05.11.2013 Aufrufe

*Werkmappe 118 - Missio

*Werkmappe 118 - Missio

*Werkmappe 118 - Missio

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Leben im Ashram<br />

4<br />

Trommeln und Gesang reißen mich aus dem<br />

Schlaf. Es ist halb fünf Uhr morgens und vom<br />

Hindutempel dringt Musik in die Ashram-Hütte. Ich<br />

drehe mich zur Seite und schlafe nochmals ein, etwas<br />

hart liege ich auf der zwei Zentimeter starken<br />

„Matratze“. Kurze Zeit später weckt mich der Ruf<br />

des Muezzin. Um halb sechs, beim Läuten der Kirchenglocken,<br />

stehe ich dann endgültig auf.<br />

Ich bin den dritten Tag im christlichen Ashram Sameeksha<br />

und werde unsanft in aller Früh mit der<br />

Religiosität Indiens konfrontiert: Während im Hindutempel<br />

von Kalady die Priester ihre „Pujas“ – ihre<br />

Opfer mit Blumen und Weihrauch – darbringen,<br />

singen die Muslime ihre Koranverse und in der katholischen<br />

Kirche etwa 200 Gläubige das „Vater unser“:<br />

An einem ganz normalen Wochentag!<br />

Leben am Fluss<br />

IM ASHRAM DIE MITTE FINDEN<br />

Im Ashram von Sameeksha zirpen vorerst<br />

nur die Grillen. Tau liegt auf den Bananenstauden,<br />

Kokosnusspalmen ragen<br />

in den Morgenhimmel. Ich gehe zum<br />

Fluss und befolge den Rat von P. Painadath:<br />

„Wenn jemand nicht beten kann,<br />

dann soll er sich an den Fluss setzen. Der<br />

Fluss hat eine enorm heilende Wirkung,<br />

der bringt die Menschen innerlich zur<br />

Ruhe.“<br />

Auch eine Ordensfrau sitzt auf den Steinstufen<br />

am Fluss und liest in der Bibel. Sie<br />

hat sich für ein paar Tage zum Schweigen<br />

in den Ashram zurückgezogen. So wie Georgia,<br />

eine junge Computerfachfrau, die<br />

nach ihrem Collegeabschluss einige Tage<br />

über ihr Leben nachdenken will, oder<br />

Samsha, eine muslimische Studentin, die<br />

immer wieder die offene Atmosphäre des<br />

Ashrams aufsucht.<br />

Einen Ort schaffen, an den Menschen aus<br />

allen Religionen und Kulturen kommen<br />

können – das war vor fünfzehn Jahren<br />

das Ziel von P. Sebastian Painadath, dem<br />

Gründer und Leiter des Ashrams. Heute<br />

ist Sameeksha ein anerkannter Ort des<br />

Dialogs zwischen Hindus und Christen<br />

und selbst Muslime fühlen sich im Meditationshaus<br />

ausgesprochen wohl.<br />

von G. Bauernfeind<br />

Baum, Wasser, Licht: Im christlichen Ashram von Sameeksha bündelt<br />

sich eine sinnliche Spiritualität, die nichts mit weltfremder Abgehobenheit<br />

zu tun hat.<br />

In der Mitte das Licht<br />

Das Meditationshaus – „Haus der Harmonie“ – ist<br />

das Herz des Ashrams: Vier offene Türen laden Menschen<br />

aus allen Himmelsrichtungen ein. Ich ziehe<br />

meine Sandalen aus und betrete den Raum. In der<br />

Mitte brennt eine Öllampe, um sie herum stehen<br />

vier heilige Schriften: der Koran, die Bibel, die Bhagavad<br />

Gita und die Dhammapada – Wegweiser auf<br />

dem Weg zur göttlichen Lichtmitte.<br />

Nach und nach kommen die Mitglieder der Ashram-<br />

Gemeinde herein und versammeln sich zum Morgengottesdienst:<br />

P. Painadath, Bruder Varki, die Ordensfrau<br />

und einige Seminaristen setzen sich im<br />

Kreis auf die Meditationshocker, gruppiert um einen<br />

kleinen Altar. Heute wird nach dem Ritus der Thomas-Christen<br />

gefeiert, nach dem syromalabarischen<br />

Ritus. Ein Wechselgesang zwischen Priester, Gemeinde<br />

und Kantor<br />

führt durch den Gottesdienst.<br />

Die Öllampe,<br />

Blumen und Weihrauch<br />

schaffen eine spirituelle<br />

Atmosphäre.<br />

Das Frühstück nach der<br />

Morgenmesse ist für<br />

Europäer der gewöhnungsbedürftigste<br />

Teil<br />

des Ashram-Lebens:<br />

Nur sehr vorsichtig koste<br />

ich die Mehlfladen<br />

mit Erbsensauce oder<br />

das Kokos-Reismehl<br />

Lichtsäule vor dem Meditationshaus:<br />

an Festtagen brennt in<br />

sieben Schalen das Feuer.<br />

mit gekochten Bananen.<br />

Man sitzt nicht um<br />

einen Tisch, sondern<br />

wie in armen Häusern<br />

Indiens üblich auf Bänken,<br />

die an die Außenwände<br />

des Ess-Hauses<br />

gelehnt sind. In einer<br />

Ecke steht ein großer<br />

Tonbehälter mit abgekochtem<br />

Trinkwasser,<br />

daneben die Anrichte<br />

für die Töpfe. Gekocht<br />

wird vegetarisch, meistens<br />

scharf.<br />

Mit allen Sinnen glauben Werkmappe Weltkirche Nr. 123, 2002<br />

© Zerche

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!