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RAINER MARIA RILKE - Kaleidophon-verlag.com

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aufgehalten hatte:<br />

»Mein Wunsch, alles unverändert zu finden, möglichst unverändert, ging so wörtlich in<br />

Erfüllung, daß man immerfort am Rande stand, über die unsäglichen Jahre hinüber, die<br />

bloße Wiederholung, das Nocheinmal zu erleben, was in unheimlichster Weise möglich war:<br />

denn die Umstände wurden ja immerfort auf ihre Gleichheit hin angesprochen, das Herz<br />

aber, dessen Angehaltensein während der Kriegsjahre schuldtrug, daß es auch sein<br />

Äußerstes und Lebhaftestes war, unverwandelt zu sein –, nahm das von einsther Gleiche<br />

auch in der gleichen Verfassung hin: und da brach eben jene Nichts-als-Wiederholung<br />

herein, die mich beinah mit Entsetzen erfüllte, wenn ich sie nur von ferne voraussah. Als ich<br />

zu allem Überfluß erfuhr, die Duse sei angekommen, krank, um in Venedig Wohnung zu<br />

suchen, da schien mir, daß auch nun dieses sich wiederholen sollte, so fürchterlich, daß ich<br />

von einem Tag zum anderen davonreiste und zurück in die Schweiz!«<br />

Dementsprechend hatte ihn nichts so tief erschreckt wie die Tatsache, daß er den ihn<br />

überwältigenden Eindrücken zuletzt nur noch durch ein »Angehaltensein des Herzens«<br />

nachkommen konnte und die Fühlfähigkeit hilflos übersteigen fühlte. Er klagt es noch 1919<br />

(München, am 13. Januar):<br />

»Liebe, liebe Lou, wie bin ich doch außer Fassung, mein Innerstes hat sich<br />

zurückgezogen und geschützt und giebt nichts her, und mein Nicht-annehmen-wollen von<br />

außen ging soweit, daß schließlich nicht allein der Krieg, sondern selbst die argloseste und<br />

reinste Natur nicht mehr an mich heranwirkte. Nie bin ich vom Wind aus dem Raum, von<br />

Bäumen, von den nächtlichen Sternen, so unerreicht gewesen, seit ich das alles aus der<br />

bösen Verkleidung des Infanteristenrocks heraus anstarren mußte, hat's eine Abwendung<br />

behalten, jene Unbezüglichkeit, zu der ich es damals nöthigte, um mirs nicht zu verderben.«<br />

Hier tritt zu dem, was Rilkes menschliche Leidensfähigkeit ausmacht, doch eine<br />

persönliche Besonderheit hinzu: der »Infanteristenrock« ist nicht nur der der Kriegszeit,<br />

sondern auch der seiner Militärschulzeit, deren Erinnerung in sich heraufzurufen er sich nie<br />

hatte entschließen können, die zu jenen letzten dunkelsten Erinnerungen gehörte, vor deren<br />

heimlicher Wucht er sich gewaltsam abgekehrt verhielt. Auch die »Wiederkehr des<br />

Gleichen« in Venedig entnimmt noch ihren betäubendensten Schrecken dieser Vorstellung,<br />

daß etwas unberührbar Vergangenes plötzlich sich als Gegenwart erweisen könnte, als<br />

lägen nicht unausgefüllte Abgründe – das Leben selbst – zwischen Einst und Jetzt. Wobei<br />

zugleich die bebende Ahnung besteht – ja zitternde Sehnsucht besteht –, das so<br />

Heraufbeschworene mit dem eigenen Leben zu einen, als erlöse dies das Lehen erst aus<br />

seiner bösen Verwunschenheit zu allem guten Schaffensmut.<br />

Er rang damit noch, nachdem er schon in die Schweiz übergesiedelt war, es verstörte ihm<br />

die Arbeit; noch aus Château de Muzot klagt er 1921 (29. Dezember):<br />

»Eine unglaubliche Schwierigkeit der Concentration ist mir aus der Unterbrochenheit der<br />

Kriegsjahre zurückgeblieben.«<br />

Das Kriegserleben mußte eine Verstörung neuer Art in seinen Erfahrungen bewirken,<br />

denn eins hatte er ja immer großmütiger verlernt: auf die Außenwelt als den Schuldigen<br />

abzuladen, was ihm qualvoll war. Jetzt erfuhr man so ganz die wirkliche Preisgegebenheit<br />

nach außen, und als eine solche, die Menschen untereinander sich antaten. Im dritten<br />

Kriegswinter und -frühling, den wir beieinander in München zubrachten, wurde mir Tag um<br />

Tag die Schwere deutlich, womit dies Schicksal ihn bedrängte. Und dennoch glaube ich: er<br />

war damit schon ein Stück weiter als wir andern; von mir wenigstens weiß ich es, daß ich<br />

ihm in einem Punkt erst nachkam, und der erscheint mir als ein Hauptpunkt. In dem nämlich,<br />

was er in sich selbst durchlitten hatte in jahrelanger Qual, hatte er etwas vorweggenommen<br />

vom tiefsten Erleiden dieser Zeit. Denn – weit hinweg über alle Meinungs- und<br />

Vaterlandsunterschiede – war es nicht vor allem erschütterndes Innewerden dessen, was wir<br />

Menschen sind? – ein Innewerden für jeden, in all den Völkern, ganz einzeln, ganz<br />

persönlich, wie fern der bereffende Einzelmensch auch, im Denken und Handeln, dem<br />

Geschehenden gestanden haben, wie unveranlassend er sich ähnlichen Geschehnissen<br />

gegenüber fühlen mochte. Die Einsicht, wer wir Menschen sind, denen solches<br />

untereinander geschehen kann, wirft Betroffene und Veranlassende zusammen; ruft jeden<br />

heran; zwingt, unterschiedslos, die eigenen Schultern, mitzustemmen unter allen<br />

gemeinsamer Gewissenslast; demütigt und klärt unsere naive Selbstzufriedenheit – die<br />

Freude an uns auf ein Mindestmaß herabsetzend, das fast ans Lebensmark greifen kann –.<br />

Nun, dort stand bereits, seit so langem, einer, den seine Ansprüche an schöpferische

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