ORPHEOS BAKKIKOS: DAS VERSCHOLLENE KREUZ - carotta.de
ORPHEOS BAKKIKOS: DAS VERSCHOLLENE KREUZ - carotta.de
ORPHEOS BAKKIKOS: DAS VERSCHOLLENE KREUZ - carotta.de
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>ORPHEOS</strong> <strong>BAKKIKOS</strong> 9<br />
Das heißt, dass <strong>de</strong>r Nagel an <strong>de</strong>n Füßen, <strong>de</strong>r beweisen soll, dass es diese Gestalt<br />
vor <strong>de</strong>m 13. Jahrhun<strong>de</strong>rt nicht gegeben haben kann, hineinprojiziert wur<strong>de</strong>, weil man<br />
bereits einem Vorurteil anhing: ein Zirkelschluss.<br />
Bezüglich <strong>de</strong>r Beine ist zu beobachten, dass sie zwar auf <strong>de</strong>r Londoner<br />
Elfenbeinplatte (Abb. 8) und möglicherweise auch auf <strong>de</strong>m Stück <strong>de</strong>r Sammlung Nott<br />
(Abb. 6) gera<strong>de</strong> ausgestreckt sind, dass dies aber für die an<strong>de</strong>ren Beispiele,<br />
insbeson<strong>de</strong>re für <strong>de</strong>n Ichthys-Karneol (Abb. 5), möglicherweise aber auch für Santa<br />
Sabina (Abb. 7) nicht festgestellt wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Denn die frontale Darstellung erschwerte offensichtlich einem Hersteller, <strong>de</strong>r das<br />
Abbil<strong>de</strong>n in Dreiviertelansicht (vue <strong>de</strong> trois-quarts) nicht beherrschte, die Wie<strong>de</strong>rgabe<br />
von am Knie angewinkelten Beinen – es sei <strong>de</strong>nn, er griff auf dramatische und naive<br />
Mittel zurück, wie zum Beispiel in <strong>de</strong>r ägyptischen Malerei. Dieser Stil ist beim<br />
Gekreuzigten auf <strong>de</strong>m Jaspis aus Gaza (Abb. 11) zu erkennen, <strong>de</strong>r nicht zufällig aus<br />
Ägypten stammt, wo <strong>de</strong>r Hersteller die Beine jeweils nach rechts und links um 90 Grad<br />
gespreizt anordnete, um sie im Profil abzubil<strong>de</strong>n, analog zur Darstellung <strong>de</strong>s Kopfes.<br />
Realiter lagen Kopf und Gliedmaßen vermutlich wie beim Orpheos Bakkikos.<br />
Dass die Beine gespreizt seien, weil er auf einem Untersatz sitzt, ist lediglich<br />
hineinprojiziert. Ein sedile ist nicht zu erkennen, wie die Anhänger dieser Hypothese<br />
auch selbst zugeben mussten. 36<br />
Dass angewinkelte Beine in frontaler Ansicht kaum sichtbar gemacht wer<strong>de</strong>n<br />
konnten, und dass sie en face als gera<strong>de</strong> gestreckt erscheinen, ver<strong>de</strong>utlicht die<br />
Photographie. Als Beispiel genügen zwei Kruzifixe aus <strong>de</strong>r von Reil angesprochenen<br />
Epoche. 37<br />
Abb. 14: Abnehmbares Kruzifix, Bad Wimpfen am Berg, Deutschland. 1481.<br />
Abb. 15a, b: Abnehmbares Kruzifix, Memmingen, Deutschland. 1510.<br />
In <strong>de</strong>r seitlichen Abbildung <strong>de</strong>s zweiten Kruzifixes (Abb. 15b) sieht man <strong>de</strong>utlich<br />
die an <strong>de</strong>n Knien angewinkelten Beine, in frontaler Ansicht jedoch bei bei<strong>de</strong>n nicht<br />
o<strong>de</strong>r kaum. Lediglich eine leichte Krümmung ist zu beobachten, die Ahnung einer<br />
seitlichen Bewegung – wie übrigens auch auf <strong>de</strong>r Santa-Sabina-Darstellung (Abb. 7),<br />
<strong>de</strong>ren Gekreuzigter aus diesem Grund ebenfalls dafür in Frage kommt, nur scheinbar<br />
36<br />
P. Derchain, „Die älteste Darstellung <strong>de</strong>s Gekreuzigten auf einer magischen Gemme <strong>de</strong>s 3. (?)<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rts“, in: K. Wessel (ed.), Christentum am Nil, Recklinghausen 1964, 109–13: „Die Beine sind<br />
gespreizt, weil er auf einem Untersatz sitzt, <strong>de</strong>r […] nicht dargestellt […] ist“ (sic!); A. Delatte, P.<br />
Derchain, Les intailles magiques gréco-égyptiennes, Paris 1964, 283–5, Nr. 408; Maser 1976, 266.<br />
37<br />
Aus: Tripps 1998, Abb. 10e, 43a, b.