Download der Zeitschrift - Bayerisches Staatsministerium für ...
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verlegte <strong>der</strong> Buchhändler Jaffe an <strong>der</strong> Briennerstraße<br />
unter dem schönen, die Völker verbindenden Titel<br />
L’Âme aux deux patries. Annette Kolb hat sich diese<br />
beiden Seelen ein Leben lang bewahrt; dem entsprechend<br />
hat sie in Thomas Manns Exilroman Doktor<br />
Faustus (1947) auch einen Auftritt als »Jeannette<br />
Scheurl«. Ihre enge Freundschaft mit dem Elsässer<br />
Kollegen René Schickele stand im Zeichen eines<br />
friedlichen Europa.<br />
EINE ELSÄSSISCHE MUTTER hatte auch <strong>der</strong> Münchener<br />
Maler Franz Marc, <strong>der</strong> zusammen mit dem<br />
Russen Wassily Kandinsky im Jahr 1912 den Almanach<br />
Der Blaue Reiter herausgab. Der Band ist <strong>der</strong><br />
Höhepunkt <strong>der</strong> Kunstentwicklung in München vor<br />
oben Postkarte von Marcel Duchamp an Max Bergmann aus Herne Bay,<br />
England, August 1913.<br />
oben Marcel Duchamp, München 1912, Foto von Heinrich<br />
Hoffmann.<br />
dem Ersten Weltkrieg; darin wird <strong>der</strong> Kunstbegriff<br />
erweitert; nicht nur europäische, auch außereuropäische<br />
Kunst wird hier gleichwertig neben Zeugnisse<br />
alter Hochkulturen aus China, Indien und Ägypten<br />
gestellt. In diesem Band berichtet Roger Allard über<br />
»Die Kennzeichnung <strong>der</strong> Erneuerung in <strong>der</strong> Malerei«<br />
am Beispiel junger französischer Maler. Einer<br />
davon sollte später <strong>der</strong> berühmteste Gegen-Künstler<br />
des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts werden: Marcel Duchamp.<br />
Er kam damals <strong>für</strong> vier Monate, von Juli bis Oktober<br />
1912, nach München und logierte in <strong>der</strong> Barerstraße<br />
65/II. (Den Grundriss dieser Wohnung hat<br />
im vergangenen Jahr <strong>der</strong> Münchener Künstler Rudolf<br />
Herz in eine Betonplastik umgesetzt, die <strong>für</strong> eine<br />
Weile südlich <strong>der</strong> Alten Pinakothek auf einer Wiese<br />
stand: ein monumentales ready made!) Duchamp erwi<strong>der</strong>te<br />
damals den Besuch eines bayerischen Malerfreundes,<br />
des Zügel-Schülers Max Bergmann aus<br />
Haimhausen, den Duchamp 1910 im Pariser Café du<br />
Dôme kennengelernt hatte. In dieser Zeit malte Duchamp einige<br />
Werke von größter Bedeutung <strong>für</strong> seine Kunst. In München entstanden<br />
im Sommer 1912 zwei Gemälde: Der Übergang von <strong>der</strong><br />
Jungfrau zur Braut und Braut, die den Höhepunkt und zugleich<br />
den Abschluss <strong>der</strong> Karriere Duchamps als Maler bilden. Mit <strong>der</strong><br />
ersten Zeichnung <strong>für</strong> Die Braut von den Junggesellen entkleidet<br />
zum Thema »Mechanismus <strong>der</strong> Scham« bereitete er sein Schlüsselwerk<br />
Das große Glas (1915-1923) vor, das die bisherigen Grenzen<br />
innerhalb <strong>der</strong> Malerei nach allen Richtungen sprengte. Beson<strong>der</strong>s<br />
pikant ist, dass Duchamp sich damals im Atelier des Fotografen<br />
Heinrich Hoffmann an <strong>der</strong> Schellingstraße 50 (das Rückgebäude<br />
existiert noch heute) porträtieren ließ; Hoffmann avancierte später<br />
zum Leibfotografen Hitlers und beschäftigte eine Angestellte namens<br />
Eva Braun, die spätere Frau Hitler. Zurück in Paris, gab Duchamp<br />
die Malerei auf und verdiente sein Geld als Gehilfe in einer<br />
Bibliothek. Zwei Kunstwelten hatten sich in Paris und München<br />
kurz berührt; sie trafen sich danach nie wie<strong>der</strong>.<br />
MIT DEM CAFÉ DU DÔME konnte das Café Luitpold an <strong>der</strong> Briennerstraße<br />
sicher nicht konkurrieren, auch wenn es vielleicht prächtiger<br />
ausgestattet war. Erst recht kam dagegen das verrauchte Wiener<br />
Café Stefanie in <strong>der</strong> Maxvorstadt nicht an. Einer seiner Besucher<br />
war <strong>der</strong> spätere Diplomat und Dramatiker Jean Giraudoux, <strong>der</strong> im<br />
Mai 1905 als Student <strong>der</strong> Germanistik mit einem Stipendium <strong>für</strong><br />
einen fast zweijährigen Aufenthalt nach Deutschland gekommen<br />
war. Zehn Monate des ersten Jahres wohnte Giraudoux sogar über<br />
dem Café Stefanie, genannt Café Größenwahn, dem Treffpunkt <strong>der</strong><br />
Schwabinger Bohème in <strong>der</strong> Maxvorstadt an <strong>der</strong> Ecke Amalien-/<br />
Theresienstraße. Er lernte dort u. a. die Dramatiker Frank Wedekind<br />
und Josef Rue<strong>der</strong>er kennen, mit denen er auch später viele<br />
Briefe wechselte. Über diese Briefe, die in <strong>der</strong> Stadtbibliothek München<br />
(Monacensia) erhalten sind, geht es direkt in die wun<strong>der</strong>same<br />
Geschichte Siegfried et le Limousin (Siegfried o<strong>der</strong> die zwei Leben<br />
des Jacques Forestier, 1922). Das Thema <strong>der</strong> deutsch-französischen<br />
Beziehungen nach dem Vertrag von Versailles hat Giraudoux darin<br />
vielfach anhand des Siegfried-Motivs variiert. Der Roman um<br />
die Doppelexistenz des Jacques Forestier – er hat im Krieg sein Gedächtnis<br />
verloren und arbeitet jetzt unter dem Namen Siegfried von<br />
Kleist als Redakteur <strong>der</strong> angesehenen Frankfurter Zeitung – bietet<br />
im dritten Kapitel kuriose Erinnerungen an München vor 1914,<br />
Fotos: Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, co: Galerie 1900-2000, Paris, Sammlung Klaus-Peter- Bergmann<br />
| 30 | aviso 3 | 2013 BIENVENUE COLLOQUIUM