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10 Jahre BM - Bundesverband Mediation eV

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Schulmediation<br />

Blitzlichtrunden.<br />

Der Wächter achtet auf das 2- min- Rederecht und darauf, dass<br />

Beleidigungen unterbleiben. Er hat das Recht auf Platzverweis<br />

und eine gelbe Karte.<br />

Der Lehrer hat ein Vetorecht.<br />

Zur Problembehandlung wird erfragt: Wer ist tangiert? Die Sicht<br />

der Beteiligten wird dargelegt, Interessen und Gefühle werden<br />

erfragt.<br />

Der Lehrer fasst zusammen und verdeutlicht die Beiträge soweit<br />

nötig.<br />

Es folgt eine Ideensammlung des Klassenrats zur Lösung des Problems,<br />

Für und Wider der Lösungsvorschläge werden avisiert<br />

und abgewägt.<br />

Entscheidungen werden im Konsens getroffen oder vertagt.<br />

Für das Klassenrat-Buch wird eine minimale Gesprächsnotiz entwickelt.<br />

Diese soll als Rest beim nächsten Mal auf Wirksamkeit<br />

oder Veränderung überprüft werden.<br />

Der Klassenrat ist auch der Ort, an dem Gemeinschaftsregeln<br />

entwickelt und modifiziert werden.<br />

Stehen keine Eintragungen im Klassenrat-Buch an, werden Übungen<br />

und Spiele zur Selbst- und Fremdwahrnehmung durchgeführt.<br />

(Menke 2001)<br />

Der Klassenrat geht auf Pioniere der demokratischen Pädagogik<br />

-Adler, Dreikurs, Freinet – zurück.<br />

(Als Gerichtsverhandlung der Gemeinschaft wurde Ähnliches<br />

von Korczak, Makarenko und Kohlberg eingesetzt.) Er ist ein<br />

probates Mittel zur Demokratie-Erziehung, findet sich jedoch<br />

weder im Schulrecht noch im Rahmenplan. Durch die Stofffülle<br />

und Leistungsgruppen finden Lehrer immer weniger Zeit für den<br />

Klassenrat. Einige ringen sich die Zeit vom Fachunterricht ab.<br />

Praktische Demokratie-Erziehung als politische Grundbildung<br />

ist nicht nur ein Kampfziel gegen Unerwünschtes wie Gewalt und<br />

Rechtsradikalismus, sondern hat einen Wert an sich. Das, was<br />

statt dessen erwünscht ist, bedarf der Anleitung , Pflege und Zeit.<br />

Forderungen der Politiker reichen nicht, wenn strukturelle Vorgaben<br />

die Demokratie-Erziehung erschweren. Gelingt es dagegen,<br />

die Schule als einen demokratischen Mikrokosmos zu behandeln,<br />

in der dem Alter gemäß basisdemokratische Grunderfahrungen<br />

möglich sind, wirken Identifikation und ein gedeihlicher<br />

sozialer Umgang lernbegünstigend auch auf andere Lerninhalte<br />

zurück.<br />

Beispiel 3: Wahlzeit, 3. Klasse<br />

Ein selbst erfundenes Spiel der Klasse während der Hofpausen<br />

sorgt für heftige Auseinandersetzungen und Streit um die Einhaltung<br />

der Regeln. Mit moderierender Hilfe der Lehrerin und Visualisierung<br />

am Tafelbild wird erstmals für einige Mitspieler deutlich,<br />

wie die Regeln eingehalten werden sollen, was als Verstoß<br />

gilt und störend ist. Dabei erweist sich, dass 3 Jungen die Führung<br />

für das Spiel übernommen haben, Ausschluss bei Verstoß<br />

einfordern und nach eigenem Bedarf neue Regeln festlegen. Damit<br />

sind nicht alle Mitspieler einverstanden, doch sind diese nicht<br />

die Wortführer.<br />

Um demokratisch zu bestimmen, wer die Entscheidung für das<br />

Spiel in den nächsten Pausen trifft, wird eine “Wahlzeit” eingeführt:<br />

Jedes Kind erhält einen farbigen “Wahlschein”. Im Zeitrahmen<br />

von <strong>10</strong> min. kann sich jeder zur Wahl stellen oder mit seinem<br />

Wahlschein entscheiden, wem er seine Stimme gibt. Am Ende<br />

vereint ein ruhiger Junge die meisten Stimmen auf sich, viele<br />

Stimmen von Mädchen, die ihm vertrauen. Für die Wortführer<br />

ist das ein überraschendes, doch respektables Ergebnis.<br />

Nicht alle Konflikte sind geeignet, sie im Klassenverband zu bearbeiten.<br />

Sind nur Einzelne betroffen, sind diskret zu behandelnde<br />

Streitgegenstände im Spiel, müssen die Streitenden mit dem<br />

Schutz vor der Öffentlichkeit rechnen können. Eine Offenbarung<br />

vor der Arena des Klassenverbandes ist selten zu erwarten oder<br />

unzumutbar.<br />

In der Schule als Mikrokosmos des liberalen Rechtsstaats müssen<br />

gleiche Rechtsgüter gelten.<br />

Mit großzügigem Übersehen von Rechtsverletzungen werden<br />

Normen abgebaut und Opfer billigend in Kauf genommen. Die<br />

Rechtsgüter sind nach unserer Rechtssprechung Leben, Gesundheit,<br />

Freiheit, Besitz und Ehre. Sie gelten für alle Menschen,<br />

gleich ob Junge oder Mädchen, aus einem fernen oder nahegelegenen<br />

Land, größer oder kleiner, mit diesen oder jenen Körpermerkmalen.<br />

Doch ist die Freiheit in der Schule eingeschränkt. Kinder können<br />

der Schule nicht einfach fernbleiben, oftmals nicht einmal einem<br />

anderen Kind aus dem Weg gehen. Umso mehr müssen Lehrer<br />

Möglichkeiten schaffen, wie sie bei Interessengegensätzen geschützte<br />

Austragungsorte zur fairen Auseinandersetzung nutzen<br />

können. Der konstruktive Umgang mit Störungen ist wie eine<br />

Schutzimpfung vor dem Bösen. Streitbare Demokraten entwikkeln<br />

sich, wenn sie gelungene Erfahrungen damit sammeln durften.<br />

Beispiel 4 von Walter Taglieber illustriert das:<br />

“Deutsche Kartoffel und Scheißtürke” / „der Eisberg“<br />

(verkürzte Darstellung) W.Taglieber<br />

5. Klasse. Nichts hat geholfen: Weder reden und ermahnen, noch<br />

schimpfen; weder abschreiben lassen, noch Pausenverbot, noch<br />

ein Brief an die Eltern. Immer wieder bezeichnen sich Burhan<br />

und Alexander mit nicht zu unterdrückender Lust als “Deutsche<br />

Kartoffel” und “Scheißtürke”. Irgendwann fällt der Lehrerin nichts<br />

mehr ein und sie wendet sich zum ersten Mal, nicht sehr hohe<br />

Erwartungen signalisierend, an mich. Ich bin einer von zwei<br />

Lehrermediatoren an unserer Schule: “Kannst du nicht mal mit<br />

den beiden reden?...”<br />

Ich lade sie ein und setze sie nach dem üblichen Begrüßungsritual<br />

ins “Tandem” (Watzke 1997). Das heißt, einer spricht mit<br />

mir, der andere sitzt als “stummer Gast” hinter ihm und hört nur<br />

zu. Sie haben keinen Blickkontakt.<br />

Burhan bestätigt, dass er häufig “deutsche Kartoffel” sagt, das<br />

sei aber nicht so gemeint.<br />

“Wie ist es denn gemeint?”<br />

Schulterzucken. “So halt.”<br />

Ich rede mit Alexander, und Burhan muss auf den stummen Platz.<br />

Alexander bestätigt Burhans Angaben. Auch er sagt hin und wieder<br />

“Scheißtürke”, “nur so halt”.<br />

Sie wissen nicht, was sie zu ihren Äußerungen treibt, und ich<br />

20<br />

INFOBLATT MEDIATION / HERBST 2001

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