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Nicht-Machen. Lassen! Zu Walter Benjamins pädagogischem Theater

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Rundfunk gesprochen hast, wenn du es auch nicht weißt.<br />

KASPERL: Das muß wohl im Schlafe gewesen sein.<br />

MAULSCHMIDT: <strong>Nicht</strong> im Schlafe, aber im Bett.<br />

FRAU PUSCHI: Im Bett?<br />

HERR MAULSCHMIDT: Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Wir<br />

vom Rundfunk sind doch schlauer als du. Während du in der<br />

Stadt deine Schandtaten verübt hast, haben wir heimlich hier in<br />

deinem Zimmer unter dem Bett ein Mikrophon aufgebaut, und<br />

nun haben wir alles, was du gesagt hast, auf Platten und hier<br />

habe ich dir gleich eine mitgebracht. Hört nur zu: […]“ 25<br />

Das unmittelbare Ereignis, die Störungen, die Flucht erweisen sich als Kasperls<br />

traumwandlerischer Monolog, gebannt auf einer Platte, die Herr Maulschmidt<br />

triumphierend vorspielt. Am Ende des Hörspiels sind junge und alte HörerInnen<br />

mit erst durch analoge Speichermedien möglichen Zeitachsenmanipulationen<br />

konfrontiert, mit der Verwürfelung eines seriellen Datenstroms. 26 Voraussetzung<br />

hierfür ist die Möglichkeit der Speicherung und damit Vorproduktion, die im<br />

deutschen Rundfunk erst seit 1930 und auch nur spärlich eingesetzt wurde. Das<br />

Hörspiel Radau um Kasperl jedenfalls wurde, zumindest teilweise, aufgezeichnet.<br />

Kasperls Spektakel mit all seinen Entzügen und Störungen zeigt sich als Effekt von<br />

Übertragung und Speicherung, als Live-Effekt des Radios. Das radiofone<br />

Kasperletheater offenbart sich in seiner Mittelbarkeit, in seinen medialen<br />

Voraussetzungen und Abgründen. Denn es wird am Ende unklar, was man<br />

überhaupt hört. Etwas erscheint auf der Bühne des heimischen Radios, was nicht<br />

da ist, was woanders ist, von dem niemand weiß, ob es jetzt ist oder vergangen,<br />

unmittelbares Live-Erlebnis oder gespeicherte Aufzeichnung. Im Radio tritt anstatt<br />

ontologischer Sicherheit die Aufzeichnung als Aufzeichnung auf. Das Hörspiel<br />

stellt sich als Hörspiel vor. Wie bereits beim Auftritt des „Geistes“ Lipsislapsus<br />

wird hier das Hörereignis als ein mittelbares exponiert. Man kann diese Szene<br />

auch als „Darbietung der Mittelbarkeit, das Sichtbar-Werden des Mittels als<br />

solchen“ verstehen. 27<br />

Hans-Thies Lehmann macht im Gestischen das zentrale Element des<br />

Benjamin‘schen Konzepts eines revolutionären Kindertheaters aus. Die Geste ist<br />

„‚rahmende‘ Unterbrechung“, die „die herrschende Gewalt – und zugleich die<br />

eigene Darstellung […] sichtbar“ macht. 28 Die Geste am Ende des Kinderhörspiels<br />

ist also eine des <strong>Lassen</strong>s, des Zeigens der eigenen Darstellung, aber eben auch<br />

eine des <strong>Machen</strong>s.<br />

25<br />

Benjamin: „Radau um Kasperl“, S. 694 f.<br />

26<br />

Friedrich Kittler: „Real Time Analysis, Time Axis Manipulation“, in: Friedrich<br />

Kittler: Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, Leipzig 1993, S. 182-<br />

206, vor allem S. 182-184.<br />

27<br />

Giorgio Agamben: „Noten zur Geste“, in: Jutta Georg-Lauer (Hg.):<br />

Postmoderne und Politik, Tübingen 1992, S. 97-108, S. 103. <strong>Zu</strong>r Geste im<br />

Denken <strong>Benjamins</strong> außerdem Lehmann: „Eine unterbrochene Darstellung“,<br />

S. 188 ff., 194-197.<br />

28<br />

Lehmann: „Eine unterbrochene Darstellung“, S. 197.

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