12.11.2013 Aufrufe

GAZ 3/2013 - Die Genossenschaften

GAZ 3/2013 - Die Genossenschaften

GAZ 3/2013 - Die Genossenschaften

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

April/Mai <strong>2013</strong> ----- Genossenschaftliche allgemeine 3<br />

Reportage<br />

Marco Stepniak<br />

Schnitzel im Speisewagen<br />

Marco Stepniak und Vanessa Stallbaum,<br />

die in Marl in zwei umgebauten<br />

Eisenbahnwaggons leben (<strong>GAZ</strong> berichtete),<br />

bekamen prominenten Besuch.<br />

Fernsehkoch Horst Lichter erschien<br />

mit Schnauzbart und Moped,<br />

um für seine TV-Sendung „Lichters<br />

Schnitzeljagd“ eine neue Folge mit netten<br />

Menschen an einem originellen<br />

Ort zu drehen. Serviert wurden Kalbsschnitzel<br />

an Pasta. Marco Stepniak<br />

ist übrigens Fotograf und hat die Reportage<br />

auf dieser Seite fotografiert.<br />

www.wdr.de/tv/lichtersschnitzeljagd<br />

Ein Gott in der Lehre<br />

Der Dalai Lama lenkt als Oberhaupt des tibetischen Buddhismus die Geschicke Tibets aus dem nordindischen Exil įSein Nachfolger steht schon bereit<br />

Marco Stepniak (3)<br />

Orgyen Thrinle Dorje: Der Karmapa lebt und lehrt im nordindischen Dharamsala – in der Nachbarschaft des Dalai Lama.<br />

Tempel und Flüchtlingskinder: Nordindien ist das Exil der tibetischen Buddhisten.<br />

> von Florian Adamek<br />

Der 17. Karmapa könnte den Dalai<br />

Lama beerben.<br />

Wird dann der Tibet-Konflikt<br />

gelöst?<br />

Ein Besuch in Dharamsala.<br />

Dharamsala. <strong>Die</strong> dunkeln Augen der<br />

Kinder sind weit aufgerissen. <strong>Die</strong><br />

Menschen, die den Weg im nordindischen<br />

Dharamsala säumen, verneigen<br />

sich ehrfürchtig vor Orgyen Thrinle<br />

Dorje. <strong>Die</strong> Exil-Tibeter trauen sich<br />

kaum, Blickkontakt zu dem 27-Jährigen<br />

aufzunehmen, zum 17. Karmapa.<br />

<strong>Die</strong>ser Mönch in seiner safranroten<br />

Robe repräsentiert die fast 1000 Jahre<br />

alte Karma-Kagyü-Schule des tibetischen<br />

Buddhismus. Und er ist die große<br />

Hoffnung auf eine bessere Zukunft,<br />

gilt er doch als möglicher Nachfolger<br />

des Dalai Lama.<br />

<strong>Die</strong> Gruppe mit dem Karmapa bewegt<br />

sich schnell durch die Menschenmasse.<br />

Vier oder fünf Mönche sind es,<br />

einer trägt Räucherstäbchen vorneweg,<br />

ein anderer hält einen Schirm,<br />

um den Karmapa vor der Sonne zu<br />

schützen. Rechts und links Bodyguards,<br />

dahinter ein Mann in der Uniform<br />

des indischen Militärs. Mit diesem<br />

Hofstab geht der junge Mann im<br />

Schnelldurchlauf durch das Flüchtlings-Kinderdorf.<br />

Mehr als 2000 tibetische Kinder und<br />

Jugendliche leben allein in diesem<br />

Kinderdorf der Tibetan Children’s<br />

Villages (TCV) am Fuße der Dhauladhar-Berge.<br />

Auch wenn die schneebedeckten<br />

Spitzen des Gebirges zum Himalaja-Massiv<br />

gehören, im indischen<br />

Exil sind die Tibeter fern der Heimat<br />

und die meisten weit weg von ihren<br />

Familien. Der 17. Karmapa blickt<br />

ernst und würdevoll. An diesem Tag<br />

segnet er fünf Gebäude, die mit Hilfe<br />

der International Campaign for Tibet<br />

(ICT) aus Deutschland neu- oder umgebaut<br />

wurden.<br />

In einem Haus entzündet er eine traditionelle<br />

Butterkerze, eilt dann zum<br />

nächsten Gebäude, legt dort eine Plakette<br />

frei und wirft eine Handvoll Linsen<br />

in die neuen Räume. Das ganze Zeremoniell<br />

entlockt dem Karmapa kaum<br />

eine erkennbare emotionale Regung.<br />

Das ist also der Mann, um dessen buddhistische<br />

und weltliche Bildung sich<br />

der Dalai Lama höchstpersönlich<br />

kümmert. In weiser Voraussicht. Der<br />

Dalai Lama ist 77 Jahre alt. Und sollte<br />

Seine Heiligkeit sterben, brauchen die<br />

Tibeter einen anerkannten Repräsentanten<br />

im friedlichen Kampf um ihre<br />

kulturelle Identität.<br />

Der Karmapa<br />

sitzt auf dem Thron<br />

– und scherzt<br />

„Er ist intelligent und hat die Gabe,<br />

Menschen zu begeistern“, sagt Jane<br />

Perkins über den 17. Karmapa. <strong>Die</strong><br />

Dame aus England lebt seit über 20<br />

Jahren in Dharamsala. <strong>Die</strong> Europäerin<br />

kam als Journalistin nach Asien,<br />

lebt jetzt als Buddhistin am Exilsitz<br />

des Dalai Lama und ist bestens über<br />

offizielle Nachrichten und leises Hofgeflüster<br />

in der kleinen Stadt informiert.<br />

<strong>Die</strong> über 70-Jährige kennt die<br />

Geschichten und Hintergründe, die<br />

Gerüchte und Wahrheiten.<br />

Und weil sich die Engländerin auskennt,<br />

rät Jane Perkins zu einem Ausflug<br />

nach Gopalpur, zum buddhistischen<br />

Dorzong Monastic Institut. In<br />

einem herrlichen Kiefernwald mitten<br />

im Kangra-Tal liegt die wunderschöne<br />

Tempelanlage. Fernab des hektischen<br />

indischen Alltags spielt die klare<br />

Luft mit blütenweißen Sonnensegeln,<br />

die rund um den Tempel gespannt<br />

sind und Schatten spenden.<br />

Der 17. Karmapa sitzt auf einem<br />

Thron im Tempel und spricht vor über<br />

500 Menschen über die Lehren Buddhas,<br />

er philosophiert.<br />

Sein Minenspiel ist entspannt, zwischendurch<br />

blättert er in mitgebrachter<br />

Lektüre, zitiert aus einem Buch und<br />

scherzt mit dem Übersetzer. In bestem<br />

Englisch diskutiert er über die Verwendung<br />

einer bestimmten Vokabel im religiösen<br />

Zusammenhang. Dann nimmt<br />

er den Faden wieder zum Buddhismus<br />

auf und setzt seine religiöse Unterweisung<br />

in tibetischer Sprache fort. In dem<br />

Tempel entwickelt der Mann mit den<br />

weichen Gesichtszügen Charisma, das<br />

er brauchen wird, um als 17. Karmapa<br />

die Hoffnungen so vieler Tibeter zu erfüllen,<br />

die auf ihm lasten.<br />

Während die Menschen in der ganzen<br />

Welt den 14. Dalai Lama verehren,<br />

gerät die prekäre politische Situation<br />

in Tibet immer mehr in Vergessenheit.<br />

China schottet das Land von der Außenwelt<br />

ab. Der Konflikt zwischen Tibetern<br />

und Chinesen droht aus dem<br />

Blickpunkt der Weltöffentlichkeit zu<br />

verschwinden. Im Moment gibt der<br />

Dalai Lama, der die buddhistische Gelug-Schule<br />

repräsentiert, dem kleinen<br />

Volk eine feste und friedfertige Stimme.<br />

In Zukunft könnte diese Rolle dem<br />

17. Karmapa, dem Oberhaupt der Kagyü-Schule,<br />

zufallen.<br />

Als 14-Jähriger kam der Nomadenjunge<br />

ins nordindische Exil. In einer<br />

Nacht-und-Nebel-Aktion floh Apo Gaga<br />

aus seiner Heimat und traf am 5.<br />

Januar 2000 am Exilsitz des Dalai Lama<br />

ein. Eine abenteuerliche Flucht<br />

über die verschneiten Pässe des Himalaja,<br />

um die sich schon jetzt viele Geschichten<br />

ranken. „Es war eine große<br />

Freude für Seine Heiligkeit, den Jungen<br />

in Sicherheit zu wissen“, zitiert<br />

Jane Perkins die offizielle Pressemitteilung<br />

von damals. Denn längst hatte<br />

sich der Dalai Lama für ihn als 17.<br />

Karmapa ausgesprochen und ihn als<br />

Wiedergeburt des 16. Karmapa anerkannt.<br />

Im Alter von sieben Jahren war<br />

Apo Gaga entsprechend dem Prophezeiungsbrief<br />

seines Vorgängers gefunden<br />

und inthronisiert worden. Heute<br />

ist er 27 Jahre alt.<br />

Dennoch ist die Situation verworren,<br />

denn es gibt eine zweite Reinkarnation<br />

des Karmapa. Auch er, Thaye<br />

Dorje, wird durch mehrere angesehene<br />

tibetische Lamas unterstützt. Beide<br />

sind als 17. Karmapa inthronisiert<br />

und führen zeremonielle Aufgaben<br />

durch. Beide haben Anhänger hinter<br />

sich versammelt und so die Karma-<br />

Kagyü-Schule gespalten. Eine Entwicklung,<br />

die der Parteispitze der<br />

chinesischen KP in Peking offenbar<br />

in die Karten spielt. Es gibt Stimmen,<br />

die behaupten, Peking stecke hinter<br />

dem Karmapa-Konflikt und würde<br />

ihn gezielt forcieren.<br />

Für die tibetischen Flüchtlingskinder<br />

in Dharamsala spielt diese Auseinandersetzung<br />

beim Besuch von Orgyen<br />

Thrinle Dorje keine Rolle. Sie<br />

alle sind fern der Heimat und weit weg<br />

von ihren Familien. <strong>Die</strong> meisten sind<br />

über die Berge des Himalaja nach Indien<br />

geflüchtet. Geflüchtet, um in einem<br />

fremden Land ihre Kultur leben<br />

zu können, die mit dem Buddhismus<br />

so stark verknüpft ist. Ein Leben,<br />

das mit dem 14. Dalai Lama untrennbar<br />

verbunden ist. Stirbt der<br />

Friedensnobelpreisträger eines Tages,<br />

wird der 15. Dalai Lama, die<br />

Wiedergeburt Seiner Heiligkeit,<br />

gesucht werden. Bis diese Nachfolge<br />

angetreten ist, braucht Tibet<br />

einen charismatischen Repräsentanten<br />

und Hoffnungsträger – ein<br />

schweres Erbe, das Orgyen Thrinle<br />

Dorje als 17. Karmapa antreten soll. Ω<br />

Der Dalai Lama:<br />

Aus Tibet vertrieben,<br />

in der westlichen Welt<br />

geschätzt<br />

Hintergrund: Dalai Lama – Karmapa<br />

Der 14. Dalai Lama ist das weltliche<br />

und religiöse Oberhaupt Tibets und<br />

der oberste Vertreter des tibetischen<br />

Buddhismus. 1959 floh er vor chinesischen<br />

Truppen nach Indien, wohin<br />

ihm zehntausende Tibeter folgten. Im<br />

indischen Dharamsala rief er eine<br />

Exilregierung aus und versuchte von<br />

dort aus in Verhandlungen mit der<br />

chinesischen Regierung Autonomie<br />

für Tibet zu erlangen. Doch China<br />

wollte den Buddhismus in Tibet unterbinden<br />

und war an einem Dialog<br />

nicht interessiert. 2011 zog sich der<br />

inzwischen 77 Jahre alte Dalai Lama<br />

von allen politischen Ämtern zurück.<br />

Ein möglicher Nachfolger des Dalai<br />

Lama ist Orgyen Thrinle Dorje, der<br />

17. Karmapa, das Oberhaupt eines der<br />

vier großen Orden des tibetischen<br />

Buddhismus. Auch er lebt seit seiner<br />

Flucht im Jahr 2000 in Dharamsala.<br />

Er ist die Hoffnung der Tibeter. Der<br />

Dalai Lama gilt als sein Mentor. Seine<br />

Heiligkeit fördert den 17. Karmapa im<br />

indischen Exil, damit er eines Tages<br />

seine Rolle als Tibets Repräsentant in<br />

der Weltöffentlichkeit übernehmen<br />

kann. Was die Lage erschwert: Es gibt<br />

einen zweiten 17. Karmapa, der ebenfalls<br />

durch mehrere angesehene Lamas<br />

unterstützt wird.<br />

T I B E T<br />

N E P A L<br />

BHUTAN<br />

I N D I E N<br />

C H I N A<br />

Geisler Fotopress/picture-alliance/dpa

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!