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Leseprobe(PDF) - Philharmonie Luxembourg

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Schwarz: Die Farbe des Ausstiegs aus<br />

der Farbe<br />

Karl Schawelka<br />

Abb. 1<br />

Juliette Gréco ca. um 1960<br />

(Quelle: offizielle Website)<br />

1.<br />

Bei einem internationalen Farbkongress in Oslo vor wenigen Jahren gab es ein<br />

Podium mit herausragenden Experten aus allen Ländern. Sie waren, als hätten sie<br />

sich abgesprochen, sämtlich von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, was beim<br />

Publikum zu einer gewissen Erheiterung führte: gerade von jenen wird ostentative<br />

Farbverneinung und Farbverzicht zelebriert, die ihr Leben der Erforschung der Farbe<br />

gewidmet haben und imstande sind, so beredt von ihrer segensreichen Wirkung<br />

zu berichten. Keine Frage, auch Farbforscher sind zunächst einmal Angehörige der<br />

Intelligentsia und wollen als solche gesehen und akzeptiert werden. Sie gehorchen<br />

dem Dresscode, der für ihresgleichen gilt. Inzwischen konnte ich auf diversen Fakultätsratssitzungen<br />

und Rektorenkonferenzen der Kunsthochschulen den herrschenden<br />

Gruppenzwang bei der Kleiderfarbe studieren. Erlaubt ist jede Farbe, sofern es sich<br />

um Schwarz handelt. Selbst der Farbcode für eine Trauergemeinde wird inzwischen<br />

laxer gehandhabt als der bei Auftritten Intellektueller in der Öffentlichkeit. Für Intellektuelle<br />

also, zumindest solche aus dem Kulturbereich – bei Naturwissenschaftlern<br />

verhält es sich etwas anders – ist Schwarz de rigueur. Heiner Müller, Karl Lagerfeld,<br />

Till Brönner, die Liste ist schier unerschöpflich. Kein Wunder, dass ein verbreitetes<br />

Handbuch für Kuratoren den Titel trägt: Men in Black. Gemeinhin führt<br />

man diese Mode auf die Existenzialisten der Nachkriegszeit zurück – unvergessen<br />

Juliette Greco in ihren schwarzen Pulli (Abb. 1) – die eben existenzielle Fragen in<br />

einer düsteren, schwermütigen Zeit stellten und sich bevorzugt in Kellerlokalen aufhielten.<br />

Allerdings ist die Vorliebe für Schwarz bei Intellektuellen weit älteren Ursprungs<br />

und lässt sich auf alle Fälle bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts<br />

zurückverfolgen. Das Schwarz der Dandys und das Schwarz der Kleriker, die wohl<br />

beide formativen Einfluss auf das elitäre Schwarz der Intellektuellen hatten, reichen<br />

ebenso wie die Selbstdarstellungen der Humanisten sogar noch weiter zurück. Auch<br />

dauert der Trend ungebrochen bis in die Gegenwart an, wobei natürlich Phasen wie<br />

die 1990er Jahre, wo er besonders virulent war, ausgemacht werden können. Die<br />

Hartnäckigkeit dieses Trends, an der selbst die Brillen à la Le Corbusier teilhaben,<br />

bildet das eigentlich zu Erklärende.<br />

Der Zeitgeist allein reicht zur Erklärung also nicht aus. Was hat Schwarz an sich,<br />

dass es sich anbietet, in der erwähnten Weise verwendet zu werden? Muss man aber<br />

nicht, wenn auch Rocker, Punks und Gruftis, Kleriker, Anarchisten, etablierte puritanische<br />

Bürger, Dandys, von Mussolinis Schwarzhemden und der SS zu schweigen,<br />

sich bevorzugt Schwarz kleiden oder gekleidet haben, den Schluss ziehen, dass<br />

Schwarz keine eigene Bedeutung hat, sondern jede Bedeutung je nach Kontext annimmt<br />

und man von Seiten der Farbforschung wenig Relevantes zur Analyse der<br />

Verwendung von Farbe in pragmatischen Zusammenhängen beitragen kann? Dem<br />

widerspricht aber – neben der erwähnten Nachhaltigkeit – dass gerade Schwarz<br />

und nur Schwarz als Zeichen einer radikalen Abgrenzung gegenüber der Mehrheit<br />

herangezogen wird. In den Kulturwissenschaften wird Kleidung gern – und gerade<br />

aufgrund der beschriebenen Vielfalt – als eine Art Sprache behandelt und auch<br />

die Bedeutung der Farben im Sinne linguistischer Modelle bestimmt. Mir scheint<br />

jedoch dieser Ansatz inzwischen nicht mehr sonderlich ergiebig, wenn nicht verfehlt<br />

zu sein, da er die wahrnehmungspsychologischen Gegebenheiten zu wenig berück-<br />

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