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RAINER MARIA RILKE - Kaleidophon-verlag.com

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Solche Sätze stehen lapidar da: groß geworden an Erinnerungen aus der Rodin-Periode,<br />

an Genugtuungen noch am leblosesten, lieblosesten Material, das, unter der<br />

Menschenhand, dem schauenden Menschenblick sakrosankt erschien, wie ein Gefäß<br />

beim Abendmahl. Und von weiterher noch: Erinnerungen an alles Belebte, Beseelte, als das<br />

Unsrige, als das Verbrüderte aus der Gottkindschaft des »Stundenbuchs«. Die Inbrunst<br />

der Erinnerungen quillt über: sollte es nicht das Heimlichste, Heimatlichste dieser Erde<br />

sein, ihre Sinnfälligkeit aufzuheben, aufzugeben ins Unsichtbare als das dennoch<br />

Unsrigste:<br />

»Erde, ist es nicht dies, was du willst: unsichtbar in uns erstehn? ....<br />

Was, wenn Verwandlung nicht, ist dein drängender Auftrag?<br />

Erde, du liebe, ich will!»<br />

Erzitternd steht da eine Hoffnung: eine Liebe zu Erde und Kreatur und zum letzten Staub des<br />

Weges noch, als zu Geliebtem, mit dem Herzen Umfaßtem, das nie und nimmer allein<br />

eingehen möchte in die Herrlichkeit der Engel, das nicht für sich allein zagt und fürchtet, weil<br />

es sich nur als Ganzheit begreifen kann. Aber die Gewalt dieser Inbrunst erreicht nicht die<br />

Engel, die »fast tödlichen Vögel der Seele«. Denn »jeder Engel ist schrecklich«. Und<br />

erschütternd bricht der Schrei aus, nach aller Mühe, ihn klaglos zu verhalten, »den Lockruf<br />

dunkelen Schluchzens«:<br />

»Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? und gesetzt selbst,<br />

es nähme<br />

einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem stärkeren Dasein.«<br />

(Erste Elegie.)<br />

Fragt man aber, wodurch das »stärkere Dasein« das menschliche nicht nur vergehen,<br />

sondern es in Ängste des Höllischen eingehen läßt, so berührt man damit das dritte Prinzip<br />

in den »Elegien« neben dem des Engelhaften und dem des Erdenhaften. Man gelangt dahin,<br />

am Irdischen entlang, bis zu dem Punkt, wo das individuelle Erleben hinüberreicht in das der<br />

Generationen, in die Endlosigkeit der einander folgenden Lebewesen, tief, tief verwurzelt ins<br />

Urgründliche, Abgründige. Ahnungslos ist der Einzelne um dieses<br />

»seines Inneren Wildnis,<br />

diesen Urwald in ihm, auf dessen stummem Gestürztsein<br />

lichtgrün sein Herz stand ....<br />

Liebend stieg er hinab in das ältere Blut, in die Schluchten,<br />

wo das, Furchtbare lag, noch satt von den Vätern. Und jedes<br />

Schreckliche kannte ihn, blinzelte, war wie verständigt.<br />

Ja, das Entsetzliche lächelte . . .«<br />

(Dritte Elegie.)<br />

So ist die Physis das letzte Wort für das Entsetzliche; aus dem Blut, das von alters wie ewig<br />

her uns umrinnt, lächelt das Entsetzliche teuflisch, nicht einmal mehr drohend, sondern aus<br />

der Heiterkeit und Ironie des Gesiegthabens. Projektion in das den Engeln entgegengesetzt<br />

Mystische, entgegengesetzt Schreckliche – Rache für die gewaltige Konsistenz,<br />

Leibhaftigkeit, Vorhandenheit, welche die Engel ihrerseits über künstlerische Erschaffung<br />

hinaus in sich eingesogen haben. Es ist etwas daran, was sogar die Strecke des ganz<br />

individuellen Erlebens und Erfahrens, noch getrennt von der abgründigen Tiefe, doch schon<br />

ebenfalls zunichte macht, was ihren Entwicklungssinn von ihr ablöst und ihn ins Bodenlose<br />

wegsacken läßt – was ihn für das Auge zu bloßem Schein, zu Täuschung verflüchtigt. Hie<br />

und da, seit die »Elegien« in Rilke umgingen, wurde in ihm eine ähnliche Befürchtung wach.<br />

Er äußerte sie wiederholt, (1914 auch einmal brieflich aus Paris vom 9. Juni), daß er sich<br />

manchmal nur noch erblicke<br />

»wie in einer Museums Vitrine. Das Glas spiegelt, und ich sehe darin nichts, als mein<br />

Gesicht, das alte, frühere, vorvorige –, das Du so genau kennst«.<br />

Dann schienen Vergangenheit und Zukunft in einen dünnen Strich zusammenzurücken,

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