ORPHEOS BAKKIKOS: DAS VERSCHOLLENE KREUZ - carotta.de
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FRANCESCO CAROTTA ET AL.<br />
Vergleiche wur<strong>de</strong>n aufgestellt, „sowohl mit <strong>de</strong>n ersten […] Darstellungen, aber<br />
auch mit etwas jüngeren, wie <strong>de</strong>m Relief <strong>de</strong>r Tür von Santa Sabina in Rom, und <strong>de</strong>r<br />
Elfenbeinplatte im Britischen Museum“. Man konnte „nicht begreifen, wie ein solcher<br />
Unterschied <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rgabe <strong>de</strong>s Gekreuzigten in <strong>de</strong>rselben Zeit möglich sei. Auf <strong>de</strong>n<br />
genannten Denkmälern steht Christus vor <strong>de</strong>m Kreuze auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r auf einem<br />
Fußbrette“, schrieb Zahn.<br />
Abb. 7: Kreuzigung auf <strong>de</strong>m Portal von Santa Sabina, Rom: Holzplatte. Circa 432.<br />
Abb. 8: Kreuzigung mit Judas, Britisches Museum, London: Elfenbeinplatte. 420–430.<br />
Dass <strong>de</strong>r Gekreuzigte auf besagter Elfenbeinplatte (Abb. 8) we<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n<br />
steht noch ein Fußbrett (suppedaneum) unter <strong>de</strong>n Füßen hat, übersah er anscheinend<br />
völlig. Man fragt sich warum. Passte es nicht in Zahns Schema? Nun wäre diese<br />
Beobachtung aber wichtig gewesen, <strong>de</strong>nn mit nur zwei Nägeln an <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n und<br />
ohne Fußbrett kann sich kein Mensch am Kreuz halten: Es kann sich also nur um eine<br />
am Kreuz fixierte Figur han<strong>de</strong>ln, und nicht um einen wirklich Gekreuzigten – ein<br />
wichtiger Unterschied, wie wir noch sehen wer<strong>de</strong>n.<br />
Er fährt fort: „Das Kreuz ist fast ganz ver<strong>de</strong>ckt; namentlich kommt <strong>de</strong>r hoch über<br />
<strong>de</strong>n Kopf aufragen<strong>de</strong> senkrechte Balken nicht vor.“ Sein Mitkritiker Reil wird daraus<br />
sogar ein Tau-Kreuz (!-Kreuz) machen – was natürlich nicht stimmt, wie je<strong>de</strong>r leicht<br />
erkennen kann: Auf <strong>de</strong>r Elfenbeinplatte ist über <strong>de</strong>m Kopf <strong>de</strong>s Gekreuzigten <strong>de</strong>r titulus<br />
crucis mit <strong>de</strong>r Inschrift REX IVD[aeorum] („König <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n“) zu sehen, auf einem<br />
Schild, das nur an einem senkrecht über <strong>de</strong>n Kopf hinausragen<strong>de</strong>n Balken hängen<br />
kann, <strong>de</strong>r tatsächlich vorhan<strong>de</strong>n, wenn auch ver<strong>de</strong>ckt ist. Wenn man nun statt <strong>de</strong>s<br />
Schil<strong>de</strong>s einen Halbmond auf <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>s Kreuzes plaziert, wird natürlich <strong>de</strong>r<br />
senkrechte Balken sichtbar hochragen.<br />
„Hier [auf <strong>de</strong>m Orpheos Bakkikos] dagegen hängt Christus schlaff an <strong>de</strong>m<br />
großen Kreuze mit übereinan<strong>de</strong>r geschlagenen Beinen und übereinan<strong>de</strong>r gelegten<br />
Füßen, wie in <strong>de</strong>r viel späteren Kunst“, so Zahn weiter. Er gibt zwar zu, dass sich<br />
an<strong>de</strong>re Beispiele fin<strong>de</strong>n – „auf einem bei Leclercq abgebil<strong>de</strong>ten rohen Stein [Abb. 9] ist<br />
allerdings Christus, ohne Kreuz, auch mit etwas geknickten Beinen gegeben […]“ –,<br />
aber er führt weiter an, dass die Darstellung „doch himmelweit verschie<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>m<br />
Bil<strong>de</strong> unseres Kegels“ ist. Als ob Objekte aus verschie<strong>de</strong>nen Zeiten und Gegen<strong>de</strong>n<br />
sowie aus <strong>de</strong>r Hand verschie<strong>de</strong>ner Hersteller nicht aus genau diesen Grün<strong>de</strong>n bildlich<br />
verschie<strong>de</strong>n sein können!<br />
und hielt ihn nun „höchst wahrscheinlich“ für eine Fälschung (cf. O. Kern, Rezension von W.K.C.<br />
Guthrie, Orpheus and Greek Religion, in: Gnomon, 1935, 476).