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Nicht-Machen. Lassen! Zu Walter Benjamins pädagogischem Theater

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Ich möchte also im Folgenden dem Afformativen als einer Art und Weise, mit dem<br />

<strong>Nicht</strong>-zu-Haltenden zu rechnen, in <strong>Benjamins</strong> <strong>pädagogischem</strong> Konzept<br />

nachspüren. Mein Interesse richtet sich dabei auf eine dort vorgeschlagene<br />

Haltung, die sich selbst auszulassen bereit ist, um ein Anderes zuzulassen, auf eine<br />

Haltung des Geschehenlassens, des <strong>Nicht</strong>s-Tuns, die innerhalb des Performativen<br />

arbeitet. Das, was nicht zu halten ist, kann dabei Grund eines Kalküls der<br />

Selbstrestriktion werden, eines Kalküls, das wiederum affirmatives <strong>Machen</strong> und<br />

Tun im Rahmen eines Reg(ul)ierungswissens ermöglicht. Das <strong>Nicht</strong>-zu-Haltende<br />

kann aber auch ‚gelassen‘ werden. Das <strong>Lassen</strong> ist für <strong>Walter</strong> Benjamin Grundlage<br />

seines Projektes einer revolutionären Pädagogik: einer Pädagogik, die einerseits<br />

im Kontext zeitgenössischer protokybernetischer Bemühung um die<br />

experimentelle Erschließung des Potentiellen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu<br />

sehen ist, andererseits jene gouvernementalen Bemühungen um den <strong>Zu</strong>griff auf<br />

das unzugängliche ‚Verhalten‘ radikal in Frage stellt. Der fundamentale Zweifel,<br />

den <strong>Benjamins</strong> Pädagogik streut, macht sich eben auch an einer Ökonomie der<br />

<strong>Zu</strong>rückhaltung fest, die den Beobachter betrifft, den Pädagogen, den Leiter des<br />

Spiels, der anstatt auf Erkenntnis über und direkte Einflussnahme auf das<br />

Verhalten der Kinder selbst auf die kindliche Erfahrung eines „‚nicht<br />

disziplinierte[n] Glück[es]‘“ 3 und damit die Suspendierung jedes Wissens<br />

verpflichtet wird. <strong>Benjamins</strong> Pädagogik zielt auf <strong>Zu</strong>rückhaltung als Form der<br />

Aufnahmebereitschaft für Unerwartetes, <strong>Nicht</strong>-Verfügbares, Unterbrechungen,<br />

Störungen. Sie lehnt dabei jede Setzung z.B. eines erzieherischen Ideals ab, ist<br />

Suspendierung des Thetischen an sich in einer Geste eben des <strong>Lassen</strong>s.<br />

Dem Rumoren des <strong>Lassen</strong>s in der <strong>Zu</strong>rückhaltung werde ich nun anhand einer<br />

Figur folgen, die Benjamin in dem Hörspiel „Radau um Kasperl“ (1932) zum<br />

Epizentrum seiner Pädagogik macht, eine Figur, die sich nicht zurückhält und auch<br />

nicht zu halten ist.<br />

Das entsetzte Radio<br />

Am Abend des 10. März 1932 findet zwischen 19.45 Uhr und 20.45 Uhr auf den<br />

Sendern Köln und Frankfurt am Main eine Übungsstunde statt, mit der <strong>Walter</strong><br />

Benjamin Kinder in die Funktionsweise des Radios einführt. 4 Protagonist der<br />

3<br />

„Die Anmut der Kinder besteht und sie besteht vor allem als ein Korrektiv<br />

der Gesellschaft; sie ist eine der Anweisungen, die uns auf das ‚nicht<br />

disziplinierte Glück‘ gegeben sind.“ <strong>Walter</strong> Benjamin: Briefe, hg. von<br />

Gershom Scholem/ Theodor W. Adorno, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1978, S.<br />

854.<br />

4<br />

<strong>Walter</strong> Benjamin: „Radau um Kasperl“. 1932; Text: <strong>Walter</strong> Benjamin: „Radau<br />

um Kasperl (1932)“, in: <strong>Walter</strong> Benjamin: Gesammelte Schriften, hg. von<br />

Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Bde. I–VII, Suppl. I–III (17<br />

Bde.), Frankfurt a. M. 1972–1999, Bd. IV. 2, S. 674-695. Angaben in<br />

<strong>Benjamins</strong> „Gesammelten Schriften“ werden im Folgenden abgekürzt mit

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