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RAINER MARIA RILKE - Kaleidophon-verlag.com

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mich alles finden, was Du mir verheißen hast –.« (Oberneuland, am 11. August 1903)<br />

Aus seinem unbeirrbaren Verlangen nach solcher Einheitlichkeit, die auch sein<br />

Künstlertum mit umgriffe, erwächst eine ungeheure Gewissenhaftigkeit. Ihm, der zu<br />

schicksalhaft empfand, um ein Mensch der Schuldzwiespalte zu werden – also jener<br />

Erschwerungen und Erleichterungen, vermöge deren man sich bestraft und befreit –, ihm<br />

verlegte sich alles Gewissensmäßige auf die Bereitschaft. Er kannte sie von der produktiven<br />

Stunde her, der zu befehlen nicht möglich, aber zu gehorchen notwendig ist. Sein – um ein<br />

viel mißbrauchtes Wort dafür einzusetzen – Ethos sammelte sich um die Bereitschaft wie um<br />

eine Empfängnis, die immer und überall ihn dort antreffen sollte, wo nichts ihr Fremdes oder<br />

Feindliches ihn besetzt hielt, ihn an Zufälliges und Abhaltendes verstreute.<br />

Aus Schweden (Furuborg, Jonsered, am 19. Okt. 1904) schon hatte er geschrieben:<br />

»Soll mein Leben besser werden, so muß ich vor Allem in diese beiden Dinge denken:<br />

Kraft und Gewissen. – – arbeiten muß ich lernen. Das sage ich mir seit Jahren und pfusche<br />

doch so weiter. Davon das arge Gewissen; um so ärger wenn andere Vertrauen zu mir<br />

haben.«<br />

Seine Gewissensempfindlichkeit nahm nur um so mehr zu, da er so viel weniger für ihre<br />

Beschwichtigung tun konnte, als, vergleichsweise, ein Handelnder täte, der in der Handlung<br />

selbst sein ihm aufgetragenes Ziel erreicht. Wenn er hätte beten dürfen, wie ein Kind seinen<br />

Vater auf Erden bittet, der es anhört und erhört, er hätte um nichts anderes gebeten als<br />

darum, zu jeder Zeit auffindbar zu bleiben »in des Vaters Wohnung«. Es gab für ihn nur dies<br />

oder Obdachlosigkeit. Es gab für ihn nicht Werte verschiedener Art und darunter auch<br />

solche, die besonders dem Künstler gemäß sind; der Wert der Werte mußte auch den<br />

Künstler als seinen eigentlichen mitumfassen. Was ihn von andern unterschied, war dies<br />

unentwegte Zugehen auf das Eine, Letzte, auch des Künstlers in ihm, der unbeschreibliche<br />

Ernst der Frage, ob oder wann er Zutritt dazu habe. Was ihn unterschied, noch jenseits aller<br />

künstlerischen Würdigung – was ihm von der Stirn strahlte, auch dann noch, wenn er am<br />

Boden lag, war dies: nie gab es jemanden, der heiligere Sorgen hatte als er.<br />

Mit den Jahren stieg seine Ungeduld mit sich:<br />

»Wiederanfangen. Freilich, schon beim Schulheft half es dann, eine neue Seite<br />

aufzuschlagen; diese hier – – steht nun wirklich voll der beschämendsten Fehler, roth über<br />

roth, und wo einer noch von selbst ausblieb vorher oder sich besann, da steht das endlich<br />

Richtige über einer fast ganz durchradierten Stelle, auf dem Häutchen eines Lochs.« (Paris,<br />

17, rue Campagne Première, am 21. Oktober 1913.)<br />

Schließlich gab es wohl keine Not, selbst grausigste, die er nicht auf sich genommen hätte<br />

fürs Gelingen; längst fürchtete er nicht sie mehr. Anderthalb Jahre zuvor (Schloß Duino, am<br />

ersten März 1912) bemerkt er:<br />

»Früher hats mich zuweilen gewundert, daß die Heiligen so darauf hielten, sich<br />

körperliche Übelstände zuzumuthen, jetzt versteh ich, daß diese Lust zu Schmerzen, bis<br />

hinein in die Qualen des Martyriums, eine Eile und Ungeduld war, auch vom Ärgsten, das<br />

von dieser Seite kommen kann, nicht mehr unterbrochen und gestört zu sein.«<br />

Im gleichen Brief steht auch:<br />

»Ich sehe manchen Tag alle Kreatur mit der Sorge an, es könnte in ihr ein Schmerz<br />

ausbrechen, der sie schreien macht, so groß ist meine Angst vor dem Mißbrauch, den der<br />

Körper in so vielem mit der Seele treibt, die in den Thieren Ruhe hat und in den Engeln erst<br />

Sicherheit.«<br />

Der Körper ist es, der sich nicht in die erstrebte Einheit fügen läßt, sich ihr<br />

entgegenstemmt, zwischen Tier und Engel einklemmt (Paris, am 26. Juny 1914):<br />

»Mein Körper ist wie eine Falle geworden, – – eine Oberfläche voller Fallen, in denen<br />

gequälte Eindrücke absterben, ein starres unleitendes Gebiet, und weit weit wie<br />

mitten in einem erkaltenden Gestirn das wunderbare Feuer, das nur noch vulkanisch<br />

austreten kann, da und dort, unter Erscheinungen, die der gleichgültigen Oberfläche, wie<br />

Verheerung, verwirrend und gefahrvoll sind – –«<br />

Das Unüberwindbare, Unablösbare dieses Stückes Selbst, das zugleich ein Fremdstück<br />

wie irgendein Außenbestandteil für unser Innen-Erlebnis bleibt, brachte in Rilke, le länger, je<br />

mehr, eine Trübsal hervor, die sich zur Abkehr vom physisch Bedingten überhaupt steigerte.<br />

Dies ist der Punkt, wo seiner Dichtung der »Engel« erstanden ist. Er erstand ihm aus dem<br />

Drang nach dem, was noch »in den Thieren Ruhe hat und in den Engeln erst Sicherheit«, –<br />

aus dem Drang, sich vor Vollkommenem zu neigen – neben sich aufgerichtet zu sehn das,

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