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RAINER MARIA RILKE - Kaleidophon-verlag.com

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»Paris, am 26. Juny 1914:<br />

– »Ich bin wie die kleine Anemone, die ich einmal in Rom im Garten gesehen habe, sie<br />

war tagsüber so weit aufgegangen, daß sie sich zur Nacht nicht mehr schließen konnte. Es<br />

war furchtbar sie zu sehen in der dunkeln Wiese, weitoffen, immer noch aufnehmend in den<br />

wie rasend aufgerissenen Kelch, mit der vielzuvielen Nacht über sich, die nicht alle wurde.<br />

Und daneben alle die klugen Schwestern, jede zugegangen um ihr kleines Maaß Überfluß.<br />

Ich bin auch so heillos nach außen gekehrt, darum auch zerstreut von allem, nichts<br />

ablehnend, meine Sinne gehn, ohne mich zu fragen, zu allem Störenden über: ist da ein<br />

Geräusch, so geb ich mich auf und bin dieses Geräusch, und da alles einmal auf Reiz<br />

Eingestellte, auch gereizt sein will, so will ich im Grunde gestört sein und bins ohne Ende.<br />

Vor dieser Öffentlichkeit hat sich irgendein Leben in mir gerettet, hat sich an eine innerste<br />

Stelle zurückgezogen und lebt dort, wie die Leute während einer Belagerung leben, in<br />

Entbehrnis und Sorge. Macht sich, wenn es bessere Zeiten gekommen glaubt, bemerklich<br />

durch die Bruchstücke der Elegieen, durch eine Anfangszeile, muß wieder zurück, denn<br />

draußen ist immer die gleiche Preisgegebenheit. Und dazwischen, zwischen dieser<br />

ununterbrochenen Hinaussüchtigkeit und jenem mir selbst kaum mehr erreichbaren inneren<br />

Dasein, sind die eigentlichen Wohnungen des gesunden Gefühls, leer, verlassen,<br />

ausgeräumt, eine unwirtliche Mittelzone, deren Neutralität auch erklärlich macht, warum<br />

alles Wohlthun von Menschen und Natur an mich vergeudet bleibt.«<br />

Aus Schloß Duino schon schrieb er (am 10. Januar 1912):<br />

»Wie oft geschieht es mir nicht, daß ich gewissermaßen als ein Chaos aus meiner Stube<br />

trete, draußen, von jemandem aufgefaßt, eine Fassung finde, die eigentlich die seine ist und<br />

im nächsten Moment, zu meinem Staunen, gut geformte Dinge ausspreche, während doch<br />

eben noch alles in meinem ganzen Bewußtsein völlig amorph war.«<br />

In all den Jahren kennzeichnen viele und weite Reisen den immer wieder<br />

durchbrechenden Willen nach Eindrücken von außen; Skandinavien, Italien, Frankreich,<br />

Spanien, Ägypten; am schwersten setzte ihm noch lange hinterher die ägyptische Reise zu,<br />

in die er unter menschlich unmöglichen Verhältnissen sich zerren ließ (Schloß Duino, am 28.<br />

Dezember 1911):<br />

»– daß ich Sitz und Haltung verlor und schließlich nicht anders mitkam als einer, den ein<br />

durchgegangenes Pferd abgeworfen bat und auf und ab im Bügel mitreißt.«<br />

Auch im Rückblick verstand er es nicht, humorvoll zu nehmen, sondern vermerkt noch ein<br />

Jahr später (Schloß Duino, am 16. März 1912):<br />

»– jenem Schweren gekommen, das ich im vorigen Jahr durchzumachen hatte und von<br />

dem ich mir denken könnte, daß es mir in der Seele einen inneren Schaden gethan hätte,<br />

nicht weil es schwer, sondern weil es falsch war, nicht weil es überanstrengte, sondern weil<br />

es verbog.«<br />

Unendlich bezeichnend für ihn ist es, wie ihm die Natur selbst, durch ihr Kreatürliches,<br />

einen Tadel dafür zukommen zu lassen scheint:<br />

»– als mich in Kairouan, südlich von Tunis, ein gelber kabylischer Hund ansprang und biß<br />

(zum ersten Mal in meinem Leben, in dem das Verhalten der Hunde nicht ohne Bezug war),<br />

da gab ich ihm recht, er drückte nur auf seine Art aus, daß ich völlig im Unrecht sei, mit<br />

Allem.«<br />

Bei längern Aufenthalten hat Rilke auffallend häufig in Schlössern, Burgen, Türmen seinen<br />

Wohnort gehabt: zum Teil durch Zufall, infolge der Befreundungen, die das veranlaßten,<br />

jedoch auch aus einer Neigung dazu, die man oft genug lächerlich falsch ausgelegt hat,<br />

ebenso wie den Umstand, daß ihm Anschluß an alte Adelsgeschlechter willkommen war.<br />

Tatsächlich verband sich das mit ähnlichen Bedürfnissen, wie dasjenige nach einer festen<br />

Umhüllung, gewissermaßen Attrappe, worin man ohne weiteres aufgehoben war, ohne sich<br />

erst eine Verschalung zu bauen. Eine Symbolik waltete da: was von so lang, langher<br />

sicherstand und seine Bedeutung unverlierbar besaß, beruhigte ihn, hob seine<br />

Preisgegebenheit symbolisch auf, ebenso wie langher gekannte Geschlechter ihm in den<br />

einzelnen Menschen »vorhandener«, gleichsam irgendwo nachschlagbar nicht erst mühsam<br />

festzustellen – waren. Aber auch den Doppelcharakter teilte das mit der »Attrappe«, daß all<br />

dies Gesicherte zugleich Gefangennahme war, Zwang ausübte; sogar von Duino, der<br />

geliebten Geburtsstätte der ersten Elegien, schreibt er (1911), das es einen »ein bischen wie<br />

einen Gefangenen hält mit seinen immensen Mauern«.<br />

Auch trieb es ihn schließlich immer wieder fort, in der zunehmenden Unruhe, daß, was

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