Nicht-Machen. Lassen! Zu Walter Benjamins pädagogischem Theater
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In dieser Verschiebung oder Übersetzung zeigt sich, was Benjamin als die<br />
Mittelbarkeit der Sprache beschreibt. Die Szene verweist auf <strong>Benjamins</strong><br />
Auffassung der Sprache als eines „reinen Mittels“, die in ihrer Selbstbezüglichkeit<br />
jede Mittel-Zweck-Relation unterläuft und nicht instrumentell zu fassen ist. Die<br />
Sprache vermittelt nicht einfach Inhalte, sondern ist eine Technik sprachlicher<br />
Mitteilungen, die aber nicht jenseits der Sphäre der Mittelbarkeit liegen: Die<br />
Sprache teilt sich selbst als Technik der Mitteilung mit. 14 Sprache ist für Benjamin<br />
also nicht signifikativ, sondern Mittel der Mittelbarkeit zwischen Sprechenden,<br />
Mittel der Mittelbarkeit in einem Dritten, wobei sie in ihrem Zeichencharakter<br />
gleichzeitig „Symbol des <strong>Nicht</strong>-Mitteilbaren“ ist. 15 Lipsislapsus ist jenes dritte<br />
Moment, in dem Sprache in ihrer Mittelbarkeit spricht. Lipsislapsus ist Symbol für<br />
die Medialität des Sprechens im Radio, aber auch „Symbol des <strong>Nicht</strong>-<br />
Mitteilbaren“. 16 Sein Ort ist leer, er verweist auf nichts als auf das Sprechen eines<br />
Anderen. 17 Er markiert eine Stelle im Sprechen, die man mit Werner Hamacher als<br />
afformatives <strong>Lassen</strong> im Gegensatz zum performativen <strong>Machen</strong> beschreiben kann.<br />
Nach Hamacher lassen Afformative etwas geschehen, ohne es aber selbst<br />
geschehen zu machen, lassen etwas „in den Bereich der Setzung eintreten […]<br />
unter dessen Diktat sie selber nicht stehen“. 18 Das Afformative zeigt sich im<br />
„Bezirk der Phänomene als derjeniger positiver Manifestation“ selbst nur in<br />
„Auslassungen, Pausen, Unterbrechungen, Verschiebungen“. 19 Hamacher fasst<br />
zusammen: „Was, afformativ, läßt, läßt (sich selber) aus.“ 20<br />
14<br />
Dazu grundsätzlich Hamacher: „Afformativ. Streik“, S. 347.<br />
15<br />
<strong>Walter</strong> Benjamin: „<strong>Zu</strong>r Kritik der Gewalt (1920/1921)“, in: GS II.1, S. 179-<br />
203, S. 156. <strong>Walter</strong> Benjamin charakterisiert den proletarischen<br />
Generalstreik wie folgt: „Denn sie [die Arbeitsniederlegung, K.R.] geschieht<br />
nicht in der Bereitschaft, nach äußerlichen Konzessionen und<br />
irgendwelchen Modifikationen der Arbeitsbedingungen wieder die Arbeit<br />
aufzunehmen, sondern im Entschluß, nur eine gänzlich veränderte Arbeit,<br />
eine nicht staatlich erzwungene, wieder aufzunehmen, ein Umsturz, den<br />
die Art des Streiks nicht sowohl veranlaßt als vielmehr vollzieht.“ Benjamin:<br />
„<strong>Zu</strong>r Kritik der Gewalt“, S. 194.<br />
16<br />
Benjamin: „<strong>Zu</strong>r Kritik der Gewalt“, S. 156. <strong>Zu</strong> den medialen Implikationen<br />
der Benjamin‘schen Sprachtheorie siehe den Band: Hendrik Blumentrath/<br />
Katja Rothe/ Sven Werkmeister/ Michaela Wünsch/ Barbara Wurm (Hg.):<br />
Techniken der Übereinkunft, Berlin 2008; darin insbes.: Bettine Menke:<br />
„‚<strong>Zu</strong>r Kritik der Gewalt‘: Techniken der Übereinkunft, Diplomatie, Lüge“, S.<br />
37-56.<br />
17<br />
Er hat also eine ähnliche Position wie die Nymphe Echo in der griechischen<br />
Mythologie, die, ihrer körperlichen Präsenz beraubt, Narziss nur mit den<br />
letzten Silben der an sie gerichteten Rede ihre Liebe gestehen konnte. <strong>Zu</strong>m<br />
Echo als Übersetzungsphänomen siehe auch Rainer Nägele: Echoes of<br />
Translation: Reading between Texts, Baltimore, Maryland 1997.<br />
18<br />
Hamacher: „Afformativ. Streik“, S. 359 f.<br />
19<br />
Hamacher: „Afformativ. Streik“, S. 360.<br />
20<br />
Ebd.