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23*23*25*25*23*25*26*26 die wellen - Schauspiel Stuttgart

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*23 *26<br />

*25<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

Virginia Woolf<br />

25 26 liliom <strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

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<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

nach dem gleichnamigen Roman von<br />

> virginia woolf <<br />

deutschsprachige erstaufführung<br />

Fassung von Ulrich Rasche<br />

Premiere am 26. Januar 2007 im Kammertheater<br />

Aufführungsrechte bei S. Fischer Verlag GmbH<br />

www.staatstheater-stuttgart.de<br />

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schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

Besetzung<br />

jinny<br />

rhoda<br />

susan<br />

louis<br />

bernard<br />

neville<br />

regie und bühnenbild<br />

kostüme<br />

chorleitung<br />

dramaturgie<br />

regieassistenz<br />

bühnenbildassistenz<br />

kostümassistenz<br />

dramaturgieassistenz<br />

soufflage<br />

inspizienz<br />

regiehospitanz<br />

kostümhospitanz<br />

Dorothea Arnold<br />

Elisabeth Findeis<br />

Ursula Renneke<br />

Bernhard Conrad<br />

Jürgen Lehmann<br />

Sebastian Nakajew<br />

Ulrich Rasche<br />

Matthias Weiss<br />

Jürgen Lehmann<br />

Christian Holtzhauer<br />

Eike Schamburek<br />

Lars Johann<br />

Leah Lichtwitz<br />

Christian Mahlow<br />

Angelika Artz<br />

Roberto Rochow<br />

Natalie Dürr<br />

Carolin Hochstein<br />

Technische Direktion: Karl-Heinz Mittelstädt // Technischer Direktor<br />

<strong>Schauspiel</strong>: Andreas Zechner // Technische Einrichtung: Matthias Hennig //<br />

Licht: Reinhard Schaible // Ton: Herbert Schnarr // Requisite: Dieter Bauche //<br />

Maschinerie: Hans-Werner Schmidt // Leitung Dekorations werkstätten:<br />

Bernhard Leykauf // Technische Produktionsbetreuung: Claudia Cramer-Bast //<br />

Malsaal: Maik Sinz // Bildhauerei: Michael Glemser // Dekorationsabteilung:<br />

Donald Pohl // Schreinerei: Frank Schauss // Schlosserei: Patrick Knopke //<br />

Leitung Maske: Heinz Schary // Maske: Nadja Werthmann // Kostümdirektion:<br />

Werner Pick // Produktionsleitung Kostüme: Brigitte Simon // GewandmeisterInnen:<br />

Renate Jeschke (Damen), Elke Betzner, Marcus Schnurr (Herren)<br />

// Färberei: Martina Lutz<br />

s: 4 ˚<br />

s: 5 ˚<br />

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schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Meer und Himmel<br />

ließen sich nicht unterscheiden, nur dass das Meer leicht gefältelt<br />

war wie ein zerknittertes Tuch. Allmählich, während<br />

der Himmel weiß wurde, erstreckte sich eine dunkle Linie am<br />

Horizont, <strong>die</strong> das Meer vom Himmel trennte, und das graue<br />

Tuch wurde von dicken Streifen durchzogen, <strong>die</strong> sich, einer<br />

nach dem anderen, unter der Oberfläche bewegten, einander<br />

folgend, einander jagend, immerzu. Sowie sie sich der Küste<br />

näherten, hob sich ein Streifen nach dem anderen, schob<br />

sich hoch, brach und wischte einen dünnen Schleier weißen<br />

Wassers über den Sand. Die Welle hielt inne und zog sich<br />

dann wieder zurück, seufzend wie ein Schlafender, dessen<br />

Atem unbewusst kommt und geht.<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong> gelten als der experimentellste Roman Virginia Woolfs.<br />

Mit seiner Veröffentlichung im Herbst 1931 ging ein langer und für<br />

<strong>die</strong> Autorin äußerst anstrengender, von Selbstzweifeln begleiteter<br />

Schaffensprozess zu Ende, in dessen Verlauf der Text vielfach revi<strong>die</strong>rt,<br />

in seine einzelnen Abschnitte aufgelöst und neu zusammengesetzt<br />

wurde.<br />

In ihrem Roman verwebt Virginia Woolf <strong>die</strong> Lebenserinnerungen von<br />

sechs Freunden – Bernard, Neville, Susan, Jinny, Louis und Rhoda –<br />

zu einem feinen Geflecht. Die siebte Figur, der früh verstorbene<br />

Percival, eigentlich der Mittelpunkt des Freundeskreises, existiert nur<br />

in den Erinnerungen der anderen; er hat selbst keine Stimme. Doch<br />

streng genommen hat hier niemand eine Stimme: in inneren Monologen<br />

lassen <strong>die</strong> sechs ihr Leben Revue passieren. Gleichsam durch<br />

<strong>die</strong> Augen der Figuren begleitet der Leser <strong>die</strong> Freunde auf den für sie<br />

wichtigsten Etappen: Kindheit, Schul- und Stu<strong>die</strong>nzeit, <strong>die</strong> Abnabelung<br />

vom Elternhaus, der Einstieg ins Berufsleben, Familiengründung.<br />

Wir begleiten sie auf ihrer Suche nach Erfolg und Anerkennung, nach<br />

Zugehörigkeit, nach Liebe und nach (sexueller) Befriedigung. Wir<br />

müssen aber auch erleben, wie sie alt werden und das Erreichte in<br />

Frage stellen, und begleiten sie schließlich bis in den Tod.<br />

s: 6 ˚ s: 7 ˚<br />

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schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

Der Vorgang des Erinnerns ist ein eigentümlicher Prozess: Ohne<br />

erkennbare Logik führt eine Erinnerung zur nächsten, wird Unscheinbares<br />

bedeutungsvoll, verschmelzen verschiedenartige Eindrücke<br />

miteinander. Lange zurückliegende Begebenheiten werden, zumindest<br />

für einen kurzen Augenblick, wieder so lebendig, als ob sie sich<br />

just in <strong>die</strong>sem Moment ereigneten. Dieser Augenblick führt dann<br />

zum nächsten, und so fügen <strong>die</strong> Erinnerungen sich zu einer Kette<br />

von Momentaufnahmen unseres Lebens, entsteht ein kontinuierlicher,<br />

in seinen Sprüngen und Wendungen unvorhersehbarer Strom<br />

von Assoziationen, Empfindungen und Gedanken. Zu einem solchen<br />

Strom hat Woolf <strong>die</strong> Erinnerungen der sechs Figuren verknüpft.<br />

Eingerahmt, gegliedert und zusammengehalten wird <strong>die</strong>ser Gedankenstrom<br />

von Naturbeschreibungen: Dem Tageslauf der Sonne, den<br />

damit einhergehenden Veränderungen des Lichtes und der Farben,<br />

der Abfolge der Jahreszeiten – und dem fortwährenden Heranrollen<br />

und Sich-Brechen der Wellen. Die Zyklen der Natur ergeben den<br />

Rhythmus der Erzählung: wie Wellen tauchen <strong>die</strong> Erinnerungen –<br />

eine nach der anderen – am Horizont auf.<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong> kann als eine Art Schlüsselroman gelesen werden: Woolf<br />

habe, so eine gängige Interpretation, mit den sechs Figuren sich<br />

und ihre Freunde porträtiert. Tatsächlich scheint sie mit der Figur<br />

des Percival ihrem früh verstorbenen Bruder Thoby ein Denkmal<br />

gesetzt zu haben. Weit interessanter ist es jedoch, <strong>die</strong> individuellen<br />

Lebensentwürfe der sechs Freunde als verschiedene Daseinsmöglichkeiten<br />

der menschlichen Existenz zu deuten. Oder als sechs<br />

verschiedene Facetten ein und derselben Person (vielleicht sogar<br />

der Autorin selbst). Der lange Schlussmonolog Bernards, in dessen<br />

Verlauf <strong>die</strong> Figuren ineinander zu fließen beginnen, legt eine solche<br />

Sichtweise nahe.<br />

Woolf gelingt es in ihrem Roman auf unnachahmliche Weise, <strong>die</strong><br />

Gedanken der Figuren, ihre Sinneswahrnehmungen, ihre Gefühle<br />

und Erinnerungen in Bildern vor unserem geistigen Auge entstehen<br />

zu lassen. Allein ihre Sprache erschafft <strong>die</strong>se Bilder, schafft Realität.<br />

Einer solchen Sprache Körperlichkeit zu verleihen, sie in einen Raum<br />

einzubringen, in dem sie sich – von Augenblick zu Augenblick –<br />

entfalten und ihre Wirkungskraft unter Beweis stellen kann, ist <strong>die</strong><br />

einzigartige Chance des Theaters.<br />

christian holtzhauer<br />

s: 8 ˚<br />

s: 9 ˚<br />

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schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

Virginia Woolf<br />

Adeline Virginia Stephen wurde am 25. Januar 1882 als zweite Tochter<br />

des Publizisten und Historikers Leslie Stephen und seiner zweiten Ehefrau Julia<br />

Duckworth in London geboren. Neben den Halbgeschwistern aus der ersten<br />

Ehe ihrer Mutter hatte Virginia drei Geschwister – Adrian, Vanessa und Thoby –,<br />

mit denen sie zeitlebens in sehr engem Kontakt stand. Während ihre Brüder<br />

eine Schule besuchten und anschließend an der Universität Cambridge stu<strong>die</strong>rten,<br />

wurden Virginia und Vanessa – wie in der damaligen Zeit üblich – zu Hause unterrichtet.<br />

In ihren Erinnerungen bedauerte Virginia Woolf Jahre später, als Kind so<br />

wenig mit Gleichaltrigen in Kontakt gekommen zu sein. Das rege intellektuelle<br />

Leben im Hause der Stephens und <strong>die</strong> große Bibliothek ihres Vaters trugen jedoch<br />

dazu bei, dass <strong>die</strong> Schwestern eine umfassende Ausbildung erhielten, und weckten<br />

in Virginia, <strong>die</strong> eine besessene Leserin war, schon früh den Wunsch, Schriftstellerin<br />

zu werden. Nach dem Tod ihrer Mutter 1895 erlitt Virginia erstmals einen<br />

psychischen Zusam men bruch. Als 1902 ihre ältere Halbschwester Stella und 1904<br />

dann ihr Vater verstarben, erlitt sie erneut einen Nerven zusammenbruch, von<br />

dem sie sich nur sehr langsam erholte. Nach dem Tod des Vaters traten <strong>die</strong> vier<br />

Geschwister eine ausgedehnte Reise durch West europa an. Nach ihrer Rück kehr<br />

bezogen sie gemeinsam ein Haus im Londoner Stadtteil Bloomsbury, dem damaligen<br />

Künstlerviertel Londons. Dort riefen sie den legendären Blooms bury-Zirkel ins<br />

Leben – eine Gruppe von Künstlern und Intellek tuellen, zu der neben den vier<br />

Geschwistern u.a. der amerikanische Dichter T.S. Eliot, <strong>die</strong> Literaten D.H. Lawrence<br />

und Lytton Strachey, der Maler Duncan Grant, der Ökonom John Maynard<br />

s: 10 ˚ s: 11 ˚<br />

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schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

Vor zwei Tagen – um genau zu sein, am Sonntag,<br />

dem 16. April 1939 – sagte Nessa [Virginias ältere Schwester<br />

Vanessa] zu mir, wenn ich nicht bald anfinge, meine Memoiren<br />

zu schreiben, wäre ich bald zu alt dazu. Ich fange also an,<br />

ohne mich damit aufzuhalten, <strong>die</strong> mir passende<br />

Form zu finden.<br />

<strong>die</strong> erste erinnerung: Sie bezieht sich auf rote und lila Blumen auf<br />

schwarzem Grund – das Kleid meiner Mutter, und sie saß entweder in einem<br />

Eisen bahnwagen oder in einem Omnibus, und ich saß auf ihrem Schoß.<br />

Darum sah ich auch <strong>die</strong> Blumen, <strong>die</strong> sie trug, aus allernächster Nähe, und<br />

mir ist, als sähe ich das Lila, das Rot und das Blau gegen das Schwarz<br />

noch immer vor mir; es müssen Anemonen gewesen sein. Vielleicht fuhren<br />

wir nach St. Ives – wahrscheinlicher jedoch ist, dass wir nach London<br />

zurückkamen, denn dem Licht nach müsste es Abend gewesen sein. Aber<br />

aus künstlerischen Gründen ist es mir lieber, dass wir nach St. Ives fuhren,<br />

weil das zu einer anderen Erinnerung führt, <strong>die</strong> tatsächlich <strong>die</strong> wichtigste<br />

aller meiner Erinnerungen ist. Ich liege halb schlafend, halb wach im Bett,<br />

im Kinderzimmer in St. Ives. Ich höre – hinter einem gelben Rouleau –,<br />

<strong>die</strong> Wellen sich, eins-zwei, eins-zwei, brechen und über den Strand hinaufschauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

Keynes und der Philosoph Bertrand Russel gehörten. Entgegen den Gepflogen heiten<br />

jener Zeit nahmen Virginia und ihre Schwester Vanessa selbstverständlich an den<br />

Treffen teil und waren gleichberechtigte und akzeptierte Gesprächs partner. In jener<br />

Zeit begann Virginia auch, Essays und Rezensionen für verschiedene Zei tungen und<br />

Zeitschriften zu schreiben. Über den Bloomsbury-Zirkel lernte Virginia den Verleger<br />

und Publizisten Leonard Woolf kennen, den sie 1912 heiratete. Zunächst zog das<br />

Ehepaar in den Londoner Vorort Richmond, später aufs Land nach Sussex, da<br />

Virginia wegen ihres labilen Gesundheitszustands Ruhe verordnet worden war. Im<br />

Sommer 1913 unternahm Virginia Woolf einen Selbstmordversuch. Im gleichen Jahr<br />

schloss sie auch <strong>die</strong> Arbeit an ihrem ersten Roman, <strong>die</strong> fahrt hinaus, ab, der<br />

1915 erscheinen sollte. 1917 gründete das Ehepaar Woolf den Verlag „Hogarth<br />

Press“, der sich auf Erstlingswerke junger Autoren spezialisierte und in dem auch<br />

Virginia Woolfs eigene Bücher herausgegeben wurden. 1922 lernt Virginia <strong>die</strong><br />

Schriftstellerin Vita Sackville-West kennen, zu der sie über Jahre hinweg eine Liebesbeziehung<br />

unterhielt, und der sie mit dem Roman Orlando (1928) ein literarisches<br />

Denkmal setzte. Virginia Woolf war eine äußerst produktive Autorin. Neben zehn<br />

Romanen verfasste sie zahlreiche Kurzgeschichten, Essays, Literatur rezensionen und<br />

Briefe. Zu ihren bedeutendsten Werken gehören <strong>die</strong> Romane Jakobs Zimmer<br />

(1922), Mrs. DALLOWAy (1925), DIE FAHRT zum Leuchtturm (1927) sowie DIE<br />

Wellen (1931). Ihr 1929 erschienener Essay EIN ZIMMER für sich allein wurde<br />

zu einem der meist zitierten Texte der Frauen bewegung. Am 28. März 1941 nahm<br />

sich Virginia Woolf in dem Fluss Ouse nahe ihrem Wohnhaus in Sussex das Leben.<br />

christian mahlow<br />

Erinnerung<br />

s: 12 ˚<br />

s: 13 ˚<br />

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schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

schäumen, und sich dann wieder, eins-zwei, eins-zwei, brechen. Ich höre das<br />

Rouleau, das seine kleine Holzquaste an der Schnur über den Boden schleift,<br />

wenn der Wind es nach außen bauscht; ich liege und höre <strong>die</strong>ses Schäumen<br />

und sehe <strong>die</strong>ses Licht, und habe das Gefühl, es ist fast unmöglich, dass ich<br />

tatsächlich hier bin, mit dem Gefühl der reinsten Ekstase ...<br />

[Dieses Kinderzimmer] hatte einen Balkon. Er hatte zwar eine Trennwand,<br />

hing aber mit dem Schlafzimmerbalkon meines Vaters und meiner<br />

Mutter zusammen. Meine Mutter kam gewöhnlich in einem weißen Morgenrock<br />

auf ihren Balkon hinaus, an dessen Wand Passionsblumen wuchsen. Das<br />

waren große sternenförmige Blüten, mit violettem Fadenkranz und großen<br />

grünen Knospen, teils voll, teils leer.<br />

Wenn ich eine Malerin wäre, würde ich meine ersten Eindrücke in<br />

einem blassen Gelb, Silber, Grün malen: wie <strong>die</strong> hellgelben Rouleaus, das<br />

grüne Meer und das Silbrige der Passionsblumen. Ich würde ein halbtransparentes<br />

Rundbild malen, ein Bild mit gewölbten Blütenblättern, mit Muscheln,<br />

mit Dingen, <strong>die</strong> halb durchsichtig wären; ich würde Arabesken ohne feste<br />

Umrisse malen, durch <strong>die</strong> das Licht scheint. Alles wäre groß und verschwommen,<br />

und was zu sehen wäre, wäre gleichzeitig auch zu hören – Geräusche<br />

würden aus <strong>die</strong>ser Blüte oder jenem Blatt kommen, Geräusche, <strong>die</strong> vom Bild<br />

selbst nicht zu unterscheiden wären. Geräusch und Bild scheinen also <strong>die</strong><br />

ersten Eindrücke zu gleichen Teilen auszumachen. Wenn ich an <strong>die</strong> frühen<br />

Morgen im Bett denke, höre ich auch das Krächzen der Krähen aus großer<br />

Höhe herunterfallen. Das Krächzen der Krähen gehört zum Sich-Brechen der<br />

Wellen – eins-zwei, eins-zwei – und dem Schäumen des Wassers, wenn sie<br />

zurückweichen, um sich dann wieder zu sammeln ...<br />

Die Stärke <strong>die</strong>ser Bilder – doch das Schauen war damals immer<br />

so sehr mit Geräuschen verbunden, dass „Bild“ nicht das richtige Wort ist –<br />

jedenfalls lässt mich <strong>die</strong> Stärke <strong>die</strong>ser Eindrücke immer wieder abschweifen.<br />

Jene Momente – im Kinderzimmer und auf dem Weg zum Strand – können<br />

noch heute realer sein als der gegenwärtige Augenblick. Ich kann ein<br />

Stadium erreichen, wo ich <strong>die</strong> Dinge so geschehen sehe, als wäre ich dort.<br />

Das bedeutet, wie ich annehme, dass mein Gedächtnis das reproduziert, was<br />

ich vergessen hatte; so dass es aussieht, als geschähe es unabhängig von<br />

mir, obwohl ich es doch in Wirklichkeit geschehen lasse. In gewissen günstigen<br />

Stimmungen tauchen Erinnerungen – etwas, was man vergessen hatte<br />

– wieder auf. Wenn das so ist, wäre es dann nicht auch möglich – frage ich<br />

mich oft –, dass Dinge, <strong>die</strong> wir mit großer Intensität erlebt haben, unabhängig<br />

von unserem Bewusstsein existieren?<br />

aus: Virginia Woolf,<br />

eine skizze der vergangenheit (1939)<br />

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schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

Über den Roman der<br />

Zukunft<br />

wenn wir also mut haben, wenn wir riskieren, uns lächerlich zu machen,<br />

und zu erkennen versuchen, in welche Richtung wir, <strong>die</strong> wir uns so rasch zu<br />

bewegen scheinen, denn eigentlich gehen, werden wir vielleicht erfahren,<br />

dass <strong>die</strong> Prosa in zehn bis fünfzehn Jahren für Zwecke verwendet wird,<br />

für <strong>die</strong> sie noch nie verwendet wurde. Wir werden gezwungen sein, uns<br />

neue Namen für <strong>die</strong> verschiedenen Buchgattungen auszudenken, <strong>die</strong> sich<br />

da – unter ein und demselben Titel – verbergen. Und es ist möglich, dass<br />

sich unter den sogenannten Romanen einer befinden wird, den wir kaum<br />

zu benennen wissen. Er wird in Prosa geschrieben sein, aber in einer Prosa,<br />

<strong>die</strong> viele Merkmale der Dichtung hat. Sie wird etwas von der Exaltation der<br />

Poesie haben, aber auch viel von der Gewöhnlichkeit der Prosa. Sie wird<br />

dramatisch sein und dennoch kein Drama. Sie wird gelesen, nicht dargestellt<br />

werden. Welchen Namen sie haben wird, ist kaum von Bedeutung. Wichtig<br />

ist, dass so ein Buch, wie wir es am Horizont auftauchen sehen, vielleicht<br />

dazu <strong>die</strong>nen kann, Gefühle auszusprechen, <strong>die</strong> im Augenblick noch von der<br />

reinen und einfachen Dichtung ausgesperrt sind und auch im Drama keine<br />

Unterkunft finden.<br />

[Dieses Buch] wird wenig Gebrauch machen von dem wunderbaren<br />

Vermögen, Tatsachen zu berichten, das ein Merkmal der Romanliteratur ist.<br />

s: 16 ˚<br />

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schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

Es wird uns sehr wenig über <strong>die</strong> Häuser, das Einkommen, <strong>die</strong> Tätigkeiten<br />

der Figuren mitteilen. Trotz <strong>die</strong>ser Einschränkungen wird es <strong>die</strong> Gefühle<br />

und Vorstellungen der Romanfiguren genau und lebhaft ausdrücken, aber<br />

unter einem anderen Blickwinkel. Es wird dem Gedicht insofern ähneln, als<br />

es nicht nur <strong>die</strong> Beziehungen der Menschen zueinander beschreibt, sondern<br />

es wird <strong>die</strong> Beziehung des Bewusstseins zu allgemeinen Ideen und sein einsames<br />

Selbstgespräch schildern. Denn unter der Herrschaft des bisherigen<br />

Romans haben wir zwar einen Teil des Bewusstseins genau beobachtet, einen<br />

anderen aber gänzlich außer acht gelassen. Wir haben vergessen, dass<br />

ein ganz erheblicher Teil unseres Lebens aus Empfindungen zu Rosen und<br />

Nachtigallen, zu Morgendämmerung, Sonnenuntergang, Leben, Tod und<br />

Schicksal besteht; wir vergessen, dass wir viel Zeit damit verbringen zu schlafen,<br />

zu träumen, zu denken, zu lesen – und das allein; wir sind nicht ausschließlich<br />

mit persönlichen Beziehungen beschäftigt, nicht all unsere Energie<br />

richtet sich auf unseren Lebensunterhalt. Wir sehnen uns nach einer etwas<br />

unpersönlicheren Art der Beziehung. Wir sehnen uns nach Ideen, Träumen,<br />

Vorstellungen – nach Dichtung.<br />

aus: Virginia Woolf,<br />

<strong>die</strong> schmale brücke der kunst (1927)<br />

über <strong>die</strong> entstehung von „<strong>die</strong> <strong>wellen</strong>“<br />

aus den Tagebüchern von Virginia Woolf<br />

––––– 30. September 1926<br />

Ich habe <strong>die</strong> Absicht, einen merkwürdigen<br />

Geisteszustand festzuhalten. Ich wage <strong>die</strong><br />

Vermutung, es könnte der Impuls zu einem<br />

neuen Buch sein.<br />

––––– 21. Februar 1927<br />

Warum nicht eine neue Art von Theaterstück<br />

erfinden – weg von Fakten: frei; dennoch<br />

konzentriert; Prosa, dennoch Poesie; ein Roman<br />

& ein Theaterstück.<br />

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s: 19 ˚<br />

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schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

––––– 18. Juni 1927<br />

Plötzlich legte ich los & erzählte <strong>die</strong> Geschichte der „Moths“*<br />

wieder, <strong>die</strong> ich wohl sehr schnell schreiben werde. Ich glaube, dass<br />

<strong>die</strong> „Moths“ ganz gut das Gerüst ausfüllen können, das ich hier<br />

hingeworfen habe: <strong>die</strong> Idee eines Drama-Poems: <strong>die</strong> Idee von einem<br />

fortlaufenden Strom, nicht nur von menschlichen Gedanken,<br />

sondern von dem Schiff, der Nacht &c., <strong>die</strong> alle zusammenfließen:<br />

unterbrochen von der Ankunft der leuchtenden Falter.<br />

* „Die Wellen“ sollten ursprünglich „The Moths“ („Die Nachtfalter“) heißen<br />

––––– 20. September 1927<br />

EINES TAGES werde ich hier <strong>die</strong> UMRISSE aller<br />

MEINER FREUNDE skizzieren, wie ein groSSES<br />

HISTORISCHES GEMäLDE. Es wäRE doch eine<br />

MÖGLICHKEIT, <strong>die</strong> MEMOIREN seiner eigenen ZEIT<br />

ZU schreiben, während <strong>die</strong> MENSCHEN noch<br />

am Leben sind.<br />

––––– 28. November 1928<br />

The Moths verfolgen mich immer noch, sie erscheinen ungebeten<br />

zwischen Tee & Dinner ... Mir ist <strong>die</strong> Vorstellung gekommen, was ich<br />

jetzt tun möchte ist, jedes Atom zu sättigen. Ich will alles Nutzlose,<br />

Abgestorbene, Überflüssige eliminieren: den Augenblick ganz<br />

geben, was immer er enthält.<br />

––––– 28. Mai 1929<br />

Jetzt zu <strong>die</strong>sem Buch, The Moths. Wie soll ich damit anfangen? Ich versuche nicht,<br />

eine Geschichte zu erzählen. Doch könnte es vielleicht so gehen. Ein denkendes<br />

Bewusstsein. Sie könnten Lichtinseln sein – Inseln im Strom, den ich zu vermitteln<br />

versuche: das Leben selbst, wie es dahinläuft.<br />

––––– 23. Juni 1929<br />

Jetzt fange ich an, <strong>die</strong> Moths eher zu klar zu<br />

sehen. Ich glaube ich werde so anfangen:<br />

Morgendämmerung; <strong>die</strong> Muscheln an einem<br />

Strand ... Könnte man es nicht einrichten, dass<br />

<strong>die</strong> Wellen <strong>die</strong> ganze Zeit zu hören sind?<br />

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schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

––––– 11. Oktober 1929<br />

Man meint, man hätte gelernt, schnell zu<br />

schreiben, & man hat es nicht. Auch habe ich<br />

noch nie in meinem Leben einen so vagen und<br />

dennoch ausgetüftelten Entwurf angepackt;<br />

bei jedem Zeichen, das ich hinsetze, muss ich<br />

dessen Beziehung zu einem Dutzend anderer<br />

bedenken.<br />

––––– 26. Januar 1930<br />

Ich stecke fest in <strong>die</strong>sem Buch – ich meine, klebe fest wie eine Fliege am<br />

Fliegenpapier. Manchmal verliere ich den Kontakt, mache aber weiter;<br />

dann wieder habe ich das Gefühl, dass ich endlich meinen Finger auf<br />

etwas Zentrales gelegt hätte. Aber wie ich es zusammenziehen, es zu<br />

einem Ganzen pressen soll – das weiß ich nicht; noch kann ich mir<br />

das Ende vorstellen. Die Zwischenpartien sind sehr schwierig, dennoch<br />

halte ich sie für wesentlich: um zu überbrücken & auch um einen<br />

Hintergrund zu bilden – das Meer, <strong>die</strong> unempfindliche Natur – ich<br />

weiß nicht.<br />

s: 22 ˚<br />

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schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

schauspielstuttgart<br />

<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

––––– 16. Februar 1930<br />

Ich arbeite weiter an der Hampton Court-Szene in The Waves – lieber<br />

Gott, wie oft ich mich frage, ob ich <strong>die</strong>ses Buch zustande bringen werde!<br />

Es ist ein Haufen von Fragmenten bis jetzt.<br />

––––– 1. März 1930<br />

Wenn mich je ein Buch ausgelaugt hat, dann <strong>die</strong>ses.<br />

––––– 28. März 1930<br />

Dieses Buch ist eine sehr kuriose Angelegenheit. Ich bossele weiter<br />

daran; & empfinde es als das komplexeste & schwierigste aller<br />

meiner Bücher. Wie soll man es beenden, außer durch eine ungeheure<br />

Diskussion, in der jedes Leben seine Stimme haben soll – ein Mosaik<br />

– ein –––. Ich weiß es nicht.<br />

––––– 23. April 1930<br />

Dies ist ein sehr wichtiger Morgen in der Geschichte von The Waves,<br />

weil ich glaube, dass ich <strong>die</strong> Ecke genommen habe & <strong>die</strong> letzte Strecke<br />

geradeaus vor mir sehe.<br />

––––– 29. April 1930<br />

Und ich habe gerade, mit eben<strong>die</strong>ser Federspitze<br />

voll Tinte, den letzten Satz von The Waves beendet.<br />

Ich denke, ich sollte das zu meiner eigenen<br />

Information festhalten. Ja, es war <strong>die</strong> größte geistige<br />

Anspannung, <strong>die</strong> ich je erlebt habe. Aber<br />

ich habe noch kein Buch geschrieben, das so voller<br />

Löcher & Flickwerk ist; es wird umgebaut werden<br />

müssen, nicht nur umgestaltet.<br />

––––– 1. Mai 1930<br />

Habe nichts als einen Scherbenhaufen in meinem Kopf; kann<br />

nicht lesen, & kann nicht schreiben, & kann nicht denken. Die<br />

Wahrheit ist natürlich, dass ich mich wieder an The Waves<br />

machen möchte. Ich beginne zu verstehen, was ich im Sinn hatte;<br />

& möchte anfangen, massenweise Irrelevantes herauszuschneiden<br />

& zu lichten, <strong>die</strong> guten Sätze zu schärfen & sie auf Glanz zu<br />

bringen. Eine Welle nach der anderen ...<br />

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<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

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<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

––––– 20. August 1930<br />

The Waves löst sich, glaube ich (ich bin auf Seite 100), in eine Reihe<br />

von dramatischen Monologen auf. Worauf es ankommt ist, sie homogen<br />

hinein- & herausfließen zu lassen, im Rhythmus der Wellen.<br />

Können sie nacheinander gelesen werden? Davon weiß ich noch<br />

nichts. Ich finde, <strong>die</strong>s ist <strong>die</strong> größte Gelegenheit, <strong>die</strong> ich mir bisher<br />

habe schaffen können: daher vermutlich der totalste Fehlschlag.<br />

––––– 12. Dezember 1930<br />

Dies ist, denke ich, der letzte Tag einer<br />

Atempause, <strong>die</strong> ich mir gestatte, bevor ich <strong>die</strong><br />

letzte Strecke von The Waves anpacke.<br />

––––– 22. Dezember 1930<br />

Mir kam gestern abend der Einfall, als ich ein Beethoven-Quartett<br />

hörte, dass ich all <strong>die</strong> unterbrochenen Abschnitte in Bernards letzter<br />

Rede verschmelzen könnte, & mit den Worten O Einsamkeit enden:<br />

so dass er all <strong>die</strong>se Szenen absorbieren könnte & es keinen Bruch<br />

mehr gäbe.<br />

––––– 30. Dezember 1930<br />

WAS ihm fehlt, ist vermutlich EINHEIT; aber es ist, denke ich, ziemlich<br />

gut (ich rede mit mir selbst am Kamin über The Waves). Angenommen,<br />

ich könnte alle Szenen noch mehr zusammenziehen? – durch den<br />

Rhythmus, hauptsächlich. Um so <strong>die</strong>se Schnitte zu vermeiden; um so<br />

das Blut wie einen Sturzbach von einem Ende zum anderen fließen zu<br />

lassen – ich will den Leerlauf nicht, den <strong>die</strong> Brüche verursachen; ich<br />

möchte Kapitel vermeiden; das ist wirklich meine Leistung, wenn es<br />

hier eine gibt: eine gesättigte, unzerteilte Vollständigkeit; Wechsel der<br />

Szenen, der Stimmungen, der Personen wird herbeigeführt ohne einen<br />

Tropfen zu verschütten.<br />

––––– 2. Februar 1931<br />

Ich glaube, ich bin im Begriff, The Waves<br />

zu beenden. Ich glaube, ich könnte es am<br />

Samstag beenden.<br />

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<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

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<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

––––– 7. Februar 1931<br />

Hier muss ich, in den wenigen Minuten, <strong>die</strong> bleiben, das<br />

Ende von The Waves festhalten, dem Himmel sei Dank.<br />

Ich habe <strong>die</strong> Worte O Tod vor fünfzehn Minuten niedergeschrieben,<br />

nachdem ich durch <strong>die</strong> letzten zehn Seiten<br />

mit Momenten solcher Intensität & Berauschtheit getrudelt<br />

bin, dass mir schien, ich stolperte nur noch meiner eigenen<br />

Stimme hinterher, oder fast einer Art von Sprecher (wie<br />

als ich verrückt war) ...<br />

Was mich im letzten Stadium interessiert, war <strong>die</strong> Freiheit<br />

& Kühnheit, mit der meine Phantasie all <strong>die</strong> Bilder &<br />

Symbole, <strong>die</strong> ich vorbereitet hatte, ergriff, benutzte & verwarf.<br />

Ich bin überzeugt, dass das <strong>die</strong> richtige Art & Weise<br />

ist, sie zu benutzen – nicht in festen Fügungen, wie ich es<br />

zunächst versucht hatte, zusammenhängend, sondern<br />

einfach als Bilder; ohne je eindeutig sein zu müssen; nur<br />

andeutend. So hoffe ich, dass ich das Geräusch von Meer<br />

& Vögeln, Morgendämmerung & Garten unterschwellig<br />

beibehalten habe, so dass sie ihre Arbeit unterirdisch tun.<br />

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<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

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<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

––––– 13. Mai 1931<br />

Ich bin jetzt dabei, <strong>die</strong> 332 Seiten der Waves von Anfang bis Ende zu<br />

tippen. Ich schaffe 7 oder 8 pro Tag; damit hoffe ich, das Ganze bis<br />

zum 16. Juni oder um den Dreh beendet zu haben.<br />

––––– 30. Mai 1931<br />

Nein, habe ich gerade gesagt, ich kann nicht<br />

mehr schreiben: ich schreibe das Todeskapitel<br />

ab: habe es zweimal umgeschrieben. Ich<br />

werde mich noch einmal daran machen & es<br />

abschließen, heute nachmittag, hoffentlich.<br />

Aber wie es doch <strong>die</strong> Muskeln in meinem Hirn<br />

zu einem festen Knäuel zusammenzurrt. Das ist<br />

<strong>die</strong> konzentrierteste Arbeit, <strong>die</strong> ich je geleistet<br />

habe & welch eine Erleichterung, wenn sie<br />

beendet ist. Aber auch <strong>die</strong> interessanteste.<br />

––––– 17. Juli 1931<br />

Ja. HEUTE morgen kann ich, glaube<br />

ich, sagen, ich habe es beendet.<br />

Leonard [Virginia Woolfs Mann, der Verleger Leonard Woolf] wird es<br />

morgen lesen; & ich werde <strong>die</strong>se Kladde auf schlagen,<br />

um sein Urteil einzutragen.<br />

Meine eigene Meinung, – o je –, es ist ein schwieriges<br />

Buch. Ich weiß nicht, wann ich mich je so unter Druck<br />

gefühlt habe. Und ich bin nervös, wegen Leonard.<br />

Eines ist sicher, er wird ehrlich sein, mehr als sonst.<br />

Und es könnte ein Fehlschlag sein. Jedenfalls habe<br />

ich meine Vision angepeilt, und wenn es kein Fang ist,<br />

ist es doch ein Wurf in <strong>die</strong> richtige Richtung. Aber<br />

ich bin nervös.<br />

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<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

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<strong>die</strong> <strong>wellen</strong><br />

––––– 19. Juli 1931<br />

„Es ist ein Meisterwerk“, sagte<br />

Leonard, als er heute morgen zu<br />

meinem Gartenhaus herauskam.<br />

„Und das beste deiner Bücher.“ Ich<br />

halte das fest; & füge hinzu, dass<br />

er auch findet, dass <strong>die</strong> ersten<br />

100 Seiten extrem schwierig sind,<br />

& seine Zweifel hat, wieweit ein<br />

gewöhnlicher Leser dem folgen<br />

wird. Aber mein Gott! welche<br />

Erleichterung!<br />

––––– 15. September 1931<br />

Ich bin hier heraufgekommen, zitternd in dem Gefühl<br />

vollständigen Versagens ... The Waves, das sage ich<br />

voraus, markiert den Niedergang meines Renommees.<br />

––––– 9. Oktober 1931<br />

Tatsächlich, <strong>die</strong>ses unverständliche Buch wird<br />

besser aufgenommen als irgendeins davor.<br />

Und es verkauft sich – wie unerwartet, wie<br />

merkwürdig, dass <strong>die</strong> Leute <strong>die</strong>ses schwierige,<br />

knirschende Zeug lesen können!<br />

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impressum<br />

textnachweis<br />

Virginia Woolf, Die Wellen, Frankfurt am Main, 2003;<br />

Virginia Woolf, Eine Skizze der Erinnerung, in: Augenblicke –<br />

skizzierte Erinnerungen, <strong>Stuttgart</strong>, 1981;<br />

Virginia Woolf, Die schmale Brücke der Kunst, Berlin, 1994;<br />

Virginia Woolf, Tagebücher, Band II (1925 – 1930) und III (1931 – 1935),<br />

herausgegeben von Klaus Reichert, Frankfurt am Main, 1999 – 2003<br />

herausgeber<br />

<strong>Schauspiel</strong> <strong>Stuttgart</strong> / Staatstheater <strong>Stuttgart</strong><br />

intendant<br />

Hasko Weber<br />

redaktion<br />

Christian Holtzhauer, Christian Mahlow<br />

gestaltung<br />

strichpunkt, <strong>Stuttgart</strong> / www.strichpunkt-design.de<br />

druck<br />

Engelhardt & Bauer<br />

s: 34 ˚<br />

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