RAINER MARIA RILKE - Kaleidophon-verlag.com
RAINER MARIA RILKE - Kaleidophon-verlag.com
RAINER MARIA RILKE - Kaleidophon-verlag.com
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Solche Sätze stehen lapidar da: groß geworden an Erinnerungen aus der Rodin-Periode,<br />
an Genugtuungen noch am leblosesten, lieblosesten Material, das, unter der<br />
Menschenhand, dem schauenden Menschenblick sakrosankt erschien, wie ein Gefäß<br />
beim Abendmahl. Und von weiterher noch: Erinnerungen an alles Belebte, Beseelte, als das<br />
Unsrige, als das Verbrüderte aus der Gottkindschaft des »Stundenbuchs«. Die Inbrunst<br />
der Erinnerungen quillt über: sollte es nicht das Heimlichste, Heimatlichste dieser Erde<br />
sein, ihre Sinnfälligkeit aufzuheben, aufzugeben ins Unsichtbare als das dennoch<br />
Unsrigste:<br />
»Erde, ist es nicht dies, was du willst: unsichtbar in uns erstehn? ....<br />
Was, wenn Verwandlung nicht, ist dein drängender Auftrag?<br />
Erde, du liebe, ich will!»<br />
Erzitternd steht da eine Hoffnung: eine Liebe zu Erde und Kreatur und zum letzten Staub des<br />
Weges noch, als zu Geliebtem, mit dem Herzen Umfaßtem, das nie und nimmer allein<br />
eingehen möchte in die Herrlichkeit der Engel, das nicht für sich allein zagt und fürchtet, weil<br />
es sich nur als Ganzheit begreifen kann. Aber die Gewalt dieser Inbrunst erreicht nicht die<br />
Engel, die »fast tödlichen Vögel der Seele«. Denn »jeder Engel ist schrecklich«. Und<br />
erschütternd bricht der Schrei aus, nach aller Mühe, ihn klaglos zu verhalten, »den Lockruf<br />
dunkelen Schluchzens«:<br />
»Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? und gesetzt selbst,<br />
es nähme<br />
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem stärkeren Dasein.«<br />
(Erste Elegie.)<br />
Fragt man aber, wodurch das »stärkere Dasein« das menschliche nicht nur vergehen,<br />
sondern es in Ängste des Höllischen eingehen läßt, so berührt man damit das dritte Prinzip<br />
in den »Elegien« neben dem des Engelhaften und dem des Erdenhaften. Man gelangt dahin,<br />
am Irdischen entlang, bis zu dem Punkt, wo das individuelle Erleben hinüberreicht in das der<br />
Generationen, in die Endlosigkeit der einander folgenden Lebewesen, tief, tief verwurzelt ins<br />
Urgründliche, Abgründige. Ahnungslos ist der Einzelne um dieses<br />
»seines Inneren Wildnis,<br />
diesen Urwald in ihm, auf dessen stummem Gestürztsein<br />
lichtgrün sein Herz stand ....<br />
Liebend stieg er hinab in das ältere Blut, in die Schluchten,<br />
wo das, Furchtbare lag, noch satt von den Vätern. Und jedes<br />
Schreckliche kannte ihn, blinzelte, war wie verständigt.<br />
Ja, das Entsetzliche lächelte . . .«<br />
(Dritte Elegie.)<br />
So ist die Physis das letzte Wort für das Entsetzliche; aus dem Blut, das von alters wie ewig<br />
her uns umrinnt, lächelt das Entsetzliche teuflisch, nicht einmal mehr drohend, sondern aus<br />
der Heiterkeit und Ironie des Gesiegthabens. Projektion in das den Engeln entgegengesetzt<br />
Mystische, entgegengesetzt Schreckliche – Rache für die gewaltige Konsistenz,<br />
Leibhaftigkeit, Vorhandenheit, welche die Engel ihrerseits über künstlerische Erschaffung<br />
hinaus in sich eingesogen haben. Es ist etwas daran, was sogar die Strecke des ganz<br />
individuellen Erlebens und Erfahrens, noch getrennt von der abgründigen Tiefe, doch schon<br />
ebenfalls zunichte macht, was ihren Entwicklungssinn von ihr ablöst und ihn ins Bodenlose<br />
wegsacken läßt – was ihn für das Auge zu bloßem Schein, zu Täuschung verflüchtigt. Hie<br />
und da, seit die »Elegien« in Rilke umgingen, wurde in ihm eine ähnliche Befürchtung wach.<br />
Er äußerte sie wiederholt, (1914 auch einmal brieflich aus Paris vom 9. Juni), daß er sich<br />
manchmal nur noch erblicke<br />
»wie in einer Museums Vitrine. Das Glas spiegelt, und ich sehe darin nichts, als mein<br />
Gesicht, das alte, frühere, vorvorige –, das Du so genau kennst«.<br />
Dann schienen Vergangenheit und Zukunft in einen dünnen Strich zusammenzurücken,