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ORPHEOS BAKKIKOS: DAS VERSCHOLLENE KREUZ - carotta.de

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<strong>ORPHEOS</strong> <strong>BAKKIKOS</strong> 5<br />

Entsprechend fin<strong>de</strong>t man das Fundstück als Testimonium 150 in <strong>de</strong>r Sammlung<br />

<strong>de</strong>r Orphicorum fragmenta von Otto Kern. 18 Weiterhin behauptete Robert Eisler<br />

<strong>de</strong>ssen orphisch-dionysische Herkunft: Da <strong>de</strong>r Legen<strong>de</strong> nach Lykurgos, <strong>de</strong>r Feind <strong>de</strong>s<br />

Dionysos, mit Kreuzigung bestraft wur<strong>de</strong>, 19 Dionysos selbst und einige dionysische<br />

Hel<strong>de</strong>n (zum Beispiel Pentheus) aber an einem Baum befestigt wur<strong>de</strong>n, unterstellte<br />

Eisler, das Reliefbild sei „eine vereinzelte Darstellung <strong>de</strong>r zufällig schriftlich nicht<br />

bezeugten Sage vom gekreuzigten, dann zerrissenen Orpheus“. 20<br />

„Mit <strong>de</strong>r Vermutung scheint in diesen Worten zugleich ihre Wi<strong>de</strong>rlegung<br />

ausgesprochen“, 21 zumal die antike Tradition Kreuzigungen we<strong>de</strong>r von Orpheus noch<br />

von Dionysos kannte – von Justin 22 wissen wir, dass kein Sohn <strong>de</strong>s Zeus gekreuzigt<br />

wor<strong>de</strong>n war 23 –, und doch hat diese Deutung insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>n New-Age-Kreisen <strong>de</strong>s<br />

20. und 21. Jahrhun<strong>de</strong>rts große Faszination ausgeübt: Das Bild <strong>de</strong>s Orpheos Bakkikos<br />

wird man 1999 auf <strong>de</strong>m Buchumschlag eines britischen Bestsellers wie<strong>de</strong>rfin<strong>de</strong>n, in<br />

<strong>de</strong>m die Autoren behaupten, dass Jesus ursprünglich ein ‚heidnischer Mysteriengott’<br />

gewesen sei. 24<br />

Während <strong>de</strong>r Medienrummel um <strong>de</strong>n Versuch, Jesus als einen reinen Mythos<br />

darzustellen, seriösere Arbeiten wie jene von Helga Neumann 25 o<strong>de</strong>r Paulus Hinz 26<br />

vergessen ließ, die <strong>de</strong>n Zusammenhang mit <strong>de</strong>n historisch fassbaren orphischen<br />

Mysterienfeiern unterstrichen hatten, namentlich mit <strong>de</strong>r Kultgenossenschaft <strong>de</strong>r<br />

Iobakchen, 27 erreichte die aka<strong>de</strong>mische Diskussion ein breiteres Publikum, und<br />

inzwischen wer<strong>de</strong>n auch im Internet die grundsätzlicheren und fachlichen Diskussionen<br />

wie<strong>de</strong>rholt. 28<br />

Schon in <strong>de</strong>n zwanziger Jahren <strong>de</strong>s letzten Jahrhun<strong>de</strong>rts hatten nämlich einige<br />

Gelehrte an <strong>de</strong>r Stellung <strong>de</strong>r Beine Anstoß genommen und darauf hingewiesen, dass <strong>de</strong>r<br />

Gekreuzigte „mit übereinan<strong>de</strong>r genagelten Füßen und eingeknickten Knien dargestellt<br />

ist, also in einem Typus, <strong>de</strong>r sich vor <strong>de</strong>m 13. Jahrhun<strong>de</strong>rt sonst nirgends belegen lässt<br />

und in <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Form erst im 14. und 15. Jahrhun<strong>de</strong>rt vorkommt“. 29 Damit<br />

waren gegenüber <strong>de</strong>r Echtheit <strong>de</strong>s ‚Berliner Amuletts’ zum ersten Mal große Be<strong>de</strong>nken<br />

geäußert, <strong>de</strong>nen an<strong>de</strong>re Fachleute beipflichteten, so 1926 <strong>de</strong>r „Gemmenspezialist“<br />

Robert Zahn und Pfarrer Johannes Reil, ein „Kenner altchristlicher<br />

Kreuzigungsbil<strong>de</strong>r“. 30<br />

18<br />

Christiana: O. Kern (ed.), Orphicorum fragmenta, Berlin 2 1963, 46 ( 1 1922).<br />

19<br />

Diod. 3.65.5.<br />

20<br />

Eisler 1921, 54; cf. R.F. Paget, <strong>de</strong>r Eisler folgt und <strong>de</strong>n Orpheos-Bakkikos-Stein gar als Beweis<br />

sowohl für die Kreuzigung <strong>de</strong>s Orpheus als auch für die christliche Übernahme <strong>de</strong>r Kreuzigung von <strong>de</strong>r<br />

Orphik sieht (In the Footsteps of Orpheus, London 1967, 79).<br />

21<br />

Reil 1926, 64.<br />

22<br />

Just. Mart. Apol. 1.54–5.<br />

23<br />

W.K.C. Guthrie, Orpheus and Greek Religion. A Study of the Orphic Movement, London 1952,<br />

265–6 = Orphée et la religion grecque, Paris 1956, 295.<br />

24<br />

T. Freke, P. Gandy, The Jesus Mysteries: Was the „Original Jesus“ a Pagan God?, New York<br />

1999.<br />

25<br />

Neumann 1968, 22–35.<br />

26<br />

Hinz 1973, 91 mit Anm. 22–24 (400).<br />

27<br />

Maass 1895, 14–71.<br />

28<br />

Internet: u.a. Hannam 2006; Criddle 2006/08; Bermejo 2009.<br />

29<br />

E. Panofsky 1924, zitiert von: J. Leipoldt, Hrsg. von !""#$%&, in: Zahn/Reil 1926, 62.<br />

30<br />

Zahn/Reil 1926, 62; Otto Kern, <strong>de</strong>r durch die Publikation in <strong>de</strong>n Orphicorum fragmenta <strong>de</strong>n<br />

Orpheos Bakkikos als ein glaubwürdiges Dokument präsentiert hatte, än<strong>de</strong>rte daraufhin seine Meinung

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