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Nicht-Machen. Lassen! Zu Walter Benjamins pädagogischem Theater

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Geräusche erraten müssen, um die Lösungen dann zur Preisverteilung an den<br />

Sender einzuschicken“. 34 Ein Rundfunksprecher sollte vorab das experimentelle<br />

Ratespiel erklären. Im Manuskript der Sendung vom 10. März 1932 im Sender<br />

Frankfurt am Main unter der Regie von Benjamin selbst sind dann auch die zu<br />

erratenden Geräusche als „Erster“, „Zweiter“, „Dritter Radau“ handschriftlich<br />

notiert 35 und die Südwestdeutsche Rundfunk-Zeitung forderte das Publikum<br />

tatsächlich im Vorhinein auf, „die hierbei auftretenden Geräusche“ zu erraten und<br />

„dem Südwestfunk mitzuteilen“. 36 Benjamin konstruiert also in seinem Hörspiel<br />

ein Ratespiel. Dieses Ratespiel richtet sich aber nicht auf die Inhalte bürgerlicher<br />

Erziehung, sondern auf die Materialität der Sprache im Radio, auf Geräusch,<br />

„Radau“, Lärm. Und Benjamin bleibt auch nicht bei dieser Schulung des<br />

technischen Hörens stehen. Vielmehr verdoppelt er das Ratespiel. Die<br />

Ratesituation wiederholt sich auf der Handlungsebene des Stückes: Auch im<br />

Hörspiel durchleben Kinder die „Geschichte mit Lärm“, sind aufgefordert, unter<br />

der unfreiwilligen und unbewussten Führung des Kasperls Tierstimmen zu deuten<br />

und Geräusche zu erraten. <strong>Zu</strong>sätzlich unterbricht Benjamin – wie beschrieben –<br />

am Ende des Stücks das Spiel und stellt es als Beobachtungssituation heraus, gibt<br />

dem turbulenten Ratespiel einen Rahmen, umreißt das Stück als Labor. Die<br />

Unterbrechung hat hier „pädagogische Funktion“, so Benjamin. „Sie bringt die<br />

Handlung im Verlauf zum Stehen und zwingt damit den Hörer zur Stellungnahme<br />

zum Vorgang, den Akteur zur Stellungnahme zu seiner Rolle.“ 37 Aufgrund dieser<br />

Distanznahme wird die Szene für Benjamin zum „dramatischen Laboratorium“, in<br />

dem der „vom Radio, vom Kino eliminierte Mensch […] gewissen Prüfungen<br />

unterworfen, begutachtet“ wird. 38 So wird also das sich entziehende Kasperl von<br />

einer technischen Apparatur umstellt und durch den Experimentator, Herrn<br />

Maulschmidt, innerhalb eines experimentellen Arrangements akustisch<br />

beobachtet, was wiederum die <strong>Zu</strong>hörer und <strong>Zu</strong>hörerinnen beobachten. 39<br />

Die pädagogische Übung <strong>Benjamins</strong> ist ein toller Schabernack, der sich anstatt<br />

auf Disziplinierung auf die performative Einübung und experimentelle Forschung<br />

innerhalb eines Kasperle-<strong>Theater</strong>s richtet. 40<br />

34<br />

Ebd.<br />

35<br />

Ebd.<br />

36<br />

Südwestdeutsche Rundfunk-Zeitung 8/10 (11.3.1932), S. 1.<br />

37<br />

<strong>Walter</strong> Benjamin: „<strong>Theater</strong> und Rundfunk. <strong>Zu</strong>r gegenseitigen Kontrolle ihrer<br />

Erziehungsarbeit (1932)“, in: <strong>Walter</strong> Benjamin: Medienästhetische Schriften,<br />

Nachw. von Detlef Schöttker, Frankfurt a. M. 2002, S. 396-399, S. 398.<br />

38<br />

Ebd.<br />

39<br />

In dem Text „Zweierlei Volkstümlichkeit. Grundsätzliches zu einem<br />

Hörspiel“ benennt Benjamin die Nähe seines Hörspiels „Was die Deutschen<br />

lasen, während ihre Klassiker schrieben“ (1932) zu zeitgenössischen<br />

experimentellen Verhaltensforschungen: „Kurz: das fragliche Hörspiel<br />

bemüht sich um engste Fühlung mit den Forschungen, die in der jüngsten<br />

Zeit zur sogenannten Soziologie des Publikums unternommen wurden.“<br />

<strong>Walter</strong> Benjamin: „Zweierlei Volkstümlichkeit. Grundsätzliches zu einem<br />

Hörspiel (1932)“, in: Benjamin: Medienästhetische Schriften, S. 400-402.<br />

40<br />

Grundsätzlich dazu Lehmann: „Eine unterbrochene Darstellung“.

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