Leseprobe(PDF) - Philharmonie Luxembourg
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sozialen Anteilnahme. Die Sonnenbrillen und der mittels Gitarren-Feedback erzeugte<br />
Wall of noise dienten Velvet Underground als Schutzwall gegenüber dem Publikum.<br />
«Der Wunsch nach gesellschaftlichem Umgang geht während des Heroin- und Morphiumrausches<br />
gegen Null», schreibt Ulf Poschardt in seiner Analyse von «Cool».<br />
«Die Verachtung der Kiffer und ihrer warmen, sozialen Art teilen alle Junkies.» 5<br />
Musik, Texte und Auftreten von The Velvet Underground, die diese Junkie-Ästhetik<br />
wie kaum eine andere Band verkörpert haben, vermitteln größtmögliche Distanz,<br />
lassen jegliches Wir-Gefühl im Keim ersticken und propagieren rein asoziale, selbstsüchtige<br />
Lust, die signalisiert: Ich will meinen Spaß, ich will mich verzehren – lass<br />
mich allein! Jahre später findet sich eine ähnliche Haltung bei der ‹schwarzen› Punkband<br />
Black Flag wieder: «I’ve got a Six Pack and nothing to do / I’ve got a Six Pack<br />
and I don’t need you!», heißt es in deren Song «Six Pack» (1981).<br />
5<br />
Ulf Poschardt: Cool. –<br />
Hamburg: Rogner &<br />
Bernhard, 2000, S. 75<br />
Archaik und Apokalypse<br />
Man muss sich jedoch stets vor Augen halten, dass die Selbststilisierung ‹schwarzer›<br />
Bands als asozial, nihilistisch und gefährlich meist Teil einer Als-ob-Inszenierung<br />
ist, die hohes Identifikationspotential besitzt. Nahezu jeder, so die Legende, der<br />
The Velvet Underground Mitte der 1960er Jahre live gesehen hat, sollte kurz darauf<br />
selbst eine Band gründen. Die schwarze Kleidung war elitär und demokratisch<br />
zugleich. In dem Maße, in dem Schwarz eine einfache Möglichkeit darstellt, sich<br />
unabhängig von jeweiligen Moden zu kleiden, signalisieren schwarz gekleidete<br />
Musiker, dass es keines großen Aufwands bedarf, sich als Teil einer verschworenen<br />
Gemeinde zu erkennen zu geben. Mit Ausnahme des Heavy Metal, in dem musikalische<br />
Virtuosität eine wichtige Rolle spielt und Schwarz vor allem wegen seiner<br />
antichristlichen Implikationen verwendet wird, bevorzugen die meisten ‹schwarzen›<br />
Musiker eine vergleichsweise einfache Musik. Allen voran die Monks, eine Gruppe<br />
von in Deutschland stationierten GIs, die Mitte der 1960er-Jahre in schwarzen<br />
Mönchskutten auftraten und ihre auf «Black Monk Time» (1966) verewigten Stücke<br />
oft nur auf einem einzigen Akkord aufbauten. Die Musik sollte so archaisch wie<br />
die Kleidung wirken – dies gilt auch noch für Black Sabbath, eine der ersten Metal-<br />
Bands überhaupt, deren langsame, bohrende, auf Bluesstrukturen aufbauende<br />
Gitarrenriffs noch weit von der späteren Griffbrett-Akrobatik des Metal entfernt<br />
waren. Bei The Velvet Underground wie auch bei späteren Punk-, Wave- und Industrial-Bands,<br />
die Schwarz als Kleidung und Ästhetik bevorzugten, ging der Hang<br />
zum Primitivismus Hand in Hand mit einem antivirtuosen Gestus, der dafür sorgte,<br />
dass diese Musik viele Nachahmer fand.<br />
Wer Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger schwarz gekleidet war, brachte nicht<br />
zuletzt auch eine politische Haltung zum Ausdruck. Es war die Zeit, wie es der<br />
Journalist Frank Apunkt Schneider ausdrückte, «als die Welt noch unterging». 6<br />
Vor dem Hintergrund des atomaren Wettrüstens stimmten Punk, New Wave und<br />
Industrial einen Tanz auf dem Vulkan an, der den Untergang affirmierte: Wenn es<br />
schon keine Zukunft mehr für die Menschheit gibt, lautete die Devise, dann sollte<br />
das Ende wenigstens möglichst intensiv gefeiert werden. Die Rede ist nicht von Party-<br />
Hedonismus, sondern von einer subkulturellen Frechheit und Radikalität, die sich<br />
keine Gedanken mehr um die Folgen ihres Handelns machen musste. Diese Subkulturen<br />
«bezogen Angst und Kraft aus dem Untergang, da er von moralischen<br />
Übereinkünften entband […]. Die Sinnlosigkeit, die Punk und New Wave zelebrierten,<br />
kappte den Dialog mit der moralisierenden Diskussionskultur.» 7 Damals verkündete<br />
der hagere, ganz in Schwarz gekleidete Blixa Bargeld, Sänger der Einstürzenden<br />
Neubauten: «Für mich ist jetzt Untergangszeit, die Endzeit – endgültig.<br />
Das läuft noch drei oder vier Jahre, dann ist’s vorbei.» 8 In Abgrenzung zur Friedensbewegung<br />
bezogen sich die ‹schwarzen› Subkulturen geradezu hymnisch auf die<br />
moderne Industriekultur und priesen all das, was der traditionellen Linken als Ausdruck<br />
von Entfremdung galt: «Ich steh auf Viren, ich steh auf Zerfall», sangen die<br />
Einstürzenden Neubauten, «Zurück zum Beton / Hier ist der Mensch noch Mensch»,<br />
propagierten S.Y.P.H. aus Düsseldorf. Dieser so genannten Scheinaffirmation diente<br />
Schwarz nicht mehr vordergründig als Ausdruck von Rebellion – auch wenn es<br />
eindeutig gegen die Kleidung der Ökos gerichtet war –, sondern war bereits Ausdruck<br />
6<br />
Frank Apunkt Schneider: Als<br />
die Welt noch unterging. Von<br />
Punk zu NDW. – Mainz: Ventil<br />
Verlag, 2007<br />
7<br />
Frank Apunkt Schneider,<br />
a.a.O., S. 8<br />
8<br />
M.O.C. Döpfner, Thomas<br />
Grams: Neue deutsche<br />
Welle. Kunst oder Mode? –<br />
Frankfurt / Main: Ullstein,<br />
1984, S. 202<br />
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