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RAINER MARIA RILKE - Kaleidophon-verlag.com

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oder ist manchmal, wie aus Versehen, ein wenig<br />

unseres Wesens dabei? Sind wir in ihre<br />

Züge soviel nur gemischt wie das Vage in die Gesichter<br />

schwangerer Frauen? Sie merken es nicht in dem Wirbel<br />

ihrer Rückkehr zu sich. (Wie sollten sie's merken.)«<br />

(Zweite Elegie.)<br />

Dasjenige, wodurch wir ihrer Leibhaftigkeit, Wirklichkeit gegenüber, wesenlos werden, ist<br />

deshalb gerade unsere Physis, das, was sich nicht verflüchtigen kann in solche Wirklichkeit,<br />

das Gehemmteste gegenüber solchen Ansprüchen, das Stoffliche. Wie immer, wie von<br />

Beginn an, war in Rilkes Kampf der Körper der Leidträger, die Heimsuchung, die Grenze.<br />

Fürchtete er ihn in der Jugend als die unentrinnbare Reibungsfläche zwischen dem<br />

bedrohlich andrängenden Außen und dem sehnsuchtssichern Innern – hatte er ihn alsdann<br />

mißtrauisch und argwöhnisch angesehen als eigenen Veranlasser des Ungemachs: »ein<br />

wenig schuldig« an ihm, wie er in einem brieflichen Selbstporträt vermerkt –, so wird er ihm<br />

jetzt unwiderruflich gestempelt mit einem furchtbaren Abzeichen der Njchtzugehörigkeit zum<br />

Engelreich. Schuldlos, wenn man will, doch vorbestimmt zu einer Art schmählichen<br />

Zwangsdienstes, sich überlassen in gegen-engelhaften »Wirbeln und Tumulten«<br />

fratzenhafter Nachäffung.<br />

»Es ist ein entsetzlicher Cirkel, ein Kreis böser Magie, der mich einschließt wie in ein<br />

Breughel’sches Höllenbild. – – Untergraben wie meine treue Natur jetzt ist, durch die Dauer<br />

und den Wahnsinn der Heimsuchung, genügt diese alles überwiegende Angst, um mich mir<br />

nun ständig zu enteignen. Ich weiß nicht, wie ich so weiter leben soll – –«<br />

Der Ausdruck »treue Natur« (ein andermal, zum Schluß »wachsame Natur«) bezeichnet<br />

die tatsächliche Unschuld, Treuherzigkeit des sich selbst überlassenen, von aller<br />

Engelwirklichkeit gnadenlos ausgelieferten Körpers. Ja, erst dies bedingt das Höllische<br />

daran. Denn ein Sichschuldigfühlen würde immer noch ein bereuendes, sich nicht arglos<br />

dem Verdammten preisgebendes Menschsein einbegreifen – Zwiespalt, Frage, wohin man<br />

gehöre. »Hölle« dagegen ist ja gerade deswegen keiner Erlösung zugänglich, weil sie<br />

doppeldeutig fesselt und bindet: auch im Sinn der unbegreiflichen heimlichen Anziehung.<br />

Eben dadurch der Widerpart des Gottes, also Gott in Umkehrung noch einmal, der deus<br />

inversus in seinem Reich – gleichsam Lücke in der Allgegenwart Gottes, wie die drastische<br />

Sprache christlicher Dogmatik es etwa nennen dürfte. Daß dieses Höllische sich auftun<br />

konnte, hängt eng zusammen mit der Vollendung der Engelseligkeit als Kunstwerk, mit der<br />

überzeugenden Drastik, die ihrer Wirklichkeit zukommt, nach dem Gesetz, wonach der Gipfel<br />

den Abgrund erkennen läßt und das Licht sich bewährt am Schlagschatten.<br />

Aber dies Verjenseitigende der Engelverkündigung, dies dadurch Entwirklichende,<br />

Entwertende des Irdischen, ist nicht der einzige Charakter der Elegien. In ihnen gewann<br />

andrerseits auch das Irdische seinen Ausdruck mit der Inbrunst eines unaufhaltsamen<br />

Bekenntnisses zu ihm, wie kaum je vormals. Nicht zwar in jener Drangabe wie im<br />

»Stundenbuch«, wo der Dichter in all und jedem seinem Gott ohne weiteres mitbegegnet,<br />

der es bereits an seiner Statt gedichtet hat, am realen Ding alle Poesie selber miterschuf –<br />

sondern anders: indem der Mensch die Engel, die Fremdlinge, für seine Erde zu<br />

interessieren sich bemüht. Auf diesem Wege ist alles Irdische ohne künstlerischen Bruch in<br />

die »Elegien« hineingehoben: ein wenig so, wie etwa ein Kind seine selbstverfertigten<br />

Spielzeuge vor den viel mehr vermögenden und besitzenden Erwachsenen ausbreitet – mit<br />

bescheidener Gebärde wohl, doch freimütig, ja eifrig-stolz:<br />

»Preise dem Engel die Welt, nicht die unsägliche, ihm<br />

Kannst du nicht großtun mit herrlich Erfühltem; im Weltall,<br />

wo er fühlender fühlt, bist du ein Neuling. Drum zeig<br />

ihm das Einfache, das, von Geschlecht zu Geschlechtern gestaltet,<br />

als ein Unsriges lebt, neben der Hand und im Blick.<br />

Sag ihm die Dinge. Er wird staunender stehn; wie du standest<br />

bei dem Seiler in Rom, oder beim Töpfer am Nil.«<br />

(Neunte Elegie.)

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