09.11.2013 Aufrufe

Kriegserlebnis und Kriegserfahrung im Zweiten Weltkrieg

Kriegserlebnis und Kriegserfahrung im Zweiten Weltkrieg

Kriegserlebnis und Kriegserfahrung im Zweiten Weltkrieg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

30<br />

Arbeitskreis für Landes- <strong>und</strong> Ortsgeschichte<br />

Die Gefangenen in den Sammellagern waren mit einem erheblichen Ausmaß unverplanter<br />

Zeit konfrontiert. Trotz der Sorge um das tägliche Überleben setzte daher fast zwangsläufig<br />

ein Reflektionsprozess hinsichtlich der weiteren persönlichen Zukunft <strong>und</strong> der jüngsten Vergangenheit<br />

ein. Von einer wirklichen Meinungs-"Bildung" in den PWTEs kann allerdings<br />

kaum gesprochen werden. Die Gefangenen waren bis zum Herbst 1945 ein halbes Jahr lang<br />

weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten. Da kaum zuverlässige Fakten übermittelt<br />

wurden, bildeten Gerüchte aller Art die wesentlichste "Informationsquelle" für die Gefangenen,<br />

vor allem solche, die bevorstehende Entlassungen oder Verlegungen zum Inhalt hatten.<br />

Derartige "Parolen" breiteten sich in den Lagern überaus schnell aus <strong>und</strong> trugen keinesfalls<br />

zur sachlichen Unterrichtung der Lagerinsassen bei. Vielmehr stellte die "Gerüchtekultur"<br />

den hilflose Versuch dar, mangelnde Informationen durch Erf<strong>und</strong>enes zu substituieren oder<br />

Beobachtetes in starkem Maße überzuinterpretieren, um so ein Ventil für die Sorge um die<br />

weitere persönliche Zukunft zu schaffen. Ein zentraler Aspekt der Meinungsbildung war in<br />

Heilbronn wie an anderen Lagerstandorten neben der "Ernährungs-" auch die "Entlassungsfrage"<br />

<strong>und</strong> die Sorge um den Verbleib der Angehörigen. Jedoch auch negative Meldungen<br />

kursierten in manchen Cages, obwohl sie jeder Gr<strong>und</strong>lage entbehrten, wie etwa Gerüchte<br />

über Abschiebungen in die Sowjetunion.<br />

Bei nicht wenigen Gefangenen setzte angesichts des deutschen Zusammenbruchs zudem<br />

ein Reflektionsprozess über den Kriegsverlauf, die eigene Rolle <strong>im</strong> zusammengebrochenen<br />

System <strong>und</strong> die deutschen Verbrechen ein, der über die Frage der weiteren persönlichen<br />

Zukunft hinausging. Diese Form der Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit bildete bei der<br />

"Meinungsbildung" der Lagerinsassen den zweiten signifikanten Themenkomplex.<br />

Die Verhaltensweisen der Lagerinsassen in dieser Extremsituation differierten in erheblichem<br />

Maße: Freude über das Ende oder Hadern über den "unglücklichen Ausgang" des Krieges,<br />

ungebrochenes Hochlebenlassen der alten Ideale, Distanzierung von der NS-Führung,<br />

Frustration über den Zusammenbruch der alten Ordnung <strong>und</strong> das subjektive Empfinden, als<br />

junger Mensch verführt, betrogen <strong>und</strong> seiner Jugend beraubt worden zu sein. Ungeachtet<br />

der Tatsache, dass die Nachricht vom Kriegsende in Heilbronn <strong>im</strong> allgemein positiv aufgenommen<br />

wurde, erschütterte insbesondere bei etlichen jüngeren Gefangenen, die noch vergleichsweise<br />

idealistisch in den Krieg gezogen waren, die deutsche Niederlage die Gr<strong>und</strong>lagen<br />

ihrer bisherigen politisch-nationalen Werte.<br />

Ansonsten war für mich als jungen Mann mit der deutschen Niederlage eine Welt zusammengebrochen.<br />

Man hatte alles Politische meist verdrängt <strong>und</strong> war <strong>im</strong> militärischen Alltag<br />

<strong>und</strong> <strong>im</strong> guten Glauben, seine patriotische Pflicht zu tun, gefangen. Wehrdienst <strong>und</strong> Politik<br />

waren für uns zwei Paar Schuhe. [...] Enttäuscht waren wir auch von der politischen Führung,<br />

von der wir uns verraten glaubten.<br />

In diesem Zusammenhang verstanden sich einige Gefangene als Bauernopfer, die nun<br />

anstelle der wirklich Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden:

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!