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ORPHEOS BAKKIKOS: DAS VERSCHOLLENE KREUZ - carotta.de

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<strong>ORPHEOS</strong> <strong>BAKKIKOS</strong> 25<br />

San Damiano zählen wür<strong>de</strong>, allein schon wegen <strong>de</strong>r unterschiedlichen Höhe <strong>de</strong>r Knie<br />

(Abb. 16) – können nämlich in Filiation zum Orpheos-Bakkikos-Stein gesehen wer<strong>de</strong>n.<br />

Die beweglichen, in <strong>de</strong>r Karwoche verwen<strong>de</strong>ten Klappkruzifixe scheinen ebenfalls jener<br />

Tradition zu folgen. Abbildungen von ihnen in <strong>de</strong>r Kunst wären dann in <strong>de</strong>r frühen<br />

Zeit insofern spärlich, als sie bereits selbst eine Darstellung waren, und somit in <strong>de</strong>n<br />

meisten Fällen kein Bedarf an <strong>de</strong>r Darstellung einer Darstellung bestand. Fest steht<br />

je<strong>de</strong>nfalls, dass diese Figuren aus <strong>de</strong>n Krypten, Kapellen und Sakristeien geholt wur<strong>de</strong>n,<br />

um sie in die rituellen Handlungen <strong>de</strong>r Karwoche einzubeziehen.<br />

Ansonsten zeigte man in Katakomben und Kirchen zunächst lieber das<br />

geschlachtete Lamm o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n guten Hirten, später dann <strong>de</strong>n triumphieren<strong>de</strong>n Christus<br />

als Pantokrator. Wenn anstelle <strong>de</strong>s Lammes <strong>de</strong>r Gekreuzigte gezeigt wur<strong>de</strong>, war sein<br />

Habitus majestätisch und siegreich. 88 Erst nach<strong>de</strong>m Bernhard von Clairvaux im<br />

zwölften Jahrhun<strong>de</strong>rt einen klösterlichen Akzent auf <strong>de</strong>n lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Christus gesetzt<br />

hatte, waren die Kruzifixe auch außerhalb <strong>de</strong>r Karwoche präsentabel. Sie dienten als<br />

Mo<strong>de</strong>ll für die Abbildung einer erdachten ‚echten’ Kreuzigung, worüber die Künstler<br />

jedoch we<strong>de</strong>r technisches noch künstlerisches Wissen besaßen: Kreuzigungen als Strafe<br />

waren seit Konstantin <strong>de</strong>m Großen abgeschafft, und aus <strong>de</strong>r Antike waren keine<br />

Abbildungen erhalten. 89<br />

Auffälligerweise kannten jedoch so gut wie alle oben erwähnten antiken<br />

Hauptakteure die Kreuzigung: Caesar ließ die Piraten kreuzigen, in <strong>de</strong>ren Hän<strong>de</strong> er<br />

gefallen war; 90 sein Schwiegersohn Pompeius die rebellischen Sklaven <strong>de</strong>s Spartacus;<br />

<strong>de</strong>r Caesarmör<strong>de</strong>r Cassius Longinus einen Überläufer in Jerusalem; <strong>de</strong>s Antonius<br />

Mitkonsul Dolabella die Männer, die Caesars Mör<strong>de</strong>r lynchen wollten; Domitians<br />

Bru<strong>de</strong>r Titus die Aufständischen in Jerusalem; und ein Prokonsul namens Atticus,<br />

vermutlich <strong>de</strong>r gleichnamige Vater unseres Hero<strong>de</strong>s Atticus, <strong>de</strong>n Bischof von Jerusalem<br />

Symeon. So gut wie alle hatten einen direkten Bezug zu Jerusalem: König Hero<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r<br />

Große war Mitglied <strong>de</strong>r gens Iulia, da Julius Caesar seinen Vater Antipatros adoptiert<br />

hatte; <strong>de</strong>r Hierosolymarius Pompeius 91 stürmte dort <strong>de</strong>n Tempel; und Antonius ließ an<br />

gleicher Stelle durch König Hero<strong>de</strong>s seinen Turm bauen. Später fand Helena, die<br />

Mutter Konstantins, in Jerusalem das „Wahre Kreuz“, und die Kreuzritter wollten das<br />

in <strong>de</strong>r Stadt geortete „Heilige Grab“ befreien. Die mit Jerusalem verbun<strong>de</strong>ne neue<br />

Vorstellung eines echten Gekreuzigten anstelle einer Figur am Kreuz, die sich im Ritual<br />

und in <strong>de</strong>r Ikonographie nur sehr langsam und schwerfällig durchsetzte, scheint nicht<br />

absolut neu gewesen zu sein, son<strong>de</strong>rn könnte eine Reminiszenz an die Kreuzigungen in<br />

<strong>de</strong>r Epoche von Julius Caesar bis Hero<strong>de</strong>s Atticus bewahrt haben.<br />

Der neuen Vorstellung passte man dann in <strong>de</strong>r Karwoche die Handlung an, in<strong>de</strong>m<br />

man das Aufrichten <strong>de</strong>r Wachsfigur an das Kreuz in eine Kreuzabnahme invertierte<br />

und später das Abnehmen <strong>de</strong>r Nägel betonte 92 – wobei diese im historischen<br />

88<br />

Pange lingua nach Venantius Fortunatus: et super crucis tropaeo dic triumphum nobilem. Das<br />

Lamm als Symbol Christi wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Trullanischen Syno<strong>de</strong> verboten (Kanon 82, Konstantinopel,<br />

692 n. Chr.), womit einem signifikanten Nie<strong>de</strong>rgang symbolischer Darstellungen zugunsten von<br />

Repräsentationen in menschlicher Form <strong>de</strong>r Weg geebnet wur<strong>de</strong>, was wie<strong>de</strong>rum die mittelalterliche<br />

Entwicklung <strong>de</strong>s Christus patiens in <strong>de</strong>r christlichen Kunst ermöglichte.<br />

89<br />

315 n. Chr.; cf. Hinz 1973, 90.<br />

90<br />

Allerdings zeigte Caesar auch hier Gna<strong>de</strong> und ließ die Piraten erwürgen, bevor man sie ans Kreuz<br />

heftete, damit ihnen das Leid einer Kreuzigung erspart blieb (Suet. Jul. 74).<br />

91<br />

Von Cicero wur<strong>de</strong> Pompeius Noster Hierosolymarius genannt (Att. 2.9).<br />

92<br />

Die erste Nachricht über eine Depositio Crucis nördlich <strong>de</strong>r Alpen stammt aus <strong>de</strong>r im zehnten<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rt verfassten Regularis Concordiae Anglicae Nationis Monachorum Sanctimonialumque <strong>de</strong>s

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