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Schizophrenie - GLE International

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THEMENSCHWERPUNKT<strong>Schizophrenie</strong>PhänomenologieTherapiekonzeptFallbeispieleBuchbesprechungen


INHALTImpressum ................................................................................................................. 2Editorial .................................................................................................................... 3WISSENSCHAFT<strong>Schizophrenie</strong> - ein Überblick (L. Tutsch) ................................................................ 4Der Verlust des Zusammenhalts. Psychopathologie undexistentielle Themen in der <strong>Schizophrenie</strong> (A. Längle) ........................................... 13<strong>Schizophrenie</strong> unter dem Blickwinkel der personalenGrundmotivation (K. Luss) ..................................................................................... 23Therapie mit einer chronisch schizophrenen Frauim ambulanten Bereich (P. Schmid) ......................................................................... 27FORUM, LESERBRIEFEErfahrungen im therapeutischen Umgang mit Psychosen (W. Winklhofer).............. 30Eine Anmerkung zur Anwendung der Existenz-Skala ............................................. 33Dem eigenen Gespür trauen (E. Huber) .................................................................. 34AKTUELLESExistenzanalyse in Rumänien .................................................................................. 36The World of Psychotherapy .................................................................................. 37Gaby Reisenberger - 10 Jahre in der <strong>GLE</strong> .............................................................. 39BUCHBESPRECHUNGEN ................................................................................... 40MITTEILUNGEN................................................................................................... 46TAGUNGSANKÜNDIGUNG ............................................................................... 51TERMINE............................................................................................................... 52Kontaktadressen ...................................................................................................... 45IMPRESSUMMedieninhaber, Herausgeber undHersteller:GESELLSCHAFT FÜRLOGOTHERAPIE UNDEXISTENZANALYSE (Wien),GESELLSCHAFT FÜREXISTENZANALYSE UNDLOGOTHERAPIEin München e.V.Redaktion: P. Freitag, S.Längle,A. LängleAlle: Eduard-Sueßgasse 10A - 1150 WienTel.: 0222/9859566FAX Nr. 0222/9824845Druck: AV-Druck,Sturzgasse 1a, 1140 Wien.„Existenzanalyse“, vormals„Bulletin“ der <strong>GLE</strong>, ist das offizielleOrgan der Gesellschaft fürLogotherapie und Existenzanalyseund erscheint 3x jährlich.Die <strong>GLE</strong> ist Mitglied der <strong>International</strong>enGesellschaft für Psychotherapie(IFP), der EuropeanAssociation of Psychotherapy(EAP), des Österreichischen Bundesverbandesfür Psychotherapie(ÖBVP), der <strong>International</strong>en Gesellschaftfür Tiefenpsychologiee.V. Stuttgart, der Wiener <strong>International</strong>enAkademie für Ganzheitsmedizin,der Martin-Heidegger Gesellschaft e.V. unddes Verbandes der wissenschaftlichenGesellschaften Österreichs(VWGÖ).Die <strong>GLE</strong> ist nach dem österreichischenPsychotherapiegesetz alsAusbildungsinstitution zum Psychotherapeutengemäß demPsychotherapiegesetz anerkannt.Auf Grund des erweiterten Umfangs der ZeitschriftEXISTENZANALYSE wird sich im nächsten Jahr dasJahresabonnement auf öS 280,- / DM 40,- erhöhen.Veröffentlichte, namentlich gekennzeichneteBeiträge gebennicht immer die Meinung derRedaktion wieder.© by Gesellschaft für Logotherapieund Existenzanalyse.Mitglieder erhalten die Zeitschriftkostenlos.Jahresabonnement 1996 fürNichtmitglieder:ÖS 150,- / DM 25,-EXISTENZANALYSE 3/96 3


EDITORIALH I N W E I S ELiebe Kolleginnen, liebe Kollegen !Wissenschaftliche RedaktionDr. Lilo TutschGaby Reisenbergerleitet seit 10 Jahrendas SekretariatSeite 39Die Person in derArbeitswelt21. Jahrestagung der<strong>GLE</strong> im April 1997Seite 51Existenzanalyse imPsy III DiplomSeite 46Einsparungen in derPsychotherapieSeite 46Vorschau aufs nächste Heft:PsychosenSchwerpunkt:Betroffene und LaienhilfeArtikel u.a. von:P. Freitag, A. GörtzCh. Simhandl, J. Krizwissenschaftl. Redaktion:Dr. L. Tutsch, WienRedaktionsschluß für dieNummer 1/97:4. Jänner 1997Mit dieser und der nächsten Ausgabe führen wir das Thema derklinischen Psychotherapie vom letzten Heft fort und werfen einenBlick in den Bereich der Psychosen. Uns war die Konzentrationder Thematik auf eine Gruppe von psychotischen Erkrankungenwichtig, und zwar auf die Gruppe der <strong>Schizophrenie</strong>n.Was kann hier der Therapeut leisten und was braucht der Patient- aus diesen beiden Perspektiven gestalten sich diese beiden Ausgabender EXISTENZANALYSE.Im vorliegenden Heft liegt der Schwerpunkt auf der„Behandlerseite“. Dazu schildert L. Tutsch im Rückgriff auf dasderzeitige <strong>Schizophrenie</strong>verständnis ein Spektrum effizienterTherapiemöglichkeiten. Illustrativ dazu schließen sich die Fallbeschreibungenvon K. Luss und P. Schmid an. Hierbei wurdenauch unterschiedliche Formen der <strong>Schizophrenie</strong> in den Blickgenommen. Während W. Winklhofer und P. Schmid über die Situationmit chronisch schizophrenen Patienten berichten, richtensich die Therapiekonzepte im Artikel von L. Tutsch an Patientenmit noch remittierbaren Verlaufsformen. Die phänomenologischeZugangsweise der Existenzanalyse erlaubt einen neuen,historisch unbelasteten Blick auf das Wesen der <strong>Schizophrenie</strong>. Sobringt A. Längle das psychotische Erleben in Zusammenhang mitGrundproblemen der Weltbegegnung des Menschen und stellt siein einen existenzanalytischen Kontext.Insgesamt soll in diesem Heft also die Erfahrung auf therapeutischerSeite zu Wort kommen, während der Schwerpunkt des nächstenHeftes auf dem Zugang aus der Sicht der Betroffenen undder „Laienhilfe“ liegt. Damit soll sich das Bild ergänzen und runden.Für dieses umfangreiche Projekt hat, zur Freude und Erleichterungder Redaktion, Lilo Tutsch dankenswerterweise die Themenredaktionübernommen. Und gerne geben wir den Dank von LiloTutsch fürs Mitschauen, -lesen, -diskutieren und -denken bei derredaktionellen Gestaltung an ihre Helfer Astrid Görtz, Karin Lussund Peter Schmid weiter. Wir wünschen ein Innehalten im Alltag,wenn möglich ein Besinnen und Frohwerden zum Weihnachtsfest.IhreSilvia Länglefür das Redaktionsteam4 EXISTENZANALYSE 3/96


WISSENSCHAFT<strong>Schizophrenie</strong> - ein ÜberblickDr. Liselotte TutschAus der Fülle der Sichtweisen zur Ätiologieund Pathogenese der schizophrenen Erkrankungenversucht die Autorin einen zeitgemäßenStandort aus der Sicht einer infreier Praxis tätigen klinischen Psychologinund Psychotherapeutin zu bestimmen. In einemweiteren Teil der Arbeit referiert sieFrankls Beitrag zu dieser Thematik, um abschließenddie Grundzüge und wesentlichenAspekte ihrer therapeutischen Arbeit mitschizophrenen Menschen darzustellen.„Heilung ist kein plötzliches Geschehen..., es ist vielmehreine dauernde Anstrengung, wobei der Mensch wesentlichenWahrheiten über sich selbst immer wieder von neuemins Auge blicken muß. Jeder Psychotiker, der wiedergesund werden will, muß nicht nur die furchtbare Mikromechanikdes Durchdrehens ins Auge fassen und durchschauen,sondern auch die Psychologie der Heilung gründlichstudieren. Und auf ihre Art ist die Reise zur Heilungebenso aufregend wie das Hineinschlittern in den Wahnsinn.Wie der Wahn die Konfrontation des Menschen mitseinem Wesen erzwingt, so tut es auch die Heilung.“ (E.Podvoll 1994, 265)Gilt diese Aussage wohl für jede Art von Auseinandersetzungmit „Störendem“, so kommt ihr im Zusammenhangmit den Erkrankungen des schizophrenen Formenkreisesbesonderes Gewicht zu. Es ist nämlich gerade einewesentliche Schwierigkeit dieser Störungen, der Wahrheitins Auge zu blicken, ist sie doch oft bedrohlicher als dieErkrankung selbst. „Es gibt etwas Schrecklicheres als diePsychose und das ist das Leben“, so beschreiben eine Vielzahlvon Betroffenen ihr Erleben. Dies macht es den Betroffenenschwer, der Wirklichkeit, in der die „anderen“ leben,etwas abzugewinnen, einen Grund für den mühsamenund schmerzhaften Weg zurück zu finden. „Es ist entsetzlichanstrengend, das zu tun, was für andere offensichtlichselbstverständlich ist. Und dort, wo es gelingt, ist es nichtgut genug.“ (Zitat einer Patientin).Faszination und Bedrohung, Besonderheit und Minderwertigkeit- in dieser Spannung bewegt sich Erleben undBewertung der Betroffenen gleichermaßen wie jenes ihrerUmwelt. Vom Sehenden, überirdisch Befähigten, bis zumIdioten, welcher nur in „Anstalten zu halten“ ist, bewegensich Sichtweise und Beurteilung dieser Phänomene. Diesebis zum Zerreißen gespannte Polarität beeinträchtigte auchunter den Behandlern oft das Zusammenwirken zugunstendes betroffenen Menschen und führte zu einem „Entweder-Oder“zugunsten einer Überbetonung der einen oderanderen Ansicht.Entsprechend der zentralen Störung im schizophrenenGeschehen, der Fragmentierung der Wirklichkeit inunverbundene Einzelteile, dem Verlust des Zusammenhangesund dem „Verlust des Zusammenhaltes“ (Längle 1994,1996) gestaltete sich auch deren Erforschung lediglich ausschnitthaft,verbunden mit dem Hang zur Verabsolutierungder Einzelteile (ähnlich dem wahnhaften Geschehen in derPsychose).Dies scheint heute weitgehend überwunden. Die Akzeptanzder Vielfalt der Einflußfaktoren und Manifestationsgestaltenim schizophrenen Geschehen verlangtdie Zusammenschau der vielfältigen Befunde und praktischenErfahrungen. Dies soll in einem ersten Abschnittdieser Arbeit geschehen. In einem zweiten Abschnittwerde ich den Beitrag V.E. Frankls zur Theorie und Behandlungschizophrener Störungen referieren und kommentieren.Im dritten und letzten Teil werde ich Schwerpunktemeiner therapeutischen Arbeit mit schizophrenen Menschenbeschreiben.StandortbestimmungDie Entwicklung der SichtweisenVordergründig betrachtet läßt die Vielfalt der Erscheinungsformenhinsichtlich der Symptomatik und desVerlaufes schizophrener Störungen auf eine Gruppe von Erkrankungenschließen. Näher besehen lassen sich jedochhinter diesen mannigfaltigen Erscheinungsformen durchausgemeinsame Charakteristika - eine gemeinsame Grundstörung- auffinden, welcher wiederum ein „Bündel“ätiologischer Faktoren zugrundeliegt.Der gemeinsame Kern der schizophrenen Störungenläßt sich beschreiben als eine Schwäche des Betroffenen,innen und außen, Eigenes von anderem, Reales von Vorgestelltemzu unterscheiden, Wesentliches von Unwesent-EXISTENZANALYSE 3/96 5


WISSENSCHAFTlichem zu differenzieren, Vergangenes, Gegenwärtiges undZukünftiges in der zeitlichen Abfolge zu identifizieren. Sowird es schwer, die Lebensereignisse zu ordnen, zuzuordnenund in ihrem Bedeutungszusammenhang zu erkennen- es ist schwer zu fassen, was geschieht. Dadurch erlebtsich der Betroffene sehr leicht einem unverständlichen Geschehenausgeliefert und verliert, wie Kimura es ausdrückt,den „dialektisch offenen, beweglichen gemeinsamen Sinnbezugmit seiner sozialen Referenzgruppe“. (Kimura 1988,92)Zwei Copingvarianten scheinen dieser schizophrenenGrundstörung - der Entordnungsneigung und dem darausresultierenden Verlust des Zusammenhanges des Selbst- undWelterlebens entgegenzuwirken:1. Der Rückzug aus der unüberschaubaren Vielfalt der sichereignenden Phänomene in eine weniger ereignisreiche,überschaubare Lebenswelt, in ein reiz-ärmeres Klima.2. Die Neuordnung des Chaos durch neue Bedeutungsverbindungen,die Erklärung des Unfaßbaren und Unverständlichenin wahnhafter Konstruktion.Beide Varianten wirken der Fragmentierung, dem Chaosund dem drohenden Haltverlust entgegen - um den Preisder Vertiefung der Kluft zwischen Betroffenem und seinerMitwelt. Welche Form der „Daseinserhaltung“ nun geschieht,hängt jeweils von der biologischen Ausstattung,von der Persönlichkeit, von Lebensgeschichte, aktuellerSituation und personaler Gestaltung ab. „Reaktiv mobilisiertder Psychotiker alles, was er auf Lager hat“. (Mentzos1996, Seminar beim Weltkongreß für Psychotherapie,Wien). Wahn oder Rückzug sind so gesehen bereits eineAnpassungsleistung des Betroffenen auf seine Grundstörung.Dieser Sichtweise steht in der <strong>Schizophrenie</strong>diskussioneine andere gegenüber, welche die schizophrenenSymptome als direkten Ausdruck der zugrunde liegenden(biologischen) Störung beschreibt.Die Beschreibung der schizophrenen Kernproblematikund ihrer unterschiedlichen Kompensationsformen zieht dieFrage nach dem Zustandekommen solcher „Empfindlichkeit“nach sich, die Frage nach Ätiologie und Pathogenese.Geklärt ist, daß es keine einzelne Ursache - den„Schizococcus oder die Schizoamine“ - gibt, sondern eineMehrzahl von biologischen, psychischen und sozialen Faktoren,welche sich zu einer erhöhten Krankheitsdispositionkonstellieren.Die Forschung hat sich hier ausführlich mit dem Einflußgenetischer Faktoren, mit biochemischen Veränderungen,Veränderungen in den Hirnstrukturen, mit funktionellenund geweblichen Veränderungen bestimmter Hirnregionen,Slowvirus Varianten einerseits und andererseitsmit den „Abnormitäten“ der frühen Entwicklungsphasen,speziell der Mutter-Kind-Dyade und deren Auswirkungenauf die Entwicklung der Ich-Funktionen, der Beziehungsgestaltungdurch die „schizophrenogene Mutter“ u.v.a.Aspekten beschäftigt. (Die Forschungsergebnisse sind inder mittlerweile bereits unüberschaubaren Vielfalt der Literaturdetailliert aufzufinden. Eine Nachschlagempfehlung:Psychiatrie der Gegenwart, Band 4: <strong>Schizophrenie</strong>n, Hrsg.:Kisker K.P., Meyer J.E., Müller C., Strömgren E.. Springer1987). Die Schattenseite dieser Beobachtung und Interpretationvon Teilaspekten war die Tendenz zur Verabsolutierung,das Hochstilisieren der Einzelfaktoren zumspezifischen Faktor der Erkrankung. Dies brachte viel Leidfür die Patienten selbst (Hoffnungslosigkeit durch dasUnabänderlichkeitspostulat vor allem der biologischen Hypothesenoder übersteigerte Erwartungen an die psychotherapeutischenMöglichkeiten) und vor allem auch für ihreAngehörigen, die sich besonders für Schuldzuschreibungeneigneten. Entlastung und konkrete Anhaltspunkte brachtedie Erforschung der krankheitsauslösenden und verlaufsbestimmendenEinflüsse, so z.B. das Konzept derExpressed Emotions (Vaughn & Leff 1976a, 125-137), dieStreßforschung, systemische Einflüsse und die Bedeutungvon Einstellungen zur und Sichtweisen von der Erkrankung.Zubin u. Springs Vulnerabilitätskonzept (Zubin J.,Spring B. 1977, 103-126) schuf ein „Gefäß“, welches dieIntegration der verschiedenen Teilaspekte schizophrenenGeschehens ermöglicht. Ciompi trug durch die Beschreibungvon Vorgängen und Mechanismen, welche Brückenschlagen zwischen den biologischen Faktoren einerseits undden psychosozialen Faktoren andererseits, Wesentlicheszum Verständnis der Verflechtung und der Wechselwirkungdes schizophrenen Geschehens und seiner Langzeitentwicklungbei (Ciompi L. 1989, 27-38).Pathogenetische ZusammenschauAuf dem Hintergrund dieser vielfältigen Forschungsergebnissesei hier die pathogenetische Entwicklung kurz zusammengefaßt:Aus einer biologischen Prädisposition (genetische, präund/oderperinatale Abnormitäten) und ungünstigen frühenpsychosozialen Bedingungen (inadäquates Eingehen auf dieNotwendigkeiten der kindlichen Entwicklung und der individuellenPerson) entwickelt sich ein vulnerables Terrainim Sinne einer erhöhten Krankheitsdisposition. Diesesvulnerable Terrain besteht in einer Informationsverarbeitungsstörung(kognitive Seite), in einer Störung derSelbst- und Objektrepräsentanzen (psychische Seite) undeiner Störung in den zeitlichen Abläufen und Rhythmen(Antriebsseite des Geschehens). Vulnerabilität kann somitals besonders leichte Störbarkeit des kognitiv-affektivenVermögens beschrieben werden, woraus eine besondereEmpfindlichkeit gegenüber dem komplexen mitmenschlichenGeschehen bzw. den daraus resultierenden Belastungenentsteht.Unter andauernder (chronischer) bzw. infolge besonderer(akuter) Belastung kommt es zur Überlastung desvulnerablen Menschen und schließlich zur Dekompensationins Psychotische, beginnend meist prodromal mit unspezifischenBasisstörungen (Veränderungen des Selbst- und6 EXISTENZANALYSE 3/96


WISSENSCHAFTWelterlebens, der Denkabläufe und des Antriebes), sichfortsetzend in der Plus- und Minussymptomatik der Krankheitsmanifestation.Die zunehmende Entordnung undFragmentierung und der damit entstehende Verlust des Zusammenhangs(kognitive Seite des Geschehens) und desZusammenhaltes (existentielle Seite), das Durcheinanderdes sich Ereignenden, findet oft eine neue Ordnung undEntlastung in der Gewißheit des Wahns.Es entstehen neueWelten und Innerlichkeiten. Dies kann verstanden werdenals bio-psycho-noetischer Versuch, mit dem Chaos umzugehen.Die neuen Wahrnehmungs-, Einstellungs- undVerhaltensformen schlagen sich wiederum im biologischenSubstrat nieder, soferne sie lang genug andauern bzw. intensivgenug sind. Sie „verkörpern“ sich, bahnen sichzentralnervös und vermindern so die Wahrscheinlichkeitund das Vermögen der Rückkehr in die präpsychotischenErlebens- und Verhaltensweisen. Dies führt in weitererFolge zum Verlernen der gewohnten sozialen Kompetenzen(Sekundärer Circulus vitiosus nach Mentzos, 1995).Herausfallen aus der Gemeinschaft mit anderen, Unverständnisund Ausgrenzung folgen.Ciompi (1989) beschreibt vier Vorgänge und Mechanismen,welche Brücken schlagen zwischen biologischenFaktoren einerseits und psychosozialen Faktoren andererseits,nämlich Mediatoren, welche verständlich machenkönnen, wie sich ein psychosoziales Geschehen biologischniederschlägt und umgekehrt.1. Streß: kritische Belastungen führen zu Veränderungen,welche nicht nur die „Stimmung“ und Funktionsweisevon Puls, Blutdruck, Atmung, Verdauung, Muskulatur,sondern auch zu einem gewissen Grad das zentrale Nervensystemverändern. Dauern diese Veränderungen langegenug an, können sich solche Änderungen fixieren.2. Neuronale Plastizität: Neuronen reagieren auf wiederholteReize, sowohl mit funktionellen Veränderungen(Veränderung der Kontakte und Kontaktmuster zwischenden Nervenzellen), als auch mit anatomischen Veränderungen(dendritisches Wachstum). Assoziationsmusterwerden um so besser gebahnt, je häufiger sie benutztwerden. Weshalb bestimmte Assoziationsmuster benutztwerden und andere nicht, hängt wesentlich mit den Affektenund diese wiederum mit den „berührenden“ Ereignisseninnerer und äußerer Art zusammen.3. Dopaminstoffwechsel: Das ausgesprochen streßempfindlichedopaminerge System verknüpft - grob gesagt- in mehreren Etappen die älteren basalen Hirnregionenüber das limbische System mit dem Cortex undinsbesonders dem Frontalhirn. „Damit besteht - um einekühne Hypothese zu wagen - die Möglichkeit, daß diesesTransmittersystem etwas mit der Verbindung zwischenden emotionalen, trieb- und instinktgebundenenmotivierenden Reaktionen mit Einschluß von Antriebund Aufmerksamkeit einerseits und den höheren, kognitivenLeistungen andererseits - vereinfacht gesagt - zwischenGefühlen und Gedanken zu tun hat“. (Ciompi1989, 33).4. Prigogines Theorie der Dynamik komplexer Systeme:Diese besagt, daß unter dem Einfluß von Feedbackwirkungenin komplexen, dynamischen Systemeneskalierende Prozesse und nichtlineare Entwicklungssprüngeauftreten können (=dissipative Strukturen).Entwicklungssprünge in solchen Systemen erfolgen nacheiner Phase der Destabilisierung durch sogenannte Fluktuationen(lat. fluctuare = wanken, wogen). An kritischenPunkten der Entwicklung (z.B. Informationsüberreizungund/oder emotionale Überforderung) treten dabei sogenannteBifurkationen (lat. bifurcus: zweizackig, Gabelungin zwei Äste) auf, die nicht mehr rückgängig gemachtwerden können („Überschnappen“).Aus Ciompis Ausführungen wird deutlich, daß vor allemder Langzeitverlauf einer schizophrenen Erkrankung wesentlichvon den intra- und interpersonalen Ereignissenbeeinflußt wird.Für die Therapie von psychotischen Menschen wirdaus diesen Überlegungen deutlich, daß das Abstandnehmenvon den pathologischen Vorgängen zur Verhinderung derEtablierung und Fixierung wahnhafter Denkmuster ein zentralesAnliegen sein soll. Dies kann und soll sowohl durchNeuroleptika als auch durch psychotherapeutische Interventionengeschehen. An dieser Stelle wird auch Frankls vorrangigtherapeutische Intervention bei Psychoseerkrankten„biologisch“ verständlich: „Alles das, was sie jetzt erlebtund geschildert haben, müssen sie lernen zu ignorieren“(Frankl 1982, 251). Biologisch gesehen wird dabei dieGefahr der neuronalen Fixierung vermindert und Eskalationenin „unwiderrufliche“ Denkbahnen zurückgehalten,aktuelle Belastung z.B. durch Ängste der Umwelt gegenüberden seltsamen Äußerungsformen des Betroffenen reduziertund personale Fähigkeiten (Selbstdistanzierung)gefördert.Ob Abstand nehmen allerdings immer Abwendung bedeutet,muß in Frage gestellt werden: zum einen ist die Abwendungvon den psychotischen Inhalten nach Abklingender akuten Symptome oft ein natürlicher Vorgang. Patientenerinnern sich schlecht, wollen nichts mehr „davon“wissen. Sie spüren, es tut ihnen nicht gut, sich zu sehr indie Nähe dieser Ereignisse zu begeben, sie haben nochkeinen ausreichenden Abstand (auch die Scham über dasGeschehene spielt hier eine wichtige Rolle). Die Erfahrungzeigt aber auch, daß den Patienten, die es bei dieser Abwendungbelassen, sich also nicht mehr - aus einem „sicheren“Abstand heraus - ihrer Krankheitsdynamik erforschendund verstehend zuwenden, die Krankheit immerwieder in den Rücken fällt.EXISTENZANALYSE 3/96 7


WISSENSCHAFTV.E. Frankls Beitrag zur Theorie schizophrenerPsychosen und Therapie schizophrenerMenschenDas anthropologische „Fundament“Die Person kann nicht erkranken. Sie ist per definitionemdasjenige, das sich frei verhalten kann zu seinen innerenund äußeren Bedingungen. Zugleich ist sie in ihrem Vollzugaber auch angewiesen auf die physischen, psychischenund sozialen Gegebenheiten. Sie benötigt ein EindrucksundAusdrucksmedium, um wirklich und wirksam zu werden.Betrachten wir nun das psychotische Geschehen, so istgerade diese instrumentale Funktion gestört. Das „Instrument“ist nicht nur verstimmt, sondern „unvollständig“ insofern,als die Ich-Funktionen nicht ausreichend zur Verfügungstehen bzw. mangelhaft entwickelt sind. (Die Ich-Funktionen sind hier definiert als jene Fähigkeiten, die„ich“ brauche, um mit „mir“ und der Welt in eine „reale“Beziehung zu treten, z.B. die Realitätswahrnehmungund -prüfung, die Denkprozesse, das Urteilsvermögen, derReizschutz etc.). Der psychotische Mensch ist durch dieseFunktionsstörung behindert. (Therapeutisch geht es daherauch wesentlich um die Stärkung dieser Funktionen, um derPerson ein haltendes Fundament zu geben).Frankls Grundsatz „die Person kann nicht erkranken“gilt es in Anbetracht einer Erkrankung, welche das Fundamentdes personalen Wirkens in solch einem Ausmaß insWanken bringt, zu prüfen: Wo finden wir Person in derPsychose? Nach Frankl dort, wo etwa ein Mensch zu seinenimperativen Stimmen Stellung nehmen kann, ihnennicht folgt oder sich überhaupt distanziert von den pathologischenVorgängen, überall dort, wo die Person dasKrankheitsgeschehen immer schon mitgestaltet: „... Insofernist auch das manifeste Verhalten des psychotisch Krankenjeweils schon mehr als die bloße Folge schicksalhafter,kreatürlicher Affektion, sie ist gleichzeitig der Ausdruckseiner geistigen Einstellung. Diese Einstellung ist einefreie...“. (Frankl 1983, 203).Der Wert der Frankl´schen Anthropologie liegt vorallem darin, daß der Blick nicht nur auf die Pathologie, aufdas Mangelhafte, Unvollständige, Fehlende gelenkt wirdund damit das Nichtkönnen fokussiert wird , sondern aufdie Ressourcen. Wir wissen ja auch, wie wichtig die Einstellungenund Zukunftssicht bzw. die Zuversicht der Patientenselbst, ihrer Angehörigen und Betreuer für den Verlaufder Erkrankung sind. Darüber hinaus eröffnet FranklsPostulat einen unmittelbaren Zugang zum Gesunden, zurPerson. Frankls therapeutische Konsequenz ist folgerichtigder Appell an die Person, die Aktivierung der Selbstdistanzierungsfähigkeit.Die (Wieder-)Herstellung derFunktionsfähigkeit delegiert Frankl ausschließlich an diemedikamentöse Behandlung und beschreibt daher wedertherapeutische Vorgänge der Entwicklung und Übung vonIch- Funktionen noch existentielle Voraussetzungenpersonalen Wirkens, wie A. Längle es in den personalenGrundmotivationen ausführt.Zur Genese der psychotischen ErkrankungDaß Frankl die Funktionsstörung rein medikamentös behandelbarsieht, wird aus seinem Verständnis der Genese derPsychose deutlich: „Wenn von der Psychotherapie bei endogenenPsychosen die Rede ist und nicht von Psychotherapieder endogenen Psychosen, geschieht es selbstverständlichnicht grundlos, denn eine Psychotherapie der endogenenPsychosen halten wir schon deshalb nicht für denkbar,weil die endogenen Psychosen als solche nicht psychogensondern somatogen sind.“ Frankl differenziert zwar weiter,geht aber nicht näher auf die Art der somatogenen Störungein: „Nur ist zu bedenken, daß wir, wann immer wir insolchen Zusammenhängen von einer prinzipiellen Somatogeneseendogener Psychosen sprechen, unter Somatogeneseeine primäre Somatogenese verstehe,n und es ist klar, daßsolche bloß primäre Somatogenese immer noch genügendSpielraum frei und offen läßt für jene psychische Pathoplastik,welche die somatische Pathogenese umrankt... Ineben diesem Spielraum, der gegenüber der Somatogeneseausgespart bleibt, hat die Psychotherapie zu inserieren“(Frankl 1982, 229-230). Fassen wir diese Aussage nocheinmal zusammen: Die Psychose ist nach Frankl einephänopsychisch somatogene Erkrankung. PsychosozialeFaktoren tragen lediglich zur Pathoplastik bei. In welcherWeise und wie dies zu verstehen sei, führt Frankl nichtweiter aus. Dem menschlichen Anliegen, sich selbst verständlichzu werden, z.B. zu verstehen, aus welchem Grundsich psychotische Inhalte in dieser oder jener Weise gestaltenoder sich mit den Ursachen auseinanderzusetzen, wirdkeine Bedeutung beigemessen. Frankl geht es daher inlogotherapeutischer Konsequenz um die Selbstdistanzierungund Dereflexion: Abwendung vom Pathologischen und Hinwendungzu Wertvollem, Fehlendes wird substituiert: „DerRest von Freiheit, der auch in der Psychose, in der freienEinstellung des Kranken zu ihr vorhanden ist, ermöglichtdem Kranken jeweils die Verwirklichung von Einstellungswerten.Auf die restliche Freiheit verweist ihn die Logotherapie.“(Frankl 1983, 03)Die schizophrene GrundstörungDas Spezifische der schizophrenen Störung beschreibtFrankl als Erleben reinen Objektseins , als erlebnismäßigePassivierung. „Wir können sagen: daß sich der Menscherlebt als Objekt des Horchens, Lauschens, als das Objektverschiedenartigster intentionaler Akte anderer Menschen... als Objekt der psychischen Aktivität anderer.....Wie aneiner geologischen Bruchlinie auf die Struktur der tieferenGesteinsschichten, so läßt sich von den Primärsymptomenher auf das Wesen der schizophrenen Grundstörung schließen.Tatsächlich können wir die verschiedenen Erscheinungsformendes Erlebnisses reinen Objektseins auf eineeinheitliche Gesetzmäßigkeit reduzieren. Der Schizophre-8 EXISTENZANALYSE 3/96


WISSENSCHAFTne erlebt sich selber so. als ob er - das Subjekt - in einObjekt verwandelt wäre. Er erlebt die psychischen Akte so,als ob sie in ihr Passivum verkehrt wären. (Frankl 1983,209-211). „Jene akustischen Elemente, die beim Gesundenin Form der sogenannten inneren Sprache das Denken(mehr oder minder bewußt) obligat begleiten, werden beimSchizophrenen passiviert erlebt; von ihm müssen sie alsoso erlebt werden, als ob sie fremd wären, von außen kommen“(ebd. 213). In Anlehnung an die <strong>Schizophrenie</strong>theorievon Berze bezeichnet Frankl die Grundstörung als „Hypotoniedes Bewußtseins“ (Das Ich ist als Bewußtseinhypotonisch) und zieht dazu eine Analogie zum Einschlaferleben(ebd. 212).Frankls Ansatz erinnert an Jaspers’ Definition derschizophrenen Ich-Bewußtseinsstörung. Jaspers nennt vierMerkmale: Das Aktivitätsbewußtsein, das Bewußtsein der„Einfachheit“(ich bin einer im gleichen Augenblick), dasBewußtsein der Identität (ich bin derselbe wie von jeher)und das Ichbewußtsein im Gegensatz zum Außen und zumanderen (Jaspers 1973, 101 ff.). Die Beschreibung der schizophrenenGrundstörung als Hypotonie des Bewußtseinsfindet sich später in den sehr feinfühligen Ausführungen zuden schizophrenen Ich-Bewußtseinsstörungen von ChristianScharfetter (Scharfetter 1990) wieder. Im Kontrast zuScharfetter, dessen therapeutische Schlußfolgerungen in derStärkung des geschwächten Ichs liegen, zieht Frankl andereKonsequenzen: „Das Prinzip der erlebnismäßigenPassivierung psychischer Funktionen als Erklärungsprinzipfür die Psychologie der <strong>Schizophrenie</strong> findet im therapeutischenFeld zwar keine Möglichkeit der praktischen Anwendung“(Frankl 1983, 213), sondern es geht darum ... „daßder Patient lernt, seine Umgebung nicht mehr, wie bis dahin,seinerseits auf Beobachtet-Werden hin zu beobachten...Daß mit der auf psychotherapeutischem Wege erzieltenAbstellung des aktiven Beobachtens das passive Beobachtet-Werdenfortfiel, läßt sich unseres Erachtens nur durchdie Annahme erklären, daß die Grundstörung zu einer Umkehrungdes Erlebnisses des Beobachtens in dessen Passivumgeführt hat“ (Frankl 1983, 14). Frankl setzt somitnicht bei der Nachentwicklung und der Kompensation derIch-Schwäche an. Er könnte dies auch nicht, ist doch seinVerständnis dieser Störung als eine rein biologische unddaher medikamentös zu behandelnde, sondern er wendetsich den Möglichkeiten der Person zu, dieser Störung etwasentgegenzusetzen.Insgesamt sagt Frankl wenig Spezifisches zur Therapiebei schizophrenen Störungen. Die Therapie konzentriertsich - unspezifisch - auf die Frage : Was ist möglichan Freiheit, also an Eigenmächtigkeit der Person gegenüberder Pathologie. Dieses Personsein ereignet sich in der Abwendungvom unfrei Machenden durch Abstand nehmen(Selbstdistanzierung) und die Hinwendung zu Wertvollem(Dereflexion). Selbstdistanzierung und Dereflexion gelingennicht immer, oft ist die Pathologie übermächtig. Logotherapieist so gesehen nicht möglich bzw. besteht im weiterenAppellieren an die Person.Die Lücke im therapeutischen Vorgehen wird hierdurch die Weiterentwicklung der Logotherapie zurExistenzanalytischen Therapie geschlossen - konkret: Wasbraucht die Person, damit sie wirklich und wirksam werdenkann (A. Längle 199. , Personale Grundmotivationen).Bezieht sich Frankl in seinen Ausführungen vorwiegendauf Person und Selbstdistanzierung, so fragt die weiterentwickelteExistenzanalyse, wie denn das Fundamentdes Existierens beschaffen sein muß bzw. geschaffen werdenmuß, um tragfähig für die eigene Wertverwirklichungund damit Lebensgestaltung zu sein. Frankl ist so gesehender „Hochleistungssportler“ der Existenzanalyse oder wieer selber schreibt, der Höhenpsychologe, den die fundamentalenThemen nicht so sehr interessieren.In einem kurzen Kapitel wendet sich Frankl dann nochder Frage nach dem Verständnis der unterschiedlichenSymptomatik in der schizophrenen Erkrankung zu. Er beschreibtdies als Störung der Intentionalität oder andersausgedrückt des in Beziehungseins der Person mit der Weltzum einen und ihren inneren Gegebenheiten zum anderen.„Der Unterschied zwischen der schizophrenen Ich-Störungund der psychopathischen Depersonalisation liegt nämlichnur darin, daß bei ersterer - entsprechend der Bewußtseinshypotonie- der intentionale Bogen zuwenig gespannt ist,während er bei letzterer so sehr gespannt ist, daß er gerissenist“. (Frankl 1983, 215)Zusammenfassend kann man Frankls Beitrag in seinenwesentlichen Zügen kurz so formulieren:Er beruht auf der Grundannahme, daß Person nicht erkrankenkann, sondern nur ihre Ausdruckselemente Körperund Psyche. Therapeutisch geht es daher darum, an diePerson und ihre Fähigkeit zur Selbstdistanzierung zu appellieren,die fremdartigen Erlebnisweisen von sich zuweisen und Personsein im Wie des Umganges mit derErkrankung zu verwirklichen. Wesentliches spricht er ananderer Stelle an: „Aber das Eigentliche ist vielleicht nichtmehr auf rein wissenschaftlichem Wege oder gar auf reinnaturwissenschaftlichem Wege erfaßbar, sondern bedarfeiner anderen Weise der Annäherung. Vielleicht bedarf esjener inneren Aufgeschlossenheit, die erst gegeben ist ineiner liebenden Hingabe an das unverwechselbare Du desanderen, wenn wir es in seinem Wesen erfassen wollen.Heißt doch lieben letztendlich gar nichts anderes als dusagen zu können zum anderen, darüber hinaus auch nocheines: ihn in seinem Wert bejahen. Also nicht nur du sagenzu können, sondern auch ja sagen zu können zu ihm“(Frankl 1982, 248). (Hier finden wir bei Frankl die Grundlagenfür die spätere Weiterentwicklung durch A. Längle,welche geschichtlich gesehen bei der Beschreibung desGrundwertes, und in weiterer Ausdifferenzierung derontologischen Basis und der Eigenart des Seins zur Beschreibungund Benennung der drei personalen Grundmotivationengeführt hat).Die Phänomenologie der schizophrenen Psychosen aufdiesem Hintergrund wird von A. Längle in diesem Heft beschriebenund auch K. Luss geht in ihrem Artikel aus dieserPerspektive auf das Verständnis der schizophrenen Psychosenzu. Ich darf auf diese Beiträge verweisen und di-EXISTENZANALYSE 3/96 9


WISSENSCHAFTrekt zur Beschreibung der Grundzüge und einiger Schwerpunktein der Therapie von schizophrenen Menschen übergehen.Grundzüge und Schwerpunkte in derTherapie mit schizophrenen MenschenDas Erleben des schizophrenen MenschenDer schizophrene Mensch erlebt sich und die Welt als äußerstverwirrend und zerbrechlich, er hat eine „dünneHaut“ und ist dadurch leichter als andere Menschen irritierbar.So kann z.B. ein psychischer Schmerz unmittelbarkörperlich „weh tun“ oder es werden Gedanken bildhaftgesehen oder gehört, („Was ich denke, geschieht gleichzeitig- es macht mir Angst, gibt mir aber auch das Gefühlder Mächtigkeit, ich kann mit meinen Gedanken das Geschehenmachen“). Oder es reißen umgekehrt die Gedankenab, Sprünge und Risse im Denken werden gleichzeitigkörperlich empfunden, Bewußtseinsinhalte bilden dichte,undurchschaubare Gedankendschungel, Knäuel von Worten,Bildern, welche nebeneinander existieren, „aufeinanderzulaufen“. Es ist ungewiß, ob es die eigenen Gedanken sindoder ob sie zu jemandem anderen gehören. Gegenständewerden lebendig, Farben verändern sich, die dunkle Stimmungsieht grau aus, der eigene Körper wird fremd odermacht sich gar in seinen Einzelteilen selbständig...Selbst und Welt gerät aus den Fugen, verliert den Zusammenhangund die Zugehörigkeit.Die gewohnten Verbindungen sind auseinandergerissen,das Vertraute entgleitet, wird fremd.Durch den Verlust des Zusammenhanges und der Zugehörigkeitgeht der Halt, den der Mensch braucht, umdasein zu können, verloren. Dies wird thematisch oft alsdrohender Weltuntergang, emotional als Todesangst erlebt.Dieses „Inferno“ kann nur ertragen werden, wenn etwasgeschieht, was Halt gibt und Ordnung in das bedrohlicheDurcheinander bringt. Vielfach findet der Bedrohte Halt inder Fixierung von Details (bzw. erlebt sich von Wahrnehmungsdetailsgefesselt) oder er findet im BewegungsstillstandHalt in den ihn umgebenden lebhaften Halluzinationen,in der wankenden, wogenden und verzerrten Weltoder es gelingt die Rettung an einen geschützten Ort, ineine überschaubare, vertraute Umgebung, zu einer Person,die ihn und die er aushält. Doch geht es nicht nur um Haltsondern auch um die „Vorbedingung“,um einen Zusammenhangder Wahrnehmungen, der zugehörigen Gefühle unddarum, daß diese in einen verstehbaren Zusammenhangkommen, daß das Erlebte begreifbar wird und damit erstzu Haltendem werden kann. Dies geschieht dann wie bereitsim ersten Kapitel beschrieben, oft zuerst durch die Zusammenfügungvon Ähnlichkeiten der Bilder oder Wortklängeetc. und letztlich durch wahnhafte Neuordnungen,„endlich wird deutlich, worum es da geht“. Diese „Erleichterung“geschieht um den Preis neuerlicher Risse undSprünge in den sozialen Zusammenhängen, Beziehungenreißen ab, berufliche Strukturen brechen ein, es gibt keineZugehörigkeit, der Prozeß der Alienation als circulusvitiosus nimmt seinen Lauf.Die Konsequenz für die TherapieAus dem Nachvollziehen des schizophrenen Erlebens wirddeutlich, daß es in der Behandlung schizophrener Menschenzentral darum gehen muß, der Fragmentierung und demdamit verbundenen Haltverlust entgegenzuwirken:- prophylaktisch als Schutz vor der psychotischenDekompensation- als Reintegration in der Psychose- als strukturbildende Therapie über die gesamteBehandlungszeit hinweg, im Sinne einer Lockerung derAbhängigkeit von wahnhaften „Halterungen“.Dies kann und soll in der therapeutischen Begleitung vonpsychotischen Menschen mit unterschiedlicher Gewichtungder kognitiven, der Beziehungs- und der Verhaltensebenegeschehen.Psychoedukative MaßnahmenHier trägt vor allem die Erklärung der Krankheitsvorgängeaus dem „Normalen“ heraus zu einem Sich-selbst-verständlicher-Werdenbei.Am Beispiel der Gedankenvielfalt und des Gedankendurcheinanderlaufensdargestellt, kann dies in etwa so geschehen:„Im Menschen spielen sich ununterbrochen vielmehr Vorgänge ab als uns normalerweise bewußt werden.Wir erleben nur eine schmale Bandbreite, welche wir nachunserer subjektiven Wichtigkeit aussuchen. Nun gibt esZeiten, wo z.B. durch emotionale Belastungen diese Auswahlfähigkeitverringert wird, sodaß dann plötzlich „allesMögliche“ in unserem Kopf auftaucht. Durch die reduzierteKraft zu ordnen, Prioritäten zu setzen, geht es immer bunterzu, so daß wir mehr und mehr den Eindruck haben,nichts mehr machen zu können, es geschieht einfach. Jenachdem welcher Typus man nun ist, neigt man dazu, Angstvor dem Durcheinander zu bekommen und mit letzter Kraftdagegen anzukämpfen, wodurch sich das Gefühl der Verwirrungund Hilflosigkeit noch verstärkt. Oder man wirdsehr neugierig und steigert sich in dieses Durcheinandernoch hinein und verrennt sich ganz. Besser wäre es, keinedieser beiden Möglichkeiten aufzusuchen, sondern zuersteinmal zu sehen, daß man wieder zu Kräften kommt. Sowie es gut ist, bei wichtigen Entscheidungen oder turbulentenLebenssituationen erst einmal darüber zu schlafen.Denn wenn man selber wieder stark genug ist, kann manentscheiden, was mit der Unordnung zu tun ist. Um zurRuhe bzw. zu Kräften zu kommen, kann Verschiedeneshilfreich sein, z.B. einen Ort oder eine Person aufsuchen,die beruhigend wirken, innerlich Abstand nehmen von denVorgängen, aber auch Medikamente können hier sehr hilfreichsein.... So ist es im Allgemeinen - wir können jetztgemeinsam sehen, welche Abläufe Sie da kennen“.10 EXISTENZANALYSE 3/96


WISSENSCHAFTErklärungsangebote zu den pathologischen Vorgängenmüssen immer an die Erfahrungen des Betroffenen angeglichensein und möglichst an weiteren Beispielen vertieftwerden. Sie bewirken mehreres: Stärkung und Substitutionder Ich-Funktionen (Differenzierung, Zuordnung, Abgrenzung,Realitätssinn...) Stärkung des Ich-Bewußtseinsund des Selbstbewußtseins. Halt durch Herstellen eines verständlichenZusammenhanges, Abstand von denpsychotischen Vorgängen und vor allem Reduktion derEntfremdung, Nähe zum Normalen - alle Menschen kennendas im Prinzip - manche neigen jedoch besonders dazu undempfinden es auch stärker.Übende MaßnahmenHier sind besonders Übungen zu nennen, die die Wahrnehmungund das Erspüren des eigenen Körpers, das „Ich bin“ebenso wie die Wahrnehmung des Außen, „das andere“zum Ziel haben. Gleichermaßen wichtig ist das Üben vonsozialen Fertigkeiten - das In-Beziehung-sein-Können -oder das Erlernen von Methoden des Abstand-nehmen-Könnens, der Selbstdistanzierung .Systemische MaßnahmenSie umfassen sowohl Information und Beratung der Angehörigen,damit diese Halt finden und damit geben können,als auch strukturgebende Alltagskonfigurationen bishin zur Behandlungskoordination.Grundhaltungen des Therapeuten im therapeutischenSettingVerläßlichkeit und Kontinuität (zu einem bestimmten Zeitpunktfür eine verläßliche Zeitspanne da sein, Halt durchverläßlich Wiederkehrendes), Klarheit und Eindeutigkeit(Halt durch Identifizierbarkeit und „Schlichtheit“) Aufrichtigkeitund Echtheit (kaum jemand spürt so schnell wiepsychotische Patienten, wenn etwas nicht stimmt, Haltdurch die Erkennbarkeit, wie jemand zu ihnen steht), Zuversicht(Halt im Kommenden, Zukünftigen), ein warmesund respektvolles, annehmendes Klima.Diese Vorgänge schaffen eine Entwicklungsbasis oderwie wir auch sagen können: Das muß geschehen, muß gewährleistetsein, damit die speziellen Themen des Patientenbearbeitet werden können. Diese speziellen Themensind nicht „schizophreniespezifisch“, sondern beinhaltenalles, woran auch andere Menschen leiden. Das Gemocht-Werden, wie das Berechtigt-Sein, die Beziehungsgeschichtenund das Verzweifeln am Schicksal, die mühevollenVersuche, das Leben in den Griff zu bekommen, dasAnerkannt-Sein, das Leisten-Wollen und vieles anderesmehr.Es geht mehr und mehr um das sich zunehmend Gewahrwerden,um den Prozeß des sich annehmen Könnens „obwohl“...,um das Ja zu diesem Sosein und ob dieses Lebenauch so bejaht oder gar gemocht werden kann und um dasVerstehen der Verletzungen und Mängel und darum, seinenPlatz im eigenen Leben einzunehmen. Spezifisch für dieArbeit mit schizophrenen Menschen ist hier nur, daß in derVorgangsweise eben immer wieder auf die VulnerabilitätBedacht genommen wird. So z.B. ist von einer emotionalaufwühlenden Art abzusehen bzw. sind die spezifischenBelastungsmomente des jeweiligen Patienten (vor allem beibiografischen Themen!) zu beachten. Daß hier auch immerwieder „aufzupassen“ ist, daß nicht inhaltlich auf dieWahninhalte eingegangen wird, erläutert Walter Winklhoferin seinem Artikel in dieser Ausgabe.Insgesamt gilt jedoch für die Therapie mit schizophrenenMenschen, daß das Dasein des Therapeuten wichtigerist als seine spezifischen Aktivitäten.Phasen der Therapie und ihre SchwerpunkteDie erste PhaseIn dieser ersten Zeit der Therapie geht es darum, Beziehungzueinander aufzunehmen.Wirst du mich annehmen, so wie ich bin? Kannst duverstehen, was ich meine bzw. wirst du bemüht sein, michzu verstehen? Kann ich mich dir anvertrauen? Findest duauch, daß ich verrückt bin? Hältst du mich aus? Kann ichmich dir zumuten? Siehst du überhaupt eine Chance fürmich? Hast du ein Zaubermittel, mit dem du mich heilenkannst? Du bist doch hoffentlich besser als die Therapeutenbisher, sie haben nichts geschafft! Diese und noch vieleanderer ängstliche und hoffnungsvolle Fragen stehen amBeginn einer Therapie oft hinter einer einsilbrigen, wortkargenoder zerstreuten, verwirrten oder auch anmaßenden,aggressiven Fassade.In dieser Phase geht es darum, Vertrauen zu fassendurch das Erleben, es ist jemand da, der mich hört und mirhilft, mit dem Alltag besser fertig zu werden. Anwesenheit,ruhige Aufmerksamkeit, „absichtslose“ Teilnahme und Gesprächeüber gemeinsam zugängliche Realitäten schaffeneinen Boden, auf dem sich der Patient dem, was ihn bewegt,öffnen kann.Eine „Gefahr“ in dieser ersten Phase ist, daß der Therapeutin Interventionsdruck kommt. Er hört nur die Fragenach dem Zaubermittel und reagiert darauf mit Ansprüchenwie: Es darf keine Rückfälle mehr geben, ich muß nochkreativer arbeiten.... oder da ist nichts zu machen, es hilftnichts...So ist es wichtig, gerade am Beginn des therapeutischenProzesses, daß der Therapeut sich der eigenenGefühle und Sichtweisen bewußt wird, damit er nicht selbst„abhebt“ aus dieser Realität.Die zweite PhaseSie steht unter dem Motto: Menschen erleben unterschiedlich- trotzdem können sie miteinander kommunizieren undzusammen sein, wenn es ihnen gelingt, tolerant zu sein.„Miteinandersein-Können trotz Unterschiedlichkeit“.Gibt es eine Vertrauensbasis, die auch in Turbulenzenhält, so wird es langsam möglich, dem Erleben und denEXISTENZANALYSE 3/96 11


WISSENSCHAFTSichtweisen des psychotischen Menschen anderes hinzuzufügen,andere Sichtweisen anzubieten.Ein Beispiel: Die Patientin erzählt, daß Frau N. wiederihre Experimente an ihr durchführe, sie berührt sie mitihren bösen Gedanken, was quälende Schmerzen verursacht,gibt ihr nachts Elektroschocks etc. Frau N. ist eineehemalige Freundin der Patientin, die jedoch den Kontaktzu ihr abgebrochen hat. Dies hat sie sehr verletzt, sie vermißtdiese Freundin.Ich frage die Patientin, ob es sie interessiert, welcheGedanken mir zu ihrer Erzählung gekommen sind. Sofernedies der Fall ist, stelle ich ihr mein Erleben und Empfindenzu diesen Vorgängen zur Verfügung:Th: Frau N. ist für Sie aufgrund der Tatsache, daß sie jahrelangeine gute Freundin war und sich dann von Ihnendistanziert hat, eine ganz wichtige Person. Es istsehr berührend, an sie zu denken. Es tut weh, und Sieerleben diese Freundin als böse. Da ich Sie als einenbesonders sensiblen und feinfühligen Menschen kenne,kann ich mir durchaus vorstellen, daß Sie diesenSchmerz und die Qual über den Verlust dieser Beziehungnicht nur psychisch spüren sondern auch körperlichempfinden. Da Sie zudem nicht wirklich wissenund verstehen können, warum diese Freundin sich vonIhnen abgewendet hat, erleben Sie es als ein undurchschaubaresExperiment.Pat.: Ich bin aber sicher, daß sie mich wirklich quält!Th.: Natürlich sind Sie sicher, weil Sie es so sehen undauch so empfinden. Und ich sehe und empfinde esanders. Da ist vielleicht jetzt ein wichtiger Punkt:Kaum jemals empfinden zwei Menschen völlig gleich,bisweilen sind die Unterschiede klein, bisweilen sehrgroß. Dann wird es meist schwierig, weil jeder darumkämpft, daß er recht hat und weil er Angst hat, sonstnicht verstanden zu werden oder nicht zu seinem Rechtzu kommen. Dabei ist es genauso gut, wenn wir jetztz.B. unsere beiden Sichtweisen einfach nebeneinanderbestehen lassen und uns jeweils für die Sichtweise desanderen interessieren. Wir müssen uns dazu auch garnicht entscheiden, wer recht hat, sondern können unseinfach sagen, wie es jeweils ist. Wichtig ist dabeiauch noch, daß Sie spüren, wie es Ihnen dabei geht,ob die unterschiedlichen Sichtweisen Angst machenund wovor oder ob es sogar entlastend ist, sich malnicht verteidigen zu müssen.“Ziel der zweiten Phase ist es, eingefahrene Sichtweisen,Handlungsabläufe, Gewohnheiten und psychische Erlebnisweisen(„Unterschiedlichkeit ist bedrohlich, vernichtend,gefährdend...“) ein wenig zu lockern, so daß einerseits derHalt nicht verloren geht und trotzdem mehr „Bewegungsfreiheit“entsteht. In der Anbindung an das emotionaleErleben gilt es, mehr und mehr zu verstehen, was es ist,was bedroht und worum es dabei geht.Die dritte PhaseEs geht nun zunehmend um die Erforschung der und Auseinandersetzungmit den Erkrankungs- und Gesundungsprozessen,um der Dynamik der Eskalation auf die Spur zukommen und eine breitere Palette von Möglichkeiten derGesundung und Gesunderhaltung zu entwickeln. Ziel dieserPhase ist das Anhalten-Können einer Dekompensationsdynamikdurch die Kenntnis der Auslöser, die Achtsamkeithinsichtlich der ersten Anzeichen und das Erarbeitender „Ausstiegsmöglichkeiten“ aus einer dekompensationsförderndenDynamik. Dazu braucht es nicht unbedingteine Krankheitseinsicht wie im folgenden Beispiel gezeigtwird: Eine 41jährige Frau mit mehreren Krankheitsschübenin der Vorgeschichte und einem leichten Residual erlebt aufgrundberuflicher Überforderung ihre Umwelt wiederum alsbeeinflussend, hat zunehmend Schwierigkeiten, die Geschehnisseim Gesamtzusammenhang wahrzunehmen undreagiert, sich solcherart schützend, auf ihre Umgebung aggressivund ablehnend. Bei den geringsten kritischen Bemerkungenz.B. der Frage ihres Mannes, weshalb sie nochnicht einkaufen war, gerät sie aus dem Häuschen, wirft ihmvor, sich mit ihren Berufskollegen verbündet zu haben, umsie fertig zu machen. Die Empfehlung ihres Mannes, dochvielleicht mehr Medikamente zu nehmen, trägt zur weiterenEskalation ihres Befindens bei...“Letztendlich werde ichdann wieder in die Klinik abgeschoben“.Th.: Mir fällt bei ihrer Schilderung auf, daß Sie, abgesehendavon, wie ungerecht Sie sich behandelt fühlen,doch einen guten Teil zur Eskalation beitragen, indemSie sich rechtfertigen und sich dadurch weiter verletzlichmachen. Daher ist es meines Erachtens wichtig,zuerst einmal zu sehen, wie Sie sich vor solchen Abläufen,die Sie erfahrungsgemäß wieder in einSchlechtergehen treiben, womöglich auch zu einemstationären Aufenthalt, schützen können. Dann könnenwir uns ansehen, was Sie brauchen, um aus einem solchenAblauf auszusteigen, um zur Ruhe zu kommen.Es geht hier also sehr zentral um die Analyse der Vorgängeund um die Stärkung der eigenmächtigen Lenkung desAblaufes.In kritischen Phasen kann es auch gelingen, daß dieBeziehung sosehr hält, daß der Therapeut den Patientendarauf hinweist, daß sich Anzeichen einer neuerlichen Erkrankungeinstellen. Dazu ist es hilfreich, den Patienten ingesunden Phasen zu fragen, ob er darauf hingewiesen werdenmöchte.„Darf ich ihnen sagen, wenn Sie auf mich verändert,z.B. konfuser oder überlastet wirken?“ Das Ansprechen vonVeränderungen in Richtung Dekompensation wirkt sehr oftentlastend und befreiend. Dies allerdings nur, wenn wirklicheine vertrauensvolle Beziehung besteht, in der derPatient spürt, daß man ihm Gutes will (und nicht etwadurch paranoide Gedanken gegenüber dem Therapeuten12 EXISTENZANALYSE 3/96


WISSENSCHAFTdazu keinen Zugang hat oder wenn der Therapeut etwa ausAngst heraus handelt).Das In-der-Realität-Bleiben, sich in der Realität haltenund In-Beziehung-bleiben-Können ist das Projekt dieserPhase.Die vierte PhaseMit zunehmender Wahrnehmung und Wahrhabung der Realität,mit wachsender Kompetenz in der Bewältigung desAlltags und im Umgang mit der Erkrankung kommt aberauch mehr und mehr die Verzweiflung und die Trauer überdieses Dasein und über das verbleibende Schicksalhafte zurGeltung. Hier geht es nun darum, das Schicksalhafte anzunehmen,die Verzweiflung, die Trauer und die Wut auszuhaltenund durchzustehen, ohne sich in die psychotischeAbwehr zu retten. Hier gilt es, das richtige Maß in derAuseinandersetzung zu finden. In dieser Phase bzw. in denschon von Anbeginn auftretenden Momenten und Zeiten der„Klarheit“ ist das Suizidrisiko sehr groß. Wichtig ist, daßder Therapeut dazu beiträgt, immer wieder in die angemesseneDistanz zu kommen, daß er hilft, die oft mit Wuchthereinbrechende Erkenntnis aufzuteilen in bewältigbareEinheiten, daß er nicht emotionalisiert sondern schlichtteilnimmt und mitträgt.Fragen wie „Mag ich mich überhaupt und vor allemso? Kann ich mich mit dieser Behinderung annehmen? Binich etwas wert, für mich und vor allem für andere? Wokann ich nützlich sein? Wo werde ich gebraucht und nichtnur geduldet?“, sind während der ganzen Zeit der TherapieThema, steigen jedoch oft erst langsam aus dem diffusenGefühl der Depression und „Nichtung“ hervor undstellen sich in ihrer Deutlichkeit dort, wo der Mensch schonbesser standhalten kann, wo er zu antworten fähig wird,ohne psychotisch reagieren zu müssen. „Wozu ist meinLeben gut? Will ich es leben? Wie kann ich es zum Gelingenbringen? Welche Aufgaben gibt es für mich?“ Hier hatder Therapeut kreative Beiträge zu bringen und Mut zuzusprechen,die Angebote gemäß den eigenen Möglichkeitenauszuprobieren.Zumeist bleibt die Therapie im Bereich der ersten dreiPhasen, zu schmerzlich und zu bedrohlich ist die Auseinandersetzungmit den weiteren Fragen, aber auch zu sehrin Anspruch nehmend ist es, sich in der Realität halten.„<strong>Schizophrenie</strong> bedeutet den verzweifelten Wunschnach einem Menschen, der helfen und die Teile zusammenhaltenkann, in die man zu zerfallen droht.“ (Katschnig1984). Daran schließt sich die Frage:Gibt es eine abschließende Phase in der Behandlungschizophrener Menschen?Meiner Erfahrung nach bedeutet Therapie mitpsychotischen Menschen die Begleitung über zumindesteinen langen Zeiraum hinweg, über Jahre also. Pausen,Ausbleiben und Wiederkommen nach langen Abständensind eher die Regel denn die Ausnahme. Sehr stark hängtes natürlich vom sozialen Netz ab, in dem der Patient sichgehalten fühlt und auch wie weit der Patient seiner Erkrankungselbst standhalten kann. Endgültige Trennungen sindfür psychotische Menschen sehr schwer, oft reicht die Zusage,wiederkommen zu dürfen, wenn es brennt, um gehenzu können.Erschütternd erlebe ich oft auch die bange Frage nacheinem Rückfall, besonders nach stationären Aufnahmen:„Nehmen Sie mich wieder in Therapie, darf ich wiederkommen?”Oft entstehen aus diesen Fragen sehr tiefe Gesprächeund zutiefst authentische Beziehungen.Wenn ich mit der Darstellung der Phasen der Therapiemit schizophrenen Menschen meine Ausführungen abschließe,tue ich es in dem Bewußtsein des Fragmentarischen.So ist es mir wichtig, zum Schluß hervorzuheben,daß in der Arbeit mit schizophrenen Menschen ein gutesZusammenwirken und Zusammenhalten mit den unterschiedlichstenBehandlern erforderlich ist. Sonst entstehtein Chaos gegenseitiger Behinderung, so wie der psychotischeMensch Welt ohnehin erlebt.LiteraturCIOMPI L. (1989) Intermediäre Prozesse in der <strong>Schizophrenie</strong>:Zu einer neuen dynamisch orientierten Psychiatrie. In W.Böker W, H.D., Brenner H.D. (Hrsg.) <strong>Schizophrenie</strong> alssystemische Störung. Bern: HuberCIOMPI L. (1988) Die affektlogische Interpretation des schizophrenenPersönlichkeitswandels in schizophrenenLangzeitverläufen. In Werner Janzarik (Hrsg.) Persönlichkeitund Psyche. Stuttgart: EnkeFRANKL V.E. (1982) Psychotherapie in der Praxis 4. Auflage.Wien: DeutickeFRANKL V.E. (1983) Ärztliche Seelsorge 7. Auflage.Frankfurt/Main: Fischer-VerlagJASPERS K. (1973) Allgemeine Psychopathologie 9. Auflage.Berlin: Springer-VerlagKATSCHNIG K. (Hrsg.) (1984) Die andere Seite der <strong>Schizophrenie</strong>2. Auflage. München: Urban & SchwazenbergKISKER K.P., LAUTER H., MEYER J.E., MÜLLER C.,STRÖMGREN E. (Hrsg.) (1987) Psychiatrie der Gegenwart,Band 4, <strong>Schizophrenie</strong>n. 3. Auflage. Berlin: Springer-VerlagLÄN<strong>GLE</strong> A. (1994) Ausbildungsseminar Existenzanalyse. Dornbirn,unveröffentlichtes Manuskript. Ausgeführt in LängleA. (1996) Der Verlust des Zusammenhalts. Existenzanalyse3, Jg. 13, 13-22MENTZOS ST. (1995) (Hrsg.) Psychose und Konflikt, 2. Auflage.Göttingen: Vandenheock & RuprechtPODVOLL E. (1994) Verlockung des Wahnsinns. München:Hugendubel VerlagSCHARFETTER CH. (1090) Schizophrene Menschen. 3. Auflage.München: Urban & SchwarzenbergVAUGHN C., LEFF J.P. (1976a) The measurement of expressedemotion in families psychiatric patient. British Journal ofSocial and Clinical Psychology 15ZUBIN J., SPRING B. (1977) Vulnerability. A new view onschizophrenia. J. Abnorm. Psych. 1986Anschrift der Verfasserin:Dr. Liselotte TutschEinwanggasse 23A-1140 WienEXISTENZANALYSE 3/96 13


WISSENSCHAFTDer Verlust des ZusammenhaltsPsychopathologie und existentielleThemen in der <strong>Schizophrenie</strong>Alfried LängleStatt der geläufigen symptomorientiertenBeschreibung soll in dieser Arbeit einphänomenologischer Zugang zur <strong>Schizophrenie</strong>versucht werden. Er stellt als Wesender <strong>Schizophrenie</strong> den Verlust des Erlebensvon Zusammenhalt zur Diskussion,der in der Welt und im eigenen Dasein aufbricht.Die schizophrene Krankheit ist in derFolge durch die Überschwemmung mitAngst und Gefühlen der Auflösung gekennzeichnet.Der Kranke muß sich im besonderenMaße vor seinen Gefühlen schützen,wodurch auch der innere Boden des Zusammenhaltsverlorengeht.In der vorliegenden Arbeit wird versucht,über das phänomenologische Einfühlen indie <strong>Schizophrenie</strong> den Zugang zur Tiefe ihrerPsychopathologie und zu den in der<strong>Schizophrenie</strong> enthaltenen existentiellenThemen zu eröffnen.1. <strong>Schizophrenie</strong> und NormalitätWer über <strong>Schizophrenie</strong> hört oder sich mit ihr zu beschäftigenbeginnt, hat in der Regel rasch das Gefühl, daß essich dabei um ein gänzlich fremdes Erleben und Leidenhandelt. Das unterscheidet die <strong>Schizophrenie</strong> auf den erstenBlick von den Neurosen. Dieses Leiden und die Problematikder Neruosen sind für den Gesunden gut nachvollziehbar.Dagegen führt der Kontakt mit schizophrenenMenschen spontan zu einem so starken Fremdheitsgefühl,daß der Anfänger meinen könnte, ein Verständnis diesesKrankheitsbildes bliebe dem Gesunden gänzlich verschlossen,weil er das Erleben des Schizophrenen auch nicht imAnsatz in sich finden könne. Dies führt dazu, daß derNicht-Fachmann den Schizophrenen meist mit Angst begegnet.Angst ist eine typische Reaktion auf das Strukturlose,Unberechenbare, Chaotische, Hochkomplexe (Kriz 1996).In der spontanen Reaktion ist somit auch eine Wahrnehmungschizophrener Vorgänge enthalten.Bei genauem Hinsehen können wir bald finden, daß praktischjeder Mensch einzelne Symptome der <strong>Schizophrenie</strong>ansatzweise in einem kleinen, unbedenklichen und dahernicht bedrohlichen Ausmaß selbst erfahren hat. Wahrscheinlichhat jeder Mensch schon einmal erlebt, daß allesum ihn herum unwirklich wird, abrückt, fremd und fernerscheint. Es ist dann, als ob einem das Leben für Augenblickeentgleitet oder das, was zu einem selbst gehört, nichtmehr als das Eigene empfunden wird.Andere Symptome betreffen Störungen des Körperschemas.Die Beine oder ein Arm sind wie überdimensioniertoder werden wie nicht als zu einem selbst gehörendempfunden. Dies wird relativ häufig in der Pubertät aberauch in Träumen erlebt. Die Besinnung auf solche Erlebnissegibt einen ersten Zugang zur schizophrenen Psychose.Manfred Bleuler, der Sohn Eugen Bleulers (von demder <strong>Schizophrenie</strong>begriff stammt - 1908), lebte einen großenTeil seines Lebens mit Schizophrenen unter einemDach. Anläßlich seines Todes 1984 schrieb der WienerPsychiater Navratil: „Unter Berücksichtigung aller ihm bekanntenFakten und aller persönlichen Erfahrungen schienes ihm nicht ausgeschlossen, daß <strong>Schizophrenie</strong> überhauptkeine Krankheit im Sinne der somatischen Medizin ist,sondern eine ins Krankhafte gesteigerte Variante derPersönlichkeitsentwicklung. Die Schizophrenen würden anden gleichen Schwierigkeiten zerbrechen, mit denen wir alleein Leben lang zu ringen haben. An sich gesunde, aber auseinanderstrebendeererbte Anlagen würden es dem späterenSchizophrenen erschweren, seiner Umwelt ein einheitlichesIch entgegenzusetzen“. Bleuler möchte die <strong>Schizophrenie</strong>nicht als eine Störung, die dem menschlichen Lebenfremd ist, sehen, sondern als eine Form der Lebensführungund daher innerhalb des Menschseins angesiedelt undzu ihm gehörend. Diese Zuordnung der <strong>Schizophrenie</strong> alseine spezifische Ausgestaltung von Themen, die alle Men-14 EXISTENZANALYSE 3/96


WISSENSCHAFTschen beschäftigen, ist wesentlich für Praxis und Theorie.Ich möchte in dieser Arbeit eben dies aufzeigen und dieThemen zu bestimmen versuchen, um die es in der existentiellenDimension der <strong>Schizophrenie</strong> - nämlich in der gelebtenAuseinandersetzung mit sich und der Welt - geht.Die Hauptsymptome der <strong>Schizophrenie</strong> (vgl. Bleuler1975, Berner 1977, Arieti 1985, ICD 10) beziehen sich aufStörungen des Denkens (inhaltlich wie z.B. Wahn, formalwie z.B. Verschmelzung, Entgleisung, Sperrung), der affektiv-vegetativenDynamik (Plus- und Minussymptomatik)und des Ich-Erlebens (Depersonalisation, Verlust der Ich-Grenzen). Scharfetter (1990) sieht in der Hypotonie des(Ich-)Bewußtseins das Hauptsymptom der <strong>Schizophrenie</strong>.Er beschreibt Störungen der Ich-Vitalität, der Ich-Kreativität,der Ich-Konsistenz, der Ich-Demarkation und der Ich-Identität. Auch Frankl (1982, 309 ff.) sieht - im Gefolgevon Berze - in der Insuffizienz der psychischen Aktivitätmit dem Hauptsymptom der „Hypotonie des Bewußtseins“das Wesen der <strong>Schizophrenie</strong>. Dadurch erlebe sich derMensch als Objekt und als Passivum.2. Schilderung des Beginns schizophrenerKrankheitFür jene, denen das Bild der <strong>Schizophrenie</strong> nicht sehr vertrautist, möchte ich zwei knappe Selbstschilderungen überden Beginn der <strong>Schizophrenie</strong> geben.Am Beginn der Erkrankung stehen Veränderungen imErleben der Welt und von sich selbst, die sich der Krankenicht erklären kann. Einen ganz schlichten Bericht darüberschrieb Frau Leete (1987), die heute in Denver, Colorado,lebt und nach ihrer Genesung eine Patientenselbsthilfegruppefür <strong>Schizophrenie</strong> gegründet hat und seitherleitet.Im letzten Jahr am Gymnasium begann es mit Persönlichkeitsveränderungen,deren Bedeutung ich anfänglich nicht begriff. Ichglaube auch, daß sie die anderen nicht bemerkten, aber im Rückblickscheinen sie mir die ersten Anzeichen meiner Erkrankungzu sein. Ich wurde zunehmend teilnahmslos und zurückgezogen.Ich fühlte mich entfremdet und einsam und haßte alle Leute. Esschien mir, als wäre zwischen mir und der übrigen Welt eine riesigeKluft. Ich sah ohne innere Anteilnahme, wie meine zwei jüngerenSchwestern erwachsen wurden, einen Freundeskreis hatten,sich unterhielten und sich auf ihr künftiges Leben vorbereiteten,während ich in einer vollkommen anderen Welt lebte. Nur zögerndverließ ich das Elternhaus, um ein College zu besuchen. Ich warfür ein Leben unter Fremden ganz ungeeignet. Ich sonderte michab und fand keine Freunde. Nach einiger Zeit hatte ich überhauptkeine Gesprächspartner mehr. Während der Vorlesungen beschäftigteich mich mit Zeichnen im Stil von van Gogh und versuchteGedichte zu schreiben. Ich vergaß aufs Essen und legte mich inmeinen Kleidern zu Bett. Selbst an so normale Dinge wie michzu duschen, dachte ich nur selten. Gegen Ende des ersten Semestershatte ich meine erste psychotische Episode. Ich verstandnicht, was los war und erlebte fürchterliche Angst. Zum ersten Malbegann ich Stimmen zu hören, und dieses Erlebnis stiftete in mirVerwirrung und Verstörung. Die Realität, wie sie die anderenMenschen kennen, wurde von nun ab für mich durch eine Vielzahlvon eigenen Realitäten ersetzt.Ein 35jähriger Patient, von dem weiter unten noch die Redesein wird, schildert einige Jahre nach dem Ausbruch seinerschizophrenen Erkrankung den Beginn so:Wie ich ins Spital gekommen bin, weiß ich. Ich hatte bei der Firmagekündigt und war nur noch zu Hause. Zu Hause hatte ich dasGefühl, daß ich keinen Raum hatte. Ich kann es schwer sagen, wases war. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll (er beginnt zu stottern).Ich habe mich in der Wohnung nicht so niederlassen können.Vorher, als ich noch gearbeitet hatte, war die Struktur derArbeit ein Rahmen, in dem das gemeinsame Leben mit meinerFreundin abgelaufen ist, und dieser Rahmen ist dann weggefallen.Dann war nur noch das Private da, eigentlich. Da habe ich keineBereitschaft gehabt, daß ich mich da hätte einlassen können, reinin der Beziehung zu leben. Ich wußte dann nicht mehr, wem ichetwas geben könnte mit meinem Leben. Wodurch ich eine Berechtigunghätte. In diesem Zustand verließ er immer häufiger dieWohnung, setzte sich irgendwo in der Stadt hin und fixierte einenPunkt in sich, vergaß das Essen, nahm an Gewicht ab undwurde schließlich in seinem Verhalten so auffällig, daß er von denAngehörigen in die Psychiatrie gebracht wurde.3. Phänomenologische Beschreibung desschizophrenen ErlebensÜblicherweise werden die Symptome der <strong>Schizophrenie</strong> inden Lehrbüchern und den Diagnoseinventaren naturwissenschaftlich-objektivierendbeschrieben und aufgezählt. Hiersoll ein anderer Zugang versucht werden. Wenn wir einephänomenologische Annäherung an die Krankheit wählen,so ist die distanzierende Betrachtung der Naturwissenschaftaufzugeben und die Subjekt-Objekt-Spaltung zu überwinden.Phänomenologie verlangt eine subjektive Hingabe anden Anschauungsgehalt der Dinge (Scheler), mit denen manfür die Dauer der Schau eins wird. Ohne alle möglichenStufen phänomenologischer Wesensschau hier durchlaufenzu wollen, beschränken wir uns auf das einfachste und dochzentrale Mittel der Phänomenologie, das Sich-frei-Machenfür das eigene Erleben. Durch das Einfühlen in das Geschehender <strong>Schizophrenie</strong> versuchen wir ihrem Thema näherzu kommen und ein tieferes Verständnis zu entwickeln. Wirbemühen uns zu diesem Zwecke um die in der <strong>Schizophrenie</strong>wesentlichen Phänomene, die sich im Denken, in Weltbezugbzw. Körperempfindungen und in den Gefühlen zeigen.Versetzen wir uns einmal in das, was dem schizophrenenMenschen im Denken passiert. Denke ich zum Beispieldaran, was ich morgen machen werde, so erlebe ich nun inder <strong>Schizophrenie</strong> dieses Denken nicht so, wie ich es gewohntbin. Die Gedanken beginnen plötzlich „laut“ in mirzu werden, beginnen wie Stimmen in mir zu sprechen. Einfremdartiges Erleben der Welt und meiner selbst stellt sichein. Die Gedanken klingen wie ein Echo in mir. Ich lesediesen Text und es ist, als ob das, was ich gerade lese,EXISTENZANALYSE 3/96 15


WISSENSCHAFTgleichzeitig mit einer fremden Stimme in mir zu mir spräche.Die Assoziationen lockern sich, ungezügelt fallen Einfälleauf mich ein, lassen sich nicht mehr denken, beginnenselbst zu denken, denken mich, besetzen mich, bestürmenmich, verzetteln mich, blockieren mich, reißen meineAufmerksamkeit da und dort hin, bringen sie in Zusammenhänge,die ich nicht mehr verstehe, bringen mich an Orteder Erinnerung, der Phantasie, der Befürchtung, der Alogik,der Utopie, die in keinem erkennbaren Zusammenhang mehrstehen mit dem Inhalt, den ich denken will. Die Begriffeverlieren ihre Bedeutung, erhalten neue Inhalte, wechseln,verschieben sich, fehlen plötzlich. Wichtiges wird vonUnwichtigem nicht mehr trennbar, die Ordnung und Hierarchie,das Vorher und Nachher geht durcheinander, istverwirbelt wie durch einen Sturm, der in die Blätter fährt.Wie wird mir in diesem Geschehen? Fremdheit beschleichtmich. Es wirft mir die Frage auf, wo ich zu Hause bin? Inmeinem eigenen Kopf geht es durcheinander, und es gehtnicht mehr zusammen, was ich bisher als ganz Eigeneserlebt habe: meine Gedanken - sie sind nicht mehr diemeinen. Sie zerfallen. Sie lösen sich auf. Sie verlierenZusammenhang und Zusammenhalt. - Aber noch zweifleich. Vielleicht sind es doch noch meine Gedanken, bin iches, der so denkt, der so durcheinander ist?Angst kommt auf. Ich spüre, wie ich mich zu verlieren beginne.In die Fremde bin ich geraten - ich? Wer ist ich?Wo bin ich hingeraten? - Wo bin ich?Gleichzeitig mit den Denkstörungen bildet die Wahrnehmungdie Welt nicht mehr so ab, wie ich sie kenne. DieDistanzen verändern sich, Nahes wird fern, Fernes ist ganznahe, manchmal sogar in mir. Die Häuserfluchten schwanken,die Wände wanken, fallen, der Boden wölbt sich, diePerspektiven verschieben sich. Ich sehe plötzlich Dinge, dieich nicht greifen kann, ich fühle Gegenstände, die ich nichtsehe, ich höre Stimmen und Geräusche, aber niemand istda. Das Vertraute wird mir eigenartig, bizarr, noch nie Geseheneserscheint mir bekannt und vertraut. Die Gesichterzerfallen. Während des Gesprächs verändert es sich, undich schaue unvermutet in einen halb verwesten Totenkopf.Seine Stimme klingt blechern, sie durchbohrt und durchdringtmich bis ins Mark... - Woran kann ich mich halten?Was hat noch Bestand? Alles löst sich auf in seinen Strukturen,verschiebt sich, wird gestaucht, gedehnt, verzogen,verzerrt. Die Welt wird bedrohlich, feindlich, tritt unkontrolliertein in mich oder entzieht sich mir nach nicht durchschaubarenRegeln.Unheimlich wird mir in dieser Welt, in der fremdeMächte walten. Nichts ist mehr eindeutig, klar, verläßlich.Alles verschwimmt, ist unbeständig, nichts gibt Halt undOrientierung. - Was ist noch real? Sind Realitäten überhaupterkennbar? - Woran?Nicht viel anders geht es mir mit meinem Körper. Jetztverändert sich so viel in ihm: die Verdauung, der Schlaf,die Ermüdbarkeit, die Herzwahrnehmung; ich habe plötzlichGefühle, als ob mich jemand berühren würde, oder mirschaden wollte. Die Glieder werden taub, steif. Dann wiederist mir, als ob ein Arm fehlte, oder die Füße mir nichtmehr gehörten; ein andermal verspüre ich Messersticheoder es ist, als ob jemand mit einer Stecknadel meinenKörper durchsticht. Ich fühle mich zu dick oder zu dünn,die Körperzusammenhänge und die Selbstkontrolle verlierenihre Kohärenz, Herzrasen tritt auf, Brechreiz, Atemnot,rasche Erschöpfbarkeit.Ich kenne mich bei mir nicht mehr aus. Auch auf denKörper kann ich mich nun nicht mehr verlassen - was geschiehtmir nur? Wohin führt das? Was hat noch Bestand,was hält mich? Ist der Körper noch mein? Bin ich noch indiesem Körper? - Wo bin ich?Ich möchte mich zurückziehen. Welt, Körper, Denkensind mir fremd geworden. Wohin nur kann ich mich zurückziehen?Können es die Gefühle sein? - Doch da lauertschon die Angst. Die Gefühle sind mir un-heimlich. Ich bemerke,wie sie sich verändern. Sie werden impulsiv odererkalten, stumpfen ab, verlieren ihren Glanz und ihre Intensität.Manchmal gehen sie ganz verloren, stellen sich beischwierigsten Situationen nicht ein. Es ist dann, als ob ichohne Körper wäre: Ich sehe, was los ist, aber es gibt keinErleben in mir. Manchmal empfinde ich positive und negativeGefühle gleichzeitig. Die Menschen, mit denen ichmich verbunden fühlte, stehen nicht mehr zu mir. Die Liebeverliert ihre Bedeutung, ist ohne Kraft. Es herrschtUnsicherheit, Angst, Bedrohtsein in mir. All das, was icherlebe, ist unbeschreiblich, ist noch viel schrecklicher alsich sagen kann. Es wirft mich aus der Welt, es ist reinesEntsetzen, anhaltender Schrecken ohne Ende. Nichts istmehr wirklich faßlich, überall sitzt die Bedrohung, unsichtbarund diffus. Ich bin, aber ohne ein Gegenüber. DasBedrohliche läßt sich nicht orten, nicht festmachen an einemOrt, denn diese Bedrohung sitzt überall. Und überall,wo ich mit Entsetzen hinschaue, finde ich - nichts. Ichwerde wahnsinnig bei dem Erleben, Bedrohung überall zuspüren und sie nirgends zu finden. Diese Angst hat keinenOrt, sie ist nicht faßbar, sie ist ein See in mir und außermir, ich bin in ihm und er ist in mir - ich bin wie aufgelöstin ihm. Mein Gefühl ist diffuse Haltlosigkeit ohne faßbareStruktur. Nicht einmal meine innersten Gefühle bietenmir noch Schutz, geben mir einen Rückhalt. Eigentlichgibt es mich bereits nicht mehr, es gibt nur noch Entsetzenund einen riesigen See aus Angst.Mein Leben ist eine einzige Frage: Wo bin ich? Wokann ich sein? Wo kann ich hingehen? - Es gibt keinen geschütztenOrt mehr für mich, außen nicht und auch nichtinnen. Ich bin ausgesetzt in einer existentiellen Unbehaustheit.Nirgends finde ich Ruhe, nirgends kann ich rasten.Was immer ich tue - kein Schutz. Wo immer ich hingehe -kein Entkommen. Suche ich mich in mir - finde ich michnicht. Suche ich mich außen, verliere ich mich. Fern bin ichmir, bin nur noch Angst, Angst, Angst - ich kann sie nichtfassen, ich fasse nichts mehr, ich greife ins Leere, nichtshängt mit mir zusammen, nichts hält mich zusammen---16 EXISTENZANALYSE 3/96


WISSENSCHAFT4. Die Auflösung des ZusammenhaltsDer nichtschizophrene, gesunde Mensch steht in einemgewohnten Alltag. Sein Blick ist auf die Qualität undBrauchbarkeit des Vorhandenen gerichtet. Die Tiefenschärfedieses Blicks konturiert die Dinge deutlich in ihrem Zusammenhangund in ihrer Bedeutung für das eigene Leben undWeiterkommen. Der gesunde Mensch hat keinen Zweifel ander wahrgenommenen Realität, nimmt sie als sicher, gegebenund wahr an und richtet sein Leben und Handeln danachaus: „Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,und hier ist der Beginn, und das Ende ist dort“ (Rilke). Ererlebt sich in einer natürlichen Selbstverständlichkeit(Blankenburg 1971) eingebunden an einem welthaften Ort,an dem er ist und der sein Dasein bedingt und ihn bestätigt.Alle Sinneskanäle, das Köpergefühl, Affekte undEmotionen, das Denken und Erleben geben gleichsinnigRückmeldung: „Du bist da, und das ist deine Welt.“In der <strong>Schizophrenie</strong> ist die Tiefenschärfe der Wahrnehmunghinter die Bühne des Alltags eingestellt. Der Schizophreneschaut nicht auf Qualität und Nützlichkeit derDinge, sondern auf ihr Gegebensein. Ihn interessiert dieTatsächlichkeit ihres Vorhandenseins, und wie sie zusammenhängtund was sie zusammenhält. Er ist existentiell -mehr oder weniger bewußt - mit der philosophischen Fragebeschäftigt, worin das Sein gründet. Bei dieser Einstellungder Tiefenschärfe, die sich auf das Grundsätzlicherichtet, wird das tägliche Geschehen unscharf und verschwommen,während andererseits der in das Dunkel hinterder Bühne gerichtete Blick die Gegenstände in ihrerAlltäglichkeit nicht mehr zu Fassen bekommt. Er greift insLeere, etabliert das Nichts inmitten des Seins, dem er unentwegtentgegenstarrt und von dem er den Blick wie magischgebannt nicht lösen kann. Das wirft die Frage desSeins auf ihn selbst zurück.Was immer er erlebt, es stellt den Schizophrenen vor dieFrage: Wo bin ich? Die Frage bricht sich mehrfach undenthält einige Bedeutungen:Wo ist mein Ich? -Bin ich noch? -Wo finde ich mich? -Was kann mir ein Ort sein, an dem ich mich einfindenkann?Begleitet ist das Erleben von einer alles durchdringendenAngst, der der Schizophrene nichts mehr entgegenzusetzenhat: Er ist selbst ganz Angst, weil es keinen äußeren oderinneren Ort mehr gibt, wohin er sich von ihr zurückziehenkönnte.Das Dasein in der Ortlosigkeit ist ein Sein, das nirgendsist. Das, worauf sich Existenz gründet - das „Da“, dasGegebensein, das Gegenüber, das Tragende des Orts, andem man steht (lokal, temporär, biographisch), löst sichauf. Das Dasein gerät aus dem Gefüge. Es ist, als ob dieintermolekularen Kräfte und Strukturen, die die Welt unddas Ich zusammenhalten, aufhörten zu sein. Alles erscheintlose verbunden, verliert seine Festigkeit. Dadurch geht dieErfahrung des Zusammenhaltes der existentiellen Grundlagenverloren. Denken, Welt, Körpererleben, Gefühle habenwohl noch Zusammenhänge in sich und unter sich, auchwenn sie dem Schizophrenen nicht mehr verständlich sindund willkürlichen Charakter annehmen. Das entscheidendeErleben dieser Auflösung der „verzahnten“ Kohärenz innur noch lose und beliebige Zusammenhänge ist der Umstand,daß damit die Festigkeit der erlebbaren Wirklichkeitschwindet. Die Gesetzmäßigkeit der Dinge, aber auch deseigenen Seins, löst sich auf. Wohl finden sich noch Zusammenhänge- aber der Zusammenhalt ist abhanden gekommen.Das Dasein ist ins Nichts gebaut.So erfährt der Schizophrene inmitten des Daseins dasNichts, das Nichtsein, den Tod, dem er wehrlos ausgesetztist. Nirgends kann er diesen Feind des Daseins treffen. Erkann ihn nicht fassen, weil er überall und nirgends ist (vgl.Heidegger 1979, 186), und könnte er ihn fassen, hätte erselbst keinen festen Untergrund, von dem aus er ihn bekämpfenkönnte oder auf den er sich zumindest zurückziehenkönnte.So geht dem Schizophrenen neben der tragenden Strukturdes Ortes, auf den er sein Dasein gründen könnte, auchsein Ich verloren. Mit ihm verliert er den „inneren Ort“,das, was die Existenz trägt. Seine Existenz fällt durch dieäußere und innere Ortlosigkeit ins Nichts: Sie ist ohne Gegenüber,hat keine verläßliche Wahrnehmung und kein konstantesDenken. So kann das Ich kein Identitäts - Gefühl(„ich bin ich“) aufbauen oder halten, weil es kein „ich binda“ mehr hat. Die Ich-Grenze ist nicht mehr zu halten(„wie weit geht mein Ich - wie weit dringt die Welt in michein?“), die Evidenz des Gegebenen geht verloren und mitihr die Selbstverständlichkeit des Weltbezugs und desSelbstbezugs. Ohne Halt in sich selbst fehlt der feste Standort,der das eigene Sein begründet. Ohne festen Standortgibt es auch keine Konstanz in der Wahrnehmung, und dieKohärenz der Beziehung zur Welt wird aufgelöst. So sehenwir, wie sich der Faden der Pathologie weiter spinnt.Seinen Ausgangspunkt nimmt er von der sich auflösendenOrtlosigkeit und Identität.Der schizophrene Erlebensprozeß führt zum Verlustdes Zusammenhalts der inneren und äußeren Wirklichkeit- zum Fall aus dem Sein in das bodenlose Nichts (was denUnterschied zum neurotischen Erleben ausmacht, das imAnblick der Abgründigkeit des Daseins doch noch einenGrund im Abgrund ahnen läßt und somit nicht in dieserBodenlosigkeit und Ortlosigkeit empfunden wird). Dieseabgrundlose Erfahrung, in der es nichts mehr gibt, waszusammenhält, macht die Unerschütterbarkeit verständlich,die in den Reaktionsbildungen anzutreffen ist. So ist derWahn durch eine unerschütterliche Gewißheit charakterisiert,und auch der Autismus von einem undurchbrechbaren,festen Schutz vor der Eindringlichkeit der Welt durch denAufbau einer inneren Kohäsion geprägt. Die Bodenlosigkeitdes empfundenen Nichtseins macht die Notwendigkeiteiner Unerschütterbarkeit in der Gegenreaktion als einzi-EXISTENZANALYSE 3/96 17


WISSENSCHAFTgen noch möglichen Zusammenhalt im Dasein notwendig.5. Ein Fallbeispiel zur Entstehung desAutismusGegen das Gefühl der Auflösung kann nicht nur die Fluchtin den Wahn helfen, sondern auch der Autismus. Der eingangszitierte Patient schildert seinen Umgang mit der beginnendenPsychose einige Jahre später so:P: Ich bin aus der Wohnung gegangen, habe mich irgendwo hingesetztund habe einen Punkt fixiert. Ich habe einen Ausweggesucht in mir, nicht außer mir. Ich habe darum nichts mehrgegessen, habe an Gewicht verloren. Ich mußte es in mirsuchen, weil außerhalb von mir würde alles, was ich finde,außerhalb von mir sein. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen,außerhalb von mir zu suchen. Ich würde heute meinen,daß ich es überdeckt habe, daß ich gefühlsmäßig keine Beziehungzur Freundin gehabt habe.Th: War das das Problem?P: Eigentlich war es das: Wenn ich etwas gekocht habe, habeich das Gefühl bekommen: Ich habe da keine Berechtigung,das darf ich nicht. Ich habe das Gefühl gehabt: Ich kann zwarmit meiner Freundin leben, aber nicht als eigenständige Person,nicht als ihr Begleiter. (......) Wenn ich etwas essenwollte, kam sofort das Gefühl: Nein, ich darf das nicht. Wennich gegessen habe, mußte ich immer schnell essen, weil ichAngst hatte, gleich kommt wieder der Gedanke. (.....) Ichhatte mehrere Ausbruchsversuche aus der Beziehung gemacht.Sie sind immer gescheitert, weil ich die Initiativenicht ergriffen habe, eine eigene Wohnung zu suchen. Daerkannte ich: Es gibt für mich keine Möglichkeit, außerhalbetwas zu suchen. Also wußte ich, da muß ich durch. Ich mußinnen durch, weil ich es nicht schaffe, eine Wohnung zumieten.Der Patient hat den Ausweg in sich selbst gesucht, weil erin der realen Welt scheiterte und ihr nicht mehr vertrauenkonnte. Diese Abkehr und Einkehr in sich selbst ist derBeginn der autistischen Entwicklung, die die Situation erträglicherund aushaltbarer macht, aber wahrscheinlich füreinige Zeit auch tiefer in die Krankheit hineinführt. Dennochist daraus zu sehen, daß der Autismus die Person vorweiteren Zerfallserscheinungen und Auflösungen noch einezeitlang zu schützen vermag.*) Der Patient wußte auchnoch, warum er den Weg in sich selbst zu suchen begann:er fand keine Chance, in der äußeren Welt zum Ziele zukommen.Besonders die Beziehung zur Freundin machte ihm zuschaffen, weil er sie in der <strong>Schizophrenie</strong> als zu dicht empfand.Er erzählte, daß er plötzlich das Gefühl hatte, verheiratetzu sein, obwohl die Hochzeit nicht stattgefundenhat, was ihn sehr verwirrte. Auch andere Zwänge und Vorstellungenbrachen auf ihn herein. Die Welt wurde schließlichso komplex, daß sie drohte auseinander zu bersten.Interessant ist auch, welches Erleben die Schilderung desPatienten bei mir als Zuhörer auslöste. Ich bekam dasGefühl, daß die Welt immer riesiger würde und schließlichnicht mehr zu fassen war. Alles ging in der Fassungslosigkeitauseinander - wie umgekehrt durch einen Trichter gestoßenfiel ich aus der Dichte des Spundes in die Weiteeiner zusammenhanglosen Wirklichkeit.Noch nicht in der Psychose angesiedelt, doch ihr schonnahe, ist die Erstarrung, die durch erschütternde Ereignisseeinsetzt. Z.B. kann eine unerwartete Kündigung oder derplötzliche und unerwartete Tod eines wichtigen Menschendas Gefühl erwecken, daß „alles aus ist“. Es ist, als ob derpsychische Tod bei lebendigem Leibe einsetzen würde. DieWelt scheint um einen herum zu versinken, man selbst istwie nicht mehr da. Was in solchen Stunden in der Wahrnehmungnoch vorhanden ist, sind eigenartigerweise Kleindetailswie das Muster des Stoffes vom Sofa, auf dem derBetroffene stundenlang saß und hinstarrte. Die Fixierungeines Details ist wie das Suchen nach jenem Stoff (Leim,Kitt), der die Welt zusammenhält. Wenn die Welt in denkleinsten Strukturen stabil und kohärent bleibt, dann kannder Betroffene wieder etwas Ruhe und Stabilität gewinnen.Solche Kleindetails, die sich dem Gedächtnis unvergeßlicheinprägen, geben etwas Halt, weil sie den Zusammenhaltder Welt in ihrem Ursprung bzw. in der kleinsten,beobachtbaren Strukturgröße vermitteln.6. Was führt zum Verlust der Kohärenz?Der Verlust der welthaften Ortseinbindung führt, wie obenbeschrieben, zur Erfahrung der Auflösung des Zusammenhaltesder Welt. Diese Erfahrung erstreckt sich auch auf daseigene Sein - auf den Körper, die Psyche, das Denken, dasWollen, die Identität (vgl. die Grundsymptome nach Bleuler1975, 399 ff.). Der Schizophrene verliert damit auch deninneren Boden und fällt in ein bodenloses Nichts. Damitverbunden ist eine chaotische, ungerichtete Angst. Er erlebteine alles erfassende Auflösung.*) Ciompi (1988, 55) schreibt zum Autismus folgende „Werknotiz“:Zum sogenannten „Autismus“ der Schizophrenen: Warum nehmen chronisch Schizophrene so wenig Information auf; warum ist esso schwierig, mit ihnen „Kontakt aufzunehmen“? - Weil sie es gelernt haben, sich affektiv abzuschirmen! Sie lassen sich - offenbarals Überkompensation ihrer ursprünglich so großen emotionellen Ansprechbarkeit - affektiv nicht mehr „berühren“, „bestimmen“.Deshalb gelangt schließlich fast keine „Information“ im affektlogischen Sinn (= etwas zugleich Kognitives und Affektives)mehr von außen zu ihnen. Sie beschaffen sie sich dann selber, aus inneren Mitteln: Wahn, Halluzinationen, übertriebene Körpermißempfindungenetc.!18 EXISTENZANALYSE 3/96


WISSENSCHAFTDie damit einhergehenden überwältigenden Gefühlevon Angst sind nicht zu ertragen. Das Fühlen kann nichtmehr ungefiltert erlebt werden. Es wird ausgeblendet, abgeschwächt,ignoriert, so gut es geht, denn es bedroht dieIntegrität von innen heraus.Gefühle haben eine Vermittlerrolle zwischen der Personund ihrer (Innen- und Außen-)Welt. Sie ermöglichenBeziehung und schaffen eine unmittelbare Präsenz des Gegebenen.Dadurch stellen sie den inneren Boden des Zusammenhaltesdar. Gefühle sind gleichsam der Kitt, der denZusammenhalt im Erleben schafft.Den Verlust der emotionalen Spontanpräsenz der Dingeversucht der Schizophrene mit kognitiven Leistungen zukompensieren. Die Patienten handeln somit aus einer Rationalitätheraus, die keine emotionale Basis mehr hat. DieFolge davon ist, daß ihnen das Gefühl dafür verloren geht,ob sie es selbst sind, die etwas wollen oder etwas tun, oderob es sich um eine von außen kommende Macht handelt,die über sie verfügt und an der sie nicht teilhaben. EinfacheEntscheidungen sind ihnen verwehrt. „Mag ich odermag ich nicht“ - diese Frage stellt sie vor ein Rätsel. Siekönnen nicht mehr spüren, was ihnen lieb ist. „Mag ichRadio hören oder Ruhe haben? - Ich spüre es nicht. Bei mirist das so, daß ich alles kopfmäßig mache“, beschreibt derPatient sein Erleben. Hingegen würden ihn Ansprüche und„die Vernunft“ wie Zwänge überfallen. Wenn er in einenSchub gerät, gehen ihm die Gefühle noch mehr verloren;sogar die Gefühle zur Freundin kommen ihm abhanden. Erweiß dann nicht mehr, ob er sie liebt. Er kann aber „nursehr schwer sagen“, was ihm in der Beziehung fehlt. Daihm die Emotion verschlossen bleibt, hilft er sich mit derReflexion. Er denkt sich dann aus, was ihm in der Beziehungfehlt, so daß er sich nicht vertraut fühlt. Er kommtdann zum Ergebnis, daß er und seine Freundin zu unterschiedlichseien. Sie sei gefühlsbetont. Was sie aber verbinde,sei, daß sie ähnliche Gedanken hätten. Eine definitiveVerbindung z.B. in Form einer Ehe kann er aber nichteingehen, denn ähnliche Gedanken zu haben genüge nichtfür ein fixe Verbindung. Obwohl er die Beziehung zwischenden psychotischen Instabilitäten als gut und problemloserlebt, gelang es ihm durch Jahre hindurch nicht, über seineGefühle und sein Problem mit der Freundin zu sprechen.Gefühle waren ein zu heißes Thema, als daß er sie hätteansprechen können. So blieben die Zweifel über die Beziehungaus dem psychotischen Erleben und er sah die Beziehungjahrelang nur als Provisorium an (was die Freundinnicht wußte). Er aber verpaßte wieder eine Chance, Zusammenhaltzu erleben.Durch die Ausblendung des emotionalen Erlebens bliebendie Gespräche mit der Freundin von seiner Seite ausich-fern. Sie berichteten sich Geschehnisse aus dem Alltagund Äußerlichkeiten, etwa Erlebnisse in der U-Bahn.„Über Dinge, die uns bewegen und die wir zur Seite geschobenhaben, sprechen wir nie.“ Er läßt sie an seinemLeben nicht Anteil nehmen, kann sie aus Angst vor denGefühlen nicht Anteil nehmen lassen. Er bespricht z.B. niemit ihr, was er vorhat. Im Grunde lebt er von ihrem Leben.„Ich von mir kann wenig reinbringen in die Beziehung,kann nur mitleben, kann nur partizipieren.“7. Störbarkeit der Gedankenkohärenzdurch die GefühleDie Vulnerabilität des Erlebens und die Störbarkeit desDenkens wird (zumindest oft) durch die Kraft der Gefühleverursacht. Der damit zusammenhängende Verlust desKohärenzgefühles wird bei Sperrungen und Gedankenabgleitungenunmittelbar sichtbar. Wenn der schizophrenePatient über etwas sprechen will, das ihn emotional bewegt,hat er regelmäßig Störungen des Denken.Der genannte Patient bekam Sperrungen und verfehltedas Denkziel, als z.B. seine Großmutter, an der er sehrhing, schwer erkrankte. Er arrangierte eine zusätzlichePsychotherapiestunde, in der er beiläufig davon erzählte,daß die Großmutter krank sei. Auf die Frage in der nächstenStunde, warum er die Krankheit der Oma letztes Malerwähnt hatte, versackte das Denken und die Sprache erneut.Beides war in dieser Stunde bis dahin wieder flüssiggewesen. Solange es um ein emotional belastendes Themageht, kann er nur in Satz-Ansätzen sprechen und verfehltregelmäßig das Denkziel. Als ich dann nach einigen Minutensagte, was ich zu verstehen wähnte: „Ich dachte, Siemögen sie sehr, und jetzt ist die Großmutter in Gefahr, daßsie die Krankheit nicht überlebt, und deshalb wollten Siedarüber sprechen, weil Sie das belastete“, antwortete erprompt: „Stimmt genau. Aber ich hätte das nicht sagenkönnen.“ In der Reflexion darüber, die ab diesem Momentwieder fließend ging, meinte er, daß es ihm immer wiederso gehe, wenn er über etwas nachdenke oder spreche, dasauf Gefühle Bezug nehme, die er sich nicht ganz eingestehenwolle. In diesem Falle wollte er sich nicht bewußtmachen, wie sehr er an der Großmutter hing (wegen desmöglichen Verlustes) und wie sehr er Angst hatte, sie zuverlieren. Die Blockaden oder Sperrungen passieren ihmauch, wenn er zu plötzlich durch eine Anfrage oder durcheine Bemerkung in ein Thema gestoßen wird.Man könnte dies auch als eine Gefühlsvulnerabilitätbezeichnen, die darin besteht, daß er sich vor Gefühlennicht schützen kann wie ein Gesunder (durch Verarbeitung,durch tragen können oder Abwehr- und Verdrängungsmechanismen).Die Gefühle drängen sich ungewollt undnicht eingestanden herein und stellen sich gleichsam zwischendas Ich und den Denkinhalt, was zu Sperrungen führtoder zum Abgleiten des Denkens auf Nebengeleise.EXISTENZANALYSE 3/96 19


psychische Überlastungenexistentielle ÜberforderungenWISSENSCHAFTDenkzielGefühleDenkzielGefühle8. Das gestörte Erleben des Zusammenhaltsals Drehscheibe zwischen Pathogeneseund SymptombildungSpracheDenkenSpracheDenkenAbb. 1: Abb. 2:Darstellung des Vorgangs Darstellung des Vorgangsdes Gedankenabgleitens der Sperrung(Verfehlen des Denkziels) (Gedankenabbrechen)durch sich einschiebende durch sich weit vorschie-Gefühlebende GefühleSo zerfällt durch das Einfahren der Gefühle die Kohärenzder Gedanken und des Erlebens. Er erlebt dieses Geschehensubjektiv so, als ob das „Gefühl den Verstand ausschaltet“und er dadurch zu Handlungen getrieben würde, die ihnerschreckten, ihm fremd waren und ihm die Gefühle suspektmachten, so daß er diese erneut ablehnte und fürchtete.Wenn der Patient am Beginn eines Schubes von seinerFreundin wieder wegziehen wollte, so gelang ihm das nicht,wie oben erwähnt, weil er die Initiative nicht aufbrachte,eine Wohnung zu suchen. Das Scheitern an der Realität warbegleitet von durchaus realistischen Gedanken. Um eineWohnung zu finden, müsse man mit einem halben Jahrrechnen, sagte er sich. Diese Überlegung führte ihn aberdazu, nicht mehr über Wohnungssuche nachzudenken, sondernsein Motiv in Frage zu stellen. Er beginnt also darübernachzudenken, was ihn an der Freundin störe.Er schildert sein weiteres Verhalten folgendermaßen:„Ich fand, es war dann nichts, das ich gefunden hätte,was so schrecklich war, daß ich wegziehen hätte müssen.Dann aber hat sich der Verstand wieder ausgeschaltet unddas Gefühl kam, und ich bin trotzdem in die Mietwohnzentraleund war bei jemandem, der hat mich dannnicht übernachten lassen.... Es war ein Druck da, entwederich übernachte auf der Parkbank oder ich gehe wiederzurück. Und das Gefühl, das mich von der Freundin weggetriebenhat, ist daraufhin wieder schwächer geworden,und ich bin unter dem Druck der Realität wieder zurückgegangen.Ich habe mich so stark von den Gefühlen leitenlassen! Es hat mich damals sehr beängstigt und verschreckt.Ein anderes Mal habe ich die Wohnung verlassen und imLaufe der Nacht gemerkt, daß das Gefühl, daß ich weg will,wieder nachgelassen hat. Es war so beängstigend, daß ichvon dem Gefühl so abhängig war!“ Die Schilderung zeigtdeutlich den Verlust der Kohärenz im Erleben und Verhaltenund den verwirrenden Wechsel zwischen Kognition undEmotion, die in ihrem fehlenden Zusammenhang zu Gegenspielernwurden.Welche Ursachen auch immer zur Entstehung der <strong>Schizophrenie</strong>führen oder als Auslöser einen Beitrag leisten, sievermögen dies nach dieser Theorie nur, sofern sie in dieStörung des Erlebens des Zusammenhalts des Ichs und derWelt einmünden. Dies scheint das zentrale, tiefste Erlebenin der <strong>Schizophrenie</strong> zu sein und die Auseinandersetzungmit dem Verlust des Gefühls von Zusammenhalt die existentielleThematik der Krankheit zu bilden.SYMPTOMATOLOGIEPATHOGENESEakuter Realitätsverlust(neuro)physiologischeDestabilisierungenaffektbetonte <strong>Schizophrenie</strong>formenschleichend protrahierte Formengestörtes Erleben desZusammenhaltsvon Ich, Welt, Ich-Welt(systemisch-familiäre)Lockerungen/Überreizungenkognitive ZerfahrenheitAbb. 3:Die Abbildung veranschaulicht die These, daß nur jeneUrsachen oder Auslöser zur Entwicklung von schizophrenenSymptomen führen, die einen Beitrag zum Verlust desbasalen Zusammenhalts-Erlebens liefern.20 EXISTENZANALYSE 3/96


WISSENSCHAFTAuf der Symptomebene entwickeln sich auf der Basis desVerlusts des Zusammenhaltsgefühls die bekannten Formender <strong>Schizophrenie</strong>. Das Modell kann allerdings keine Aussagedarüber geben, welche symptomatischen Verläufe sichaus welchen Ursachenfeldern ergeben. Aber es gibt vielleichteine Antwort auf Scharfetters Satz (1987, 33): „Das‘Wesen’ (...) der schizophrenen Ich-Krankheit dürfen wirnicht mit den Symptomen, den sichtbar zu machenden Fragmenten(Symbolen!) gleichsetzen. (...) Das Wesen derschweren Ich-Krankheit wäre zu vermuten in dem, was diemenschliche Person zu jenem temporären Ich, von dem wirbestimmte Funktionen nennen können, zusammenhält odereher fragil macht“9. Die existentiellen Fragen der schizophrenenErkrankungDie schizophrene Erkrankung stellt den Menschen vor dreifundamentale Fragen, die zur Bestimmung menschlicherExistenz gehören und dem Nichtschizophrenen in der ihneninnewohnenden bodenlosen Tiefe nicht geläufig sind:die Fragen nach Wirklichkeit, Dasein und Nichtsein.a) Die spezifische Form der Auseinandersetzung mit demIn-der-Welt-Sein führt den Schizophrenen in dieUnausweichlichkeit einer Frage, die in der Psychopathologiesonst nie diesen Stellenwert erhält: Was ist Wirklichkeit?Ist es die Welt, der Traum, die Vorstellung, der Gedanke,das Gefühl, die Assoziation, die Stimmung, die Ahnung,die Befürchtung? Woran ist erkennbar, was Wirklichkeitist? - Dieses Problem des Kriteriums der Wirklichkeitentsteht im Schizophrenen, weil ihm die Wirklichkeitnicht mehr konsistent, homogen, verläßlich, konstant,kohärent erscheint, sondern lose, erratisch, arbiträr,unverläßlich und dadurch bedrohlich, fremd, unerreichbar.Die Wirklichkeit erscheint als eine Macht, derman ausgeliefert ist, und der durch die Auflösung des eigenenIchs nicht mehr begegnet werden kann. Jede Artvon Wirklichkeit, ob subjektiv (z.B. Gedanken) oder vonaußen kommend (Realitäten), bricht in die als zuinnerstempfundene eigene, personale Wirklichkeit ein. Jeneinnerste Wirklichkeit, die noch tiefer als alles Denkenliegt und im empfundenen und gefühlten Erleben zusehen ist, wird durch diesen Einbruch gestört und derBetroffene in der Folge orientierungslos. Dadurch wirddie Welt der Wirklichkeiten schwer erträglich, und derSchizophrene kann sich in ihr nicht mehr zurechtfinden.b) Eng verbunden mit der Frage nach der Wirklichkeit stelltsich dem Schizophrenen das Problem: Was ist Dasein?-Bin ich wirklich?Durch den Einbruch der Wirklichkeit in das Ich und dasÜberschwemmtwerden des Eigenen durch das Fremdelöst sich das innerste Gefühl von Kohärenz auf. EineTrennung zwischen Eigenem und Fremdem ist nicht mehrmöglich. Die Emotionalität als Bindeglied zur Welt undals Humus des kreativen Denkens wird unter dem Einflußdes Fremden aufgelöst bzw. selbst als bedrohlicherlebt.Ohne den inneren Bezug zu sich selbst kann das Ichseine Orientierung in räumlicher und zeitlicher Hinsichtnicht finden. So wie das Hier und das Dort sich zu vertauschenbeginnen, so geht das Vorher und das Nachherineinander über. Die Bezugspunkte gehen verloren. Wiedas Auge nur mit sprunghaften („sakkadierenden“)Augenbewegungen zur Wahrnehmung gelangt, indem esdie Punkte zueinander in Beziehung setzt, so findet diePerson ihren Ort durch den ständigen Vergleich des Vorherund Nachher und des Innen und Außen, des Nahenund Fernen. Vielleicht läßt sich das Erleben des Schizophrenenvergleichen wie das Treiben auf einem Floß,das losgebunden ist und steuerlos den Kräften des Wassersausgeliefert ist.c) Als eine dritte Fundamentalbestimmung des menschlichenDaseins erfährt der Schizophrene den Tod. Das Besondereaber ist, daß er den Tod als Lebender zu spürenbekommt. - Was er erlebt, stellt ihn vor die Frage: Lebeich noch? - Er erlebt sich wie tot und die Welt als nichtexistent.Die Auflösung geht soweit, daß das Nichtsschon präsent ist. Er erlebt das Nicht-Sein im Sein zugleich.Der Schizophrene kämpft, um sich überhaupt eineRealität zu erhalten, um ein Restdasein zu spüren. Wennder Mensch in der Angstneurose das Gefühl hat, daß erselbst zerstört wird, so bleibt ihm doch die Gewißheit,daß die Welt erhalten bleibt. Dies unterscheidet dasErleben zur <strong>Schizophrenie</strong>. Seine Angst ist, daß sichalles in nichts auflöst. Die Welt geht unter - und er mit.Er geht unter - und die Welt mit. Er erlebt Ver-wesung.Nichts ist mehr vertraut, bekannt, alles scheint verlorenund das Gefühl ist, daß bald nichts mehr sei. In diesemGefühl des Entschwindens löst sich alles auf. Das Nichtsbricht in das Sein ein, durchlöchert es mehr und mehr.Es ist wie das Gefühl einer Eisscholle, die durchlöchertist, bricht und am Rande abschmilzt.So erscheint am Grunde des schizophrenen Erlebens dieAuflockerung, das Abschmelzen, die Auflösung, das Auseinanderbrechendes Zusammenhalts, jener atomaren Strukturenund intermolekularen Kräfte, jener Bindungskräfte aufkleinster Ebene, die den Gegebenheiten ihre Festigkeit verleihenund dadurch Bedingung sind, damit der Boden desDaseins entsteht. Der Schizophrene steht nicht mehr vor derSuche nach Halt in einer festgefügten Welt, wie es beimÄngstlichen und Angstneurotischen der Fall ist. Die Angsthat ihn nicht nur erreicht, sondern längst schon überschwemmtund aufgelöst und dadurch ein viel größeresEXISTENZANALYSE 3/96 21


WISSENSCHAFTLiteraturArieti S. (1985) <strong>Schizophrenie</strong>. Ursachen, Verlauf, Therapie, Hilfenfür Betroffene. München: PiperBerner P. (1977) Psychiatrische Systematik. Ein Lehrbuch. Bern:HuberBleuler E. (1975) Lehrbuch für Psychiatrie. Berlin: SpringerBlankenburg W. (1971) Der Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit.Stuttgart: EnkeBrown G.W., Birley J.L.T. (1968) Crises and life changes and theonset of schizophrenia. Journal of Health und SocialBehaviour 9, 203-214Ciompi L. (1988) Außenwelt - Innenwelt. Die Entstehung von Zeit,Raum und psychischen Strukturen. Göttingen:Vandenhoek & RuprechtFrankl V.E. (1982) Ärztliche Seelsorge. Wien: DeutickeHeidegger M. (1979) Sein und Zeit. Tübingen: NiemeyerHell D., Fischer-Gestefeld M. (1993) <strong>Schizophrenie</strong>n. Verständnisgrundlagenund Orientierungshilfen. Berlin: SpringerHuber G. (1966) Reine Defektsyndrome und Basisstadien endogenerPsychosen. Fortschr. Neurol. Psychiatr. 34, 409-426ICD 10 (1991) <strong>International</strong>e Klassifikation psychischer Störungen.Bern: HuberKriz J. (1996) Die (Ver-)Bannung des Chaos. Systemtheorie undPsychotherapie. Vortrag AKH Wien, August 1995Leete E. (1987) The Treatment of Schizophrenia: A Patient’sPerspective. In: Hospital and Community Psychiatry 38,5, 484-491. Deutsche Übersetzung: HPE 1987Scharfetter Ch. (1987) Definition, Abgrenzung, Geschichte. In:Kisker K.P., Lauter H., Meyer J.E., Müller C., StrömgrenE. (Hrsg.) <strong>Schizophrenie</strong>n. Psychiatrie der Gegenwart 4.Berlin: Springer, 1-38Scharfetter Ch. (1990) Schizophrene Menschen. München: Urban& SchwarzenbergSüllwold L. (1973) Kognitive Primärstörungen und die DifferentialdiagnoseNeurose/beginnende <strong>Schizophrenie</strong>. In: HuberG. (Hrsg.), Verlauf und Ausgang schizophrener Erkrankungen.Stuttgart-New York: SchattauerAnschrift des Verfassers:DDr. Alfried LängleEduard Sueßgasse 10A-1150 WienEXISTENZANALYSE 3/96 23


WISSENSCHAFT<strong>Schizophrenie</strong> unter dem Blickwinkelder personalen GrundmotivationKarin LussEs wird der Versuch unternommen, sich demkomplexen Erscheinungsbild der schizophrenenErkrankung(en) unter dem Aspektder personalen Grundmotivation zu nähern.Die Arbeit nimmt Bezug zu einer Datenerhebungin der Landesnervenklinik Gugging,welche deutlich macht, daß die Erschütterungin der Dimension des Grundvertrauens(erste Ebene der personalen Grundmotivation)bei an <strong>Schizophrenie</strong> Erkranktenmassiv und zentral ist. Symptommanifestationenim Bereich der zweiten unddritten Ebene der personalen Grundmotivationsind vermutlich Folgeerscheinungendes Mangels in der ersten Ebeneund überdecken die zentrale Störung lediglich.Mögliche therapeutische Konsequenzen ausden theoretischen Überlegungen werdenkurz umrissen.Der folgende Artikel ist zum Teil ein Auszugaus der Abschlußarbeit “<strong>Schizophrenie</strong> undpersonale Grundmotivation” für die Ausbildungin Existenzanalyse.Begegnungen mit schizophrenen Menschen lassen erkennen,daß diese massiv im Erleben des Grundvertrauenserschüttert sind. Störungen im Erleben desGrundwertes und der Grundrechtfertigung können ebenfallsvorhanden sein und sind in diesem Zusammenhangals Folgeerscheinung des Einbruchs im Grundvertrauenim Sinne eines hierarchischen Modells zu verstehen.Aufgrund der Störung im Bereich der ersten Ebeneder personalen Grundmotivation (Dasein können)und möglicher Blockaden im Bereich der zweiten unddritten Ebene (Wertsein mögen; Selbstsein/Sosein dürfen)scheitern die an <strong>Schizophrenie</strong> Leidenden im Erkennendes situativ Geforderten/Gebotenen, d.h. siescheitern im sinnvollen Wollen, im Sollen (vierte Ebeneder personalen Grundmotivation). SchizophreneMenschen haben große Hindernisse zu überwinden, umeine Sinnerfüllung zu erfahren.In einer 1995 an der Landesnervenklinik Guggingdurchgeführten Fragebogenuntersuchung mit 30 an<strong>Schizophrenie</strong> Erkrankten und 30 Kontrollpersonenzeigte die erstellte Gruppenanalyse, daß eine besondersgroße Differenz zwischen Schizophrenen und Nicht-Schizophrenen in jenen Subskalen bestand, die ausschließlichFragen mit Bezug auf die erste Grundmotivationsebenestellten.Ebenso konnte in dieser Untersuchung gezeigt werden,daß auch bei einer schwerpunktsmäßigen Symptommanifestationin der zweiten und dritten Ebene derpersonalen Grundmotivation immer die darunterliegendeStörung in der ersten Ebene der personalen Grundmotivationbei den schizophrenen Menschen aufzufindenwar (Luss K. 1995, <strong>Schizophrenie</strong> und personaleGrundmotivation. Abschlußarbeit für die Ausbildung inExistenzanalyse).Der theoretische Hintergrund der Arbeit - dieBeschreibung der personalen Grundmotivationen(nach Längle 1994)Vergegenwärtigen wir uns zunächst kurz die Bedeutungder Dimensionen des Grundvertrauens, des Grundwertesund der Grundrechtfertigung, die im Sinne eineshierarchischen Modells die Voraussetzungen für eineSinnerfüllung sind.1. Das Grundvertrauen (Dasein können; erste Ebeneder personalen Grundmotivation) ist das Erleben,daß ich mich der Welt überlassen kann, daß da genügendGrund, Boden unter meinen Füßen ist, der michhält und trägt.Das Vertrauen ist ein intentionaler Akt, ein Prozeß,der auf etwas gerichtet ist. Die Vertrauensbereitschaftist in der Erfahrung der Unumstößlichkeit (Scheler) derSache begründet, die mir Halt verspricht. Vertrauensbereitschaftgründet nicht in mir, sondern in der Erfahrungmit der Widerständlichkeit der Welt. Sie entspringtalso dem Bewußtsein des Aufgehoben-Seins.24 EXISTENZANALYSE 3/96


WISSENSCHAFTAufgrund einer massiven Störung im Bereich der erstenEbene der personalen Grundmotivation (Dasein können)und möglicher Blockaden im Bereich der zweitenund dritten Ebene (Wertsein mögen; Selbstsein/Soseindürfen) haben schizophrene Menschen oft große Schwierigkeiten,eine Sinnerfüllung (vierte Ebene derpersonalen Grundmotivation; existentielle Ebene) zu erfahren.Das Erleben der Grundangst, dieser Fall ins Bodenlose,zwingt den Menschen förmlich so schnell wiemöglich wieder Halt zu finden, ohne den er nicht lebenkann. Diesen Halt kann der an <strong>Schizophrenie</strong> Leidendeersatzweise im Wahn, im Residuum und in allenanderen Ausprägungsformen der <strong>Schizophrenie</strong> finden.Wenn sich der Patient erklären kann, daß seineKonzentration durch die elektromagnetischen Wellendes Nachbarn gestört wird und er deshalb im Denkenbehindert wird, läßt das Ausmaß der Angst nach. „Werein Warum hat, erträgt fast jedes Wie“ (Nietzsche). DerPatient gewinnt wieder Boden unter den Füßen und einErleben des Zusammenhaltes durch die Wahngewißheit,die um den Preis der gemeinsamen, uns allen zugänglichenWelt gewonnen worden ist, sodaß der Schizophrenein seiner ganz privaten Welt lebt. Sprachwissenschaftlichläßt sich Wahn davon ableiten, daß etwas gewonnen,daß etwas angenommen wird.Im paranoiden Typus (Typuseinteilung nach Kriterienaus DSM-III-R) der <strong>Schizophrenie</strong> vermittelt derWahn Halt und Zusammenhalt, im Residuum mag derPatient letzteres in der Verarmung in den verschiedenstenLebensbereichen (z.B. Beeinträchtigung derRollenerfüllung, Verarmung der Sprache, Affektverflachung,Mangel an Initiative, Energie und Interesse)finden.Beim desorganisierten Typus der <strong>Schizophrenie</strong>kann Halt nur im zufällig Auftauchenden und Zusammenhaltim Zu-fallenden/-fälligen erlebt werden. D.h.die nach außen erscheinende Desorganisation bedeutetfür den an <strong>Schizophrenie</strong> Erkrankten einen Versuch zurOrganisation.Menschen, die an einer <strong>Schizophrenie</strong> vom undifferenziertenTypus leiden, erleben Halt und Schutz im zufälligAuftauchenden und in der Wahngewißheit.Auch der nach außen erscheinende Stillstand deskatatonen Typus der <strong>Schizophrenie</strong> ist ein Versuch, Haltzu finden im Wirrwarr heftig erlebter Halluzinationenund innerer Zusammenhaltslosigkeit.Die Wahngewißheit und die anderen die <strong>Schizophrenie</strong>charakterisierenden Symptome, stellen oft einHindernis in der Kontaktaufnahme zwischen Patientenund nicht Erkrankten dar. Weiß man um den „Sinn“ desWahns und der anderen Symptome, so kann das akzeptierendeBeschreiben der Welt, die dem Patienten eigenist, die er nicht mit dem Gesprächspartner teilt und dasBeschreiben der beiden gemeinsamen Welt einen erstenBrückenschlag zu dem psychotischen Patienten darstellen.<strong>Schizophrenie</strong> wird unter anderem in der Existenzanalyseals Störung der Intentionalität, als Störung derAustauschfähigkeit des erkrankten Menschen mit derUmwelt definiert. Das Psychophysikum, das Sprachrohrder Person ist gestört. Dadurch wird das eigene Erlebender Person in der Psychose so entfernt, daß sich diePerson selber fremd wird und sich z.B. gesteuert erlebt.Durch die unterbrochene Austauschfähigkeit mit derWelt ist auch das dem Menschen eigene dialogischePrinzip unterbrochen (Buber), wodurch sich der Patientimmer mehr in seiner privaten Welt verliert bzw.findet. Der circulus vitiosus nimmt seinen Lauf.Therapeutische Konsequenzen: ein AusblickSowohl das Vulnerabilitätskonzept von Zubin undSpring als auch das Basisstörungskonzept von Huberund Süllwold fokussieren kognitive Störungen als Ursacheim Entstehungsprozeß der <strong>Schizophrenie</strong> im Sinnevon Informationsverarbeitungsstörungen, die unterpsychoreaktiver Vermittlung letztendlich in den für die<strong>Schizophrenie</strong> typischen Symptomen münden.Motivationale und emotionale Einflußfaktoren findenkeine oder nur eine untergeordnete Beachtung. DerenIntegration in ein heuristisches Modell fordertBrenner in “<strong>Schizophrenie</strong> als systemische Störung”, daseines Erachtens die Umsetzung von Verbesserungenbasaler kognitiver Funktionen in das offene Verhaltenvon anderen Faktoren, z.B. von emotionalen Blockaden,abhängt, die von den bisherigen kognitiven und sozialenTherapieinterventionen kaum beeinflußt werdenkönnen.Brenners Überlegungen weisen somit auf die Bedeutungder Emotionalität und hier vor allem der Angsthin. Denn wie soll ein Mensch, der ständig ein Gefühlder Haltlosigkeit und der inneren Zerrissenheit erfährt,sich der Umsetzung von kognitiven, sozialen und anderenTherapieinterventionen zuwenden? Hier gilt es vorerstauf der Ebene dieser allumfassenden Angst zu arbeiten.Erst wenn der Betroffene Halt und Schutz erlebt,kann er sich anderen Dingen widmen. Auch wennan <strong>Schizophrenie</strong> Erkrankte Depressionssymptome undhysteriform anmutende Zustandsbilder zeigen, ist esausgesprochen wichtig zu klären, inwieweit der jeweiligePatient Unterstützung auf dem Gebiet des Grundvertrauensbenötigt. Erst im zweiten Schritt sollte mansich in der Betreuung von schizophrenen Menschen aufdie Störung der zweiten und der dritten Ebene derpersonalen Grundmotivation konzentrieren.Einige Gedanken zur Integration des personalenGrundmotivationskonzeptes in Therapieüberlegungenseien hier skizziert, um das therapeutische Vorgehen zukonkretisieren:Grundvertrauen (erste Ebene der personalenGrundmotivation): In der Begegnung mit schizophrenenMenschen kann ein gemeinsames Dasein ohne Worteund Taten vom Patienten heilsam empfunden werden.26 EXISTENZANALYSE 3/96


WISSENSCHAFTIm gemeinsamen Schweigen entsteht Raum für den Betroffenen,wo er sein kann. Natürlich bedarf es hier derselbstkritischen Hinterfragung des Therapeuten, ob essich hierbei um ein “aktives, austauschendes Schweigen”handelt, oder ein Schweigen vorliegt, wo der Patientund der Therapeut aneinander vorbeigehen.Dasein können im Sinne von Zusammenhalt undBoden unter den Füßen haben kann in Übungen erfahrenwerden, wo der Patient den tatsächlichen Boden unterseinen Füßen anfühlt und die Qualitätsunterschiedewahrnimmt (Teppichboden, Steinboden, Asphalt, Wieseetc. ... fühlen sich verschieden an). Sollte der Bodennicht als tragfähig erlebt werden, kann an diesemPhänomen weitergearbeitet werden; z.B. was brauchtes, damit der Boden trägt? Der Zusammenhalt kannunter anderem in Übungen verdeutlicht werden, wo derPatient seine Arme um den eigenen Leib schließt, odersich in Bauch- und Seitenlage zusammenrollt.Halt wird dem Patienten auch durch eine tragfähigeBeziehung vermittelt, wo der schizophrene Menscherlebt, daß die jeweilige Bezugsperson sie oder ihnauch in ihrem/seinem Krankheitsprozeß aushält und beiihr/ihm bleibt.Ebenso wird durch Strukturvermittlung, wo der Patientkeine Strukturen hat, das Erleben von Halt und/oder Zusammenhalt ermöglicht.Unterstützend können hier Körperübungen eingesetztwerden, die Scharfetter beim Vorhandensein vonIch-Aktivitätsstörungen und Ich-Konsistenzstörungenempfiehlt, z.B.: Stoßen, Halten, Ziehen, Packen; gezielteBewegungen, besonders mit den Händen, durchführen.Der Grundwert (zweite Ebene der personalenGrundmotivation): Dieser wird gehoben im Erlebenvon Zuneigung und Berührung, dort wo Angebote vonNähe bestehen, wobei der schizophrene Mensch dasAusmaß der Nähe bestimmt. Da können Übungen, wiez.B. das Anfühlen von verschiedenen Gegenständen,das Anfühlen der Sonnenstrahlen, wie sie die Hautwährend eines Spazierganges erwärmen, erste “Gehversuche”bedeuten.Die Dimension der Grundrechtfertigung (dritteEbene der personalen Grundmotivation) wird unteranderem in der den Patienten in seiner Eigenart akzeptierendentherapeutischen Grundhaltung berücksichtigt.Darunter verstehe ich aber nicht, daß prinzipiellalle vom Patienten stammenden Taten und Äußerungenbejaht werden müssen und schon gar nicht, wenn sieeine Grenzverletzung der jeweiligen Bezugsperson gegenüberbedeutet. Hier erscheint es mir wichtig, die generellakzeptierende und wertschätzende Haltung derPerson gegenüber zu bewahren, authentisch zu bleibenund Grenzen zu setzen, wo der Patient sie nicht erkennt.Das heißt, daß der betroffene Patient so seindarf, wie er ist, aber trotzdem eine Auseinandersetzungstattfindet.Sehr hilfreich im Zusammenhang mit dem Nichterlebendes Selbstsein/Sosein-Dürfens sind die vonScharfetter empfohlenen Übungen bei Ich-Demarkationsstörungen und Ich-Identitätsstörungen,u.a.: Nähe- und Distanzübungen, Körpergrenzenverdeutlichen, Gesicht in den eigenen Händen spürenoder im Spiegel betrachten.Ergänzend zu den vorangegangenen Überlegungen dentherapeutischen Prozeß betreffend gilt es, die somatischeKomponente und den soziokulturellen Bezug derErkrankung nicht zu vergessen. Auf letzteren verweistDavidson in seinem Artikel über ”PhänomenologischeForschung in der <strong>Schizophrenie</strong>”(1994), wo er beschreibt,daß die soziokulturellen und historischen Bezüge,in denen wir alle stehen, auch die Erlebnisse imschizophrenen Entrücktsein beeinflussen und formen.Die bisherigen Kenntnisse über die somatischenPathomechanismen bei der schizophrenen Erkrankung(u.a. Dysbalance von Neurotransmittoren; morphologischeVeränderungen des Gehirns) ermöglichten die Entwicklungvon Neuroleptika, die ebenfalls einen Bausteinim vielgestaltigen Therapiekonzept darstellen.LiteraturAmerican Psychiatric Association (1989) DSM-III-R DiagnostischeKriterien und Differentialdiagnosen, Weinheim-Basel,Beltz VerlagBöker W., Brenner H.D. (1989) <strong>Schizophrenie</strong> als systemischeStörung, 1.Auflage. Bern-Stuttgart-Toronto: VerlagHans HuberDavidson L. (1994) Phenomenological Research inSchizophrenia: From Philosophical Anthropology toEmpirical Science. In: Journal of PhenomenologicalPsychology, Vol.25Längle A. (1994) Die personale Grundmotivation. UnveröffentlichtesManuskriptLängle A. (1996) Der Verlust des Zusammenhalts. Psychopathologieund existentielle Themen in der <strong>Schizophrenie</strong>. In:Existenzanalyse 3/96, 13-22Luss K. (1995) <strong>Schizophrenie</strong> und personale Grundmotivation.Abschlußarbeit für die Ausbildung in Existenzanalyse(Endfassung in Vorbereitung)Scharfetter Ch. (1990) Schizophrene Menschen, 3.Auflage.München: Urban & SchwarzenbergScharfetter Ch. (1991) Allgemeine Psychopathologie, 3.Auflage.Stuttgart-New York: ThiemeTutsch L. (1990) Schizophrene Basisstörungen. Skriptum basierendauf Literatur von Süllwold L., Huber G.(1986) “Schizophrene Basisstörungen” und Gross G.,Huber G. (1987) - BS ABS (Bonner Skala für die Beurteilungvon Basissymptomen). Berlin: SpringerAnschrift der Verfasserin:Dr. Karin LussSeckendorfstraße 2/1/6A-1140 WienEXISTENZANALYSE 3/96 27


WISSENSCHAFTTherapie mit einer chronischschizophrenen Frau im ambulantenBereichPeter SchmidDer Autor dieses Beitrages beschreibt wesentlicheAbschnitte in der Behandlung einerchronisch schizophrenen Patientin. SeinZugang erfolgt aus der Position des Psychiatersund Psychotherapeuten in einersozialpsychiatrischen Ambulanz. Er verdeutlichtin seiner Fallschilderung das wichtigsteWirkelement in der Behandlung schizophrenerMenschen: Beziehung haltenüber einen langen Zeitraum. Erst dadurchkann der Betroffene seinen Zugang zur Wirklichkeithalten bzw. wieder erhalten.Frau S. wurde 1931 in Wien geboren. Sie heiratete mit 16Jahren ihren nun 73 jährigen Mann, der nun trotz aufrechterEhe seit über 15 Jahren getrennt von der Patientin lebt.Die Ehe blieb kinderlos. Frau S. war bis 1976 erfolgreichals Abteilungsleiterin in der chemischen Industrie tätig.Krankheitsbedingt verlor sie ihren Arbeitsplatz und wurde2 Jahre später unter der Diagnose „Paranoides Zustandsbild“erstmalig in das Psychiatrische Krankenhauseingeliefert. 1988 erfolgte die zweite Aufnahme und 1990im Anschluß an eine Darmkrebsoperation die bislang letztestationäre Aufnahme in einem Psychiatrischen Krankenhaus.Die Abgangsdiagnosen lauteten jeweils „akuteExacerbation bei chronifiziertem paraphrenem Syndrom“.Kontaktaufnahme und die ersten Jahre derBehandlungIch lernte Frau S. 1984 bei einem akuten psychiatrischenNotfall kennen, und es entwickelte sich in den Jahren einintensiver Kontakt, der zumeist telefonisch ablief. Nur seltenkam es zu persönlichen Begegnungen in der sozialpsychiatrischenAmbulanz. Frau S. zeichnete sich dabeidurch ein skurriles Äußeres aus, da sie stets eine viel zukleine Perücke trug und immer mit einem Regenmantel ausKunststoff bekleidet war. Das Gesicht war voll mit hauttönendenCremes, und meistens klebten große Pflasterstreifenauf den Wangen der Patientin. Obwohl Frau S.von zierlicher Statur war, schleppte sie stets 4-6 großeReisetaschen mit sich. In diesen Taschen befand sich, wiesich später herausstellte, ihr ganzes persönliches Vermögen,das sie stets bei sich haben mußte. Im Rahmen derzweiten stationären Aufnahme wurde der Patientin eineTasche mit einem hohen Geldbetrag entwendet, so daßFrau S. sich in ihrer Annahme, daß alle Welt hinter ihremGeld her sei, bestärkt sah.Zunehmender Rückzug aus der bedrohlichenWeltSeit 1990, nachdem sich Frau S. einer lebensgefährlichenDarmoperation unterziehen mußte, hat sie ihre große Eigentumswohnungin einem Stadtbezirk von Wien nichtmehr verlassen. Sie liegt nun seit vielen Jahren über vieleStunden auf ihrem Bett und hat infolge der Immobilitätund der einseitigen Ernährung über 40 Kilo zugenommen.Dies führte dazu, daß Frau S. sich nur mehr mitMühe aufrichten kann und nicht mehr in der Lage ist, ihreWohnung zu verlassen. Sie wird nun vollständig von ihremEhemann mit Nahrungsmitteln versorgt und darüberhinaus, gegen entsprechendes Entgelt, in allen anderenBereichen des täglichen Lebens unterstützt.Die psychischen und körperlichen Veränderungen beiFrau S. führten nun auch zu einer Änderung der Kontaktemeinerseits mit der Patientin. Frau S. erhielt regelmäßigeinen einstündigen Besuch zu Hause, der alle 14 Tagean einem bestimmten Wochentag zur selben Zeit erfolgenmußte. Dies war deswegen notwendig, um mit denBetreuungszeiten ihres Mannes nicht in Kollision zu kommen.Zugang zueinander findenFrau S. saß nun bei fast jeder Stunde in ihrem desolatenBett und begann, aus ihren Wortprotokollen der letzten 2028 EXISTENZANALYSE 3/96


WISSENSCHAFTJahre zu zitieren, respektive Fragen zu stellen, die ihr eineBasis für unser Gespräch schaffen sollten. Diesen Fragenlag vor allem die Realitätskontrolle zugrunde, die Frau S.benötigte, um sich der Identität ihres Gegenübers zu versichern.Oft kamen Bemerkungen, wo Frau S. behauptete,ich sei nicht die Person, für die ich mich ausgäbe. Sieführte dann stets Beweise aus ihren Aufzeichnungen an,die jedoch in einer wahnhaften Deutung von teilweiserealen Ereignissen endete.Der psychopathologische Zustand der Patientin warwechselhaft. Wenn Stimmungsschwankungen und Antriebsstörungendas Befinden der Patientin wesentlich beeinflußten,war eine Unterhaltung mit ihr äußerst mühsam.Frau S. zeigte in all den Jahren keinerlei Anzeichen vonDenkstörungen, jedoch war ihr Wahnsystem chronifiziert,und es gab auch Phasen, in denen akustische Halluzinationenauftraten. Die teilweise produktive Symptomatikwar kurzfristig durch Gabe von Neuroleptika gebessertworden, jedoch stellten sich alsbald massive extrapyramidaleNebenwirkungen ein, die zum Absetzen derMedikation zwangen. So behandelte sich nun Frau S.weitgehend selbst, indem sie in unterschiedlichen MengenTranquilizer einnahm, um die Phasen der großen Ängstlichkeitbzw. ihre Schlafstörungen in den Griff zu bekommen.Die “besondere Weise” der GesprächeBei den vielen Gesprächen mit Frau S. war es nie möglich,Gefühle direkt anzusprechen. So entwickelten sichFrage- und Antwortrituale, die immer wiederkehrendeThemen zur Folge hatten. Ein Hauptthema war die Einsamkeitder Patientin, die zusammen mit ihrer übergroßenAngst oft zu depressiven Verstimmungen führte. Frau S.sprach dann meist in einem klagenden Kleinmädchentonund fürchtete, sich in Nichts aufzulösen. Themen, dieSelbstdistanzierung oder Selbsttranszendenz erforderten,wurden von der Patientin gemieden bzw. nach wenigenWorten von ihr unterbrochen.Die biographische Arbeit benötigte viele Jahre, da esnie gelang, Frau S. durchgehend an ein persönliches Detailheranzuführen, das von großer Emotionalität geprägtwar. In den Gesprächen beschränkte sich Frau S. darauf,vor allem ihrem Mann bittere Vorwürfe zu machen, weiler sie im Stich gelassen hätte. Andererseits verteidigte sieihn gegenüber allen Versuchen, ein reales Bild von ihm zuzeichnen. Größte Panik erzeugte der Gedanke, daß ihrMann eines Tages nicht mehr zu ihr kommen könnte. Dieswürde eine Unterstützung durch Institutionen notwendigmachen, denen Frau S. prinzipiell mißtraute. So blieb stetsdie ambivalente Haltung übrig, die sich zwischen Vorwurfund Bedürftigkeit bewegte.In all den Jahren der Gespräche mit Frau S. entwikkeltesich auch bei mir ein eigenes Verhältnis zur Psychotherapiemit psychosekranken Menschen. Eine der Haupteigenschaften,die für diese Art der Therapie notwendigwar, ist die gleichbleibende Geduld, all diese Prozesse zubegleiten. Jede persönliche Veränderung, jede nur etwasemotional gefärbte Äußerung wurde von Frau S. mit äußersterSensibilität registriert. Es galt auch, die vielenProvokationen ihrerseits aushalten zu lernen, die die Absicht,sie zu betreuen, als Schwindel entlarven sollten.Ganz selten kamen Hinweise, wie froh Frau S. überdiese Begegnung sei. In guten Phasen gelang auch eineAuseinandersetzung mit der Krankheit, die anfänglich vonFrau S. vehement geleugnet wurde. Sie wollte auch nie alsPatientin angesprochen werden, sondern legte größtenWert auf die Bezeichnung Klientin.Nach der Krebserkrankung von Frau S. standen oftkörperliche Probleme im Vordergrund, die trotz aller medizinischerWidersprüche von einem Psychiater und Psychotherapeutenbehandelt werden sollten. Wenn Frau S. ineiner aggressiven Stimmung war, wurden Vorwürfe laut,die sich auf die Unzulänglichkeit der körperlichen Therapiebezogen und die Sinnhaftigkeit von Gesprächen inFrage stellten. Sie machte dann stets den Einwand, siekönnte genausogut mit der Telefonseelsorge sprechen, derenEffizienz sie den psychotherapeutischen Gesprächengleichsetzte. Versuche meinerseits, die Therapie für längereZeiträume zu unterbrechen, wurden von Frau S. mitPanik und demütigen Unterwerfungen beantwortet, in denensie zum Ausdruck brachte, wie wichtig ihr diese Besucheund die daraus resultierenden Gespräche wären. Sowurde auch meinerseits größte Rücksicht auf diese Ängstevon Frau S. genommen.Längerfristige VeränderungenIm Laufe der Zeit gelang es schließlich, eine Akzeptanzbei der Patientin zu erreichen, die sich auf die Interpretationihrer Wahrnehmungen bezog. Sie konnte es nunzulassen, daß ich zu vielen ihrer Deutungen von nichtrational erklärbaren Phänomenen eine andere Meinung alssie haben durfte. Sie begann dann stets auch ihre Sätzemit der Einleitung „auch wenn sie mich nun für verrückthalten ....“ um damit zu deklarieren, daß unsere Meinungenin bezug auf die Wirklichkeit different seien. Dies fielihr umso schwerer, zumal sie einen Absolutheitsanspruchfür ihre Sicht der Wahrheit und Gerechtigkeit erhob undsie meine abweichenden Interpretationen stets als Angriffauf sich erleben mußte, da nun für sie feststand, ich würdesie der Lüge bezichtigen.Es ist daher auch nicht verwunderlich, daß sichmittlerweile eine Sprachregelung zwischen Frau S. undmir entwickelte, die für einen neutralen Beobachter etwaseigenartig klingen würde. Aber nur so war es möglich, diePatientin aus ihrem paranoiden Kontext hin zu einer Öffnungfür die sie umgebende Realität zu bewegen. Es bedurfteeiner persönlichen Stützung, damit sie diese„furchtbare“ Wirklichkeit aushalten lernen konnte. Ausdiesem Grund beschränkten sich die Telefonate mit FrauS. auf das Allernotwendigste, da sie die persönliche Begegnungbrauchte, um sich auf einen anderen Zugang zurWirklichkeit einzulassen. Frau S. lehrte mich in den Jah-EXISTENZANALYSE 3/96 29


WISSENSCHAFTren der Therapie, auch stets authentisch zu bleiben, da sieüber ein untrügliches Gefühl für Unehrlichkeit und Unechtheitverfügte.Ein paar Bemerkungen zum therapeutischenSettingIn der Therapie von psychotischen Personen fehlen stets einigeKriterien, die für eine „klassische“ Psychotherapieüblich sind. Angefangen von der Art des Kontakts, dennicht besprechbaren Details von Methodik, Therapiezielund Bezahlung bis hin zu der geringen Abstraktionsfähgikeitund den kognitiven Defiziten. Sie macheneine Vergleichbarkeit zu der gängigen Therapiepraxis zueinem schwierigen Unterfangen. Trotzdem waren Regelmäßigkeiten,strikte Einhaltung des Zeitrahmens, genau festgelegteRollenverteilung immer anzutreffen. Auch derUmgang mit Abstinenz stellte ein großes Problem dar.Häufig wurde der Versuch unternommen, über private Fragenan den Menschen „Therapeut“ heranzukommen. Seltengelang es, die „Termine“ als Psychotherapie zu deklarieren,wobei es eine vage Vorstellung von dieser Form derBehandlung gab.So gestaltete sich die Arbeit mit “Symbolen” äußerstschwierig, da der Informationsfluß einseitig blieb im Sinnevon „Übersetzung“, aber deren Rückmeldung an diePatientin unterbleiben mußte.Zusammenfassend kann die Therapie mit Frau S. alsstützende Psychotherapie bezeichnet werden, in denen Elementeder Deutung, Interpretation und emotionalen Konfrontationden Rückzug der Patientin in psychotische Symptomezur Folge hatte. Es galt, einen Gesprächsstil zu entwickeln,der die Annahme und Wertschätzung von Frau S.gewährleisten konnte. Jeder Versuch, methodisch vorzugehen,wurde von Frau S. im Sinne ihrer gefühlsmäßigenInstabilität und geringen Belastbarkeit schon nach kurzemunmöglich gemacht. Die Therapie mit Frau S. erforderteEigenschaften, die im Aushalten, Geduldig-Sein und Verstehen-Wolleneinerseits und im innovativen bzw. kreativenAusprobieren andererseits lagen. Die Therapieziele mußtenstets an das Machbare herangeführt werden, das eben nichtHeilung oder Autonomie heißen konnte, sondern das Ertrageneiner peinigenden Wirklichkeit, ohne dabei in die schützendeWelt der Psychose abgleiten zu müssen.Anschrift des Verfassers:Dr. Peter SchmidWattmanngasse 24/16A-1130 WienIm März 1997 wird im Weiterbildungszentrum Schloß Hofen inLochau/Vorarlberg ein PSY III Lehrgang „Psychotherapeutische Medizin“mit einer fachspezifischen Ausrichtung in Existenzanalyse beginnen.Zudem können sich Interessenten aus Medizin und Psychologie alsGASTHÖRER FÜR EXISTENZANALYSEbewerben. Insbesondere sind für diese Weiterbildung Ärzte und Psychologenangesprochen, die keine vollständige psychotherapeutische Ausbildunganstreben. Sie erhalten hier die Gelegenheit für eine Ergänzung,Erweiterung und Anregung ihrer beruflichen Tätigkeit. Sie besteht inder praxisbezogenen Auseinandersetzung mit dem Menschenbild undeinem vertieften Einblick in die Dynamiken menschlichen Erlebens undVerhaltens. Insbesondere eignet sich diese postgraduelle berufsbegleitendeWeiterbildung auch für Fachärzte der Psychiatrie, die Einblickein noch andere Methoden und Verstehensweisen des Menschen suchen.Nähere Informationen:Mag. Elmar Fleisch, Schloß Hofen, 6911 Lochau (Tel.: 05574/4930-0)bzw. DDr. Längle, <strong>GLE</strong> Wien.30 EXISTENZANALYSE 3/96


FORUMPsychosentherapie zur Diskussion gestelltIn dem Erfahrungsbericht sollen die Beobachtungen und Erfahrungenmit einer Gruppe von psychotischen Patienten geschildert werden,die an einer besonders ungünstigen Verlaufsform der <strong>Schizophrenie</strong>litten, Patienten mit zahlreichen Krankheitsschüben, chronisch schleichendemVerlauf mit sogenannter Residual- und Minussymptomatik.Erfahrungen im therapeutischenUmgang mit PsychosenWalter WinklhoferBei meinen folgenden Überlegungenhabe ich die Psychose schlechthin - die<strong>Schizophrenie</strong> (Psychosen aus demschizophrenen Formenkreis) im Blick.Dabei referiere ich meine Erfahrungaus dem Umgang mit psychotischenPatienten. 1 Es wird nicht der Ansprucheiner durch Experimente und statistischeZahlen belegten wissenschaftlichenStudie erhoben. Eine subjektiveAussage ist deshalb unvermeidlich.Das Thema „Psychosen“ in einerZeitschrift für Psychotherapie wecktwidersprüchliche Überlegungen. Gehörtes doch aus meiner psychiatrischenSicht eher in den Interessensbereichder Psychiatrie, nachdem inden letzten Jahren die Fortschritte inder Behandlung der <strong>Schizophrenie</strong> geradeauf dem pharmakologischen undsoziotherapeutischen Gebiete lagen.Als das eigentliche Anliegen psychotherapeutischerEinflußnahme sehe ichvielmehr das große Feld der Neurosen.Als Psychiater stehe ich in dieserSpannung zwischen Psychiatrie (alsstark medizinisch geprägtem Fach) undPsychotherapie, wobei meiner eigenenEinstellung zu den beiden Bereichendie auch noch heute gültige Definitionund Theorie der Psychosen und Neurosenzugrunde liegt. (Psychosemodell:Genetisch festgelegte Vulnerabilitätund exogene Streßfaktoren führen zumAuftreten des als Psychose bezeichnetenKrankheitsbildes, biologisch durcheine Störung der Transmittersubstanzenam präsynaptischen Spaltgekennzeichnet. Die Neurosen sindhingegen - sehr verkürzt ausgedrückt -als psychische Störungen aufgrund vonFehlverarbeitungen von traumatischenErlebnissen bzw. inneren Konfliktenaufzufassen).Psychotherapie bei einersomatogenen ErkrankungAuch Frankl war sich wohl dieserSpannung bewußt, als er darauf hinwies,daß man nicht von einer Psychotherapieder Psychose, als vielmehrvon Psychotherapie bei einer Psychosesprechen könne!Unabhängig von den noch unbekanntenUrsachen der Psychose undunbewiesenen - und oft widersprüchlichen-Thesen der <strong>Schizophrenie</strong>forschungzeigt die Praxis der Behandlungund deren Erfolg bei den<strong>Schizophrenie</strong>n leider wenig psychotherapeutischeErfolge. Weltweit habensich auch nur wenige Psychotherapeutenan die schwierige Behandlung vonpsychotischen Patienten herangewagt.Es gibt deutlich weniger Therapieerfahrungenmit Psychosekranken, verglichenmit solchen bei Neurosen.Der weitgefaßte Begriff Psychotherapiebedarf einer Klärung. Daletztlich jede Einflußnahme auf dieBefindlichkeit des Patienten oderKlienten, die statt der mechanischen(z.B. Chirurgie), physikalischen (z.BWärme, Bestrahlung) oder chemischen(Medikamente) Mittel ausschließlichüber das Gepräch, die Zuwendung undBegegnung oder aber über dieaverbalen kreativen Medien stattfindet,als Psychotherapie im weitesten Sinnebezeichnet werden kann, ist diese natürlichimmer im Spiele, auch wenndiese zunächst nicht auf die kausaleBehandlung der Psychose abzielt. Alssolche ist sie auch sinnvoll und vermageine Wirkung zu entfalten, auf die besondersim Zusammenhang mit derExistenzanalyse und Logotherapienoch einzugehen ist.Wenn aber die Rede ist von dengroßen Psychotherapieschulen mit ihrenSystemen und theoretischenKrankheitsmodellen (z.B. die Psychoanalyseoder Verhaltenstherapie) werdendie Widersprüche zwischen derenätiologischen Erklärungen und denender medizinisch orientierten Psychiatriedeutlich. Überspitzt formuliert:Wenn eine fehlerhafte Synthese vomÜberträgerstoff Dopamin ampräsynaptischen Spalt die akustischenHalluzinationen (Stimmen-Hören) oderdie Wahngedanken des Kranken bewirkt,wird - und kann - die Aufarbeitungz.B. ödipaler Verstrickungen kausalkeinen großen Einfluß auf das Geschehender schizophrenen Psychosehaben. Allerdings ist auch die Dopamingenesenoch eine Hypothese, allerdingsmit bereits vielen handfestenDetails!Eine weitere Eingrenzung desThemas bedeutet, das Krankheitsbildder schizophrenen Psychose kurz zubetrachten. Im akuten Stadium, im„Schub“, ist eine Beziehungaufnahmemit dem Patienten oft kaum oder nursehr bedingt möglich, zumindest ausder Sichtweise des Arztes oder Therapeuten.(Wir wissen leider sehr wenigdarüber und können nur Vermutungen1Im Folgenden wird, wo sich der Sinn aus dem Zusammenhang ergibt, auf die jeweilige doppelte feminine und maskuline Bezeichnungsowie auf die „moderne“ artifizielle Doppelform bewußt verzichtet.EXISTENZANALYSE 3/96 31


FORUManstellen, ob und inwieweit von Seitendes Kranken diese Kontaktaufnahmedoch intensiver erlebt wird, als es vonuns zu beobachten ist!) Ohne dieseKommunikation wird auch eine psychotherapeutischeBehandlung nichtmöglich sein. Hier stellt die Behandlungmit neuroleptischen Medikamentenerst die Voraussetzung für dieBeziehungsfähigkeit des Patienten her.(Dieser Hinweis ist mir noch aus derVorlesung des Münchner PsychoanalytikersPaul Matussek am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München erinnerlich- vor nunmehr fast dreißigJahren. Er war damals einer der wenigenPsychotherapeuten, die sich derschwierigen Arbeit mit Psychotikernwidmeten.)Nach Abklingen des akutenSchubs kann es zu einem symptomfreienIntervall kommen. Oft erleidetder Patient aber unbehandelt - und leiderauch oft trotz Behandlung - einenweiteren Krankheitsschub (schubweiserVerlauf der <strong>Schizophrenie</strong>).Leider entwickelt sich diepsychotische Erkrankung auch oft zueinem mehr schleichenden, chronischenVerlauf, der durch Veränderung im Antriebsverhalten,durch Rückzugstendenzenund Nivellierung der Affektivität(sog. „Minussymptomatik“) gekennzeichnetist.Die chronischen Verlaufsformenund der soziotherapeutischeBehandlungsansatzAuf diese chronisch schizophrenenPatienten richten sich vermehrt dieRehabilitationsmaßnahmen, die manals sozialpsychiatrische Behandlung(„Soziotherapie“) bezeichnet. Hierkommen besonders BeschäftigungsundArbeits-, Milieu- und Gruppentherapiezum Einsatz, meist unterstütztvon medikamentöser Psychoseprophylaxe.Die psychiatrische Erfahrungder letzten zwei Jahrzehnte hatnämlich die relative Wirkungslosigkeitausschließlicher (aufdeckender) Psychotherapiegezeigt, die weit unter derWirksamkeit ausschließlich medikamentöserBehandlung lag. Den eindeutigbesten Therapieerfolg (wobei dieverschiedenen Forschergruppen allerdingseinzelne Zielsymptome und psychische„Funktionsausfälle“ im Augehatten und die personale Ebene gänzlichaus dem Spiele ließen!) erbrachtedie Kombination von Medikamentenmit den stark strukturierendensoziotherapeutischen Maßnahmen derArbeits-, Milieu- und Gruppentherapie(Einüben sozialer Kompetenzen).Der Behandlungs- und Rehabilitationsauftragder Krankenkassenund Rentenversicherer zwingt leiderden behandelnden Psychiater, sein Augenmerkbesonders auf die Symptomfreiheitund die Wiederherstellung derFunktionsfähigkeit des Patienten zurichten!Wenn ich meine eigenen Erfahrungenhier darzustellen versuche, so stützensich diese weitgehend auf die Behandlungund Betreuung von schizophrenenPatienten, die im Anschluß aneine klinische psychiatrische Behandlungin eine sozialpsychiatrische Übergangseinrichtungvom Typus einer sogenanntenTag- und Nachtklinik(„Sozialpsychiatiatrisches ZentrumTeutoburgerstraße“ in München - ca.90 Patientinnen und Patienten,Verweildauer durchschnittlich knappzwei Jahre) zur Weiterbehandlungüberwiesen werden. Die hier behandeltenPatienten leiden zum Teil noch unterden sogenannten produktiven Symptomen(Stimmenhören, Wahngedanken,Denkstörungen), weisenaber fast durchwegs ein deutlichesResidualsyndrom auf, also Zeichen beginnenderPersönlichkeitsnivellierungund affektive Verflachung und Antriebsmangel(Minussymptomatik). Inden nunmehr 25 Jahren meiner Tätigkeitin dieser Einrichtung ist das Spektrummeiner Erfahrung zwangsläufigauf dieses spezielle Verlaufsstadiumder schizophrenen Psychose beschränktund kann deshalb nicht generell auf dieanderen möglichen Verlaufsformenübertragen werden! Nach meiner Erfahrunghandelt es sich bei den beschriebenenPatienten um die therapeutischund prognostisch ungünstigsteGruppe der Psychosekranken. PsychotherapeutischeMöglichkeiten und Erfolgemögen deshalb mit den günstigerverlaufenden Krankheitsformen deutlichpositiver sein!Für die eben bezeichneten Patientenwar eine Stärkung der Ich-Funktiondurch eine feste, zuweilen sogar rigideTagesstruktur und die Einbindungin ein tragbares und gut zu überblikkendessoziales Netz am ehesten zu erreichen.Gegen das Wiederauftretenakut psychotischer Schübe bewährtesich die Dauermedikation mit niedrigdosierten Neuroleptika. (z.B. Clozapin,Haloperidol, u.a.). Das Bearbeiten undAufdecken von früheren Traumata oderein intensiveres biografisches Arbeitenhatte ähnlich wie andere Belastungenoft relativ banaler Natur wie Gruppenwechsel,Auszug aus dem Haus undWohnungswechsel, psychoseförderndeEffekte (Zunahme der akustischen Halluzinationen,Ängste, Verstärkung derWahnsymptomatik bis hin zur akutenPsychose mit Einweisung in einepsychiatrische Klinik).Diese Beobachtung bestätigt ausmeiner Sicht die oft geäußerte Gefährlichkeitaufdeckender oder stark konfrontierender(auch emotional) psychotherapeutischerVerfahren beiPsychotikern. Das ist leicht zu verstehen,wenn man bedenkt, daß nach Abklingendes akuten Schubs mit einemvölligen Zusammenbruch der Ich-Strukturen und einer Auflösung dereigenen Grenzen der Außenwelt gegenüber,der Kranke zunächst erst ganzlangsam und behutsam Strukturen undGrenzen aufbauen muß. Die an sicherhöhte Vulnerabilität des Schizophrenenist in dieser Phase besonders deutlich.Welche Bedeutung hat nun diePsychotherapie im Allgemeinenbzw. die Existenzanalyse im Besonderenbei der Behandlungvon schizophrenen Menschen?Weitere wichtige Merkmale der <strong>Schizophrenie</strong>sind zu beachten, bevor mansich der Frage psychotherapeutischerund existenzanalytischer Behandlungsansätzezuwendet.Eine längst bekannte Tatsache bestehtin einer veränderten selektivenWahrnehmung beim Kranken. Diese istbei Psychotikern signifikant herabgesetzt.Das heißt, die Patienten sind32 EXISTENZANALYSE 3/96


FORUMEindrücken aus der Außenwelt wehrloserausgesetzt als Gesunde.Die „psychotische Realität“ z.B.im Wahnerleben oder in dem Erlebnisder Halluzination ist keine Realität, dieträgt und Halt gibt (erste personaleGrundmotivation nach A.Längle). Inder Psychose dreht sich die intentionaleHaltung des Menschen geradezu um:Nicht der Mensch wendet sich derWelt zu, sondern die Welt kommt aufden Kranken zu, und zwar in einerdrohenden und die Persönlichkeit desPatienten zerstörenden Weise. Die Personselbst, wie Frankl schon hinwies,kann freilich nicht erkranken, kannaber in der Krankheit nicht voll in Erscheinungtreten.In den akuteren Phasen der Erkrankung,wenn es unter den typischeninhaltlichen und formalen Denkstörungen(Wahnerleben) und den Halluzinationenzu einem Zusammenbruchder Orientierung in der realen Weltkommt, sind Beziehung und Begegnungoft nicht oder nur mehr ansatzweisemöglich. Es war immer wiederauffällig, wie wenig es den Patientengelang, in eine Distanzierung zu demtypisch psychotischen Erleben des„Gemachten“ zu kommen (so werdendie Gedanken nicht vom Patienten gedacht,sondern als ich-fremd von außen„gemacht“ erlebt), ganz im Gegensatzzum neurotischen Patienten. Die noetischeDimension ist sozusagen in derPsychose weitgehend entmachtet!Wie sollte es da zu einer für dieTherapie notwendigen tragfähigen Beziehungzwischen Patienten und Therapeutenkommen? Psychotherapie ganzallgemein, als ein Arbeiten an Einsichten,Einstellungen, Verarbeiten vonpsychischen Konflikten oder emotionalenProblemen gelingt hier nach meinerErfahrung kaum oder nur ansatzweise.Die für die Krankheit Psychose so typischenKontaktstörungen schließenallerdings eine Begegnungsfähigkeitnicht absolut aus, worauf H.Tellenbach auf der <strong>GLE</strong>-Tagung 1991hinwies. Er führte ferner dabei aus,daß die Gegenseitigkeit, das „Einander“,mehr oder minder abgewandeltsei. In der Wahnbegegnung fehle es„an der Wesenhaftigkeit desPersonalen“ (Tagungsbericht 1991,94). Ferner fehle das Moment der Freiheit(bezüglich der ausführlicherenDarstellung wird auf den Tagungsberichtder <strong>GLE</strong> “Wertbegegnung”1991 verwiesen).Während der akuten undsubakuten Schübe sind psychotherapeutischeMaßnahmen meines Erachtensvon sehr begrenztem Wert, wenndamit der Morbus <strong>Schizophrenie</strong> kausalbehandelt werden soll. Gerade hiereröffnen sich dem Therapeutenexistenzanalytischer Herkunft die ihmeo ipso verfügbahren Möglichkeitender personalen Haltung mit seinem„Bei-Sein“, Aushalten mit dem Kranken,um damit Halt zu geben, wenn diePsychose versucht, jeglichen Halt aufzulösen.(Hier sei an die MetapherFrankls erinnert, der in der Psychosedie Person wie die Sonne hinter einerWolke versteckt sieht).Dies entspricht auch eigenen Erfahrungen,die zeigen, daß demPsychotiker, soweit er akut erkrankt istoder zu der oben von mir beschriebenenPatientengruppe gehört, Selbstdistanzierungund Selbsttranszendenzkaum gelingt. Auch die Paradoxe Intentionist Wahnerlebnissen und Halluzinationengegenüber meines Erachtensnicht nur sinnlos sondern kontraindiziert.Wie sollte man auch solchenexistenzbedrohenen Symptomen gegenüberHumor mobilisieren können! Dievöllige Andersartigkeit derpsychotischen Erlebensweise wird geradedurch den Vergleich mit der desNeurotikers (z.B. bei Angst/Phobieoder Zwängen) deutlich!Eine Indikation für eine spezifischepsychotherapeutische Behandlung,die über eine allgemeine Begleitung,Empathie, verbale oder nonverbale Interventionenhinausgeht, besteht beiBerücksichtigung der schizophrenenSymptomatik und der dadurch eingeschränktenBeziehungsfähigkeit desPatienten für die Zeiträume der Remissionohne akute psychotischeSymptomatik. Sie setzt große Behutsamkeitund Erfahrung im Umgang mitPsychosekranken voraus um nicht perse zum Auslöser eines erneutenpsychotischen Schubs zu werden.Am ehesten hat sich mir bei leichterenpsychotischen Störungen der Versuchder Dereflexion hilfreich erwiesen,also ein Zulassen der Störungenund Hinwendung auf anderes und andere,auf die trotz Psychose verbleibendenMöglichkeiten, im Sinne derSelbsttranszendenz.Auch der Versuch in eher logotherapeutischerVorgehensweise, den„Sinnhorizont“ zu erweitern, erwiessich nicht als sonderlich erfolgreich.Mein Eindruck beim Psychotiker, leiderauch nach Abklingen des akutenSchubs, war, daß er am wenigsten denSatz bestätigen kann: „Auch dein Lebenhat Sinn, auch unter diesen Bedingungendeiner Krankheit“.Was allerdings bleibt - und hiergibt uns die Anthropologie der Existenzanalyseein tragendes Fundament- ist eine Haltung dem psychotischKranken gegenüber, die ein annehmendesabwartendes „Bei-Sein“ ermöglicht,aus dem Wissen um die Personim Gegenüber, bis nach Abklingen derakuten Symptome wieder eine therapeutischeund personale Begegnungmöglich wird. Auch darauf hat Franklschon in seinem „psychiatrischen Credo“hingewiesen.Im nicht-akuten Stadium der Erkrankungsind bei Symptomfreiheit undfehlender sogenannter Defektbildung(auch Residualsyndrom genannt) alleexistenzanalytischen und logotherapeutischenMethoden möglich. Wenndie Beeinträchtigung durch diepsychotischen Symptome wegfällt undeine psychische Stabilisierung und Ich-Stärke eingetreten ist, kann -immer mitder nötigen Vorsicht - ein biografischerEinstieg versucht und an der Einstellungzur schicksalhaften Erkrankung(Einstellungswerte) gearbeitet werden.Der Versuch, auf den Bedeutungsgehaltdes Wahns einzugehen, also warum einPatient gerade sein ganz typischesWahnsystem entwickelt hat, scheitertemeist daran, daß der Patient imsymptomfreien Intervall oft jeglichenBezug und Zugang zu seinem krankhaftenWahnerleben verloren hatte. Eswar bildhaft gesprochen tatsächlich so,wie wenn sich ein Nebel völlig aufgelösthätte.EXISTENZANALYSE 3/96 33


FORUMGrenzen und Gefahren derPsychotherapie mit schizophrenenMenschenDer Versuch, durch Psychotherapie dieErkrankung selbst positiv verändern zuwollen, erscheint mir allerdings unrealistisch,vielleicht mit einer Ausnahme,nämlich durch verhaltens-therapeutische„Strategien“ die Symptomatikpositiv zu beeinflussen.Hier werden aus meiner psychiatrischenSicht oft die Fähigkeitennicht-psychiatrischer Psychotherapeutendurch eher ideologische Grundannahmenweit überschätzt.Spontanremissionen, also ein Abklingender psychotischen Symptomatik,die auch ohne jegliche Therapieeingetreten wären, werden als Erfolgeigener therapeutischer Bemühungenuminterpretiert!Als gefährlich sehe ich die Haltungan, die Psychose ausschließlichals Folge psychischer und/oder sozialerTraumata zu deuten und dem Patientendie Notwendigkeit der medikamentösen(oft einzig wirksamen!) Behandlungauszureden.Eine weitere gefährliche Einstellungsehe ich ebenfalls aus der Richtungvon Therapeuten, denen psychiatrischeKenntnisse fehlen. Ein erstkürzlich erlebter Fall aus der eigenenPraxis soll dies kurz veranschaulichen:Ein mir seit Jahren bekannter Patientmit einer eher milden Verlaufsform einerparanoiden Psychose (er glaubte,am Arbeitsplatz von anderen beobachtetzu werden, man rede über ihn usw.)reagierte stets prompt auf kleine Mengeneines neuroleptischen Medikamentes.Die Störungen klangen damit immerwieder rasch ab.Auf Anraten von Bekannten begabsich der Patient in Psychotherapie beieiner nicht-psychiatrischen Therapeutin(es war keine Existenzanalytikerin!).Die Therapeutin nahm in guter therapeutischerManier den Patienten ernst- und damit auch das Wahnerleben desPatienten. Ein dreiviertel Jahr langwurde an der „Problematik gearbeitet“und zwar fatalerweise in der Art, daßder Patient lernen sollte, mit dem„Mobbing“ am Arbeitsplatz umzugehenund sich zur Wehr zu setzen. DasWahnhafte, also die Pathologie derStörung, wurde in dem gesamten Zeitraumnicht erkannt, der Patient immermehr in seinen Wahn hineingetrieben.Die katastrophale Folge für den Patientenwar die Kündigung durch denArbeitgeber, ein langer Arbeitsprozeßmit Rentenantrag! Mit dem Neuroleptikumwar bislang eine ähnlicheStörung meist innerhalb von 3-4 Wochensoweit abgeklungen oder unterKontrolle, sodaß der Patient nicht einmalam Arbeitsplatz krankheitshalberfehlen mußte!Zurück zu den psychotherapeutischenMöglichkeiten, die ich als wichtigerachte: Die Arbeit mit dem Patientenin Richtung Annahme der schwerenund nicht vollständig beherrschbarenErkrankung, mit dem Ziel, das Lebenmit der Behinderung durch diepsychische Erkrankung annehmen zulernen (entsprechend dem diesjährigenTagungsthema!). Auch im logotherapeutischenAnsatz mit dem Aufsuchenverbleibender lebbarer und sinnvollerBereiche sehe ich einen lohnendentherapeutischen Versuch. Für mindestensebenso wichtig halte ich aberdie sozialtherapeutischen Maßnahmenzur Wiederherstellung von festenGrenzen und Tagesstrukturen, sozialenBeziehungen, sowie ergotherapeutischeTrainingsmethoden zur Stärkung vonKonzentration und Ausdauer. Hierfehlt es nur leider weitgehend an wirklichsinnvollen und motivierenden Angeboten!Kein wirklicher „Wert“vermag den Patienten aus seinerkrankheitsbedingten Antriebsschwächeherauszulocken!Der derzeitige Stand psychotherapeutischerund auch existenzanalytischerBehandlungsmöglichkeiten bei derschizophrenen Psychose erscheint mirauf dem Hintergrund meiner eigenenErfahrungen noch als sehr dürftig, verglichenmit Erfolgen bei neurotischenStörungen. Die Hoffnung bleibt aber,daß mit zunehmender Ausgestaltungauch existenzanalytisch/ logotherapeutischerMethoden und zunehmenderErfahrung sich die Situation verbesserndürfte.Interessiert wäre ich auch an denErfahrungen, die andere Kollegen imtherapeutischen Umgang mit Psychosengemacht haben.Nachtrag zu EXISTENZANALYSE 2/96Anschrift des Verfassers:Dr. Walter WinklhoferNymphenburgerstraße 139D-80636 MünchenEine Anmerkung zur Anwendungder Existenz-SkalaIm letzten Heft der Existenzanalysehaben A. Längle und Ch. Orgler eineInterpretationsanleitung zur Existenz-Skala publiziert. Frau Univ. Doz. Dr.Elisabeth Wurst hat uns daraufhin aufeinen Umstand aufmerksam gemacht,der sowohl wissenschaftlich als auchberufspolitisch von Bedeutung ist. Wirmöchten ihre Anregung im Folgendenweitergeben.Grundsätzlich ist die „klinischpsychologischeDiagnostik hinsichtlichLeistungsfähigkeit, Persönlichkeitsmerkmalen,Verhaltensstörungen, psychischenVeränderungen und Leidenszuständensowie sich darauf gründendeBeratungen, Prognosen, Zeugnisseund Gutachten etc.“ durch das Psychologengesetzdem Psychologen vorbehalten.Dieses Gesetz gilt für Österreich(in anderen Ländern ist es andersbzw. nicht geregelt). Jede Anwendungder Existenz-Skala, die also zumZwecke der Befunderhebung, derGutachtenerstellung oder Evaluationdient, die über den Rahmen der Psychotherapiehinausgehen, ist daher inÖsterreich berufsrechtlich den Psycho-34 EXISTENZANALYSE 3/96


FORUMDie unendliche Geschichtelogen vorbehalten.Gegen eine Anwendung der Existenz-Skalafür den persönlichen Gebrauchist hingegen nichts einzuwenden.Ebenso kann die Anwendung derExistenz-Skala im Rahmen der psychotherapeutischenTätigkeit jedem, derzur Psychotherapie bzw. durch seineAusbildung zur Psychotherapie unterSupervision befugt ist, zur Diagnosesowie als Mittel für die Psychotherapiehilfreich sein. Daher ist gegen eineAnwendung der Existenz-Skala imRahmen der Psychotherapie, zumZwecke der Optimierung der therapeutischenBehandlung bzw. der Evaluationdes therapeutischen Geschehenswohl kein Einwand zu erheben, wenndas Ergebnis sozusagen unter dieVerschwiegenheitspflicht der Therapiefällt. Darüber hinausgehende Verwendungder Ergebnisse z.B. für wissenschaftlicheStudien etc. setzt wiederdie Berufsbefugnis jener voraus, diezur Ausübung psychodiagnostischerTätigkeit ermächtigt sind (Regelungdurch das Psychologengesetz).Red.Stellungnahme zum Thema “Sinnglaube und Sinngespür”, insbesonderezum Diskussionsbeitrag von Dr. theol. Rupert Dinhobl(EXISTENZANALYSE 2/96):Dem eigenen Gespür trauenEmma HuberMit diesen Zeilen spreche ichRupert Dinhobl persönlich an, weiles Dein Beitrag in der “Existenzanalyse”2/96 war, der mich angeregthat, das Thema “Sinnglaubeoder Sinngespür” nochmals aufzugreifen.Aber ich beziehe mich auchauf die Ausführungen anderer Verfasser.Es war für mich erfrischend undgar nicht verwunderlich, daß sich inDeiner Person nun wieder ein Experteeiner anderen Wissenschaft,der Theologie, (und künftiger Expertein Existenzanalyse) in die Diskussioneingebracht hat.Im Verlauf dieser ging es - nachdem sehr informativen und klarstrukturierten Artikel von DDr.Alfried Längle (Bulletin 2/94) - einerseitsum die unterschiedlichenArten von Sinn, andererseits um dieim Haupttitel des Artikels angesprochenenBegriffe. Viele interessanteAspekte kamen zur Sprache, aberdie Diskussion wurde für mich allmählichverwirrend und unüberschaubar.Ich hatte das Gefühl, daß- bei aller gründlichen Auseinandersetzungauf wissenschaftlicher Ebeneund trotz Beispielen undkontroversiellen Stellungnahmen -der Bezug zur Praxis nicht klar genugdargelegt wurde. Mir stellte sichdann irgendwann die (Sinn)Frage:Was kann ich mit all dem anfangen,in der psychotherapeutischen Praxisund in meinem eigenen Leben?Es war Deine Wortmeldung, diemir wieder etwas in die Hand gab.Da war zunächst Deine Unterscheidungzwischen “Extremsituationen”und “allen anderen Situationen desLebens”. Du meintest, beide Begriffehätten ihre Berechtigung: der“Sinnglaube” als Möglichkeit inExtremsituationen, das “Sinngespür”in den anderen. Im weiterenVerlauf Deines Beitrags zitiertestDu eine Definition von “Glaube”aus dem Hebräerbrief: “Glaube ist:feststehen in dem, was man hofft,überzeugt sein von Dingen, die mannicht sieht.“Dazu möchte ich anmerken: IstGlaube tatsächlich immer ein (unerschütterliches)“Feststehen”, odergehören nicht oft auch Suchen, Unsicherheitund Schwankungen dazu?Wer in Extremsituationen an so etwaswie “Sinn” (an ein “Wozu”)glauben kann, ist gut dran. Aber dieserGlaube kann auch erschüttertwerden oder verlorengehen. Bei vielenMenschen scheint es mir in krisenhaftenSituationen eher ein Fragmenteines solchen Glaubens zusein, nämlich: ein winziges FünkchenHoffnung oder ein ganz kleinerRest Vertrauen, daß es irgendwieweitergehen wird, oder daß es vielleichtirgendwann einmal wieder“gut” werden könnte.Für die Therapie und über weiteStrecken für das - “alltägliche” -Leben wichtiger erscheint auch mirder konkrete, an eine bestimmte Personund Situation gebundene “Sinn”,der “existentielle Sinn”, wie ihnDDr. A. Längle (Bull. 2/94) benannthat. (Das Folgende schreibe ich mitAbsicht in Ich-Form, um denpersonalen Aspekt zu unterstreichen;es ist aber sowohl mein Leben alsauch die therapeutische Arbeit mitPatientInnen gemeint:) Die Antwortauf die Frage: “Wie kann ich denexistentiellen Sinn finden?” ist fürmich völlig klar, nicht zuletzt deshalb,weil ich diesen Weg auchselbst erprobt habe: eben durch jene“Gefühlsresonanz” (Prof. Dr. K.Dienelt, “Existenzanalyse” 1/95)mit dem Wertvollen der jeweiligenSituation und die Auseinandersetzungdessen mit meinen übrigenWerten. Das heißt, mit dem “Gefühl”,genauer: dem “Gespür”, dem“Sinn-Gespür”. Nur das bringt michdem existentiellen, das heißt demkonkreten, person- und situationsbezogenenSinn näher, nämlich: “aufmeine Spur” (DDr. A. Längle, PersönlicheMitschrift). Das Gespür istdie Gewähr dafür, daß das, worumes geht, tatsächlich mich ganz persönlichangeht, daß es für mich gutEXISTENZANALYSE 3/96 35


FORUMund richtig ist, daß es wirklich“meines” ist! Und das ist auch diewirksamste Vorbeugung gegen Beeinflussung,Manipulation oder Indoktrinationvon außen, und sei sievon noch so “wohlmeinender” Art.Anders gesagt, bei dieser Art vonSinn geht es ganz wesentlich um den“Vorrang des Personalen vor demAllgemeinen” (G. Funke, 1996).Was das Gefühl (“Gespür”) betrifft,so schien auch mir bei dem einenoder anderen eine Angst vordiesem “Unsicherheitsfaktor” zu bestehen.Diese Angst habe ich selberauch oft gespürt und spüre sie zuweilenimmer noch. Ich gebe zu, esist nicht leicht, so mit dem Gefühlumzugehen, daß es der Person wertvolleHinweise liefern kann. Daskostet oft Mühe; das braucht einimmer neues, ehrliches In-sich-Hineinhorchen,wie etwas bei mir ankommt,was ich dabei spüre, beigleichzeitigem Beiseite-lassen vonvorgefaßten Meinungen oder Urteilen.Die Grundlagen dafür sind Mutund Vertrauen in meine eigene Fähigkeitzu intuitiver Wahrnehmung(Längle, 1988, 103). Das Risiko desIrrtums ist auch nicht auszuschließen.Es gibt allerdings wirkungsvolleHilfen, um sich das eigene Gespürzu erschließen: dazu zählenz.B. die Arbeit mit Träumen undkreative Zugänge (Schreiben, Zeichnen,Malen usw.). Wenn ich michehrlich und engagiert darum bemühe,dann habe ich mit dem Gespürein solch feines Instrument zur Verfügung,das es mit dem Verstandohne weiteres aufnehmen kann: einInstrument, das viel feinfühliger ist,als der Verstand scharfsinnig seinkann (Längle, öffentlicher Vortrag1994, Studioheft, 33 f.). Die “Weisheitdes Herzens”, die Prof. Dr. V.E. Frankl in Anlehnung an B. Pascalfür einen “letzten Sinn” für notwendigerachtet (Frankl, 1972, 170),halte ich auch für den “existentiellenSinn” für unverzichtbar.Nun wieder zu Deinem Beitrag:Über die von Dir erwähnte “gesundechristliche Tradition” würde ichgern mehr hören. Damit könnte ichmehr über die Berührungspunkteund die Unterschiede zur Existenzanalyseerfahren. Die Hefte 3/95und 1/96 der “Existenzanalyse”standen ja unter dem Themenschwerpunkt“Religion und Psychotherapie”.Das ist etwas, das meinesErachtens für die Praxis nichts anAktualität verlieren wird, denn dabegegnen mir immer wieder Menschen,die tief in ihrer religiösenTradition verwurzelt sind. Darauskönnen sich Probleme ergeben, vorallem dann, wenn dieser Mensch einenstarken Sollens- (“Sinn”-) Anspruchvon außen erlebt, zu dem ergenau besehen zuwenig oder keineinnere Resonanz verspürt. Hier stehtnun sein eigenes Gespür im Widerspruchzu den Anforderungen undErwartungen von anderer Seite, dasheißt zu jener Form der kirchlichenLehre, die diese Person erfahren hat.Verwirrung und Schuldgefühle könnendaraus entstehen. Um mit diesemKonflikt besser umzugehen,könnte es hilfreich sein, mehr überjene Richtungen in der christlichenTradition zu wissen, die, wie Du geschriebenhast, den “eigenen Weg”,das “innere Licht”, die “innere Gewißheit”und somit das personaleGewissen für bedeutsam erachten,das aus der Sicht der Existenzanalyseder Wegweiser zu einem erfülltenLeben ist.In diesem Sinne freue ich michdarauf, mehr von Deinem Projekt zuhören und bin schon gespannt aufdas Ergebnis Deiner Auseinandersetzungmit dem “Exerzitienbuch”aus existenzanalytischer Sicht.Auf folgende Diskussionsbeiträge inder Rubrik “Forum” habe ich michunmittelbar bezogen:Dienelt K. Stellungnahme in der Rubrik“Forum” zum Artikel “Sinnglaubeoder Sinn-gespür?” vonA. Längle, Existenzanalyse 1/95.Dinhobl R. Anregungen aus demExerzitienbuch des Ignatius?Stellungnahme zum Diskussionsthema“Sinn-glaube oder Sinngespür?”Existenzanalyse 2/96.Längle A. Ontologischer und existentiellerSinn. Eine weitere Stellungnahmezum Diskussionsthema“Sinn-glaube oder Sinn-gespür?”Existenzanalyse 1/95.LiteraturFrankl V.E. (1972) Der Wille zum Sinn.3. Ausgabe. Bern: HuberFunke G. (1996) Ethik und Existenzanalyse.Vortrag vom 4.5.1996 inRothenburg o.d. Tauber im Rahmender Tagung “Ich kann nicht... Behinderung als menschlichesPhänomen”Längle A. (1988) (Hrsg.) Existenzanalyse.In: Entscheidung zum Sein.München: PiperLängle A. (1994) Kann ich mich aufmein Gefühl verlassen? ÖffentlicherVortrag vom 15.4.1994 inFeldkirch im Rahmen der Tagung“Emotion und Existenz -Vom Bergen des Berührtseins”.Veröffentlicht im Studioheft desORF Landesstudio Vorarlberg22. Ausgabe, Okt. 1994Längle A. (1994) Sinn-glaube oder Sinngespür?Zur Differenzierung vonontologischem und existentiellemSinn in der Logotherapie.Artikel im Bulletin 2/94Persönliche Mitschrift während der Ausbildungin Existenzanalyse(1988 - 1991)Anschrift der Verfasserin:Emma HuberGroße Stadtgutgasse 22/17A-1020 Wien36 EXISTENZANALYSE 3/96


AKTUELLESExistenzanalyse in RumänienVor einem Jahr wurde die S.A.E.L., dierumänische Gesellschaft für Existenzanalyseund Logotherapie gegründet.Das Procedere ihrer Eintragung hängtzwar noch in den Fängen der Bürokratie,doch ihr Entstehen und Werden istbegleitet von regerAktivität derrumänischenExistenzanalytiker.Begonnenhat allesdurch die Initiativeder gebürtigenTemesvarerinDr. WilhelminaPopa (Düsseldorf).Nach derpolitischen Wende1989 war es ihrmöglich, durch öffentlicheVorträgeüber ExistenzanalyseinteressierteFachärzte fürPsychiatrie und Psychologen anzusprechenund so in weiterer Folge eineAusbildungsgruppe zusammenzustellenund mit einem Fachspezifikum (nachdem Curriculum der <strong>GLE</strong>) in rumänischerSprache zu beginnen.Bis dahin war psychotherapeutischesWissen weitgehend nur über dieLektüre fremdsprachiger Literatur zugänglich.Begehrte Werke wanderten inForm von Kopien von Kollege zu Kollege,von Freund zu Freund, anderswaren sie kaum zugänglich.Erst die politische Wende von1989 brachte hier mehr Öffnung,Therapieschulen kamen ins Land, Literaturwurde leichter zugänglich.Doch eigentlich hat die Rezeptionder EA in Rumänien schon früher begonnen.Prof. Mircea Lazarescu (Prof.für Psychiatrie an der med. Fakultätder Univ. Temesvar), korrespondierendesMitglied der <strong>GLE</strong>, hatte sich schonwährend seines Studiums mit der humanistisch-phänomenologischenAnthropologieauseinandergesetzt und gabseit 1970 der LT in Forschung undPraxis breiten Raum. Etwa zur selbenZeit hat Dr. Christian Furnica (Leiterder Psychiatrischen Klinik Arad) erstelogotherapeutische Arbeiten veröffentlicht.So wurden, noch in der kommunistischenÄra, erste Grundsteine gelegt.Inzwischen ist das Gebäude derEA und LT beträchtlich gewachsen,und seit diesem Herbst konnten 3 weitereAusbildungskurse in Temesvar undKlausenburg für Psychiater und Psychologenbeginnen. Zwei der neuenKurse werden von Dr. ChristianFurnica geleitet, der dritte im Teamvon Doz. Dr. Tiberiu Mircea, Dr.Liliana Nussbaum und der PsychologinLorica Gheorghiu. Auch die Liste voneinschlägigen Vorträgen, Vorlesungenund Fortbildungen, gehalten von denPionieren der EA aus der ersten Ausbildungsgruppe,ist beeindruckend umfangreich.Zum Schaffen einer breiten Basisfür die Verbreitung von EA und LT gehörtauch die Übersetzung von Fachliteraturins Rumänische, die durch Dr.W. Popa unter Mitwirkung von Dr. L.Nussbaum und Psych. U. Gulyas erfolgt.Im Septemter dieses Jahres konntedie Pioniergruppe aus Temesvar un-ter der Leitung von Dr. Popa den 8.Zehntageblock ihres Fachspezifikumsin Wien abhalten. Möglich wurde dieseReise ins Ausland durch das unermüdlicheEngagement von Dr. Popa,die, mittlerweile schon geübt imFundraising, die nötigen finanziellenHilfen durch Spenden erreichen konnte.Ein rumänisches Monatsgehalt (ca.100 DM) steht in solch krassem Gegensatzzu den Lebenshaltungskostenim Westen, daß ohne UnterstützungErfahrungsaustauschdurchAuslandskursevöllig undenkbarwären. So konnten20 Gruppenteilnehmerunddie beiden korrespondierendenMitglieder der<strong>GLE</strong> Prof. Dr.Mircea Lazarescuund Prof.Dr. CorneliuMircea, als Gästedes ErzbistumWiens mitfinanzieller Unterstützungderösterreichischen Ärztekammer, derSalvatorianer, der <strong>GLE</strong> und weitererprivater Spender, darunter besondersder Künstler Sever Sasarman, 12 eindrucksvolleund anregende Tage inWien verbringen.Das Thema dieses Blocks war dieExistenzanalyse der <strong>Schizophrenie</strong> undder Phobien, Vortragende waren Dr. A.Längle, Prof. M. Lazarescu und Dr. T.Mircea. Selbsterfahrung, Fallbesprechung,Existentielles Bilderleben,Einzelgespräche wurden während diesesKurses von Dr. T. Mircea, Dr. Ch.Furnica, Dr. L. Nussbaum, Psych. L.Gheorghiu und Dr. A. Furnica übernommen.Ein Blick in die Praxis ermöglichtedie von Doz. Dr. Chr. Simhandl arrangierteKlinikbesichtigung und einErfahrungsaustausch im AKH Wien.Ebenso konnten die Leiter derneuen Ausbildungsgruppen Dr. Ch.Furnica, Dr. L. Nussbaum und Dr.Stefaniga an einem Aufnahmewochenendeder neuen BeratergruppeEXISTENZANALYSE 3/96 37


AKTUELLES(13c) in Wien unter Leitung von DDr.A. Längle und Co-Leitung von Dr. S.Längle und Dr. Ch. Probst teilnehmenund Einblicke und Anregungen aus derWerkstatt mitnehmen. Auftakt der Tagein Wien war ein festlicher Empfang inden Räumlichkeiten der <strong>GLE</strong> in familiär-freundlicherAtmosphäre, untermaltvon einem lukullischen Abendessen.Dies wurde von jedem einzelnenals „persönliche Aufnahme“ in die<strong>GLE</strong> empfunden und ist als eine Zugehörigkeitvermittelnde Erinnerungmit in die Heimat genommen worden.Neben einer Audienz beim Gastgeber,seiner Exzellenz Erzbischof Dr.Christof Schönborn, der den Aufenthaltder Gruppe in Wien ermöglichte, kames zu vielseitigen fachlichen Kontaktaufnahmenwie unter anderem mit Dr.Alfred Pritz, Vorsitzender der EuropäischenGesellschaft für Psychotherapie,Frau Dir. I. Scholze von derSystemischen Familientherapie derErzdiözese Wien und der PhilosophischenFakultät der Universität Wien.Insgesamt war es eine intensiveZeit und sicher ein Höhepunkt im Curriculumder rumänischen Pioniergruppe,die nun bereits im vierten Jahrihrer Ausbildung steht.S. LängleThe World of PsychotherapyDer 1. Weltkongreß für Psychotherapie vom 1. bis 4. Juli 1996 in WienMan kann Österreich durchaus alsGeburtsstätte der Psychotherapie bezeichnenund dies mit gut 100-jährigerGeschichte, doch seit einigen Jahrenhaben Psychotherapeuten ein neuesSelbstbewußtsein. Seit 1991 ist „Psychotherapeut“in Österreich ein gesetzlichgeschützter, freier und wissenschaftlicherHeilberuf. Dies ermutigteÖsterreich wohl auch, Ort der SelbstdarstellungpsychotherapeutischenWirkens und der Begegnung mit angrenzendenBerufsgruppen und Praktikenin Form einer internationalenGroßveranstaltung zu sein.Etwa 4.000 Teilnehmern wurden1.500 Referate und Workshops angeboten- wodurch ein beträchtlicher Teilder Anwesenden den Kongreß aktivmitgestaltet hat. Die Liste der Hauptreferentenwar lang und illuster. DasVerdienst dieses Großereignissesscheint mir eher in der Breite der Begegnungzu liegen und weniger in derDarstellung eines konsolidierten Berufsbildes.Dies führte positiverweisezu einem unvoreingenommenen Suchenund Diskutieren offener Fragen undzeigte persönlichen Mut und Originalitätin den Antwortversuchen, negativfiel die große Spannweite in der Qualitätdes Dargebotenen in den Workshopsauf. Hier dürfte Quantität vorQualität gegangen sein - leider.Doch es gab auch anregende undqualitativ hochstehende Veranstaltungen,vor allem auch in den Seminarendes 2-tägigen Vorkongresses. Darüberwollen wir im nächsten Heft gesondertberichten. Als ersten Eindruck fügenwir hier noch einen ausgewählten Widerhallaus der Presse an.S. LängleVom Schatten ins LichtSeit 1991 besitzt Österreich das einzigegültige Psychotherapie-Gesetz imeuropäischen Raum, worin die Ausbildungund Ausübung dieses medizinischenBerufes reglementiert wird. Zunächstbedarf es einer mehrjährigenAusbildung (Kosten öS 200.000,— bis800.000,—) bei einer der dzt. 16 anerkannten„Schulen“ mit ausreichenderSelbsterfahrung und Supervision.Die strikte Abgrenzung gegenüber„Scharlatanerie selbsternannter Heilskünder“soll letztlich auch die positiveZusammenarbeit mit allen anderenmedizinischen Berufsgruppen (vor allemÄrzten) fördern.Ein wichtiger Schritt in Richtung„Zusammenarbeit“ stellte auch der 1.Weltkongreß der Psychotherapie dar,welcher Wissensaustausch, Standortbestimmungverschiedener Berufsgruppenim psychosozialen Bereich undderen Vernetzung im Sinne einer ganzheitlichenBetreuung (Prophylaxe undtherapeutische Vorgangsweisen) derBevölkerung ansprach.Die Organisatoren bemühten sichabsolut um Vielfalt. Allein die Hauptvorträgeumfaßten 16 Parallelvorträgeam Vormittag und über 60Subsymposien nachmittags mit 120Einzelvorträgen - ein Abbild des„boomenden Psychomarktes“, aberauch ein Zeichen, die psychische,soziokulturelle und emotionale Dimensionmenschlichen Lebens zunehmendernster zu nehmen.Am Eröffnungstag verwies der bekannteWiener Psychiater und Ehrenpräsidentdes Österr. Bundesverbandesfür Psychotherapie Raoul Schindlerzurecht darauf, daß nun der Zeitpunktgekommen wäre, die Psychotherapievoll in den Dienst der Gesellschaft einzubinden.Es sei auch wesentlich, daßder Staat die Psychotherapie als seineSache begriffen habe und durch die gesetzmäßigeRegelung einen wichtigenAkzent gesetzt hätte. Der Kongreßwäre auch ein Versuch zu beweisen,daß wissenschaftliche Vielfalt zu einergemeinsamen menschlichen Bemühungführen könne, das Besondere des anderennicht zu unterdrücken, sondernsinnvoll in das Eigene zu integrieren.Alfred Pritz, dem Präsidenten desWorld Council of Psychotherapy, ist esgelungen, namhafte Fachleute aus 538 EXISTENZANALYSE 3/96


AKTUELLESKontinenten als Vortragende nachWien zu bringen und Offenheit gegenüberFormenvielfalt und nicht anerkanntenTherapierichtungen zu signalisieren.„Wie eine Gesellschaft mitPsychotherapie umgeht, gäbe ein gutesBild dieser Gesellschaft“, meinte er.Pritz gebührt zweifelsohne das großeVerdienst, mit dem Kongreß einenRahmen für internationale Diskussionin den Bereichen Psychiatrie, Psychotherapieund unkonventionelle, psychologischeHeilmethoden geschaffen zuhaben.An den Ursprung erinnerte ViktorFrankl in seinem Dialog mit dem PsychologenGiselher Guttmann: „Grundlagejeder wissenschaftlich fundiertenPsychotherapie ist die Psychoanalyse -sie erfuhr jedoch eine Überbauung undverlor dadurch an Sichtbarkeit. DieseRemission ist zu tragen.“ Er zitierteKierkegaard und meinte: „Wer etwasOriginelles zu bieten hat, hat diePflicht, tüchtig einseitig zu sein. Esgeht darum, dem Patienten einenDaseinssinn zu ermöglichen, sein Gesichtsfeldzu erweitern, ihm das volleSpektrum des Daseins spüren zu lassen,denn Sinn kann nicht gegebenwerden, es sei denn vom Patientenselbst. Konkreter Sinn wartet, von einerkonkreten Person in einer konkretenSituation erfüllt zu werden.“ Sowäre es Frankls selbstverständlicheVerpflichtung gewesen, aufgrund seinerErfahrung des Nihilismus sein „Gegengift“,die Logotherapie und Existenzanalyse,als Technik bekannt zu machen.Unkonventionelles präsentiertenSchamanen, afrikanische Heiler und tibetanischeMönche, und man konnteReiki als universale Lebensenergiedurch Handauflegung erfahren, wasübrigens bereits in einem Wochenendseminarzu erlernen ist. Weiterskonnte man sich mit der Heilkraft desFeuerlaufens und Feuertanzens vertrautmachen und hören, was ein echterGuru als Technik zur Heilung seelischenLeidens anbietet.Es stellt sich die Frage, ob diesespektakelhafte Buntheit mit dem Begriff„wissenschaftlich fundierte Psychotherapie“in Einklang zu bringenist, beziehungsweise als „alternativeHeilpraxis des Glaubens“ zum Nachdenkenüber den nicht diskutierten„Placeboeffekt“ vorgesehen war.Sicher scheint, daß solche alternativenPraktiken nur aus der jeweiligenKultur und der speziellen Lebensartder betreffenden Volksgruppen zu verstehensind und mit „äußerster Skepsis“im Rahmen von „Psychotherapie“betrachtet werden müssen. Mit nochviel größerer Skepsis ist die Darstellungdes Franzosen Michel Meignantzu betrachten, daß sich nämlich jedesMitglied der EU in Frankreich Psychotherapeutnennen und frei praktizierendarf, wenn er als einzige BedingungKenntnis der Landessprache nachweisenkann. Ganz bestimmt lassen sichauch nicht alle Fragen des „psychischenBereichs“ auf einem Kongreßschlüssig behandeln; Fragen der Abgrenzungund des Zusammenwirkensder Bereiche „Psychologie, Heilpädagogik,Psychiatrie und Psychotherapie“sollten aber doch mehr Gewichterhalten, um im Sinne von Synergieeffektennoch bessere therapeutischeErgebnisse erzielen zu können. DieEntwicklungsgeschichte der psychotherapeutischenSchulen seit 1895 und dieverschiedenen Anwendungsgebietewurden umfassend dargestellt, dasPhänomen „Patient“ eher unzureichend,obwohl „Psychotherapie“ ja imwesentlichen „Hilfe zur Selbsthilfe“bedeuten sollte. Die Folge „Erfahren-Annehmen-Verarbeiten“ in der Psychotherapiesteht oft der Folge „Diagnose-Medikation-Auswirkung“ aus derPsychiatrie gegenüber. Daraus einenaktiven Patienten als Partner für seineneigenen Heilungsprozeß werden zu lassen,wäre zumindest eine sinnvolleZielsetzung.Psychotherapie wird die Aufgabe,die ihr die Gesellschaft stellt, nur in interdisziplinärübergreifender Form inZusammenarbeit von Medizinern, Psychologenund Heilpädagogen zumWohle aller erfüllen können. Psychotherapiehat keine Wunderdinge anzubieten,sie muß wissenschaftlich nachvollziehbarund meßbar sein und dabeitrotzdem die Gratwanderung zwischenmenschlicher,intuitiver Kommunikationund Auseinandersetzung immerwieder wagen.Mag. Irene SwobodaAus: Der Mediziner 9/96, 59Psychotherapie - „Gipfeltreffen“Am 1. Juli öffnete das Austria Centerseine Tore für den „Ersten Weltkongreßfür Psychotherapie“, und vierTage lang wurde Wien zum Zentrumder Psychotherapie.Es war eine Veranstaltung, dieerstmals PsychotherapeutInnen aus allenfünf Erdteilen versammelte undFachleute verschiedener Denkansätzeund Kulturen zusammenbrachte. Rund4.000 PsychotherapeutInnen aus derganzen Welt hielten über 1.500 Referateund Workshops. Unter denKongreßteilnehmerInnen befanden sichunter anderem Viktor Frankl, HaraldLeupold-Löwenthal, Leon Wurmser,Otto F. Kernberg und Harry Merl. Wiebreit die thematische Spannweite diesesKongresses war, zeigte auch dieEinladung von fünf Schamanen alsZeichen für den Dialog mit anderenheilenden Traditionen. Zum Inhalt diesesKongresses sagte Dr. Alfred Pritz:„Wir suchen die wissenschaftliche Zusammenarbeit,ein Miteinander - nichtnur zum Wohle der einzelnenPatientInnen. Ich denke dabei an Strategien,die vorbeugend eingesetzt werdenkönnen, z.B. gegen den Ausbruchunkontrollierter Aggression im Alltag,und uns helfen, friedlicher zu leben.“Anläßlich des 1. Weltkongressesüberreichte Vizebürgermeister Dr.Sepp Rieder Prof. Dr. Eva Jaeggi,Prof. Dr. Otto F. Kernberg, Prof. EdithKramer und Prof. Dr. Eugene Gendlindas silberne Ehrenzeichen für Verdiensteum die Stadt Wien. Vom 3.-7. Juli1999 ist das nächste „Gipfeltreffen“ inWien im Austria Center geplant.Hans MauderAus: WLP-Nachrichten 7/96, 22EXISTENZANALYSE 3/96 39


AKTUELLESGaby Reisenberger - 10 Jahrein der <strong>GLE</strong>Man würde es ihr nicht ansehen,wenn man sie ohne Ahnung träfe, undman würde es nicht glauben, wennwir es nicht selbst miterlebt hätten:„unsere Gaby“ belebt nun schon seit10 Jahren unsere <strong>GLE</strong>.Begonnen hat‘s im August 1986.Christine Distelkamp (später Wicki)öffnete ihr die Tür. „Eine FrauTreisenberger“, so hatte sieverstanden. - Wer war das?Sie war eigentlich garnicht die Richtige, sondern dieFreundin der Richtigen. Diekonnte aber nicht, wie wir erfuhren,und schickte sie. Wirwußten keinen Namen, unddann verstanden wir ihn nichteinmal.Ein wenig nervös warenwir alle. Auf wen lassen wiruns da gegenseitig ein? Daserste, was uns auffiel, war ihrTemperament. Dies war einbleibender Eindruck. Er ist‘sauch heute noch.Als sie das damals nochwinzige Büro mit lediglich einerSchreibmaschine und einemTelephon sah, meinte sie kleinlaut,daß sie sich eigentlich eingrößeres Büro vorgestellt hätte,wo auch Kommunikationmit anderen Mitarbeitern möglichwäre. Und außerdem sei sie es gewöhnt,an Schreibcomputern zu arbeiten- wenn sie den Job annähme, wärees ein ziemlicher Rückschritt für sie.Schon sah ich unsere erste angestellteSekretärin davonschwimmen,als Christine Distelkamp eingriff undvon ihrer höchst persönlichen Erfahrungals - zugegebenermaßen nur -Behelfssekretärin berichtete. Sie packtegroß aus: es kämen schon einigeAnrufe pro Woche, und hin und wiedersei auch ein Brief zu schreibenund fünfmal pro Jahr (so war das damalsnoch) ein Bulletin zu schreiben,40 EXISTENZANALYSE 3/96zu kopieren und zu verschicken. Wirhätten nunmehr auch schon fünfzigMitglieder....Während Christines Ausführungengewann ich langsam meine Fassungwieder und schaltete mich unterstützenddazu: „ Ja, und möchten Sienicht sofort anfangen? Wir hätten einenTagungsbericht zu schreiben undwürden Sie auch gleich einschulen.“Mehr hatte Gaby nicht gebraucht.Sie taumelte fast, schwankte und miteinem Aufschrei stieß sie hervor: „Alsowenn ich mich vorstellen komme,dann arbeite ich doch nicht gleich.“ -Die Lage war gerettet. Das war wohldas klassische Verhalten der WienerSekretärinnen. Arbeit - das ist dochNebensache. Christine Distelkampund ich wußten, wir hatten die Sachegut gemacht. Darum machten Gabysabschließende Worte keinen großenEindruck mehr auf uns. Sie wolle nurvorübergehend diese Stelle annehmen,bis sie etwas Besseres fände, etwas,wo sie nicht so viel schreiben undtelephonieren müsse wie bei uns, etwas,wo sie mehr organisieren könneund ein größeres Büro zur Verfügunghätte. Siegessicher lächelnd gaben wirihr zu verstehen, daß uns so etwas jaauch vorschwebe, und in ein paar Jahrenwär´s wohl so weit, es hinge nurvon ihr ab.Als Gaby am nächsten Tag kam,träumte sie noch lange von einem größeresBüro mit vielen Mitarbeitern,aber sie dachte nicht mehr daran, wegzugehen.Die Arbeit wurde immermehr, die Organisation, die sie so liebte,nahm zu (inzwischen ist siemanchmal schon eine Qual),und heute sehen wir tatsächlich,wieviel in der <strong>GLE</strong> vonGaby abhängt. Tagungen, Ausbildungen,Herbstakademien,Mitgliederverwaltung, Buchhaltung,Korrespondenz (imübrigen auch perfekt in englisch),und die unzähligenTelephonate - manchmal sindes bis zu 50 Telephonate aneinem Vormittag - halten Gabyganz schön auf Trab. Dabeiwird sie seit einigen Jahren unterstütztvon Silvia Ruhdorfer.Reisenberger und Ruhdorfer,zusammen („RR“) sind sie wieein „Rolls Royce“ des Sekretariats.Wir haben Gaby den vielfältigenDank des Vorstandesund der <strong>GLE</strong> bei einem feinenAbendessen in der Wiener Innenstadtausgesprochen undihr ein kleines Reiseköfferchen überreicht.Nicht, damit sie gehen soll,sondern damit sie einmal aus der Fernean die <strong>GLE</strong> und die schönen 10Jahre denken kann. Im Köfferchenwar neben etwas bekömmlichem undprickelndem Proviant ein Reisegutscheinfür einen Städteflug für zweiPersonen - nur einlösbar, wenn einRückflug mitgebucht wird.So wünschen wir uns, daß “unsereGaby” die <strong>GLE</strong> auch die nächsten10 Jahre so belebt und wir wünchenDir, Gaby, daß Du dabei so jugendlich,schwungvoll und lustig bleibenkannst!A. Längle


BUCHBESPRECHUNGENGÜNTHER WIENBERG (HRSG.)<strong>Schizophrenie</strong> zum Thema machenPsychoedukative Gruppenarbeit mit schizophrenen undschizoaffektiv erkrankten MenschenPsychiatrie-Verlag GmbH, Bonn, 1995. Grundlagen und Praxis: ca. 240 Seiten, öS 233.-GÜNTHER WIENBERG, SIBYLLE SCHÜNEMANN-WURMTHALER, BERNHARD SIBUM<strong>Schizophrenie</strong> zum Thema machenPsychoedukative Gruppenarbeit mit schizophrenen undschizoaffektiv erkrankten Menschen/PEGASUSPsychiatrie-Verlag GmbH, Bonn, 1995. Manual und Materialien: 134 Seiten im Großformat A4,mit 43 Kopiervorlagen (Materialien für die Gruppenarbeit), öS 375.-Psychoedukative Gruppenarbeit zielt im Wesentlichen daraufab, die vorausgehenden und auslösenden Bedingungenfür die Entstehung einer schizophrenen Psychose, das Erlebender akuten Psychose, die Behandlungsmöglichkeitensowie die Rolle des/der Betroffenen bei der Früherkennung,Bewältigung und Vorbeugung von psychotischen Krisen mitdem Betroffenen zu thematisieren.Zentrale Fragen in diesem Zusammenhang sind z.B.: „Wielautet meine Diagnose?“, „Was ist <strong>Schizophrenie</strong>?“, „Wieentsteht die Krankheit?“, „Wie sind meine Zukunftsaussichten?“,„Was nützen/schaden Neuroleptika?“, „Was kann ichselbst tun, um seelisch stabil zu bleiben?“.GRUNDLAGENDa die gemeinsame Erarbeitung dieser Fragestellungenwesentlich vom <strong>Schizophrenie</strong>konzept des/der behandelndenTherapeuten/in beeinflußt wird, geht der Autor im erstenTeil seines Grundlagenwerks ausführlich auf die aktuellenModellvorstellungen zur <strong>Schizophrenie</strong> ein.Einer kurzen Zusammenfassung des traditionellenKrankheitskonzeptes der <strong>Schizophrenie</strong>, als dessen HauptvertreterEmil KRAEPELIN und Eugen BLEULER genanntwerden, folgt die Darstellung der Vulnerabilitätshypothesevon Joseph ZUBIN (1963, 1977).ZUBIN geht davon aus, daß schizophrene Psychosendurch das Zusammenwirken einer besonderen Verletzlichkeit(Vulnerabilität) des Individuums und mehr oder wenigerunspezifischen Belastungen, die Streß bei diesem Individuumauslösen, entstehen. Dabei interagieren Verletzlichkeitund Streß in der Weise, daß es bei einer sehr ausgeprägtenVerletzlichkeit nur geringfügiger Belastungen bedarf,um eine akute Psychose auszulösen. Ist die Verletzlichkeitdagegen gering, führt erst starker Streß zu einer Erkrankung.Verletzlichkeit wird definiert als Schwellensenkunggegenüber sozialen Reizen, Streß ist in erster Linieeine Folge psychosozialer Belastungen. Das Modellimpliziert - im Gegensatz zum traditionellen <strong>Schizophrenie</strong>konzept,daß letztlich jeder Mensch psychosefähig ist, wenner den entsprechenden Belastungen ausgesetzt ist.Die Wirkung von Stressoren kann darüberhinausdurch die Bewältigungskompetenzen und -ressourcen des/der Betroffenen und seiner/ihrer sozialen Umgebung gemildertwerden.Das Drei-Phasen-Modell der <strong>Schizophrenie</strong> von LucCIOMPI (1982), dem der Autor in seiner Darstellung großesAugenmerk schenkt, wird von ihm als eine spezifischeVariante des Verletztlichkeits-Streß-Bewältigungs-Paradigmasaufgefaßt.In der prämorbiden Phase (Phase 1) , d.h. der Zeitspannebis zum Auftreten der ersten akuten Psychose, entwickeltsich die besondere schizophrene Verletzlichkeit durch einWechselspiel von biologischen sowie psychosozialen Einflüssenund Bedingungen. Das wesentliche Merkmal in dieserPhase sind Störungen in der Informationsverarbeitung,die vor und unabhängig von der akuten psychotischenSymptomatik bestehen. Die spektakulären, in der Regeljedoch flüchtigen akuten psychotischen Symptome entwikkelnsich erst sekundär aus diesen grundlegendenInformationsverarbeitungsstörungen.Bei schizophren erkrankten Menschen ist insbesonderedie Fähigkeit beeinträchtigt, „alte“ Reize bzw. Regelmäßigkeitenbei der Orientierung in der Welt (Gewohnheitshierarchien)zu benutzen, wodurch es zum Phänomen derReizüberflutung kommt. Die daraus resultierenden psychischenStörungen, die das Denken, die Sprache, die Wahrnehmung,die Gefühle sowie Bewegungsabläufe und Automatismenbeeinträchtigen, werden Basisstörungen(SÜLLWOLD, 1977) genannt. Für die Betroffenen ist dasErleben der Basisstörungen gekennzeichnet durch diedurchgängige Erfahrung innerer Verwirrung und Desorientierung.Diese geht meist einher mit dem Gefühl, dieKontrolle über die eigenen psychischen Abläufe zu verlieren.Fließende Übergänge führen zu dem, meist mit Angstverbundenen Erleben, unerklärlichen Vorgängen ausgelie-EXISTENZANALYSE 3/96 41


BUCHBESPRECHUNGENfert zu sein. Schließlich führt die grundlegende Verunsicherungim Erleben fast notwendigerweise zu einer allgemeinenVerunsicherung im Verhalten. Die Herausbildungpsychotischer Symptome hat dabei die Funktion, die zunehmendeNeu- und Andersartigkeit von Eindrücken zu erklärenund durch aktive Sinngebung zu bewältigen.Die Frage nach der Ursache der schizophrenen Verletzlichkeitwird durch das Prinzip der Äquifinalität (Prinzipder gemeinsamen Endstrecke) beantwortet. Demzufolgeentwickelt sich die Verletzlichkeit durch eine - in jedemEinzelfall unterschiedliche - Kombination biologischer (genetischeund erworbene biologische Bedingungen) undpsychosozialer (soziale Deprivation; Kontinuität familiärerStörungen; konfuse, unklar abgegrenzte Subjekt-Objekt-Repräsentanzen;widersprüchliche und/oder paradoxe familiäreKommunikationsmuster; usw.) Einflußbedingungen, dieuntereinander wiederum in komplexer Weise in Wechselwirkungtreten können. Die individuelle Ausprägung derVerletzlichkeit wird von CIOMPI im Sinne einer relativenWahrscheinlichkeit verstanden, mit der der Menschpsychotisch reagiert, wobei Stressoren einerseits und günstigesBewältigungsverhalten andererseits gegenläufigeAuswirkungen zur Folge haben.Die Entwicklung akuter schizophrener Psychosen(Phase 2) wird, wie bereits erwähnt, als ein Reorganisations-bzw. Selbstheilungsversuch der Psyche aufgrundeiner krisenhaften Überforderung der Informationsverarbeitunginterpretiert. Es kommt dabei zu einem Überstieg vomunerträglichen Chaos der psychotischen Desorganisation ineine „neue Ordnung“, d.h. die Psyche findet ein neues, verrücktesGleichgewicht. Akute Psychosen werden zunächstals die aktuell „besten Lösungen“ angesehen. Diepsychotische „Lösung“ wird aber dann selbst zum Problem,wenn es zu einer tiefgreifenden Störung des Realitätsbezugeskommt, wenn der psychotische Mensch in seinemverrückten Zustand eingemauert ist.Eine große Bedeutung kommt in diesem Zusammenhangder Erkennung von Frühwarnzeichen (Prodromalsymptomen)und dem Einsatz der individuellen Selbsthilfe- undBewältigungsfaktoren zu.WIENBERG kommt zu dem Schluß, daß die Mißachtungder Coping-Eigenaktivitäten der Betroffenen TherapieundRehabilitationserfolge reduziert.Abschließend werden - unter Heranziehung der wesentlichenUntersuchungsergebnisse - Stressoren angeführt,die eine psychotische Dekompensation bedingen können.Ebenso wie bei der Entstehung der schizophrenen Verletzlichkeit,sind auch bei der Auslösung akuter Psychosen biologischeund psychosoziale Faktoren eng miteinander verwoben.Die Langzeitentwicklung schizophren erkrankter Menschen(Phase 3) ist - im Gegensatz zur Sichtweise des traditionellen<strong>Schizophrenie</strong>modells - nicht das Resultat einesvorherbestimmten Krankheitsverlaufs. Der Verlauf und diePrognose hängen primär von psychosozialen Bedingungsfaktorenab. Dazu zählen u.a. die Zukunftserwartungen des/der Betroffenen und seiner/ihrer Umgebung, die LebensundBetreuungsbedíngungen, der Umgang mit SelbsthilfeundBewältigungsversuchen sowie soziokulturelle Einflüsse.Die therapeutischen Konsequenzen, die sich aus dem Drei-Phasen-Modell der <strong>Schizophrenie</strong> ergeben, zielen generellauf eine Verbesserung der Informationsverarbeitung ab.CIOMPI (1988a, zit. in WIENBERG, 1995, 108) faßt seinePrinzipien des therapeutischen Umgangs folgendermaßenzusammen:“Was dem verletzlichen Schizophrenen(oder dem <strong>Schizophrenie</strong>gefährdeten) >gut tut< oder>nicht gut tutSensoren< fürallgemeinmenschliche Grundbedürfnisse - z.B. nach Kontinuität,Geborgenheit und Wärme, nach Klarheit undTransparenz in allen Dingen, nach menschengemäßenRhythmen, Tempi und Räumen, etc. - angesehen werden.“Die Rolle des/der Betroffenen ist dabei die eines/einergleichberechtigten Bürgers/in und mitverantwortlichen Subjektsim Umgang mit seiner/ihrer Verletzlichkeit und Erkrankung.Im therapeutischen Umgang geht es daher einerseitsdarum, die Betroffenen über alle Fragen, die ihreKrankheit und deren Behandlung betreffen, aufzuklären undihnen andererseits die Mitentscheidung über ihre Behandlungund Betreuung zuzugestehen.Die Therapie schizophren erkrankter Menschen hat folgendeZiele: Besserung der Symptomatik, Optimierung derRückfallprophylaxe, Stärkung der Selbsthilfe- undBewältigungsfähigkeiten, Förderung der subjektivenKrankheitsverarbeitung und Identität, Kompensation primärerStörungen, Förderung der Fähigkeiten zur Alltagsbewältigung.Die psychoedukative Therapie versteht sich dabei alseinen der drei Basisbausteine in der <strong>Schizophrenie</strong>behandlung- neben der Pharmakotherapie und der Psychotherapieim engeren Sinne. Als ergänzende Bausteine werdenverhaltenstherapeutische Verfahren, das Training sozialerFertigkeiten, Psychosegruppen/Psychoseseminare,körperbezogene Therapien, kognitives Training,Beschäftigungs- und Arbeitstherapien sowie rehabilitativeHilfen als sinnvoll erachtet.Im Anschluß an eine knappe, aber dennoch ausführlicheBeschreibung der erwähnten Therapieformen, definierenWIENBERG und SIBUM (WIENBERG, 1995, S. 177)die psychoedukative Therapie mit schizophren Erkranktenfolgendermaßen: „ Es handelt sich um eine verhaltenstherapeutischeVariante von Psychotherapie im weiterenSinne. Sie focussiert vor allem die Problemlösungsperspektiveund zielt darauf ab, zum Verstehen und zurVerarbeitung des Krankheitsgeschehens beizutragen, Ängstezu reduzieren, ein positives Selbstkonzept zu fördernund die Autonomie der Betroffenen zu stärken. NotwendigeBestandteile sind die Erarbeitung eines gemeinsamen42 EXISTENZANALYSE 3/96


BUCHBESPRECHUNGENKrankheitskonzeptes sowie die gezielte Förderung derSelbsthilfe- und Bewältigungskompetenzen der Betroffenenim Umgang mit ihrer Verletzlichkeit bzw. Erkrankung.“PRAXISDas vom Autor und seinen Mitarbeitern/innen entwickelteProgramm gliedert sich in 3 inhaltlich aufeinander aufbauendeund gleichzeitig thematisch abgrenzbare Teile. Es istkonzipiert für geschlossene Gruppen und nimmt 14 Stundenim wöchentlichen Abstand in Anspruch.Die erste Stunde dient der Einführung in die Thematik unddem Kennenlernen der Gruppenteilnehmer/innen.Die folgenden 6 Einheiten haben das Krankheitskonzeptzum Thema. Es geht dabei inhaltlich um dasVerletzlichkeits-Streß-Modell, um biologische undpsychosoziale Bedingungsfaktoren der schizophrenen Verletzlichkeit,um die Entwicklung und das Erleben der akutenPsychose, um Streß und Belastbarkeit bzw. Überforderungsowie um den Ausgang und Verlauf schizophrenerPsychosen.Im zweiten Teil des psychoedukativen Therapieprogrammeswird auf die Medikamenten-Behandlung eingegangen. ImRahmen der dafür vorgesehenen 4 Stunden sollen die Teilnehmer/innenüber Neuroleptika und ihre Wirkungen, Nebenwirkungenund den Umgang damit, Patienten/innen-Mitverantwortung und Zusammenarbeit mit dem Arzt/derÄrztin sowie individuelle Handlungsmöglichkeiten und dieBedeutung von Frühwarnzeichen informiert werden.Die Themen des dritten und letzten Teiles sind die Rückfallvorbeugungund die Krisenbewältigung, wobei im Speziellenauf individuelle Frühwarnzeichen und Bewältigungsstrategieneingegangen wird. Dazu gehört die gemeinsameErstellung individueller Stufenpläne zur Krisenbewältigung.Die Rahmenbedingungen der praktischen Durchführungwerden im Grundlagenbuch und auch im Manual genaudargestellt und erörtert.Der abschließende Teil des Grundlagenbuches enthält eineReihe von Erfahrungsberichten mit psychoedukativen Programmenaus der Sicht von Experten/innen und Betroffenen,wobei diese Form der Therapie auch für Angehörigevon schizophren Erkrankten geeignet ist.Das PEGASUS-Manual liefert gut übersichtliche und klarstrukturierte Vorgaben für die Gestaltung des Therapieprogrammes.Es ist so aufgebaut, daß Ziele, Inhalte, Methodensowie didaktische Hilfsmittel für jede einzelne Stundein sich abgeschlossen dargestellt werden.Der Ablauf aller 14 Stunden ist gekennzeichnet durchein fortlaufendes Wechselspiel zwischen Moderatoren/innen-Input(Präsentation bestimmter Inhalte bzw. Informationen)und Gruppengespräch. Letzteres dient einerseitsdazu, durch den Austausch in der Gruppe Kenntnisse, Einstellungenund Erfahrungen der Teilnehmer/innen in denGruppenprozeß einzubringen und andererseits zur Reflexionund Verarbeitung der von den Moderatoren/innen eingebrachtenInformationen.Das Heft mit den Materialien enthält u.a. Kopiervorlagenfür die im Verlauf jeder Stunde zu verwendenden didaktischenHilfsmittel, die den Teilnehmern/innen am Endeder Stunde ausgefolgt werden. Diese bestehen aus Merksätzen,die die inhaltliche Kernaussage für die jeweiligeStunde in einigen Sätzen zusammenfassen, aus Informationsblättern,Abbildungen und Arbeitsblättern, die in derlaufenden Stunde bearbeitet werden.In der Psychotherapie mit psychotisch erkrankten Menschenstellt die Aufklärung der Klienten/innen über ihreStörung und deren Behandlung erfahrungsgemäß einen wesentlichenBestandteil der therapeutischen Kommunikationdar.Gerade in diesem Bereich, der von uns Therapeuten/innen ein großes Ausmaß an Strukturiertheit, Klarheit undEindeutigkeit aber auch Akzeptanz und Wertschätzung inder Begegnung mit dem/der Klienten/in verlangt, ist eswichtig, daß wir von einem Krankheitsmodell ausgehen, dasmit diesen Kriterien kompatibel ist.Das von WIENBERG et al. entwickelte psychoedukativeTherapieprogramm basiert auf jenen aktuellenTheorien zur <strong>Schizophrenie</strong>, die auch von existenzanalytischorientierten Psychotherapeuten/innen bevorzugtzum Verständnis und zur Erklärung psychotischen Verhaltensherangezogen werden.Auch unter der Annahme, daß die meisten Leser/innennicht die organisatorischen und praktischen Möglichkeitenhaben, das psychoedukative Therapieprogramm derart anzuwenden,daß die vom Autor vorgeschlagenen Rahmenbedingungenerfüllt werden, liefert das Buch eine wertvolleGrundlage für die Information schizophren erkrankterKlienten/innen. Einzelne Bausteine können meiner Meinungnach durchaus in Einzeltherapien direkt übernommen werden.Sie erleichtern nicht nur die Aufklärungsarbeit, sondernbieten auch Anregungen für Themen, die in der Therapiebearbeitet werden können.Das Grundlagenbuch zeichnet sich gerade dadurch aus,daß es eine Vielzahl aktueller und bedeutsamer Theorienund Forschungsergebnisse zum Thema schizophrene undschizoaffektive Psychosen in einem Konzept vereint und -nicht zuletzt durch die sehr anschaulichen Grafiken - auchfür den/die auf diesem Gebiet nicht so versierte Leser/inverstehbar macht.Die theoretischen Überlegungen werden kurz, aberprägnant und durchaus vollständig dargestellt und immerwieder mit praktischen Beispielen und Erlebnisschilderungenvon Betroffenen angereichert, was einerseitsdie Lektüre spannend und interessant macht und andererseitsdas Einfühlen in psychotische Erlebnisse - zumindestansatzweise - ermöglicht.Jenseits aller theoretischen und praktischen ÜberlegungenEXISTENZANALYSE 3/96 43


BUCHBESPRECHUNGENhat mir an der Lektüre dieses Buches jedoch am meistendie immer wieder formulierte Haltung imponiert, zuallererstvom Subjekt des/der Erkrankten, seinen/ihren Kenntnissen,Erfahrungen, Fähigkeiten, Bedürfnissen und Erwartungenauszugehen und ihn/sie als Experten/in für seine/ihreErkrankung wahr- und ernstzunehmen, gemäß der Forderungdes deutschen Bundesverbandes der Psychiatrie-Erfahrenenaus dem Jahre 1992: VERHANDELN STATT BE-HANDELN!Ein Grundsatz, der meiner Meinung nach gut mit existenzanalytischenÜberlegungen harmoniert!Mag. Barbara WeiboldINGRID BERGMANNErziehung zur Verantwortlichkeit durch die Zaubermärchen der Brüder Grimmunter besonderer Berücksichtigung der Sinnkategorie V.E.FranklsDer “Andere” in den Grimmschen Erlösungsmärchen -Bilder sinn-vollen Seins im SchulanfangPeter Lang GmbH, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1994,Europäische Hochschulschriften: Reihe 11, Pädagogik; Bd. 605. 300 Seiten, DM 79,-Ingrid Bergmann baut ihre Ansichten über die Bedeutungder Grimm´schen Zaubermärchen auf einem breiten Fundamentauf. Fast die Hälfte des Buches befaßt sich mit Standortbestimmungender Logotherapie und Existenzanalyse, ihrerphilosophischen Herkunft und Querverbindungen zuDenkern wie Husserl, Scheler, Buber, Levinas, Heidegger,Sartre, Frankl und auch Steiner.Der „Andere“ ist Thema und wird von vielen Seiten beleuchtet.Wer sich einen Überblick verschaffen möchte überBetrachtungsweisen findet in diesem Buch eine gute Möglichkeitsich zu vertiefen. Ohne genauere Kenntnis der angeführtenLiteratur ist dieser Teil allerdings anstrengend,weil sehr auszugshaft, zu lesen.Im dritten Kapitel widmet sich Ingrid Bergmann nun denwesentlichen Merkmalen der kindlichen Entwicklung in denBereichen des Denkens, Fühlens und Wollens. Drei weltanschaulichunterschiedliche Theorien - die geisteswissenschaftlicheSicht, die materialistische Sicht und die anthroposophischeSicht - werden dargestellt und ihre Auffassungenüber eine Erziehung zu Liebe und Verantwortlichkeitim Schulanfang miteinander verglichen. In BergmannsSchlußfolgerungen ist dann auch ihr eigener Standpunkt,der von der Waldorfpädagogik und der dahinterstehendenAnthroposophie geprägt ist, spürbar.Hier wird besonders im Entwicklungsverlauf des Kindesder Grund gefunden, warum in der Zeit um denSchuleintritt „Das Märchen“ einen so wesentlichen Anteilan der Erziehung des Kindes haben sollte. In diesem Alterist das Bildhafte das wesenhafte Element beim Ausbildengeistiger Handlungen, beim Fühlen und Wollen. DasKind nimmt alle Erscheinungen in seiner Umwelt mit Interessewahr und sucht vorkausale Erklärungsmuster fürihre Hintergründigkeit, da es ja verstehen möchte und nochso vieles unerklärlich ist. Diesen seelischen Strukturen desKindes entsprechen besonders die Strukturen des Volksmärchens.Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß dasMärchen in der anthroposophischen Erziehung zu einemguten Teil zur moralisierenden Erziehung herangezogenwird, um dem Kind bestimmte Gefühlsqualitäten anzuerziehen.Wie sonst könnte man einen Satz verstehen, der lautet:„Die Dankbarkeit muß in der Zeit des stärksten Wachstumsin das Kind >eingepflanzt< werden, ..“ bzw. Ausdrükkewie „Dankbarkeitswille, Liebe- und Pflichtwillen“ ...,die „die menschlichen Urtugenden repräsentieren, die alleanderen miteinschließen“, sind Inhalt der Willenserziehung.Hier wehrt sich mein existenzanalytisches Empfinden.Gefühle wie „Dankbarkeit“ in ein Kind einpflanzen zuwollen, was ja auch im Bild ein gewaltsamer, zielgerichteterSchritt ist, widerspricht meiner Auffassung von derFreiheit des Individuums/ Kindes. Auch der BegriffDankbarkeits- und Liebeswille ist meiner Ansicht nach einWiderspruch in sich. Will ich Dankbarkeit, erziehe ichdann das Kind nicht zur Aufgabe der eigenen Empfindungen?Was tun, wenn keine Dankbarkeit empfunden werdenkann - setzt dann der Dankbarkeitswille ein? Oder: Dankbarkeit- wird „geleistet“ als Antwort für das Angenommenseinin der Welt. Ich wehre mich dagegen, Dankbarkeitzu leisten, ich möchte sie empfinden dürfen, oderauch nicht, wenn es nicht möglich ist.Konform gehe ich mit Bergmann in dem Punkt, in dem siemeint, daß die Inhalte, die ein Kind geboten bekommt,44 EXISTENZANALYSE 3/96


BUCHBESPRECHUNGENsinnbildend und sinngestaltend sein können, und daherauch von Bedeutung ist, was ich dem Kind anbiete.„Welchen Menschen, politischen Meinungen und Bewegungenwir folgen werden, ist abhängig von unsereminneren Wertsystem, das bewußt oder unbewußt vonVorbildern geprägt worden ist.“ Aber auch: „Das Vorbildhaftelebt von seiner Absichtslosigkeit, denn einVorbild hört auf, Vorbild zu sein, wenn es als solcheswirken möchte“ schreibt Bergmann. Ich meine, die Vielfaltdes Angebots an Vorbildern und Wertmöglichkeitenund nicht die Einschränkung auf wenige, sittlich undethisch überprüfte ist in der Erziehung wichtig, um demHeranwachsenden auch die Möglichkeit des Erfühlensder Unterschiedlichkeit und die Freiheit der Entscheidungzu geben.In der Hälfte des Buches werden wir dann in dieThematik des Märchens eintauchen können, das I. Bergmann,sich berufend auf Schiller, Levinas und A. Jaffèals Kunstwerk bezeichnet. „Das Märchen ist frei vonallen Bezügen, es ist bar jeder Bindung, selbst von derSterblichkeit. Es zeichnet , sparsam im Ausdruck, sicherund scharf seine Welt und ist in dieser Form in ganzEuropa zu finden.“ „Es war einmal ...“, die bekannteEingangsformel der Märchen lautet jedoch in der vollständigenForm: „Es war einmal und es wird eines Tagessein: Das ist aller Märchen Anfang. Es gibt keinWenn und kein Vielleicht, der Dreifuß hat unbestreitbardrei Füße“, und zeigt so die Gültigkeit des Märchensüber die Vergangenheit hinaus in die Gegenwart und indie Zukunft hinein auf.Die Bilderwelt der Märchen entspricht der Welt des Kindes.Das Märchen wird durch seine ihm eigene Sprachgestaltvom Kind unmittelbar aufgefaßt. Die bedeutungsvolleSprache vermittelt bedeutungsvolle Weisheit desLebens. Das Kind lebt mit dem Märchenhelden, bestehtseine Abenteuer, beweist Mut, handelt aus Liebe, besiegtden Riesen und wird letztendlich König. Es erfährt dasabsichtslose Gezogensein in der Handlung. Bergmannmeint: „ Jeder Mensch ist metaphorisch gesehen ein werdenderKönig, der mit seiner Geburt die via regia betrittund sie als den nur für ihn bestimmten Weg zu sichselbst - zu seinem Königreich - erkennen muß.“ So kanndas Kind, meint Bergmann, im Miterleben mit demMärchenhelden die eigene Einmalig- und Einzigartigkeitspüren. „Das Märchen setzt Menschsein als Menschwerdungins Bild, zeigt den Weg des Menschen mit seinenihm eigenen Mitteln als eine Überall- und Nirgends-Geschichteim Einfach-Gesagten.” Eine Befragung vonStudenten und Märchenerzählern, die Wichtigkeit undBedeutung für das eigene Leben betreffend, soll dieAussagen Bergmanns untermauern.Drei Märchenbearbeitungen geben Auskunft über die Bedeutungfür den Leser/ Hörer unter dem Aspekt der Liebeund Verantwortlichkeit. In den Zaubermärchen oderauch Entwicklungsmärchen geht es immer um einenMenschen, der aus einer gegebenen Situation herausfällt,sich auf den Weg macht, Prüfungen zu bestehen hat, Verantwortungübernimmt, für einen Wert, den er als solchenerkannt, erfühlt hat. Im Prozeß der Selbsttranszendenzist die Erlösung, die Lösung der Situationmöglich.Hier wiederum findet Bergmann eine Entsprechungzum Schulanfänger, der aus der häuslichen Geborgenheithinausgeht in eine ihm fremde Welt und den Weg antritt,sich zur eigenständigen Person zu entwickeln. Dies wirdauch als Grund angegeben, warum die Waldorfpädagogikder Märchenerzählung so großen Wert beimißt.Nach einer Untersuchung der Lehrpläne für dieGrundschulen in Deutschland setzt sich Bergmann mitdem Lehrplan der Waldorfschulen auseinander. Hier istdie Märchenerzählung im ersten Schuljahr angesiedelt.Das Märchen sollte nach Möglichkeit frei erzählt werden,um der Phantasie des Kindes keine Gewalt anzutunund die Fähigkeit zur Erschaffung innerer Bilder zu fördern.Immer wieder spricht Bergmann ethische, religiöseWerte an, die auf diese Weise herangezogen werden können.Der Märchenerzähler bildet mit den Zuhörern eineGemeinschaft, in der Geborgenheit und Vertrauen erlebtwerden können. In der Schule sollte dies ein Lehrer mit„natürlicher Autorität“ sein, auf den die Kinder horchenund zu dem sie aufschauen.Ich fand enttäuschend, daß erst auf den letzten Seitenkonkret Bezug genommen wird auf die SinnkategorienFrankls.Bergmann schreibt: „Die Sensibilisierung des kindlichenGewissens, Sinn aufspüren zu können, erfolgt u.a.auch durch das Erzählen von Zaubermärchen. DiesesMärchenerzählen gewährt dem Kind einen Freiraum derStille und Geborgenheit, in dem es sich seiner Phantasiehingeben kann. .... Die Wertbilder von Liebe, Treue,Hoffnung, Demut, Mut, Opferbereitschaft und Verantwortlichkeitkönnen in das Kind >einfließen


BUCHBESPRECHUNGENHinweis auf NeuerscheinungenTORSTEN PASSIEPhänomenologisch-anthropologische Psychiatrie und PsychologieEine Studie über den „Wengener Kreis“:Binswanger - Minkowski - von Gebsattel - StrausGuido Pressler Verlag, Hürtgenwald 1995, Gr.-Oktav, 256 S., Leinen DM 140,-, ISBN 3-87646-079-4(Schriften zur Wissenschaftsgeschichte, Hrsg. Armin Geus und Guido Pressler, Band 13)Die Darstellung folgt den anthropologischen Ansätzen inder Psychiatrie, stellt sie historisch dar, greift auf Schwerpunktezurück und versucht, eine möglichst geschlossenvergleichendeBeschreibung dieser bahnbrechenden Konzeptezu geben.Philosophisch orientierten sich die vier „Phänomenologen“an:Dilthey, Bergson, Nietzsche, Pascal, Kierkegaard, Husserl,Scheler, Heidegger u.a.Aufgezeigt werden:- Binswangers Forschungsweg bis hin zu seiner eigenenAnthropologie- Minkowskis Analysen zeitlicher und räumlicher Strukturen- Gebsattels Bemühen um existentielle Dimensionen despsychischen Krankseins- Straus’ Untersuchungen zur Sinneserfahrung und ihrerpsychotischen Erlebnisabwandlung- kritische Äußerungen der vier „Phänomenologen“ an bestimmtenVorgehensweisen der philosophischen Phänomenologie- ihr Verhältnis zur Psychoanalyse- ihre Psychoanalysekritik- ihre zentralen Konzeptionen zur Zeiterfahrung beipsychiatrischen Erkrankungen.Kontaktadressen der <strong>GLE</strong>Dr. Christian Firus, Albertine-Assor-Straße 6a, D-22457 HamburgGünter Funke, Seelingstraße 29, D - 14059 Berlin (Tel.: 030/3226964)Dipl. theol. Erich Karp, Meisenweg 11, D - 73035 Göppingen (Tel.: 07161/641 - Klinik am Eichert)Dr. Krizo Katinic, Kneza Borne 1, 41000 Zagreb, Kroatien (Tel: 414839)Dr. Christoph Kolbe, Borchersstraße 21, D - 30559 Hannover (Tel.: 0511/5179000, Fax: 0511/521371)Dr. Milan Kosuta, Sermageoa 17, 41000 Zagreb, Kroatien, (Tel.: 41-239193)Univ.-Doz. Dr. Rolf Kühn, Kaiserstraße 37, D-78532 Tuttlingen (Tel.: 07461/77280)Dr. Heimo Langinvainio, Riihitje 3 A 1, SF - 00330 Helsinki 33Dr. Wilhelmine Popa, Görlitzerweg 1, D - 40880 Ratingen (Tel.: 02102/470818)Univ. Prof. Dr. Heinz Rothbucher, Praxis Tel.: 0662/847558, Universität Tel.: 0662/8844-2800)Dr. Inge Schmidt, Pfeifferhofstraße 7, A-5020 Salzburg (Tel.: 0662/822158)Univ. Doz. Dr. Mircea Tiberiu, Str. Tarnave No. 2, 1900 Timisoara, RumänienDr. Beda Wicki, Weststraße 87, CH - 6314 Unterägeri (Tel.: 041/7505270)Dr. Walter Winklhofer, Nymphenburgerstraße 139, D - 80636 München (Tel.: 089/181713)Stud. Dir. Wasiliki Winklhofer, Schleißheimerstraße 200, D - 80797 München (Tel.: 089/3087471)Dr. Christopher Wurm, Chatham House, 124 Stephen Terrace, Gilberton SA 5081, Australien (Tel.: 08/3448838, Fax: 08/3448697)Institut für Existenzanalyse und Logotherapie Graz, Neutorgasse 50, A - 8010 Graz (Tel.: 0316/815060)Gesellschaft f. Existenzanalyse u. Logotherapie in München e.V., Wertherstraße 9, D-80809 München (Tel./Fax: 089/3086253)Berliner Institut für Existenzanalyse und Logotherapie, Lietzenburger Straße 39, D - 10789 Berlin (Tel./Fax: 030/2177727)Norddeutsches Institut für Existenzanalyse Hannover, Borchersstr. 21, D-30559 Hannover (Tel.: 0511/5179000, Fax: 521371)SINNAN - Institut für Existenzanalyse und Logotherapie, Weststraße 87, CH-6314 Unterägeri (Tel.: 041/7505270)46 EXISTENZANALYSE 3/96


PSY III - DiplomIm März 1997 wird im Weiterbildungszentrum SchloßHofen in Lochau/Vbg. ein PSY III „PsychotherapeutischeMedizin“ mit einer fachspezifischen Ausrichtung in Existenzanalysebeginnen. Voraussetzung dafür ist ein medizinischesStudium und Absolvierung der Lehrgänge in PSYI + II.Zudem können sich Interessenten aus Medizin undPsychologie als Gasthörer für den fachspezifischen Teil inExistenzanalyse bewerben. Nähere Informationen bei ElmarFleisch, Schloß Hofen, 6911 Lochau (Tel.: 05574/4930-0) bzw. bei DDr. Längle, <strong>GLE</strong> Wien.WLP - NachrichtenMITTEILUNGENdrastisch einzuschränken. Das heißt: ziemlich willkürlicheFestsetzungen, wie lange die Therapie dauern darf; Versuche,PsychotherapeutInnen ohne eingetragene Zusatzbezeichnungdie Qualifikation für die Anwendung der angegebenenMethode abzusprechen; sowie eine geplanteZuordnung von Diagnose zu angewandter Therapiemethode(Zuordnung zu den Methoden, die angeblich am effizientestenbei der jeweiligen Diagnose wirken).Die sozialdemokratischen Vertreter haben bei den Verhandlungender letzten Tage diesen ÖVP-Vorstößen zumindestnichts entgegengesetzt und ihnen letztlich einstweilendoch zugestimmt. Auch auf die geplanten Psychotherapie-Maßnahmen trifft zu, was Gewerkschaft und Arbeiterkammeran anderen Maßnahmen kritisiert haben: die Benachteiligungder sozial Schwachen, denen der Zugang zutherapeutischer Hilfe erschwert wird.Sinnvoll sparenPsychotherapie-Leistungen sollen reduziertwerden!Vor einigen Tagen haben sich die Koalitionspartner auf einKassensparpaket geeinigt, das bis zum 12. Juli beschlossenwerden soll. In der Öffentlichkeit am meisten bekanntsind die geplante Einführung einer Krankenscheingebührvon 50,- und die Erhöhung der Rezeptgebühr. Es enthältaber noch weitere, zum Teil drastische Einschnitte. Derrelativ drastischste Einschnitt ist bei den Kostenerstattungenfür Psychotherapie geplant:Die Ausgaben für Kostenrückerstattung für Psychotherapiesollen um 50 Millionen gesenkt werden! Das bedeuteteine Reduzierung um ein Drittel!(vgl. Salzburger Nachrichten, 26.6.1996)1992 gab es eine Beitragserhöhung um 0,2 Prozentpunkte,weil - neben der Pflegegelderhöhung - für Psychotherapie600 Millionen bereitgestellt werden sollten. 1993gaben die Kassen 86 Mio. für Psychotherapie aus, im letztenJahr geschätzte 140 Mio. Die Sozialversicherung hatalso Einnahmen unter dem dezidierten Titel Psychotherapieeingenommen, sie aber anderswertig verwendet. Bei denletzten Kassenverhandlungen mit dem Hauptverband am 20.Juli wurde im beiderseitigen Einvernehmen beschlossen, dieVerhandlungen bis Ostern 1997 zu unterbrechen, da dieStandpunkte festgefahren waren.Geplante Methoden der EinsparungAm schärfsten waren in den Koalitionsverhandlungen zumKassensparpaket die ÖVP-VertreterInnen zugange. So wurdevon ihnen etwa vorgeschlagen, den Zuschuß um 100,-zu senken. Das würde, nach Wegfallen der Mehrwertsteuerab nächstem Jahr, einen Zuschuß von 200,- für diePatientInnen bedeuten!Weitere Vorschläge, wie die Einsparungen realisiertwerden sollen, gehen in folgende Richtung: Das AusmaßEs ist offensichtlich, daß die Krankenkassen handeln müssen.Tatsächlich droht ihnen, wenn sie wie bisher weitermachen, ein weiteres Milliarden-Defizit. Die Krankenkassenmüssen sparen, das ist ihre kaufmännische Pflicht. DasUngeheure an dem jetzigen Plan ist aber: Die Koalitionspart in erster Linie beim eigenen Denken. Der vorgelegtePlan enthält keinerlei Reformen, keinerlei Strukturveränderungen.Nennt Paul Watzlawick eines der typischen neurotischenMuster: mehr desselben - so handelt die Koalitiongenau nach diesem. Wenn den sozial Schwachen bisherPsychotherapie schon schwer zugänglich wurde, soll es nunjetzt erst recht unmöglich gemacht werden.Statt vernünftiger struktureller Veränderungen wirdpunktuell an Minimalausgaben des Budget für Gesundheitherumgefeilscht.Dutzendfach ist in Studien und Untersuchungen aufgezeigtworden: Psychotherapie bringt, aufs Ganze gesehen,eine vernünftigere und sparsamere Verwendung der begrenztenmateriellen Mittel.Um ein Beispiel zu geben: Dr. Horst Ingruber,Verwaltungsdirektor des AKH, hat in einer Kosten-Nutzen-Rechnung aufgezeigt: Wird eine konventionelle internistischeSpitalsabteilung mit 200 Betten umgewandelt ineine psychosomatische, unter Einbeziehung psychotherapeutischerBehandlung, ergibt sich „bei vorsichtiger kaufmännischerBerechnung“ eine Einsparung von jährlich 115Millionen. Dabei ist, wie er betont, „ein großer Teil desgeorteten Nutzens aus Mangel an Informationen nicht bewertet“.(vgl: M. Hochgerner, E. Wildberger: Psychotherapiein der Psychosomatik, Wien 1995).Man muß sich mal die Relation verdeutlichen, um dasAusmaß an Gedankenlosigkeit zu sehen: Eine 200-Betten-Station kann mehr als 115 Millionen jährlich sparen, obwohlder Aufwand für psychotherapeutische Leistungensteigt.Ein anderes Beispiel: Medikamente im Wert von 3Milliarden landen jährlich in den Müllkübeln, teilsungeöffnet. Der Koalitionsplan sieht eine Einsparung imEXISTENZANALYSE 3/96 47


MITTEILUNGENPharmabereich um 1 Mrd. vor. Wie? Vor allem durchPreisabschläge, Senkung der Großhandelsspanne und auchverminderte Verschreibung. Daß aber die PatientInnen auchvon sich aus Medikamente holen, diese dann doch wegschmeißen,gehört zum gleichen Phänomen wie die unnötigenUntersuchungen. Dahinter liegen doch aber zu allermeistseelische Vorgänge: Beachtung, Zuwendung, Angst.Eine sinnvolle und notwendige Reduzierung der Arzneiverschwendungkann mit psychotherapeutischer Aufklärungviel eher gelingen.Gedankenlosigkeit gefährdet dasSozialversicherungswesenSelbstverständlich ist uns bewußt, daß die Umsetzung ganzheitlicherGesundheitspolitik nicht so einfach und nicht amSchreibtisch erfolgen kann; daß Strukturen und Denkgewohnheitensich ändern müssen. Und dies braucht Zeit.Allerdings muß die Zeit von den Verantwortlichen, die allesandere als eine leichte Aufgabe haben, auch sinnvollgenutzt werden.Das österreichische Sozialversicherungswesen hat - ingeschichtlichem Zusammenhang gesehen - eine große Tradition.Es grenzt an Tragik zu sehen, wie in der öffentlichenDiskussion der letzten Monate spürbar wurde: Dieeingeschliffenen Denkgewohnheiten drohen den gefürchtetenKollaps des Gesundheitssystems eher zu beschleunigendenn zu verhindern.Der WLP und der ÖBVP werden in den nächsten Tagenversuchen, eine Öffentlichkeit in dieser Frage herzustellen.Wir werden auch Gespräche mit PolitikerInnenführen.DSA Ingrid Farag Heinz LaubreuterWLP-Vorsitzende WLP-VorstandAus: WLP-Nachrichten, Jg. 4, 5/96Stellungnahme der <strong>GLE</strong>Das Sparprogramm für die Psychotherapie-Kostenerstattung,das in den ersten Julitagen publik wurde, veranlaßtedie <strong>GLE</strong> zu einer sofortigen Reaktion bei den zuständigenPolitikern - Bundeskanzler Dr. FranzVranitzky, Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel, SozialministerFranz Hums, Wirtschaftskammer-Präsident JohannMaderthaner, ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch,AK-Präsidentin Lore Hostasch und Bundesministerin Dr.Christa Krammer.Wir drucken den Wortlaut, der an den Bundeskanzler geschicktwurde im folgenden ab:Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Dr. Franz Vranitzky!Über den Bundesverband für Psychotherapie haben wir vongeplanten Einsparungsmaßnahmen bei der Kostenrückerstattungfür Psychotherapie erfahren. Demnach sollen dieKosten um 50 Millionen Schilling, das ist rund ein Dritteldes bisherigen Versorgungsstandes, gesenkt werden.Als Vertreter einer wissenschaftlichen Psychotherapiemit dem Anspruch eines flächendeckendenVersorungsangebotes für Österreich treten wir mit allerEntschiedenheit und in aller Öffentlichkeit gegen solcheMaßnahmen ein! Diese Maßnahme ist dazu angetan, mittelfristigdas angestrebte Sparziel im Gesundheitsbereich zuuntergraben. Ist doch schon längst bekannt, daß gut fundiertePsychotherapie die Behandlungskosten insgesamt signifikantsenkt (Senkung der Behandlungsfrequenz, inkl.Spitalsaufenthalte, der Rückfälle, der Behandlungsdauer,der Medikamentenkosten). Einsparung einer erst im Aufbaubegriffenen psychotherapeutischen Versorgung der Bevölkerungbedeutet daher effektiv eine Umwegverteuerungder Gesamtbehandlungskosten der Patienten!Ganz abgesehen vom rein ökonomischen Widersinneiner solchen Maßnahme ist es weder ethisch noch sozialvertretbar, Menschen einem längeren Leiden auszusetzenoder ihnen Hilfe vorzuenthalten, wo diese möglich wäre.Von der psychotherapeutischen Hilfe profitieren nicht nurdiejenen, die sie unmittelbar erhalten, sondern das ganzeBeziehungsnetz, in welchem diese Menschen stehen: ihreFamilien und Angehörigen, Arbeitskollegen und Freundeusw. Die Hilfe, um die es hier geht, vermag mehr Tote proJahr zu verhindern, als weiße Nummerntafeln auf den Autosoder die Senkung der Promillegrenze zusammengenommen.Wer kann dafür die politische Verantwortung übernehmen?Zuletzt sei darauf hingewiesen, daß der politischeWille für den psychotherapeutischen Versorgungsauftrag jagegeben ist und schon 1992 zu einer Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträgeum 0,2 % (gemeinsam für dasPflegegeld) geführt hat. Bisher ist aber das Geld, das dieBevölkerung für die Psychotherapie bereitstellt, nur zu einemFünftel bzw. einem Viertel für die Psychotherapieverwendet worden. Statt die sachgemäße Verwendung derGelder voranzutreiben, sollen sie nun widmungsfremdenBereichen zugeführt werden. Wir ersuchen Sie als verantwortlichenPolitiker, solches Unrecht zu verhindern und derBevölkerung zu ihrem Recht zu verhelfen. Denn es sollnicht das, was 1992 der Bevölkerung als Psychotherapieanspruchverkauft wurde und seither kassiert wird, heimlichund stillschweigend zweckentfremdet anderen Interessenzufließen. Dies wäre ein klarer Betrug an der Bevölkerungund am Berufsstand.Wir hoffen, daß trotz der gespannten ökonomischen Situationdes Landes eine politische Lauterkeit und wirtschaftlicheSachlichkeit bei allenfalls notwendigen Maßnahmenvorherrscht.HochachtungsvollDr. med. Dr. phil. Alfried LängleVorsitzender der <strong>GLE</strong>48 EXISTENZANALYSE 3/96


MITTEILUNGENReaktionen der PolitikerAls Reaktion auf unseren Brief erhielten wir die folgendenStellungnahmen, die wir weitgehendst ungekürzt wiedergeben.Es mag interessieren, wie die einzelnen Parteienmit der Problematik umgehen.Bundesministerium für Arbeit und Soziales(...) Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, sind in den letztenJahren die Kosten im Bereich der Krankenversicherungüberproportional gestiegen; gleichzeitig aber haben die Einnahmender gesetzlichen Krankenversicherungsträger aufgrundder internationalen Wirtschaftssituation einen geringerenZuwachs erfahren als in den Jahren zuvor.Die deshalb mit der 53. Novelle zum AllgmeinenSozialversicherungsgesetz getroffenen Reformmaßnahmensollen dazu beitragen, daß einerseits der hohe Qualitätsstandardder medizinischen Versorgung auch unter Berücksichtigungdes zu erwartenden Fortschrittes der medizinischenWissenschaft auch für die Zukunft gesichert ist unddaß andererseits jedem Anspruchberechtigten der Zugangzu den Gesundheitsleistungen im erforderlichen Ausmaßgarantiert werden kann.Aus dieser Situation ergibt sich - im Rahmen des Möglichen- das Erfordernis eines verstärkten Kostenbewußtseins.Darüber hinaus mußten mit der 53. Novelle zumASVG Maßnahmen zur Erlangung zusätzlicher finanziellerMittel für die gesetzliche Krankenversicherung beschlossenwerden. Allerdings hat der Herr Bundesministerpauschale, nicht gerechtfertigte Kürzungen für einzelneGruppen von Versicherten oder bezüglich der Inanspruchnahmebestimmter Gesundheitsleistungen bzw. Leistungeneines bestimmten Gesundheitsberufes abgelehnt. Es gibtdaher auch keine Festlegung dahingehend, daß - wie vereinzeltkolportiert - im Bereich der Psychotherapie 50 MillionenSchilling eingespart werden sollen. auch die 53.ASVG-Novelle enthält diesbezüglich keinerlei legistischeMaßnahmen.Selbstverständlich muß das Gebot des Kostenbewußtseinsauch für die Psychotherapeuten gelten.Friedrich VerzetnitschPräsident des österr. GewerkschaftsbundesAufgrund Ihrer Anfrage habe ich nähere Informationen eingeholt.Dazu wurde mir folgendes mitgeteilt:Aufgabe - mit von den Entscheidungsträgern der Sozialversicherungbekräftigter Priorität - ist es, zu ermöglichen, daßjeder Versicherte, der Psychotherapie benötigt, diese auchauf Krankenschein erhält.Bei Verwirklichung dieses Gesetzesauftrages ist für dieSozialversicherung die Zielgenauigkeit und die Qualitätssicherungim Auge zu behalten:- Psychotherapeuten, die kranke Patienten auf Kassenkostenbehandeln, müssen besondere Erfahrungen in derKrankenbehandlung erworben haben.- Es soll jene Psychotherapiemethode eingesetzt werden,die dem Patienten eine optimale Behandlung ermöglicht.Allerdings sind bei der „Methodenauswahl“ auch ökonomischeGesichtspunkte zu berücksichtigen.Die Verhandlungen mit dem Österreichischen Bundesverbandfür Psychotherapie wurden bis längstens Ostern 1997ausgesetzt, da in den oben angeführten, für eine optimaleVersorgung der Versicherten zentralen Punkten, keine Annäherungerzielt werden konnte. Dies bedeutet allerdingskeinen Gesprächsstillstand: informelle Kontakte werdenlaufend gehalten; auf Wunsch eines Verhandlungspartnerssind die offiziellen Verhandlungen jederzeit wieder aufzunehmen.Es ist mir nicht bekannt, auf welcher Grundlage dieBehauptung des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapiebasiert, seitens der Sozialversicherung sei esgeplant, jährlich 50 Millionen Schilling einzusparen.Festzuhalten ist aber, daß der Bereich Psychotherapievon den Konsolidierungsmaßnahmen in der gesetzlichenKrankenversicherung nicht ausgenommen werden kann.Dieser generelle Aspekt ist im Auge zu behalten. KonkreteEinsparungsziele bzw. -potentiale sind derzeit nicht definiert.(...)Abschließend ist zu betonen, daß die Sozialversicherungin der Psychotherapie eine Behandlungsform sieht, dieim Rahmen eines qualitativ hochstehenden und effizientenEinsatzes für alle Vesicherten auf Krankenschein sichergestelltwerden muß. Dies ist in einigen Bundesländern schonflächendeckend gelungen. Bestehende Versorgungslückenwerden mit oberster Priorität geschlossen werden.Abgeordnete zum Nationalrat Eleonora HostaschPräsidentin der Kammerfür Arbeiter und Angestellte für Wien(...) Wie Sie sich sicher schon überzeugt haben, ist in der53. ASVG-Novelle keine Neuregelung der Psychotherapiewirksam geworden. Das Protokoll der Ministerratssitzungvom 24.6.1996 wurde jedoch mit folgender Anmerkungversehen:„Die Ausgaben der Krankenkassen für psychotherapeutischeBehandlungen steigen tendenziell sehr stark an.Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger wird bisAnfang 1997 Maßnahmen vorlegen, die Höhe und Umfangder kostenersatzpflichtigen Leistungen in diesem Bereichreduzieren sollen“.Um welche Maßnahmen es sich hier handeln soll, istderzeit nicht bekannt. Die Arbeiterkammer wird sich bemühen,daß in den entsprechenden Verhandlungen trotz derSparnotwendigkeit die Qualität der Leistungen und die Sicherungdieser Qualität besonders beachtet werden.Die AK wird weiterhin eine flächendeckende “Psychotherapieauf Krankenschein” unterstützen. Sie ist - daraufmöchte ich hinweisen - wie keine politische Interessenver-EXISTENZANALYSE 3/96 49


MITTEILUNGENtretung in diesem Land für die Aufnahme der Psychotherapiein den Leistungskatalog der sozialen Krankenversicherungeingetreten. Die Hoffnung jedoch, es werde zueinem bundesweit wirksamen Gesamtvertrag ohne Zuzahlungder Patienten kommen, hat sich nicht erfüllt, nicht zuletztauch deshalb, weil eine Einigung über die Höhe derHonorartarife nicht zustandegekommen ist. Im Gegenteil,die Honorare sind fast im Ausmaß des satzungsmäßigenZuschusses gestiegen; für die Patienten hat sich damit kaumetwas geändert.Meiner Auffassung nach kann das Versorgungsproblemder Psychotherapie nur im Rahmen eines Gesamtvertragesgelöst werden, in dem - wie in den Verträgen mit Ärzten -die psychotherapeutische Leistung mit der Zahlung des gesamtenHonorars durch die Kassen abgegolten ist. Durchsozial gestaffelte Selbstbehalte könnte die finanzielle Mehrbelastungder gesetzlichen Krankenversicherung in Grenzengehalten werden. Allenfalls könnte auch an den Abschlußvon standardisierten Einzelverträgen gedacht werden.Alternativen zu diesem Konzept kann ich gegenwärtignicht erkennen. Ich denke, daß die qualitative Seite derBehandlung auch als Voraussetzung für die vertragliche Beziehungzu den Kassen eine stärkere Bedeutung erhaltensollte (z.B. längere psychotherapeutische Praxis in Krankenanstaltenoder ähnlichen Institutionen nach Abschluß derAusbildung). Im übrigen teile ich Ihre Einschätzung, daßmit der Anwendung von Psychotherapie Kostendämpfungspotentialeim Gesundheitswesen mobilisiert werdenkönnen. Ich glaube aber auch, daß es den Berufsverbändender Psychotherapeuten bisher noch nicht wirklichgelungen ist, alle betroffenen Einrichtungen davon zu überzeugen.Das Büro von Dr. Wolfgang Schüssel erklärte lediglich,nicht zuständig zu sein und verwies an Sozialminister FranzHums.Von Bundeskanzler Dr. Franz Vranitzky, Wirtschaftskammer-PräsientJohann Maderthaner und BundesministerinDr. Christa Krammer erhielten wir leider keine Stellungnahmen.PraxiseröffnungenVORARLBERG DiaLogos - Institut für existenzanalytischeIndividualberatung, Management-Begleitungund Organisations-EntwickungMag. Arnaldo ROMANOSHasenfeldstraße 7b6890 LustenauTel.: 05577/85101, Fax: 05577/85230WIENWIENWIENPraxiseröffnungen FortsetzungSoz.päd. Gabriela APPIANOMaria Treu Gasse 6/91080 WienTel.: 405 13 90Mag. Ruth KRIZ (klin. Psychologin)Psychologisch-psychotherapeutischePraxisSandleitengasse 9-13/5/51160 WienTel.: 489 61 53Mag. Andrea SCHWIENBACHERPsychologinKaiserstraße 26, Stg. 3, 261070 WienTel.: 522 34 78PublikationenLÄN<strong>GLE</strong> A. Das Ja zum Leben finden. Existenzanalyseund Logotherapie. In: Promed 10, 1996, 38-43.Wien: Springer.WOLICKI M. Koncepcja duchowosci czowieka w analizieegzystencjalnej V.E. Frankla (Die Konzeption derGeistigkeit des Menschen in der Existenzanalyse vonV.E. Frankl. In: Premislia Christiana, T. VI,Przemysl 1993/95, 127-135.Abschlußarbeiten in Logotherapieund ExistenzanalyseGAVINO M. Das Findelkind. Eine Fallstudie zur Existenzanalyse.HIRSCH F. Die Frage nach dem Sinn des Lebens. ViktorE. Frankl und Karl Rahner im Vergleich.KINAST R. Christlicher Glaube kann den psychotherapeutischenProzeß auch unterstützen... Erfahrungen ausder Sicht eines Existenzanalytikers.KOSUTA M. Trauma i smisao (Trauma and Meaning).LUSS K. <strong>Schizophrenie</strong> und personale Grundmotivation.RUDOLF T. Auf der Spur der existentiellen Wendung.SACHER M. Existenzanalyse und Logotherapie in derErwachsenenbildung am Beispiel des 2teiligen Vortrages“Familie - Ursprungsort seelischer Gesundheitund seelischer Krankheit”WONDRACZEK M. Lebensberatung zur Lösung menschlicherProbleme.50 EXISTENZANALYSE 3/96


MITTEILUNGENNeue MitgliederFrau Mag. Dr. Susanne IVANEK, Wien (A)Frau Elisabeth KOVARIK, Zwettl (A)Frau Dr. Ingrid MARSCHALL, Wien (A)Frau Dr. Maria REISS-PAWLITSCHKO, Wr. Neustadt (A)Frau Brunhilde ROCKENSCHAUB, Winertsham (A)Frau Mag. Claudia ROMEH, Sparbach (A)Herr Johann BAUER, Wien (A)Herr Steve HARDY , Salzburg (A)Herr Manfred KNOKE, Bremerhaven (D)Herr Hermann KREXNER, Maria Gugging (A)Herr Ahmad MIRSHAMSHIRI, Wien (A)Ausgetretene Mitglieder:Frau Elfriede Guggenberger, Anif (A)Frau Susanne Rosei, Wien (A)Frau Hertha Schwaighofer, Goldegg (A)Frau Dr. Margot Jäger, Stuttgart (D)Frau Dr. Elke Blessing, Albstadt (D)Frau Anne Oehler, Bochum (D)Herr Dr. Reinhard Haller, Frastanz (A)Herr Jürgen Strunk, Penneberg (D)Neue AusbildungsgruppenTEMESVAR/RUMÄNIEN - GRUNDAUSBILDUNGIN EXISTENZANALYSEAusbildung für Ärzte, Psychologen undSozialassistentenLeitung:Beginn:Doz. Dr. T. Mircea, Dr. L. Nußbaum,L. GheorghiuHerbst 1996 (Wochenendkurs)MÜNSTER - LOGOTHERAPIE UND EXISTENZ-ANALYTISCHE BERATUNGLeitung: Christoph KolbeBeginn: 21.-24. November 1996Information: Norddeutsches Institut für ExistenzanalyseBorchersstr. 21D-30559 Hannover, Tel.: 0511/5179000BERLIN -LOGOTHERAPIE UND EXISTENZ-ANALYTISCHE BERATUNGLeitung: Günter FunkeBeginn: November 1996Information: Berliner Institut für Existenzanalyse undLogotherapie, Lietzenburger Str. 39D-10789 Berlin, Tel./Fax: 030-2177727MÜNCHEN - LOGOTHERAPIE UND EXISTENZ-ANALYTISCHE BERATUNGLeitung: Wasiliki WinklhoferBeginn: 26. - 27. April 1997Information: Wasiliki Winklhofer, D-80797 München,Schleißheimerstraße 200Tel.: 089/3087471VORARLBERG - LOGOTHERAPIE UND EXISTENZ-ANALYTISCHE BERATUNGLeitung: Christoph KolbeBeginn: September 1997Information: Norddeutsches Institut für ExistenzanalyseBorchersstr. 21D-30559 Hannover, Tel.: 0511/5179000WIEN - EXISTENZANALYTISCHES FACH-SPEZIFIKUMBankverbindungen der <strong>GLE</strong>Leitung: Liselotte TutschBeginn: 3.-4. Mai 1997 (Aufnahmeseminar)Ort: <strong>GLE</strong> WienInformation: Liselotte Tutsch (Tel.: 89 41 407)SCHWEIZ -EXISTENZANALYTISCHES FACH-SPEZIFIKUMLeitung: A. Längle und Ch. Wicki-DistelkampBeginn: 6.-7. Juni 1997Information: SINNAN - Institut für Existenzanalyseund Logotherapie, Weststraße 87,CH-6314 Unterägeri, Tel.: 041/7505270Österreich:Deutschland:Schweiz:Finnland:Andere Länder:Konto Nr.: 040-33884, Erste Österr.Spar-Casse-BankKonto Nr.: 3135400, Bank für SozialwirtschaftGmbH., BerlinKonto Nr.: 902-127810, StadtsparkasseMünchenKonto Nr. 80-5522-5, Schweiz. Kreditanstalt,6301 ZugKonto Nr.: 500001-524312, OKO-Bank, Helka Makkonen, Logotherapian<strong>GLE</strong>-keräilyWir bitten um Zahlung mittels PostanweisungEXISTENZANALYSE 3/96 51


JAHRESTAGUNG DER <strong>GLE</strong>Die Person in der ArbeitsweltOrt: Steyr / OberösterreichMuseum der ArbeitsweltZeit: 18. - 20. April 1997Beginn: Freitag 14.00 UhrEnde: Sonntag 13.00 UhrDie Vorstellungen von Sinn, Wert und Gestalt der Arbeit sind gesellschaftlich bedingt und historischem Wandel unterworfen.Arbeit galt bei den Römern als Beschäftigung für die Unfreien, während der römische Bürger die “Arbeitslosigkeit”anstrebte und die Muße pflegte. Bei Hegel wird Arbeit hingegen als „Wesensmerkmal des Menschen“ angesehen.Auf dem Weg über Karl Marx gewann das Hegelsche Denken Einfluß auf den Marxismus. Die positive Umbewertungder Arbeit bezieht sich jedoch einseitig auf die Produktivität, jene Arbeit, die Mehrwert produziert. Das mit der Arbeitverbundene soziale Prestige ist in erster Linie an die Erwerbsarbeit gebunden. Nicht bezahlte Arbeiten wie im Haushalt,die Hege und Pflege der Kinder und der älteren Generation wird oft nicht als Arbeit gesehen - man ist “nur zuHause” und “geht nicht arbeiten”. Erwerbstätigkeit und Selbstwertgefühl hängen häufig zusammen und die eigene Identitätist mit dem ausgeübten Beruf eng verbunden. Da die Zeiten der Vollbeschäftigung aber vorüber sind und die Erwerbstätigkeitweiter (und vielleicht in großem Stile) zurückgehen wird, wird Arbeit immer mehr auch zu einem psychologischenund pädagogischen Problem.Die Tagung möchte auf dem Hintergrund dreier Ebenen, der gesellschaftlichen, anthropologisch-philosophischen undtherapeutisch-beraterischen, folgende Themen aufgreifen:1. Der gesellschaftliche Bedeutungswandel der Arbeit in der Geschichte und in den verschiedenen Kulturen.2. Was bedeutet Arbeit für das Mensch-Sein, was bedeuten Berufswahl und Pensionierung?3. Was ist Arbeit? Können wir auf dem Hintergrund der existenzanalytischen Anthropologie eine Definition formulieren?Wo liegt der Unterschied zwischen Tätigkeit und Beschäftigung?4. Gibt es personale Kriterien für einen menschenwürdigen Arbeitsplatz?5. Wie verhalten sich Selbstwert und Arbeit bzw. Arbeitslosigkeit zueinander?6. Weitere Themen: Identität und Arbeit, Routine, innere Kündigung, Burn out, Arbeit als Sucht usw.PROGRAMMVORSCHAUVORTRÄGE:SPOTS:SEMINARE:ANMELDUNG:Alexander VAN DER BELLEN, Rolf KÜHN, Severin MÜLLER, Johannes RAUCHGuido BRÜSTLE, Patricia FREITAG, Günter FUNKE, Peter GRUBER, Rudolf KARAZMANN,Rainer KINAST, Alfried LÄN<strong>GLE</strong>, Christian SIMHANDL, Liselotte TUTSCH, Kurt WAWRAGerlinde ARTAKER und Johannes MATTHIESSEN, Jana BOZUK, Guido BRÜSTLE, Petra EHART,Christian FIRUS und Anke BÖTCHER-PÖTSCH, Elfe HOFER, Rudolf KARAZMANN, RainerKINAST, Rudolf KUNERT, Sabine NEUMANN-RÖDER, Wilfried PEINHAUPT, Johannes RAUCH,Arnaldo ROMANOS, Werner ROTH, Christine WICKI, Wasiliki WINKLHOFERIm Sekretariat der <strong>GLE</strong>. Das ausführliche Programm wird mit EXISTENZANALYSE 1/97 verschickt.52 EXISTENZANALYSE 3/96

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