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RAINER MARIA RILKE - Kaleidophon-verlag.com

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Sinnen Faßbaren, weit Abgeleitetes, ein bloßes Zeichen, das der logisch-praktischen<br />

Verständigung dient. Er muß es erst zu demjenigen Material machen, woran Dichterisches<br />

sich vollzieht. Die Bereitschaft der Sinne, womit Rilke etwa den Panther im Pariser<br />

Tiergarten oder eine Pflanze im Luxembourg tage-, ja wochenlang beobachtete, enthielt<br />

sozusagen nur erst den Schauplatz, auf dem das neue sachliche Verhalten vor sich ging;<br />

denn sachlich hieß hier: eine nur um so tiefere, über alles Gefühlsbetonte noch tief, tief<br />

hinabreichende Einfühlung – eine, die dadurch jede, auch die sentimentbeladene<br />

Gegenüberstellung aufhebt – und eben dadurch das Wort, das Außenzeichen, gleichsam zu<br />

dem zu Sagenden selbst werden läßt, zur Beschwörung, zur Schöpfung. Noch viele Jahre<br />

später sucht Rilke sich manche Mißerfolge oder schwere Nachwirkungen von damals so zu<br />

erklären; er schreibt 1914 (Paris, am 26. Juni):<br />

»Es fällt mir ein, daß eine geistige Aneignung der Welt, wo sie sich so völlig des Auges<br />

bedient, wie das bei mir der Fall war, dem bildenden Künstler ungefährlicher bliebe, weil sie<br />

sich greifbarer, an körperlichern Ergebnissen beruhigt.«<br />

Aber von Anfang an war er sich der Schwierigkeiten seiner Nachfolge Rodins bewußt<br />

gewesen, schon 1903 (Oberneuland, am 10. August):<br />

»Ich litt an dem übergroßen Beispiel, dem unmittelbar zu folgen meine Kunst keine Mittel<br />

bot; die Unmöglichkeit körperlich zu bilden, ward Schmerz an meinem eigenen Leib und<br />

auch jenes Angsthaben, (dessen stofflicher Inhalt die enge Nähe von etwas zu Hartem, zu<br />

Steinernem, zu Großem war) entsprang aus der Unvereinbarkeit zweier Kunstwelten.«<br />

Denn noch etwas anderes als bloß die Unvereinbarkeit zweier Kunstwelten kam hier in<br />

Frage, und eigentümlich weist Rilkes Ausdruck, den er hier in Klammern setzt, daraufhin: es<br />

war der Gegensatz der beiden Menschentypen selbst. Zweifellos war Rodin der markant<br />

maskuline Mensch, was ungefähr so viel heißt, wie: Trotz der Gewalt, womit er sich seiner<br />

Kunst hingab – und eben dies hatte ihn ja für Rilke so unendlich bedeutsam gemacht –,<br />

besaß er seine Kunst und nicht sie ihn. Das heißt, er vermochte es, sein Wesen derart zu<br />

gliedern, daß er ihr viel, fast alles, überließ und dennoch des Restes auch noch auf andere<br />

Weise froh werden konnte, ohne bei allem des bindenden Mittelpunktes zu bedürfen. Auch<br />

falls dies Schaffen nach irgendeiner Seite zu weit übergriff, gleichsam verstümmelnd,<br />

schädigend, konnte er es nach irgendeiner andern Seite wieder gutmachen – oder gar noch<br />

besser. Man verstand das unmittelbar, wenn man ihn betrachtete: den Untersetzten,<br />

Starknackigen, Sinnen- und Geiststrotzenden, etwas wie eine brutale Kraft und durchgeistet<br />

in gleicher Ungehemmtheit, als könne nur Macht von ihm ausgehn. Rilkes Mannheit war die<br />

andere, die gerade daran aktiv wird, daß sie ihre Totalität zusammenhält, daß sich zum<br />

Zeugnis ihrer schöpferischen Kraft beide Geschlechtlichkeiten in eins vereinigen und daß<br />

alles, was dabei zur Seite oder anders verwendet bliebe, einen Abbruch, eine Minderung<br />

bedeuten müßte, denn Werk bedeutet hier mehr noch als Mensch. Freilich ist überhaupt<br />

alles Schöpferische nur etwas wie ein Name für die Reibung des Doppelgeschlechtlichen in<br />

uns, aber die Abstufungen darin sind verschieden, und man versteht, wie das maskuline<br />

Moment bei der geistigen Schöpfung das wichtigere, überwiegendere bleiben muß durch<br />

seine freiere Struktur, die der Leiblichkeit ihr Recht außerhalb beläßt, während ein großer<br />

Zuschuß des Weiblichen in einen Leibgeist-Zwiespalt hineinreißen kann, wie in ein<br />

undarstellbares Verlangen nach Schwangerschaft.<br />

Jedenfalls trug die tiefere Verschiedenheit beider Naturen dazu bei, daß das wundervolle<br />

Band zwischen ihnen brüchig wurde und fast riß. Auch gerade dazu, daß Rilke es schließlich<br />

vielleicht an genügender Einfühlung in den andersgearteten großen Freund fehlen ließ, ihn<br />

einfach so haben wollte, wie er ihn sich in Dankbarkeit und Bewunderung vorgestellt und wie<br />

er ihn für sich brauchte. Es gibt kein Nehmen ohne das ganz entsprechende Geben, wenn<br />

die Gabe tief empfangen sein soll: hier gab der Jünger nicht genug, er, dem Rodin seines<br />

Alters Geheimnisse preisgab – seine Schwermut über das Nachlassen der Genußfreudigkeit<br />

– worunter Rodin sowohl die künstlerische wie die sinnliche unbefangen miteinbegriff. Es hat<br />

etwas Rührendes, wie, nach Rilkes Andeutungen, der Greis ihm sein Versagen aufschloß,<br />

und der das tat, war doch für ihn gewesen – :<br />

»– der Wichtigsten Einer, ein Zeichen weit über der Zeit, ein ungemeines Beispiel, ein<br />

weithin sichtbares Wunder – und doch nichts als ein unsäglich einsamer, alter Mann, einsam<br />

in einem großen Greisenthum« (Oberneuland, am 10. August 1903).<br />

In einem schon erwähnten Brief von 1911 fühlt man das Ausbleiben einer letzten Güte<br />

Eindrücken gegenüber, die ihn an Rodin leiden gemacht hatten, wenn er schreibt:

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