in göttingen
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LEBEN [ Fitness ]<br />
100 JAHRE DEUTSCHES SPORTABZEICHEN<br />
Das Deutsche Sportabzeichen ist e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d der<br />
Kaiserzeit: 1913 hielt es nach schwedischem<br />
Vorbild E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> Deutschland. Seither hat es<br />
viele politische, soziale und sportliche Veränderungen<br />
durchlaufen – und überlebt.<br />
Wer <strong>in</strong> den 1980er-Jahren als junger<br />
männlicher Erwachsener noch nichts vom<br />
Deutschen Sportabzeichen gehört hatte,<br />
kam spätestens bei der Bundeswehr damit <strong>in</strong><br />
Kontakt. E<strong>in</strong>e Fitnessprüfung als Gruppenerlebnis?<br />
Was heute ungewohnt ersche<strong>in</strong>t,<br />
sei früher ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfall gewesen, sagt<br />
Bernd Wedemeyer-Kolwe vom Niedersächsischen<br />
Institut für Sportgeschichte <strong>in</strong> Hannover:<br />
„Bis <strong>in</strong> die 1980er-Jahre wurde das<br />
Sportabzeichen meist <strong>in</strong> geschlossenen gesellschaftlichen<br />
Systemen abgelegt, also <strong>in</strong><br />
Vere<strong>in</strong>en, <strong>in</strong> der Schule, bei der Feuerwehr,<br />
der Polizei, der Bundeswehr.“<br />
Nachdem es von 1934 bis 1945 ganz im<br />
S<strong>in</strong>ne der nationalsozialistischen Namensund<br />
Gedankenwelt „Reichssportabzeichen“<br />
genannt worden war, erlebte es nach dem<br />
Krieg, noch zwischen den Trümmern, unter<br />
der erneuten Bezeichnung Deutsches<br />
Sportabzeichen e<strong>in</strong>en großen Aufschwung:<br />
„Die Menschen wollten raus, sich wieder<br />
bewegen und das Elend vergessen“, sagt<br />
Wedemeyer. „Die Sportaktivitäten aus der<br />
Vorkriegszeit und vor der Vere<strong>in</strong>nahmung<br />
durch die Nationalsozialisten wurden fortgeführt.“<br />
In der DDR wurde ab 1951 das Sportleistungsabzeichen<br />
der DDR „Bereit zur Arbeit<br />
und zur Verteidigung der Heimat“ <strong>in</strong> den<br />
Stufen Gold, Silber und Bronze verliehen.<br />
Da an Tartanbahn, Sprungmatte und<br />
Spikes <strong>in</strong> den Anfangsjahren der Bundesrepublik<br />
nicht zu denken war, wurde improvisiert.<br />
Theoklaus Barz, 82, aus Pirmasens<br />
er<strong>in</strong>nert sich: „Wir hatten damals ke<strong>in</strong>e Startblöcke,<br />
deshalb haben wir uns Mulden <strong>in</strong> die<br />
Laufbahn gehauen. Und beim Hochsprung<br />
s<strong>in</strong>d wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sandgrube gelandet.“ Und<br />
Elisabeth Hartmann lief 1958 als damals<br />
18-Jährige ihre 2.000 Meter im niedersächsischen<br />
Algermissen mangels Laufbahn barfuß<br />
auf der Landstraße: In 8:31 M<strong>in</strong>uten.<br />
Auch für weniger Tra<strong>in</strong>ierte schuf der<br />
Deutsche Sportbund <strong>in</strong> der Nachkriegszeit<br />
Anreize, sagt Historiker Wedemeyer: „Die<br />
Hürden des Sportabzeichens s<strong>in</strong>d immer<br />
weiter gesenkt worden. Die Besseren hatten<br />
ke<strong>in</strong>e Probleme mit den Anforderungen, die<br />
Schwächeren wurden nicht gleich verprellt.<br />
Es entwickelte sich weg vom harten Wettkampf<br />
h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em Leistungs-Mite<strong>in</strong>ander.“<br />
Mit den geburtenschwächeren Jahrgängen<br />
<strong>in</strong> der 1970er-Jahren, der zunehmenden<br />
Konkurrenz durch kommerzielle Sportanbieter<br />
Anfang der 1990er und dem Drang<br />
zum Individualsport ohne Vere<strong>in</strong>sb<strong>in</strong>dung<br />
– Joggen, Skaten, Radfahren – erhielt der<br />
Zuspruch für den „Orden für Fitness“ e<strong>in</strong>en<br />
Dämpfer.<br />
Heute s<strong>in</strong>d es möglichst niedrigschwellige<br />
Angebote wie der Gött<strong>in</strong>ger Sportabzeichentag,<br />
die den Weg zum Sportabzeichen<br />
ebnen, mit positiver Wirkung: In den vergangenen<br />
Jahren wurde zweimal die Schallmauer<br />
von e<strong>in</strong>er Million abgelegter Prüfungen<br />
durchbrochen.