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RAINER MARIA RILKE - Kaleidophon-verlag.com

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heimlichsten Sinn des »Nicht-mehr-schreiben-Wollens«. Das Malte-Buch stellt in der Tat<br />

eine »hohe Wasserscheide« dar, die Entscheidung: ob das »maßlose Armsein« zu leisten<br />

möglich sei, der Verzicht auf eigenen Natur-Einklang, die Selbstopferung für die Werk-<br />

Wirkung auf andere.<br />

Eine von Rilkes Dichtungen aus den Jahren vorher wurde veranlaßt durch eine verwandte<br />

Konfliktlage zwischen Kunst und Leben: das ist sein »Requiem«, soweit es sich auf Paula<br />

Modersohn-Becker bezieht. Daß sie aus ihrem Schaffen gerissen wurde und in den Tod,<br />

infolge der Geburt des – von ihr ersehnten – Kindes, das wühlte in ihm seine geheimste<br />

eigene Fragestellung an das Leben auf. In der Mutterschaft verwirklichte sich die<br />

schöpferische Einheit von Leib und Geist – – und riß damit das Weib vom Werkschaffen, so,<br />

wie ihn umgekehrt der sterile Widerstand des Leiblichen gegen letzte geistige<br />

Vereinheitlichung beinahe in Schaffensentsagung gestoßen hätte. Es war ja von jeher das<br />

Mysterium am weiblichen Schicksal, was ihm alle Mädchen zu Schwestern werden ließ: es<br />

war dies und nicht, wie leicht gemeint wurde, mädchenhafte Scheu des Jünglings, die seine<br />

vielen frühen und immer wieder anhebenden Mädchenlieder so zart und wehmutstief<br />

erklingen ließ. Im Leibschöpferischen des Weibtums, in dem, wodurch das Weib zeugend,<br />

nährend, schützend, führend wurde, steckt dessen gleichsam männlicher Einschlag, der eine<br />

verborgene Gemeinsamkeit um beide Geschlechter schlingt: die beide nach dem Geburtsakt<br />

verlangen als nach dem Ausdruck ihrer eigensten Wesentlichkeit, ihres Lebens über sich<br />

hinaus.<br />

In die Jahrgänge nach dem Malte-Buch fallen vornehmlich Rilkes Übertragungen, die sich<br />

sämtlich mit der Verherrlichung von Frauen befassen. Dahin gehören: Die »Vierundzwanzig<br />

Sonette der Louïze Labé«, die »Portugiesischen Briefe der Marianna Alcoforado«, die »Liebe<br />

der Magdalena«; hier war es der andere Zug am Weiblichen, der ihn hinriß, – richtiger:<br />

dessen Hingerissenheit er stürmisch für sich verlangte; sich rückhaltlos, gegen sich selbst so<br />

rücksichtslos, wie es im Muttertum geschieht, auch in der Liebe zu verströmen, die Liebe zu<br />

leisten als die große Aufgabe des Reichtums, den sie aufschließt und löst, und gegen den<br />

das Glück des Geliebtwerdens kleinlich wird. Die Leistung ohne Gegenliebe: das allein<br />

würde die Angst des Selbstzerstörerischen im Schaffen wegnehmen, das allein hieße erst:<br />

das Schaffen auf sich nehmen. Eine ganze Weile lang wirkte der Maltesche Gedanke an den<br />

»nichtwiederliebenden Gott« darin nach; noch Jahre später schrieb er:<br />

»Du weißt von meinen Plänen zu einer Rede über die Gegenliebe Gottes. Eine Notiz, die<br />

ich kürzlich irgendwo las, brachte mir das wunderbare Verhältnis in Erinnerung, das Spinoza<br />

muß aufgestellt haben durch seine Einsicht in die Unabhängigkeit des Gottliebenden von<br />

jeder Erwiderung Gottes: so daß ich ja wohl gar nicht weiterdenken dürfte als über diesen<br />

Weg. Was von Spinoza müßte ich lesen, um mich darüber zu unterrichten; – – Hättest Du<br />

die betreffenden Bände? – –«<br />

Dabei entschwand ihm, daß das für ihn eigentlich Bedeutsame an diesem Problem ganz<br />

woanders lag als im spinozistischen Verhalten eines Philosophen oder dem erotischen der<br />

großen Liebenden, die sich ans Objekt hingeben – selbst ohne Gegenliebe. Was ihn darin so<br />

tief traf, war im Grunde fast das Entgegengesetzte: durch die Gewalt der Liebe nicht nur das<br />

Abtun der Gegenliebe, sondern auch, sozusagen, des Objektes selbst. Was vulgär<br />

ausgedrückt liegt im meist recht mißverständlich gebrauchten Philinenwort: »Wenn ich dich<br />

liebe, was gehts dich an!«, kann so wenig »selbstlos« liebend gemeint sein, daß es heißen<br />

könnte: »Stör mich dabei nicht!« d. h. es kann einem infantilen, noch nahezu objektlosen<br />

Sichgehenlassen im Triebhaften, einem auf sich rückgewendeten Phantasie-Spiel<br />

gleichkommen. Für den Dichter entsprach es einfach der Ansatzstelle seiner herrlich stark<br />

ins Künstlerische aufgearbeiteten Erotik, entsprach dem Schöpfertum, das gewissermaßen<br />

nicht des Einzelobjekts, sondern des ingesamten Kosmos bedarf, um sich daran zu wenden,<br />

und das deshalb nur durch eine verwechselnde Selbsttäuschung meinen kann, auch<br />

menschlich und persönlich der Objektliebe zu gelten, und deshalb nach Gegenliebe verlangt.<br />

Oft genug, im Anschluß an Menschen, empfand er selbst das »Unwirkliche« daran, auch<br />

wo er sich fast zu weit erschlossen hatte. Schon 1903 schrieb er (Mitte August aus<br />

Oberneuland):<br />

»– es ist nur Eines in mir und ich muß entweder verriegelt bleiben (d. h. schweigen oder<br />

schwätzen –) oder aber mich öffnen, wobei denn mein einziger Wohner sichtbar wird. Diese<br />

Beschaffenheit meines Inneren, die fehlerhaft ist, schließt mich eigentlich von allem Verkehre<br />

ab, da er in dieser Form nur zu Mißverhältnissen und zu falschem Verstehen führt, und mich

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