Kapitel vier – Textanalyse der Apokalypse und deren Aussage
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irischen Geistlichen John Nelson Darby (1800<strong>–</strong>1882) geleiteten ‚Brethren’. Darbys Ansatz ging davon<br />
aus, dass die Geschichte in verschiedene Dispensationen beziehungsweise verschiedene Perioden,<br />
aufgeteilt sei. In diesem Zusammenhang sah er die zu seiner Lebenszeit aktuelle Dispensation als die<br />
<strong>der</strong> Kirche, in <strong>der</strong> biblische Prophezeiungen nicht zuträfen. Die einzige Hoffnung, die Darby versprach,<br />
war eine geheime Ekstase, durch die die wahren Jünger Christi in den Himmel hinaufgetragen<br />
würden, um dort ihren Herrn zu treffen. Diese heimliche Ekstase konnte zu jedem Zeitpunkt eintreten<br />
<strong>und</strong> würde <strong>der</strong> Rückkehr Christi zur Erde vorausgehen. 22<br />
Im Rahmen <strong>der</strong> römisch-katholischen Kirche waren vor allem in Frankreich apokalyptische<br />
Bewegungen aktiv. Zentral in den Prophezeiungen dieser Gruppen waren die Rolle Frankreichs in <strong>der</strong><br />
endgültigen Erfüllung <strong>der</strong> menschlich-weltlichen Geschichte <strong>und</strong> Visionen <strong>und</strong> Botschaften von Maria,<br />
<strong>der</strong> Mutter Gottes. Die Empfänger dieser Visionen waren häufig Kin<strong>der</strong>, die in armen ländlichen<br />
Gebieten aufwuchsen. 23 Wichtiges Element solcher Marienvisionen war, dass den Sehern<br />
Geheimnisse mitgeteilt wurden, die das Schicksal <strong>der</strong> gesamten Welt betreffen sollten. Solche<br />
Geheimnisse wurden von den Kin<strong>der</strong>n dann Stück für Stück veröffentlicht o<strong>der</strong> in Briefen an religiöse<br />
Autoritäten weitergegeben. Die Botschaften von Maria beinhalteten vor allem die Auffor<strong>der</strong>ung zur<br />
Rückkehr zu traditionellen Glaubensformen, die Wertung von starken Krisen wie dem ersten Weltkrieg<br />
als Strafen Gottes für die herrschende Ungläubigkeit <strong>und</strong> die For<strong>der</strong>ung nach dem Aufbau einer neuen<br />
religiösen Gemeinschaft, die unter <strong>der</strong> Leitung <strong>der</strong> Seher eine entscheidende Rolle für das Kommen<br />
von Gottes Reich spielen solle. 24 Noch 1963 galt die heimliche Weitergabe des letzten Geheimnisses<br />
von Lucia dos Santos an die Regierungen von Großbritannien, <strong>der</strong> USA <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sowjetunion als<br />
<strong>der</strong>en Motivation für das Aufsetzen <strong>und</strong> Abschließen des Vertrags gegen Atomtest zu Lande, im<br />
Wasser <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Luft vom 06. August 1963. 25<br />
Die dritte apokalyptische Strömung in Europa war nicht an eine <strong>der</strong> Konfessionen geb<strong>und</strong>en, son<strong>der</strong>n<br />
ideengeschichtlich verankert. Dabei wurden die philosophischen Inhalte <strong>der</strong> Aufklärung mit den<br />
religiösen Traditionen <strong>der</strong> jüdischen <strong>und</strong> christlichen <strong>Apokalypse</strong>n vermischt. Der entscheidende<br />
Unterschied zwischen diesen Modellen <strong>und</strong> den religiösen Ansätzen lag in <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> Menschheit.<br />
Während Gott im religiösen Kontext als die einzige Kraft galt, die eine gr<strong>und</strong>sätzliche Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
Weltordnung herbeiführen könne, war diese Rolle in den Szenarien <strong>der</strong> Philosophen <strong>der</strong> Aufklärung<br />
<strong>und</strong> ihrer Nachfolger <strong>der</strong> Menschheit zugedacht. 26 Diese Konzepte, <strong>der</strong>en religiöser Einfluss von den<br />
Verfassern nicht immer beabsichtigt war, aber in <strong>der</strong> Geschichtsauffassung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Textform nicht von<br />
<strong>der</strong> Hand zu weisen ist, bildeten die Gr<strong>und</strong>lagen für solche politischen Strömungen wie Sozialismus,<br />
Kommunismus <strong>und</strong> Anarchie. 27 Einer <strong>der</strong> ersten Apokalyptiker dieser Richtung war <strong>der</strong> Waliser Robert<br />
Owen (1771<strong>–</strong>1858), <strong>der</strong> seine Theorie über die Entwicklung <strong>der</strong> Welt unter bewusstem Rückgriff auf<br />
jüdische <strong>und</strong> christliche Prophetie gestaltete. Dabei ging er von <strong>der</strong> Existenz einer reinen,<br />
unbefleckten <strong>und</strong> natürlichen Religion aus, die er im Gegensatz zu <strong>der</strong> Religion <strong>der</strong> Kirchen sah, die er<br />
als künstlich qualifizierte. Owen ging davon aus, dass durch die richtige Art <strong>der</strong> Ausbildung <strong>der</strong> Armen<br />
22<br />
Vgl. ebd., S. 267<strong>–</strong>272.<br />
23<br />
Beispiele hierfür sind die Visionen von Mélanie Calvat (1831<strong>–</strong>1904) <strong>und</strong> Maximin Girard (1835<strong>–</strong>1875) ab<br />
dem Jahr 1846 in La Salette in den Französischen Alpen <strong>und</strong> von Lucia dos Santos (1907<strong>–</strong>), Jacinta Marto<br />
(1910<strong>–</strong>1920) <strong>und</strong> Francisco Marto (1908<strong>–</strong>1919) ab dem Jahr 1917 in Fatima, Portugal. Vgl. ebd., S. 276<strong>–</strong>280.<br />
24<br />
Vgl. ebd., S. 276<strong>–</strong>283.<br />
25<br />
Vgl. ebd., S. 282f.<br />
26<br />
Vgl. ebd., S. 284<strong>–</strong>286.<br />
27<br />
Vgl. ebd., S. 285<strong>–</strong>289.<br />
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