralen Nervensystem<br />
• Thiopental und Methohexital verursachen<br />
dosisabhängig eine Depression<br />
der EEG-Aktivität („Burst-Suppression-<br />
Muster“, Nulllinie)<br />
• Abnahme des zerebralen Metabolismus<br />
und einer Abnahme der Hirndurchblutung<br />
gehen mit entsprechender Verminderung<br />
des zerebralen Sauerstoffverbrauchs<br />
einher. Die Reagibilität der<br />
6 Eckart • Jaeger • Möllhoff – <strong>Anästhesiologie</strong> – 21. Erg.-Lfg. 2/11<br />
Hirngefäße auf Kohlendioxid bleibt erhalten.<br />
Der verminderte zerebrale Blutfluss<br />
führt zu einer Abnahme des intrakraniellen<br />
Drucks (ICP), wobei der Perfusionsdruck<br />
(CPP) erhalten bleibt oder<br />
sogar leicht ansteigt (Cave: Blutdruckabfall!)<br />
• Thiopental: antikonvulsiv<br />
• Senkung des intraokularen Drucks<br />
2.2.3.2 Wirkungen am kardiopulmonalen<br />
System<br />
• Vasodilation der venösen Kapazitätsgefäße<br />
und Abnahme des HZV um ca. 10 –<br />
25 % (negativ inotrope Wirkung) führen<br />
zu einem Blutdruckabfall (Cave: Hypovolämie).<br />
Folge ist eine Reflextachykardie<br />
Merke: Barbiturate sollten bei koronarer<br />
Herzkrankheit, Hypertonie und Volumenmangel<br />
allenfalls mit äußerster<br />
Vorsicht eingesetzt werden.<br />
• Atemdepression und Apnoe. Unzureichende<br />
Dämpfung der laryngealen/trachealen<br />
Reflexe. Gefahr des Laryngound<br />
Bronchospasmus. Histaminfreisetzung<br />
2.2.3.3 Wirkungen an Leber/Niere/Stoffwechsel<br />
und Toxizität<br />
• Bei längerer Anwendung kommt es zu<br />
einer Induktion von Leberenzymen. Die<br />
Folge sind Leberfunktionsstörungen,<br />
Cholestase, Bilirubinanstieg, Beeinträchtigung<br />
der Glukoseintoleranz.<br />
• Mögliche Induktion mikrosomaler Enzyme,<br />
wodurch der Metabolismus zahlreicher<br />
Pharmaka und endogener Substanzen<br />
beschleunigt wird.<br />
26
3.2.1.1 Allgemeiner Teil Pharmakologie<br />
2.2.4 Dosierung<br />
Einleitung: Thiopental: 5 (3 – 7) mg/kg Körpergewicht<br />
empfohlen, für Methohexital<br />
1 – 2 mg/kg. Die Applikation soll im Regelfall<br />
langsam über 30 sec erfolgen. Nach intravenöser<br />
(i.v.) Applikation beginnt die<br />
Aufnahme der nichtionisierten Fraktion<br />
von Thiopental und Methohexital ins Gehirn<br />
innerhalb einer Kreislaufzeit von 20 –<br />
45 Sekunden. Die Äquilibrierungshalbwertszeit<br />
zwischen Blut und Gehirn beträgt<br />
ca. 1 – 1,5 Minuten, die maximale Wirkung<br />
ist ca. nach 2,5 Minuten erreicht. Die Wirkdauer<br />
einer Bolusdosis beträgt 6 – 10 Minuten<br />
für Thiopental und etwa 7 Minuten für<br />
Methohexital, wobei die Beendigung der<br />
Wirkung durch Umverteilung <strong>aus</strong> dem ZNS<br />
weniger gut durchbluteter Gewebe erfolgt,<br />
die für die hypnotische Wirkung inert<br />
sind. Der therapeutische Bereich der Plasmakonzentration<br />
für eine <strong>aus</strong>reichende<br />
hypnotische Wirkung beträgt für Thiopental<br />
10 – 20 µg/ml und für Methohexital 3 –<br />
6 mg/ml.<br />
2.2.5 Kontraindikationen<br />
• Absolut: akute intermittierende Porphyrie.<br />
Aktivierung der δ-Aminolävulinsäure<br />
mit vermehrter Bildung von Porphyrinvorstufen<br />
(Cave: akuter Anfall!), Alkoholvergiftung,<br />
Schlafmittelvergiftung,<br />
Vergiftung mit Psychopharmaka, Status<br />
asthmatikus<br />
• Relativ: Schwangerschaft, Stillzeit, obstruktive<br />
Atemwegserkrankung, schwere<br />
Nieren- und Leberfunktionsstörungen<br />
2.3 Propofol<br />
2.3.1 Struktur und Wirkmechanismen<br />
Propofol ist ein lipidsubstitutiertes Phenolderivat<br />
(2,6-Diisopropylphenol). Die Substanz<br />
ist wasserunlöslich und wird als<br />
1 %ige oder 2 %ige Emulsion mit Sojabohnenöl<br />
und seit neuestem auch mit mittelkettigen<br />
Triglyceriden in Wasser (MCT) verwendet.<br />
Propofol entfaltet seine hypnotische<br />
Wirkung im Gehirn durch Aktivierung<br />
des GABA A -Rezeptor-Komplexes.<br />
2.3.2 Pharmakokinetik: Aufnahme und<br />
Verteilung<br />
Infolge schneller Umverteilung fallen die<br />
Blutspiegel von Propofol nach einer Bolusgabe<br />
schnell ab. Die initiale Verteilungshalbwertszeit<br />
beträgt ca. 2 Minuten. Die<br />
Clearance von Propofol ist mit 30 ml/min/<br />
kg KG die höchste unter allen derzeit klinisch<br />
verfügbaren Hypnotika. Aufgrund<br />
der hohen Clearance verliert Propofol auch<br />
bei längerfristiger Dosierung nicht seine<br />
gute Steuerbarkeit, was sich darin äußert,<br />
dass die kontextsensitive Halbwertszeit<br />
dieser Substanz bei Infusionsdauern von<br />
10 Stunden immer unter 40 Minuten<br />
bleibt. Die Eliminationshalbwertszeit von 4<br />
– 5 Stunden steht nicht im Widerspruch zur<br />
guten Steuerbarkeit dieser Substanz, sie ist<br />
vielmehr Ausdruck der langsamen Umverteilung<br />
in das Fettgewebe und der Rezirkulation.<br />
Die metabolische Inaktivierung in der Leber<br />
erfolgt durch Einführung einer weiteren<br />
phenolischen OH-Gruppe in 4-Stellung<br />
und Konjugation mit Glukuron- und<br />
Schwefelsäure. Die Elimination erfolgt renal.<br />
Eckart • Jaeger • Möllhoff – <strong>Anästhesiologie</strong> – 21. Erg.-Lfg. 2/11 7<br />
7 Gefäßchirurgie 6 Anästhesieverfahren 5 Begleiterkrankungen 4 Neurochirurgie 3 Pharmakologie 16 Schmerztherapie 15 Urologie<br />
27
Pharmakologie Allgemeiner Teil 3.2.1.1<br />
7 Gefäßchirurgie 6 Anästhesieverfahren 5 Begleiterkrankungen 4 Neurochirurgie 3 Pharmakologie 16 Schmerztherapie 15 Urologie<br />
Tab. 2: Pharmakokinetische Daten: Propofol<br />
(nach [7])<br />
Propofol<br />
Verteilungshalbwertszeit (min) 2,3<br />
Eliminationshalbwertszeit (min) 320<br />
zentrales Verteilungsvolumen(l/kg) 0,23<br />
Clearance (ml/min/kg) 27<br />
2.3.3 Pharmakodynamik<br />
2.3.3.1 Wirkungen am zentralen Nervensystem<br />
• Suppression der EEG-Aktivität (höhere<br />
Dosierungen verursachen „Burst-Suppression-Muster)<br />
• Abnahme des zerebralen Sauerstoffverbrauches<br />
und der Gehirndurchblutung<br />
(Senkung des intrakraniellen Drucks bei<br />
gleichbleibenden zerebralen Perfusionsdruck;<br />
Cave: Blutdruckabfall<br />
• Erhaltene Reaktivität der zerebralen Gefäße<br />
auf Kohlendioxid<br />
2.3.3.2 Wirkungen am kardiopulmonalen<br />
System<br />
• Blutdruckabfall (Vasodilatation) bis zu<br />
30 – 40 % des Ausgangswertes<br />
• Abfall des Herzzeitvolumens (negativ<br />
inotrope Wirklung)<br />
• Reduktion des Sympathikotonus und<br />
Abschwächung des Barorezeptorreflexes<br />
mit Abfall der Herzfrequenz<br />
• Atemdepression und Apnoe<br />
• Die stimulierenden Effekte durch die Laryngoskopie<br />
und die endotracheale Intubation<br />
werden durch Propofol (Mittel<br />
der ersten Wahl bei Einführung der Larynxmaske)<br />
besser unterdrückt im Vergleich<br />
zu Barbituraten oder Etomidat<br />
8 Eckart • Jaeger • Möllhoff – <strong>Anästhesiologie</strong> – 21. Erg.-Lfg. 2/11<br />
• Bronchodilatation, geringeres Risiko für<br />
reflektorisch auftretende Bronchospasmen<br />
2.3.3.3 Wirkungen an Leber/Niere/Stoffwechsel<br />
und Toxizität<br />
• Kein Einfluss auf Leber- oder Nierenfunktion<br />
• Propofolinfusionssyndrom<br />
2.3.4 Dosierung<br />
Die Einleitungsdosis für Propofol beträgt<br />
1 – 2,5 mg/kg KG und sollte, wie bei allen<br />
Hypnotika, individuell an die Wirkung angepasst<br />
werden. Bei älteren Patienten (> 55<br />
Jahre) und Patienten der ASA-Risikogruppen<br />
III/IV ist eine Dosisreduktion auf 1 – 1,5<br />
mg/kg KG erforderlich. Bei Kindern ist eine<br />
Erhöhung der Dosis auf 3 – 5 mg/kg KG zu<br />
empfehlen, da diese eine höhere Clearance<br />
und ein größeres Verteilungsvolumen für<br />
Propofol aufweisen. Der Wirkungseintritt<br />
nach Bolusgabe erfolgt innerhalb 25 – 40<br />
Sekunden, die maximale Wirkung ist nach<br />
ca. 3,5 Minuten erreicht und die Wirkdauer<br />
beträgt ca. 6 – 10 Minuten, wobei die Wirkbeendigung<br />
durch Umverteilung eintritt.<br />
Der therapeutische Bereich für die hypnotische<br />
Wirkung von Propofol liegt zwischen<br />
2 und 6 µg/ml, für die Sedierung zwischen<br />
1 – 2 µg/ml. Durch seine hohe Clearance ist<br />
Propofol von allen derzeit zugelassenen<br />
Hypnotika am besten für die intravenöse<br />
Aufrechterhaltung der Narkose geeignet,<br />
da es kaum kumuliert und auch nach längerer<br />
Infusionsdauer gut steuerbar bleibt.<br />
Die Infusionsraten zur Gewährleistung<br />
hypnotisch wirksamer Blutspiegel betragen<br />
nach Bolusgabe etwa 10 – 8 – 6 mg/<br />
kgKG/h, abzusenken nach etwa jeweils 30<br />
Minuten bzw. 120 Minuten Infusionsdauer<br />
28
3.2.1.1 Allgemeiner Teil Pharmakologie<br />
und abhängig vom Blutspiegel eines<br />
gleichzeitig applizierten Opioids.<br />
2.3.5 Kontraindikationen<br />
• Absolut: Allergie gegen Sojabohnen,<br />
Langzeitsedierung bei Kindern unter<br />
dem 16. Lebensjahr (Cave: Propofolinfusionssyndrom)<br />
• Relativ: Säuglinge bis Ende des 1. Lebensmonats,<br />
Narkoseaufrechterhaltung<br />
bei Kindern länger als 60 min (Ausnahme:<br />
maligne Hyperthermie), Schwangerschaft,<br />
Stillzeit (Mangel an Erfahrung)<br />
2.3.6 Propofolinfusionssyndrom (PRIS)<br />
Nach Fallberichten über pädiatrische Intensivpatienten<br />
wurden auch Todesfälle<br />
Erwachsener im Zusammenhang mit einer<br />
hochdosierten Sedierung durch Propofol<br />
publiziert [8, 9]. Der Symptomenkomplex<br />
besteht <strong>aus</strong> metabolischer Azidose, Rhabdomyolyse,<br />
akutem Nierenversagen, bradykarde<br />
Herzrhythmusstörungen sowie<br />
progredientem Herzversagen mit hoher<br />
Mortalität. Ursächlich ist wahrscheinlich<br />
eine Störung des mitochondrialen Stoffwechsels.<br />
Propofol ist möglicherweise als<br />
Triggersubstanz zu betrachten. Die k<strong>aus</strong>ale<br />
Therapie besteht in der Beendigung der<br />
Propofolinfusion, es wird eine hochdosierte<br />
Glukoseinfusion empfohlen. Bei Erwachsenen<br />
sollte eine Sedierung mit Propofol<br />
die Dosierung von 4 mg/kgKG sowie eine<br />
Anwendung länger als 7 Tage nicht überschreiten<br />
[8].<br />
2.4 Etomidate<br />
2.4.1 Struktur und Wirkmechanismen<br />
Etomidat ist ein carboxyliertes Imidazolderivat<br />
(Ethyl-1(α-methyl-benzyl)-imidazolyl-<br />
5-carboxylat). Es existieren 2 Isomere: Das<br />
(R)(+)-Enantiomer ist hypnotisch aktiv, das<br />
(S)(+)-Enantiomer wirkt nicht narkotisch.<br />
Etomidat ist gelöst in Propylenglykol (Hypnomidate,<br />
Janssen-Cilag) oder in Sojabohnenöl<br />
bzw. mittelkettigen Triglyceriden<br />
(Etomidat-Lipuro, B. Braun).<br />
Die primäre Wirkung von Etomidat im ZNS<br />
scheint in seiner funktionellen reversiblen<br />
Hemmung der Formatio reticularis im Hirnstamm<br />
zu liegen, wohingegen es auf spinaler<br />
Ebene auch zu enthemmenden Effekten<br />
kommen kann. Darüber hin<strong>aus</strong> kommt es<br />
zu einer Inhibierung kortikaler Funktionen,<br />
während dienzephale und mesenzephale<br />
Strukturen weniger beeinflusst werden.<br />
2.4.2 Pharmakokinetik: Aufnahme und<br />
Verteilung<br />
Etomidat weist einen kurzen Wirkungseintritt<br />
(20 – 45 Sekunden) und eine sehr kurze<br />
initiale Verteilungshalbwertszeit von nur 3<br />
Minuten auf, bei einer Eliminationshalbwertszeit<br />
von ca. 3,5 – 5 Stunden in einem<br />
Dreikompartimentmodell. Das zentrale<br />
Verteilungsvolumen liegt bei 0,4 l/kg, dasjenige<br />
im „Steady state“ bei 2,2 l/kg. Der<br />
Hauptunterschied zu den Barbituraten besteht<br />
in der wesentlich höheren Metabolisierungsrate<br />
durch Hydrolyse der Leber.<br />
Sie drückt sich in einer Clearance von ca. 13<br />
ml/min/kg <strong>aus</strong>. Der therapeutische Bereich<br />
für die hypnotische Wirkung von Etomidat<br />
liegt zwischen 0,3 – 0,5 µg/ml. Der Abbau<br />
erfolgt in der Leber durch Esterspaltung<br />
Eckart • Jaeger • Möllhoff – <strong>Anästhesiologie</strong> – 21. Erg.-Lfg. 2/11 9<br />
7 Gefäßchirurgie 6 Anästhesieverfahren 5 Begleiterkrankungen 4 Neurochirurgie 3 Pharmakologie 16 Schmerztherapie 15 Urologie<br />
29
Pharmakologie Allgemeiner Teil 3.2.1.1<br />
7 Gefäßchirurgie 6 Anästhesieverfahren 5 Begleiterkrankungen 4 Neurochirurgie 3 Pharmakologie 16 Schmerztherapie 15 Urologie<br />
und N-Dealkylierung; 2 % unveränderte renale<br />
Ausscheidung.<br />
Tab. 3: Pharmakokinetische Daten: Etomidat<br />
(nach [10, 11])<br />
Etomidat<br />
Verteilungshalbwertszeit (min) 3,5<br />
Eliminationshalbwertszeit (min) 200<br />
zentrales Verteilungsvolumen 0,4<br />
(l/kg)<br />
Clearance (ml/min/kg) 13<br />
2.4.3 Pharmakodynamik<br />
2.4.3.1 Wirkungen am zentralen Nervensystem<br />
• Etomidat verursacht den Barbituraten<br />
vergleichbare EEG-Veränderungen. Prokonvulsive<br />
Wirkungen konnten für Etomidat<br />
nicht nachgewiesen werden<br />
• häufig Myoklonien, v.a. bei fehlender<br />
Prämedikation (Auslösung auf spinaler<br />
Ebene). Die Inzidenz von Myoklonien<br />
kann durch eine Prämedikation mit Benzodiazepinen<br />
reduziert werden<br />
• Reduktion des zerebralen Metabolismus,<br />
des zerebralen Blutflusses, Senkung<br />
des intrakraniellen Druckes<br />
2.4.3.2 Wirkungen am kardiopulmonalen<br />
System<br />
• Gleichzeitiger Abfall des koronaren Blutflusses<br />
und kardialer Sauerstoffverbrauch<br />
→ Anstieg der venösen Sauerstoffsättigung<br />
im Sinus koronarius (ca.<br />
20 %). Geeignet für die Einleitung einer<br />
Anästhesie bei Patienten mit eingeschränkter<br />
Koronarreserve.<br />
10 Eckart • Jaeger • Möllhoff – <strong>Anästhesiologie</strong> – 21. Erg.-Lfg. 2/11<br />
• Geringe Atemdepression, Apnoe nur in<br />
Kombination mit Opioiden<br />
2.4.3.3 Leber/Niere/Stoffwechsel und<br />
Toxizität<br />
• Aktivierung der δ-Aminolaevulinsäure-<br />
Synthetase möglich (bei Patienten mit<br />
Porphyrie nicht sicher), keine Beeinträchtigungen<br />
der Nierenfunktion bekannt.<br />
• Reversible Hemmung der 17-α-Hydroxylase<br />
als auch die 17-β-Hydroxylase<br />
(Cortisolsuppression, Cave: Nebenniereninsuffizienz)<br />
2.4.4 Dosierung<br />
Die Einleitungsdosierung beträgt 0,3 mg/<br />
kg/KG i.v. Innerhalb von 30 Sekunden<br />
kommt es zum Wirkungseintritt für ca. 3 – 5<br />
Minuten Wirkdauer.<br />
2.4.5 Kontraindikationen<br />
• Absolut: Langzeitsedierung, allergische<br />
Disposition, Sojabohnenölallergie, Porphyrie<br />
• Relativ: Schwangerschaft, Stillzeit<br />
2.5 Ketamin<br />
2.5.1 Struktur und Wirkmechanismen<br />
Ketamin (2-(O-Chloro-Phenyl)-Methylamino-Zyklohexanon)<br />
zeigt aufgrund eines sogenannten<br />
Chiralitätszentrums das Phänomen<br />
der optischen Aktivität. Ein Chiralitätszentrum<br />
ergibt sich <strong>aus</strong> der Existenz meist<br />
eines Kohlenwasserstoffatoms mit vier verschiedenen<br />
Liganden in der chemischen<br />
Struktur, wodurch es zur Bildung zweier<br />
spiegelbildlicher Stereoisomere, so genannter<br />
Enantiomere, kommt, die mit Aus-<br />
30
3.2.1.1 Allgemeiner Teil Pharmakologie<br />
nahme der Drehrichtung von linear polarisiertem<br />
Licht in ihren physikalischen und<br />
chemischen Eigenschaften übereinstimmen.<br />
Hinsichtlich ihrer pharmakologischen<br />
Wirkung hat sich jedoch gezeigt, dass Enantiomere<br />
sowohl pharmakodynamische<br />
als auch pharmakokinetische Unterschiede<br />
aufweisen können. Dies erklärt sich dar<strong>aus</strong>,<br />
dass die unterschiedliche räumliche Anordnung<br />
der Moleküle zu verschiedenen<br />
Affinitäten und intrinsischen Aktivitäten an<br />
Rezeptoren führen kann. Unterschiede in<br />
Resorption, Verteilung, Metabolismus und<br />
Ausscheidung können die Folge sein. Bis<br />
vor wenigen Jahren war Ketamin nur als razemisches<br />
Gemisch in äquimolarer Dosis<br />
erhältlich. Seit 1997 ist das rechtsdrehende<br />
S(+)-Ketamin in Deutschland klinisch verfügbar<br />
[12, 13].<br />
Ketamin blockiert nichtkompetitiv den<br />
N-Methyl-D-Aspartat(NMDA)-Rezeptor der<br />
exzitatorischen Aminosäure Glutamat. Ketamin<br />
verschließt zeit-, konzentrations-,<br />
und stimulationsabhängig die Kanalöffnung<br />
durch Bindung an die Phenylzyklin(PCP)-Stelle,<br />
die in der ersten Proteinuntereinheit<br />
des Rezeptors lokalisiert ist [14,<br />
15].<br />
Merke: Die klinische Potenz des S(+)-<br />
und R(-)-Isomers korreliert mit der Affinität<br />
zur PCP-Bindung: S(+)-Ketamin<br />
hat eine 4-fach höhere Affinität als R(-)-<br />
Ketamin und ist mindestens 3-fach<br />
stärker analgetisch und anästhetisch<br />
wirksam.<br />
2.5.2 Pharmakokinetik: Aufnahme und<br />
Verteilung<br />
Bei einmaliger intravenöser Gabe erreicht<br />
Ketamin innerhalb 1 Minute maximale<br />
Plasmakonzentrationen mit einer Bioverfügbarkeit<br />
von 95 %, nach intramuskulärer<br />
Injektion liegt es innerhalb von 4 Minuten<br />
im Plasma mit einer Bioverfügbarkeit vor.<br />
Ketamin hat eine hohe Lipidlöslichkeit und<br />
geringe Plasmaproteinbindung.<br />
Tab. 4: Pharmakokinetische Daten: Ketamin-<br />
Razemat/S(+)-Ketamin (mod. nach [14, 15])<br />
Verteilungshalbwertszeit<br />
(min)<br />
Eliminationshalbwertszeit<br />
(min)<br />
zentrales Verteilungsvolumen<br />
(l/kg)<br />
Clearance (ml/min/<br />
kg)<br />
Ketamin-<br />
Razemat<br />
2.5.3 Pharmakodynamik<br />
2,8 2,6<br />
200 160<br />
0,23 0,34<br />
16 21<br />
S(+)-<br />
Ketamin<br />
2.5.3.1 Wirkungen am zentralen Nervensystem<br />
Ketamin besitzt dosisabhängig sowohl<br />
eine analgetische als auch eine schwächere<br />
hypnotische Wirkung. Der klinische Effekt<br />
wird als dissoziative Anästhesie bezeichnet,<br />
da die Patienten weniger schlafend<br />
erscheinen, als vielmehr in einem kataleptischen<br />
Zustand.<br />
• Ketamin erhöht grundsätzlich den zerebralen<br />
Sauerstoffverbrauch, den CBF<br />
und damit auch den ICP<br />
• Da die CO 2 -Reaktivität der Hirngefäße<br />
erhalten bleibt, kann der ICP-Anstieg<br />
durch kontrollierte Beatmung vermieden<br />
werden. Dies gilt auch für Patienten<br />
mit Schädel-Hirn-Trauma<br />
Eckart • Jaeger • Möllhoff – <strong>Anästhesiologie</strong> – 21. Erg.-Lfg. 2/11 11<br />
7 Gefäßchirurgie 6 Anästhesieverfahren 5 Begleiterkrankungen 4 Neurochirurgie 3 Pharmakologie 16 Schmerztherapie 15 Urologie<br />
31
Pharmakologie Allgemeiner Teil 3.2.1.1<br />
7 Gefäßchirurgie 6 Anästhesieverfahren 5 Begleiterkrankungen 4 Neurochirurgie 3 Pharmakologie 16 Schmerztherapie 15 Urologie<br />
• Neuroprotektiver Effekt über Inhibition<br />
des NMDA-Rezeptors nach zerebraler<br />
Schädigung<br />
2.5.3.2 Wirkungen am kardiopulmonalen<br />
System<br />
• Sympathomimetische Wirkung, arterieller<br />
Blutdruck ↑, Herzfrequenz ↑<br />
• myokardialer Sauerstoffverbrauch ↑<br />
(Cave: Anwendung bei Patienten mit<br />
stark reduzierter Koronarreserve)<br />
• gering atemdepressive Wirkung, bronchodilatatorisch<br />
(Behandlung Status<br />
asthmatikus)<br />
• geringe Beeinflussung der laryngealen<br />
und pharyngealen Reflexe<br />
• Speichel- und Sekretproduktion sind erheblich<br />
gesteigert<br />
2.5.3.3 Wirkungen an Leber/Niere/Stoffwechsel<br />
und Toxizität<br />
• keine Hepatotoxizität bekannt<br />
• keine Nephrotoxizität bekannt<br />
• sicher einsetzbar bei Porphyrie, Myopathien<br />
2.6 Benzodiazepine<br />
2.6.1 Struktur und Wirkmechanismen<br />
Benzodiazepine binden an spezifische Bindungsstellen<br />
des GABA A -Rezeptors, die sogenannten<br />
Benzodiazepinrezeptoren.<br />
Benzodiazepinrezeptoren konnten in der<br />
Großhirn- und Kleinhirnrinde, im limbischen<br />
System sowie im Rückenmark nachgewiesen<br />
werden [16]. Der GABA-Benzodiazepinrezeptor-Komplex<br />
ist ein großer,<br />
transmembranöser Glykoproteinkomplex,<br />
der <strong>aus</strong> fünf Untereinheiten besteht und<br />
als Pentamer den Liganden-gesteuerten<br />
Chloridionenkanal umschließt.<br />
12 Eckart • Jaeger • Möllhoff – <strong>Anästhesiologie</strong> – 21. Erg.-Lfg. 2/11<br />
Merke: Durch Bindung von agonistischen<br />
Benzodiazepinen an den spezifischen<br />
Benzodiazepinrezeptoren nimmt<br />
die Affinität von GABA zum GABA A -Rezeptor<br />
zu.<br />
2.6.2 Pharmakokinetik<br />
• Aufnahme per os, i.v., rektal, sublingual<br />
möglich<br />
• Verteilung: 3 Distributionsphasen (1.<br />
Aufnahme ins Gehirn; 2. Umverteilung<br />
in weniger gut durchblutete Gewebe; 3.<br />
Anreicherung im Fettgewebe)<br />
• Metabolismus: 2 Phasen (1. Phase-I-Reaktion:<br />
mikrosomale Oxidation durch<br />
Zytochrom-P450-abhängige Demethylierung<br />
und Dealkylierung sowie Hydroxylierung;<br />
2. Phase-II-Reaktion: Konjugation<br />
an Glukuronsäure)<br />
• Renale Eliminierung<br />
2.6.3 Pharmakodynamik<br />
Benzodiazepine wirken anxiolytisch, sedierend,<br />
hypnotisch, anterograd anamnestisch,<br />
antikonvulsiv. Sie haben keine analgetische<br />
Potenz.<br />
2.6.3.1 Wirkungen am zentralen Nervensystem<br />
• Reduktion des zerebralen Sauerstoffverbrauches<br />
• Reduktion des zerebralen Blutflusses<br />
• Antikonvulsive Wirkung<br />
2.6.3.2 Wirkungen am kardiopulmonalen<br />
System<br />
• In hohen Konzentrationen Abnahme<br />
des peripheren Gefäßwiderstandes<br />
• Negativ inotrope Wirkung<br />
32
3.2.1.1 Allgemeiner Teil Pharmakologie<br />
Tab. 5: Pharmakokinetische Daten: Benzodiazepine (mod. nach [16, 17, 18])<br />
Midazolam Flunitrazepam Lorazepam Diazepam<br />
Wirksamkeit kurz mittellang mittellang lang<br />
Dosis (mg/kg) 0,05 0,01 – 0,03 0,025 – 0,05 0,10 – 0,35<br />
Wirkungsbeginn (min) 0,5 – 1 3 – 5 1 – 2 0,5 – 1<br />
Wirkungsdauer nach einmaliger<br />
Injektion (min)<br />
12 – 15 6 – 8 6 – 8 10 – 15<br />
Verteilungsvolumen (ml/kg/KG) 1,1 – 1,7 3,8 0,8 – 1,3 0,7 – 1,7<br />
Halbwertszeit (h) 1,5 – 2,5 11 – 22 12 – 16 24 – 48<br />
Metabolitenhalbwertszeit (h) < 1,0 – 13 – 16 30 – 100<br />
Clearance (ml/min/kg) 6,4 – 11 – 0,8 – 18 0,2 – 0,5<br />
• Abfall des arteriellen Blutdruckes<br />
• Beeinflussung des Atemantriebes in höheren<br />
Dosierungen bis zum Atemstillstand<br />
• Erschlaffung der Rachen-Hals-Muskulatur<br />
2.6.3.3 Wirkungen an Leber/Niere/Stoffwechsel<br />
und Toxizität<br />
• Bei schwerer Leberschädigung Kumulation<br />
der Benzodiazepine und ihrer Metaboliten<br />
• Niere: bisher keine schädigenden Effekte<br />
bekannt<br />
• Bei älteren Patienten paradoxe Wirkungen<br />
möglich (Unruhezustände, Alpträume)<br />
2.6.4 Dosierung<br />
Siehe Tabelle 5.<br />
2.6.5 Kontraindikationen<br />
• Absolut: Myasthenia gravis, Muskelhypotonie,<br />
hepatische Porphyrie<br />
• Relativ: schwere obstruktive Lungenerkrankungen,<br />
Schlafapneosyndrom, Leberinsuffizienz,<br />
Schwangerschaft, Stillzeit,<br />
akute Alkoholintoxikation<br />
2.7 Benzodiazepinantagonist<br />
Flumazenil<br />
Der Antagonist Flumazenil (Imidazobenzodiazepin)<br />
antagonisiert kompetetiv sämtliche<br />
Wirkkomponenten der gebräuchlichen<br />
Benzodiazepine durch hohe Affinität<br />
an der Benzodiazepinbindungsstelle des<br />
GABA A -Rezeptors.<br />
2.7.1 Pharmakokinetik<br />
• Metabolisierung durch Esterspaltung<br />
zur entsprechenden Carbonsäure (unwirksam),<br />
renale Elimination als Glucuronid<br />
• Halbwertszeit: 1 Stunde (antagonistische<br />
Wirkung kürzer als Wirkdauer länger<br />
wirksamer Benzodiazepine (Cave:<br />
Resedierung)<br />
• Dosierung: initial i.v.-Applikation 0,2 mg;<br />
dann titriert 0,1 mg alle 6 Sekunden (Gesamtdosis:<br />
0,2 – 0,6 mg, max. 2 – 3 mg)<br />
Eckart • Jaeger • Möllhoff – <strong>Anästhesiologie</strong> – 21. Erg.-Lfg. 2/11 13<br />
7 Gefäßchirurgie 6 Anästhesieverfahren 5 Begleiterkrankungen 4 Neurochirurgie 3 Pharmakologie 16 Schmerztherapie 15 Urologie<br />
33
Pharmakologie Allgemeiner Teil 3.2.1.1<br />
5 Begleiterkrankungen 4 Neurochirurgie 3 Pharmakologie 16 Schmerztherapie 15 Urologie<br />
2.7.2 Pharmakodynamik<br />
2.7.2.1 Wirkungen am zentralen Nervensystem<br />
• Krampfanfälle bei prädisponierten Patienten<br />
• Erhöhung intrakranieller Druck<br />
2.7.2.2 Wirkungen am kardiopulmonalen<br />
System<br />
• Keine Beeinflussung der Hämodynamik<br />
• Antagonisierung der atemdepressiven<br />
Wirkung der Benzodiazepine<br />
2.7.2.3 Wirkungen an Niere/Leber und Toxizität<br />
• Keine renale oder hepatische Beeinflussung.<br />
Beeinflussung der Hämodynamik<br />
• Antagonisierung der atemdepressiven<br />
Wirkung der Benzodiazepine<br />
2.7.3 Kontraindikationen<br />
• Absolut: bekannte Überempfindlichkeit,<br />
Epileptiker mit Benzodiazepinmedikation<br />
• Relativ: erhöhter intrakranieller Druck,<br />
Mischintoxikation mit Benzodiazepinen<br />
und trizyklische Antidepressiva<br />
3 Anwendung der totalintravenösen<br />
Anästhesie<br />
(TIVA)<br />
Die TIVA verzichtet vollständig auf die Verwendung<br />
von <strong>Inhal</strong>ationsanästhetika [19].<br />
Die Applikation der Medikamente kann<br />
kontinuierlich (ggf. unter Einbeziehung<br />
computerunterstützter pharmakokinetischer<br />
Dosierungsberechnungen „target<br />
controlled infusion (TCI)“) oder diskontinuierlich<br />
erfolgen. Die Beendigung der Anästhesie<br />
erfolgt durch Umverteilung, Metabolisation<br />
und Exkretion. Dies setzt eine<br />
genaue Kenntnis der Pharmakodynamik<br />
und Pharmakodynamik der einzelnen intravenösen<br />
Substanzen vor<strong>aus</strong>.<br />
Indikationen für eine TIVA<br />
– Applikation von Narkosegasen nicht möglich<br />
(z.B. Intensivtransport)<br />
– erhöhter intrakranieller Druck<br />
– maligne Hyperthermie<br />
– anamnestisch bekanntes PONV<br />
3.1 Medikamente für die TIVA<br />
Grundsätzlich können alle Hypnotika für<br />
die TIVA verwendet werden.<br />
6 Anästhesieverfahren<br />
7 Gefäßchirurgie<br />
Vorteil Nachteil Geeignet/nicht geeignet<br />
Barbiturate Kein Kumulation/Überhang Nicht geeignet<br />
Etomidat Geringe kardiovaskuläre – Propofol unterlegen Nicht geeignet<br />
Nebenwirkungen<br />
– Hemmung der Kortisolsynthese<br />
Propofol<br />
Midazolam<br />
Gute Steuerbarkeit, Hypnotikum<br />
der Wahl<br />
Bolusgaben möglich (lange<br />
Eliminationshalbwertszeit)<br />
Kein<br />
Lange Eliminationshalbwertszeit<br />
14 Eckart • Jaeger • Möllhoff – <strong>Anästhesiologie</strong> – 21. Erg.-Lfg. 2/11<br />
Geeignet<br />
Nicht geeignet<br />
34
3.2.1.1 Allgemeiner Teil Pharmakologie<br />
3.2 Kontinuierliche Infusion<br />
Konstante Plasmaspiegel und Anästhesietiefe<br />
sind nur durch kontinuierliche Applikation<br />
zu erreichen. Die Vorteile der kontinuierlichen<br />
Medikamentenapplikation<br />
sind hämodynamische Stabilität, Vermeiden<br />
von Wacherleben durch Dosisminima<br />
sowie die genaue Kontrolle der Applikation.<br />
3.2.1 Dosierung von Propofol zur TIVA<br />
Propofol wird initial mit hoher Infusionsrate<br />
injiziert, die schrittweise im Verlauf der<br />
Narkose reduziert wird. Die vorgeschlagenen<br />
Infusionsraten liegen zwischen 4 – 15<br />
mg/kgKG/h. Die Reduktion der Infusionsrate<br />
erfolgt alle 10 – 30 Minuten um 2 – 4 mg/<br />
kgKG/h<br />
• Einleitung: Bolus 1,0 – 2,5 mg/kgKG<br />
• Erhaltungsphase: 12 mg/kg/h über 10 min<br />
9 mg/kg/h über 10 min<br />
anschließend 6 mg/kg/h bzw. Dosisanpassung<br />
nach klinischem Bedarf<br />
Dosisreduktion auf 4 mg/kg bei gleichzeitiger<br />
hoher Opioiddosierung möglich<br />
3.2.2 Dosierung von Remifentanil in<br />
Kombination mit Propofol<br />
Das Opioid Remifentanil kann unabhängig<br />
von der vor<strong>aus</strong>gegangenen Infusionsdauer<br />
in beliebiger Rate ohne Beeinflussung<br />
der Eliminationskinetik appliziert werden.<br />
Für eine <strong>aus</strong>reichende Analgesie während<br />
der Narkose wird ein Plasmaspiegel von ca.<br />
8 ng/ml angestrebt.<br />
• Einleitung: Infusion: 0,2 – 0,5 µg/kg/min<br />
• Erhaltungsphase: 0,3 – 1,0 µg/kg/min<br />
Die Infusion ist bis zum Ende der Operation<br />
möglich.<br />
3.2.3 Target controlled infusion<br />
Target controlled infusion (TCI) ist eine<br />
kontinuierliche intravenöse Anästhesie,<br />
bei der die Regelgröße die gewünschte<br />
Plasmakonzentration ist und dieses Konzept<br />
durch rechnergesteuerte Spritzenpumpen<br />
realisiert wird, in denen ein pharmakokinetisches<br />
Modell für das Medikament<br />
programmiert ist [19]. Der Anästhesist<br />
gibt zu Beginn die Patientendaten Größe,<br />
Gewicht, Alter sowie Angaben zum Medikament,<br />
Konzentration, Spritzenvolumen<br />
ein. Zur Steuerung der Anästhesietiefe<br />
wird die gewünschte Anästhetikaplasmakonzentration<br />
(z.B. Propofol Anästhesie:<br />
3 – 8 µg/ml, Aufwachschwelle: 1,0 – 1,1 µg/<br />
ml) angegeben. Zur Kontrolle des TCI-Systems<br />
werden die aktuelle Infusionsrate, applizierte<br />
Gesamtdosis, die berechneten<br />
Plasmakonzentrationen sowie die Zeit zum<br />
Aufwachen bei Infusionsstopp angezeigt.<br />
Vorteile der TCI<br />
– komplexe pharmakokinetische Phasenmodelle<br />
werden für die praktische Anwendung<br />
nutzbar [19]<br />
– konstante Anästhesietiefe durch angepasste<br />
Infusionsraten [19]<br />
Nachteile der TCI<br />
– offenes Regelsystem ohne Rückkopplung.<br />
Die Bezugsgröße „aktuelle Plasmakonzentration“<br />
ist <strong>aus</strong> der pharmakokinetischen<br />
Modellrechnung, die nie oder rein zufällig<br />
exakt der tatsächlichen Plasmakonzentration<br />
entspricht<br />
– Pharmakokinetik unterliegt interindividuellen<br />
Schwankungen oder kann als Folge<br />
von Vorerkrankungen vollständig verändert<br />
sein<br />
Eckart • Jaeger • Möllhoff – <strong>Anästhesiologie</strong> – 21. Erg.-Lfg. 2/11 15<br />
7 Gefäßchirurgie 6 Anästhesieverfahren 5 Begleiterkrankungen 4 Neurochirurgie 3 Pharmakologie 16 Schmerztherapie 15 Urologie<br />
35
Pharmakologie Allgemeiner Teil 3.2.1.1<br />
6 Anästhesieverfahren 5 Begleiterkrankungen 4 Neurochirurgie 3 Pharmakologie 16 Schmerztherapie 15 Urologie<br />
– erhebliche Varianz der pharmakodynamischen<br />
Wirkung (Wirkung nach Plasmaspiegel,<br />
Aufwachschwelle) durch Komedikation<br />
möglich<br />
– additiver Einsatz eines Bispectralen Index<br />
als Maß für die Anästhesietiefe zur indirekten<br />
Rückkopplung des TCI-Systems [20]<br />
Vorteil<br />
– einfache Durchführbarkeit ohne technischen<br />
Aufwand<br />
– geeignet für kurze Eingriffe<br />
3.3 Diskontinuierliche Applikation<br />
der total-intravenösen<br />
Anästhetika<br />
Definition: Die Allgemeinanästhesie wird<br />
durch wiederholte Medikamentenapplikation<br />
nach festen Intervallen und/oder nach<br />
klinischen Zeichen unterhalten [19].<br />
Nachteil<br />
– kein konstanter Plasmaspiegel<br />
– Undulation zwischen Spitzen und unteren<br />
Grenzwerten<br />
– höheres Risiko für hämodynamische Schwankungen<br />
– nicht geeignet für längere Eingriffe<br />
Tab. 6: Dosierungsempfehlungen für intravenöse Anästhetika (mod. nach [19])<br />
Einleitung Repetition Indikationen<br />
Propofol 1,0 – 2,5 mg/kg Bolus 1 mg/kg alle 6 min z.B. diagnostische Eingriffe<br />
S-Ketamin 1 – 2 mg/kg KG i.v. 0,3 – 1,0 mg alle 10 – 15 min z.B. Verbandswechsel, Repositionen,<br />
Notfallversorgung<br />
Etomidat 0,15 – 0,3 mg/kg KG i.v. 0,075 – 0,15 µg/kg alle 2 – 3<br />
min<br />
Kardioversion<br />
Midazolam 0,05 – 0,2 mg/kg KG i.v. 0,05 mg/kgKG alle 30 min<br />
i.v.<br />
Sufentanil 0,25 – 1 µg/kgKG i.v. 0,15 – 0,7 µg/kgKG i.v. alle<br />
20 – 30 min<br />
Fentanyl 1,5 – 10 µg/kgKG i.v. 1 – 4 µg/kgKG i.v.<br />
alle 20 – 30 min<br />
Geeignet bei hämodynamisch<br />
instabilen Patienten<br />
Deutlich verlängerte Plasmahalbwertszeit<br />
bei protrahierter<br />
Anwendung<br />
7 Gefäßchirurgie<br />
16 Eckart • Jaeger • Möllhoff – <strong>Anästhesiologie</strong> – 21. Erg.-Lfg. 2/11<br />
36
3.2.1.1 Allgemeiner Teil Pharmakologie<br />
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6 Anästhesieverfahren 5 Begleiterkrankungen 4 Neurochirurgie 3 Pharmakologie 16 Schmerztherapie 15 Urologie<br />
Eckart • Jaeger • Möllhoff – <strong>Anästhesiologie</strong> – 21. Erg.-Lfg. 2/11 17<br />
7 Gefäßchirurgie<br />
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6 Anästhesieverfahren<br />
5 Begleiterkrankungen<br />
4 Neurochirurgie<br />
7 Gefäßchirurgie<br />
3 Pharmakologie<br />
16 Schmerztherapie<br />
1 Urologie<br />
18 Eckart • Jaeger • Möllhoff – <strong>Anästhesiologie</strong> – 21. Erg.-Lfg. 2/11<br />
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