01.01 00 HEFT #5 - Schauspiel Hannover
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08.09<br />
Foto: Katrin Ribbe<br />
Walburg Sie gehen ja häufig ins Theater und in die<br />
Oper. Stoßen Sie oft auf diese Momente?---------------<br />
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Negt Oper ist eine alte Liebe von Alexander Kluge und<br />
mir, wir haben ja viel mit der Oper zu tun gehabt. Wissenschaft<br />
ist eine trockene Welt, empirische Wissenschaft<br />
sowieso. So ist meine Proklamation der Entwicklung<br />
soziologischer Fantasie zu verstehen – das bedeutet,<br />
wir müssen uns erlauben, die Dinge so zu wenden<br />
und zu drehen, dass die verdeckten und unterschlagenen<br />
Potenziale besser sichtbar werden. Adornos Satz:<br />
Wer nicht weiß, was über die Dinge hinausgeht, weiß<br />
auch nicht, was sie sind – dieser Satz hat meine erkenntnistheoretische<br />
Sichtweise von der Welt maßgeblich<br />
geprägt. So geht es mir auch mit dem Begriff der<br />
Utopie, als der Negation eines als unerträglich betrachteten<br />
Zustands mit dem Willen, mit der Entschlossenheit,<br />
diesen Zustand zu ändern. Theater ist im Grunde<br />
für mich ein Rastplatz der Reflektion, der konstitutiv<br />
notwendig ist für eine freie Gesellschaftsordnung. Für<br />
freie Subjekte ist Theater einfach eine Lebensnotwen-<br />
digkeit.------------------------------------------------<br />
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Walburg Da fällt mir ein Satz von Ihnen ein, den ich<br />
ganz toll finde: »Nur wenn wir uns der Vergangenheit<br />
versichern, sind wir in der Lage, den Blick nach vorne<br />
zu richten, eine Utopie des Alltagsgebrauchs zu entwickeln.«<br />
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Negt Ja, und damit meine ich das Theater. Sie haben<br />
mit »Parzival« und »Simplicissimus«, deren Aufführungen<br />
ich mit höchster Zustimmung wahrgenommen habe,<br />
gewissermaßen die deutsche Geschichte auf einer Ebene<br />
eingeholt, die offiziell eigentlich gar nicht existiert.<br />
Für mich sind Erinnerung und Aufarbeitung der Vergangenheit<br />
wesentliche Freisetzungspotenziale von Zukunftsentwürfen.<br />
Ich glaube, dass der Energieverzehr<br />
der Menschen so groß ist, weil er mit Verdrängungen<br />
verknüpft ist, so dass ihre Entwurfsfantasie verloren<br />
geht. Ich will es an meinen Gewerkschaftsdiskussionen<br />
erläutern: »Soziologische Fantasie und exemplarisches<br />
Lernen« war mein erstes Buch, in dem ich versuchte,<br />
diese Fantasiepotenziale im Zusammenhang der Arbeiterbildung<br />
zu entwickeln. Die Lust, ein anderes Leben<br />
zu fantasieren, aber auch eine andere Gesellschaft zu<br />
entwerfen, ist verknüpft mit der Freisetzung von Triebenergie.<br />
Der schlimmste Verzehr von Energien besteht<br />
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Oskar Negt<br />
»die neue Spielzeit in <strong>Hannover</strong>?«<br />
Julian (24), Student