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Kriegserlebnis und Kriegserfahrung im Zweiten Weltkrieg

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Protokoll der 99. Sitzung 27<br />

Wochen auf engstem Raum <strong>und</strong> auf blankem Boden ohne jede auch nur behelfsmäßige<br />

Unterkunft <strong>und</strong> ohne sanitäre Einrichtungen hausen mussten. Regenfälle verwandelten den<br />

Ackerboden der Cages in fäkalienverseuchte Morastwüsten, in denen die ohnehin durch die<br />

langen Transportwege schon geschwächten <strong>und</strong> nicht selten verw<strong>und</strong>eten Wehrmachtssoldaten<br />

bei völlig unzureichender Versorgung mit Nahrungsmitteln zu vegetieren hatten.<br />

Eine geregelte medizinische Versorgung existierte in den ersten Wochen nicht, was angesichts<br />

der fürchterlichen hygienischen Zustände <strong>und</strong> der fast zwangsläufig auftretenden<br />

Erkrankungen wie Ruhr oder Diarrhöe schwerwiegende Konsequenzen für den physischen<br />

Gesamtzustand der Insassen zur Folge hatte. Nach diesen ersten Wochen begannen sich<br />

die Verhältnisse sukzessive zu bessern. Die überforderten amerikanischen Bewachungseinheiten<br />

bemühten sich <strong>im</strong> Rahmen ihres eingeschränkten Handlungsspielraums <strong>und</strong> angesichts<br />

eines zivilen Umfelds, dass durch Bombardements <strong>und</strong> Kampfhandlungen schwere<br />

Schäden erlitten hatte, den Lagerbetrieb in geordnetere Bahnen zu lenken. Durch die Errichtung<br />

von Zelten, die sich - wenn auch nur sehr schleppend - verbessernde Ernährung<br />

<strong>und</strong> eine allmählich in Gang kommende adäquate medizinische Versorgung konnte jedoch<br />

ein Massensterben abgewendet werden. Bis Ende 1945 kamen in Heilbronn knapp 300 Gefangene<br />

ums Lebens, fast alle in den ersten drei Monaten ihrer Lagerhaft.<br />

So fürchterlich die Lebensbedingungen in den ersten Wochen auch waren, die revisionistischen<br />

Thesen James Bacques über die amerikanischen Lager in Europa entbehren auch für<br />

das Fallbeispiel Heilbronn jeglicher Gr<strong>und</strong>lage. Zu einem Massensterben in Bacque'schen<br />

D<strong>im</strong>ensionen ist es weder in Heilbronn, noch in anderen Lagern gekommen. Auch eine<br />

planmäßige Ausrottungsstrategie gegenüber den Heilbronner Gefangenen auf der Basis<br />

gezielter Unterversorgung <strong>und</strong> Vernachlässigung durch amerikanische Stellen kann nicht<br />

attestiert werden. Der Befehl, h<strong>und</strong>erttausende deutsche Soldaten in einem kriegszerstörten<br />

Land in wenigen Lagern auf engstem Raum zu konzentrieren war zweifellos eine strategische<br />

Fehlentscheidung, ist aber kein Indiz für die von Bacque fälschlicherweise unterstellten<br />

Mordpläne General Eisenhowers.<br />

Auch in Heilbronn bedingte der desolate Zustand der Lager in den ersten Monaten, dass sich<br />

sehr deutlich eine Reihe best<strong>im</strong>mender Sozialisationsfaktoren herauskristallisierte, die ihrerseits<br />

die Mentalität der Gefangenen maßgeblich beeinflusste, <strong>und</strong> von denen ich <strong>im</strong> folgenden<br />

einige herausgreifen möchte.<br />

An ein aufwendiges kulturelles Leben oder systematische Fortbildungsprogramme wie in den<br />

Lagern auf dem amerikanischen Kontinent war angesichts der chaotischen Zustände in den<br />

Cages <strong>und</strong> der physischen Auszehrung der Gefangenen nicht <strong>im</strong> entferntesten zu denken,<br />

<strong>und</strong> die Bemühungen der deutschen Soldaten in dieser Hinsicht hatten lediglich einen <strong>im</strong>provisierten<br />

<strong>und</strong> rud<strong>im</strong>entären Charakter. Das alles beherrschende Thema der ersten Wochen<br />

war vielmehr der Hunger. Die katastrophale Ernährungslage führte bei den Gefangenen zur<br />

fast völligen Fokussierung auf die Nahrungsaufnahme. So schreibt ein Gefangener in sein<br />

Tagebuch:

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