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Joachim Arnold<br />

In An bet r ac h t d er Sic ht w eise<br />

Versuch eines Modells phänomenaler Kategorien<br />

im psychotherapeutischen Kontext<br />

Abschlussarbeit für die fachspezifische Ausbildung in Existenzanalyse<br />

März 2008<br />

eingereicht von Dr. Joachim Arnold<br />

eingereicht bei DDr. Alfried Längle und Dr. Silvia Längle


- 2 -<br />

Joachim Arnold<br />

In Anbetracht der Sichtweise<br />

- Versuch eines Modells phänomenaler Kategorien im psychotherapeutischen Kontext<br />

Zusammenfassung: Diese Arbeit ist der Versuch eines Kategorien-Systems zur Einordnung<br />

von Phänomenen nach ihrer Erscheinungsweise. Das hier vorgestellte Modell der vier<br />

phänomenalen Kategorien Repräsentation , Illusion , Symbol und Chaos wird als<br />

Möglichkeit diskutiert, den Wahrnehmungsprozess im psychotherapeutischen Kontext zu<br />

reflektieren. Diese Systematisierung könnte zu einem besseren Verständnis beitragen, wenn<br />

es zu Störungen in der Wahrnehmung der äußeren und inneren Welt kommt.<br />

Neben der Darstellung des Modells erfolgt eine Bezugnahme zur Phänomenologie und zur<br />

Psychologie, weiters wird der Versuch unternommen, das Modell sowohl hinsichtlich<br />

allgemeiner Prinzipien der Psychotherapie zu beleuchten und im Besonderen in das personalexistentielle<br />

Menschenbild der Logotherapie und Existenzanalyse einzubinden.<br />

Schlüsselwörter: Phänomen, Kategorie, Repräsentation, Illusion, Symbol, Chaos<br />

Regarding the view<br />

- attempt to a model of phenomenal categories in the context of psychotherapy<br />

Summary: This treatise is the attempt to a system of categories to classify phenomena<br />

according to their manner of appearance. The model of the four phenomenal categories<br />

representation , illusion , symbol and chaos , which is presented here, will be discussed<br />

as an opportunity to reflect the process of perception in the context of psychotherapy. This<br />

systematization could contribute to a better understanding in case of problems with the<br />

perception of the outer and the inner world.<br />

In addition to the description of the model there will occur references to phenomenology and<br />

psychology. Further will be attempted to illustrate the relevance of the model with regard to<br />

general principals of psychotherapy, and particularly there will be tried to refer to the<br />

personal-existential anthropology of logotherapy and existential analysis.<br />

Keywords: phenomenon, category, representation, illusion, symbol, chaos


- 3 -<br />

INHALTSVERZEICHNIS<br />

ÜBERSICHT / ABSTRACT<br />

EINLEITUNG<br />

HAUPTTEIL<br />

1.1 Logotherapie . 5<br />

1.2 Existenzanalyse . 6<br />

1.3 Die phänomenologische Haltung .. 8<br />

1.4 Verstehen ... 9<br />

2. Das Modell der phänomenalen Kategorien Grundgerüst<br />

2.1 Verdichtung und Erweiterung von Bedeutung 12<br />

2.2 Grammatik ... 13<br />

2.3 Das Modell ... 14<br />

3. Relevante Begriffe<br />

3.1 Perspektive und Sinn 16<br />

3.2 Bedeutung und Aspekt . 16<br />

3.3 Subjekt und Objekt ... 18<br />

3.4 wahrnehmen und wahrgenommen werden ... 19<br />

3.5. Phänomen und Kategorie . . 21<br />

3.6 Innenwelt und Außenwelt . 23<br />

3.7 Kommunikation und Kreativität ... 24<br />

3.8 transparent und opak . 24<br />

3.9 mittelbar und unmittelbar ...... . .. 25<br />

3.10 Existenz und Evidenz . ... 26<br />

4. Die vier phänomenalen Kategorien<br />

4.1 Repräsentation .. 29<br />

4.2 Illusion . 35<br />

4.3 Symbol . 38<br />

4.4 Chaos ... . 44<br />

5. Phänomenale Kategorien und Psychotherapie<br />

5.1 Phänomenologie und phänomenale Kategorien 54<br />

5.2 Phänomenologische Offenheit und Interpretation . 55<br />

5.3 Die phänomenalen Kategorien<br />

in einem allgemeinen psychotherapeutischen Kontext . 56<br />

5.4 Die Beziehung des Modells der phänomenalen Kategorien<br />

zu Theorie und Praxis der Logotherapie und Existenzanalyse . . 61<br />

.<br />

SCHLUSS<br />

6.1 Zusammenfassung und Reflexion ... ..... 73<br />

6.2 Ausblick . 75<br />

LITERATURVERZEICHNIS


- 4 -<br />

EINLEITUNG<br />

Das wahre Geheimnis der Welt ist das Sichtbare,<br />

nicht das Unsichtbare .<br />

Oscar Wilde<br />

Ist das so, wie es aussieht? - Diese Frage kennt jeder, der vor einem Regal im Supermarkt<br />

steht. Unsere Antwort darauf bahnt mehr oder weniger die weiteren Schritte, für die wir uns<br />

dann entscheiden können; eine der vielen kleinen Entscheidungen im täglichen Leben, aber<br />

auch unsere großen Beschlüsse. Das Verhältnis von Sein und Schein ist das Thema einer<br />

philosophischen Strömung, die vor gut hundert Jahren in das Blickfeld gelangte: die<br />

Phänomenologie. Als strenge Wissenschaft wurde sie maßgeblich von Edmund Husserl<br />

formuliert, sie beeinflusste die spätere Existenzphilosophie und auch die Psychologie.<br />

In der Psychotherapie ist eine mehr oder weniger explizite phänomenologische Haltung die<br />

Vorraussetzung für eine authentische Begegnung, die dem Klienten oder Patienten als<br />

Menschen gerecht wird. Diese Haltung ist keine Technik, obwohl sie durchaus Übung<br />

erfordert. Sie kann im therapeutischen Prozess salutogenetisches Potential erschließen, das<br />

jenseits von manualisierten Behandlungsstrategien und Therapieplänen wartet.<br />

Erfüllende Existenz, ein als sinnvoll erlebtes, in Freiheit und Verantwortung gestaltetes Leben<br />

ist das Anliegen der Logotherapie und der existenzanalytischen Psychotherapie. Ist die<br />

Beziehung eines Menschen zu seiner Welt und zu sich selbst gestört, behindert dies den<br />

Existenzvollzug und verhindert ein erfülltes Leben. Eine Störung kann sich in verschiedenen<br />

psychischen Krankheitsbildern äußern. Der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse<br />

Viktor E. Frankl differenziert zwischen seelischem Krankenstand und geistigem<br />

Notstand , um die verschiedenen Dimensionen des Leidens zu verdeutlichen (Frankl 1987,<br />

32).<br />

Sowohl in der Logotherapie als auch in der Existenzanalyse ist die phänomenologische<br />

Haltung ein grundlegendes Element im therapeutischen Prozess. Phänomenologie in der<br />

existenzanalytischen Psychotherapie und in der logotherapeutischen Beratung entspricht<br />

einem Verständnis vom Dasein, das den Menschen in einem kreativen Dialog mit einer Welt<br />

sieht, auf die er hin orientiert ist, die ihn beeinflusst und auf die er gestaltend einwirken kann.


- 5 -<br />

1.1 Logotherapie<br />

Das Augenmerk der Logotherapie ist auf den Menschen und seine Lebenswelt gerichtet, in<br />

der er sich bewegt. Innerhalb der Orientierung des Menschen auf seine jeweilige Situation<br />

kann die Wahrnehmung des Sinnanspruches beeinträchtigt sein. Der Mensch erlebt sich als<br />

frustriert, als leer vor dem Hintergrund seiner persönlichen Möglichkeiten und mit einer mehr<br />

oder weniger bewussten Ahnung für das Wesentliche und für den tieferen Sinn seines Lebens.<br />

Frankl beschreibt eine Reihe von Störungsbildern, die sich durch das Ausblenden der<br />

geistigen Dimension des Menschseins ergeben. Er bietet bei blockierten innerpsychischen<br />

Vorgängen Behandlungstechniken an, wie z.B. die Paradoxe Intention oder Methoden zur<br />

Dereflexion und Selbstdistanzierung (z.B. Frankl 1999). Logotherapie an sich ist keine<br />

Technik. Die Beleuchtung von Möglichkeiten zur Sinnerfüllung kann keine Technik sein,<br />

Sinn ist keine Strategie. Aus der jeweiligen Lebenssituation heraus ist die Erfahrung von Sinn<br />

durch das Erleben von Werten möglich, die den Menschen ansprechen. Nach Frankl gibt es<br />

drei Hauptstraßen zum Sinn, drei Werte-Kategorien, innerhalb derer für einen Menschen<br />

Sinn zur Erfüllung gelangt (Frankl 1987, 81): schöpferische Werte, Erlebniswerte und<br />

Einstellungswerte. Die Erfahrung von Sinn braucht als erfüllend erlebte Aktivitäten und<br />

Augenblicke, aber auch eine persönliche Auseinandersetzung für eine dem Leben<br />

abgerungene wertvolle Geisteshaltung. Es ist zu beachten, dass dieser Einstellungswert ein<br />

von der Person erlebbarer, ein tatsächlich fühlbarer Wert ist, denn hier ist das Abheben in<br />

einen apodiktischen Moralismus besonders verlockend.<br />

Die philosophischen Wurzeln für die Logotherapie liegen in der Phänomenologie, vor allem<br />

in der Phänomenologie und philosophischen Anthropologie Max Schelers. Frankl betont die<br />

Gegenposition zu einer deterministischen Auffassung des Menschseins und spricht sich gegen<br />

einen Reduktionismus in der Psychotherapie aus, der die geistige Dimension - die<br />

Unbedingtheit - des Menschseins außer Acht lässt.<br />

Tatsächlich geht der Logotherapeut nicht moralistisch, sondern phänomenologisch vor. Und<br />

tatsächlich fällen wir keine Werturteile über irgendwelche Tatsachen, sondern machen<br />

Tatsachenfeststellungen über das Werterleben des schlichten und einfachen Menschen ( )<br />

(Frankl 1996, 17).


- 6 -<br />

1.2 Existenzanalyse<br />

Der Begriff Existenz verweist auf die Existenzphilosophie mit Denkern wie Kirkegaard,<br />

Jaspers, Heidegger, Sartre oder Camus. Existenz meint die besondere Seinsweise des<br />

Menschen in seiner Situation und die Dynamik, die sich in der gestaltenden<br />

Auseinandersetzung zwischen den inneren und äußeren Möglichkeiten und Bedingungen<br />

ergibt. Trotz der vielfach erfahrenen Wechselwirkungen und Verstrickungen ist der Mensch<br />

als Person grundsätzlich durch sich selbst bestimmt, eigenmotiviert und dialogfähig. Das hebt<br />

sich von rein kausal-deterministischen Auffassungen des Menschseins ab. Existenz und Sinn<br />

sind nicht einfach kausal erklärbar, auf dahinter liegende Ursachen zurückführbar und die<br />

Person ist nicht einfach normierbar, durch Regeln und Gesetze determiniert. Demnach<br />

verlangt das Menschenbild in der existentiellen Psychotherapie prinzipiell eine<br />

phänomenologische Zugangsweise, in der ein Mensch - auch als leidender und<br />

beeinträchtigter - so in Erscheinung treten kann, wie er von sich aus ist. Und die Welt kann<br />

sich ihm zeigen, wie sie ist, mit allen Möglichkeiten und Grenzen.<br />

Das Wort existieren wurde im 18. Jahrhundert aus dem Lateinischen in die<br />

Umgangssprache entlehnt und bedeutet herauskommen, zum Vorschein kommen (Kluge<br />

1989). Es setzt sich aus der Vorsilbe ex- (aus heraus) und dem Verb sistere (stellen,<br />

sich stellen, still stehen, bestehen) zusammen 1 .<br />

Existenzanalyse in der heutigen Form ist eine psychotherapeutische Richtung mit einer<br />

strukturierten Methodologie und Evaluierbarkeit. Die nosologische Systematik beruht auf<br />

einem personal-existentiellen Verständnis des Menschseins, sie ist durchaus kompatibel mit<br />

den aktuellen diagnostischen Klassifikationssystemen (ICD der Weltgesundheitsorganisation<br />

und DSM der American Psychiatric Assosiation) 2 .<br />

Der Begriff Existenzanalyse geht ursprünglich auf Viktor Frankl zurück, er bezeichnete<br />

damit die der Logotherapie zugrunde liegende Anthropologie. Die personalen Bedingungen<br />

der Existenz kamen erst in einer späteren Entwicklungsphase als pathogenetisch relevante<br />

Zonen ins Blickfeld. Eine solche personalen Bedingungen ist z.B. die innere Ansprechbarkeit<br />

1<br />

sistere ist ein Reduplikativum von stare , d.h. stehen . Der Begriff Existenz beinhaltet demnach der<br />

Wortbedeutung nach ein Entstehen aus sich heraus.<br />

2<br />

erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch das Bemühen der World Psychiatric Association (WPA), im<br />

künftigen ICD-11, das voraussichtlich 2011 das jetzige Diagnosesystem ICD-10 ablösen wird, eine personzentrierte<br />

integrative psychiatrische Diagnostik zu etablieren - in den Worten des Vorsitzenden der WPA Juan E.<br />

Mezzich (2007, 2): attending to the totality of the person (including his/her dignity, values, and aspirations) .


- 7 -<br />

des Menschen auf den jeweiligen aus der äußeren Situation kommenden Sinnanspruch; ist<br />

diese Ansprechbarkeit durch psychopathologische Faktoren beeinträchtigt, wird die Person in<br />

ihrem Austausch mit der Welt behindert. Menschlich Existenz ist personale Existenz, der<br />

Existenzvollzug kann auf verschiedenen Ebenen gestört werden.<br />

Eine Basis für das Verständnis der Psychopathologie, mit der ein Patient 3 in der<br />

Psychotherapie kommt, bildet die personal-existentielle Motivationstheorie, die von Alfried<br />

Längle entwickelt wurde (vgl. A. Längle 1999a). Darin wird die existentielle Motivation - der<br />

Wille zum Sinn (Frankl) - um drei personale Motivationskategorien erweitert; diese<br />

fokussieren auf Bedingungen und Einflüsse, die letztlich die Person zu ihrer Selbst-<br />

Transzendenz braucht, oder die sie dabei behindern. Blockaden, Fixierungen und<br />

Beeinträchtigungen der tieferen Motivationskomponenten können systematisch erfasst werden<br />

mit dem Ziel, dem Patienten zu einem freien Erleben, zu Authentizität und zu einem<br />

eigenverantwortlichen Handeln zu verhelfen.<br />

Das methodologische Konzept der Personalen Existenzanalyse (PEA) von Längle trägt dem<br />

prozesshaften Aspekt des dialogischen Austausches Rechnung, der zwischen der Person und<br />

ihrer Welt geschieht (Längle 2000). Dieser dialogische Prozess geschieht über drei Schritte<br />

und ermöglicht ein Herausarbeiten des selbst bestimmenden und authentischen Momentes<br />

während einer genauer betrachteten Lebenssequenz, in der von außen einwirkende Kräfte auf<br />

innere Strukturen treffen und das Handeln beeinflussen. Im konkreten Vollziehen und<br />

schrittweisen Nachvollziehen dieser Lebenssequenz enthüllt sich aus sämtlichen<br />

Verstrickungen quasi in Zeitlupe die zentrale undeterminierbare Instanz des menschlichen<br />

Daseins: die Person. Die Person ist es, die in der Tiefe angesprochen wird. Sie kann sich frei<br />

spielen, sie ist die entscheidende Instanz des individuellen Handelns. Durch die Person tritt<br />

die geistige Dimension des Menschseins in Erscheinung (Noodynamik).<br />

Für Längle ist die PEA jene Methode, in der die Phänomenologie auf verschiedenen Ebenen<br />

Platz hat und systematisch zur Anwendung kommt. Er weist auch auf die Wechselbeziehung<br />

zwischen Phänomenologie und Methodik bzw. Technik hin: Nur der Wechselschritt<br />

zwischen der Offenheit und der Struktur führt zum Vorankommen in Psychotherapie und<br />

Beratung (Längle 2001, 17). Durch die Phänomenologie wird die Grundlage für ein freies<br />

und selbst bestimmtes Handeln geschaffen, es braucht aber auch Techniken und Methoden um<br />

dem Veränderungswillen zum Durchbruch zu verhelfen.<br />

3 Hinweis: hier und in weiterer Folge werden generische Bezeichnungen nicht ausschließend verwendet, sondern<br />

sie beziehen sich immer auf beide Geschlechter


- 8 -<br />

1.3 Die phänomenologische Haltung<br />

Ein Phänomen 4 ist das, was sich aus sich selbst zeigt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich<br />

etwas nie ganz zeigen kann, sondern nur so, wie es in Wechselwirkung mit einem Medium in<br />

Erscheinung treten kann. Ein Phänomen präsentiert sich also teilverhüllt .<br />

Edmund Husserl (1859-1938) ist der Begründer der Phänomenologie als philosophischer<br />

Richtung. In unserer natürlichen Einstellung zur Welt pflegen wir Annahmen und<br />

vorschnelle Urteile über die Welt und das Sein (Seinsglaube), in einer streng<br />

phänomenologischen Einstellung geht es darum, sich dieser Deutungen zu enthalten und<br />

sich vorurteilsfrei an die Analyse dessen zu halten, was dem Bewusstsein erscheint<br />

(Kunzmann et al. 2003). Husserl unterscheidet zwischen Noesis, dem Prozess der<br />

Sinnerfassung (dem Vermeinen) und Noema, dem Gegenstand, wie er in diesem Prozess<br />

erscheint (dem Vermeinten, dem gemeinten Gegenstand). Die Bewusstseinsakte und die<br />

Gegenstände dieser Bewusstseinsakte sind immer in einer Wechselbeziehung, diese nennt er<br />

intentionalen Korrelation . Der Begriff der Intentionalität 5 wurde geprägt von Franz<br />

Brentano, einem Lehrer Husserls. Unter Intentionalität wird die Eigenheit bezeichnet, dass<br />

psychische Phänomene immer auf etwas gerichtet sind. Bewusstsein ist immer Bewusstsein<br />

von etwas. Die Haltung, um das Vermeinte in seiner Selbstgegebenheit in den Blick zu<br />

bekommen, nennt Husserl Epoché (Enthaltung, eine Ausklammerung des Urteils), ein Begriff<br />

aus der antiken Skepsis.<br />

Nach Max Scheler (1874-1928) ist Phänomenologie eine Einstellung des geistigen Schauens,<br />

in der man etwas zu erschauen oder zu erleben bekommt, das ohne sie verborgen bliebe. Es<br />

ergibt sich durch diese Art der Einstellung ein Mehrwert der Wahrnehmungsqualität. Durch<br />

Scheler wurde die Emotionalität in die Phänomenologie eingeführt. Emotionale Akte<br />

(Zuneigung, Ablehnung) haben grundlegende Relevanz für das Erkennen, es gibt keine<br />

unbeteiligte Wahrnehmung. Durch die emotionale Beteiligung erschließt sich die Qualität, das<br />

Wie zum Was des Gegebenen.<br />

Bei Martin Heidegger (1889-1976) ist ein Phänomen das Sich-an-ihm-selbst-zeigende, das<br />

Offenbare (Heidegger 2001, 28). Bei seiner Darlegung des aus dem Altgriechischen<br />

kommenden Phänomenbegriffes, der verweist er auf den Stamm phos das Licht, das<br />

Helle, als das, worin etwas offenbar, an ihm selbst sichtbar werden kann (ebd.).<br />

4<br />

altgr. phainein = zeigen, scheinen, leichten, ans Licht bringen. Heidegger (2001, 28) bemerkt, dass der<br />

Ausdruck phainomenon sich aus der medialen Bildung des Verbes herleitet, also von phainesthai . Das sog.<br />

Medium nimmt bei den griechischen Verben eine Zwischenstellung zwischen aktiven und passiven Verben ein<br />

und wird meistens als Reflexivum übersetzt; also: sich zeigen.<br />

5 lat. intendere: einspannen (wörtlich übertragen), wohin richten, beabsichtigen. Der Wortstamm tendere<br />

(spannen) zeigt sehr schön die Kraft einer wechselseitigen Beziehung.


- 9 -<br />

Phänomenologie ist die Wissenschaft vom Sein des Seienden . Phänomenologische<br />

Wahrheit ist Erschlossenheit von Sein , sie ist für ihn transzendentale Wahrheit (ebd., 38).<br />

Der Ausgang der (phänomenologischen) Analyse ebenso wie der Zugang zum Phänomen<br />

und der Durchgang durch die herrschenden Verdeckungen fordern laut Heidegger eine<br />

methodische Sicherung (ebd., 36). Die Elemente seiner Methode nennt er Destruktion<br />

(Durchführung der Analyse, Zerlegung von Vorurteilen), Reduktion (Rückführung des<br />

Blicks vom Seienden zum Sein) und Konstruktion (schöpferischer Zugang mit Blick auf<br />

das Sein).<br />

Für die Existenzanalyse entspricht die phänomenologische Haltung dem Anliegen, dass der<br />

Patient von ihm selbst her ansichtig wird. Er wird durch sich selbst verstehbar und er kann<br />

durch den therapeutischen Prozess auch für sich ein Verständnis finden. Die einzige Realität,<br />

die phänomenalen Charakter hat, ist die subjektive Realität des Patienten und des Therapeuten<br />

(Lleras 2000). Damit wird der einseitige naturwissenschaftliche Methodenvorrang relativiert.<br />

An die Stelle des Vorranges der Methode vor den Phänomenen tritt der Versuch, diese selbst<br />

in ihrer Eigenart zu Wort kommen lassen , so der Philosoph Helmut Vetter über die<br />

phänomenologische Haltung (Vetter 1989, 16).<br />

Die Existenzanalyse definiert sich als eine phänomenologische, an der Person ansetzende<br />

Psychotherapie (Längle, Tutsch 2000), die phänomenologische Haltung ist demnach eine<br />

deklarierte therapeutische Haltung.<br />

1.4 Verstehen<br />

Es geht also um das Bemühen, etwas oder jemanden aus sich selbst heraus zu verstehen.<br />

Ein solches Verstehen setzt sich von Versuchen ab, das Vorgefundene anhand von<br />

vorgeformten Modellen zu interpretieren. Eine Vorstellung von etwas kann die Sicht auf die<br />

Wirklichkeit verzerren, vor allem wenn dem Vorgestellten eine zwingende Eigenschaft<br />

zugemessen wird, wie das in kausal-deterministischen Erklärungsmodellen geschieht. Eine<br />

Position des Verstehens braucht eine Unvoreingenommenheit, damit der Blick auch auf das<br />

Unbestimmbare fallen kann.<br />

Die Hermeneutik beschäftigt sich mit den Bedingungen des Verstehens. Der Philosoph und<br />

Psychotherapeut Fernando Lleras untersucht in einer theoretischen Arbeit das Verhältnis der<br />

Existenzanalyse zur Hermeneutik (LLeras 2000a). Er sieht die phänomenologische<br />

Existenzhermeneutik Heideggers als besonders relevant für die Existenzanalyse. Lleras stellt<br />

zwei von Paul Ric ur formulierte Grundpositionen innerhalb des heutigen Spektrums der


- 10 -<br />

Hermeneutik heraus: die Hermeneutik des Verdachtes und die Hermeneutik des<br />

Vertrauens . Die Hermeneutik des Verdachtes trägt ein unphänomenologisches Moment in<br />

sich, da sie im Voraus entschieden hat, was für ein Sinn sich hinter dem unmittelbaren Sinn<br />

verbirgt. Dagegen lässt die Hermeneutik des Vertrauens prinzipiell den Sinn offen und<br />

versucht ihn aus dem, was sich zeigt, zu erschließen (ebd., 165).<br />

Lleras weist auch auf die Unumgänglichkeit der Auslegung und Deutung im<br />

existenzanalytischen Prozess hin. Er fasst in Anlehnung an J. Grondin das Interpretieren als<br />

ein Verständlich-Machen auf, als ein Übersetzen von fremdem Sinn in Verständliches. Damit<br />

ist nicht ein Benützen von Interpretationsstrategien gemeint. Die phänomenologische<br />

Hermeneutik lehrt also nicht, wie man interpretieren 6 soll, sondern wie de facto interpretiert<br />

wird, wie sich Verstehen ereignet (ebd., 164).<br />

Das Verstehen ist ein herausragendes Ereignis im psychotherapeutischen Prozess. Es ist eine<br />

Erfahrung mit eigener Qualität, die sich im Inneren des Patienten und des Therapeuten<br />

vollzieht. Es ist das Ergebnis eines phänomenologischen Vorgehens. Zum Verstehen gehört<br />

ein kreatives Moment, ein spontanes Aha-Erlebnis , da sich die Welt jetzt anders als noch<br />

zuvor zeigt und sich der Verstehende auf einer anderen Stufe vorfindet. Es hat eine Bewegung<br />

stattgefunden - ich bin weiter gekommen, so erlebe ich das. Und ich befinde mich in etwas<br />

Neuem.<br />

Verstehen geschieht also in einem schrittweisen Vollziehen und ist zugleich selber ein Schritt,<br />

der sich von den Schritten zuvor abhebt. Es ist etwas Statisches auf einem dynamischen<br />

Untergrund und zugleich eröffnet es Räume für eine neue Dynamik. In der<br />

existenzanalytischen Motivationstheorie bedeutet Verstehen das Erkennen von<br />

Beweggründen. Dass ein Schritt dem nächsten folgt, lässt sich feststellen; was aber geschehen<br />

wird, ist nicht kalkulierbar. Der nächste Schritt kann nur vollzogen und nachvollzogen<br />

werden, nicht jedoch zwingend vorausberechnet. Es wird also ein prinzipiell nicht<br />

determinisierbares Moment berücksichtigt. Was eine Person in einer bestimmten Situation tun<br />

wird oder nicht, kann zwar mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angenommen werden,<br />

niemals aber mit Sicherheit. Ein Anlass für eine Entscheidung ist etwas ganz anderes als eine<br />

Ursache für eine Wirkung.<br />

Im prozessualen Vorgehen der PEA als psychotherapeutischer Methode (Längle 1993) wird<br />

dem Verstehen ein gesonderter Platz eingeräumt: Das Verständnis des im Eindruck<br />

vernommen, untergliedert in Selbstverständnis (PEA 2-V1), Fremdverständnis und<br />

situatives Verständnis (PEA 2-V2) sowie Unverständnis (PEA 2-V3). Es markiert den<br />

6 auf die Interpretation und ihre Beziehung zur Phänomenologie wird im Hauptteil eingegangen


- 11 -<br />

stattgefundenen Übergang vom Eindruck (PEA 1) zur Stellungnahme (PEA 2). Das<br />

Verständnis ist Bestandteil der personalen Stellungnahme und ermöglicht die Integration der<br />

neuen Inhalte in bestehende Zusammenhänge. Damit kann sich die Person mit ihrer<br />

Authentizität gestaltend ins Spiel bringen.<br />

Auf die Stellungnahme folgt der Ausdruck (PEA 3). Die sich ausdrückende Person ist selbst<br />

nicht mehr in der phänomenologischen Haltung. Dennoch ist dieser Schritt phänomenologisch<br />

relevant, nämlich für den Therapeuten. Dieser nimmt ja den sich ausdrückenden Patienten<br />

seinerseits wahr. Also auch im Ausdruck zeigt sich die Person. Sie kann in ihrem gesamten<br />

Spektrum erscheinen - vom unmittelbaren Schmerzausdruck, der spontan in einem anderen<br />

Menschen eine Regung auslöst bis zu einem langfristig geplanten Projekt, in der jemand seine<br />

innersten Anliegen durch sein Engagement offenbart. In diesem Schritt berücksichtigt die<br />

PEA ebenfalls jenes unbestimmbares Moment, das der Person entspricht, die ja nur durch sich<br />

selbst bestimmt wird. Trotz der Bedingungen einer beeinflussenden Welt, in der sich der<br />

Ausdruck ereignet, ist die Person in ihrem Handeln auch durch sich selbst motiviert.<br />

Dem Ausdrucksverhalten wird in der Humanistischen Psychologie insgesamt eine besondere<br />

Bedeutung zugemessen. Abraham Maslow, der zu den wichtigsten Vertretern der<br />

Humanistischen Psychologie gehört, greift die Unterscheidung zwischen expressiven (nichtinstrumentalen)<br />

und bewältigendem (instrumentalen, adaptiven, funktionalen,<br />

zweckgerichteten) Komponenten des Verhaltens auf (Maslow 1981, 160). Er sieht darin eine<br />

Möglichkeit, den Geltungsbereich der Psychologie zu erweitern, der durch den<br />

behavioristischen Fokus auf bloße Bewältigungsstrategien eingeengt wird. Maslow betont,<br />

dass die meisten Verhaltensweisen sowohl eine expressive als auch eine bewältigende<br />

Komponente haben, z.B. hat Gehen gleichzeitig einen Zweck und einen Stil (ebd.). Er<br />

merkt weiters an, dass Ausdruck häufig ohne Belohnung und Verstärkung persistiert. Er<br />

differenziert zwischen inneren und äußeren Determinanten des Verhaltens. Es steht fest, dass<br />

das beste Verhalten, das man untersuchen kann, wenn man etwas über die Charakterstruktur<br />

erfahren will, das expressive und nicht das bewältigende ist (ebd., 164).


- 12 -<br />

HAUPTTEIL<br />

2. Das Modell der phänomenalen Kategorien - Grundgerüst<br />

Die Wahrnehmung von Sinn, die Erfahrung von Sinnlichem und das Erahnen von<br />

möglicherweise Sinnvollem ist immer gebunden an ein wahrnehmendes Subjekt. Es gibt für<br />

das Subjekt auch den Zweifel am Gesehenen, die Verwirrung durch die Eindrücke, aber auch<br />

die Verblendung, die erst im Nachhinein als solche erkannt wird. Alles, was an eine Person<br />

von außen herankommt, erfordert einen Umgang damit. Die Integration des<br />

Wahrgenommenen in den Erfahrungsschatz macht das Lernen aus der Geschichte aus, aus der<br />

persönlichen Lebensgeschichte und - im kommunikativen Austausch - aus der Erfahrung<br />

anderer. Dies bildet den Hintergrund für das Neue, das gegenwärtig erscheint. Der freie und<br />

selbst bestimmte Umgang mit dem Aktuellen ist ein wesentliches Merkmal psychischer<br />

Gesundheit.<br />

2.1 Verdichtung und Erweiterung von Bedeutung<br />

Sinn wird gefunden, indem er aus dem Kontext klar wird. Es kann hier von einer<br />

Konkretisierung des Sinnhaften aus der Erfahrung gesprochen werden. Aus vielen möglichen<br />

Bedeutungen wird eine zur einzig sinnvollen. Ein Beispiel: Ein Baby weint und die Mutter<br />

erkennt dies als Hunger. Das Weinen könnte auch etwas anderes bedeuten, aber die letzte<br />

Mahlzeit ist schon länger her. Weil für die Mutter sämtliche anderen Möglichkeiten des<br />

Weinens ausgeschlossen sind, entschließt sie sich, dem Kind das Fläschchen zu geben als<br />

einzig sinnvolle Handlung. Das Erkennen einer einzigen Bedeutung durch Einengung des<br />

Spektrums möglicher Bedeutungen ist nicht die einzige Möglichkeit. Es gibt daneben den<br />

umgekehrten Weg: die Erweiterung des Raumes möglicher Bedeutungen, das Erkennen von<br />

Sinnhaften aus dem Vorhandenen indem sich eine neue Bedeutung für ein Ereignis ergibt;<br />

auch hier als Beispiel die Nahrungsaufnahme: Essen bedeutet, vor allem wenn es in<br />

Gemeinschaft geschieht, keineswegs nur Zufuhr von lebensnotwendigen Substanzen. Eine<br />

Einladung zu einem Dinner sagt mehr aus, als das sich jemand um die Ernährung kümmert.<br />

Bei der Verdichtung ergibt sich die Bedeutung für den wahrnehmenden letztlich zwingend aus<br />

dem Gesamtkontext, bei der Erweiterung hängt die Bedeutung zwar auch vom Kontext ab,


- 13 -<br />

aber sie ist nicht die einzige Bedeutung oft wird erst später klar, welche Bedeutung etwas<br />

noch hat (gehabt hat oder haben wird).<br />

Es handelt sich um zwei gegenläufige Prozesse der Bedeutungserfassung, von möglicher<br />

Mehrdeutigkeit in Richtung Eindeutigkeit und von Eindeutigkeit in Richtung Mehrdeutigkeit.<br />

Beides Verdichtung und Erweiterung des Raumes möglicher Bedeutungen - sind kreative<br />

Geschehnisse, in denen sich Sinn manifestiert, doch unterscheiden sie sich qualitativ<br />

voneinander.<br />

2.2 Grammatik<br />

In dieser Arbeit möchte ich ein Kategorien-System vorstellen, das eine Art Raster bilden kann<br />

für die Art, in der etwas erscheint. Dieses Modell soll allgemeinen Wahrnehmungsprinzipien<br />

gerecht werden, die einer individuellen Wahrnehmung zu Grunde liegen. Es soll ein<br />

Behelfsmittel im Wahrnehmungsprozess sein, ähnlich wie eine Grammatik dem<br />

Sprachverständnis behilflich sein kann. Bei einer Systematik für Phänomene gibt es ein<br />

ähnliches praktisches Problem wie bei der Grammatik im Sprachgebrauch. Eine starre<br />

Verhaftung im Grammatik-Regelwerk kann den natürlichen Sprachfluss hemmen und die<br />

Freude an einem Text trüben. Für viele Schüler hat Grammatik einen schalen Beigeschmack,<br />

oft wird sie als störendes Theoriegebilde angesehen, das nichts mit der Sprache zu tun zu<br />

haben scheint. Nützlich wird eine Grammatik vor allem dann, wenn man mit der Sprache ein<br />

Problem hat, wenn man etwa eine Fremdsprache lernt. Da wird einem oft erst richtig bewusst,<br />

dass die Sprache allgemeine Regeln hat. Wenn man in seiner Sprache gut zurechtkommt,<br />

braucht man ein Bewusstsein von Grammatik nicht. Idealerweise merkt man gar nicht, dass<br />

man Grammatik anwendet. Viele Menschen verwenden einen Genitiv problemlos, ohne<br />

wissen zu müssen, für was ein Genitiv gut ist.<br />

Zum Einsatz kann eine Systematik von Phänomenen kommen, wenn das Wahrnehmen und<br />

das Verstehen von Phänomenen schwierig ist oder Probleme macht. Die Systematisierung ist<br />

in erster Linie ein Versuch, der der phänomenologischen Haltung in der Psychotherapie<br />

nützen soll, ohne dass das Kategoriensystem per se Phänomenologie ist (deshalb<br />

phänomenale und nicht phänomenologische Kategorien).<br />

Ist es überhaupt zulässig, Kategorien als phänomenal zu bezeichnen oder den Begriff<br />

Kategorie in einen Zusammenhang mit Phänomenologie zu bringen? Es sollte sich doch<br />

etwas aus sich selbst heraus zeigen, wie kann man da mit Einteilungen daherkommen? Die<br />

Sorge ist berechtigt, dass Kategorisierungen eine Auswirkung auf den Wahrnehmungsprozess<br />

haben können. Auf die Einwirkung verschiedener Faktoren in den Prozess der Wahrnehmung


- 14 -<br />

wird später noch genauer eingegangen, wie etwa das Repertoire sprachlicher Begriffe oder die<br />

Wahrnehmungsurteile anderer Menschen die Wahrnehmung beeinflussen können. Eine<br />

Systematisierung legitimiert sich hier einzig durch den Zweck, nämlich: die phänomenalen<br />

Kategorien sollen durchlässig für die Phänomene sein.<br />

Die Warnung Georg Christoph Lichtenbergs: Zum Superklugen: Durch das häufige<br />

Beobachten von Regeln, in der Absicht, etwas erfinden zu wollen, bekommt die Seele endlich<br />

unvermerkt eine verwünschte (Fertigkeit) Leichtigkeit, das Natürliche zu übersehen (1984,<br />

95).<br />

2.3 Das Modell<br />

Mein Modell besteht aus es vier Kategorien zur Ordnung von Phänomenen:<br />

Repräsentation, Symbol, Illusion und Chaos.<br />

Jedes Phänomen, das dem Wahrnehmenden erscheint, kann in eines dieser Kategorien<br />

eingeteilt werden. Eine Zuordnung in eine Kategorie schließt ein Zuordnung in eine andere<br />

nicht aus - im Gegenteil: gerade durch das Kippen aus einer Zuordnung in eine andere kann<br />

sich eine kreative Dynamik ergeben. Die Zuordnung ist also keine Festlegung.<br />

Die phänomenalen Kategorien sind untereinander in einer systematischen Beziehung.<br />

Diese Beziehung kann alleine durch das Zusammenwirken von zwei Faktoren erklärt werden:<br />

Bedeutung und Aspekt.<br />

Es geht dabei nicht um den Inhalt der Bedeutung, sondern nur um die Anzahl der<br />

Bedeutungen und nicht um die Form des Aspekts, sondern um die Beziehung der Aspekte<br />

untereinander.<br />

Die Bedeutung eines Phänomens kann klar sein, das Phänomen ist eindeutig, im Kontakt mit<br />

einem Phänomen können sich dem Wahrnehmenden aber auch mehr als eine einzige<br />

Bedeutung zeigen, etwas ist mehrdeutig.<br />

Die Aspekte eines Phänomens sind entweder alle untereinander in Beziehung (relativ), kein<br />

einziger Aspekt wird ausgeblendet, oder aber nicht alle der gegebenen Aspekte sind beteiligt<br />

am Wahrnehmungsprozess, Aspekte werden abgespalten, vereinzelt und losgelöst (absolut)<br />

gesehen.<br />

Diese zwei Grundfaktoren - Bedeutung(en) und Aspekt(e) - determinieren in der Art ihres<br />

Zusammenwirkens gemeinsam die Kategorie, in der ein Phänomen erscheint, ohne dass über<br />

das Phänomen selbst etwas ausgesagt wird. Beide Grundfaktoren bestehen ihrerseits aus zwei


- 15 -<br />

antagonisierenden Unterfaktoren, nämlich: Eindeutigkeit versus Mehrdeutigkeit, Relativität<br />

versus Absolutheit von Aspekten. Durch die definierte Art des Zusammenspiels der<br />

genannten Unterfaktoren ergeben sich vier mögliche Kombinationen, sie bilden die vier<br />

phänomenalen Kategorien.<br />

Die Grundkonstellation des Modells der vier phänomenalen Kategorien:<br />

Ergeben aufeinander irgendwie bezogene (relative) Aspekte eine einzige<br />

Bedeutung (Eindeutigkeit), handelt es sich um eine Repräsentation.<br />

Beruht Eindeutigkeit auf einem einzelnen Aspekt oder von anderen losgelösten<br />

(verabsolutierten) Aspekten liegt eine Illusion vor.<br />

Ergibt ein einzelner Aspekt mehrere Bedeutungen (Mehrdeutigkeit), handelt es<br />

sich um ein Symbol.<br />

Besteht bei aufeinander irgendwie bezogenen Aspekten eine Mehrzahl von<br />

Bedeutungen, liegt ein Chaos vor.<br />

In dem Modell sind viele Gedanken enthalten, die alles andere als neu sind (wie z.B. die<br />

Vieldeutigkeit als Eigenschaft eines Symbols, Perspektiven-Wechsel etc.). Die systematische<br />

Ausformulierung zu einem integrativen Modell ist für mich der Versuch einer konzeptuellen<br />

Arbeit. Nach einer eher zufälligen Entdeckung der Zusammenhänge vor Jahren ließ mich<br />

diese Formel seither nicht mehr los, und auch jetzt noch bin ich daran, sie in allen<br />

möglichen Situationen zu erproben. Ich glaube, dass die Implikationen dieses Modells auch<br />

für die Psychotherapie nützlich sein können, vor allem für eine Therapieform, für die<br />

Realisierung von Sinn ein wesentliches Moment ist. So verstehe ich diese Arbeit als einen<br />

Beitrag zur - wie Frankl es nennt - Logotheorie.


- 16 -<br />

3. Relevante Begriffe<br />

Bevor die einzelnen phänomenalen Kategorien ausführlicher dargestellt werden, möchte ich<br />

auf einige Begriffe eingehen, die in einem weiteren Zusammenhang wichtig sind:<br />

3.1 Perspektive und Sinn<br />

Das Bewusstsein eines Menschen ist eine unverstellbare Perspektive aus einer unvertretbaren<br />

Position. Der Fokus des Bewusstseins ist in der Gegenwart, das Spektrum des Bewusstseins<br />

reicht über die Gegenwart hinaus, in ein Universum von Möglichkeiten jenseits des Horizonts<br />

des in einer Situation Vorgefundenen. Die Perspektive setzt voraus, dass es einen Ort gibt,<br />

von dem man blickt, und dass es etwas anderes gibt, das man von diesem Ort aus sieht. Die<br />

Perspektive verbindet ein Subjekt mit einem Objekt. Das Objekt gibt das Motiv, das Subjekt<br />

setzt das Thema, nur beide zusammen ermöglichen das Bild.<br />

Die Suche nach Sinn beinhaltet eine Suche nach Kohärenz , sagt Irvin Yalom in seinem<br />

Buch über Existentielle Psychotherapie (2000, 499). Sinn bezieht sich auf Sinnhaftigkeit<br />

und wird in einem Zusammenhang gesehen. Dagegen bezieht sich Zweck auf ein Ziel, eine<br />

Funktion. Die Frage des Sinns ist die bestürzendste und unlösbarste Frage von allen , sie<br />

darf nicht in der Therapie verleugnet werden. Es hilft nichts, sie selektiv zu übergehen, vor<br />

ihr zurückzuschrecken oder sie zu einer kleineren, aber handhabbareren Frage umzuformen<br />

(ebd., 498). Sinn ist nach Frankl eine Motivation, er spricht vom Willen zum Sinn .<br />

Existentieller Sinn ist mehr als eine bewusste oder unbewusste Empfindung. Sinn ist eine<br />

Frage, die eine konkrete Antwort fordert. Sinn wird also nicht nur gefunden oder erkannt,<br />

sondern er fordert uns auf zu seiner Verwirklichung. Logotherapie thematisiert den<br />

existentiellen Sinn: Ich bin hier und so sieht es jetzt aus - und was soll daraus werden? Der<br />

anthropologische Hintergrund der Existenzanalyse beinhaltet die Sichtweise, dass der Mensch<br />

aus sich selbst heraus nicht ganz sein kann, sondern seine Erfüllung findet, indem er über<br />

sich selbst hinausgeht (Selbsttranszendenz).<br />

3.2 Bedeutung und Aspekt<br />

Die Begriffe Sinn 7 und Bedeutung 8 haben vieles gemeinsam, so dass sie im Alltag oft<br />

synonym gebraucht werden. Im Gegensatz zum (existentiellen) Sinn braucht Bedeutung<br />

7 Die etymologischen Verhältnisse sind laut Kluge (1989) unklar, vielleicht liegt eine Mischung vor. Mögliche<br />

Wurzeln sind das althochdeutsche sinnan (reisen, sich begeben, trachten nach), das altfranzösische sinna


- 17 -<br />

keine Entscheidung für oder gegen etwas. Sie erfordert nicht unbedingt eine Zustimmung,<br />

damit sie Gültigkeit hat und sie kann angezweifelt werden. Bedeutung kann gemacht oder<br />

vereinbart werden, wie z.B. bei Verkehrszeichen. Bedeutung kann - existentiell gesehen -<br />

durchaus unmotivierend sein.<br />

Das Modell der vier phänomenalen Kategorien setzt im Vorfeld der existentiellen Sinnfindung<br />

an. Die Erfassung von Bedeutung ist notwendig für die Wahrnehmung des existentiellen<br />

Sinns, doch ist sie dem existentiellem Sinn untergeordnet und kann ihm deshalb theoretisch<br />

nicht gleichgesetzt werden. Für eine begriffliche Klarheit werde ich im Zusammenhang mit<br />

dem Kategorien-Modell nur den Terminus Bedeutung verwenden und das Wort Sinn dem<br />

existentiellen Sinn überlassen.<br />

Ein Aspekt 9 ist die Ansicht von etwas oder jemandem. Der Begriff zielt rein auf das Gesehene<br />

oder Beachtete; im Gegensatz zur Perspektive 10 , die immer auch die Modalität und den<br />

Vorgang des Betrachtens berücksichtigt. Perspektive ist demnach ein übergeordneter<br />

Begriff; ein Aspekt erscheint innerhalb einer bestimmten Perspektive.<br />

Ein Aspekt ist jeweils einzeln, er erscheint während des Wahrnehmens einheitlich und in sich<br />

zusammenhängend. Im weiteren Wahrnehmungsprozess kann auf einen Aspekt<br />

zurückgekommen werden, er kann als Teil eines größeren Aspektes gesehen werden oder es<br />

lassen sich Teilaspekte erkennen. Dann haben aber schon weitere Schritte stattgefunden (z.B.<br />

eine Reflexion), also ein Umgang mit dem Aspekt.<br />

In der Sicht des Wahrnehmenden hat ein Phänomen eine objektive Seite (einen oder mehrere<br />

Aspekte) und eine subjektive Seite (eine oder mehrere Bedeutungen). Auch wenn etwas zum<br />

Objekt der Wahrnehmung wird, kann das Wahrgenommene seinerseits wahrnehmendes<br />

Subjekt sein.<br />

Ein/der Aspekt ist ein/das Gesicht des Phänomens, eine/die Bedeutung ist das, was das<br />

Phänomen ausdrückt 11 .<br />

(beabsichtigen, sinnen), das altenglische sinnan (wandeln, beabsichtigen) und außerdem das lat. sentire<br />

(empfinden, wahrnehmen).<br />

8 Die Herkunft des Wortes ist nicht ausreichend untersucht, das alt- und mittelhochdeutsche diuten hieß<br />

vielfach bedeuten in der Volkssprache (Kluge 1989).<br />

9<br />

lat. aspectus = der Anblick, das Hinschauen; das Sichtbarwerden, Erscheinen, das Aussehen<br />

10<br />

lat. perspicere hat denselben Wortstamm specere = sehen, schauen; die Vorsilbe per- bedeutet<br />

durch hindurch und wird auch instrumental eingesetzt ( mit Hilfe von )<br />

11 Husserl unterscheidet von den anzeigenden Zeichen die bedeutsamen, die Ausdrücke (Husserl 1993, 14).<br />

Ausdrücke werden als bedeutsame Zeichen gesehen (ebd.). Jeder Ausdruck besagt nicht nur etwas, sondern er<br />

sagt auch über Etwas; er hat nicht nur seine Bedeutung, sondern er bezieht sich auch auf irgendwelche<br />

Gegenstände. Diese Beziehung ist für einen und den selben Ausdruck unter Umständen eine mehrfache. Niemals<br />

fällt aber der Gegenstand mit der Bedeutung zusammen (ebd., 22).


- 18 -<br />

3.3 Subjekt und Objekt<br />

Aspekt und Bedeutung sind die basalen Komponenten meines Modells, die Art ihres<br />

Zusammenwirkens definiert die jeweilige phänomenale Kategorie. Zur Veranschaulichung<br />

der Beziehung zwischen Aspekten und Bedeutungen verwende ich die im Alltagsdenken<br />

gängige dualistische Auffassung einer Trennung zwischen Subjekt und Objekt. Dies geschieht<br />

aus pragmatischen Gründen, denn der Wahrnehmungsprozess lässt sich als komplexes,<br />

dynamisches und interaktives Geschehen nicht einfach auf ein aktives Subjekt und ein<br />

passives Objekt reduzieren. Zum Problem einer solchen Spaltung und der daraus<br />

resultierenden Kluft zwischen Subjekt und Objekt hat V.E. Frankl kritisch angemerkt (Frankl<br />

1959, 672):<br />

Die alle Erkenntnistheorie kennzeichnende Frage ist bereits im Ansatz falsch gestellt! Denn zu fragen,<br />

wie das Subjekt an das Objekt herankönne, ist darum sinnlos, weil diese Frage ja schon das Resultat<br />

einer unzulässigen Verräumlichung und damit Ontisierung des wahren Sachverhaltes darstellt; es ist<br />

müßig zu fragen, wie das Subjekt aus sich heraus an das außerhalb seiner, draußen befindliche<br />

Objekt herankommen könne, einfach weil dieses Objekt im ontologischem Sinne überhaupt niemals<br />

draußen war. Ist diese Frage jedoch ontologisch gemeint und wird dann draußen nur als-ob -haft<br />

gesagt, so müsste unsere Antwort lauten: das sogenannte Subjekt ist sozusagen draußen, beim<br />

sogenannten Objekt, immer schon gewesen!<br />

Die Gefahr einer achtlosen Verdinglichung und entfremdenden Funktionalisierung ist<br />

durchaus gegeben. Die moderne Existenzanalyse versucht beiden Seiten gerecht zu werden:<br />

dem Abstand zwischen Subjekt und Objekt, also der erfahrbaren Tatsache, dass der<br />

Wahrnehmende ein Gegenüber hat, in der ersten personal-existentiellen Grundmotivation<br />

(vgl. Längle 1999a) und in der zweiten Grundmotivation durch die Auflösung dieses<br />

Abstandes in der dynamischen Realität ihrer Beziehung. Die Grenze zwischen Subjekt und<br />

Objekt ist nicht die Grenze zwischen Ich und Nicht-Ich . Meine Hand kann zu meinem<br />

Objekt werden, das ich mit der anderen Hand berühre; umgekehrt können andere Menschen<br />

gemeinsam mit mir ein Subjekt bilden, indem wir gemeinsam etwas herausfinden, wie<br />

beispielsweise bei der therapeutischen Arbeit in einer Supervisionsgruppe. Die Grenze<br />

zwischen Subjektivität und Objektivität entspricht also nicht der Ich-Grenze , sie kann<br />

innerhalb des eigenen Ich oder außerhalb verlaufen. Sie kann sich sogar nach außen hin in die<br />

Welt der leblosen Gegenstände verschieben . Wenn zum Beispiel ein Blinder seinen Stock<br />

zum Tasten benütz, liegt die Subjekt-Objekt-Grenze zwischen der Stockspitze und der Straße<br />

und nicht zwischen seiner Hand und dem Stockgriff.


- 19 -<br />

Zusammenfassend lässt sich sagen: Ein Aspekt erscheint am Objekt-Pol der Wahrnehmung,<br />

die Bedeutung am Subjekt-Pol . Was sich im Spannungsfeld 12 zwischen diesen Polen<br />

abspielt, kann durch das Raster der phänomenalen Kategorien geordnet werden.<br />

3.4 wahrnehmen und wahrgenommen werden<br />

Die Wahrnehmung ist ein Forschungsgegenstand der akademischen Psychologie, der<br />

Neurophysiologie, der Philosophie, der Kommunikationswissenschaften, der Physik,<br />

Linguistik etc.. Somit ist Wahrnehmung ein interessantes Forschungsgebiet, sie ist aber auch<br />

und vor allem ein subjektives Erlebnis. Der Philosoph Maurice Merlau-Ponty schreibt im<br />

Vorwort zu seinem Buch Phänomenologie der Wahrnehmung :<br />

Was immer ich sei es durch die Wissenschaft weiß von der Welt, weiß ich aus einer Sicht, die die<br />

meine ist, bzw. aus einer Welterfahrung, ohne die auch alle Symbole der Wissenschaft nichtssagend<br />

bleiben oder vielmehr wären. Das Universum der Wissenschaft gründet als Ganzes auf dem Boden der<br />

Lebenswelt, und wollen wir die Wissenschaft selbst in Strenge denken, ihren Sinn und ihre Tragweite<br />

genau ermessen, so gilt es allem voran, auf jene Welterfahrung zurückzugehen, deren bloß sekundärer<br />

Ausdruck die Wissenschaft bleibt (Merleau-Ponty 1965, 4)<br />

Dem Erlebnis Wahrnehmung kann man niemals ganz gerecht werden, indem man es in<br />

Bestandteile , Teilprozesse oder Unterfunktionen zergliedert, ebenso wenig lässt sich<br />

Wahrnehmung anderen psychischen Vorgängen simpel und abgrenzend gegenüberstellen.<br />

Wahrnehmung ist nicht Erinnerung diese knappe Aussage von Merleau-Ponty ist alles<br />

andere als einfach. Sie markiert das Grundproblem in der psychotherapeutischen Arbeit, wenn<br />

der Blick auf das Gegenwärtige durch vergangene Erfahrung getrübt wird, wie z.B. bei der<br />

Arbeit mit traumatisierten Menschen. Erinnerung ist nicht Wahrnehmung; auch wenn sie<br />

Wahrnehmung von Vergangenem ist, von dessen gegenwärtigen Spuren.<br />

Wahrnehmung ist einerseits ein ursprüngliches und spontanes Erlebnis, zum anderen aber<br />

auch der Umgang damit - die Einstellung auf das Erlebbare. Sie ist Passivität und Aktivität,<br />

Geschehen und Handlung zugleich.<br />

Selbst im Wort wahrnehmen ist eine Aktivität enthalten: das Nehmen. Dieses manipulative<br />

Moment ist in sinnverwandte Wörter wie begreifen oder auffassen ebenso enthalten, auch<br />

da ist ein aktives Berühren mitbedacht. Das Wahrgenommene das Gewahr-Werdende soll<br />

durch diese Manipulationen nicht nur nicht beeinträchtigt werden, es kann sogar besser<br />

12 vgl. in der Tradition Husserls intentionaler Korrelation die wechselseitig transzendentale Beziehung zwischen<br />

Noema (dem Vermeintem als Bewusstseinsinhalt) und Noesis (dem Vermeinen als Bewusstseinsakt)


- 20 -<br />

gesehen werden. Das zeigen Untersuchungen zur so genannten Linguistischen<br />

Relativitätstheorie , die vom Sprachwissenschaftler Benjamin Lee Whorf formuliert wurde:<br />

diese Theorie beschreibt den Zusammenhang unserer Sichtweise der Welt mit unserem<br />

Wortschatz und dem sprachlichen Hintergrund ( Sprachwelten ). Beispielsweise führt das in<br />

unserem Sprachraum gebräuchliche Verhältnis von vielen Hauptwörtern zu wenigen Verben<br />

zu einer anderen Sicht der "objektiven" Welt als eine andere Sprache mit vergleichsweise<br />

weniger Substantiven und dafür mehr Verben, wie in der Sprache der Hopi-Indianer in<br />

Nordamerika. Ein Hopi kann nur schwer nachvollziehen, was im Deutschen eine "Welle"<br />

bedeutet. Dieses "Ding" existiert in seiner Sprache nicht, er begreift hingegen dieses<br />

Phänomen auf seine Art als Zeitwort (Whorf 1963).<br />

Die Geschichte der akademischen Psychologie nach dem Zweiten Weltkrieg war durch den<br />

Behaviorismus geprägt. Stimulus-Reaktions-Modelle wurden in Labor-Experimenten<br />

herausgearbeitet, bis in den 60er Jahren die kognitive Wende kam; die inneren<br />

Determinanten des Verhaltens, die zuvor in einer black box verschlossen waren, wurden<br />

wieder interessant. Folglich sah man in der Wahrnehmung mehr als bloß äußere Reizung. Für<br />

Ulric Neisser, einen wichtigen Vertreter der kognitiven Psychologie, ist Wahrnehmung ein<br />

zyklischer Prozess. Er spricht von antizipierenden Schemata , welche als kognitive<br />

Landkarten die Wahrnehmungserkundung leiten und einen Einfluss darauf haben, was<br />

jemand aus der vorhandenen Information auswählt. Umgekehrt wird das Schema selbst durch<br />

die Auseinandersetzung mit der Umwelt verändert (Neisser 1979). Diese Sichtweise erinnert<br />

an den Schweizer Entwicklungspsychologen Jean Piaget, für den Erkenntnis ständig<br />

verknüpft ist mit einer aktiven Auseinandersetzung des Subjektes mit der Umwelt. Piaget<br />

untersuchte die Art der sprachlichen Formulierung bei Kindern unterschiedlicher Altersstufen.<br />

Er war fasziniert von den kindlichen Argumentationen, die den Erwachsenen oft als Fehler<br />

erscheinen. Durch das systematische Untersuchen dieser Fehler konnte er Muster im<br />

Entwicklungsprozess eines Weltbildes herausarbeiten (Piaget 1988; französische<br />

Originalausgabe 1926).<br />

Einen starken, wenn auch nicht immer bewussten Einfluss auf unser Denken, Fühlen und Tun<br />

hat auch die Tatsache, dass wir von anderen beachtet und wahrgenommen werden. Das<br />

morgendliche Zusammenstellen der Kleidung etwa berücksichtigt den Gesichtssinn und das<br />

ästhetische Urteil unserer Mitmenschen. Wir versuchen (mehr oder weniger) zu kontrollieren,<br />

wie wir in den anderen Sinnesmodalitäten in Erscheinung treten; so ist es uns peinlich, wenn<br />

wir verschwitzt sind oder Körpergeräusche entsenden, es freut uns meistens, wenn wir positiv<br />

auffallen. Missachtung oder gar Spott kann in uns in eine tiefe Verzweiflung bringen. Durch


- 21 -<br />

Beachtung und Anerkennung von anderen Menschen wird uns unser Selbstbild klarer und<br />

unser eigener Wert (Selbstwert) besser spürbar<br />

Es ist bedeutsam was der andere an mir wahrnimmt, aber auch wie der andere mich<br />

wahrnimmt; ob eher oberflächlich und funktional wie in einer sozialen Rolle (z.B. als Kellner)<br />

oder als einzigartiges Wesen ohne einer bestimmten Erwartung oder beides. Das<br />

Wahrgenommen-Werden ist auch bei psychischen Krankheiten relevant. Menschen, die an<br />

einer Psychose erkrankt sind, erleben sich als beobachtet, gefilmt oder abgehört. Das Suchen<br />

von irgendwo vermuteten Detektoren, häufig Kameras oder Wanzen, entspricht dem<br />

quälenden Empfinden, das Zielobjekt einer ungreifbaren Macht zu sein.<br />

Zwei Begriffe im Umfeld von Wahrnehmung , kurz skizziert: Der Begriff Kognition<br />

erfasst sowohl das Wahrnehmen als auch das Erkennen eher als Prozess und weniger als<br />

Resultat. Mit Erkennen ist landläufig gerne das Ende der Wahrnehmung, das Ziel Ende<br />

Erkenntnisprozesses gemeint ( kannst du es erkennen? ) und weniger der innere aktive<br />

Verarbeitungsprozess. Kognition 13 ist somit der umfassendere Terminus aber auch der<br />

sterilere; im täglichen psychotherapeutischen Gespräch wirkt er wie ein Fremdkörper.<br />

3.5 Phänomen und Kategorie<br />

Das Wort Phänomen ist dem Altgriechischen entlehnt: Ein phainómenon ist das, was sich<br />

zeigt, der im Altgriechischen gebräuchliche Plural ta phenómena heißt so viel wie<br />

Ansicht . Die aktive Verbform phaínein wird es als scheinen, leuchten, verkünden oder<br />

zeigen übersetzt, im (Medio-)Passivum ( phaínesthai ) als gezeigt werden, sich zeigen, ans<br />

Licht kommen.<br />

Martin Heidegger untersucht den Begriff Phänomen als Wortkomponenten der<br />

Phänomenologie. Für ihn bedeutet Phänomen<br />

das Sich-an-ihm-selbst-zeigende als eine<br />

ausgezeichnete Begegnisart von etwas (Heidegger 2001, 31). Das verwirrende Problem,<br />

dass mit diesem Begriff sowohl etwas, das scheint oder leuchtet als auch das Scheinen oder<br />

Leuchten selbst gemeint sein kann, versucht er mit einer begrifflichen Differenzierung zu<br />

lösen (z.B. Phänomen versus bloße Erscheinung ). Erscheinung ist für Heidegger auf das<br />

Phänomen angewiesen.<br />

Das Wort Phänomenologie bzw. phänomenologisch wird heute gerne in der<br />

naturwissenschaftlichen Alltags-Sprache verwendet, nämlich für Sachverhalte, die sich (noch)<br />

13 Kognition war früher gebräuchlich für eine gerichtliche Untersuchung (Duden). Die Etymologie geht zurück<br />

auf das altgr. Wurzeln gignóskein des lat. Wortes cognoscere ; beides meint: erkennen, kennen lernen (also<br />

auch hier der Prozess des Erkennens). Altgr. Gnosis = Erkenntnis, Einsicht, Urteil.


- 22 -<br />

nicht systematisch einordnen lassen - gemeint wird dabei meistens eine Beschreibung, also<br />

steht hier phänomenologisch für deskriptiv oder idiographisch . Die Deskription ist nur<br />

ein Element in der Phänomenologie; einer inhaltlichen Beschreibung von Fakten folgt die<br />

phänomenologische Analyse. Die Deskription ist eine Vorphase zur Beziehungsaufnahme mit<br />

den Fakten.<br />

Diese Differenzierung ist wichtig: phänomenal meint etwas anderes als<br />

phänomenologisch . Heidegger nennt phänomenal, was in der Begegnisart des Phänomens<br />

gegeben und explizierbar ist ( ). Phänomenologisch heißt all das, was zur Aufweisung und<br />

Explikation gehört und was die in dieser Forschung geforderte Begrifflichkeit ausmacht<br />

(ebd., 37).<br />

Die vier Kategorien des Modells sind in diesem Sinne phänomenal, weil sie über die Art<br />

etwas aussagen, in der die Phänomene an sich dem Wahrnehmenden in Erscheinung treten.<br />

Sie ermöglichen ihm einen Zugang zum Phänomen und einen Umgang mit dem Phänomen.<br />

Dieser Umgang kann gemäß Max Scheler als phänomenologisch bezeichnet werden, wenn<br />

durch die spezielle Art des Wahrnehmens etwas in Erscheinung treten kann, das ohne diese<br />

Art verborgen bliebe.<br />

Kategorie stammt ebenfalls aus dem Griechischen: kategoría ist ursprünglich ein<br />

Anklagepunkt, etwas das am öffentlichen Platz ( Agorá ) ausgesagt wird. In der Philosophie<br />

wurde der Terminus durch die Kategorienlehre des Aristoteles geprägt.<br />

Ich möchte diesen Begriff als ein Ordnungsprinzip verstehen, das die Zuordnung eines<br />

Phänomens in einer Weise ermöglicht, die allgemein zugänglich ist 14 .<br />

Um ein Phänomen in eine Kategorie zu geben, muss ich mit ihm kommuniziert haben (siehe<br />

Abschnitt 3.7). Dies beinhaltet zweierlei: Ich benötige einen Abstand zum Phänomen um es<br />

(abgegrenzt von mir) an sich erkennen zu können. Dabei setze ich also voraus, dass es eine<br />

Art Kluft zwischen dem Wahrnehmenden und dem Wahrgenommenen gibt. Zugleich brauche<br />

ich aber auch einen Kontakt mit dem Phänomen, eine Art Zuwendung und Vereinigung in der<br />

Berührung. Aus dem suchenden Berühren wird ein Berührt-Werden durch das Gefundene.<br />

Jede Wahrnehmung ist gegenseitige Anteilnahme, das Subjekt der Wahrnehmung nimmt am<br />

Objekt teil und umgekehrt bewirkt das Objekt der Wahrnehmung etwas im Subjekt; es gibt<br />

ihm etwas, das es von sich alleine aus nicht erhalten würde. Dazu ein Beispiel: Meine kleine<br />

Tochter war gerade dabei, ein Puzzle zusammen zu fügen. Emsig hantierte sie mit den<br />

Einzelstücken und das Puzzle wächst, indem ein Stück nach dem anderen dazukommt.<br />

14 wie der altgriechische Ursprung erkennen lässt: katá (bedeutet als Präposition: nach, gemäß) der Agora<br />

(als öffentlichen Platz und gemeinsamen Ort)


- 23 -<br />

Plötzlich hatte Ihre Aktivität ein Ende, das letzte Stück war platziert und das Bild fertig. Sie<br />

hob ihre Hände, mit denen sie gerade noch das letzte Stück hineingedrückt hatte, seitlich in<br />

die Höhe - in einer Art Epoché, damit in Ihrem Gesichtsfeld das nun durch die Vollendung<br />

neu zum Vorschein Kommende weniger gestört würde. Ihr Gesicht strahlte, sie war offenbar<br />

sehr angetan von dem Bild, das nun als ganzes vor ihr lag. Mit dem abschließenden Puzzle-<br />

Stück wandelte sich schlagartig das gestaltende Eingreifen zum betrachtenden Ergriffen-Sein.<br />

Es gibt unendlich viele Kategorien, Schemata, Prototypen und Schubladen mit denen konkret<br />

erlebte Phänomene verbunden werden müssen, um mit ihnen zu Recht zu kommen. Die<br />

vorgeschlagenen vier phänomenalen Kategorien sind völlig abstrakte Kategorien; das müssen<br />

sie sein, wenn sie einen ordnenden Hintergrund für die Phänomenologie bilden wollen.<br />

Grundsätzlich gilt: ein Phänomen ist eindeutig, eine Kategorie ist mehrdeutig. 15<br />

3.6 Innenwelt und Außenwelt<br />

Im zuvor angeführten Zitat (Abschnitt 3.3) spricht Frankl ein weiteres Gegensatzpaar an:<br />

Innenwelt versus Außenwelt . Auch hier haben wir eine Dichotomie, die bei näherer<br />

Betrachtung ein ähnliches Problem bringt wie die Subjekt-Objekt-Spaltung. Gibt es ein<br />

absolutes Innen gegenüber einem absoluten Außen ? Was ist innen (oder weiter innen als<br />

das andere) in der Innenwelt? Ist dann das andere in der Innenwelt äußerlicher als das<br />

Innerlichere? Ist letzteres dem Mittelpunkt näher. Wenn ich mit meinen Fingern mein Ohr<br />

berühre, spüren dann meine Finger das Ohr, oder mein Ohr die Finger?<br />

Was innen und was außen ist, kann kein starrer Beschluss sein, es ist auch nicht das Ergebnis<br />

einer Berechnung, sondern wird von einem fühlendem Innersten empfunden und es kann je<br />

nach Fokus wechseln.<br />

Die Themen Eindruck und Ausdruck werden ebenso von dieser Dichotomie berührt.<br />

Inneres kann nach außen wirken und Äußeres kann im Inneren etwas bewirken. Beides<br />

kommt gemeinsam vor, was verwirren kann (z.B. eine beeindruckende künstlerischer<br />

Ausdrucksweise) aber innerhalb eines gesetzten Rahmens sind sie doch klar trennbar. Ein<br />

Vergleich aus der Kunstgeschichte: impressionistische Bilder wirken insgesamt anders als<br />

expressionische: die einen wirken in die Tiefe, die anderen aus der Tiefe.<br />

Der rhythmische Wechsel von Eindruck und Ausdruck ist die Voraussetzung für einen<br />

Dialog; im Falle eines existentiellen Dialoges ist es der personale Eindruck als ein<br />

15 Diese Konstellation bietet Stoff für Paradoxien: die Kategorie der Phänomene und das Phänomen der<br />

Kategorien, oder: die eindeutige Mehrdeutigkeit.


- 24 -<br />

integriertes, mit dem Innersten abgestimmtes Spüren und der personaler Ausdruck als<br />

verantwortungsvolles Handeln (das auch ein Lassen sein kann); auf der Ebene von<br />

Reflexbögen und psychodynamischen Reaktionen sind es Afferenzen und Efferenzen<br />

beziehungsweise Affekte, Impulse und Verhaltensschablonen (teils angeboren, teils<br />

konditioniert).<br />

3.7 Kommunikation und Kreativität<br />

Kommunikation setzt mindestens eine Triade voraus, also eine Konstellation von drei<br />

Grundelementen: das (der oder die) eine, das (der oder die) andere und das Gemeinsame. Der<br />

letzte Punkt darf nicht vergessen werden, denn auch wenn man sich in der Zweisamkeit<br />

(Dyade) sieht, gibt es zusätzlich den gemeinsamen Raum, in dem die beiden sich befinden<br />

oder das gemeinsame Thema, das sie verbindet.<br />

Das zentrale Merkmal von Kommunikation ist Kreativität. Beim Kommunizieren entsteht<br />

etwas (oder jemand) neues, das ohne dem (oder der) anderen nicht entstanden wäre.<br />

Kommunikation ist also prinzipiell konstruktiv, und zwar in transzendenter Weise. Man ist<br />

Teil eines übergeordneten Geschehens.<br />

Für das Kategorien-Modell sind diese Überlegungen wichtig, da durch einen kommunikativen<br />

Prozess sowohl Aspekte als auch Bedeutungen zusammengeführt oder auseinandergesetzt<br />

werden. Ohne Kommunikation und Kreativität ist das Modell nicht denkbar.<br />

3.8 transparent und opak<br />

Ein Auge, das sich selbst sieht, ist krank, sagt Viktor Frankl. Es kann nicht mehr aus sich<br />

heraus sehen ein Problem der Transparenz, der für die klare Sicht der Dinge nötigen<br />

Durchsichtigkeit eines Mediums. Von den Materialeigenschaften einer Vase hängt es ab, wie<br />

viel ich von den Blumen sehe, ein Gefäß aus Glas lässt die Stiele durchscheine, eine opake<br />

Porzellanvase nicht. Die Transparenz eines Gegenstandes kann allerdings auch zum Problem<br />

werden, wenn man ihn durch sie gar nicht mehr bemerkt so wird eine Glasscheibe zur<br />

tödlichen Falle für Vögel, wenn sie nicht mit Markierungen versehen wird.<br />

Dass es so etwas wie Sprache gibt, merkt man erst, wenn man damit ein Problem hat. Wenn<br />

man sich bemüht, eine fremde Sprache zu lernen, dauert es einige Zeit, bis die Vokabeln von<br />

eigentümlich klingenden Schall-Ereignissen zu vertrauten Bedeutungs-Vermittlern werden,<br />

die widerstandslos in den Sprachstrom einfließen. Ein neues, unbekanntes Wort taucht auf<br />

und schon stockt der Fluss. Dieses Wort wird zum Widerstand, an dem die Aufmerksamkeit


- 25 -<br />

hängen bleibt. Ist man schon weiter fortgeschritten, passiert das nicht mehr so oft und die<br />

einzelnen Wörter fallen nicht mehr auf. Die vormals fremde Sprache wird durchsichtig für<br />

das, was durch sie hindurch gesagt werden sollte. Wie bei dem Auge in Frankls Metapher,<br />

hängt das, was gesehen oder verstanden werden kann, auch davon ab, wie transparent oder<br />

opak das Material ist, das bzw. durch das man sieht.<br />

Eine anschauliches Analogie dazu kann man beim Problem der bildnerischen Darstellung in<br />

einer Zeichnung sehen: die Schraffur. Diese ist aus einzelnen Linien (genau genommen<br />

müsste man sagen: Striche) aufgebaut, die man beim Betrachten des Endproduktes nicht mehr<br />

sehen sollte, da sie sich dem Gesamtbild unterordnen. Als Anfänger lenkt man die Sorgfalt<br />

auf jeder einzelnen Umriss- und Schraffurlinie, um ein Gekritzel zu vermeiden. Bald ist man<br />

jedoch mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass diese Linien als störende Gitter auf dem<br />

dargestellten Körper verbleiben. Mit weiterem Fortschritt kann es dann passieren, dass die<br />

einzelnen Linien am Blatt für das Auge des Betrachters verschwinden und durch diese<br />

hindurch eine Gestalt erscheint. Meistens sieht man die Figur, um die es geht, besser, wenn<br />

man nicht zu genau hinschaut. Bemühte Exaktheit ist demnach keine notwendige<br />

Voraussetzung, um ein Bild gut zu sehen (in diesem Sinne zieht man Schraffurlinien besser<br />

nicht mit dem Lineal).<br />

3.9 mittelbar und unmittelbar<br />

Die Eigenschaft des Mediums (des Vermittelnden ) oder der Medien macht es aus, ob etwas<br />

durchsichtig oder undurchsichtig ist. Dass damit nicht nur die physikalische<br />

Materialbeschaffenheit gemeint ist, sondern auch immaterielle Eigenschaften, soll durch die<br />

obigen Beispiele verdeutlicht sein.<br />

In einem weiteren Beispiel soll nun noch einmal die Grenze zwischen Subjektivem und<br />

Objektiven, zwischen Bewegendem und Bewegtem, Gefühltem und Fühlendem<br />

verschwinden, um zu zeigen, dass Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit ebenfalls keine klar<br />

voneinander abtrennbare Begriffe sind: die Musik. Ein Musikstück kann einen Zweck haben,<br />

wodurch es zum Mittel wird Marschmusik zum Beispiel um eine Truppe zu motivieren oder<br />

die sanfte Hintergrundmusik in einem Restaurant, die für eine entspannte Atmosphäre sorgen<br />

soll. Ein musikalisches Werk existiert aber auch ohne einen verfolgten Zweck, es ist aus sich<br />

heraus schön und bereichernd 16 . Als Stück ist es für die Musiker ein Stoff, der einstudiert<br />

werden muss, für das Publikum ein Gegenstand, mit dem man sich auseinandersetzt ein<br />

Mittel also. Aber: Wäre da nicht auch etwas unbeschreib- und unbehandelbares, dann würde<br />

16 die existenzanalytischen Wertelehre differenziert in diesem Sinne in Eigenwert und Nutzwert


- 26 -<br />

es nicht Musik sein. Das, was ich hier einzufangen versuche ist nicht eigentlich fassbar,<br />

dennoch erlebbar und jeder kennt es für sich es ist etwas Unmittelbares. Das Unmittelbare,<br />

das durch die Mittel kommt. Dieser Dualismus der Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit ist auch<br />

beim Tanzen zu spüren. Man ist im Rhythmus, befindet sich innerhalb des fließenden Klang-<br />

Geschehens, bildet sozusagen eine gemeinsame Einheit mit der Musik. Zuvor hat man noch<br />

den Takten zugehört, vielleicht auch durch Abzählen zergliedert, bis man plötzlich die<br />

Bewegung in sich selbst spürt und mitschwingt. Wird man bewegt oder bewegt man sich<br />

(oder andere)?<br />

Spontaneität ist das Merkmal des Unmittelbaren, und das Gegenteil des Zweckhaften. Sie ist<br />

unerklärbar und unberechenbar, sie kann nicht erzwungen werden. Da ein spontaner Impuls<br />

auch irritieren kann, ist er nicht überall gleich willkommen. Ähnlich wie beim Problem mit<br />

der Schraffur muss auch hier einiges zusammenspielen, damit das Entstehende weder ein<br />

heilloses Durcheinander noch zum sterilen Produkt wird. Um ersteres zu vermeiden, kann ein<br />

Metronom oder ein anderes Mittel zur Zeitrasterung helfen; das sollte jedoch (wie das Lineal<br />

beim Zeichnen) nur als Behelfsmittel dienen, bis der Rhythmus von selber kommt. Misst und<br />

zählt man zu lange, geht das auf Kosten der Lebendigkeit.<br />

3.10 Existenz und Evidenz<br />

Eine Regung ist noch keine Handlung und der erste Reiz macht noch nicht das Gesamtbild<br />

aus. Es ist auch möglich, sich einem inneren Impuls zu widersetzen. Ich möchte das Beispiel<br />

der Musik wieder aufgreifen: wenn ich mich in einer rhythmischen Klangwolke befinden,<br />

kann es sein, dass ich den Bewegungsimpuls verspüre. Dennoch hängt meine Bewegung noch<br />

von einem anderen Faktor ab, denn es kann sein, dass ich mich aus irgendwelchen Gründen<br />

weigere mitzuschunkeln. Damit nehme ich eine Gegenposition ein und sondere mich vom<br />

Bewegungsfluss ab das ist eine Entscheidung zur Distanz. Aus irgendwelchen anderen<br />

Gründen kann es aber durchaus sein, dass ich mich später dazu entschließe mitzuschwingen.<br />

Auch das ist eine Entscheidung, nämlich dem Impuls nachzugeben, ihm nachzugehen, mich in<br />

den Bewegungsfluss einzulassen, mich beeinflussen zu lassen.<br />

Das Beispiel soll auf eine wichtige Differenzierung verweisen: Verhalten und Handeln.<br />

Handeln braucht einen Akt der Zustimmung. Die Anthropologie Frankls fasst das Geistige als<br />

dritte Dimension des Seins auf, die zu den Dimensionen des Physischen und Psychischen<br />

dazukommt: Der Mensch tritt aus der Ebene des Leiblich-Seelischen heraus und durch den<br />

Raum des Geistigen kommt er zu sich selbst. Frankl spricht von der Trotzmacht des<br />

Geistes , indem dem psychophysischem Parallelismus ein psycho-noetischer Antagonismus


- 27 -<br />

gegenübersteht (Frankl 1959, 666). Frankl selbst weist darauf hin, dass eine<br />

Auseinandersetzung der geistigen Person mit organismischen Gegebenheiten nicht immer im<br />

Sinne eines Entgegentretens vollzogen wird. Vielmehr läuft diese Auseinandersetzung nicht<br />

selten auf eine Aussöhnung hinaus (ebd.). Die geistige Dynamik bildet auch den zentralen<br />

Punkt der Personalen Existenzanalyse als psychotherapeutische Methode. Längle betont, dass<br />

in der PEA ein Menschenbild zum Tragen kommt, bei dem es sich um eine weitere<br />

Differenzierung der Franklschen Anthropologie handelt, mit dessen Inhalten es jedoch im<br />

Kern kompatibel bleibt (Längle 1999). Der Oppositionscharakter des Geistigen ist in den<br />

Schritten Eindruck (PEA1) und Ausdruck (PEA3) aufgehoben, das Geistige selbst ist<br />

allerdings von Anfang auch in Soma und Psyche vorhanden. Nur im Schritt zur<br />

gewissenhaften Stellungnahme (PEA2) wird die situative Einbindung des Psychophysischen<br />

transzendiert. In Übereinstimmung mit dem Gewissen erfolgt die Zustimmung zu einem<br />

Verhalten, die durch diesen personalen Akt zur Handlung wird. Das Gewissen kann mit<br />

Längle als tiefstes Gespür der Stimmigkeit bezeichnet werden.<br />

Der Wahrnehmende ist im Wahrgenommenen immer auch selbst enthalten dieselbe<br />

Verflechtung wie beim Tanzen. Durch die Epoché, die bewusste Einklammerung der eigenen<br />

Anteile am Wahrnehmungsprozess, soll das Wahrgenommene so in Erscheinung treten, wie<br />

es von sich aus ist. Die Überlegungen in den vorigen Abschnitten sollen deutlich machen,<br />

dass dies keine simple Subtraktions-Aufgabe sein kann, bei der man sich als Beobachter<br />

ignoriert, sich selbst quasi eliminiert. So kann es im therapeutischen Kontext zunächst<br />

erforderlich werden, dass der Klient die eigenen Vorurteile überhaupt erst kennen lernen<br />

muss, um sie heraushalten zu können. Der Psychotherapeut sollte schon möglichst gut die<br />

Voraussetzung mitbringen, die eigenen Anteile zu kennen, sie in der Selbsterfahrung und in<br />

der Supervision kennen gelernt zu haben.<br />

Evidenz ist das Erlebnis von Wahrheit, sagt Edmund Husserl (1993, 61), in der Evidenz wird<br />

die volle Übereinstimmung zwischen Gemeintem und Gegebenem als solchen erlebt und<br />

aktuell vollzogen. Husserl streicht hervor, dass Evidenz als Erlebnis von Wahrheit nicht<br />

ohne weiteres als adäquate Wahrnehmung der Wahrheit interpretiert werden kann (ebd.).<br />

Evidenz ist nicht das Konstruierte, sondern erscheint durch sämtliche (nötige) Konstruktionen<br />

und Manipulationen hindurch. Sie ist ein Ereignis, das nur erlebt werden kann, und sie ist kein<br />

Beschluss, so zwingend sie auch sein mag. Es ist ihr immer ein spontanes, unberechenbares<br />

Moment eigen, so durchdacht die Bedingungen auch gewesen sind. Evidenz kann nicht<br />

vorausgesetzt werden. Evidenz braucht Durchlässigkeit für das Wesentliche, für das


- 28 -<br />

Essentielle, damit sie sich durch das Handeln hindurch in einer Situation ergeben kann. Sie<br />

ereignet sich durch eine Haltung der Offenheit der Person für den Sinn-Anspruch in einer<br />

Situation und ist somit Element des existentiellen Dialogs zwischen dem Menschen und der<br />

Welt. Aus dem Wahrgenommenen hebt sich das ab, was für die Person ansprechend ist (vgl.<br />

Längle 1988, 11). Im Erleben der Evidenz löst sich der Widerspruch zwischen Schein und<br />

Sein auf, die Situation wird transparent für Sinn ( transparere heißt durchscheinen).<br />

Evidenz 17 ist nicht machbar, sie geschieht mir. Der setzende Akt (Husserl 1993, 64) ist das<br />

Urteil. Das Urteil beendet den dynamischen Wahrnehmungsprozess, auf das Hinsehen,<br />

Hinhorchen, etc. folgt die Feststellung. Im Sinn unserer Auffassung der phänomenologischen<br />

Verhältnisse ist jedes Urteil setzend, (ebd.). Was ich zu sehen bekomme und wie es ist,<br />

das ich zu sehen bekomme, kann ich nicht beschließen. Dagegen liegt es an mir, wie ich zu<br />

ihm stehe und es behandle. Ein Urteil ist nicht automatisch auch ein bewusstes Urteil; das<br />

trifft auch für Vorurteile zu, die ebenfalls unbewusst (und dadurch eventuell noch starrer als<br />

die bewussten) sein können. Urteile sind Entscheidungen.<br />

In der Psychopathologie des Wahns ist die Empfindung der Evidenz in einer Intensität<br />

gegeben, dass es gar nicht mehr zum rationellen Prozess einer Urteilsbildung kommt. Die<br />

wahnhafte Gewissheit ersetzt den Akt des Urteilens. Im Falle der Zwangserkrankungen mag<br />

sich das Gefühl der Evidenz nicht einstellen, obwohl sich alle vorhandenen Argumente und<br />

Informationen logisch entsprechen. Evidenz entsteht nicht durch Kontrolle oder Beschwörung<br />

oder andere mehr oder weniger rationale Manöver. So kehrt der Zwangskranke wieder zur<br />

soeben versperrten Wohnungstür zurück, obwohl er sie vor wenigen Minuten verriegelt und<br />

zuvor die Funktionsfähigkeit des Schlosses mehrfach überprüft hat. So wie der Wahnkranke<br />

durch sein überschäumendes Evidenzgefühl sich über eine kritische Beurteilung hinweg setzt,<br />

so kommt der Zwangskranke gar nicht so weit, sich ein gültiges Urteil zu bilden.<br />

17<br />

Im Wort Evidenz ist die lateinische Vorsilbe ex- ( von aus ) enthalten und der Wortstamm videre<br />

( sehen , aber auch beachten ). Etymologisch verwandt ist wissen Evidenz und Gewissheit haben<br />

auch eine semantische Nähe. Die Vorsilbe bringt eine wichtige Dynamik in den Begriff, da es eine Herkunft<br />

bezeichnet: aus dem Sehen (oder Wissen) heraus, es ist also mehr gemeint als sehen oder Bescheid wissen.<br />

Damit ist Evidenz ein Erlebnis von einer eigenen Qualität.


4. Die vier phänomenalen Kategorien<br />

- 29 -<br />

4.1 Repräsentation<br />

Präsentation 18 bedeutet Vergegenwärtigung, präsentieren heißt gegenwärtig machen,<br />

darstellen. Repräsentation ist die Wiederholung von irgendwie Gegenwärtigem oder<br />

Vorhandenem in irgendeiner Weise; dadurch ist es in einer anderen (nochmaligen)<br />

Gegenwart vorhanden. Diese Formulierung mutet sehr abstrakt an. Beispiele: ein Botschafter<br />

vertritt sein Land bei einem Empfang, als Repräsentant ist er in diesem Kontext mehr als<br />

der Mensch, der bloß sein Abendessen zu sich nimmt, denn mit ihm ist zugleich auch sein<br />

Land gegenwärtig. Oder bei einer repräsentativen Meinungsumfrage wird eine Stichprobe<br />

analysiert, die eine momentane Gesamtströmung (z.B. Konsumverhalten) möglichst genau<br />

abbilden soll. Das Wesentliche dabei ist, dass es nicht um die einzelnen vorhandenen Aspekte<br />

geht (etwa die Einkaufsliste von Herrn X), sondern um das Gesamtbild. Das gleichzeitige<br />

Vorhandensein von unterschiedlichen Einzelmeinungen schärft das Gesamtbild.<br />

Repräsentation ist demnach ein Geschehen, bei dem sich verschiedene Aspekte, die jeweils<br />

eine eigene Gegenwart haben, zusammenfügen. Nach Ansicht der Empiristen ist<br />

Repräsentation die Stellvertretung des Gegebenen durch Allgemeinbegriffe, eine Auffassung<br />

die laut Fellmann (2006, 48) von Husserl kritisiert wird. Für ihn ist nicht die Rückführung<br />

aller Bedeutung auf Sinnesdaten, sondern ein einheitlicher Akt der Sinngebung erforderlich,<br />

der durch keine Summe oder Verwebung von Einzelakten oder Einzelsuggestionen<br />

herstellbar oder ersetzbar wäre (Husserl [Logische Untersuchungen II/1, 179] zitiert nach<br />

Fellmann 2006, 49).<br />

Die Formel der Repräsentation als phänomenale Kategorie:<br />

Wenn mehrere Aspekte eine einzige Bedeutung (Eindeutigkeit) ergeben,<br />

handelt es sich um eine Repräsentation<br />

Ergeben unterschiedliche Aspekte gemeinsam ein einheitliches Bild, kann von Repräsentation<br />

gesprochen werden das neue Bild enthält alle diese unterschiedlichen Aspekte. Bei einer<br />

Repräsentation muss also neben einem zugleich ein mindestens ein anderer Aspekt präsent<br />

sein. Welcher der einzelnen Aspekte stärker präsent ist, ist nicht so wichtig, denn die<br />

Präsenz der Einzelaspekte ordnet sich dem Erleben des Gesamteindruckes unter. Die dabei<br />

18<br />

lat. praesens = gegenwärtig, jetzig, augenblicklich


- 30 -<br />

gewonnene Eindeutigkeit wird als zwingend erlebt. Sie muss nicht unbedingt bewusst werden,<br />

sie kann unbemerkt bleiben.<br />

Für den Wahrnehmungsvorgang ist Repräsentation im Sinne von wiederholter<br />

Vergegenwärtigung ein essentieller Prozess: Unsere als Paar angelegten Ohren und Augen<br />

sind dafür ein Beispiel. Wenn links neben mir ein surrender Kühlschrank steht, erreichen die<br />

von diesem Gerät verursachten Luftschwingungen als Schallwellen mein linkes Ohr früher als<br />

das rechte. Durch den kleinen Unterschied im Zeitaspekt zwischen den einzelnen Ohren<br />

entsteht ein Gefühl für die Richtung, in der der Kühlschrank steht, ich höre seinen Ort das<br />

ist eine eigene und zusätzliche Qualität zur bloßen Wahrnehmung des<br />

Kühlschrankgeräusches, das ich mit nur einem Ohr hören könnte. Dieses Phänomen nutzt die<br />

Technik mit dem Stereo-Effekt. Zwei mit einem Abstand aufgestellte Lautsprecher geben<br />

jeweils den Schall wieder, der durch zwei Mikrophone aufgenommen wurde. So hört man<br />

zwischen den Boxen die Musik, die einzelnen Boxen sollten nicht gehört. Durch die<br />

gemeinsame Präsentation aus unterschiedlichen Richtungen ergibt sich eine räumliche<br />

Klangwahrnehmung. Die Musik liefert noch eine schönes Beispiel der gemeinsamen<br />

Präsentation, den Akkord: einzelne Töne, eventuell von unterschiedlichen Instrumenten<br />

fließen in ein Klang-Erlebnis zusammen, in dem die Einzeltöne nur noch durch gezieltes<br />

Hinhören durch ein analytisches Gehör vernehmbar sind. Beim Sehen ist der Stereo-Effekt<br />

durch einen unterschiedlichen Standpunkt der beiden einzelnen Augen bedingt, es sind im<br />

wahrsten Sinne des Wortes zwei verschiedene Aspekte eines Gegenstandes zugleich<br />

vorhanden. Auch hier ist es so: Der Blick durch beide Augen gemeinsam erzeugt zusätzlich<br />

ein Raumempfinden, das dem einzelnen Auge so nicht möglich ist. Durch die Beidäugigkeit<br />

wird der Raum ein unmittelbares Erlebnis. Der Raum wird an sich gesehen (und nicht<br />

ausgemessen oder anders erschlossen). Im Normalfall bleibt das, was das einzelne Auge für<br />

sich alleine sieht, völlig unbewusst und kann nur durch einen Kunstgriff aus dem<br />

Gesamteindruck herausgelöst werden - etwa durch Zukneifen oder Abdecken eines Auges,<br />

wie es Maler zuweilen machen. Der diskrete örtliche Unterschied der Perspektiven macht also<br />

das stereoskopische Raumerlebnis möglich, weichen allerdings die optischen Achsen zu weit<br />

ab, können die beiden Bilder nicht mehr miteinander verschmolzen werden und es entstehen<br />

Doppelbilder, aus der Repräsentation wird Chaos. Die Einzelbilder müssen zwar verschieden<br />

sein, aber nicht zu verschieden, sonst kann der Gesamteindruck leiden.<br />

Ein unmittelbares visuelles Raum-Erlebnis setzt nicht unbedingt eine funktionierende<br />

Beidäugigkeit voraus, da die Einzelaspekt nicht gleichzeitig erscheinen müssen. Wenn man<br />

einäugig von verschieden Positionen einen Gegenstand betrachtet erhält man ebenso ein<br />

Gefühl für den Raum, allerdings braucht es dazu Zeit, denn man muss sich dazu bewegen, das


- 31 -<br />

einzelne Auge nimmt sozusagen nacheinander verschiedene Standpunkte ein. Dies wird<br />

paralaktische Verschiebung genannt - ein Vorgang, der ebenso wie das stereoskopische Sehen<br />

durch Repräsentation eine eindeutige Raumwahrnehmung ermöglicht. Die Verschiebung der<br />

Paralaxen lässt sich gut am Beispiel der Eisenbahnfahrt veranschaulichen: Wenn man aus<br />

dem Fenster blickt, sind die die nahen Masten schnell weg vom Blickfeld, hingegen<br />

bewegen sich die weiter entfernten Häuser langsamer, die Weite der Landschaft ist<br />

unmittelbar zu fühlen auch mit nur einem Auge. Denn in einem Auge zeigen sich mehrere<br />

Aspekte der Landschaft, in diesem Fall zeitlich nacheinander. Für den aus dem Fenster<br />

schauenden Reisenden ist es trotzdem ein einheitlicher Gesamteindruck der Landschaft.<br />

Die Augen ermöglichen es uns große Entfernungen zu erfassen, dennoch ist Raum-Erleben<br />

mehr als der Raum, den ich sehe. Die Schallqualität und andere akustische Aspekte ,<br />

kinästhetische Einflüsse, Schwerkraft und so weiter sind ebenso Einzelmomente des gesamten<br />

einheitlichen Raum-Erlebnisses. Die bereits gesammelten Vorerfahrungen fließen ebenso in<br />

das unmittelbare Erleben der Gegenwart ein ebenso wie Wissen (z.B. über Licht- und<br />

Schattenverhältnisse). Ein anschauliches Beispiel findet sich bei Rudolf Arnheim (siehe<br />

Abb.1), es zeigt den Einfluss der Vergangenheit auf die Wahrnehmung von Formen. Arnheim<br />

weist darauf hin, dass eine Beziehung wahrgenommen wird zwischen der Form des<br />

gegenwärtigen Objektes und der Form früher wahrgenommener Dinge (Arnheim 1978, 52).<br />

(Abb.1)<br />

Das Original, dem diese Abbildung nachempfunden wird, findet sich in Rudolf Arnheims<br />

Kunst und Sehen (1978, 52), im Abschnitt den er bezeichnenderweise Der Einfluss der<br />

Vergangenheit nennt.<br />

Es zeigt sich hier, wie eine aufeinander bezogene Folge von Aspekten den<br />

Bedeutungsgehalt beeinflussen. Würde man die einzelnen schraffierten Formen isoliert<br />

betrachten, könnte man mal ein Viereck, ein Sechseck, Fünfeck oder Dreieck sehen. Sieht<br />

man jedoch die Formen in einer zusammenhängenden Weise, erkennt man etwa ein<br />

Quadrat, das hinter einer Mauer verschwindet.


- 32 -<br />

Bei Husserl findet sich eine Diskussion der Darstellungsmittel des visuellen Feldes , wobei<br />

er neben u.a. kinästhetischen Einflüssen auf das visuelle Raumempfinden auf die<br />

Beidäugigkeit eingeht, die die Tiefenempfindung (im Gegensatz zum Tiefenbewusstsein<br />

des einäugigen Sehens) als das spezifische Darstellungsmoment für eigentlich gesehene Tiefe<br />

begründet (Husserl 1991, 174).<br />

Merleau-Ponty (1966, 269) nimmt das binokulare Sehen als ein Beispiel für die Einheit der<br />

Sinne durch den Leib . Es geht ihm um das Wesen der sinnlichen Bedeutung im Gegensatz<br />

zu einer intellektualistischen Analyse . Der Übergang von zwei Einzelbildern zum einzigen<br />

wahrgenommenen Gegenstand vollzieht sich nicht durch eine geistige Einsicht. Beide Augen<br />

fungieren nicht mehr nur ein jedes für sich, sondern dienen als einheitliches Organ einem<br />

einzigen Blick.<br />

Beim Übergang von der Diplopie zum normalen Sehen tritt der einzige Gegenstand an die Stelle<br />

der beiden Bilder, er ist offensichtlich nicht deren bloße Übereinanderschiebung: er ist von<br />

grundsätzlich anderer Art, und unvergleichlich solider als sie. Im binokularen Sehen sind die<br />

beiden Bilder der Diplopie nicht zu einem einzigen bloß verschmolzen, die Einheit des<br />

Gegenstandes ist eine intentionale. Indessen - und eben darauf wollten wir hinaus -, diese Einheit<br />

ist gleichwohl nicht etwa eine begriffliche (ebd., 272).<br />

Ein jeder Aspekt des Dinges, der in unsere Wahrnehmung fällt, bleibt eine Einladung, noch über<br />

das hinaus wahrzunehmen, und ein momentaner Anhaltspunkt im Prozess des Wahrnehmens<br />

(ebd., 273).<br />

Die einzelnen Aspekte aus verschiedenen Sinneskanälen wirken im Gesamteindruck<br />

zusammen. Raum wird nicht nur gesehen sondern auch gehört. Dem Sinnesphysiologe Ernst<br />

Pöppel nach ist unser visuelles und akustisches Raumempfinden in einem ständigen<br />

Wechselgespräch . Das Problem dabei ist die Gleichzeitigkeit, die als erlebtes Jetzt nicht<br />

einfach ein Referenzpunkt auf einer Zeitachse ist. Er unterscheidet zwischen der objektiv<br />

messbaren physikalischen und der subjektiven Gleichzeitigkeit, wobei letztere je nach<br />

Sinneskanal verschieden lange Gleichzeitigkeitsfenster hat. Das bringt die Schwierigkeit,<br />

dass sich für uns der optische und der akustische Raum dauernd gegeneinander verschieben.<br />

Pöppel spricht von einem Horizont der Gleichzeitigkeit , der unterschiedlich weit reicht je<br />

nachdem, über welche Sinnesmodalitäten wahrgenommen wird. Bis zu einer Entfernung von<br />

12 Metern hinkt die visuelle Raumerfassung der akustischen um den Bruchteil einer Sekunde<br />

hinterher, über dieser Entfernung ist die visuelle früher (Pöppel 2000, 39). Das bedeutet , so<br />

Pöppel, das zwischen der akustischen und der visuellen Repräsentation der Welt in unserem<br />

Gehirn dauernd ein Wechselgespräch darüber stattfindet, wo wir etwas gehört haben (ebd,<br />

40). Übertragen in die Sprache Husserls könnte man sagen, bei diesem neurophysiologischen


- 33 -<br />

Phänomen handelt sich um eine doppelte Appräsentation , zwei Gegenwarten treffen<br />

aufeinander.<br />

Bemerkenswert für das Zusammenwirken akustischer und optischer Sinnesempfindungen ist<br />

weiters das Problem, vor dem Toningenieure stehen, wenn sie eine Tonbandaufnahme eines<br />

Solisten-Konzertes machen. Es würde einen Unterschied machen, ob man einen Solo-Geiger<br />

im Konzert erlebt, ihn dort nicht nur hört, sondern auch sieht oder ob das Konzert im Radio<br />

oder auf Tonträger angehört wird. Trotz identischer physikalischer Akustik erscheint der<br />

Solist einem Radio-Zuhörer leiser als einem Besucher im Konzertsaal, der den Solisten auch<br />

sieht. Um dem Charakter der Aufführung gerecht zu werden, muss aus diesem Grund der<br />

Solist für die Tonbandaufnahme technisch verstärkt werden.<br />

Einige Bemerkungen zum Terminus Repräsentation als phänomenale Kategorie: Das aus<br />

drei lateinischen Silben zusammengesetzte Wort wurde schon in der lateinischen<br />

Umgangssprache gebraucht, repraesentare wird im lateinischen Schulwörterbuch übersetzt<br />

mit vergegenwärtigen, vorführen, darstellen. Die Bestandteile des Begriffes sind die Vorsilbe<br />

re- sowie zwei weitere Silben, die zusammen selber ein gängiges Lehnwort bilden können<br />

( Präsentation ). In dem kurzen Präfix re- steckt viel für die Phänomenologie. Die am<br />

besten entsprechende deutsche Übersetzung ist wohl (zu-)rück und wieder . Durch diese<br />

Silbe wird der Fall einer Wiederholung oder Rückkehr in das gesamte Wort gebracht, und das<br />

was sich in irgendeiner Weise nochmals ereignet oder woraufhin sich etwas wieder bezieht,<br />

folgt im angehängten Wortteil. Diese Vorsilbe re- zeugt von zwei Husserlschen<br />

Urphänomenen: Sukzession und Koexistenz (1993, 70). Sukzession ist nach Husserl die<br />

zeitliche Verkettung von Gegenwart zu Gegenwart als eine ordnende Leistung des<br />

Bewusstseins. Bei einer Koexistenz ist die Anordnung nicht eine zeitliche Folge, sondern eine<br />

Reihenverkettung der verschiedenen Elemente zugleich (z.B. Rechts-links-Ordnung oder<br />

Oben-unten-Ordnung). Etwas existiert zusammen mit anderem in einem gemeinsamen Feld,<br />

was sich wiederholt, ist zumindest das Vorhandensein in diesem Feld, zum Etwas gesellt sich<br />

ein Noch-etwas. Die Silbe re- sagt also aus, dass eine Wiederholung des einen im anderen<br />

geschehen sein muss; die Einmaligkeit verdoppelt sich zur Nochmaligkeit. Bernhard<br />

Waldenfels (1993, 271) im Nachwort zu seinen ausgewählten Schriften Edmund Husserls:<br />

Wirklich ist nur das, worauf ich in der Erfahrung immer wieder zurückkommen kann .<br />

Im Wortstamm steckt das Vokabel präsentia , das mit Gegenwart übersetzt werden kann.<br />

Damit wird begrifflich alles erfasst, was in irgendeiner Weise zugegen sein kann. Der<br />

vollständige Terminus Repräsentation kann etwas plump mit Wiedervergegenwärtigung<br />

oder nochmalige Gegenwart umschrieben werden.


- 34 -<br />

In die Kategorie der Repräsentation fällt auch das, was Husserl eidetische 19 Variation nennt.<br />

Durch die gemeinsame Gegenwart des Verschiedenen, durch die Variation der Eigenschaften<br />

schält sich das heraus, was durch die wechselnden Aspekte hindurch dasselbe bleibt: das<br />

Konstante in der Veränderung. Das Zufällige scheidet aus. So unterschiedlich die einzelnen<br />

Fälle auch sind, dass Wesentliche bleibt immer präsent. Das Gesicht eines Menschen ändert<br />

sich durch das natürliche Altern und durch andere Einflüsse wie Wind, Wetter und Sonne,<br />

etc., es bleibt aber derselbe Mensch, die selbe Person.<br />

Deutlichkeit durch Repräsentation ist nicht nur relevant für den Prozess des eigenen<br />

Wahrnehmens, sondern auch für das Wahrnehmbar-Machen für andere, also für die<br />

Kommunikation. Auch hier wirkt die Wiederholung und Nochmaligkeit für die Klarheit in der<br />

Mitteilung. Eine kommunikative Darstellung wirkt eindeutiger und weniger missverständlich,<br />

wenn mehrere Aspekte gesehen werden können. Es ist wichtig für die Kommunikation, dass<br />

das Gemeinte von anderen möglichst unverzerrt erkannt und verstanden wird. Ein<br />

repräsentatives Beispiel dazu wäre etwa das Bemühen, jemanden den Begriff Wendeltreppe<br />

mit Wörtern zu erklären (ein beliebter Party-Gag). Trotz der verbalen Beschreibung ist das<br />

Bedürfnis schwer zu unterdrücken, mit einer gestischen Handbewegung das Geschilderte<br />

zusätzlich zu verdeutlichen.<br />

Repräsentationen von Gegenständen und Handlungen werden in der Entwicklung des Kindes<br />

bereits früh beobachtbar, nämlich wenn ein Kind etwas nachahmt. Eine Darstellungsabsicht<br />

lässt sich schon im ersten Lebensjahr erkennen. Der Entwicklungspsychologe Jean Piaget<br />

beschreibt den Fall eines Mädchens, das das Öffnen und Schließen einer Streichholzschachtel<br />

beobachtet. Als es will, das sich die Schachtel wieder öffnen soll, öffnet und schließt es<br />

seinen Mund (in Montada 1987, 418). Wem ist es nicht passiert, dass beim Füttern eines<br />

kleinen Kindes der eigene Mund mit aufgeht.<br />

Repräsentation umfasst alles, was nur irgendwie, irgendwann und irgendwo gegenwärtig sein<br />

kann: überall wo es Aspekte gibt. Dieses Gegenwärtig-Sein ist nur erkennbar in einem<br />

gemeinsamen Gegenwärtig-Sein, es ist mehr als einmalige Gegenwart.<br />

Der amerikanische Psychiater Irvin Yalom unternahm ein bemerkenswertes Therapie-<br />

Experiment. Mit einer Patientin, die er über längere Zeit psychotherapeutisch behandelte, traf<br />

er das Übereinkommen, dass nach den einzelnen Therapiesitzungen nicht nur er als Therapeut<br />

schriftliche Aufzeichnungen mache, sondern auch seine (literarisch begabte) Patientin. Die<br />

unabhängig voneinander gemachten Dokumentationen wurden dann (später in Buchform)<br />

19<br />

altgr. eídos = Äußeres, Aussehen; im weiteren idéa = Aussehen, Urbild, Idee. Etymologisch verwandt ist<br />

lat. videre = sehen; und auch das deutsche Wort wissen .


- 35 -<br />

gemeinsam präsentiert. Man liest abwechselnd die jeweiligen Aufzeichnungen, sogar das<br />

Vorwort und das Nachwort und ein Nachwort für eine Neuauflage 27 Jahre später wurden in<br />

dieser Weise unabhängig voneinander verfasst und gemeinsam veröffentlicht (Yalom u. Elkin<br />

2002). Als Leser des Buches kann man sich wundern, wie stark die Unterschiede zwischen<br />

den Sichtweisen des Therapeuten und seiner Patientin sein können. Aber noch erstaunlicher<br />

ist die Deutlichkeit, in der das eigentlich Bewegende hervortritt.<br />

4.2 Illusion<br />

Das Streben nach Eindeutigkeit kann für Täuschungen anfällig machen. Erinnert sei an den<br />

Hinweis Husserls (1993, 61), dass Evidenz als Erlebnis von Wahrheit nicht ohne weiteres<br />

als adäquate Wahrnehmung der Wahrheit gedeutet werden kann (siehe Abschnitt 3.10). Bei<br />

einer Illusion ist die Eindeutigkeit trügerisch, d.h. der Gesamteindruck beinhaltet nicht andere<br />

Aspekte, wie dies bei der Repräsentation der Fall wäre. Die Illusion besteht darin, dass der<br />

gegenwärtige Schein mit dem eigentlichen Sein verwechselt wird. Die Einheitlichkeit eines<br />

Aspektes ist nicht gleichzusetzen mit Eindeutigkeit in der Wahrnehmung. Bei einer Illusion<br />

stellt sich vorschnell Evidenz ein, aber es ist eine falsche Gewissheit. Durch den setzenden<br />

Akt des Urteils (Husserl) wird das Ende des Wahrnehmungsprozesses markiert. Doch wie<br />

weiß ich, ob ein Urteil nicht ein Vorurteil ist, dem man sich in einer phänomenologischen<br />

Analyse enthalten möchte? Vom Schlaf weiß man nur durch Aufwachen , sagt Husserl, also<br />

durch eine Desillusionierung, eine Enttäuschung.<br />

Genauere Analyse zeigt, dass sich jede Wahrnehmung und jeder Wahrnehmungszusammenhang aus<br />

Komponenten aufbaut, die unter diesen beiden Gesichtspunkten | Intention und (wirkliche oder<br />

mögliche) Erfüllung zu verstehen sind; eine Sachlage, die sich auf parallele Akte der Phantasie, der<br />

Bildlichkeit überhaupt, ohne weiteres überträgt.<br />

( )<br />

Nach unserer Auffassung ist jede Wahrnehmung und Imagination ein Gewebe von Partialintentionen,<br />

verschmolzen zur Einheit einer Gesamtintention.<br />

( )<br />

In der weiteren Sphäre der Akte, welche überhaupt Unterschiede der Intention und Erfüllung zulassen,<br />

reiht sich der Erfüllung, als ihr ausschließender Gegensatz, die Enttäuschung an. Der zumeist negative<br />

Ausdruck, , meint keine bloße Privation der Erfüllung, sondern ein neues deskriptives Faktum, eine<br />

so eigenartige Form der Synthesis, wie die Erfüllung. Die Synthesis der Erkenntnis war Bewusstsein<br />

einer gewissen ´Übereinstimmung´. Der Übereinstimmung entspricht aber als korrelate Möglichkeit die<br />

´Nichtübereinstimmung´, der ´Widerstreit´. Die Anschauung ´stimmt´ zur Bedeutungssintention nicht,<br />

sie ´streitet´ mit ihr (Husserl 1993, 55-56).


- 36 -<br />

Viktor Frankl tritt gegen eine verkürzte Sichtweise des Menschen auf, die von Teilaspekten<br />

auf den gesamten Menschen schließt. Seine Ausführungen dazu eignen sich gut, das Problem<br />

einer Illusion allgemeinen darzustellen. Er verweist auf die Gefahr einer Verzerrung des<br />

Menschenbildes in der Medizin oder Psychotherapie, wenn man nur einzelne Aspekte sieht<br />

und behandelt (z.B. Konflikte mit Trieben), ohne andere Dimensionen des Menschseins zu<br />

beachten. In diesem Zusammenhang spricht er von Reduktionismus, im Besonderen vom<br />

Psychologismus.<br />

Nun, ich möchte den Menschen definieren als Einheit trotz Mannigfaltigkeit. Denn es gibt eine<br />

anthropologische Einheit trotz der ontologischen Differenzen, trotz der Differenzen zwischen den<br />

unterschiedlichen Seinsarten. Die Signatur der menschlichen Existenz ist die Koexistenz zwischen der<br />

anthropologischen Einheit und den ontologischen Differenzen, zwischen der einheitlichen<br />

menschlichen Seinsweise und den unterschiedlichen Seinsarten, an denen sie teilhat<br />

(Frankl 1991, 143)<br />

Frankl wählt einen Vergleich aus der Geometrie, um dieses Problem zu veranschaulichen<br />

( Dimensialontologie ):<br />

Ein und dasselbe Ding, aus seiner Dimension heraus in verschiedene Dimensionen hinein projiziert,<br />

die niedriger sind als seine eigene, bildet sich auf eine Art und Weise ab, dass die Abbildungen einander<br />

widersprechen. Projiziere ich beispielsweise das Trinkglas da, geometrisch ein Zylinder, aus dem<br />

dreidimensionalen Raum heraus in die zweidimensionalen Ebenen des Grund- und Seitenrisses hinein,<br />

dann ergibt dies in einem Falle einen Kreis, im anderen jedoch ein Rechteck (das erste Gesetz der<br />

Dimensionalontolgie - ebd., 144).<br />

Abb.2<br />

Anmerkung: Frankl verwendet die Metaphorik aus der<br />

Euklidischen Geometrie an mehreren Stellen. Diese und die<br />

folgende Abbildung sind nach dem Original in Frankls Buch<br />

der Wille zum Sinn (1991) gefertigt, Abb.2. bezieht sich<br />

dabei auf Seite 143 und Abb. 3 auf Seite 144.


- 37 -<br />

Abb.3<br />

Das zweite Gesetz der Dimensionalontologie lautet: (Nicht ein und dassselbe, sondern) verschiedene<br />

Dinge, aus ihrer Dimension heraus (nicht in verschiedene Dimensionen, sondern) in ein und dieselbe<br />

Dimension hineinprojiziert, die niedriger ist als ihre eigene, bilden sich auf eine Art und Weise ab, dass<br />

Abbildungen (nicht einander widersprechen, sondern) mehrdeutig sind (ebd).<br />

In der eindimensionalen Betrachtung besteht die Täuschung darin, dass sie das<br />

Wahrgenommene in einer Bedeutung erkennt, die dem Ganzen nicht entspricht. Ein Aspekt<br />

wird nicht als einer unter mehreren Aspekten gesehen, eine mögliche Bedeutung wird für die<br />

einzig mögliche gehalten. Die Illusion besteht aus zwei prinzipiellen Täuschungen: erstens<br />

dass nun gerade ein Aspekt genau eine Bedeutung determiniert und eine eventuell andere<br />

Bedeutung gar nicht in Betracht kommt. Die zweite Art der Täuschung ignoriert neben dem<br />

einen Aspekt mögliche andere Aspekte, welche die Gesamtbedeutung verändern könnten<br />

(unbeabsichtigt oder durch mehr oder weniger bewusstes Ausblenden). Der wahrgenommene<br />

Aspekt an sich kann nicht die Täuschung sein, ebenso wenig kann die erkannte Bedeutung an<br />

sich falsch sein, die Illusion ergibt sich alleine aus dem speziellen Zusammenspiel eines<br />

verabsolutierten Aspektes mit einer einzigen Bedeutung.<br />

Der Begriff Illusion 20 entlehnt sich aus dem Lateinischen und kann synonym mit<br />

Täuschung verwendet werden, als hypothetisches Konstrukt in meinem Modell gefällt mir<br />

das Fremdwort besser, weil Täuschung umgangssprachlich eher ein negative Absicht oder<br />

Inkompetenz konnotiert als Illusion .<br />

Die Formel der Illusion als phänomenale Kategorie:<br />

Beruht Eindeutigkeit auf einem einzelnen Aspekt oder von anderen losgelösten<br />

(verabsolutierten) Aspekten, liegt eine Illusion vor.<br />

20<br />

lat. illudere (beinhaltet ludus = Spiel) kann übersetz werden mit: sein spiel treiben, übel mitspielen,<br />

täuschen, betrüben, verspotten


- 38 -<br />

Über die Illusion findet sich bei Merleau-Ponty (1966, 41):<br />

Gerade dadurch täuscht uns die Illusion, dass sie sich für echte Wahrnehmung ausgibt, deren<br />

Bedeutung dem Sinnlichen selbst entspring und nirgendwo anders. Sie ahmt jene Erfahrungsart nach,<br />

dis sich auszeichnet durch die Deckung von Sinn und Sinnlichem, durch die im Sinnlichen sichtbare<br />

oder sich bekundende Artikulation des Sinnes .<br />

Merleau-Ponty stellt den sinnlichen Aspekt einer Illusion heraus (ebd., 56). Wir können uns<br />

täuschen, wenn wir das Sinnliche für das Sinnvolle halten. Die Sinnlichkeit kann uns dazu<br />

verführen, sie kann uns zum vorschnellen Urteilen verleiten. In der Konsumwelt dient die<br />

Werbung schon lange nicht mehr dazu, über Produkte aufzuklären, sondern sie gefällig zu<br />

machen. Der rationale Teil kommt oft erst nach der Entscheidung zum Kauf. Damit wir<br />

trotzdem bei Laune bleiben, gibt es immer noch die kognitive Dissonanzreduktion<br />

(Festinger), also das bewusste Ausblenden anderer Aspekte. Die Dynamik des Sinnlichen ist<br />

relevant bei allen Suchterkrankungen, auch bei den nicht an Substanzen gebundenen Süchten.<br />

Die sinnliche Gefälligkeit beeinflusst unsere Entscheidungen und Beurteilungen. Ergebnisse<br />

der experimentelle Wahrnehmungspsychologie zeigen, dass die Leichtigkeit der perzeptuellen<br />

Verarbeitung und Erkennbarkeit (perzeptuelle fluency) an sich schon als belohnend erlebt<br />

wird und mit einem Gefallensurteil einher geht (Kersten 2005).<br />

Weder das sinnliche Empfinden an sich noch die sinnigen Gedanken alleine führen zur<br />

Erfahrung von Evidenz, zum Erkennen von Bedeutung und Sinn. Gedanklich Konzepte und<br />

Ideen können unsere Wahrnehmungsfähigkeit zwar voranbringen (antizipierende Schemata),<br />

aber auch den Blick verstellen. Auch hier besteht die Gefahr einer Täuschung: auf Grundlage<br />

einer bewussten oder unbewussten gedanklichen Konstruktion oder Manipulation werden<br />

Aspekte überbewertet oder übersehen, und das kann sich auf mein Gesamturteil auswirken.<br />

So wird aus einem Konstatieren von Eindrücken eine persönliche Interpretation oftmals<br />

ohne es zu merken. Auf die Problematik des Interpretierens im Zusammenhang mit der<br />

Phänomenologie werde ich später noch näher eingehen.<br />

In der Illusion ist ein Aspekt aus dem Ganzen herausgelöst, es wird mit ihm gespielt (lat.<br />

ludere ) und manipuliert. Bei einer Illusion geht es um eine Bedeutung durch einen<br />

einzelnen Aspekt. Wenn sich aber weitere mögliche Bedeutungen ergeben, dann hat der<br />

Wahrnehmende (und insbesondere auch der sich Wahrnehmende) mit einem herausgeslösten<br />

Aspekt ein Symbol zur Hand. Damit sind wir bei der nächsten Kategorie.


- 39 -<br />

4.3 Symbol<br />

Dieses aus dem Altgriechen abgeleitete Wort gliedert sich in eine Vorsilbe, die sich aus dem<br />

als Präposition oder Adverb verwendeten sýn ableitet und (zusammen) mit bedeutet.<br />

Den Wortstamm bildet das Verb bállein , das meist mit werfen 21 und treffen übersetzt<br />

wird. Bei einem Symbol geht es der ursprünglichen Wortbedeutung nach um das<br />

Zusammenwerfen oder Zusammentreffen, und in diesem Sinne gebrauchten es bereits die<br />

alten Griechen als Verb. Ein sýnbolon war ein Erkennungszeichen zwischen Freunden oder<br />

Vertragpartnern zur späteren Wiedererkennung. Man zerbrach einen Ring oder ähnliches und<br />

vergab die Bruchstücke. Bei einem späteren Treffen fügte man die Teile zusammen, damit<br />

sich zeigen konnte, ob sie vom selben Ganzen stammten oder nicht (Kluge 1989).<br />

Ein Symbol kann zu einem Zeichen werden, aber diese beiden Begriffe sind nicht synonym<br />

und gegenseitig austauschbar, wie es umgangssprachlich häufig geschieht (und teilweise auch<br />

möglich ist). Wie oben skizziert zeigt schon die Etymologie, dass ein Symbol ein besonderes<br />

Zeichen ist.<br />

Fellmann (2006, 50) weist darauf hin, dass Husserls fundamentale Differenzierung der<br />

sprachlichen Zeichen nach Anzeichen und Ausdrücken ihn zum Referenzautor<br />

sprachphilosophischer und semiotischer Untersuchungen gemacht hat. Nach Husserl sind<br />

Anzeichen durch ein Ereignis kausal erklärbar (wie beispielsweise Fußspuren), dagegen sind<br />

Ausdrücke ideale Gebilde, deren Bedeutung nicht mit dem Gegenstand zusammen fällt (ebd.).<br />

Ferdinand de Saussure, ein Vertreter der Semiotik, der Lehre von den Zeichen, definiert<br />

Zeichen als Verbindung eines Signifikanten und eines Signifikats (also dem Bezeichnendem<br />

und dem Bezeichnetem). Die Beziehung zwischen diesen beiden ist willkürlich (arbiträr 22 ).<br />

Die Bedeutung eines Zeichens besteht nicht an sich, sondern ist durch das Bezugssystem der<br />

Sprache festgelegt (Kunzmann et al. 2003, 239)). Roland Barthes (1983, 33) vermerkt, dass<br />

Saussure den Begriff Symbol ausgeschieden hat, weil dieser eine Vorstellung von Motivation<br />

enthält. Im Gegensatz dazu ist ein Zeichen unmotiviert 23 .<br />

Später setzt sich Jacques Derrida mit der Schriftsprache auseinander und merkt an, dass ein<br />

lineares Ablaufschema (Anm.: also eine Zeichenfolge wie im Sprechen oder in unserer<br />

geläufigen Schrift) die Mehrdimensionalität eines Symbols verdrängen kann. Diese<br />

Mehrdimensionalität blockiert aber nicht die Simultaneität (Anm.: also das gleichzeitige<br />

21 die Semantik des Wortstammes hat eine Entsprechung im Lateinischen und in dessen gebräuchlichen<br />

Derivaten des Fremdwortschatzes: iacere in z.B Subjekt , Objekt oder Projekt . Aber auch im Deutschen<br />

zeigt sich seine metaphorische Kraft: z.B. Entwurf oder verwerfen .<br />

22<br />

von lat. arbitrari : ermessen, annehmen<br />

23 Barthes räumt ein, dass es sich häufig um eine partielle Unmotiviertheit handelt, im Fall der Onomatopoesis<br />

(Lautmalerei) besteht zwischen Signifikat und Signifikant eine gewisse Motivation.


- 40 -<br />

Vorhandensein anderer Symbole). Die mehrdimensionale symbolische Struktur stellt sich<br />

nicht in der Kategorie der Simultaneität dar, die ein linearistischer Begriff bleibt (Derrida<br />

1983, 152). 24 Anschaulich wird dieses Problems der Linearität auch durch die Abbildung aus<br />

Rudolf Arnheim´s Buch Kunst und Sehen (siehe Abb. auf S32): hier entsteht Linearität<br />

durch die Abfolge von Einzelbildern, die durch eine Art Erzählstrang miteinander<br />

verbunden sind. Ohne diese narrative Verknüpfung hat das Einzelbild eine andere Bedeutung.<br />

Der französische Phänomenologe Paul Ric ur spricht von einer semantischen Innovation,<br />

wenn durch die Verletzung der etablierten semantischen Ordnung eine neue Bedeutung<br />

entsteht, wie dies bei der Metapher, dem Etwas-als-etwas-anderes-Sehen passiert (vgl.<br />

Mattern 1996, 140).<br />

Ein zentraler Begriff bei Merleau-Ponty ist die Zweideutigkeit (ambiguité), die<br />

Zweideutigkeit ist der Menschlichen Existenz wesentlich alles, was wir erleben oder<br />

denken, hat stets einen mehrfachen Sinn. ( ) So herrscht in der Menschlichen Existenz ein<br />

Unbestimmbarkeitsprinzip, und diese Unbestimmbarkeit ist nicht allein eine solche für uns<br />

und entstammt nicht irgendeiner Unvollkommenheit unserer Erkenntnis (Merleau-Ponty,<br />

1966, 202).<br />

Der Psychologe Jean Piaget (1991, 56) definiert Symbole als Signifikatoren, die von ihren<br />

Signifikaten unterschieden werden, aber ein gewisses Maß an Änlichkeit mit ihnen bewahrt<br />

haben . Hingegen sind Zeichen<br />

Signifikatoren, die ebenfalls von ihren Signifikaten<br />

unterschieden werden, aber auf Übereinkunft beruhen und deshalb mehr oder weniger<br />

´willkürlich´ sind. Das Zeichen ist stets sozial, während das Symbol rein individuellen<br />

Ursprungs sein kann (ebd.). Den Begriff Anzeichen verwendet Piaget für Signifikatoren,<br />

die von ihren Signifikaten nicht unterschieden werden, da sie ein Teil oder ursächliches<br />

Ergebnis von ihnen sind. Zeichen beschränkt er auf sprachliche oder andere konventionelle<br />

Symbole, das Wort Symbol auf einen ichbeteiligten Signifikator (Piaget u. Inhelder 1990,<br />

518). Die Arbeiten Piagets befassen sich hauptsächlich mit der Entwicklung der kognitiven<br />

Funktionen. Für ihn kann das Denken nur aus seiner Entstehung und Entwicklung heraus<br />

erklärt werden. Erkenntnis ist für Piaget ständig verknüpft mit einer aktiven<br />

Auseinandersetzung des Subjekts mit der Umwelt, sie resultiert weder durch schlichtes<br />

Abbilden externer Objekte noch durch bloße Entfaltung präformierter Strukturen. Im weiteren<br />

Sinne des Denkens setzt jede Erkenntnis die Anwendung einer symbolischen Funktion<br />

voraus, die er später semiotische Funktion nannte. Denn die semiotische Funktion deckt<br />

24 Diese Gegenüberstellung trifft gut das Verhältnis von Repräsentation (hier ist die zeitliche und/oder räumliche<br />

Linie durch das Präfix bezeichnet; die Zeit ergibt sich aus der wiederholten Präsenz, der Raum aus dem<br />

mehrfachen Ort) und Symbol als phänomenale Kategorien.


- 41 -<br />

gleichzeitig die Zeichen ab, die willkürlich und gesellschaftlich sind, und die Symbole ,<br />

die motiviert und ebenso individuell wie gesellschaftlich sind (Piaget u. Inhelder 1990, 497).<br />

Die semiotische Funktion muss durch ein System von bildhaften Symbolen ergänzt werden,<br />

weil das kollektive Zeichensystem oder die Sprache nicht ausreicht, alle Dienste zu leisten.<br />

Hier sieht Piaget zwei wesentliche Gründe. Erstens: Zeichen sind immer gesellschaftlich,<br />

jedoch gibt es eine große Anzahl von individuellen Erfahrungen, für die die sprachlichen<br />

Zeichen zu abstrakt sind. Er war selber verblüfft, als er dies einmal bei seinen Studenten<br />

erprobte und folgerte:<br />

Begriffen, die von einem Individuum zum anderen völlig gleich sind, und einem streng<br />

vereinheitlichten Vokabular entsprachen unzählige individuelle Bilder, die für jeden etwas<br />

konkretisierten, das auszudrücken man a priori für unnötig hätte halten können [ ]. (ebd., 498).<br />

Der zweite Grund ist all das, was die Sprache nicht zu beschreiben vermag:<br />

das Gebiet all dessen nämlich, was gerade eben wahrgenommen wird, und besonders alles dessen, was<br />

in der äußeren Umgebung oder an den eigenen Handlungen wahrgenommen worden ist, und das es<br />

nicht zu verlieren gilt. [ ]. Man muss also, wenn man das Wahrgenommene durch das Denken<br />

evozieren will, das System der verbalen Zeichen durch ein System von bildhaften Symbolen<br />

verdoppeln, da man ohne semiotische Werkzeuge nicht denken kann: das Bild ist ein Symbol, weil es<br />

das notwendige semiotische Instrument darstellt, um das wahrgenommene zu evozieren und zu denken<br />

(ebd.).<br />

In der Geschichte der Psychotherapie spielt der Symbolbegriff von Anfang an eine wichtige<br />

Rolle. Sigmund Freud, die prägende Persönlichkeit und Wegbereiter der<br />

tiefenpsychologischen Schulen, ging davon aus, dass sich unbewusste Regungen durch<br />

Symbole äußern können. Besonders der Traum bedient sich der Symbolik zur verkleideten<br />

Darstellung seiner latenten Gedanken (Freud 2000 (1900), 347). Man möge nach Freud der<br />

eigentümlichen Plastizität des psychischen Materials eingedenk bleiben , um berücksichtigen<br />

zu können, dass sich ein Träumer das Recht schaffen kann, alles mögliche als (Sexual-)<br />

Symbol zu verwenden, was nicht allgemein so verwendet wird. Er betont aber auch, dass ein<br />

Symbol im Trauminhalt nicht symbolisch, sondern in seinem eigentlichen Sinne zu deuten<br />

sein kann (ebd.). Die Symbolik ist für Freud nicht eine Eigenheit des Traumes, sondern gehört<br />

allgemein dem unbewussten Vorstellen an, sie findet sich auch in den Mythen, Sagen und<br />

Redensarten und in den umlaufenden Witzen (ebd., 347). In seinem Bemühen, eine<br />

wissenschaftliche Methode des Deutens von Träumen zu erarbeiten, kritisiert er eine<br />

Symboldeutung durch Intuition, die durch zeitgenössische Kollegen praktiziert worden ist.


- 42 -<br />

Die Begabung, die Symbole unmittelbar zu verstehen zu können, ist nicht allgemein<br />

vorauszusetzen (ebd., 345). An anderer Stelle erwähnt Freud eine populäre Methode der<br />

Traumdeutung, die er als Chiffriermethode bezeichnet. Sie behandelt den Traum als eine<br />

Art Geheimschrift, in der jedes Zeichen nach einem feststehenden Schlüssel in ein anderes<br />

Zeichen von bekannter Bedeutung übersetzt wird (ebd., 118). Freud hält auch diese Methode<br />

der Traumdeutung als unwissenschaftlich: Bei der Chiffriermethode käme alles darauf an,<br />

dass der ´Schlüssel´ ( ) verlässlich wäre, und dafür fehlen alle Garantien (ebd., 120).<br />

Peters (1990, 517) merkt an, dass die Zahl der von Psychoanalyse entdeckten symbolisierten<br />

Inhalte relativ klein ist (Körper, vor allem Sexualorgane, Sexualhandlungen, Nacktheit,<br />

Eltern, Verwandte, Geburt, Tod), jedoch ist der Katalog der dafür zur Verwendung<br />

kommenden Symbole sehr groß. Auch Symptome (Konversionssymptome) oder Handlungen<br />

(Symbolhandlungen) können den Charakter von Symbolen haben, wobei die Bedeutung des<br />

Symbols dem Bewusstsein verschlossen ist, also unbewusst oder verdrängt (ebd.). Die<br />

Psychoanalyse schließt sich nach Peters der Tradition an, die mit dem Symbolbegriff eher die<br />

Allegorie 25 meint. Die Unterscheidung zwischen Symbol und Allegorie soll erstmals von<br />

Goethe (in Maximen und Reflexionen ) vorgenommen worden sein: eine Allegorie ist<br />

danach die bildliche Darstellung eines abstrakten Begriffs, ein Symbol ist darüber hinaus die<br />

lebendig augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen. Somit ist das Symbol zugleich<br />

Zeichen und Offenbarung, es ist nicht nur Zeichen für das Symbolisierte, sondern ist zugleich<br />

das Symbolisierte selbst (ebd.).<br />

Bei C.G. Jung spielt der Begriff Symbol eine zentrale Rolle, er bezeichnet ein psychisches<br />

Phänomen. Ein Symbol kann die Libido äquivalent ausdrücken und eben dadurch in eine<br />

andere Form als die ursprüngliche überführen. So nennt Jung das Symbol auch<br />

Libidogleichnis , für ihn sind Symbole die eigentlichen Energietransformatoren des<br />

psychischen Geschehens (Jakobi 1994, 97). Das Symbol hat einen Archetypus, einen<br />

unanschaulichen, aber energiegeladenen Bedeutungskern in sich. Der Inhalt eines Symbols<br />

lässt sich niemals rational voll ausdrücken, ein Symbol kann nie restlos gedeutet werden<br />

(ebd.). Etwas als Symbol zu erkennen braucht die Gabe, ein Objekt (z.B. einen Baum), nicht<br />

bloß in seiner konkreten Erscheinung, sondern als Sinnbild von etwas mehr oder minder<br />

Unbekanntem anzusehen (z.B. den Baum als Symbol eines Menschenlebens). Das hat<br />

Relevanz für die Analyse. Jungs Schülerin Jolande Jakobi betont in ihrer Einführung in das<br />

Gesamtwerk der Jungschen Psychologie: Erst Jungs Auffassung der Symbole für das<br />

zugleich nach rückwärts und vorwärts gerichtet ´Gesicht´ allen psychischen Geschehens, für<br />

die Paradoxie seines ´sowohl als auch´, ermöglichte eine analytische Arbeit an der Psyche, die<br />

25<br />

altgr. allegoréo anders, d.h. bildlich reden ( allos = anders, verschieden; agoreúo = öffentlich reden)


- 43 -<br />

nicht nur wie bei Freud auf eine Behebung ihrer Stauungen und Stockungen ausgeht und<br />

nicht nur auf ihre Normalisierung, sondern durch die bewusste Förderung der Symbolbildung<br />

und deren Sinnerschließung der Psyche mit Wachstumskeimen zu bereichern und ihr damit<br />

diejenige Kraftquelle zu eröffnen bestrebt ist, die sich für die zukünftige Lebensgestaltung des<br />

Patienten als schöpferisch erweisen kann (Jakobi 1994, 104). In Jungscher Tradition sieht die<br />

Psychologin Verena Kast Symbole als Wegmarken des Individuationsprozess , im<br />

therapeutischen Prozess sind sie Brennpunkte unserer menschlichen Entwicklung , denn sie<br />

bestehen aus etwas sinnenhaft Fassbaren, sie verweisen aber auch auf etwas Hintergründiges.<br />

Symbole haben einen Bedeutungsüberschuss in der jeweiligen Situation , dieser bewirkt,<br />

dass das Symbol Hoffnungen in uns weckt und Erwartungen am Leben hält (Kast 2000).<br />

Für den französische Psychoanalytiker Jacques Lacan (1901-1981) ist das Werden und Sein<br />

des Menschen fundamental mit einem symbolischen Universum verbunden (Pagel 1991,<br />

44). Die Voraussetzung für die Symbolbildung ist eine Neutralisierung des Zeichens<br />

(Signifikanten) in seiner Beziehung zur bezeichneten Sache (Signifikat). Das Symbol löst sich<br />

aus der Verkettung mit der bezeichneten Dinglichkeit und kann doppel- und mehrdeutig<br />

werden (ebd.). Gerda Pagel streicht in ihrer Einführung zu Lacan heraus, dass für Lacan der<br />

Signifikant über dem Signifikat in einer Vorrangstellung steht im Gegensatz zu Saussure,<br />

bei dem der Signifikat über dem Signifikanten steht. Diese Gegenpositionen zeigen das<br />

Problem des Symbols als phänomenale Kategorie für die Phänomenologie, insbesondere für<br />

die Praxis der phänomenologischen Offenheit: ist das Bedeutsam-Sein eines Symbols ein Akt<br />

oder entzieht es sich der bewussten oder unbewussten, aber willentlichen Kontrolle und ist<br />

demnach ein Ereignis, geht es also um Sinngebung oder Sinnfindung? Pagel unterstreicht,<br />

dass für Lacan die Funktion des Signifikanten nicht darin besteht, das Signifikat zu<br />

repräsentieren. Er will zeigen, dass gerade das relativ Bedeutungslose das eigentlich Effektive<br />

sein kann: das, was das Subjekt sprechend macht und nicht das, was es sprachlich intendiert<br />

(ebd., 45). Nach Lacan kann das Unbewusste nur dialogisch erfahren werden, nicht aber in<br />

der Einsamkeit der Reflexion interpretativ erfasst werden ( ) (ebd., 52).<br />

Viktor Frankl sieht im Symbol die Möglichkeit, das Unfassbare irgendwie fasslich zu<br />

machen. Er beschreibt ein ihm Menschen tief verankertes symbolisches Bedürfnis .<br />

Symbolische Gesten seien von einem rationalistischen, utilitaristischen Standpunkt aus<br />

durchwegs sinnlos, weil nutzlos und zwecklos doch: In Wirklichkeit sind sie nichts<br />

weniger als sinnlos; sie sind bloß nutzlos und zwecklos oder, besser gesagt. Bloß nutzlos zu<br />

einem Zweck (Frankl 1996, 238). Das symbolische Bedürfnis erwähnt Frankl im<br />

Zusammenhang mit einem metaphysischen Bedürfnis des Menschen.


- 44 -<br />

Das Gebet macht Gott gegenwärtig. Als Akt menschlichen Geistes ist es jedoch flüchtig; es ist eine<br />

momentane, instantane Zuwendung zu Gott. Aber so, wie ein Kristall selber Kristallisationspunkt wird,<br />

an dem sich immer neue Kristalle apponieren, so kristallisiert sich aus dem Akt des Betens das Symbol<br />

aus. Das Gebet vergeht das Symbol bleibt bestehen, und am Symbol kann sich der Akt der<br />

Präsentation Gottes immer wieder erneuern und verjüngern. Was das Gebet leistet, das ist die Intimität<br />

der Transzendenz; was das Symbol meistert, das ist die Vergänglichkeit der Vergegenwärtigung (ebd.,<br />

237).<br />

An anderer Stelle ( der unbewusste Gott<br />

Psychotherapie und Religion ) schreibt Frankl<br />

über die Konfrontation des Menschen im Alltag mit dem Un-wiß-baren :<br />

Geblendet vom Schein der Alltäglichkeit füllen sie das ´große schwarze Loch´ mit Symbolen. Der<br />

Mensch hat eben das Bedürfnis, ins Nichts, vor dem er steht, etwas ´hineinzusehen´ - oder besser gesagt<br />

jemanden. ( )<br />

Gott bleibt es nicht erspart, auf eine mehr oder weniger anthropomorphe Art und Weise symbolisiert zu<br />

werden (Frankl 1995, 92-93).<br />

Das Absolute wird nach Frankl nicht mit dem Symbol, sondern im Symbol erfasst (Frankl<br />

1996, 238). Der transzendente Gegenstand lässt sich durch den immanenten Inhalt des<br />

Symbols hindurch immer wieder aufs Neue transzendieren. Damit dieser immanente Inhalt<br />

durchlässig bleiben kann für den transzendenten Gegenstand, ist es notwendig, dass das<br />

Symbol niemals wörtlich und buchstäblich genommen wird (ebd., 237).<br />

Die Formel für Symbol als phänomenale Kategorie:<br />

Ergibt ein einzelner Aspekt (oder eine verabsolutierte Einheit von Aspekten)<br />

mehrere Bedeutungen (Mehrdeutigkeit), handelt es sich um ein Symbol<br />

4.4 Chaos<br />

Die letzte der vier phänomenalen Kategorien meiner Systematik ist das Chaos . Das gleich<br />

lautende altgriechische Wort bedeutet weiter Raum , insbesondere ist der leere,<br />

unermessliche Weltenraum gemeint 26 (Gemoll 1979). Laut Kluge (1998) gab es in der Antike<br />

zwei unterschiedliche Vorstellungen: zum einen wurde das Chaos als sich bildende gähnende<br />

26<br />

das dem altgr. cháos korrespondierende Verb chásko bzw. chaíno ab wird mit übersetzt mit klaffen ,<br />

sich öffnen ; damit etymologisch verwandt sind lat. hiare ( der Hiatus die Kluft), mittehlhochdeutsch<br />

ginen und das neuhochdeutsche gähnen (Gemoll 1954).


- 45 -<br />

Kluft zwischen Himmel und Erde gesehen, zum anderen als eine ursprünglich vorhandene<br />

formlose, ungeordnete Urmasse . So kommt in der antiken griechischen Mythologie das<br />

Chaos in unterschiedlicher Weise vor. Nach Ranke-Graves (2001, 27) gibt es<br />

Schöpfungsmythen, in denen zuerst die Dunkelheit war, und das Chaos entsprang der<br />

Dunkelheit. Aus der Paarung von Dunkelheit und Chaos entsprangen die Nacht, der Tag etc..<br />

Andere Mythen besagen, dass der Gott aller Dinge (oder die Natur) plötzlich im Chaos<br />

erschien und die Erde vom Himmel, das Wasser von der Erde etc. trennte und den so<br />

entwirrten Elementen die noch heute gültige Ordnung gab (ebd., 28).<br />

Das Wort Chaos ist in der Umgangssprache eher negativ besetzt, sofern nicht ein kreatives<br />

Chaos gemeint ist. Man denke an das Verkehrschaos oder die Bezeichnung Chaot . In der<br />

Mathematik und Physik gibt es die Chaosforschung , die sich mit Systemen, die<br />

deterministischen Gesetzen unterliegen, aber deren Verhalten nicht langfristig vorhersagbar<br />

ist, wie z.B. das Wetter oder Börsenkurse.<br />

Häufig werden Chaos und Ordnung als Begriffspaar gegenübergestellt; die Begriffe<br />

stehen in einem dialektischem oder auch funktionalen Verhältnis zueinander, wobei Chaos<br />

nicht bloß der Zerfall von Ordnung sein muss, sondern chaotische Situationen bei Übergängen<br />

von einem Ordnungszustand in einen Zustand höherer Ordnung vorübergehend auftreten<br />

(Cramer 1993, 84). Jürgen Kriz (1992, 19) zieht in seiner Darstellung der Chaostheorie das<br />

Gegensatzpaar Chaos und Struktur vor, da Ordnung als statisches, zeitloses Muster<br />

missverstanden werden könnte. Er unterscheidet zwischen reversiblen und irreversiblen<br />

Aspekten von Prozessen, erstere sind als periodische, zyklische Komponenten eines<br />

Geschehens ausschlaggebende für phänomenale Stabilität, letztere betonen die instabile,<br />

nichtperiodische, chaotische, geschichtliche Komponente eines Geschehens (ebd.). In jedem<br />

Geschehen lassen sich beide Komponenten ausmachen, Stabilität und Instabilität sind<br />

grundsätzlich verknüpft (ebd.).<br />

Ein Problem im Chaos ist die Vorhersagbarkeit und Berechenbarkeit. Anfänglich kleine<br />

Messfehler oder können zu dramatischen Fehleinschätzungen führen. Eine bemerkenswerte<br />

Beobachtung aus den Anfängen der Chaosforschung berichtet der Physiker Herrmann Haken,<br />

einer der Väter der Laser-Theorie: Um die Wettervorhersage zu verbessern, wurde ein dichtes<br />

Netz an meteorologischen Beobachtungsstationen über die Erde verteilt. Doch obwohl das<br />

Netz der Messstellen immer dichter wurde, die Wettervorhersage ist kaum besser geworden<br />

(Haken 2001, 128).<br />

Wenn wir nun das Chaos als phänomenale Kategorie betrachten wollen, stellt sich überhaupt<br />

einmal die Frage: Ist das Chaos etwas, das sich ereignet oder etwas, das man beobachtet, oder<br />

beides? Passiert Chaos objektiv oder subjektiv oder beides, ist es in der Außenwelt,


- 46 -<br />

unabhängig von einem Beobachter oder in der Innenwelt eines Beobachters? Wird ein Chaos<br />

wahrgenommen oder ist es in der Wahrnehmung?<br />

Situationen, die unübersichtlich, dynamisch, nur teilweise einsehbar und intransparent sind<br />

und in denen die einzelnen Gegebenheiten untereinander in Wechselwirkungen sind, kann<br />

man als komplex bezeichnen. Ist man mit Komplexität konfrontiert, stellt sich gerne ein<br />

Gefühl der Verwirrtheit, der Ratlosigkeit und Unzulänglichkeit ein. Bei der Komplexität<br />

könnte man annehmen, sie wäre eine objektive Eigenschaft eines Systems, dennoch ist sie<br />

eine subjektive Größe, wie der Psychologe Dietrich Dörner betont (1992, 61). Dörner<br />

untersucht das Verhalten und Erleben von Menschen in undurchschaubaren und<br />

unkalkulierbaren Situationen anhand von simulierten Szenarien mit vielen schwer<br />

vorhersehbaren Variablen (z.B. dem Regieren einer eines Entwicklungslandes) und wie sie<br />

damit fertig zu werden versuchen. Angesichts der Überforderung kann es zu dysfunktionalen,<br />

teilweise auch sehr destruktiven und gefährlichen Lösungsversuchen kommen, um die durch<br />

die Komplexität erlebte Verunsicherung zu bewältigen. Ein Kontrollverlust wird als<br />

Misserfolg erlebt und führt zu einer Geringschätzung der eigenen Kompetenz, zu Angst und<br />

Verstimmung. Die emotionale Einbettung der Reaktionen kann dazu führen, dass das Handeln<br />

nicht mehr an die situative Anforderung angepasst wird. So kommt es etwa zu<br />

Fluchttendenzen, wie einem thematischen Vagabundieren , in denen bei Widerstand auf ein<br />

anderes Thema gewechselt wird, das zwar nicht relevant, aber vertraut ist. Es kommt weiters<br />

zu einer sinkenden Entscheidungsbereitschaft, inadäquaten Zögern, Delegations- und<br />

Exkulpationstendenzen. Dörner beschreibt eine intellektuelle Notfallreaktion , wenn es zum<br />

Absinken des intellektuellen Niveaus kommt, das verbunden ist mit einer Zunahme der<br />

Risikobereitschaft und der Regelverstöße, mit Stereotypisierungen und einer Abnahme der<br />

Selbstreflexion, die ursprünglichen Ziele werden entkonkretisiert (Dörner 1981). Das<br />

Bestreben, schnell einen Überblick über die Situation zu erlangen führt zur Bildung von<br />

reduktiven Hypothesen. Die Hypothesen werden auch globaler, immer mehr Merkmale<br />

werden auf immer weniger Ursachen zurückgeführt, dabei wird tendenziell nicht nach<br />

Widerlegung, sondern nach Bestätigungen gesucht. Reduktive Hypothesen sind so attraktiv,<br />

weil sie mit einem Schlag Unsicherheit beseitigen und das Gefühl geben, dass man die Dinge<br />

durchschaut (ebd., 174)<br />

Komplexe Situationen sind oft unklar, schwierig zu überblicken und alles andere als<br />

eindeutig. Es gibt nun auch den Fall, dass die Lösung einer Aufgabe klar scheint und dennoch<br />

Schwierigkeiten macht. In den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts führte der polnischamerikanische<br />

Psychologe Solomon Asch eine experimentelle Untersuchung durch (Asch<br />

1951, vgl. auch die Darstellung dieses Experiments in Kriz et al, 1990): Die Aufgabenstellung


- 47 -<br />

ist auf den ersten Blick einfach und lösbar, es sollte um eine Längenschätzung von Linien<br />

gehen, den Versuchspersonen wurde eine Linie mit einer gewissen Länge gezeigt, sie sollten<br />

dann beurteilen, mit welcher von 3 weiteren dargebotenen Linien diese in der Länge<br />

übereinstimmt. Das Ergebnis müsste für jede normalsichtige Person eindeutig sein, Kinder<br />

über 5 Jahre würden das in der Regel können. Als Versuchspersonen dienten Studenten, die<br />

im Glauben gelassen wurden, an einem einfachen Wahrnehmungsexperiment teilzunehmen<br />

in Wahrheit nahmen sie an einem der klassischen Experimente der Sozialpsychologie teil, das<br />

immer noch für Diskussionsstoff sorgt. Die Längenschätzung erfolgte in einer Gruppe zu 8<br />

Personen, davon war allerdings nur einer davon die eigentliche Versuchsperson, die anderen<br />

Versuchspersonen waren Mitarbeiter des Versuchsleiters, wovon die eigentliche<br />

Versuchsperson aber nichts ahnte. Als die falschen Versuchspersonen alle der Reihe nach<br />

eine objektiv falsche Einschätzung der Länge angaben, beeinflusste dies signifikant die<br />

Äußerung der echten Versuchsperson in der Weise, dass deren Beurteilungen denen der<br />

anderen Versuchspersonen angeglichen wurden, also eher eine unkorrekte Beurteilung<br />

abgaben. Am stärksten war die Tendenz in Richtung Konformität, wenn die übrigen<br />

Versuchspersonen einstimmig die gleiche falsche Einschätzung vorgaben. Fast alle<br />

Versuchspersonen fühlten sich bei diesem Experiment äußerst unwohl und viele waren<br />

erleichtert, als sie danach über den Sachverhalt aufgeklärt wurden (Kriz et al. 1990, 36). In<br />

Variationen der Versuchsanordnung, bei denen unterschiedliche falsche Angaben gemacht,<br />

kam es weniger häufig zu fehlerhaften Beurteilungen. Wenn die Versuchspersonen in der<br />

Gruppe noch jemanden mit der selben Einschätzung ausmachen konnte, fiel die Beurteilung<br />

meistens richtig aus. Man kann sich die Frage stellen, warum das so ist. Wieso kann es bei<br />

eindeutigen Sachverhalten zu dermaßen verzerrten Urteilsbildungen kommen. Die Sache<br />

muss komplizierter sein, als sie zunächst aussieht. Die Situation der Versuchsperson ist eben<br />

nicht nur eine einfache visuelle Aufgabe, zugleich ist sie in auch einer sozialen Situation. Es<br />

sind viel mehr Aspekte gegenwärtig, als zunächst angenommen. In der Sozialpsychologie<br />

wird in diesem Zusammenhang vom Konformitätsdruck oder Gruppenzwang gesprochen,<br />

eine Gruppe hat einen normativen Einfluss auf das Verhalten der einzelnen Mitglieder. Es<br />

gibt zwei mögliche Erklärungsansätze für die Fehlleistungen, einen sozialpsychologischen<br />

und einen wahrnehmungspsychologischen . Die Fehleinschätzung kommt zustande, da die<br />

Versuchsperson sich dem Gruppendruck beugt, Angst vor Ablehnung und Isolation hat und<br />

einen Dissens vermeiden will. Sie möchte keine Minderheitenmeinung riskieren, dabei hätte<br />

die Versuchsperson für sich selber die Aufgabe richtig gelöst; vergleichbar mit Situationen, in<br />

die manch hochbegabte Schüler geraten, die ihre Begabung verbergen aus Angst vor sozialer<br />

Diskriminierung. Es könnte aber auch sein, dass die falsche Einschätzung ein wirkliches


- 48 -<br />

Fehlurteil ist, das heißt, die Versuchsperson irrt sich tatsächlich in ihrer Einschätzung und<br />

stimmt der falschen Beurteilung zu. Die Frage ist demnach, traut man sich nicht etwas zu<br />

sagen, wenn andere eine andere Meinung haben oder traut man den eigenen Augen nicht,<br />

wenn andere Augen anscheinend etwas anderes sehen? Der Antwort zu dieser Frage, die<br />

Solomon Asch bis zu seinem Tod 1996 beschäftigte, versuchte nun in Zeitalter der<br />

funktionellen Bildgebung von Hirnprozessen eine Forschungsgruppe aus Atlanta näher zu<br />

kommen. Berns et al. (2005) untersuchten Probanden, die in ähnliche Situationen wie im<br />

Asch-Experiment gebracht wurden im Kernspintomographen (fMRT). Die Aufgabenstellung<br />

war etwas komplizierter, die Versuchpersonen mussten in ihrer visuell-räumlichen<br />

Vorstellung ein dreidimensionales Objekt rotieren und mit 3 weiteren Objekten vergleichen,<br />

wobei eines davon eindeutig identisch ist. Die mentale Rotation ist in der<br />

neurowissenschaftlichen Forschung ein gut untersuchter Prozess und geht mit einer<br />

lokalisierbaren Aktivierung in den hinteren Hirnregionen (Scheitellappen des Großhirns), die<br />

im fMRT dargestellt werden kann. Die vorderen Hirnregionen (Stirnlappen) sind für dagegen<br />

nicht für Wahrnehmungsprozesse zuständig, sondern für die so genannten exekutiven<br />

Funktionen, wie Handlungsplanung und Ausführungskontrolle, Aufmerksamkeitsleistung,<br />

Konzentrationsfähigkeit, Impulskontrolle, Entscheidungsfindung und Konfliktbewältigung. In<br />

dem Experiment wollten die Forscher um Berns folgende Hypothesen prüfen: Wenn soziale<br />

Konformität in der Urteilsbildung ein bewusst entschiedener Akt sein sollte, würde dies mit<br />

einer Aktivierung des Stirnhirns einhergehen, wenn es dagegen die Konformität die<br />

Wahrnehmung als Prozess betrifft, käme es zu einer Aktivierung der hinteren Regionen, die<br />

für die visuell-räumliche Perzeption relevant ist. Es kam heraus, dass Konformität von<br />

falschen Beurteilungen mit Aktivitätsveränderungen in der Scheitel- und Hinterhauptsregion<br />

korrelierten, ohne dass die Aktivität in den vorderen Bereichen zunahm, wie es für bewusste<br />

Entscheidungsprozesse typisch wäre. Stellt sich eine Versuchsperson dem Gruppendruck<br />

entgegen und bildet sich eine unabhängige Meinung, kommt es zu einer Aktivierung in<br />

Regionen, die für die emotionale Verarbeitung bedeutsam sind (rechte Amygdala und<br />

Nucleus caudatus). Die Autoren schließen aus ihren Untersuchungsergebnissen, dass in<br />

soziale Konformität Wahrnehmungsprozesse und emotionale Prozesse involviert sind.<br />

Eindeutigkeit gibt es nicht als objektives Faktum, sie braucht essentiell die subjektive<br />

Empfindung. Das belegen die hier angeführten Experimente. Die Empfindung der<br />

Eindeutigkeit stellt sich ein, wenn unterschiedliche Aspekte gemeinsam vergegenwärtigt sind<br />

(Repräsentation), oder als Illusion, wenn Aspekte fehlen, die sonst ein ganz anderes<br />

eindeutiges Bild ergeben würden. Ist ein Phänomen als Symbol gegeben, können sich im


- 49 -<br />

Vorhandenen mehrere Bedeutungen zeigen. Die Empfindung von Eindeutigkeit ist verbunden<br />

mit einem Gefühl von Klarheit und Gewissheit. Verwirrend wird es dann, wenn viele Aspekte<br />

da sind, die nicht die Repräsentation eines eindeutigen Phänomens sind, sondern viele<br />

Bedeutungen haben können. Dies ist verbunden mit dem Gefühl von Unklarheit, Verwirrung,<br />

eventuell Verunsicherung. Ganz anders ist es beim Symbol, wo es auch eine Erweiterung der<br />

Bedeutungsmöglichkeiten, also eine Mehrdeutigkeit gibt. Im Symbol relativiert sich die<br />

Bedeutung als eine von mehreren möglichen Bedeutungen, ohne dass eine bereits festgelegt<br />

ist (sonst wäre es ein Zeichen). Ein Symbol zu erkennen wirkt befreiend, man sieht auch<br />

etwas anderes und bricht aus der Enge einer zunächst angenommenen Eindeutigkeit aus. Im<br />

Gegensatz zum Chaos hat man mit einem Symbol etwas Konkretes in der Hand, etwas das<br />

man körperhaft und abgegrenzt - einzeln betrachten kann. Beim Chaos ist das nicht der Fall,<br />

denn man hat vieles einzeln in der Hand - viele Einzelmerkmale, die kein erkennbar Ganzes<br />

ergeben. Es ist uneindeutig, es fehlt das einheitliche und ganzheitliche sich Zeigen.<br />

Uneindeutigkeit bei vielen einzelnen Merkmalen ergibt Chaos.<br />

Die Formel des Chaos als phänomenale Kategorie:<br />

Besteht bei einer Mehrzahl von Aspekten eine Mehrzahl an Bedeutungen,<br />

liegt ein Chaos vor.<br />

Die Unschärfe und Konturlosigkeit von Phänomenen, die dieser Kategorie zugeordnet werden<br />

können, möchte ich wiederum mit einem Beispiel aus der Musikwelt illustrieren: Manche<br />

Menschen lieben ihn, andere können überhaupt nichts damit anfangen der Jazz. Die<br />

einzelnen Tonsequenzen und Klangfiguren der beteiligten Musiker als Ganzes zu erfassen und<br />

einheitlich zu erleben, ist nicht jedem Zuhörer gleichermaßen gegeben. Für die einen wirkt es<br />

wie ein irritierendes Aufeinandertreffen verschiedener akustischer Eindrücke, andere<br />

wiederum schätzen gerade das, was sich zwischen den einzelnen Rhythmen und den Musikern<br />

abspielt. Was für die einen pures Chaos ist, ist für die anderen die reine Gegenwart.<br />

Unklarheit ist typisch für das Chaos, sie ist jedoch nicht einfach Fehlen von Klarheit. Unklar-<br />

Sein kann ebenso Noch-nicht-klar-Sein heißen. Vor dem Beginn eines Konzertes hört man die<br />

einzelnen Musiker wie sie sich einspielen, ein Durcheinander von Tönen, jeder ist bei sich.<br />

Dann kommt die gespannte Ruhe und aus der Konzentration heraus ist im Miteinander das<br />

einheitliche Musikerleben da.<br />

Ein weiteres typisches Merkmal des Chaos ist die Unfassbarkeit. Das Unfassbare leuchtet als<br />

Chaos am Horizont des Fassbaren auf. Um der Undeutlichkeit dieses Unfassbaren zu


- 50 -<br />

begegnen, gibt es die Möglichkeit, ihm eine Bedeutung zu geben, also bewusst eine Illusion<br />

zuzulassen. Die andere Möglichkeit ist ein gespanntes Warten, ob sich nicht doch etwas klar<br />

zeigt, also sich bewusst auf eine Erfahrung einzulassen. Für das Erste ist die Phantasie<br />

gefragt, die Fähigkeit zu träumen und sich etwas vorzustellen, für das Zweite die Offenheit<br />

für das Unerwartete, das sich zeigen wird. Beides braucht es.<br />

Das Vorhandensein eines Chaos ist nicht primär negativ, ein Chaos ist ein oft<br />

unvermeidliches Zwischenstadium in einem Erkenntnisprozess, die gezielte Herbeiführung<br />

von Chaos kann die Psychotherapie voranbringen. Irritation ist ein therapeutisches<br />

Wirkelement, das mehr oder minder implizit in allen Psychotherapieformen eingesetzt wird.<br />

Allen therapeutischen Schulen gemeinsam ist ein grundlegendes Wirkprinzip: Aktivierung<br />

von Schemata Irritation Reaktionsverhinderung Reorganisation (Hohagen et al. 2004,<br />

232). Die Problematik, in der sich ein Patient befindet, sollte zunächst umfassend erkannt<br />

werden, dabei kann das Beleuchten neuer Aspekte den Patienten irritieren, vor allem wenn es<br />

für um ungewöhnliche Sichtweisen geht. Oft geht es darum, auf die alten pathologischen<br />

Verhaltensmuster verzichten zu lernen und alternative Lösungen zu finden.<br />

In der Psychopathologie gibt es zahlreiche Phänomene, die mit Verwirrung und Unklarheit<br />

verbunden sind und die in die Kategorie Chaos eingeordnet werden können. Man denke an<br />

Patienten, die an einer Psychose leiden (z.B. an einer Schizophrenie oder an einem Delir,<br />

einem organischen Verwirrtheitszustand). Liselotte Tutsch beschreibt sehr anschaulich, wie<br />

Menschen eine schizophrene Psychose erleben:<br />

Der schizophrene Mensch erlebt sich und die Welt als äußerst verwirrend und zerbrechlich, er hat eine<br />

´dünne Haut´ und ist dadurch leichter als andere Menschen irritierbar. ( ) Bewusstseinsinhalte bilden<br />

dichte, undurchschaubare Gedankendschungel, Knäuel von Worten, Bildern, welche nebeneinander<br />

existieren, ´aufeinander zulaufen´. Es ist ungewiss, ob es die eigenen Gedanken sind, oder ob sie zu<br />

jemandem anderen gehören. Gegenstände werden lebendig, Farben verändern sich, die dunkle Stimme<br />

sieht grau aus, der eigene Körper wird fremd oder macht sich gar in seinen Einzelteilen selbständig<br />

( ) Durch den Verlust des Zusammenhangs und der Zugehörigkeit geht der Halt, den der Mensch<br />

braucht, um dasein zu können, verloren. Dies wird thematisch oft als drohender Weltuntergang,<br />

emotional als Todesangst erlebt (Tutsch 1996, 9).<br />

Für Scharfetter (1999, 58) ist die Ich-Desintegration der gemeinsame Nenner des<br />

schizophrenen Syndroms und die Angst der gemeinsame Nenner aller dabei auftauchenden<br />

Symptome. Typisch für die Schizophrenie sind Störungen des Ich-Bewusstseins, hingegen<br />

gehören nach Scharfetter Störungen der Ich-Stärke und des Selbstbildes dem Bereich der<br />

Neurosen und Persönlichkeitsstörungen an. Scharfetter lässt einen Patienten zu Wort


- 51 -<br />

kommen, der eine basale Störung des Ich-Bewusstseins erfahren hat die gestörte Ich-<br />

Konsistenz: Ich erlebte mich als amorphe, zähflüssige Masse, die über das Sofa zerrinnt<br />

(ebd., 70). Das Denken und Sprechen von Patienten in einer Psychose verliert für andere<br />

häufig den verständlichen Zusammenhang, der Gedankengang wird inkohärent und zerfahren.<br />

Patienten mit affektiver Erkrankung, die sich in einer manischen Episode befinden, leiden oft<br />

an einer Ideenflucht , wenn ein Gedanke nicht mehr zu Ende gedacht werden kann, weil ein<br />

Einfall dazwischenkommt ( assoziative Lockerung des Gedankenganges), der Denkablauf<br />

kann dabei beschleunigt sein.<br />

Ein weiteres relevantes psychopathologisches Phänomen ist die Dissoziation. Der Begriff<br />

wurde bereits 1859 in die psychiatrische Krankheitslehre eingeführt auf der Suche nach<br />

Erklärungsmodellen für psychogene Störungen des Bewusstseins, des Sensoriums und der<br />

Motorik (Freyberger u. Stieglitz, 2004, 758). Als entscheidender Pathomechanismus<br />

formulierte Paul Janet 1907 die Abspaltung bestimmter Erlebnisanteile aus dem Bewusstsein,<br />

dabei entziehen sich die dissoziierten Anteile der willkürlichen Kontrolle, sie bleiben jedoch<br />

weiterhin aktiv und bedingen so die dissoziativen Phänomene (ebd.). Die moderne<br />

Psychopathologie sieht dissoziative Symptome und Störungen als Kontinuum an, das von<br />

alltäglichen Phänomenen bis zu schwersten Formen reichen kann (ebd., 761).<br />

Dissoziierende Menschen verlieren das einheitliche raum-zeitliche Erleben der Gegenwart, sie<br />

wirken auf andere teilnahmslos und abwesend , es ändert sich für sie die Wahrnehmung der<br />

Welt (Derealisation), oft auch das Zeitgefühl. Manchmal verlieren sie auch das ganzheitliche<br />

Empfinden ihrer selbst, des eigenen Körpers, der Kinästhetik, sie empfinden keine Schmerzen<br />

mehr (Analgesie), verlieren die Kontrolle über die Willkürmotorik ( freezing -Phänomene,<br />

Totstellreflex), sie erleben sich außer oder neben sich (Depersonalistion), im Extremfall<br />

verlieren sie die Evidenz ihrer eigenen Identität (Dissoziative Identitätsstörung). Zu<br />

dissoziative Phänomene kommt es häufig infolge extremer Belastungssituationen und<br />

psychischer Traumatisierungen, sie sind auch eine Begleitsymptomatik schwerer<br />

Persönlichkeitsstörungen. Nach Bohus (2002, 15) zeigen ca. 65% aller Patientinnen mit<br />

Borderline-Störung klinisch relevante dissoziative Symptome. Es besteht eine hohe<br />

Korrelation von dissoziativer Symptomatik mit aversiven Anspannungsphänomenen und<br />

selbstschädigendem Verhalten, weshalb laut Bohus zumindest vermutete werden kann, dass<br />

die Symptomatik durch intrapsychischen Stress getriggert wird (ebd.). Das neurobehaviorale<br />

Modell der Dissoziation, das der störungsspezifischen Verhaltenstherapie nach Linehan<br />

(Dialektisch-Behaviorale Therapie, DBT) zugrunde liegt, sieht die Dissoziation als ein<br />

phylogenetisch altes Programm , das dem Totstellreflex im Tierreich entspricht. Der<br />

Totstellreflex veranlasst das Individuum zu erstarren, wodurch es in ausweglosen Situationen


- 52 -<br />

mit höchster Bedrohung seine Überlebenschancen erhöht (ebd., 63). Dieses biologisch<br />

determinierte Programm lässt sich konditionieren, also mit Reizen verknüpfen, die keine<br />

derartige Gefahrensituation signalisieren, für die das Erstarren kein adäquates<br />

Reaktionsmuster wäre. Für das Selbstmanagement der Dissoziation bietet die DBT<br />

verschiedene antidissoziative Fertigkeiten an, die meistens auf eine Aktivierung<br />

sensorischer Systeme abzielen und so eine Reorientierung in der Gegenwart ermöglichen, z.B.<br />

starke Sinnesreize, laute Geräusche, stechende Gerüche, Kältereize, körperliche Aktivität<br />

(ebd., 64).<br />

Bei psychischer Traumatisierung tritt Dissoziation sowohl während des traumatischen<br />

Ereignisses als auch posttraumatisch und als Langzeitfolge der Traumatisierung auf (van der<br />

Kolk et al. 2000, 241). Die Organisation eines Traumas in das Gedächtnis geschieht zuerst auf<br />

der Wahrnehmungsebene, dadurch werden Erinnerungen des Traumas zunächst in Form<br />

von Fragmenten der sensorischen Komponenten des Ereignisses erlebt (ebd., 250). In einer<br />

Studie von van der Kolk und Fisler berichteten alle Probanden, ganz gleich in welchem Alter<br />

das Trauma geschah, dass die Bewusstwerdung des Traumas zuerst in Form von<br />

sensomotorischen Flashbacks erfolgte (Flashbacks sind blitzartig einschießende,<br />

unkontrollierbare und oft detailreiche Wiedererinnerungen an das Trauma mit Hier-und-<br />

Jetzt -Qualität). Die Flashbacks erfolgen in unterschiedlichen Sinnesmodalitäten, anfänglich<br />

nicht gleichzeitig. In dem Maße, wie das Trauma ins Bewusstsein rückte, wurde die Anzahl<br />

der aktivierten sensorischen Modalitäten größer. Das größer werdende Spektrum sensorischer<br />

Modalitäten ging in weiterer Folge mit dem Auftauchen einer persönlichen Schilderung<br />

einher. Daraus schließen van der Kolk et al.: Die Eindrücke aus traumatischen Erfahrungen<br />

sind also erst einmal dissoziiert und werden in Form von sensorischen Bruchstücken, die nur<br />

wenige oder keine sprachliche Komponenten umfassen, abgerufen. Wenn traumatisiere<br />

Menschen sich mehr und mehr Elemente ihrer Erfahrung bewusst werden, konstruieren sie<br />

aus den ihnen zur Verfügung stehenden Erinnerungsfragmenten eine Schilderung, die das,<br />

was ihnen passiert ist, ´erklärt´ (ebd., 251). Im Gegensatz dazu werden alltägliche, nicht<br />

traumatische Erinnerungen von vornherein in eine kohärente persönliche Schilderung<br />

integriert (ebd.). In der Behandlung von Menschen mit Traumatisierung muss es darum<br />

gehen, ihnen zu helfen von der Heimsuchung durch die Vergangenheit (van der Kolk)<br />

wegzukommen und an der Gegenwart Anteil zu nehmen. Die Goldene Regel der<br />

Traumatherapie ist nach Bohus (2002, 44) die Erfahrung zu machen, dass die traumatischen<br />

Ereignisse der Vergangenheit angehören und dass traumaassoziierte Stimuli in neuem<br />

Kontext einen anderen Sinnzusammenhang eröffnen . Ehlers (1999) spricht von der<br />

Elaboration des Traumagedächtnisses , damit das Trauma in einen Kontext eingeordnet


- 53 -<br />

werden kann und ein Teil der Vergangenheit wird, dadurch geht das Gefühl der aktuellen<br />

Bedrohung zurück. Das Problem wird in gewisser Weise externalisiert (als<br />

Gedächtnisproblem) und als bearbeitbar wahrgenommen (ebd., 32). Um in phänomenalen<br />

Kategorien zu formulieren: das irritierende Chaos aus Erinnerugsfragmenten, dem die<br />

Zeitperspektive fehlt, wird in eine Repräsentation überführt, in denen die einzelnen Aspekte<br />

aufeinander bezogen sind und das Geschehen historisch abbilden.


- 54 -<br />

5. Phänomenale Kategorien und Psychotherapie<br />

5.1 Phänomenologie und phänomenale Kategorien<br />

Die Zuordnung eines Phänomens in eine der phänomenalen Kategorien ist an sich noch keine<br />

phänomenologische Arbeit im psychotherapeutischen Kontext. Wenn etwas beispielsweise als<br />

Symbol aufgefasst wird, kann die resultierende Bedeutungserweiterung dem therapeutischen<br />

Prozess nutzbar werden doch ist das schon Phänomenologie? Es kann daraus<br />

phänomenologische therapeutische Arbeit werden, auch wenn im Symbol Mehrdeutigkeit<br />

gegeben ist und mit dem Symbol interpretierend umgegangen wird. Phänomene sind<br />

eindeutig (siehe Abschnitt 3.5). Wo finde ich im Symbol das Phänomen?<br />

Eindeutigkeit ist das Kriterium der Repräsentation, dadurch kann diese phänomenale<br />

Kategorie direkt zum Phänomen führen. Dabei ist zu beachten, dass durch Repräsentation<br />

nicht einfach ein Phänomen vertreten, abgebildet, aufzeichnet, dargestellt oder konserviert<br />

wird. Die mehrfache Gegenwart des Phänomens zeigt dessen Eindeutigkeit durch die<br />

Repräsentation, ein Phänomen ist auch in dessen Darstellung enthalten. Das gilt ebenso für<br />

die neuronale Repräsentation , der Entsprechung von elektrischen Erregungsmustern im<br />

Nervensystem zu Vorgängen außerhalb des Nervensystems. Repräsentation ist umfassend, es<br />

gibt keinen einzigen Aspekt, der nicht an der einen Gesamtbedeutung teilhat. Repräsentation<br />

ist vorläufig, ebenso wie die Illusion oder das Chaos, aus denen es hervorgehen oder in die es<br />

übergehen kann. Denn kommt in einer neuen Gegenwart ein neuer Aspekt hinzu, kann sich<br />

die Gesamtbedeutung ändern, das vorige kann sich als Täuschung erweisen, das Folgende als<br />

undeutliches Chaos, es kann aber auch sein, dass durch den neuen Aspekt das Gesamte noch<br />

deutlicher erscheint. Phänomenologie ist nach Längle (2008, 20) eine Zusammenschau ,<br />

durch die wir zu einer Ganzheit durch die Details und durch das Einzelne hindurch<br />

gelangen. Das Verhältnis der phänomenalen Kategorie der Repräsentation zur<br />

(therapeutischen) Praxis der Phänomenologie sollte somit durch eine umfassende<br />

Eindeutigkeit ausgezeichnet sein.<br />

Nun zur obigen noch offenen Frage, dem Verhältnis des Symbols zur Phänomenologie. Ein<br />

Symbol hat mehrere Bedeutungen, wie kann sich im Symbol dann ein Phänomen zeigen?<br />

Trotz der möglichen Änderungen in den Bedeutungen eines Symbols bleibt eines gleich, es<br />

gibt eine Konstante unter den Variablen: konstant ist der, der die verschiedenen Bedeutungen<br />

in dieser Weise erkennt, das Subjekt zu den verschiedenen Bedeutungen. Das Subjekt wird<br />

durch seine Mehrdeutigkeit eindeutig, es repräsentiert sich in seinen Bedeutungen. In der<br />

phänomenalen Kategorie des Symbols ist das Phänomen das Subjekt. Es geht um denjenigen,


- 55 -<br />

für den etwas ein Symbol ist, dieser kann erkannt werden. Im Symbol habe ich ein Objekt<br />

(den Aspekt) zur Hand, doch ich begegne einem Subjekt (durch die Bedeutungen des Aspekts<br />

hindurch). Durch das Symbol ergibt sich die Evidenz des Wer . Angesichts eines Symbols<br />

heißt die Frage für den phänomenologisch Schauenden also nicht: Was ist die Bedeutung,<br />

sondern: Wer sieht die Bedeutung.<br />

5.2 Phänomenologische Offenheit und Interpretation<br />

Ein Phänomen als etwas auslegen bedeutet, es zunächst in seinem Kontext vor sich zu<br />

haben , sagt Vetter (2008, 7) in Hinblick auf eine hermeneutische Phänomenologie.<br />

Phänomene durch Symbole existieren in einem subjektiven Kontext, in der inneren Welt,<br />

Phänomene durch Repräsentation sehen wir in der äußeren Welt (siehe auch Abschnitt 3.6).<br />

Phänomenologie als Erkenntnishaltung, der es um das Wesen geht (Längle 2008, 28),<br />

erfordert nach Längle eine doppelte Offenheit , eine Offenheit ´nach außen´ und ´nach<br />

innen´ (ebd., 22).<br />

Vetters verweist in seiner Darstellung der hermeneutischen Phänomenologie Heideggers,<br />

eines Ansatzes der Phänomenologie, der für die Existenzanalyse von besonderer Bedeutung<br />

ist, auf das hermeneutische Als (Vetter 2008, 7). Etwas wird als etwas verstanden. Dieses<br />

Als wird so selbstverständlich vorausgesetzt, dass es meistens unbeachtet bleibt (ebd., 8).<br />

Waldenfels (1992, 15) bezeichnet diesen Grundzug des ´etwas als etwas´ als signifikative<br />

Differenz , die auf die Erkenntnisart des Gegenstandes verweist. Dieser Grundzug findet sich<br />

bei Heideggers Unterscheidung zwischen hermeneutischem Als , der Art und Weise, wie<br />

etwas ausgelegt und verstanden wird, und einem apophantischem Als , der Art und Weise,<br />

wie etwas aufgewiesen und ausgesagt wird (ebd., 16).<br />

Interpretation ist bereits ein Umgang mit dem Wahrgenommen (vgl. Längle 2008, 29). Bei<br />

einer Interpretation gibt der Interpret etwas zum Wahrgenommenen dazu. Das können eigene<br />

Meinungen, Erfahrungen oder Vorstellungen sein, oftmals geschieht das unbewusst und in der<br />

Annahme, sich das Ganze einmal vorurteilsfrei anzuschauen. Die eigenen Interpretationen<br />

herauszuhalten, wenn man sich gezielt in der phänomenologischen Haltung üben möchte, ist<br />

gar nicht so einfach, denn als wahrnehmende Subjekte müssen wir aktiv und passiv zugleich<br />

sein, wir sind keine Scanner. Trotz aller Aktivität im Wahrnehmungsprozess steht über allem,<br />

dass sich etwas aus sich heraus zeigt, so wie es an sich ist. Das Wahrgenommene soll in der<br />

Wahrnehmung enthalten sein. In einer Interpretation ist der Interpret selbst enthalten, dass<br />

kann durchaus erwünscht sein, aber es ist nicht (mehr) Phänomenologie. Es kommt dabei


- 56 -<br />

etwas zum Ausdruck. Die Kontrollfrage: Ist das Phänomen der Interpret selbst? (und er weiß<br />

es eventuell gar nicht?). Reduktive Hypothesen im Sinne einer intellektuellen<br />

Notfallreaktion (Dörner, siehe Abschnitt 4.4) sind Interpretationen meist in<br />

unübersichtlichen Situationen und unter emotionalem Stress, die mit dem tatsächlichen<br />

Sachverhalt häufig nur wenig zu tun haben. Ganz anders ist die eidetische Reduktion 27 ein<br />

Weg, der den Zugang zur Sache eröffnet (Waldenfels 1992, 31). Nach Husserl bedeutet<br />

´Reduktion´ Rückführung dessen, was sich zeigt, auf die Art und Weise, wie es sich zeigt<br />

(ebd.), Sachgehalt und Zugangsart sind verklammert.<br />

Das In-Erscheinung-Treten eines Phänomens geschieht im subjektiven Erleben (Längle 2008,<br />

21), im Dialog von Außenwelt und Innenwelt. Dennoch darf die Außenwelt mit der Innenwelt<br />

nicht verwechselt werden, geht es doch darum zu erkennen, ob ich beeindruckt werde durch<br />

das Auftauchen eines Phänomens an sich (Offenheit von außen nach innen) oder ob ich mich<br />

ausdrücke, mich selbst als Phänomen zeige (Offenheit von innen nach außen).<br />

Mein Vater erzählte mir einmal eine Begebenheit, die diese Zusammenhänge schön<br />

veranschaulichen kann - als eine Art Höhlengleichnis . Er führte vor vielen Jahren eine<br />

Gruppe von Touristen durch eine Höhle in den Alpen. Nachdem mein Vater in den<br />

verschiedenen Abschnitten der Höhle seine Erläuterungen beendet hatte, begann jedes Mal<br />

einer der Touristen, mit der Zunge Laute von sich zu geben (etwa wie z-z-z-z ). Mein Vater<br />

fasste diese Laute als eine kritische Äußerung des Mannes auf und fragte ihn, was er damit<br />

aussagen möchte. Doch es war ganz anders: Der Höhlenbesucher gab zu erkennen, dass er<br />

blind wäre und dass die Lautäußerungen ihm die Möglichkeit gäben, sich einen akustischen<br />

Eindruck von der Höhle zu verschaffen. Neben dem unmittelbaren ästhetischen Erleben der<br />

Höhle gelang es dem Mann auch gut, sich im Raum zu orientieren und etwa enge und niedrige<br />

Stellen zu erkennen. Die akustischen Signale dienten dem Eindruck und nicht dem Ausdruck,<br />

wie es zunächst den Anschein hatte.<br />

5.3 Die phänomenalen Kategorien in einem allgemeinen psychotherapeutischen Kontext<br />

Der Psychologe Klaus Grawe (2004, 325) sieht in Inkonsistenzspannungen einen wichtigen<br />

allgemeinen Faktor für die Aktualgenese und Aufrechterhaltung psychischer Störungen. Unter<br />

Inkonsistenz ist die Unvereinbarkeit gleichzeitig ablaufender psychischer Prozesse<br />

miteinander gemeint (ebd., 304). Die Formen der Inkonsistenz werden mit verschiedenen<br />

27<br />

lat re-ducere = zurück-führen; etymologische Anmerkungen zu altgr. eídos siehe Fußnote 16 (Abschnitt<br />

4.1)


- 57 -<br />

Begriffen charakterisiert, die häufig einen negativen Beigeschmack transportieren. Es sind<br />

Begriffe, wie Konflikt, Dissonanz, Diskrepanz, Unvereinbarkeit, Disharmonie, Dissoziation,<br />

Diskordanz, Inkongruenz, Ambivalenz, Uneindeutigkeit, Unklarheit (ebd., 311).<br />

Konsistenzverbesserung ist für Grawe ein übergreifendes Ziel von Psychotherapie (ebd.,<br />

373), er spricht von einem Inkonsistenzniveau des Patienten, das der Therapeut erfassen<br />

sollte (in der Inkonsistenzperspektive des Therapeuten) (ebd., 378). Eine (empirisch<br />

untersuchte und belegte) Möglichkeit der Inkonsistenzreduktion ist die Verdrängung, die<br />

Fernhaltung inkongruenter Wahrnehmungen vom Bewusstsein. Dies kann kurzfristig der<br />

Konsistenzsicherung dienen, kann aber langfristig genau den gegenteiligen Effekt haben und<br />

zu einer dauerhaften Erhöhung des Inkonsistenzniveaus führen (ebd., 316). In phänomenalen<br />

Kategorien gedacht, könnte man sage, das Chaos wird mit Hilfe einer Illusion zu bewältigen<br />

versucht.<br />

Es gibt aber auch den Versuch, das Chaos durch Repräsentation aufzulösen, die zahlreichen<br />

Einzelwahrnehmung zu integrieren, ohne dass sie verdrängt werden müssen. Dies ist eine<br />

Leistung, es erfordert Übung und Fertigkeit, bei bestehender Inkonsistenz eine Konsistenz zu<br />

erreichen. Eine Möglichkeit dazu ist die Konzentration auf die Gegenwart, auf das Hier und<br />

Jetzt , auf die Gegenwart des vielen ebenso Gegenwärtigen, auf die eigene Gegenwart<br />

gemeinsam mit anderem Gegenwärtigen. Ende der 70er Jahre entdeckte die akademische<br />

Medizin den therapeutischen Nutzen alter Meditationstechniken. Das Konzept der<br />

mindfullness und daraus abgeleitete Trainingsprogramme wurde bei unterschiedlichen<br />

Störungen und Problemstellungen empirisch untersucht, so konnte etwa bei diversen<br />

Angststörungen eine Symptomverbesserung erzielt werden (Kabat-Zinn et al. 1992). Es<br />

wurden für psychische Störungen spezifische Übungsprogramme zur inneren Achtsamkeit<br />

entwickelt, die in letzter Zeit vor allem in verhaltenstherapeutischen Therapieformen<br />

Beachtung finden (siehe Bohus 2002, 77). Grawe (2004, 415) sieht mit dem Mindfullness-<br />

Konzept trotz offener Fragen bezüglich Wirkungsweise, Anwendungsbereiche und<br />

Anwendungsformen eine neue Perspektive in der Psychotherapie.<br />

Eine weitere Möglichkeit, ein virulentes Chaos therapeutisch im Sinne einer Repräsentation<br />

zu bearbeiten, bieten narrative 28 Ansätze in der Psychotherapie. Es sei hier verwiesen auf das<br />

narrative Bedürfnis bei Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung (siehe<br />

Abschnitt 4.4), die nach und nach ihre Erinnerungsfragmente in den Zusammenhang einer<br />

übergeordneten Geschichte bringen, wodurch die unkontrollierbaren intrusiven Symptome<br />

geringer werden. Damit können die bruchstückhaften Eindrücke als Erinnerungen erlebt<br />

werden, und nicht mehr als zeitloses schreckliches Mitten-darin-Sein . Das Erlebte wird<br />

28<br />

lat. narrare = erzählen


- 58 -<br />

durch die Erzählung zur Erinnerung. Ein spezifisches Kurzzeittherapieverfahren zur<br />

Behandlung von Menschen mit Kriegstraumatisierungen und Traumatisierungen durch Terror<br />

und Folter ist die Narrative Exposure Therapie (NET). Dabei geht es um eine aktive<br />

chronologische Rekonstruktion des autobiographischen, episodischen Gedächtnisses. Sich<br />

durch eine detaillierte Erzählung den hot spots auszusetzen und dabei das Angstgedächtnis<br />

( fear memory ) zu aktivieren, kann zu einer Trennung der traumatischen Erinnerung von den<br />

konditionierten emotionalen Reaktionen führen. Es erfolgt eine Meaningful linkage and<br />

integration of psychophysiological and somatosensory responses to one´s time, space and life<br />

context (Schauer et al. 2005, 25). Ein weiteres wichtiges therapeutisches Element ist<br />

Regaining of one´s dignity through satisfaction of the need for acknowledgement through the<br />

explicit human rights orientation of ´testifying´ (ebd.) Es geht also nicht nur um die<br />

Geschichte für sich selber, sondern auch um die Beachtung und Anerkennung dieser<br />

Geschichte durch andere.<br />

Die narrative Perspektive ist eine explizite oder implizite Möglichkeit der Repräsentation, sie<br />

wird im Allgemeinen dann verwendet, wenn Verläufe und Entwicklungen dargestellt werden,<br />

im Besonderen bei der biographischen therapeutischen Arbeit. In einer narrativen Deskription<br />

gibt es die Möglichkeit von Unterperspektiven, der Perspektive aus der 1. Person ( ich ) und<br />

aus der Perspektive der 3. Person ( er , sie , es ). In der Traumatherapie ist ein Wechsel<br />

der Erzählung von der Ich-Perspektive in die Dritte-Person-Perspektive eine Möglichkeit zur<br />

Selbstdistanzierung, wenn es zu intensiv wird um eine Dissoziation zu vermeiden.<br />

Eine besondere Form der Repräsentation, die vor allem in den humanistischen<br />

Therapieformen kultiviert wird, ist die menschliche Begegnung. In der Begegnung zwischen<br />

Patient und Therapeut sind beide in einer Weise gegenwärtig, die jenseits der einzelnen,<br />

isolierten Gegenwarten der im Setting Beteiligten ist. Alfried Längles Aussage zur<br />

Phänomenologie in der existenzanalytischen Praxis trifft ganz allgemein für die<br />

therapeutische Situation zu und wohl auch für jede menschliche Begegnung: Durch die<br />

Begegnung in der offenen und zugewandten phänomenologischen Haltung entsteht ein<br />

generatives Feld, in welchem sich die Partner in einer Wir-Einheit erleben (Längle 2008,<br />

21). Für das Selbstbild, das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl ist sowohl die<br />

Selbstwahrnehmung als auch die Wahrnehmung durch den anderen von essentieller<br />

Bedeutung. Auch wenn dies in einem beispielsweise lösungsorientierten Therapiekonzept<br />

nicht gesondert berücksichtigt wird, es ist dennoch von Bedeutung, dass und wie der Patient<br />

vom Therapeuten gesehen wird. Im Dialog zwischen Menschen beziehen sich die jeweiligen<br />

Sichtweisen konstruktiv aufeinander, jeder nimmt am gemeinsamen kreativen Prozess teil und<br />

kann sich neu wiederfinden. Im dialogischen Austausch etwa während eines


- 59 -<br />

(therapeutischen) Gespräches kann und darf jemand Aspekte von sich durch die Augen<br />

eines Anderen wahrnehmen, wodurch sein Selbstbild insgesamt umfassender werden und an<br />

Tiefe gewinnen kann. Die wertschätzende Wahrnehmung durch andere ermöglicht es einem<br />

durch Selbstzweifel gequältem Menschen oft erstmals, sich selbst zu achten und zu bejahen.<br />

Somit lassen sich drei wichtige Elemente als allgemeine psychotherapeutische Wirkfaktoren<br />

der Repräsentation zusammenfassen: Gegenwärtig Sein als umfassendes hier und jetzt Dasein,<br />

der Sinn für die Zusammenhänge und Entwicklungen (Geschichte), sowie Begegnung als<br />

gegenseitige Anteilnahme am Wesen des anderen.<br />

Symbole im therapeutischen Kontext verweisen auf das Subjekt des Symbols, auf denjenigen,<br />

der etwas als Symbol sieht. Deshalb erscheinen Symbole nicht in einem faktischen<br />

Zusammenhang. Es gilt vielmehr, das Netz der aufeinander bezogenen Aspekt aufzuknüpfen<br />

und die Eindeutigkeit aufzugeben, zu der sich alles zusammengefügt. Wörter wie<br />

Auseinandersetzung, Analyse, Destruktion (von Vorurteilen) und Dekonstruktion (ein von<br />

Jacques Derridá geprägter Begriff) haben damit zu tun. Dies erfordert Mut zur Irrationalität<br />

und Ermutigung durch den Therapeuten. Im Übergang von der Repräsentation zum Symbol<br />

wird es immer zu Chaos und Illusion kommen, geht es doch um ein Hin- und Herpendeln<br />

zwischen Objektivität und Subjektivität, zwischen äußerer Welt und innerer Welt, beides<br />

ist gleich wichtig, keines existiert ohne das andere. Was durch mich gültig ist, muss für mich<br />

richtig und stimmig sein. Richtigkeit verweist auf den kognitiven Anteil und Stimmigkeit auf<br />

den emotionalen Anteil im Erleben der Evidenz hin.<br />

Eine in der Geschichte der Psychotherapie sehr früh angewendete Methode ist die von<br />

Sigmund Freud entwickelte freie Assoziation , hier liegt der Patient entspannt auf der Couch<br />

und spricht möglichst ohne Zensur alles aus, was ihm in den Sinn kommt (Kriz 1994, 32).<br />

Von C.G. Jung stammt die gerichtete Assoziation (oder kontrollierte Assoziation ), dabei<br />

geht es um Einfälle, die auf einen bestimmten Trauminhalt gerichtet sind (Peters 1990). Die<br />

verschiedenen Assoziationen verweisen auf das Subjekt dieser Einfälle, also auf den Patienten<br />

im Falle einer Therapie, sie führen in sein inneres Erleben, das möglichst losgelöst von<br />

äußeren Determinanten, wie Konventionen und Normen, erkennbar wird. Die<br />

psychotherapeutische Arbeit mit Träumen im Allgemeinen ist Arbeit mit Symbolischem. Das,<br />

was sich im Traum zeigt, kann eine Erweiterung der Bedeutung bei wachem Bewusstsein<br />

bekommen. Rudolf Kunert weist darauf hin, dass in der Literatur über Traumdeutung sowohl<br />

bei Freud als auch bei Jung die Emotionalität nicht einmal erwähnt wird. Aus<br />

phänomenologischer Sichert kann ein Traum ohne die ihn begleitende Emotion nicht<br />

verstanden werden (Kunert 1998, 6). Gerade im Traum bieten sich dem Patienten neue


- 60 -<br />

Erfahrungen an, erlebt er neue Gefühlsqualitäten, wird konfrontiert mit überraschenden<br />

Zusammenhängen. Es spricht sich ihm aus seiner eigenen Tiefe heraus ein Anders-Sein zu,<br />

und nun als Wiedererwachter hat er die Gelegenheit, daraus etwas zu machen ( ) (ebd., 5).<br />

So wie Träume Illusionen des Unbewussten im Schlaf sind, die im wachen Zustand als<br />

Symbole wirken können, gibt es die bewusste Illusion im Wachzustand. Phantasie und<br />

Vorstellungskraft können als therapeutische Wirkelemente eingesetzt werden. Unsere<br />

Fähigkeit zu imaginieren ist das Hilfsmittel, das uns in Kontakt bringt mit dem Heilsamen in<br />

uns (Reddemann 2004, 16). Die Psychiaterin und Psychotherapeutin Luise Reddemann<br />

entwickelte eine Sammlung von Imaginationsübungen, die in der Behandlung von<br />

traumatisierten Menschen breite Anwendung finden. Imaginationen 29 können als<br />

Gegenbilder zu den Schreckensbildern wirken, durch die traumatisierte Menschen immer<br />

wieder gequält werden. Eine Voraussetzung für die Konfrontation mit den traumatischen<br />

Inhalten ist eine innere Stabilität des Patienten, damit keine Retraumatisierungen passieren.<br />

Durch die Fähigkeit, sich durch Imagination selber Halt und Kraft zu geben, kann eine<br />

therapeutische Bearbeitung Traumas erfolgreich werden.<br />

Phänomene der Kategorie Chaos sind Grenzphänomene. Sind noch nicht klar oder nicht mehr<br />

klar, an der Grenze des Greifbaren. Das Eindeutige an ihnen ist ihre Uneindeutigkeit, ihr<br />

Aussehen ist das der vielen Gesichter. Im psychotherapeutischen Kontext begegnen uns diese<br />

Phänomene häufig als Störungen, doch sind sie ebenso unumgängliche Stufen und<br />

Zwischenstadien, aus denen sich neue Entwicklungen ergeben können. Phänomene können<br />

als Katalysator für Entwicklungen wirken, Irritation sofern sie einfühlsam und im kreativen<br />

Sinne gemeint ist kann ein therapeutischer Faktor sein. Jede Form des Hinterfragens, des In-<br />

Frage-Stellens beleuchtet ein Phänomen von verschiedenen Seiten, kann bislang verborgene<br />

Aspekte sichtbar machen und sich auf die Gesamtbedeutung auswirken. Dem Patienten<br />

Fragen zu stellen kann ihn beunruhigen und verunsichern. Die möglicherweise entstehenden<br />

Unklarheiten sollen ihn jedoch zur Suche nach einer klaren Antwort herausfordern, zum<br />

Finden seiner Antwort. Abschließend sei ein weiteres in jeder Psychotherapie vorkommendes<br />

Phänomen des Chaos erwähnt: der Anfang. Ein Anfang enthält die vielen Aspekte der Leere<br />

(wie die nackte Leinwand des Malers als Beispiel), das Noch-Nicht ist nicht bloß ein Fehlen<br />

des Kommenden, die Bedeutung ist offen, der Sinn noch unerfüllt. Im Chaos ist das<br />

Urvermögen des Anfangs enthalten 30 .<br />

29<br />

lat. imago = Bild<br />

30 vgl. Alfried Längles Anmerkungen zu Anfänge leben (Längle 2000a, 11)


- 61 -<br />

5.4 Die Beziehung der phänomenalen Kategorien zu Theorie und Praxis der<br />

Logotherapie und Existenzanalyse<br />

Phänomenologie ist für die Existenzanalyse von grundlegender Relevanz, die<br />

phänomenologische Haltung des Therapeuten ermöglicht ihm einen verstehenden Zugang<br />

zum Patienten, der als Mensch in seiner Ganzheitlichkeit erkennbar wird (vgl. Längle 2008,<br />

18). Die große Herausforderung an den Therapeuten ist es, im Gespräch mit dem Patienten<br />

die Person zu sehen und in ihrer Freiheit anzusprechen, den Menschen also in seinem Wesen<br />

anzutreffen (ebd.).<br />

In der Psychotherapieforschung leistet die Phänomenologie einen Beitrag zur qualitativen<br />

Forschung (S. Längle 2008), die eine komplementäre Position zu den meist verwendeten<br />

quantitativen Forschungszugängen einnimmt. Eine Arbeitsgruppe um Silvia Längle<br />

entwickelte ein Konzept einer methodenthoeretischen Einbettung einer phänomenologischen<br />

Inhaltsanalyse in die existenzanalytische Forschung. Das wissenschaftliche Kriterium der<br />

Objektivität von Erkenntnissen, dem auch die qualitative Forschung unterliegt, lässt sich<br />

nicht einfach durch Elimination des erkennenden Subjekts erlangen (ebd., 55, dbzgl. wird E.<br />

Oeser zitiert); ´Objektivität´ ist also, bevor sie zu Erkenntnisinhalten führt, die als ´objektiv´<br />

anerkannt werden, ein vom Subjekt konstituierter Weg dorthin und nie davon zu lösen , merkt<br />

Silvia Längle an (ebd.) mit Verweis auf die Phänomenologie als Möglichkeit in der<br />

Psychotherapieforschung, den Menschen als Forschungsobjekt von sich aus sprechen zu<br />

lassen. In diesem Bemühen um eine möglichst vorurteilsfreie Erkenntnis beschreibt die<br />

Phänomenologie einen Erkenntnisprozess, den ein erkennendes Subjekt der Forscher in<br />

mitteilbarer und wiederholbarer Weise geht (ebd.). Durch die phänomenologische Haltung in<br />

der Forschung verbinden sich die rationalen Kompetenzen des forschenden Menschen mit<br />

einer Haltung, die ihn in seiner Einfühlung und Verantwortung braucht (ebd., 61).<br />

Das Repertoire der Methoden und Techniken der Logotherapie und Existenzanalyse bezieht<br />

sich auf den Hintergrund einer existenzanalytischen Anthropologie. Bei Viktor Frankl nimmt<br />

die Fähigkeit des Menschen zur Selbstdistanzierung und Selbsttranszendenz eine<br />

Schlüsselstelle ein, diese sind Ziel jeglicher therapeutischer Intervention (S. Längle 2001, 20).<br />

Die dialogische Grundstruktur des Menschen ist insgesamt ein Charakteristikum<br />

existenzanalyticher Anthropologie. Schon im Franklschen Ansatz sind die genannten<br />

Fähigkeiten auf den Dialog mit der Welt angelegt (ebd., 22), doch kommt bei ihm die<br />

Bewegung zu sich selbst hin, sich mit sich selbst einzulassen (ebd., 20) nicht in Betracht. Als


- 62 -<br />

Erweiterung des eher kognitivistischen Verständnisses Frankls beziehen neuere<br />

therapeutische Konzepte die Emotionalität explizit ein. Die einseitige Weltoffenheit nach<br />

außen hin wird erweitert durch eine Sichtweise, die den Menschen auch als offen für seine<br />

Innenwelt betrachtet und ihm Zugang zu seiner Authentizität eröffnet (ebd., 21). Zu den<br />

Fähigkeiten der Selbstdistanzierung und der Selbsttranszendenz kommt als dritte<br />

grundlegende personale Fähigkeit die Selbstannahme hinzu, die Fähigkeit des Dialogs nach<br />

innen, sich selbst in seiner Tiefe und dem Geworden-Sein in Empfang nehmend , wie es<br />

Längle formuliert (ebd., 30).<br />

Diese drei personalen Fähigkeiten stehen untereinander in einer triadischen Beziehung, und<br />

sie bilden den theoretischen Hintergrund für die aktuelle Methodologie, die in der<br />

logotherapeutischen und existenzanalytischen Praxis zur Anwendung kommt. Eine Übersicht<br />

gibt Silvia Längles Darstellung der Methodenstruktur mit einer nach den personalen<br />

Fähigkeiten differenzierten Zuordnung Ressourcen-provozierender, Ressourcenmobilisierender<br />

und prozesshaft-persönlichkeitsbildender Ansätze in oben zitierter Arbeit und<br />

an anderer Stelle mit einer Differenzierung der Methoden in den drei Ebenen: Ressourcen-<br />

Orientierung, Problem-Orientierung und Person-Orientierung (Längle 2003). Den zeitlichen<br />

Verlauf einer existenzanalytischen Psychotherapie betreffend, bietet vor allem in der<br />

Eingangsphase die phänomenologische Haltung den Schwerpunkt, in der mittleren Phase<br />

kommt die Methodik zum Tragen und in der Schlussphase, in der es um die Konsolidierung<br />

und das Umsetzen geht, können oftmals Techniken eingesetzt werden (A. Längle 2001, 14).<br />

Alfried Längle definiert eine Methode in Psychotherapie und professioneller Beratung als<br />

geplante Anwendung einer Theorie in definierten Schritten ohne konkrete<br />

Handlungsanweisung und eine Technik als ausgearbeitete Interventions-Schritte mit<br />

Werkzeugcharakter (ebd., 9).<br />

Als ätiologischen Hintergrund der Psychopathologie und als theoretischer Rahmen für die<br />

existenzanalytische Nosologie und Therapie wurde von Alfried Länge 1993 das Konzept der<br />

vier personal-existentiellen Grundmotivationen (GM) eingeführt. Es geht dabei um die tiefste<br />

Motivationsstruktur der Person in ihrem Streben nach Existenz. Eine Störung in einem dieser<br />

grundlegenden Motivationsbereiche macht die Existenz defizitär (Längle 2003, 209).<br />

Der Beweggrund der ersten Grundmotivation ist das Dasein, die Erfahrung des In-der-Welt-<br />

Sein-Könnens. Um in der Welt sein zu können Streben wir nach Halt, nach Raum und nach<br />

Schutz (ebd.). Können wir die Bedingungen annehmen - zur Welt, so wie sie ist ( Ja zur<br />

Welt ), dann stellt sich ein Gefühl der Gelassenheit ein. Wenn uns das nicht möglich ist,<br />

rüttelt uns Angst auf, sie fordert sie uns heraus, unseren Mut, um durch neue Erfahrungen


- 63 -<br />

wieder Vertrauen fassen zu können. Wird die Angst übergroß, kann sie uns lähmen, wir<br />

erstarren vor Angst. Das Annehmen-Können der Bedingungen ist abhängig vom<br />

Wahrnehmen-Können des Gegebenen. Es kommt darauf an, dass wir die Welt, wie sie an sich<br />

ist, wahrnehmen. Der Versuch, die Welt sehen zu wollen, wie man sie gerne hätte, führt<br />

früher oder später in eine Sackgasse. Die Welt hat viele, verwirrend viele Gesichter. Aber sie<br />

zeigt sich, das ist sicher. Dass sie sich zeigt ist eindeutig. Nun geht es aber auch darum, die<br />

vielen Ansichten der Welt auf eine Sicht der Welt zusammen zu bringen. Die Hindernisse auf<br />

dem Weg zur Klarheit fallen unter die Kategorie Chaos. Die Eindeutigkeit ist noch nicht<br />

erreicht, etwas passt noch nicht, ein Aspekt widerspricht dem Ganzen und zum Ganzen gehört<br />

alles. Eine sich einstellende Eindeutigkeit, die nicht alle Aspekte berücksichtigt, ist eine<br />

Täuschung, denn mit den fehlenden Aspekten würde sich eine andere Eindeutigkeit ergeben.<br />

Phänomene mit einer falschen Eindeutigkeit ob unbeabsichtigt oder gezielt herbeigeführt<br />

fallen unter die Kategorie Illusion. Nicht alle Aspekte, die dem Ganzen entsprechen, sind<br />

gleichermaßen präsent, nicht jeder Teil ist gleich beleuchtet, manches ist dem Blick<br />

abgewandt. Dennoch entsprechen sich alle Aspekte, alle nehmen am Ganzen teil. Durch<br />

Repräsentation zeigt sich die Welt in ihren vielen Gesichtern zu verschiedenen Orten und zu<br />

verschiedenen Zeiten. So wird die Welt in ihrer Räumlichkeit und Zeitlichkeit erkennbar. Es<br />

gibt ein Hier und es gibt ein Anderswo, es gibt ein Jetzt und es gibt ein Zu-einer-anderen-<br />

Zeit . Durch das vielfältige Gegenwärtig-Sein der Welt und in der Welt wird sie immer<br />

eindeutiger, ihre Gewissheit wird immer sicherer. Um zur Welt ja sagen zu können, müssen<br />

wir sie immer klarer so erkennen, wie sie an sich ist. Wir empfinden uns dann in einem<br />

Abstand zu den anderen Dingen , die es in der Welt gibt. Der Raum (und die Zeit) für diesen<br />

Abstand ist nicht bloß eine objektive Faktizität, sondern auch eine subjektive Realität. Raum<br />

und Zeit wird empfunden, sie sind Teil des existentiellen Erlebens . Repräsentation ergibt<br />

sich aus der Erfordernis, die Welt an sich klar zu sehen. Doch die Welt ist niemals die gleiche,<br />

das Universum ändert sich ständig, nicht einmal die Fixsterne sind fix. Was ist dann das<br />

Konstante, das Beständige? Woran können wir uns festhalten? Die Antwort finden wir durch<br />

Repräsentation, das was im Grunde das Sein ist, ist in jeder Gegenwart anwesend. Wir erleben<br />

das in jedem Augenblick bewusst oder unbewusst, mehr oder weniger achtsam. Klare Sicht<br />

auf das Sein, wie es an sich ist, erhalten wir durch die einzelnen konkreten Augenblicke<br />

hindurch. Ein Augenblick wird aus einer Bewegung heraus erlebt; dem entspricht auch das<br />

Wort Moment 31 , das seiner Etymologie nach als eine Bewegungslänge in Raum und Zeit<br />

aufgefasst werden kann, die vom Lateinischen movere im Sinne von Bewegkraft,<br />

31<br />

lat. momentum = Bewegungs-, Ausschlagskraft, ausschlaggebender Einfluss, Grund; Zeitabschnitt,<br />

Augenblick; Änderung, Wechsel (aus Stowasser 1980)


- 64 -<br />

ausschlaggebende Kraft ableitet (Kluge 1989). Unseren Raum und unsere Zeit erleben wir<br />

von Moment zu Moment. Wir können den Raum direkt wahrnehmen oder indirekt<br />

erschließen, wobei beides ineinander übergehen kann<br />

in beiden Fällen ist die Evidenz des<br />

Raumes letztlich eine Empfindung, auch wenn Wissen über den Raum in das wahrnehmende<br />

Erfahren des Raumes einfließen. Zur Illustration der unmittelbaren visuellen Empfindung des<br />

Raumes möchte ich eine für mich sehr eindrückliche persönliche Erfahrung berichten: Es<br />

bestand bei mir eine ausgeprägte Weitsichtigkeit, die das Auge im Kindesalter durch eine<br />

Krümmung der Linse korrigieren kann. Mit der reflektorischen Linsenkrümmung ist ein<br />

weiterer Reflex verbunden, mit dem die beiden Augen im Sinne eines stereoskopischen (dem<br />

so genanntem dreidimensionalen ) Sehen verknüpft sind. Es kommt dadurch zu einem<br />

Schielen, zu einem Auseinanderdriften der einzelnen Sinneseindrücke der beiden Augen, die<br />

normalerweise erfolgende Verschmelzung der Sinneseindrücke kommt ab einem zu großem<br />

Winkel der optischen Achsen nicht mehr zustande, die beiden Einzelbilder können nicht mehr<br />

aufeinander bezogen werden. Statt einer Repräsentation durch ein aufeinander Beziehen der<br />

beiden Einzelbilder, das zu einem einheitlichen integrativen Gesamtbild führt, kommt es zu<br />

einem Chaos durch zwei nebeneinander bestehende<br />

in gewisser Weise autonomer<br />

Bilder. Damit keine zu große Verwirrung entsteht, wird eines der beiden Augen vom<br />

Wahrnehmungsvorgang ausgeschlossen (sog. Amblyopie). Im Kleinkindesalter kann der<br />

Verkümmerung der Sehleistung entgegengewirkt werden, in dem die Weitsichtigkeit optisch<br />

korrigiert wird, das unterdrückte Auge braucht ein Training durch Abdecken des<br />

führenden Auges (Sehschule), die divergierenden Achsen können durch einen chirurgische<br />

Eingriff korrigiert 32 werden. Durch Brillenkorrektur, Sehschule und Korrekturoperation<br />

konnte ich im Kindesalter ein beidäugiges Sehen mit ansatzweiser stereoskopischer<br />

Verarbeitung erlangen, wie ich meiner Krankenakte entnehmen konnte. Die Fähigkeit zur<br />

Stereoskopie war jedoch eingeschränkt, da die Entwicklung dieser Fähigkeit von einem<br />

bestimmten Alter abhängt und später nicht mehr aufgeholt werden kann. Ohne es zu<br />

bemerken, verschwand das Stereo-Sehen allmählich, es fehlte mir nicht, kompensierend<br />

kamen andere Möglichkeiten der räumlichen Wahrnehmung zum Zug. So war mir mein<br />

stereoskopisches Defizit gar nicht so bewusst. Die Weitsichtigkeit meiner Augen besserte sich<br />

von Jahr zu Jahr, in den Jugendjahren bemerkte ich dann Doppelbilder . In Form einer<br />

Diplopie meldete sich das zweite Auge zurück, nachdem es wieder an Sehkraft gewonnen<br />

hatte. Es ließ nicht mehr vom Wahrnehmungsprozess fernhalten, es wollte seine Perspektive<br />

einbringen. Die Achsen der beiden Auge stimmten nicht mehr überein, weshalb ich die<br />

32<br />

in diesem Fall ist die Vorsilbe aus dem Lat. co(n)- von cum = (gemeinsam) mit<br />

besonders treffend, es werden die Richtungen aufeinander eingestellt, gemeinsam ausgerichtet (lat. regere =<br />

richten, lenken, leiten).


- 65 -<br />

Gegenstände doppelt sah. Dies irritierte mich teilweise, insgesamt war die visuelle Welt für<br />

mich dennoch einheitlich. Ich sah eine Welt und nicht zwei Welten, die Spuren dieser Welt<br />

bestanden im Gesichtssinn nebeneinander. Als mir mein Problem bewusst wurde, begann ich<br />

mich mit der optischen Wahrnehmung auseinanderzusetzen, ich besuchte wieder die<br />

Sehschule um mich mit einer orthoptischen Behandlung auf eine weitere Korrekturoperation<br />

des binokularen Sehens vorzubereiten. Diese Operation hatte ich als junger Erwachsener.<br />

Durch Prismengläser-Korrektur hatte ich bereits einen Vorgeschmack auf das Stereosehen<br />

bekommen. Die Operation verlief erfolgreich. Ich kann mich noch erinnern, als ich nach<br />

Entlassung erstmals wieder in das Auto setzte. Nun sah ich den Raum um mich herum, ich<br />

musste mir die Abstände nicht mehr durch zusätzliches Tasten, Kopfbewegen und Beachtung<br />

von Überschneidungen und Schattenwurf rekonstruieren, ich sah die einzelnen Gegenstände<br />

viel klarer räumlich, den Schaltknüppel, die Drehknöpfe und den sie umgebenden Raum. Das<br />

war ein sehr bewegender Moment, ich staunte über die Räumlichkeit der visuellen Welt. In<br />

gewisser Weise war dies vergleichbar mit der Empfindung der Räumlichkeit in der<br />

akustischen Welt, die sich einstellt, wenn man auf der Stereo-Anlage den Knopf von Mono<br />

auf Stereo drückt. Die Evidenz durch das vielfache, aufeinander bezogene Erfahren des<br />

Raumes stellt sich als einheitliches und unmittelbares Erleben ein. Repräsentation ist die<br />

Kategorie, in der Phänomene ihre vielen Gesichter auf unterschiedliche Weise zeigen und<br />

eindeutig ansichtig werden können. Für die erste personal-existentielle Grundmotivation ist<br />

das eine grundlegende Bedingung. Raum wahrzunehmen ist ein Können, sich im Raum<br />

wahrzunehmen ist ein Sein-Können. Repräsentation ermöglicht Eindeutigkeit, die über die<br />

einzelnen Momente hinausreicht, sie sichert gegenüber Illusionen ab, sie führt hin zu<br />

objektiver Gewissheit.<br />

Die zweite Grundmotivation entspricht dem Streben nach dem Lebenswert. Der Mensch<br />

will nicht nur sein können, sondern auch spüren, dass es gut ist zu sein (Längle 1999a, 24).<br />

Es ist ein personales Bedürfnis, das Leben als wertvoll erleben zu können. Um gerne zu leben,<br />

braucht es Nähe und Beziehung zu für uns Wertvollem. Die Zuwendung zu Werten geht mit<br />

einem emotionalen Berührtsein einher, das Ja zum Leben erfordert eine axiologische 33<br />

Auseinandersetzung mit dem Leben (Längle 2003, 209). Nach der durch A. Längle<br />

erweiterten existenzanalytischer Wertetheorie entstehen Werte durch den Kontakt des<br />

(lebendigen) Menschen mit dem Objekt, als Wert wird das empfunden, was dem Leben<br />

förderlich ist. Längle definiert Wert in existenzanalytischer Hinsicht als jedes Erleben,<br />

dessen Inhalt mit der Haltung zum Leben konkordant ist und diese stärkt (ebd., 219). Werte<br />

33<br />

altgr. axía = Wert; das zugrunde liegende Verb ágo wir in dieser Hinsicht auf interessante Weise übersetz:<br />

bei leblosen Dingen in Bewegung setzen, bringen, ziehen, wiegen; bei lebenden Wesen führen, treiben,<br />

lenken; bei persönlichem Objekt schätzen (aus Gemoll 1979)


- 66 -<br />

können nicht gedacht, sondern nur gefühlt werden (Längle 1993, 27). Längle führt weiter aus:<br />

Werte ergreifen uns, noch ehe wir sie ergriffen haben. Sie sind uns angegangen, bevor wir<br />

mit ihnen angefangen haben. ( ) Werte werden nicht vom Subjekt erzeugt, sondern zeugen<br />

im Subjekt (ebd.). Mit Längle (2003a, 187) lässt sich Emotion definieren als ein Fühlen,<br />

dass auf persönliche Werte bezogen ist . Der Erlebnisinhalt der Emotion stammt aus der<br />

Wahrnehmung, aus der Vorstellung (Phantasie), aus einem Gedanken oder Erleben, nicht<br />

jedoch von einem bloßen Reiz (ebd.). Die Emotion gibt wieder, wie ein Inhalt erlebt wird, sie<br />

ist frei, personal und indeterminiert (ebd.). Nach Längle hat die Emotion einen Grund, aber<br />

keine Ursache. Ein Wert ist der Grund, der eine Emotion auslöst im Gegensatz zum Affekt,<br />

der durch einen Reiz verursacht wird (ebd.).<br />

Anders als bei der Repräsentation geht es bei einem Symbol nicht um das vielfache<br />

Gegenwärtig-Sein von Aspekten, sondern um das einfache Vorhanden-Sein eines Aspektes.<br />

Der Unterschied zwischen den beiden Formen des Anwesend-Seins liegt im Abstand des<br />

erkennenden Subjekts vom erkannten Objekt. Viele Aspekte des einen verlangen eine<br />

Distanz, aus der das Objekt überschaut werden kann. Diese Distanz braucht es für ein Symbol<br />

nicht, es muss nicht als Ganzes erfasst werden, es reicht, wenn ein Teil davon erfasst werden<br />

kann. Durch die Berührung des Vorhandenen entsteht eine Verbindung zum Gegenüber, es<br />

verschwindet der Abstand. Das Vorhandene löst im Betrachter etwas aus, rührt etwas an, ruft<br />

etwas hervor. Es geht nun nicht mehr um das klare Sehen des Gegenübers, sondern um ein<br />

Sehen nach innen. Welche Assoziationen tauchen auf? Nicht: was ist die Bedeutung an sich,<br />

sondern: was bedeutet das für mich unabhängig von der Bedeutung des Vorhandenen an<br />

sich. Durch das Sehen nach innen taucht eine neue, andere Bedeutung auf. Im Gegensatz zu<br />

einem Zeichen ist ein Symbol nicht in seiner Bedeutung festgelegt 34 . Beim Betrachten eines<br />

Symbols kann die Bedeutung für mich zunächst verborgen bleiben, es beschäftigt mich aber<br />

trotzdem. Ein Traum gibt einem Szenen in die Hand, die einem noch im Wachzustand<br />

beschäftigen, ehe man erkennt, was er einem sagen kann. Ein Geruch kann aus dem Hier und<br />

Jetzt wegführen in die Erinnerung an ein anderes Ereignis, das für mich eine gewisse<br />

Bedeutung hat. Die ersten Klänge eines bestimmten Liedes rufen alte Erinnerungen und damit<br />

verbundene Gefühle wach. Immer entsteht ein spezielles Mehr an Bedeutung, die durch das<br />

Subjekt hervorgebracht wird. Die Erweiterung des Bedeutungsspektrums ist eine Bewegung<br />

aus dem Subjekt heraus, das zur Beschäftigung mit den für es möglichen Bedeutungen<br />

angeregt wurde. Das Betrachter eines Symbol kommt in eine innere Bewegung, indem es<br />

34 dies ist in diesem Zusammenhang grundlegend, allerdings werden in der Umgangssprache die Begriffe<br />

Symbol und Zeichen vermengt, sodass einem Symbol oft eine Bedeutung zugeschrieben wird, ohne dass das<br />

Subjekt gefragt worden wäre. Die Bedeutung eines Zeichens kann man lernen, die Bedeutung eines Symbols<br />

aber nur für sich erkennen.


- 67 -<br />

seine Bedeutung(en) erkennt, also das, was das Symbol für ihn heißt. Symbole erschließen die<br />

Innenwelt anhand eines Stücks der Außenwelt. Wem begegne ich in einem Symbol? Dem<br />

Subjekt des Symbols. Das Subjekt wird im Symbol, in seinem Symbol erkennbar. Somit<br />

wird das Subjekt als Phänomen eindeutig, es repräsentiert sich in seinen Bedeutungen.<br />

Symbole verweisen auf einen subjektiven Erlebnisinhalt, das erleben einer eigenen, anderen<br />

Bedeutung, losgelöst von einer Bedeutung an sich. Symbole können helfen, Beziehung zu<br />

persönlichen Werten aufzunehmen, braucht es doch im symbolischen Betrachten eine<br />

Offenheit für das Berührende, für das, was mich angeht, für mich bedeutsam ist. Und ein Wert<br />

ist, existentiell gesehen, das, was mich angeht (Längle 2003, 219). Längle weist darauf hin,<br />

dass Wertfühlen Beziehung und Intimität verlangt (Längle 1993, 26), das ist auch beim<br />

symbolischen Betrachten erforderlich. Nur ist es möglich, dass die Subjektivität als solche gar<br />

nicht erkannt wird, dass also die Intimität verkannt wird. Ein Missverständnis wäre es<br />

demnach, der subjektiven Empfindung allgemeine Gültigkeit zuzuschreiben. Etwas als<br />

Symbol zu betrachten erfordert Mut zur Subjektivität Mut das zu erkennen, was etwas für<br />

mich bedeutet, und mich dadurch anregen zu lassen. Innezuhalten und sich bewusst zu<br />

machen, dass man etwas als Symbol betrachtet, kann mir einen Schlüssel in die Hand geben<br />

für die Tür zwischen Innenwelt und Außenwelt, zu einer Welt, in der meine Werte<br />

vorkommen.<br />

Symbole werden durch das für Anregungen offene Subjekt auf dessen Suche nach Werten<br />

ergriffen. Dadurch sind sie bedeutsam in der zweiten Grundmotivation. Das eindeutige<br />

Phänomen in ist nicht der als Symbol dienende Objekt, sondern das symbolisierende Subjekt.<br />

Was A. Längle über das Wertfühlen sagt, die ein inneres Ergreifen und gleichzeitig ein<br />

Ergriffensein befrachtet, mit der Eindeutigkeit, dass es mich angeht (Längle1993a, 22) ist,<br />

gilt ebenso für das Symbolisieren. Zu erkennen, welche Bedeutungen in einem Symbol - in<br />

einem materiellen (z.B. ein Geschenk) oder immateriellen Gegenstand (z.B. in einem Traum<br />

in einem Theaterstück, in einer Märchensituation oder Märchenfigur 35 ) gesehen werden, sagt<br />

etwas über die Person aus, für die gerade diese Bedeutungen zutreffen. Symbole helfen nicht<br />

nur, die innere Welt, das innere Leben zu erschließen, sondern das eigene Wesen zu erkennen.<br />

Ein Symbol ist durch jemanden bestimmt. Ihre eigene Weise des Symbolisierens gibt der<br />

Person eine Möglichkeit, sich zu erkennen und eine Gelegenheit, sich zu zeigen. Somit<br />

können Symbole auch Relevanz für die dritte Grundmotivation haben. In der 3. GM geht es<br />

um die Differenzierung des Eigenen vom Anderen, um Unverwechselbarkeit und<br />

Abgrenzung, um die Authentizität der Person. Dies wird induziert durch ein Gesehenwerden<br />

35 vgl. Susanne Perkonigs Darstellung der Arbeit eines Werkkreises für existenzanalytischer Selbsterfahrung<br />

anhand von Märchen (1992, 121-125)


- 68 -<br />

durch andere, durch deren Wertschätzung, verlangt aber auch eine Anerkennung des Eigenen<br />

durch sich selbst, ein Ja zum Personsein (Längle 2003, 210). Person ist ein Zentralbegriff<br />

in der Existenzanalyse zur Bezeichnung der geistigen Dimension des Menschen und seiner<br />

Fähigkeit zur Existenz (Längle 2000b), Längle geht vom Verständnis der Person als dem in<br />

mir Sprechenden aus (ebd.). Jeder Mensch hat ein Gesicht, das er bewahren will und das den<br />

Blick des aushalten können muss (vgl. Längle 1999a, 27). Der Mensch hat ein Gesicht, das<br />

immer sein Gesicht bleibt, obwohl es in jeder Situation und in jedem Lebensalter anders<br />

aussieht. Das Gesicht ändert sich angesichts eines beeindruckenden Erlebnisses der offene<br />

Mund des Staunenden verweist auf die Offenheit von außen nach innen; umgekehrt drückt<br />

etwa ein schmerzverzerrtes Gesicht eine inneres Empfinden nach außen hin aus. Das Gesicht<br />

kann hier stellvertretend als pars pro toto des Menschen angesehen werden, es gehört der<br />

ganze Körper dazu, die Körperhaltung, die Stimme, der Bewegungsrhythmus, die<br />

Handschrift, etc. dazu. Das Aussehen eines Menschen kann variieren, es lässt sich zum Teil<br />

auch manipulieren, manches kann verborgen, manches betont werden, doch es bleibt immer<br />

sein Aussehen. Ein bestimmtes Aussehen entspricht einem bestimmten Aspekt, so sagt es<br />

auch die wörtliche Übersetzung des lateinischen Wortursprungs ( aspectus 36 ). In der<br />

phänomenalen Kategorie der Repräsentation geht es darum, durch die einzelnen Aspekte<br />

hindurch das Eindeutige zu erkennen. Das gilt auch beim Aussehen des Menschen, seine<br />

vielen Gesichter sind immer Variationen seiner tiefsten Originalität, seiner Ur-Gestalt ,<br />

seiner Einzigartigkeit. Die Repräsentation eines Phänomens entspricht einer eidetischen<br />

Variation 37 der verschiedenen Erscheinungsformen der Person, die zum eigentlichen Antlitz<br />

führen soll. Somit kann auch die Repräsentation der dritten Grundmotivation dienen, wenn sie<br />

hilft, die Person klarer zu sehen.<br />

Die vierte Grundmotivation ist der Wille zum Sinn (Frankl), sie ist die existentielle<br />

Motivation, die mit den zuvor genannten drei personalen Grundmotivationen korrespondiert.<br />

Frankl (1987, 230) spricht von einer Selbsttranszendenz der Existenz auf den Logos hin .<br />

Nach Frankl ist Sinn die tiefste Motivation des Menschen und dem Streben nach Lust (Freud)<br />

und dem Willen zur Macht (Adler) vorgeordnet (vgl. S. Längle 2000). In A. Längles Konzept<br />

der Grundmotivationen zeigt sich im Streben nach Sinn eine tiefe Sehnsucht nach<br />

Aufgehobensein in etwas Größerem, in einem weiteren Horizont (A. Längle, 2003c, 123).<br />

Die 4. GM entspricht einem Tätigwerden in Hingabe an Produktivität, Erleben und<br />

Erhaltung von Werten (Längle 2003, 210), sie wird durch Sinnzusammenhänge induziert, sie<br />

verlangt eine Übereinstimmung mit der Situation, eine praktische Auseinandersetzung mit<br />

36 vgl. Fußnote 8 in Abschnitt 3.2<br />

37 vgl. Fußnote 18 in Abschnitt 4.1


- 69 -<br />

dem Sinn und der Zukunft der Existenz, ein Ja zum Sinn (ebd.). Das Modell der<br />

phänomenalen Kategorien kann für die Sinnfindung, für die Wahrnehmung des existentiellen<br />

Sinns unterstützend eingesetzt werden. Die Funktion des Modells für die Logotherapie<br />

möchte ich mit einer Metapher Frankls veranschaulichen: Der Logotherapeut ist kein Maler,<br />

sondern ein Augenarzt. Der Maler malt die Welt, wie er sie sieht der Augenarzt aber verhilft<br />

dem Patienten dazu, dass er die Welt sehen kann, wie sie ist, wie sie für den Patienten ist. Das<br />

heißt, er erweitert dessen Horizont, dessen Gesichtsfeld für Sinn und Werte (Frankl, Kreuzer<br />

1986, 25).<br />

Abschließend möchte ich auf das prozessuale Konzept der Personalen Existenzanalyse (PEA)<br />

von Alfried Längle eingehen (siehe auch Abschnitt 1.2) und skizzieren, in welcher Weise das<br />

Modell der phänomenalen Kategorien hier unterstützend zum Einsatz kommen können.<br />

Längle entwickelte die PEA als eine Methode, um die existentielle Zustimmung zu<br />

konkreten Situationen oder biographischen Erfahrungen einzuholen oder freizulegen (Längle<br />

2000, 10). Indikationen für die PEA sind eine fehlende oder gestörte Wertberührung, eine<br />

blockierte oder fehlende Integration der Emotion und Handlungsblockaden, als zentrale<br />

Indikation gilt die Selbstfindung der Person angesichts jedweder innerer oder äußerer<br />

Situation (ebd., 29).<br />

In der Phase PEA 38 0, der deskriptiven Vorphase, erfolgt eine inhaltliche Darstellung des<br />

Faktischen, etwa durch Beschreibungen, Erzählungen, Berichte. Widersprüchliches kann<br />

aufgeklärt werden, damit ein sachlicher Boden für die nächsten Schritte vorliegt. Dies braucht<br />

Zeit für die Information, es kann ein Eindruck entstehen. Ein Phänomen sollte hier in der<br />

Kategorie Repräsentation erscheinen.<br />

Im Schritt PEA 1 geht es um das Heben des subjektiven Eindrucks. Die Blickrichtung geht<br />

nach innen, auf das spontane Gefühl und den spontanen Impuls. Als primäre Emotion wird<br />

die erste, noch unreflektierte Gefühlreaktion bezeichnet, die durch die Empfindung oder<br />

Wahrnehmung eines Objekts oder eines Vorganges aus der äußeren oder inneren Welt des<br />

Subjekts hervorgerufen wird. Die empfundene Gefühlsqualität entspricht dem<br />

Wahrnhehmungs-Inhalt des unmittelbaren Eindrucks, den eine Situation auf den Menschen<br />

macht, sie enthält eine primäre Bewertung dieses Inhalts in Abstimmung mit dem Grundwert,<br />

den erlebten Eigenwert, den das Leben für die jeweilige Person hat. Das ist der affektive Teil<br />

der Emotion. Insofern wird das Wahrgenommene als förderlich oder abträglich für die<br />

Beziehung zum Leben empfunden. Daraus resultiert eine Erregung in Form einer<br />

Verhaltenstendenz, es kommt zu einer impulsiven Reaktion im Sinne einer Zuwendung<br />

38 die Ausführungen zu den einzelnen Schritten beziehen als Quelle A. Längle 1993a, 2000c, 2003 und 2003a


- 70 -<br />

(Attraktion) zum oder Abwendung (Repulsion) vom Wahrgenommen. Diese Regung ist der<br />

impulsive Anteil der Emotion. Primäre Emotionen begleiten jedes menschliche Erleben und<br />

können nicht verhindert werden, auch wenn sie nicht immer bemerkt werden. Sie sind die<br />

Rückmeldung, wie das Wahrgenommene (das Was ) vom Subjekt erlebt wird. Für die<br />

primäre Emotion sehe ich die Möglichkeit, dass neben den fokussierenden phänomenalen<br />

Kategorien Repräsentation (hier werden die Phänomen in Richtung Objektivität fokussiert)<br />

und Symbol (hier wird in Richtung Subjektivität fokussiert) auch gezielt und reflektierend die<br />

beiden anderen nicht fokussierenden Kategorien Illusion und Chaos zum Tragen kommen<br />

können. Die Illusion hat eine Nähe zum Affekt, denn dieser hängt unmittelbar von einem Reiz<br />

ab, durch den er verursacht wird. Ein Affekt ist die psychische Reaktion auf eine Empfindung<br />

und als solche noch nicht personal integriert. Illusionen spielen ( ludere ) mit aus einem<br />

größeren Zusammenhang losgelösten Einzelaspekten, die Sinnlichkeit des Eindruckes gibt<br />

den Ausschlag und nicht die Sinnhaftigkeit. Bevor etwas als Täuschung erkannt wird, kann es<br />

trotzdem das Erleben beeinflussen. Sonst gäbe es keine Werbung und Propaganda, der es<br />

überwiegend um das Hervorrufen von Gefühlen geht und nur mehr oder weniger um sachliche<br />

Information. Illusionen können stimulieren, sie können reizend sein, das ist an sich nicht<br />

schlecht, aber es bedarf des Bewusstseins erst an einer Oberfläche zu sein. Die weitere<br />

Auseinandersetzung mit illusionären Phänomen kann durch Repräsentation erfolgen, indem<br />

versucht wird, alle Aspekte zu berücksichtigen und deren Zusammenhang zu beachten dies<br />

entspricht der phänomenologischen Schau in dieser Phase der PEA, in der es um den<br />

phänomenalen Gehalt (PEA 1-Ph) des Eindrucks geht, und bei der Deutungen und<br />

Interpretationen ausgespart werden sollen. Die oberflächliche Stimulierung einer Illusion<br />

kann auch in eine andere Tiefe führen, als in den Raum, der sich durch Repräsentation auftut,<br />

und zwar in die Tiefe der Subjektivität des Wahrnehmenden. Dies geschieht, wenn das<br />

Phänomen als Symbol in einen neuen subjektiven Bedeutungsraum gesehen wird; das kommt<br />

aber erst im nächsten Schritt der PEA dran, wenn es um das Verstehen geht. Wenn das<br />

Symbolisieren therapeutisch genutzt wird (z.B. Imagination, Phantasie, Traumarbeit, kreative<br />

Methoden) geht es dennoch immer auch um die Sinnlichkeit des Vorhandenen, denn diese<br />

vermag zu stimulieren, zu affizieren. Durch die Fähigkeit zur sinnlichen Attraktion können sie<br />

eine weitere und tiefere Zuwendung zu sich selber bahnen. Im Gegensatz zur fehlenden Tiefe<br />

von Illusionen gehen Chaos-Phänomene meist mit einem Gefühl der Tiefe ohne Grund einher,<br />

mit einem Empfinden von Uferlosigkeit und Unendlichkeit. Üblicherweise ruft der<br />

empfundene Raum ohne Halt ein Gefühl der Verunsicherung als affektive Reaktion hervor,<br />

der Impuls dazu entspricht einem reflektorischen Schutzverhalten. Meist kommt es zu einem


- 71 -<br />

(kurzen) Zurückschrecken, zu einem Rückzug in Richtung Distanz (Repuls), zu einem Zögern<br />

oder Innehalten.<br />

Der Schritt PEA 2 führt zur inneren Stellungnahme der Person, in der sich die Person<br />

selbstgestalterisch ins Spiel bringt. Das im Eindruck neu Vernommene wird in einem<br />

Integrationsprozess mit alten, bereits bestehenden Wertbezügen in Verbindung gebracht.<br />

Dieser Prozess löst die primäre Emotion aus der Einseitigkeit des situativen Wertanspruchs<br />

heraus, die Person geht vom unmittelbaren, aspektgebundenen Werterleben etwas auf Distanz<br />

und stellt dieses neben die schon bestehende Wertehierarchie. Dies führt zu einer inneren<br />

Weitung des Betrachtungswinkels und eröffnet die Möglichkeit des Verstehens (PEA 2-V).<br />

Sowohl die Repräsentation als das symbolisierende Betrachten von Phänomenen kann zum<br />

Zug kommen, wenn es um die subjektive Bedeutung des Eindruckes für das Leben der Person<br />

( verstehe ich mich? - Selbstverständnis; PEA 2-V1) und die äußeren Zusammenhänge geht<br />

(situatives Verständnis; PEA 2-V). Hier hat auch das Platz, das (noch) nicht verstanden wird,<br />

( was verstehe ich nicht? - Unverständnis; PEA 2-V3), ein noch ungeklärtes Chaos hat auch<br />

hier seine Berücksichtigung, ebenso wird die Möglichkeit beachtet, dass Illusionen Einfluss<br />

haben können, und auf Relativierung warten. Auf der Basis des eigenen Verstehens kann die<br />

Person zu einer authentischen Bewertung auf der Grundlage des Gewissens kommen. Der<br />

Gewissensbezug der vom unmittelbaren Eindruck gelösten Emotion führt zur integrierten<br />

Emotion (PEA 2-IE). Integrierte Emotionen fügen sich in das Selbst- und Weltbild der Person<br />

ein. Sie dienen als emotionale Begründung authentischen Handelns und sind vom Gefühl der<br />

Stimmigkeit begleitet. Die Person nimmt Stellung, indem es dieses tiefste Gespür, das alle<br />

Empfindungen integriert hat, in einen Reflexionsprozess einfließen lässt. Die dabei sich<br />

einstellende subjektive Stimmigkeit gibt der Person die Möglichkeit, das dem Stimmigen<br />

entsprechende Richtige zu erkennen und sich dazu zu positionieren. Dadurch kommt die<br />

Person zu einer allgemeinen, grundsätzlichen Stellungnahme (PEA 2-S1) und bezieht zum<br />

eigenen Gewissen Stellung (PEA 2-S2). Diese letzte Stellungnahme ist handlungsorientiert,<br />

geht in eine Entscheidung über und kulminiert im Willen (PEA 2-W).<br />

Im Schritt PEA 3 geht es um den adäquaten Ausdruck als handelnde Antwort, um den<br />

existentiellen Vollzug des Personseins. Es geht um das konkrete Anfangen, das Klären der<br />

Gelegenheiten, der Mittel, um den Umgang. Die Haltung des Therapeuten soll schützend und<br />

ermutigend sein, denn es ist Übung und Praxis nötig, um den richtigen Ausdruck zu finden<br />

und zu realisieren. Da im Ausdruck die Peron in die Welt hinaus wirkt, dadurch ihrerseits bei<br />

anderen Personen Eindrücke hinterlässt, geht es hier auch um die Möglichkeiten und Tücken<br />

der Kommunikation. Das (oftmals nicht bewusste) Bedürfnis der kommunikativen<br />

Verdeutlichung ist eine Form der Repräsentation, die vor Missverständnissen (Illusionen)


- 72 -<br />

bewahren soll, weshalb wir gerne mit Gesten das Gesprochene unterstreichen, uns<br />

wiederholen und uns die Rückversicherung holen, ob wir richtig verstanden wurden. In dieser<br />

Phase der Selbstaktualisierung geht es nicht um ein Ausagieren, sondern um ein Antworten in<br />

Abstimmung mit den Gegebenheiten und Erfordernissen der realen Welt. Durch den<br />

Ausdruck zeigt sich die Person der Welt.


- 73 -<br />

SCHLUSS<br />

6.1 Zusammenfassung und Reflexion<br />

In abschließender Zusammenfassung möchte ich mein Modell der phänomenalen Kategorien<br />

in tabellarischer Übersicht zeigen:<br />

Eindeutigkeit<br />

Mehrdeutigkeit<br />

aufeinander bezogene,<br />

relative Aspekte Repräsentation Chaos<br />

einzelner Aspekt oder vereinzelte,<br />

verabsolutierte Aspekte Illusion Symbol<br />

Die Grundidee für dieses Modell entstand noch vor meiner fachspezifischen Ausbildung in<br />

Existenzanalyse und Logotherapie und bevor mir die Phänomenologie als philosophische<br />

Richtung ein Begriff war. Sie entstammt aus der Auseinandersetzung mit dem<br />

stereoskopischen Sehen, insbesondere mit meinen Schwierigkeiten, die ich damit hatte und zu<br />

einem kleinen teil noch habe. Beidäugiges Sehen ist für mich keine Selbstverständlichkeit, die<br />

Unmittelbarkeit des stereoskopischen Erlebnisses kenne ich nur in der Peripherie meines<br />

Gesichtsfeldes, diese Unmittelbarkeit kenne ich aber vom beidohrigen Hören mit der ich es<br />

vergleichen konnte. Mich faszinierte immer die Empfindung des Standortes, von dem aus ich<br />

die visuelle Welt sehe. Bevor ich darüber nachdachte, stand ich immer in meinem rechten<br />

Auge, das das so genannte führende war. Als sich das linke Auge zurückmeldete und ich<br />

das Sehen durch das linke Auge trainierte, konnte ich meinen visuellen Standpunkt wechseln,<br />

ich konnte abwechselnd im linken und im rechten Auge sein, einmal war die Nase am linken<br />

Rand und wenn ich umschaltete war sie am rechten. Die Frage war dann, wo bin ich in<br />

meiner visuellen Welt, wenn ich durch beide Augen gleichzeitig schauen könnte, wie es die<br />

meisten Menschen können. Dank der modernen Medizin durfte ich die Antwort erfahren, ich<br />

befinde mich nun, was meinen visuellen Blickpunkt angeht, oberhalb der Nasenwurzel,<br />

immer noch leicht rechtslastig, und ich habe mich längst daran gewöhnt, nicht mehr meine<br />

Nase rechts neben mir optisch gesehen zu haben. Diese Themen weckten aber auch<br />

mein Interesse an allgemeinen Wahrnehmungsprinzipien, und ich machte mir darüber


- 74 -<br />

Notizen, oft in Form von graphischen Aufzeichnungen. Auch meine Beschäftigung mit<br />

bildender Kunst kam mir da zu gute, denn hier hatte ich eine Art Heimvorteil im<br />

zweidimensionalen Raum des Bildgrundes. Hier ist mir die zeichnerische räumliche<br />

Darstellung immer schon leicht gefallen, diese Fertigkeit habe ich übrigens beim späteren<br />

nochmaligen Besuch der Sehschule auch in den dort gezeigten Kinderzeichnungen sehen<br />

können, viele der dort behandelten Kinder sind in Vorschulalter. Beim Schielen erzeugt die<br />

Beidäugigkeit Doppelbilder, bei orthoptischen Bedingungen, also aufeinander eingestellten<br />

Sehachsen erzeugt Beidäugigkeit eine Eindeutigkeit der Raumempfindung, wie sie<br />

Einäugigkeit alleine nie erreichen kann 39 . Was das visuell-räumliche Empfinden angeht,<br />

täuscht man sich im monokularen Sehen leicht in den Entfernungen, diese leidvolle Erfahrung<br />

machen besonders Menschen, die durch den Verlust eines Auges ihr zuvor intaktes<br />

binokulares Sehen verlieren. Doch die Wahrnehmungsfähigkeit insgesamt, die mit allen<br />

Sinnen empfinden kann und auch die Vorerfahrungen einbezieht, strebt nach Integration. Wer<br />

ein Auge verloren hat lernt auf andere Aspekte zu achten, auf den Schattenwurf, auf die<br />

Verschiebungen durch Kopfbewegung, im Nahbereich wird der Tastsinn 40 wichtiger.<br />

In der visuellen Welt braucht es nicht nur optischer Klarheit im Sinne der Transparenz der<br />

Medien (Fehlsichtigkeit bei Problemen mit dem Fokussieren, Trübungen), sondern auch<br />

Klarheit der Raumwahrnehmung. Die Klarheit einer Ansicht in der Einäugigkeit ist anfällig<br />

für räumliche Täuschungen, das ist das Prinzip der Illusion, die aufgelöst werden kann durch<br />

den Einfluss zusätzlicher Aspekte, dem Prinzip der Repräsentation. Die Uneindeutigkeit, die<br />

entsteht, wenn zwei Aspekte nicht gemeinsam einen Gegenstand repräsentieren können, wie<br />

dies in der Diplopie der Fall ist, entspricht dem Chaos. Die jeweilige Ansicht ist somit ein<br />

Grundelement, das mit der durch sie erfassten Bedeutungsgehalt in einem Verhältnis steht.<br />

Ich suchte möglichst abstrakte Begriffe, um die systematische Beziehung zwischen Ansicht<br />

und Bedeutung verallgemeinernd darstellen zu können und kam, das Ergebnis ist das hier<br />

erstmal publizierte Modell der phänomenalen Kategorien.<br />

Als Inspirationsquellen, mich diesem Thema ausführlicher zu widmen, war am Beginn Viktor<br />

Frankls Dimensionalontologie (siehe Abschnitt 4.2), die eine Art Quadratur des Kreises<br />

aufzeigt, indem unvereinbar scheinende Aspekte auf einer höheren Dimension<br />

zusammenfinden können, aber auch mein Streifzug durch die Phänomenologie, mit der ich<br />

39 Das kann jeder leicht selber nachvollziehen, wenn er ein Auge abdeckt und versucht, Tee aus einer Kanne von<br />

der Seite in die Tasse zu gießen.<br />

40 Das richtige Einschätzen der Entfernungen fällt einem Einäugigen besonders schwer in unregelmäßigem<br />

Gelände, etwa beim bergab Steigen während einer Wanderung. Anders als bei einer Treppe, bei der die<br />

Entfernung zur nächsten Stufe leicht vorauszuberechnen ist, ergeben sich hier bei jedem Schritt neue räumliche<br />

Verhältnisse. Mit zwei Stöcken in der Hand, die wie Fühler verwendet werden, kann sich jedoch ein Empfinden<br />

für die Abstände ergeben, das einem Stereoeffekt nahe kommt und, schlagartig stellt sich ein Gefühl von<br />

Sicherheit ein.


- 75 -<br />

während meiner fachspezifischen Psychotherapie-Ausbildung in Kontakt kam. Insbesondere<br />

bei Husserl und bei Merleau-Ponty fand ich eher zufällig und völlig überraschend eine<br />

Auseinandersetzung mit meinem Thema der Beidäugigkeit, die mich auf mehr neugierig<br />

machte.<br />

Die Ausbildung in Existenzanalyse zeigte mir Möglichkeiten, meine Überlegungen in ein<br />

psychotherapeutisches Verständnis einzubinden, geht es doch schon in der ersten<br />

Grundmotivation um den Raum. In diesem Sinne habe ich das Thema für meine<br />

Abschlussarbeit gewählt, als Möglichkeit und Gelegenheit, meinen Gedanken eine Form zu<br />

geben, deren Relevanz für die Psychotherapie zu erkunden und als Versuch, sie in ein<br />

personal-existentielles Menschenbild einzuflechten.<br />

6.2 Ausblick<br />

Das Modell der phänomenalen Kategorien ist keine Methode der Phänomenologie, sie kann<br />

diese aber systematisch unterstützen. Die kategoriale Einordnung eines Phänomens lässt<br />

dieses als Element der jeweiligen Kategorie oder als nicht zu dieser Kategorie gehörig<br />

identifizieren. Dabei kann ein Phänomen durchaus Element mehrere Kategorien sein, denn es<br />

ist möglich, die Sichtweise zu wechseln. Die Zugehörigkeit zu einer Kategorie sagt aber<br />

nichts darüber aus, in welchem Ausmaß das Phänomen dieser Kategorie vertreten ist. Es fehlt<br />

also eine dimensionale Auffassungsmöglichkeit, die eine kategoriale Zuordnung von<br />

Phänomenen im psychotherapeutischen Kontext ergänzen kann. Ein Entwurf dazu liegt in<br />

meiner Schublade.


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Anmerkung: die verwendeten Abbildungen sind vom Autor angefertigt und keine photomechanischen<br />

Reproduktionen. Entsprechende Quellenverweise auf die Originale, denen die Abbildungen modifiziert<br />

nachempfunden wurden, sind erfolgt.


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