13.07.2015 Aufrufe

PDF-Vollversion - GLE International

PDF-Vollversion - GLE International

PDF-Vollversion - GLE International

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

TitelEin personales Trauma und seineexistenzanalytische AufarbeitungEine SelbsterfahrungAutorinDr. Iris DornerAbschlussarbeitfür daspsychotherapeutische Fachspezifikum - ExistenzanalyseVorgelegt im Februar 2013Eingereicht bei: DDr. Alfried Längle und Dr. Christine OrglerAngenommen am 7.02.2013von: A. Längle und Ch. OrglerSchloß Hofen, Zentrum für Wissenschaft und Weiterbildung in Lochau


„Alles was wir in Worte fassen können,können wir hinter uns lassen.“(Sokrates)______________________________________________________________ 2


InhaltsverzeichnisZusammenfassung………………………………………………………………………………………………………………5Abstract……………………………………………………………………………………………………………………………….61 Einleitung ........................................................................................................................... 71.1 Die Geschichte - Mein Erleben ............................................................................ 81.2 Die Spur – der Wegweiser zu meinem Trauma ............................................... 141.3 Das Trauma – meine erste Explantation .......................................................... 171.4 Wie ging ich mit meinem Erlebten um? ........................................................... 262 Theoretischer Teil ....................................................................................................... 292.1 Allgemeine Trauma-Theorie ............................................................................... 292.2 Phänomene des Traumaerlebens ........................................................................ 312.2.1 Der Totstellreflex ........................................................................................ 322.2.2 Die Dissoziation ............................................................................................. 332.3 Spezifische posttraumatische Erlebnisformen ............................................ 372.4 Die Existenzanalyse als Grundlage zum Verstehen eines personalenTraumas ............................................................................................................................... 412.4.1 Frankl und die Existenzanalyse ................................................................... 412.4.2 Die heutige Existenzanalyse ....................................................................... 432.5 Die vier Grundmotivationen (GM) ..................................................................... 492.6 Die personale Existenzanalyse (PEA) .............................................................. 572.7 Die Rolle der Angst und Copingreaktionen in der heutigenExistenzanalyse ................................................................................................................ 602.8 Die Diagnostik in der Existenzanalyse ............................................................ 662.9 Verständnis eines Traumas aus existenzanalytischer Sicht ...................... 683 Praktischer Teil ............................................................................................................ 773.1 Mein Verarbeitungsprozess ............................................................................... 77______________________________________________________________ 3


3.2 Die Phänomene meines Erlebens während der Aufarbeitung und desSchreibens ......................................................................................................................... 833.2.1 Flashbacks /Intrusionen und ihre Zuordnung ........................................ 843.2.2 Ambivalenz beim Benennen des Toten ..................................................... 863.2.3 Selbstgefühlsbild – Tektonische Platten ................................................ 863.2.4 Das Sterben - Hirntod und der Prozess des Sterbens ........................ 883.3 Verstehen meines traumatischen Erlebens .................................................... 893.3.1 Verstehen der äußeren Situation .............................................................. 893.3.2 Verstehen aus meiner biographischen Erfahrung ................................. 903.4 Einholen meiner Stellungnahmen (PEA 2) durch Verstehen ........................ 913.4.1 Stellungnahme noch im OP, nach der Dissoziation ................................ 923.4.2 Umgang mit weiteren Explantationen ....................................................... 923.4.3 Stellungnahme heute - oder wie sehe ich es heute? ............................ 933.5 Die Heilung ............................................................................................................. 934 Reflexion und Diskussion ............................................................................................ 96Literaturliste…………………………………………………………………………………………………………………..100Abbildungsverzeichnis……………………………………………………………………………………………………104______________________________________________________________ 4


Zusammenfassung:Bericht über eine im Rahmen der Psychotherapieausbildung durchgemachteSelbsterfahrung. Es handelt sich um eine traumatische Erfahrung währendmeiner beruflichen Tätigkeit als Anästhesistin in der Transplantationsmedizin.Das Trauma ereignete sich bei einer psychisch unvorbereiteten Explantation.Viele Jahre später traten bei mir unerklärliche Angstsymptome auf. Mit Hilfeder heutigen Existenzanalyse nach Längle - anhand der Grundmotivationen undder personalen Existenzanalyse - war es mir möglich, mein Traumaaufzuarbeiten.Schlüsselwörter: Selbsterfahrung, Transplantationsmedizin, Trauma,Grundmotivationen, Personale Existenzanalyse______________________________________________________________ 5


Abstract:This report on self-experience as part of my training in psychotherapy dealswith a traumatic experience during my work at transplantation medicine. Thetrauma developed during an explantation for which I lacked psychologicalpreparation. After many years I experienced symptoms of fear I could notexplain then. With the help of present-day existential analysis Längle-style onthe basis of fundamental motivations and personal existential analysis I was ableto process my trauma.Key words: self-experience, transplantation medicine, psychic trauma,fundamental motivations, personal existential analysis______________________________________________________________ 6


1 EinleitungIn dieser Abschlussarbeit für meine fachspezifische Ausbildung inExistenzanalyse und Logotherapie möchte ich meine Ethikarbeit aus demPropädeutikum noch einmal aufgreifen und weiterführen. Damals hatte ich einBeispiel aus meinem Berufsleben als Anästhesistin gewählt – aus meinerTätigkeit in der Transplantationsmedizin.Im ersten Jahr meiner Ausbildung zur Fachärztin für Anästhesie undIntensivmedizin, an einer deutschen Universitätsklinik, lernte ich dieTransplantationsmedizin kennen. Ich begegnete Organ-Spendern und Organ-Empfängern, dem Tod und der Hoffnung auf ein besseres Leben. AlsAnästhesistin war ich bei der Arbeit in beides involviert.In dieser Ethik- Hausarbeit während des Propädeutikums, setzte ich mich mitmeinem Erleben im Operationssaal während einer Explantation (Organentnahme)bei einem hirntoten Menschen auseinander. Es war meine erste Explantationgewesen, bei der ich als Anästhesistin zuständig war. Diese Zeit im OP und meinenotwendigen, intensivmedizinisch indizierten Handlungen am Organspender – ichmusste ja dafür sorgen, dass die Organe brauchbar (am Leben) blieben – warenfür mich zum Horrortrip geworden. Ich hatte mich in dieser Ethikarbeit sehrintensiv, aber allgemein, mit meinem damaligen Erleben im OPauseinandergesetzt. Ein spezifisches psychotherapeutisches Fachwissen hatteich noch nicht. Die Zuwendung zum Geschehenen und meinem Erleben war sehrschmerzlich, hat mir aber auch geholfen mich und mein Verhalten etwas besserzu verstehen.______________________________________________________________ 7


Später, während meiner existenzanalytischen Ausbildung, lernte ich eine andereDenkweise über das Dasein des Menschen kennen. Für mich hat vieles erstdadurch einen Namen bekommen.Die erneute und sehr intensive existenzanalytische Auseinandersetzung ließ michsehr viel tiefer in meine „vergessene“ Gefühlswelt eintauchen. Ich konnte michwieder einfühlen in das Entsetzen, die einzelnen Gefühle, Gedanken und Bilder,die damals im Operationssaal (OP) so blitzartig in mir aufgetaucht waren undmich so gepackt und erschüttert hatten. Mein theoretischesexistenzanalytisches Wissen führte mich zu einem tieferen Verstehen meinerselbst und eine erstaunliche Wirkung setzte bei mir ein.Mein Erleben im OP war ein personales Trauma gewesen, das sich mir die ganzenJahre über in Form von panikartigen Angstzuständen in bestimmten Situationenim Straßenverkehr gezeigt hatte. Mit der existenzanalytischen Bearbeitungmeines Traumas sind diese schrecklichen Angstzustände verschwunden. Einealte Wunde wurde geheilt.1.1 Die Geschichte - Mein ErlebenGeboren zu Kriegsende, in einer Zeit des Umbruchs und Umdenkens, prägten diesogenannten Nachkriegsjahre meine Wertvorstellungen und persönlicheLebenshaltung. Im Folgenden beziehe ich mich auf meine Jugendzeit und diedamit verbundene Entscheidung, Ärztin mit klaren Grundhaltungen zu werden.Im Weiteren beschreibe ich meinen Einstieg in die Facharztausbildung und dieIntensivmedizin sowie die rechtliche Entwicklung der Transplantationsmedizin.______________________________________________________________ 8


• JugendIch bin in der Nachkriegszeit aufgewachsen. Eine dichte Atmosphäre der Nazi–Ideologie war überall noch sehr intensiv spürbar. Es sprach zwar keiner offendarüber, aber man begegnete im Alltag ständig, in Form von verstecktenÄußerungen, ihrem Denken und ihren Haltungen wieder. In ihrerWillkürherrschaft hatten die Nazis den Menschen zur Sache deklariert und ihmdamit seine Würde genommen. Das Nazi-Herrenvolk bewertete und entschied,wer ein Mensch war und leben durfte, wer als Sache nur noch Nutzwert besaßund wer so wertlos war, dass er sogar sterben musste.Im Schulunterricht hörten wir wieder, was Würde bedeutet. „Die Würde ist derfundamentalste Wert des Menschseins. Die Würde des Menschen liegt in seinerSelbstbestimmung. Ihm gebührt Respekt und Wertschätzung. Er darf nichtdurch andere für ihre Ziele benutzt werden. Der Mensch hat ein Recht auf einNein.“Kant postulierte die Würde als Grundgesetz (Schülerduden Philosophie 1985,477-488; Mittelhochdeutsch: „Würde“ = Wert, Ansehen – Amtsträger). In einerVariante des kategorischen Imperativs formulierte Kant seine Haltung derWürde: „…Immer so zu handeln, dass man sich der personalen Würde desAnderen bewusst bleibe und diese auf keinen Falle verletze, indem man denAnderen zum Mittel anderer Zwecke degradiere…“.In dieser Haltung bewahrt der Mensch auch seine eigene Würde. Kurzgefasst:“Was du nicht willst, das man dir tut, das füg’ auch keinem anderen zu.“Seit 1948 garantierte das Grundgesetz der BRD in Artikel 1 die Unantastbarkeitder Menschenwürde. Die Ewigkeitsklausel legte die Menschenrechte als ein______________________________________________________________ 9


universelles, unveräußerliches und unteilbares gemeinsames Gut der Menschheitfest. Als Menschen sind wir verpflichtet, diese Rechte zu verteidigen und zuschützen.In meiner Jugendzeit lernte ich auch das Denken und Handeln AlbertSchweitzers kennen. Seine Haltung „Ehrfurcht vor dem Leben“ und wie er sieals Arzt und Mensch im Umgang mit der Natur umsetzte, beeindruckte undbeeinflusste mich sehr. Albert Schweitzer war das Idol meiner Jugend. DiesemVorbild strebte ich nach. Ich wollte unbedingt selbst Medizin studieren, Ärztinwerden und so arbeiten wie er. Auch ich wollte helfen und heilen, ohneBewertung des Menschen. Seine Haltung und sein Umgang mit dem Lebenmotivierten mich sehr während meiner ganzen Studienzeit. Sie gaben mir vielFreude und Energie mit auf meinem beruflichen Weg.Beim Abschluss des Studiums – vor dem Eintritt ins Berufsleben - gelobten wirJungmediziner den Eid auf unsere Berufspflichten als Ärzte. In Anlehnung anden Eid des Hippokrates hatte der Weltärztebund 1948 diesen Eid in das GenferÄrzte-Gelöbnis umformuliert (Landesärztekammer Hessen, Ärzte-Info 18.5.06):„Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich feierlich, meinLeben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen. Ich werde meinen Beruf mitGewissenhaftigkeit und Würde ausüben. Die Erhaltung und Wiederherstellungder Gesundheit meiner Patienten soll das oberste Gebot meines Handelns sein.Ich werde alle mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod des Patientenhinaus wahren. Ich werde mit allen meinen Kräften die Ehre und die edleÜberlieferung des ärztlichen Berufes aufrechterhalten und bei der Ausübungder ärztlichen Kunst keinen Unterschied machen weder nach Religion,Nationalität, Rasse noch nach Parteizugehörigkeit oder sozialer Stellung.______________________________________________________________ 10


Ich werde jedem Menschen, von der Empfängnis an, Ehrfurcht entgegenbringenund selbst unter Bedrohung meine ärztliche Kunst nicht in Widerspruch zu denGeboten der Menschlichkeit anwenden. Ich werde meinen Lehrern und Kollegendie schuldige Achtung erweisen. Dies Alles verspreche ich feierlich auf meineEhre.“Mit den Haltungen• der unantastbaren Würde des Menschen,• der Ehrfurcht vor dem Leben und• dem Genfer Ärzte-Gelöbnisstürzte ich mich begeistert in mein Berufsleben.Meinen Werten und meiner Haltung zum Leben fühlte ich mich innerlich festverbunden und auch gut in ihnen verankert. Auch der äußere Rahmen derärztlichen Arbeit war geschützt und durch das Grundgesetz und denHippokratischen Eid abgesichert. Dem Nazidenken war somit ein Riegelvorgeschoben. So etwas konnte es nicht mehr geben.• Meine Arbeit als Ärztin in der Anästhesie und Intensivmedizin1978 begann ich mit meiner Facharztausbildung an einer deutschenUniversitätsklinik. Es war die Zeit des großen Umbruchs in der Medizin. In jenenJahren hatten die Anästhesie und Intensivmedizin rasante Fortschrittegemacht. Mit der künstlichen Beatmung, der Entwicklung der Herz-Lungen-Maschine war, besonders im operativen Bereich, bisher Unmögliches möglichgeworden. Die technische Entwicklung moderner medizinischer Geräte erlaubteeine schnelle und sichere Diagnostik und ein schnelleres Eingreifen bei______________________________________________________________ 11


drohender Gefahr. Patienten überlebten durch die IntensivmedizinErkrankungen, bei denen sie vorher keine Chance gehabt hätten.Schon während meines Studiums konnte man, über das EKG Monitoring, den Todeines Menschen mit Sicherheit feststellen. Der Gedanke an „Scheintod„ hatteseinen Schrecken verloren. Jetzt konnte man sogar den Hirntod eines Menschenfeststellen, auch wenn das Herz durch die künstliche Beatmung noch weiterschlug. Dies empfand ich zunächst als eine weitere Erleichterung bei derFeststellung des Todeszeitpunktes eines Menschen. Insgesamt fand ich dieArbeit in der Klinik äußerst spannend und die vielen neuen Möglichkeiten dermodernen Medizin faszinierten mich sehr.• Die TransplantationsmedizinDie Zeit des Umbruchs und Aufbruchs in die moderne Medizin war geprägt vonvorher unvorstellbaren und schwindelerregenden Möglichkeiten.Die Hirntoddiagnostik, sowie der medizinische Fortschritt in der Intensiv- undNotfallmedizin, ermöglichten auch die Transplantationsmedizin. Beim Hirntodsind das Gehirn und Atemzentrum ausgefallen, das Herz und die anderen Organefunktionieren durch künstliche Hilfe noch eine Zeit lang weiter.Nach der 1. Herztransplantation durch Christian Barnard, im Jahre 1968 inKapstadt, war die Transplantationsmedizin nicht mehr aufzuhalten. Um sieungehindert durchführen zu können, musste das Todeskriterium umdefiniertwerden - ein ethisches Umdenken fand statt.______________________________________________________________ 12


• Umdefinition des Todeszeitpunktes durch die Ethikkommission 19681968 trat an der renommierten Harvard-Medical-School in den USA eineEthikkommission zusammen. Mediziner, Philosophen und Theologen überdachtendas Konzept der Todeszeit-Bestimmung neu. Damals galt nämlich noch nachinternationalen und national-standesrechtlichen Auffassungen das sogenannte:• „Herz-Kreislauf-Todeskriterium“,d.h. erst wenn das Herz eines Menschen irreversibel nicht mehr schlägt,ist dieser Mensch als tot zu betrachten.Die Ethikkommission verkündete bald ein neues Todeskriterium, das:• „Hirntod-Kriterium“Nach diesem Konzept ist ein Mensch tot, wenn er sich in einemirreversiblen Koma befindet und die Beendigung der künstlichen Beatmungzu einem Herz-Kreislaufstillstand führt.Die Umdefinition des Todeszeitpunktes eröffnete in der operativen Medizin eineunvorstellbare Handlungsbreite. Die Faszination neuer „Chancen“ war so groß,dass die Gesellschaft bereitwillig das neue Denken übernahm und dieTransplantationsmedizin hielt in großem Rahmen Einzug in die Medizin.Gegenstimmen, Skepsis und Widerwillen gegen diese moderne Medizin bliebenunbeachtet. Auch die Gedanken und Gefühle, der an einer Explantation undImplantation beteiligten Personen, wurden als unbedeutend angesehen. Dergesellschaftliche Stellenwert der Transplantationsmedizin war mittlerweile vielzu stark geworden und sie ist auch heute aus dem Alltag nicht mehrwegzudenken.______________________________________________________________ 13


1.2 Die Spur – der Wegweiser zu meinem Trauma„Sommerzeit - Motorradzeit – Nierenspenderzeit!“ - diese drei Worte hattensich durch die Transplantationsmedizin schon zu Beginn meinerFacharztausbildung unauslöschlich in mein Gedächtnis eingraviert. Die Spenderwaren damals Unfallopfer mit Schädel-Hirn-Trauma gewesen. Es warenvorwiegend Motorradfahrer, da es noch keine Helmpflicht gab. Sie warenüberwiegend jung und gesund und mitten aus dem Leben gerissen, d.h. all ihreOrgane waren grundsätzlich im optimalsten und brauchbarsten Zustand –bestens geeignet für die Organspende.Schon während des Schreibens meiner Ethikarbeit für das Propädeutikumstellte ich fest, dass ich über viele Jahre hinweg an zunehmenden panikartigenAngstzuständen im Straßenverkehr gelitten hatte. Deutlich wurden sie für michaber erst nachdem ich 1983 von einer deutschen Großstadt in die BergweltÖsterreichs umgezogen bin. Auf Deutschlands Straßen war ich vorher selteneinem Motorradfahrer begegnet. Meist hatte ich während meiner Arbeit durchihre Unfälle mit ihnen zu tun. In Österreich setzte damals gerade derMotorradboom ein. Auf den Bergstraßen, einem wahren Eldorado fürMotorradfahrer, begegnete ich ihnen auf Schritt und Tritt.Hier begannen auch meine Ängste. Sie traten nur auf, wenn ich unterwegs imStraßenverkehr einem Motorradfahrer begegnete und machten sich besondersbeim Autofahren stark bemerkbar. Verkehrsteilnehmer (Fußgänger, Radfahrer,Auto etc.) mit „normalem“ Verhalten lösten keine Reaktion in mir aus. Bei„wilden“ Verkehrsteilnehmern tauchte in mir immer blitzartig der Gedanke„Nierenspender“ auf. Ich schimpfte auch „Nierenspender“ ärgerlich hinterihnen her. Schließlich waren Unfallopfer potenzielle Spender.______________________________________________________________ 14


Außer Ärger stellten sich aber keine anderen für mich unerklärlichen Gefühleoder Ängste ein.Völlig anders erlebte ich mich, wie erwähnt, bei der Begegnung mitMotorradfahrern. Auch hier tauchte jedes Mal der Blitz-Gedanke„Nierenspender“ auf. Gleichzeitig bekam ich ein ungutes, flaues Gefühl in derMagengrube und eine leichte Übelkeit stieg in mir hoch. Dazu gesellte sich nochein wehes Gefühl in der Herzgegend. Dieses eigenartig elende Gefühl setzte sichin meinem Brustkorb fest und hielt eine Weile an. Vorerst schenkte ich diesennegativen Empfindungen wenig Beachtung. Ich schob sie so gut es ging beiseiteund lenkte mich ab. Weiterhin unternahm ich meine Freizeitausflüge in dieBerge. Doch schon der Gedanke, dort mit hoher Wahrscheinlichkeit einemMotorradfahrer zu begegnen, löste großes Unbehagen in mir aus. Ich schafftees dennoch, mich zu überwinden. Meine Freude über die Natur ließ mich meininneres Unbehagen aushalten.Leider verschlimmerte sich mit jeder Begegnung eines Motorradfahrers meinungutes Erleben. Die seltsamen Gefühle intensivierten sich und ich musste michimmer öfters am Lenkrad meines Autos richtig festhalten, um überhauptweiterfahren zu können. Ganz schlimm wurde es nach einem Gespräch mit einemAnästhesiepfleger während unserer Arbeit. Wir unterhielten uns über dieTransplantationsmedizin. Er berichtete mir ganz entsetzt über ein Ereignis, dassein Vater einige Tage zuvor an einer Tankstelle erlebt hatte. Der Vater wolltegerade tanken als eine Kolonne Motorradfahrer vorbei raste. Einer von ihnenmachte einen „Schlenker“. Beim Aufprall auf eine scharfe Kante wurde erregelrecht enthauptet. Sein Kopf rollte auf das Tankstellengelände und dasMotorrad raste mit dem Enthaupteten noch weiter.______________________________________________________________ 15


Ich war geschockt. Blitzartig schoss mir der Gedanke durch den Kopf: “Das istwie damals im OP. Der Kopf ist tot und der Körper lebt weiter“. Gleichzeitigtauchte dazu in mir das Bild meiner ersten Explantation auf. So schnell wie derGedanke und das Bild aufgetaucht waren, so schnell waren sie auch wiederabgetaucht und vergessen.Anschließend wurden meine unerklärlichen Zustände noch viel heftiger undgrauenvoller. Sie tauchten schon auf, wenn ich von weitem einen Motorradfahrersah oder hörte. Kamen ganze Kolonnen oder lagen sie schräg in der Kurve, war esganz aus. Ich musste dann, ans Lenkrad geklammert, an den Straßenrand fahrenund wagte nicht zu atmen. Ich bekam Herzrasen und war unfähig zu denken odermich zu bewegen und habe mich nur noch festgehalten. Festgeklammert amLenkrad meines Autos wartete ich am Straßenrand bis die Motorradfahrer mitSicherheit über alle Berge sein mussten. Erst danach konnte ich mich wiederlangsam beruhigen und durchatmen. Ich wurde wieder denk- und handlungsfähigund auch wieder fähig, die Fahrt fortzusetzen. Ich fand meine Reaktion ganzverrückt und konnte sie nicht verstehen. In diesen Situationen fühlte ich michzutiefst bedroht. Doch wie konnte ich mich bedroht fühlen, wenn die Situationenweit und breit für mich nicht gefährlich waren?Die Freude am Motorradfahren verstand ich sehr gut– als Kind durfte ich sieselbst einmal als Mitfahrerin erleben. Aber mich und mein Verhalten – meine„Zustände“ konnte ich nicht einordnen. Ich hatte keine Angst um mich, sonderndass einem Motorradfahrer etwas passieren könnte und ich das sehen müsste.So etwas hatte ich doch früher nicht gehabt. Ich bekam das Gefühl: „ich spinne“und „ich werde komisch“. Es war mir schon bewusst, dass mein Erleben irgendwiemit der Transplantationsmedizin zusammenhängen musste. Wenn ich aktiv an die______________________________________________________________ 16


Zeit an der Universitätsklinik und die Transplantationsmedizin zurück dachte,tauchten immer dasselbe Bild und derselbe Gedanke in mir auf:• Der OP-Saal und meine erste Explantation – ein junger Motorradfahrer• Der Gedanke – „es war nicht schön“Das war aber auch alles. Auf die Idee, dass dies ein entscheidendesSchlüsselerlebnis für meine Zustände war, kam ich nicht. Er war nämlich nichtder einzige Motorradfahrer geblieben, den ich als Organspender auf dem OP-Tisch gehabt hatte.1.3 Das Trauma – meine erste Explantation1978, als ich meine Facharzt-Ausbildung an einer deutschen Universitätsklinikbegann, steckte die Transplantationsmedizin noch in den Kinderschuhen. Anmeiner Ausbildungsklinik transplantierte man damals nur Nieren und führteOrganentnahmen an hirntoten Spendern durch. Ich hatte schon einige Patienten,die eine Niere bekamen, anästhesiologisch betreut und fand es einfachwunderbar, wie man Menschen zu einer besseren Lebensqualität verhelfenkonnte. Das Ermöglichen einer Explantation (Organentnahme) gehörte aber auchin den Bereich meiner anästhesiologischen Arbeit.Im Folgenden schildere ich die Gesamtsituation und mein Erleben währendmeiner ersten Explantation.Eines Tages war es soweit. Mein OP wurde für eine mögliche Explantationfreigehalten wurde. Der mögliche Spender war ein junger Mann, dem ich schoneinige Male während der Visite auf der Intensivstation begegnet war. Ein______________________________________________________________ 17


hübscher, junger Mann mit schmalem Gesicht, dunkelhaarig, schlank, groß undMitte zwanzig. Seine Diagnose:Schädel – Hirntrauma nach Motorradunfall, Hirntod,keine Anzeichen für eine Verletzung der inneren Organe.Während der Visite hatte er immer ausgesehen, als würde er friedlich schlafenund unsere Geräte würden ihm nur assistieren, um wieder gesund zu werden. SeinZustand hatte sich trotz Intensivmedizin immer weiter verschlechtert. So liefdie vorgeschriebene Hirntod-Diagnostik nochmals an, denn er kam als Spenderinfrage. Dazu musste, in gewissen Zeitabständen, mehrmals der neurologischeStatus* erhoben und die Hirnströme (EEG) gemessen werden. Er war auchangiographiert worden. Die heutigen modernen diagnostischen Hilfsmittel gab esdamals nicht. All diese wiederholten Untersuchungen sollten eine Fehldiagnoseausschließen. Das Gehirn durfte keinerlei Aktivität und Durchblutung zeigen.Damit war das Hirn tot. Dies war, von Seiten der Ärzte, die Voraussetzung fürdie Freigabe des Spenders.Im Gegensatz zu Österreich musste in Deutschland die Einwilligung derAngehörigen eingeholt werden. Heute noch gilt dort diese „erweiterteEinwilligung“. Spenderausweise gab es damals noch nicht. Zusätzlich war dieZustimmung der Ethik-Kommissionen notwendig. Für uns Ärzte nahm der ganzeAblauf sehr viel Zeit in Anspruch. Die Transplantationsmedizin war erst amBeginn, sich zu entwickeln und so waren die Menschen mit dem Thema„Organspende“ noch gar nicht konfrontiert worden. Die Wartezeit auf dieFreigabe war eine Zeit zwischen Hoffen und Bangen.* Untersuchung der Reflexe, besonders der Hirnnerven und des Hirnstammes; im Hirnstamm istder Sitz des Atem- und Kreislaufzentrums.______________________________________________________________ 18


Wir hofften auf die Zustimmung der Angehörigen und bangten gleichzeitigdarum, noch genug Zeit für die Explantation zu haben. Der Zeitdruck war enorm.Konnten wir auf der Intensivstation mit Hilfe unserer Maschinen undMedikamente den Kreislauf des Hirntoten solange stabilisieren, damit seineinneren Organe bis zur Entnahme nicht geschädigt wurden? Letztendlich konntenauch wir mit Hilfe unserer Apparate den Tod eines Menschen nicht verhindern,wir konnten den Tod nur eine begrenzte Zeit hinausschieben - das war nur eineFrage der Zeit. Das Intensiv-Team auf der Station, sowie das Anästhesie-Teamim OP hatte die gleiche Aufgabe - wir mussten den Kreislauf unter allenUmständen aufrechterhalten. Jetzt durfte es keinen gravierendenBlutdruckabfall mehr geben. Wenn doch, durfte er nicht lange andauern, sonstwären die Nieren unbrauchbar geworden. Alle Vorbereitungen und daszermürbende Warten sorgten für ungeheure Spannung und Stress auf derIntensivstation sowie bei uns im OP.Dann war es soweit – der Hirntote wurde von seinen Eltern und derEthikkommission zur Organspende freigegeben. Der Organspender kam wiegeplant in meinen OP - jetzt war ich verantwortlich. Ich wusste nicht, was aufmich zukommen würde. Zwar hatte ich mich vorher bei meinen Kollegenerkundigt, wie so eine Organentnahme insgesamt ist, ich bekam aber von allennur ein vages: „Es ist nicht schön“ zu hören. Das war alles. Auf der Sachebenejedoch informierte man mich ganz genau über den Ablauf meiner Tätigkeit undmeine Verantwortung:„Kreislauf aufrechterhalten bis die Nieren entfernt sind, die Beatmung abstellenund den Zeitpunkt notieren, dann abwarten bis die Herzfunktion auf demMonitor erlischt und auch diesen Zeitpunkt notieren.“______________________________________________________________ 19


So ging ich mit den sachlichen Anweisungen für das gesamte Vorgehen, aberpsychisch total unvorbereitet, in meinen Operationssaal. Was ich dann erlebte,traf mich wie ein „Bombeneinschlag“ – es war wie ein Erdbeben inmittenmeines bisher normalen beruflichen Alltags.Im OP war alles vorbereitet. Alles musste nahtlos ineinander übergehen undfunktionieren. Drei Teams warteten - die Operateure für die Explantation, einTeam für die Weiterversorgung der entnommenen Nieren und ich mit meinemAnästhesieteam. Wir standen alle unter Vollstress. Die Zeit war inzwischenschon äußerst knapp geworden. Im Schnellschritt wurde der Spender (Patient) inseinem Intensivbett in den OP gebracht. Er war noch an allen Gerätenangeschlossen. Sein Zustand hatte sich während der Wartezeit weiter erheblichverschlechtert. Der Kreislauf drohte gerade, trotz aller intensivmedizinischenMaßnahmen, zu versagen.Der Wettlauf mit der Zeit – der Endspurt - hatte begonnen! In Windeseilelagerten wir den Spender (Patienten) auf den OP-Tisch und schlossen unsereGeräte an. Wir behandelten ihn wie einen stark blutenden, akutSchwerstverletzten, dessen Leben an einem seidenen Faden hing. Sofort, nacheiliger Desinfektion und steriler Abdeckung, wurde schon der erste Schnittgesetzt und blitzschnell die Bauchhöhle geöffnet. Eine Blutstillung führte mannicht durch. Dies hätte zu viel kostbare Zeit gebraucht. Das Blut glich durch dievielen Infusionen ganz dünnflüssigem rotem Wasser und es blutete dadurch ausallen „Löchern“. Ich hatte alle Hände voll zu tun, den Blutverlust mit weiterenInfusionen auszugleichen. Bis zur endgültigen Nierenentnahme musste dieSauerstoffversorgung des Gewebes durch die Infusionen und die Beatmung aufjeden Fall gewährleistet sein.______________________________________________________________ 20


Zeit zum Nachdenken hatte ich nicht. Der Operateur war schon bei derNierenentnahme. Nieren und Harnleiter suchen, freilegen - Harnleiter undGefäße abklemmen und abtrennen, Nieren herausnehmen – schon war es vorbei.Alles andere war gleichgültig. Die Nieren selbst wurden jedoch äußerst schonendund sorgsam behandelt – der Rest war unwichtig.Alles hatte geklappt. Wir hatten zwei lebensfähige Nieren (Organe) gerettet.Schlagartig legte sich die Hektik am OP-Tisch. Mit den Nieren in den Händeneilte der Operateur zum Weiterversorgungsteam an den Nebentisch und sagteso nebenbei zu mir: „Jetzt können Sie abdrehen.“Das Operationsgebiet sah aus wie ein Schlachtfeld. Überall verteilte sich dasdünnflüssige Blut. Ich starrte auf die offene und ausgeweidete, blutigeBauchhöhle, die blutdurchtränkten Abdecktücher und anschließend auf das fahl –wächserne Gesicht des jungen Mannes und ich drehte automatisch ab, d.h. ichschaltete das Beatmungsgerät aus. Ganz automatisch und folgerichtig trennteich das Beatmungsgerät vom Beatmungstubus, löste die Fixierung und zog denTubus aus der Luftröhre. Anschließend notierte ich das Ende der Beatmung imProtokoll. Ich tat routinemäßig alles, ohne nachzudenken.Nach der vorausgegangenen Hektik breitete sich jetzt eine unheimliche Ruhe imOperationssaal aus. Alle hatten inzwischen den Raum verlassen und ich war mitdem Jungen allein. Ein schrecklicher Gedanke schoss mir plötzlich durch denKopf und gleichzeitig erfasste mich ein riesiger Schrecken.„Mein Gott, wir machen ja dasselbe wie die Nazis. Nichts wie weg!.“Aber ich war wie gelähmt und unfähig zu reagieren. Nur mein Blick wanderte vomGesicht des Jungen über seinem geöffneten Bauch, weiter zur abgestelltenBeatmungsmaschine und dann zum laufenden Monitor auf dem noch immer ein______________________________________________________________ 21


normales EKG zu sehen war. Mein Blick wanderte langsam einige Male hin undher. Plötzlich erfasste ich die Situation - ich selbst war mitten drin in diesemGeschehen und ich war sogar selbst daran beteiligt. Ich war fassungslos über dieganze Situation und über mich selbst. In meinem ganzen Körper machte sich einimmer stärker werdendes unheimliches, gelartiges Gefühl breit. Ich wurdeinnerlich ganz zähflüssig und starr und konnte nichts dagegen tun. Wie festbetoniert saß ich auf meinen Stuhl.In meinem Inneren tobte aber ein wildes Gedanken- und Gefühlschaos:• „Das ist ja alles sinnlos. Erst rette ich, dann drehe ich ab. Alles was ichgemacht habe, ist umsonst gewesen. Der war doch tot. Das ist ja allesganz verrückt.“• „Mein Gott, was hast du getan - jetzt hast du ihn umgebracht. Du bist eineMörderin. Du hast ES (töten) getan.“• „Machen wir so etwas? Das ist ja wie im KZ und ich mache mit.“• „Bin ich zu allem fähig?“Es war, als hätte jemand einen Vorhang weggerissen und mir den Blick auf einvöllig anderes Bild von mir freigegeben. Eine tiefe Scham überkam mich, als icherkannte, wozu ich fähig war, denn ich hatte ES ja getan. Ich war zutiefstentsetzt über mich.• „So etwas tust du! Da sagt einer „dreh ab“ und du machst das auch nochund drehst einfach ab.“• „Mein Gott, wenn das jetzt noch jemand gesehen hat, kannst du dich nichtmehr im OP blicken lassen. Wenn das die Anderen gesehen haben – nichts wieweg.“______________________________________________________________ 22


Ich schämte mich so sehr über mich, dass ich am liebsten vor mir und denAnderen geflohen wäre oder mich im OP verkrochen hätte. Aber Fliehen gingnicht, meine Aufgabe war noch nicht zu Ende. Mein Auftrag war, den endgültigenHerzstillstand im EKG abzuwarten und ins Protokoll einzutragen – denendgültigen Todeszeitpunkt notieren. Die Zeit des Wartens auf die Nulllinie imEKG, den Herzstillstand begann. Ich musste das einfach alles aushalten!Vorher war es ein normaler Anästhesiealltag gewesen - und jetzt war schlagartigalles anders und außer Kontrolle geraten. Es war etwas geschehen, mit dem ichniemals gerechnet hatte. Nichts war mehr so, wie es meinen Vorstellungen undbisherigen Erfahrungen entsprach. Was hatte ich mit meinen Werten gemachtund wo waren sie geblieben? Das war zu viel. In mir war nur noch Entsetzen übermich und die Situation. Wir hatten einen jungen Mann für einen Zweckverwendet und ich war daran beteiligt, indem ich einfach abgedreht hatte. Ichhätte es niemals für möglich gehalten, dass wir so etwas tun würden und ich auchnoch daran beteiligt war,In diesem Augenblick stieg ich aus mir aus.Dieses Aushalten tat ich aus sicherer Entfernung. Wie eine Außenstehende sahich mir selbst von hinten, aus einer leicht erhöhten Position, aus demHintergrund zu. Von dort aus sah ich mich neben dem Patienten sitzen undwarten. Da waren das „blutige Schlachtfeld“ – der offene Bauch, das fahleGesicht des Patienten ohne Tubus, das abgeschaltete Beatmungsgerät, dahinterdie Kacheln der OP-Wand mit der tickenden Uhr. Die Kacheln und die Uhrerschienen mir riesengroß. Das unaufhaltsame Ticken der Uhr wurde immerlauter und aufdringlicher. Der Monitor zeigte ein regelmäßiges, normales EKGdasnicht enden wollte - obwohl das Herz schon nicht mehr schlug. Es wollte undwollte nicht aufhören - es war einfach nur noch gespenstisch. Dem hartnäckigen,dröhnenden Ticken der Uhr und dem hellen, durchdringenden Piepston des EKGs______________________________________________________________ 23


fühlte ich mich hilflos ausgesetzt. Alles war unerträglich und dauerte eineEwigkeit. Endlich eine kurze Rhythmusstörung – das EKG wurde langsam,verzerrte sich und erlosch.Endlich die Null-Linie!Irgendwie notierte ich ganz mechanisch die Uhrzeit.Jetzt war der junge Mann endgültig tot.Mir war, als wäre er dreimal gestorben• Hirntod durch den Motorradunfall• Beim Abstellen der Beatmung - ohne Sauerstoff kein Leben• Null-Linie im EKG – d.h. HerzstillstandDie beiden letzten Male (Tode) war er in meiner Wahrnehmung durch michgestorben.Innerlich war ich total in Aufruhr. Es war entsetzlich! Irgendwie verstand ichdie Welt nicht mehr. In meinem Kopf jagten sich nur noch die Gedanken:„ Was war das alles! Das war ja alles umsonst, alles war sinnlos. Jetzt werde ichverrückt! Was geht hier überhaupt vor sich? Zunächst hatte ich alles getan, umeinen Hirntoten, der jedoch wie ein Lebender aussah, am Leben zu erhalten. Ichhatte ihn wie einen Notfallpatienten behandelt. Das war Stress in höchsterPotenz - ging es doch ums Überleben. Anschließend hatte ich auf Anweisung dasBeatmungsgerät aktiv abgeschaltet und tatenlos zugesehen, bis alles zu Endewar.“ „Erst rette ich und dann drehe ich ab. Mein Beruf war helfen – ich hattegeholfen. Anschließend hatte ich getötet – einfach abgehängt und abgewartet.“Ich hatte entsetzliche Schuldgefühle und fühlte mich wie ein Handlanger, derauf Anweisung getötet hatte. “Dass wir so etwas hier machen.“ Weiter kam ichmit meinem Denken und Fühlen nicht.______________________________________________________________ 24


Mein ganzes Denken und Erleben waren so intensiv und heftig, aber das warnicht ich, die das gerade Erlebte getan hatte. Es war diese Andere, die dortneben dem Patienten saß. Aus dem Hintergrund beobachtete ich DIE da vor mir.Sie saß mit dem Rücken zu mir neben dem Patienten und wartete einfach nur ab.Wie lange alles andauerte weiß ich nicht. Ich hatte kein Zeitgefühl dafür – esschien mir wie eine Ewigkeit. Irgendwann kehrte ich wieder in die reale Weltzurück. Ich wurde wieder denk- und handlungsfähig.Jetzt hätte ich den OP verlassen können. Es war Aufgabe des Pflegeteams derIntensivstation, den Toten zu übernehmen, ihn zu säubern und für dieAngehörigen zum Abschiednehmen herzurichten. Ich konnte aber nicht soeinfach gehen. Der junge Mann war mein Patient gewesen und ich fühlte mich fürihn als Menschen verantwortlich und ihm auch als Mensch verbunden. Wir hattenihn wie einen Gegenstand behandelt und ich fühlte mich unendlich schuldig. Wäreer kein Organspender gewesen und trotz meines Einsatzes gestorben, hätte ichnicht ein so absurdes Gefühl und Entsetzen erlebt. Er hätte es einfach nichtgeschafft - das hätte ich akzeptieren können.Erneut wandte ich mich ihm zu, betrachtete ihn eine Weile und begann bedächtigalle Infusionsnadeln zu ziehen. Mit feuchten Tupfern wusch ich langsam alleBlutspuren am Kopf, Hals, Armen und Brustkorb ab. Die Einstichstellen derInfusionsnadeln verklebte ich sorgfältig mit Pflastern und Druckverbänden, weildas verdünnte Blut noch immer nachsickerte. Bei dieser Handlung ließ ich mir vielZeit. Es war mir sehr wichtig - es war wie ein Ritual. Irgendwie war ich ihm undmir das schuldig. Damit konnte ich ihm und mir unser Menschsein wiederzurückgeben und die Welt wurde wieder ein Stück normaler für mich. Ohne ihnzu versorgen, hätte ich den OP nicht verlassen und zur täglichen Arbeitübergehen können.______________________________________________________________ 25


Wäre ich einfach gegangen, hätte ich nie mehr in einen Operationssaalzurückkehren können. Es war ungewöhnlich ruhig um mich herum. Kein Menschstörte mich dabei oder drängte mich aus dem OP, damit das normale OP-Programm weitergehen konnte. Ein Operateur kam zurück und verschloss mitgroben Stichen den Bauch. Sonst ließ sich niemand sehen oder hören. Alle hieltensich respektvoll zurück. Erst nachdem das Pflegeteam der Intensivstation denToten weggebracht hatte, kehrte wieder der hektische Alltag im OP ein.1.4 Wie ging ich mit meinem Erlebten um?Zutiefst erschüttert suchte ich nach dem Verlassen des Operationssaales dasGespräch mit meinen Kollegen. Ich lief herum wie in einem Traum. „Das kanndoch gar nicht wahr sein, dass wir so etwas machen. Das kann ich einfach nichtglauben. Was ist jetzt wahr und was ist meine Einbildung? Er war dochschließlich schon tot.“ Diese Gedanken ließen mich einfach nicht mehr los.Ich konnte aber niemanden finden, dem ich mein schreckliches Erleben, meinEntsetzen mitteilen konnte. Alle blockten ab. Entweder hatten sie keine Zeitoder ich bekam auf meine Frage nach ihrem Erleben während einer Explantationnur die magere Antwort: „Ja, das ist schlimm, das mache ich auch nicht gerne“.Ich bekam das Gefühl, alle hatten das Problem im Griff, nur ich nicht und ichdachte über mich: „Ich bin eben viel zu sensibel, nur ich erlebe es mit Entsetzenund als etwas Grauenvolles. Ich nehme mir alles viel zu sehr zu Herzen. Ich bineinfach schwach.“ Rundherum fühlte ich mich alleingelassen. Gefühle waren inunserem Beruf einfach nicht gefragt. Schließlich hörte ich auf, nachGesprächspartnern zu suchen. Der Arbeitsalltag drängte mein Erleben in denHintergrund.______________________________________________________________ 26


• Was ließ mich weiterhin an Explantationen teilnehmen?Erstens hielt ich nach meinem medizinischen Verständnis den Spender durchseinen Hirntod für tot. Für mein Erleben hatte ich keinerlei Erklärung.Zweitens betreute ich als Anästhesistin mehrere Menschen, denen wir eineNiere einpflanzten. Dies war ein sehr erfreuliches Erleben. Auch dafür wurdeder OP freigehalten und vorbereitet. Das gesamte OP-Team versammelte sichstartklar im Operationssaal und wartete zusammen mit dem Patienten(Empfänger) nur noch auf die Gewebetypisierung von Empfänger undSpenderorgan. Waren Empfänger und Spenderniere kompatibel – erst dannwurde das künstlich am Leben erhaltene Organ zugewiesen und eingeflogen.Während dieser Wartezeit hatte ich Gelegenheit zu sehr langen, intensiven undtief berührenden Gesprächen mit den Patienten. Ich erfuhr viel über ihr Leben -über ein Leben, geprägt durch die Abhängigkeit von einer Maschine und überihre Ängste, ihre Verzweiflung und ihre Hoffnung auf mehr Lebensqualität durcheine Spenderniere. So war es für mich auch jedes Mal wunderbar, schon währendeiner Transplantation, die Funktion der gerade frisch implantierten Nieremiterleben zu können. Kaum waren die Nierenblutgefäße des Spenderorgans andie Blutgefäße des Patienten angeschlossen, tröpfelte schon der erste Harn ausdem Harnleiter auf ein Tuch. Diesen Zeitpunkt begleiteten wir alle im OP stetsmit einem entlastenden und freudigen Aufatmen – die erste Hürde einerTransplantation war geschafft!Drittens ging ich mit weiteren Explantationen anders um. Ich war innerlichvorbereitet. Meine Gefühle konnten mich nicht mehr aus heiterem Himmelüberrumpeln. Ich hatte mich unter Kontrolle. Jetzt stellte ich meine Gefühleeinfach ab und tat meine Arbeit - ich funktionierte nur.______________________________________________________________ 27


Mein Ritual - die Hinwendung zum Toten, das Verweilen beim Saubermachen undVerbinden – das habe ich stets beibehalten. Ich musste es tun und niemandhätte mich davon abhalten können. Ich hätte es sonst nicht aushalten können.• Wie bin ich weiter damit umgegangen?Die tägliche Ungewissheit, für eine Explantation eingeteilt zu werden, belastetemich schwer. Der Zufall entschied in welchen Operationssaal ein Organspenderkam. Das Anästhesie-Team, dessen Saal durch einen Patientenwechsel zuerstfrei wurde, musste mit seinem Saal dafür bereit stehen. Keiner war sicherdavor, ob es ihn treffen würde. Für diese Arbeit meldeten sich keine„Freiwilligen“. Sogar im Nachtdienst konnte es einem treffen. Zwar konnte ichjetzt relativ gut mit Explantationen umgehen, aber die Angst, ich könnte dieKontrolle über meine Gefühle und die Situation verlieren, war immer da. DieseAngst vor einer Wiederholung meines grauenvollen Erlebens hing wie einDamoklesschwert über mir.Sobald es im Rahmen der Ausbildung möglich war suchte ich mir eine neueArbeitsstelle. Ich wechselte in ein anderes Krankenhaus, das nichts mit derTransplantationsmedizin zu tun hatte. Hier war die Welt für mich wieder inOrdnung und ich konnte meinen Beruf leben, wie er mir entsprach. Das Erlebteverdrängte ich immer mehr aus meinen Erinnerungen. Schließlich ließen mich dievielen Herausforderungen eines arbeitsreichen Alltags alles vergessen.Wäre ich da nicht in die Berge gezogen…______________________________________________________________ 28


2 Theoretischer TeilIm Folgenden werden das Traumaverständnis und seine Phänomene während undnach der traumatisierenden Situation aus traumatherapeutischer Sichtbeschrieben. Anschließend wird ein Einblick in die Grundlagen der heutigenexistenzanalytischen Theorie gegeben. Das Basistheorem der Existenzanalyse,die vier Grundmotivationen und die personale Existenzanalyse führen zu einemtieferen Verstehen eines Traumas aus existenzanalytischer Sicht.2.1 Allgemeine Trauma-TheorieWas versteht man allgemein unter einem psychischen Trauma?Das Wort „Trauma“ stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet imphysischen Sinne Wunde, Verletzung und Erschütterung. Diese körperlicheVerletzung geschieht dem Menschen plötzlich und unvorhergesehen durch äußereGewalteinwirkung. Heute weiß man, dass außer dem Körper auch die psychischeund die geistige Ebene des Menschen traumatisiert werden können.Unter einem „Psychischen Trauma“ wird eine für einen Menschen, ebenfalls vonaußen plötzlich einwirkende, überwältigende Erfahrung verstanden, die allesbisherige Erleben übersteigt. Der Angriff auf die psychisch-geistige Ebene istin solchen Extremfällen so heftig, dass der Mensch mit seinem gewohntenUmgang mit starken Belastungen der traumatischen Situation nicht gewachsenist (Längle, A., 2005, 2006, 2007 und Tutsch et al., 2010-2012).______________________________________________________________ 29


Wardetzki (2004, S. 75) beschreibt das traumatische Erleben als „einbelastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oderkatastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verstörunghervorrufen würde.“ Während eines Traumas erlebt der Mensch eine Situation,die außerhalb seiner üblichen menschlichen Erfahrung liegt. Er wird von ihrüberwältigt.Nach Herman (2010) sind traumatischen Ereignisse nicht deshalb soaußergewöhnlich, weil sie selten sind, sondern weil sie die normalenBewältigungsstrategien/Anpassungsstrategien des Menschen überfordern. Siebedeuten eine unausweichliche Bedrohung für das Leben.Traumaauslöser (Naturgewalten, Katastrophen, Kriege etc.) gibt es viele, aberdie gravierendsten Traumata sind diejenigen, die dem Menschen von Menschenzugefügt werden - „man made trauma“ (Reddemann, Dehner-Rau, 2007, S. 13;Tutsch et al., 2010-2012). Ob ein Geschehen traumatisierend wirkt, hängt u.a.auch davon ab, welche Vorerfahrungen der Erlebende und welche subjektiveBedeutung das dahinterstehende Thema für ihn hat. Dasselbe Geschehen erlebtjeder Mensch anders und muss nicht bei jedem ein traumatisches Erlebenauslösen.Das traumatische Erleben ist so einschneidend, dass es dieVerarbeitungskapazität des Menschen bei Weitem überschreitet. Seinenatürlichen Bewältigungsstrategien, wie Flucht oder Kampf, versagen. In dertraumatischen Situation fühlt sich der Mensch in extremer Weise ausgeliefert,hilflos, ohnmächtig und dem Gefühl intensiver Bedrohung und Angst vorVernichtung ausgesetzt. Sein Leben gerät außer Kontrolle. Es sind vermutlich dieschlimmsten Erfahrungen, die der Mensch im Leben machen kann.______________________________________________________________ 30


Das Leben gerät aus dem Gefüge und erschüttert damit zutiefst das Gefühl derSicherheit. Während des Traumas erlebt der Mensch ein emotionales Chaos - erkennt sich in seiner Welt nicht mehr aus, sowie auch nicht mehr bei sich selbst(Tutsch et al., 2010-2012).Nach Wardetzki (2004, S. 76) fällt „...die ICH-Regulation aus. Die Kontinuitätdes Selbsterlebens reißt ab. In diesem Moment gelangen Inhalte derWahrnehmung (Sinnesreize, Gedanken und Handlungsschemata) unverarbeitetins Gedächtnis. Sie widersprechen jedem positiven Bild des Betroffenen von sichselbst und der Welt – von sich selbst als wertvoll und handlungsfähig, von derWelt als sicher und gut…..Kern einer traumatischen Erfahrung ist die völligeOhnmacht und Hilflosigkeit gegenüber dem Ereignis.“Mit dem überwältigenden Geschehen der traumatischen Situation kann derBetroffene nicht mehr aktiv umgehen und so verbleiben ihm als letzter Schutznur noch sein Überlebensschutzprogramm, das heißt der Totstellreflex und dieDissoziation.2.2 Phänomene des TraumaerlebensDer Totstellreflex und die Dissoziation mit Derealisation und Depersonalisationsind Symptome traumaspezifischer Copingreaktionen (Tutsch et al., 2010-2012).Nach Herman (2010) ist die übliche Antwort des Menschen auf Gefahr einkomplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Reaktionen bei der Körper undSeele involviert sind. Eine Bedrohung erregt im Zentralnervensystem dashochsensible Alarmsystem. Über einen Adrenalinschub werden zunächst im______________________________________________________________ 31


Körper alle Kräfte mobilisiert und akut die notwendigen Energiereserven für dieaußergewöhnliche Belastung bereitgestellt, sei es für den Kampf oder die Flucht.Das Trauma setzt jedoch diese hilfreichen und fein aufeinander abgestimmtenMechanismen außer Kraft. Das Selbstverteidigungssystem ist überfordert undbricht im Chaos zusammen. Die üblichen Reaktionen auf Gefahr sind sinnlosgeworden – denn nichts geht mehr.2.2.1 Der TotstellreflexDie Situationen äußerster Bedrohung, wie z.B. bei einem schweremtraumatischen Erleben (zunächst im Erleben des Schreckens), d.h. wenn es „keinEntrinnen mehr aus der unkontrollierbaren Situation“ gibt und „nichts mehrgeht“ (Tutsch et al., 2010-2012), kann der Mensch nicht mehr auf seine aktivenCopingreaktionen wie „Kampf und Flucht“ zurückgreifen. Ein aktives „Sich-der-Situation-Stellen“ oder eine Entlastung durch „Sich-davon-Entfernen“ istunmöglich. Der Übererregungszustand „friert ein“ und wird konserviert. DerMensch stellt reflexartig auf „tot“ um - erstarrt dabei mit Hilfe dessogenannten Totstellreflexes. Innerlich fühlt er sich in diesem Zustand wieeingefroren – festgefroren, wird unbeweglich und starr (Freezing). Dies istäußerlich sichtbar in Bewegungslosigkeit und Muskelstarre.Dieser Reflex ist sehr alt und hat sich bei Mensch und Tier über die Evolutionhinweg bis heute erhalten. Auch das Tier verharrt angesichts unausweichlicherGefahr völlig regungslos, bis die Gefahr vorüber ist. Hilft dieses Totstellennichts, so bleibt zum Schutz zuallerletzt nur noch die Möglichkeit einer „innerenFlucht“ – die Dissoziation. Die eingefrorene Übererregung wird dabei nicht mehrgespürt, ansonsten wäre vieles nicht aushaltbar.______________________________________________________________ 32


2.2.2 Die Dissoziation• Dissoziation als CopingreaktionTutsch et al. (2010-2012) umschreibt die Dissoziation sehr treffend mit denWorten „Gefährten, die zusammengehören, werden getrennt“. Das Wort„Dissoziation“ heißt Abspaltung und setzt sich aus den lateinischen Worten: „dis“= auseinander und „socius“ = der Gefährte zusammen. Die Dissoziation ist einganz besonderer psychischer Schutz, der das körperliche, psychische sowiegeistige Überleben des Menschen in Extremsituationen sichert. Sie ist dieletzte Möglichkeit - eine Art innerer Flucht und unterliegt, wie derTotstellreflex, nicht dem Bewusstsein, lässt sich damit nicht willentlich steuern.Der Bewusstseinsstrom wird während des traumatischen Erlebens unterbrochen.Das ganze Erleben wird dabei in seine Einzelteile zerlegt. Fühlen, Spüren desKörpers, das Denken und Handeln werden getrennt und „abgekapselt“ und dannauch getrennt im Gedächtnis gespeichert. Dadurch kann das Erlebte nicht wieeine normale Lebenserfahrung im Gehirn verarbeitet werden. Die feinaufeinander abgestimmte normale Syntheseleistung des Gehirns wird gestört.Damit geht die integrative Fähigkeit, das Erlebte zu verarbeiten und als Ganzeszu abzuspeichern, verloren. Nach Längle, A. (2005) löst sich die Möglichkeit, dieDinge in einem Zusammenhang zu halten, auf.„Die Dissoziation ist ein Schutz gegen Angst und Schmerz“ (Tutsch et al., 2010-2012). Sie ist ein früh gereifter Schutz für das Überleben des Individuums undhilft als Copingreaktion, das Unaushaltbare des Traumas aushaltbar zu machen,indem sie Zusammengehöriges trennt. Dabei wird die traumatische Erfahrung inkleine erträgliche Portionen zerteilt bzw. fragmentiert. Die kognitiven,erfahrungsbezogenen und emotionalen Inhalte von dem Erleben abgetrennt.______________________________________________________________ 33


Trotz der Unkenntlichmachung durch die Fragmentierung des Erlebens und ihregetrennte Abspeicherung im Gehirn gehen diese aufgeteilten Erinnerungen nichtverloren. Sie leben ihr Eigenleben im Untergrund (Tutsch et al., 2010-2012), d.h.im Unterbewusstsein und können später als körperliche oder psychischeSymptomatik wieder auftauchen. Dabei treten sie in einer Heftigkeit auf wiewährend des Traumas selbst. Sie können aber auch noch nach Jahren ganzunvermutet wieder wie aus dem Nichts auftauchen. Tutsch et al. (2010-2012)bezeichnet sie daher sehr treffend als „Partisanen der Psyche“, die beiBerührung noch nach Jahrzehnten hochschnellen können. (Tutsch, 2009)• Die primäre oder peritraumatische DissoziationDies ist eine radikale Sonderform der Dissoziation. Sie findet im Augenblick desTraumas statt und bedeutet die Spaltung von Kognition und Emotion (Längle, A.,1999). Fühlen und Denken kann nicht zusammengehalten werden – dieseBedrohung wäre nicht aushalt- bzw. überlebbar. Die primäre Dissoziation wird imKörper jedoch nur dann ausgelöst (Bauer, 2005), wenn der Mensch eine ganzextreme, körperliche (bei einem Unfall kein Schmerz), psychische und geistigunerträgliche Situation erlebt, aus der es kein Entrinnen mehr gibt.Unter dem Gesichtspunkt der Neurobiologie bewirkt ein Trauma das Ausschaltendes linken Hippocampus im Gehirn. Der linke Mandelkern gibt den höchstalarmierenden „Notruf“ gleich weiter zu tiefer gelegenen Reflexzentren desGehirns. Der Hippocampus ist grundsätzlich für die Verarbeitung ein wichtigerTeil des Gehirns. Er leitet normalerweise das Erleben weiter zum Sprachzentrumund zur Großhirnrinde. Dort wird es bewertet und anschließendzusammenhängend abgespeichert und damit der Erinnerung zugänglich gemacht.______________________________________________________________ 34


Dieser Weg wäre in der Notsituation zu langwierig. Beim Trauma entfällt derWeg über den Hippocampus*. Dies führt zu einer fragmentierten,zusammenhangslosen Abspeicherung des traumatischen Erlebens.Ein Trauma ist ein Hochstressereignis, bei dem ein Adrenalinschub allein zurRettung nicht genügen würde. Blitzartig werden durch den überwältigendenStress und tiefen Schmerz zusätzliche neurobiologische und hormonelleRegelkreise im Gehirn und im Körper aktiviert. Eine Flut von Hormonen undBotenstoffen setzen körpereigene Endorphine frei. Endorphine sind vom Körperselbst hergestellte „Betäubungsmittel“. Tutsch et al. (2010-2012) nennt sie„Opiate im Eigenbau“. Sie haben dieselbe Aufgabe wie die Opiate, die in derAnästhesie zur Schmerzausschaltung Verwendung finden. Durch körpereigeneEndorphine** narkotisiert sich der Mensch während seines Traumas selbst. Sieschalten seinen Schmerz aus und engen seine Wahrnehmung ein. Sie verhelfenihm zu einem „geistigen Wegtreten“ und „neutralisieren“ seine Todesangst. Erkommt dadurch zum Geschehen auf Distanz.Die peritraumatische Dissoziation führt zu:• Analgesie (Schmerzlosigkeit)• Anästhesie (körperliche Taubheit)• Amnesie (Erinnerung geht nicht mit)• Derealisation (wie im Film)• Depersonalisation (das bin nicht ich)* Chronisch traumatisierte Menschen haben einen unterentwickelten Hippocampus –weil er oftnicht aktiviert wurde: „use it or loose it“.** Endorphine: Während einer Narkose werden Morphine (Opiate) zur Schmerzausschaltungangewendet. Diese dämpfen gleichzeitig das Erleben des Menschen. Sie bewirken eineAbschirmung von der Umwelt und sich selbst. Damit schaffen sie Distanz zum Selbstbild und dieUmwelt wird nur eingeengt und verändert wahrgenommen. Ähnliche Phänomene konnten Patientenfrüher deutlich während der Einschlafphase einer Äthernarkose erleben.______________________________________________________________ 35


Seine Realität, seine Gefühle für die Situation sowie das Gefühl für sich selbstverändern sich. Die Welt wird unwirklich und verzerrt (Bauer, 2005, Hüther,2005, 2006, Sachsse, 2011). Der Mensch ist mit der Situation und mit seinemKörper dadurch nicht mehr gut in Kontakt. Bei der massivsten Form derDissoziation entfernen sich Bewusstsein und Gefühle vollständig aus derRealsituation. Dieses Phänomen wird als Derealisation und Depersonalisationbezeichnet. Beide kommen gleichzeitig vor. Verändert sich die Qualität derRealität, verändert sich auch das Bild von sich selbst.• Die DerealisationEin Gefühl der Unwirklichkeit lässt die Umwelt, die Realität oder auch nur Teilevon ihr als fremd oder in ihrer Qualität verändert erscheinen. Sehen, Riechen,Hören, Schmecken und Tasten können sich gänzlich verändern, obwohl dieSinnesorgane selbst organisch intakt sind. Diese Wahrnehmungen könnenverzerrt, verstärkt oder ganz ausfallen (zu laut, zu groß, zu weit, etc.).Außerdem kann sich das Zeitgefühl ändern, indem das gesamte Geschehenzeitlupenartig oder unwirklich abläuft, wie in einem künstlich veränderten Film.Das Gesichtsfeld wird meist durch einen „Tunnelblick“ ausschnitthafteingegrenzt erlebt. Diese Vorgänge führen in der Traumasituation zu einerStörung der Außen (Fremd)- Wahrnehmung.• Die DepersonalisationHierbei handelt es sich um eine Veränderung der Selbstwahrnehmung. Auch siewird in Teilen oder im Ganzen abgespalten. Der Mensch erlebt etwa: „das gehtmich nichts an“, „hat nichts mit mir zu tun“, „das bin nicht ich“ oder „der Armoder das Bein gehören nicht zu mir“.______________________________________________________________ 36


In Extremformen macht der Mensch sogar die Erfahrung, neben sich zu stehen(out of body). Als Zuschauer beobachtet er sich dann selbst von außen in dertraumatischen Situation. Für ihn ist es aber eine fremde Person, die er sieht.Mit dieser Person hat er nichts zu tun, er fühlt sich nicht mit ihr identisch - dasist ein Anderer. Diese Phänomene führen zu Entfremdungserlebnissen demeigenen Körper, der eigenen Person gegenüber. Der Mensch ist dabei nicht mehrder, als den er sich kennt und der seinem bisherigen Selbstbild entspricht.Damit ist das Gefühl der Identität gestört, was zur Selbstablehnung führt.Im Gesamten betrachtet führt die Dissoziation, durch das innere(Depersonalisation) und äußere (Derealisation) Entfremdungserleben, zu einerStörung des ICH-Erlebens und des Bewusstseins seiner Selbst.Die psychischen Vorgänge, wie Wahrnehmungen, Körperempfinden, das Denkenund Handeln werden nicht mehr als dem Ich zugehörig erlebt, weil Fühlen undDenken getrennt sind. Da die emotionale und rationale Verknüpfung fehlen,misslingt die Integration der traumatischen Erfahrung als zusammenhängendesErleben. So wird das Gesamterleben des Menschen schwerst gestört.2.3 Spezifische posttraumatische ErlebnisformenBei einer normalen Traumaverarbeitung gehören neben Alpträumen undSchlafstörungen, später auch Intrusionen und Flashbacks zumVerarbeitungsprozess dazu. Auch hier werden sie durch Trigger ausgelöst unddie Person versucht diese Situationen zeitweilig zu vermeiden. Hier kann derMensch die obengenannten Phänomene aber dem traumatischen Ereigniszuordnen. Ist die Integration des Geschehenen abgeschlossen, haben dieErinnerungen nicht mehr dieselbe Macht über ihn.______________________________________________________________ 37


Sie setzen ihn nicht mehr „außer Gefecht“. Kann das Trauma jedoch nichtverarbeitet und damit integriert werden, sondern gerät in „Vergessenheit„,können noch nach vielen Jahren Trigger die Intrusionen und Flashbacks wiederaufflammen lassen. Meist wird dann das Erlebte nicht verstanden bzw. ist deräußeren Situation nicht zuordenbar. Manchmal haben Menschen aberVermutungen, womit Angst machende Erscheinungen zusammenhängen könnten.Was wird unter Trigger und posttraumatischen Erlebnisformen verstanden?• TriggerTrigger sind Auslösereize. Sie rufen schlagartig assoziative Erinnerungen an dasvergangene Trauma hervor. Es reichen schon kleinste Anlässe oder alltäglicheGegebenheiten mit minimaler Ähnlichkeit zum traumatischen Erlebnis. DasAlarmsystem des Gehirns ist so empfindlich, dass subliminale Reize - wie einbestimmter Geruch, ein Geräusch, eine Bewegung, ein Bild und vieles mehr ausdem alltäglichen Leben das Trauma blitzartig in der Gegenwart zum Lebenerwecken können. Der Mensch fühlt sich dann so, als geschehe das Trauma hierund gerade jetzt. Er ist den bedrohlichen Affekten von damals wie Angst,Bedrohung, Verlassenheit, Ohnmacht, Ausgeliefertsein wieder ausgesetzt(Tutsch et al., 2010-2012).Meist sieht er keinen Zusammenhang zwischen Trauma und dem getriggertenWiedererleben. Durch die sogenannte „hippocampale Amnesie“ kann die konkreteErinnerung daran ganz fehlen (Reddemann, Dehner-Rau, 2007, vgl. S. 34). DieWiederbelebung durch Trigger geht dann immer schneller los, je öfter derMensch ihnen begegnet. Mit jedem Wiedererleben dieser fragmentierten,traumatischen Erinnerungen findet eine Konditionierung statt.______________________________________________________________ 38


Sie „spuren“ den Weg im Gehirn, wie eine Skispur im Neuschnee, die immerwieder befahren wird. Die Neuroplastizität des Gehirns ermöglicht durchhäufigen Gebrauch die Vermehrung und das Verfestigen der neugebildetenNervenzellverknüpfungen und die „Skispur“ wird zur „Rennbahn“.• IntrusionenIn der Psychotraumatologie wird das fragmentierte Wiedererinnern undWiederbeleben der traumatischen Ereignisse mit dem Überbegriff „Intrusionen“zusammengefasst.Der Begriff „intrusio“ (lat.) (Duden 2006) bedeutet Eindringen in einen fremdenBereich und ist aus der Geologie bekannt - Magma dringt in die Erdkruste ein -ein guter Vergleich. Der Betroffene kann das traumatische Ereignis in vielenunterschiedlichen Varianten wiedererleben. Diese „unverdauten“ Störenfriedeaus der Tiefe – dem Unbewussten, zeigen sich posttraumatisch als Alpträume,aufdrängende, belastende Gedanken, Flashbacks, wie Bilder, kurzeBildersequenzen, sinnliche Wahrnehmungen (Gerüche, Geräusche…), sowieintensive Gefühlszustände und lösen oft heftige körperliche Reaktionen aus. Siesind sehr angstbesetzt und können für die Person überwältigend sein.Es sind die während der Dissoziation traumatisch abgespaltenen und„eingekapselten“ Erinnerungen. Für sie ist die Zeit stehen geblieben und siewerden erlebt wie im Trauma selbst, weil damals die Ver- und Einarbeitung ineinen Kontext nicht stattgefunden hat. Die Einzelteile sind damals nichtzusammengefügt bzw. integriert, sondern ohne Zusammenhang wieErinnerungsinseln abgespeichert worden. Meist werden sie durch Schlüsselreize(Trigger) ausgelöst.______________________________________________________________ 39


Sie sind sehr schwer beeinflussbar, weil sich die Erinnerung nur begrenztausblenden lässt. Sie rauben dem Menschen den erholsamen Schlaf.• FlashbacksNach Matsakis (2004) sind Flashbacks Erinnerungsblitze, eine plötzlichelebhafte Erinnerung an ein traumatisches Ereignis, begleitet von starkenEmotionen. Während eines Flashbacks verlieren die Traumatisierten nicht dasBewusstsein, sondern verlassen zeitweilig die Gegenwart und finden sich in dieehemalige traumatische Situation emotional zurückversetzt. Flashbacks („Flash“engl. Blitz) als blitzartige Einblendungen aus „heiterem Himmel“ sind aus derDrogenszene bekannt, wo durch Konditionierung ein drogeninduzierter Zustandauftreten kann, ohne dass eine Einnahme von Drogen erfolgte. Der Zustand wirddurch einen unbewussten Trigger ausgelöst.In der Psychotraumatologie sind sie ein Zeichen dafür, dass das traumatischeErleben den Weg ins Bewusstsein sucht. Spezifische Selbstgefühlbilder tauchenauf. Dabei kann es sein, dass der Mensch Bilder/Szenen aus dem Trauma siehtoder nur Gerüche, Geräusche oder die Emotionen intensiv wahrnimmt. Es sindfast exakte Reproduktionen des Erlebens, die der traumatischen Situationentsprechen (im Gegensatz zur Schizophrenie). Es gibt Flashbacks, die nur einender Sinne betreffen, z.B. ausschließlich optische - in Form von Bildern/Filmszenen oder akustische- mit Schreien oder Stimmen. Es gibt auch nurolfaktorische (riechen) oder emotionale Flashbacks, wie z.B. Wut, Reizbarkeit,Angst oder das Gefühl der Bedrohung.Eine andere Form des Wiedererlebens eines Traumas kann in Form vonkörperlichen Schmerzen oder sogar als Panikattacken auftreten.______________________________________________________________ 40


Während eines Flashbacks verliert man nicht das Bewusstsein, sondern manentfernt sich innerlich aus der gegenwärtigen Situation und findet sich in dasErleben der traumatischen Situation zurückversetzt. Flashbacks tauchenblitzartig auf, können kurz sein oder auch stundenlang dauern. Sie sind Zeichendafür, dass sich das tief vergrabene traumatische Erleben den Weg aus demUntergrund an die Oberfläche - in das Bewusstsein - sucht.2.4 Die Existenzanalyse als Grundlage zum Verstehen eines personalenTraumasIm Folgenden werden der Ursprung der Existenzanalyse nach Frankl sowie dieGrundlagen und das heutige Verständnis der Existenzanalyse thematisiert. DieKenntnis der existenzanalytischen Anthropologie ist die Voraussetzung für dasVerständnis eines Traumas auf der geistigen Ebene des Menschen – dieTraumatisierung der Person.Die Wurzeln der Existenzanalyse liegen in der Existenzphilosophie (Längle, A.2008). Sie beschäftigt sich mit dem Dasein des Menschen in der Welt. DerMensch ist durch sein Dasein mit der Welt aufs Engste verwoben. Er befindetsich stets in einer Situation und muss sich mit ihr auseinandersetzen, ob er willoder nicht. Die zentralen Themen der Existenzanalyse sind die Begriffe Personund Existenz (Längle, A., 2008). Doch was versteht die Existenzanalyse unterExistenz und welche Rolle spielt dabei die Person?2.4.1 Frankl und die ExistenzanalyseViktor Frankl (1905 - 1997) hat ursprünglich die Theorie der Existenzanalyseentwickelt. Seine Theorie bildet noch heute die Grundlage seiner Logotherapie.______________________________________________________________ 41


Er beschreibt in seinem Menschenbild den Menschen als 3-dimensionales Wesenund sieht ihn als untrennbare Einheit ausphysischer, psychischer und geistiger Dimension.Die geistige Dimension befähigt den Menschen zur Selbstdistanzierung (SD),d.h. „er kann von sich selbst, seinem Psychophysikum Abstand nehmen und übersich stehen.“ Dies macht ihn frei von sich und offen für die Welt undermöglicht ihm die Hingabe an die Welt (Selbsttranszendenz - ST). Seine innereFreiheit und seine Offenheit zur Welt ermöglichen ihm einen kleinenHandlungsspielraum für die Gestaltung seines Daseins. Seine Freiheit nimmt ihndabei auch gleich in die Verantwortung, wie er mit der Welt und sich selbstumgehen will. Freiheit und Verantwortung sind beide untrennbar miteinanderverbunden (Frankl, 1998, vgl. S. 118-120; Längle, A., 2008, vgl. S. 86).Die von Frankl beschriebenen geistigen Fähigkeiten und Eigenschaften desMenschen wie: Selbstdistanzierung, Selbsttranszendenz, Offenheit zur Welt,die Freiheit und damit verbundene Verantwortung ermöglichen dem Menscheneinen aktiven und damit gestaltenden Umgang mit seiner Welt. Als aktiv undverantwortlich Handelnder wird der Mensch in der jeweiligen Situation zur„Person“. Person sein heißt aktiv sein und an der Gestaltung der Welt durchHingabe mitzuwirken. Die Person ist aber kein Zustand, nichts Substantiellesdes Menschen, etwas das sich nie ändert und damit fest zu beschreiben ist.Sie ist eine Potentialität – eine Fähigkeit des Menschen und diese wird erstdurch sein verantwortliches Handeln in der jeweiligen Situation als Personsichtbar (Längle, A., 2008). Da der Mensch in seinem Dasein stets in eineranderen Situation steht, zeigt er sich auch in jeder einzelnen Situation immeranders.______________________________________________________________ 42


Mit der Sichtumkehr in der „Kopernikanischen Wende“ holt Frankl (Frankl, 1998,vgl. S. 96; Längle, A. 2008, vgl., S. 75, 100) den Menschen aus einer passivenErwartungshaltung an das Leben und die Welt heraus: Der Mensch hat keineFragen an die Welt zu richten. Seine Freiheit und Offenheit zur Welt lassen ihnerkennen, was in der jeweiligen Situation zu tun ist. Der Mensch wird von einerSituation „angefragt“ und hat seine verantwortete Antwort zu geben. Mit seinerAntwort gelangt er zur Existenz.Frankl sah das Streben nach Sinn als wichtigste und wertvollste Aufgabe desMenschen an (Frankl, 1998; Längle, A., 2008). Die geistige Dimension war für ihndas Entscheidende für eine gelingende Existenz. Hier stellte er dieTranszendenzfähigkeit zur Welt und den Werten in den Vordergrund. Diekörperliche und psychische Dimension sollte der Mensch mit Hilfe seinerSelbstdistanzierungsfähigkeit zurückstellen und überwinden. In der vollzogenenTranszendenz zu den Werten in der Welt erlebt der Mensch Sinn. Sinnvollesentsteht also durch den Menschen selbst und zeigt sich darin, wie der Menschmit einer Situation umgeht und was er daraus macht. Frankl definiertexistentiellen Sinn: „Sinn erfüllen wir dadurch, dass wir Werte verwirklichen“.Auf der Grundlage von Frankls Definition beschreibt Längle (Lexikon derExistenzanalyse, 2009, S. 46) den existentiellen Sinn als die „wertvollsteMöglichkeit in der jeweiligen Situation“.2.4.2 Die heutige ExistenzanalyseDie heutige Existenzanalyse ist eine Weiterentwicklung der Frankl’schen Theorieder Existenzanalyse. Alfried Längle erweiterte Frankl’s Konzepte der Person undExistenz und entwickelte zusätzlich praktisch einsetzbare Methoden für dieexistenzanalytische Psychotherapie. Die Theorie der heutigen Existenzanalyse______________________________________________________________ 43


ermöglicht damit einen guten, fundierten Zugang zum Verständnis psychischerStörungen und damit auch eines personalen Traumas.Längle (2008) beschreibt in der „existentiellen Wende“ den grunddialogischenCharakter des menschlichen Daseins. Der Mensch findet Zugang zu seinersinnerfüllten Existenz nur über den dialogischen Austausch mit sich als Personund der Welt. Die Anfragen aus der Welt sind Anfragen an ihn als Person.Existenz bedeutet verantwortlicher und entschiedener Umgang mit sich selbstund der Welt. Die innere Zustimmung zum eigenen Handeln und zu seinem Daseinführt den Menschen mitten in die Existenz. „…Die existentielle Wende ist somitder Schlüssel zur Sinnerfahrung, zur Welt und Wertewahrnehmung, sowie zurVerantwortungsübernahme für das eigene Leben“ (Längle, A., 2008, S. 158).Längle nahm wesentliche Merkmale des Menschen in seine weiterführendenÜberlegungen auf:• die physische und besonders psychische Dimension des Menschen• die doppelte Offenheit in der geistigen Dimension, bedingt durch dieFähigkeit zur Selbstdistanzierung: Offenheit zur Welt und Offenheitzu sich selbst• Die psychische DimensionLängle, A. (2003) sieht die Psyche als Bindeglied zwischen körperlicher undgeistiger Dimension. Über seine Gefühle steht der Mensch in Resonanz mit derWelt. Sie vermitteln ihm, was ihn berührt, anspricht und damit angeht und wie esihm damit geht und wie er damit personal (als Person) umgehen will. Durch dasHinspüren zur Welt und in sich Hineinfühlen kann er sich mit der Welt und mitsich selbst in seinem tiefsten Inneren auseinandersetzen und sich auf beides______________________________________________________________ 44


abstimmen. Die Gefühle verhelfen ihm zu seiner ganz persönlichen Antwort aufdie Anfragen aus der Welt. Hiermit ist der Mensch, gemäß seiner Drei-Dimensionalität, wieder ganzheitlich am Umgang mit der Welt und damit an derGestaltung seiner Existenz beteiligt. Außerdem hat die Psyche die wichtigeAufgabe, über die körperliche, psychische und geistige Dimension zu wachen, beidrohender Gefahr zu warnen und gegebenenfalls den Menschen reflexartigdurch die Copingreaktionen (CR) zu schützen.• Die doppelte Offenheit des Menschen – seine grunddialogischeVeranlagungDie geistige Fähigkeit der Selbstdistanzierung macht den Menschen frei vonsich und öffnet ihn damit nicht nur nach außen zur Welt, sondern auch nachinnen zu sich selbst. Durch seine innere Offenheit kann er sich selbst gegenüberstehen, sich in seinem innersten Wesen erkennen und ergreifen. Damit ist ersich selbst nicht ausgeliefert, sondern sich selbst gegeben und hat dieMöglichkeit, frei mit sich umzugehen.Diese Fähigkeit zur Selbstdistanzierung und die damit verbundene doppelteOffenheit- nach innen und außen - gehören zum Wesen des Menschen.Sie ermöglichen ihm den Dialog mit sich und der Welt in der er steht. Seinedoppelte Offenheit macht ihn auch empfänglich und durchlässig für dieAnfragen aus der Welt. Er kann sich mit der Welt austauschen, sich aber auchnie ganz vor ihr verschließen. Hierin liegt auch die Gefahr, im Innerstenverletzt oder sogar traumatisiert zu werden.Die beschriebene grunddialogische Veranlagung seines Wesens hält ihngleichzeitig in Beziehung zu sich und der Welt und vermittelt ihm dadurch Halt______________________________________________________________ 45


und Stabilität in seinem Dasein. Sein doppeltes Bezogensein zwingt ihn aberauch, sich im Dialog den Anfragen von beiden Seiten zu stellen. Durch die innereAuseinandersetzung mit der Anfrage bindet sich der Mensch selbst ganz in diejeweilige Situation ein. Sein angeborenes feines Gespür, für das was gut undrichtig ist (= Gewissen im existenzanalytischen Verständnis), hilft ihm bei seinerEntscheidung, wie er antworten/handeln will. In diesem Entscheidungsprozesszeigt sich der Mensch als Person – d.h. er vollzieht sich als Person.Seine Antwort/Handeln erlebt er als ICH-haft, denn er ist bei der Gestaltungseines Lebens dabei.Stellungnahmen aus der Freiheit durch Abstimmungdes Innens und Außens mit sichich mit mir ich mit dir / AnderemICHalsINNENWELT PERSON AUSSENWELTAustauschDurchlässigkeit,Intimität dadurch erreichbar für Werte - das was mich angehtaber auch verletz- und traumatisierbarAbbildung 1: „Das existenzanalytische Basistheorem“ - die dialogische Beziehung der Personzum Innen und Außen (nach Längle, A. 2008, S. 95)______________________________________________________________ 46


• Die existentielle Wirklichkeit des MenschenDer Mensch steht in seinem Dasein immer in einer Situation, der er sich stellenmuss oder will – dies ist seine existentielle Situation. Sie befragt ihn, wie er alsPerson verantwortlich damit umgehen, d.h. wie er als Person darauf antwortenwill. Kann er mit einer Situation nicht umgehen, so wendet er sich ab, wenn eskeine Gründe gibt, dass er sich ihr stellen muss.Die Voraussetzungen für die Aufnahme des Dialogs sind• das Erfassen und Erkennen der situativen Anfrage• das Annehmen der Situation• sowie das Ernstnehmen und Annehmen seiner selbst.Erst dann kann er seine persönliche Antwort auf die Anfrage geben.Primär wendet sich der Mensch dem zu, das von innen oder außen am stärkstenauf sein Leben einwirkt – das, was ihn im Moment am meisten berührt und für ihnbedeutsam und wichtig ist. Hierzu nimmt er Beziehung auf und schafft sichdamit den Raum für den Dialog. Aus der Gesamtheit der - objektiv gesehen -vorgegebenen Realität mit ihren vielen Angeboten wendet er sich aber nureinem, für ihn wichtigen und für sein Leben bedeutsamen Ausschnitt zu. DiesenAusschnitt erlebt er subjektiv als seine Realität und sie wird für ihn zu seinerexistentiellen Wirklichkeit. Alles andere tritt jetzt in den Hintergrund.______________________________________________________________ 47


In ihrer existentiellen Wirklichkeit steht die Person, durch ihre doppelteOffenheit, gleich zwei Wirklichkeiten gegenüber (siehe Abb.1, S. 46):• ihrer Außenwelt - die Welt, in die sie gestellt ist• ihrer Innenwelt (Eigenwelt) - ihrer tiefsten Innerlichkeit, Intimität;dieses „Ich mit mir“, denn sie ist sichdurch die SD selbst gegebenÜber diese beiden Wirklichkeiten kann der Mensch, aufgrund seiner Freiheit, einStück weit verfügen. Durch die Aufnahme des Dialogs bindet sich der Menschselbst in die Welt ein. Lässt er sich jetzt auch engagiert in seine beidenexistenziellen Wirklichkeiten ein, übernimmt er die Verantwortung für seinLeben. In der dialogischen Auseinandersetzung mit seiner Innenwelt undAußenwelt und seiner gewissenhaften Abstimmung mit diesen beidenWirklichkeiten findet er als Person seine persönliche Antwort. Die Person hatstets Anteil an beiden existentiellen Wirklichkeiten. Sein Personsein erlebt derMensch subjektiv als: „Das bin ICH“. Hier verwirklicht er sich selbst und fühltsich authentisch. Dabei fühlt er sich lebendig, erlebt sein Leben als sinnvoll underlebt so seine existenzielle Erfüllung. Das bedeutet, er ist mitten in seinerExistenz.Der Mensch hat aber auch die Möglichkeit, sich gegenüber einer Situation ganzbewusst abzugrenzen. Er kann NEIN sagen und nimmt dann auch den Dialog mitder Situation nicht auf. Damit kann er sein innerstes Wesen, seine Intimitätsowie seine Individualität als Person schützen. Steht er jedoch in der Erledigungeiner Aufgabe und lässt sich mit seinem innersten Wesen nicht auf diese ein, soübergeht er sich. Hier lebt er seine Freiheit des eigenen Umgangs mit derSituation nicht. Er lebt nicht personal, sondern funktioniert nur.______________________________________________________________ 48


Dabei erfährt er keine innere Erfüllung, d.h. er geht leer aus. Hinter diesersituativen Aufgabe ist bei ihm kein echtes, authentisches JA gestanden. Er hatsein innerstes Wesen bei der Beantwortung der Aufgabe nicht mit ins „Spiel“gebracht. Durch das Übergehen seiner selbst wurde er seiner Person nichtgerecht. Hinter jedem echten JA steht auch die Möglichkeit, ein NEIN zusagen.Eine grundsätzliche Voraussetzung für den Dialog ist das Annehmen dergegebenen Situation und von sich selbst. Bejaht der Mensch sich selbst und dieSituation, in der er steht, kann er sich ganz auf sie einlassen und so entsteht einRaum für den Dialog. Bezugspunkt der inneren Abstimmung ist immer seinGewissen im existenzanalytischen Sinne. Die Person entfaltet sich in derjeweiligen existenziellen Situation immer wieder neu und kommt dadurch zurExistenz.2.5 Die vier Grundmotivationen (GM)Während nach Frankl’s Auffassung die Existenz des Menschen in der Selbst-Transzendenz zur Welt und in der Verwirklichung von Werten/Sinnmöglichkeitenliegt, erweitert die heutige Existenzanalyse diese Sichtweise (Längle, A., 2008).Der Mensch ist aufgrund seines dialogischen Wesens aufs engste mit der Weltverbunden und will existentiell leben, daher kann er sich aus seinem eigenenLeben und dessen Gestaltung nicht heraushalten. Damit ist persönliche(personale) Aktivität verbunden (Längle, A., 2008, vgl., S. 26). Er befindet sichstets in einer Situation, die ihn als Person anspricht und zu einer Antwortherausfordert.______________________________________________________________ 49


Längle, A. (2008) beschreibt in den Grundmotivationen vier Grundfragen derExistenz, vor die der Mensch, allein schon durch sein Dasein, gestellt ist. AlsGrundmotivationen entfalten sie eine starke Dynamik auf den Menschen. Siebringen ihn in Bewegung, sich für die Gestaltung seines Lebens auch einzusetzen.Gleichzeitig bilden sie auch die Grundbedingungen der Existenz und sind alsFragen in jeder existenziellen Situation enthalten.Es geht ums:1. GM Dasein können2. GM Leben Mögen3. GM Selbst-Sein dürfen4. GM Wozu soll es gut sein?1. GM: Sie ist die Grundfrage des Daseins„Ich bin da – kann ich sein?“Dies ist die Frage nach den Fähigkeiten und dem Sein-Können des Menschen inder Welt/ existenziellen Situation.Die Voraussetzungen hierzu sind: die Erfahrung von Raum, Schutz und HaltDazu braucht der Mensch: die Kognition.Die wesensmäßige Offenheit und die geistige Fähigkeit der Kognitionermöglichen das Wahrnehmen und Erkennen der vorgegeben Bedingungen undauch der eigenen Fähigkeiten.Die personalen (geistigen) Aktivitäten sind: annehmen, aushalten, lassenKann der Mensch die existentielle Situation aushalten, annehmen oder sogarlassen, so verschafft ihm dies den Boden (Halt) und einen geschützten Raum fürseine Auseinandersetzung mit seinem Dasein.Die Folge ist: es erwächst die personale Fähigkeit des VERTRAUEN-Könnens.______________________________________________________________ 50


Macht der Mensch nun die Erfahrung von Raum, Schutz und Halt, so wächst inihm das Vertrauen ins Dasein und in die eigenen Fähigkeiten – ins Können.Es entsteht in ihm das Gefühl der Sicherheit und Gehaltenseins in der Welt.Macht er jedoch keine Erfahrung von Raum, Schutz und Halt, so führt dies zurErschütterung und Verunsicherung im Dasein – damit zum Verlust von Vertrauenund Halt.2. GM: Sie ist die Grundfrage des Lebens„Ich bin da und lebe – mag ich überhaupt leben?“Es ist die Beziehungsfrage zum Leben – die Frage des MögensDie Voraussetzungen hierzu sind: die Erfahrungen von Beziehung, Nähe undZeitDer Mensch braucht die Beziehungserfahrungen mit anderen, dann kann erselbst auch Beziehung aufnehmen.Dazu braucht der Mensch: Die GefühleÜber seine Gefühle kann er anfühlen, wie etwas für ihn ist, ob es für ihn einWert ist. Über die Summe all seiner Werte-Erfahrungen entscheidet er, wiesich sein Leben für ihn anfühlt.Die personalen Aktivitäten sind: Zuwenden, Nähe aufnehmen, Zeit gebenEine Beziehung kann erst entstehen, wenn sich der Mensch einer existenziellenSituation zuwendet, Nähe zu ihr aufnimmt und sich auch Zeit dafür nimmt. DieGefühle können sich nur entwickeln, wenn sie genügend Zeit dafür haben. BeimVerweilen in dieser Beziehung entsteht ein inneres Bewegtsein - das Gefühlentsteht. Dieses Gefühl sagt ihm, ob er sich angezogen oder abgestoßen fühlt -ob etwas ein Wert für ihn ist oder nicht.Die Folge ist: es erwachsen die personalen Fähigkeiten des LIEBENs/ MÖGENs,sowie des TRAUERNs______________________________________________________________ 51


Die Erfahrung der Zuwendung von Anderen ermöglicht dem Menschen sich selbstund anderen zuwenden (Transzendenz) zu können. Durch die Beziehung zu seinenWerten fühlt sich der Mensch mit diesen verbunden. In dieser Verbundenheitlebt er als Person die Verantwortung für seine Werte und für sich selbst.Gefühle der Wärme, Lebendigkeit und Freude entstehen und er fühlt sich inseinem Leben geborgen.Lebt der Mensch jedoch nicht in Beziehung zu seinen Werten, verliert er seineLebensfreude und Lebendigkeit. Das Leben wird kalt und belastend für ihn. Erzieht sich zurück und wendet sich ab. In der Trauer, bei Verlust eines Wertes,wendet sich die Person nochmals diesem verlorenen Wert zu und hält Nähe zuihm. Sie fühlt nochmals ihre tiefe Beziehung und Verbundenheit zu diesem Wert.Damit geht ihr dieser Wert nicht verloren. Über die Trauer kommt sich diePerson wieder selbst sehr nahe und fühlt dabei ihren eigenen Wert (Selbstwert)wieder tiefer und intensiver. Dies festigt ihren Selbstwert und sie kannloslassen und sich wieder der Welt zuwenden. Das Leben kann weitergehen.3. GM: Sie ist die Grundfrage der Person„Ich bin da und lebe – darf ich so sein wie ich bin?“Dies ist die Frage nach der Rechtfertigung des Menschen in seinem Selbstsein-Dürfen als Person. Es ist die ethische Frage der Grundmotivationen. Der Menscherlebt sein Selbstsein und sein Leben subjektiv als ICH-haft. Doch wer istdieses ICH, auf das er sich bezieht und das sich auch die Fragen stellt: „Darfich so sein, wie ich bin?“ „Kann ich mich achten und wertschätzen für das, wieich bin, was ich tue und was mir wichtig ist?“ Es ist die Suche nach dem Eigenen,der Identität, dem Selbstwert und der Authentizität.______________________________________________________________ 52


Die Voraussetzungen hierzu sind: Die Erfahrung von Beachtung, Wertschätzungund Gerechtigkeit.Zum Finden des Eigenen braucht der Mensch andere Menschen. Das ICHentsteht über den Dialog mit einem Gegenüber - einem DU.Nur durch ein Gegenüber nimmt er sich selbst wahr. Die Beachtung,Wertschätzung und Gerechtigkeit, die er von den Anderen erfährt, lassen in ihmein Bild von sich selbst entstehen – sein Selbstbild. Mit diesem Selbstbild musser sich kritisch auseinandersetzen, Stellung dazu nehmen und entscheiden, waszu ihm gehören soll und was nicht.Die personalen Aktivitäten sind: abgrenzen, ernst nehmen und begegnenFür eine kritische Selbstbeurteilung muss er sich von den anderen zunächstabgrenzen und sich selbst ernstnehmen, damit er sich selbst mit seinenGefühlen in den Blick bekommen kann.In dieser Abgrenzung von den Anderen tritt er durch Selbstdistanzierungseinem Selbstbild gegenüber und nimmt mit seinem intimsten Inneren den Dialogauf - es ist dieses „ICH mit mir“.Dabei bezieht er sich auf sein Gewissen. Existenzanalytisch gesehen ist dasGewissen das feine, untrügliche innere Gespür für das Gute und Richtige, das ausder unbewussten Tiefe des Menschen kommt. Mit seiner Hilfe beurteilt sich derMensch selbst und findet dabei zu seiner Stellungnahme, dem eigenen Soseinund Verhalten gegenüber. Auf diese Weise findet die Person sich so in ihremEigenen - in ihrem ICH.Die Folge ist: in ihm erwächst die Fähigkeit, sich selbst und anderenWERTSCHÄTZUNG geben zu können.Kann sich die Person selbst achten und wertschätzen in ihrem Sosein, so erlebtsie sich selbst als wertvoll. Dies sind die Grundlagen ihres Selbstwertes und siefindet zu ihrem ICH, ihrer Identität. Hier ruht sie in sich, dies gibt ihr Würdeund Ansehen. Sie kann sich vor sich und anderen sehen lassen.______________________________________________________________ 53


Steht der Mensch in seinem Handeln weiterhin mit diesem ICH, seinem Wesen,in Austausch, so lebt er in Über-ein-Stimmung mit sich. Er bleibt sich selbsttreu und lebt authentisch. Dies gibt ihm Vertrauen und Halt in sich und festigtweiter seinen Selbstwert. Auf dieser Basis kann der Mensch auch zu sichstehen und sich vertreten, selbst wenn es schwierig ist.Die Scham:Bei der Begegnung mit der Welt ist der Mensch auf einen Raum angewiesen,indem er in seinem Eigenen - seinem Personsein respektiert wird. Das Personseinist etwas so Intimes und so Wertvolles (Würde), dass es durch eine Grenze voranderen geschützt werden muss. Wird diese Grenze überschritten, erlebt sichdie Person verletzt und das Gefühl der Scham tritt auf. Eine Grenzverletzungkann durch sie selbst von innen geschehen oder durch andere von außen.Die Scham ist ein äußerst feiner Indikator für Grenzverletzungen. Sie schütztdie Würde der Person und regelt die Distanz nach außen zur Welt/Menschen undnach innen, zu sich selbst. Damit bleibt die Dialogfähigkeit der Person erhaltenund sichert ein existenzielles Leben (Kolbe, 2005, vgl., S. 11).Im Gefühl der Scham fühlt sich ein Mensch nackt und bloßgestellt. Es wirdetwas von ihm sichtbar, das er lieber vor den anderen und vor sich selbst,verborgen gehalten hätte. Dies betrifft nicht nur sein Verhalten als Person,sondern auch sein ganzes Selbst - alles was zu ihm gehört. Das Phänomen derScham ist Ausdruck der Erschütterung und Gefährdung der Identität underfüllt somit eine wichtige Schutzfunktion. „Wer sich schämt, beschäftigt sichgerade innerlich kritisch mit sich selbst“ (Hell, 2003, S. 191).______________________________________________________________ 54


Erlebt der Mensch lang anhaltende Grenzüberschreitungen und unterdrücktdabei seine auftauchenden Schamgefühle, verliert er den Zugang zu seinem ICH– zu seiner Identität. Damit geht seine Dialogfähigkeit verloren. Er kann sich alsPerson nicht mehr selbst vertreten und kommt in seinem Leben nicht mehr vor.Stattdessen tut er nur noch, was andere sagen. Er handelt nicht mehr personal,d.h. verantwortlich, sondern funktioniert nur noch.4. GM: Sie ist Sinnfrage der ExistenzIch bin da - wofür soll ich da sein? Wofür ist mein Leben gut?Es geht um die Erfahrung des existentiellen Sinns, die Erfahrung der Erfüllungim Leben.Die Voraussetzung hierzu sind: ein Tätigkeitsfeld, ein größerer Kontext undein Wert in der Zukunft.Der Mensch braucht Aufgaben, ein Tätigkeitsfeld, das er als wertvoll erlebt, fürdie er sich engagieren möchte. Seine Lebenshaltung – das Wozu - stellt ihn ineinen Strukturzusammenhang und gibt ihm die Grundrichtung vor, wohin es inseinem Leben in Zukunft gehen soll.Dazu braucht der Mensch: Seine Offenheit für die Welt und das Erfassen, wasdie existenzielle Situation ihm anbietet oder von ihm fordert.Die personale Aktivitäten sind: Übereinstimmen, HandelnNach der Prüfung der Übereinstimmung der Situation mit sich selbst und unterEinbeziehung der Anderen kann er entschieden handeln.Die Folge ist: es erwächst die Fähigkeit der HINGABESein entschiedenes Handeln/Antworten gibt ihm Erfüllung und Sinn. Fehlt demMenschen diese Erfüllung, so verliert er die Orientierung in seinem Leben, fühltsich leer und frustriert.______________________________________________________________ 55


• Die Existenz und ihre StrukturDie vier Grundfragen der Existenz sind in jedem Lebensvollzug enthalten.Existenzvollzug bedeutet im Sinne der heutigen Existenzanalyse, eine vierfacheZustimmung zu finden:1. Ja zum Dasein/Situation2. Ja zum Leben/Werten3. Ja zu sich selbst/seiner Person4. Ja zum Sollen-> Sinnvolles WollenEs ist die bejahende Zustimmung in allen vier Bereichen. Durch sie kann derMensch authentisch leben.Existenz bedeutet authentisch leben, d.h.sein Leben mit innerer Zustimmung zu sich selbst und seinem Dasein leben.Die vier Grundvoraussetzungen*(GM) gelten als Strukturmodell der Existenz.Sie bauen von der ersten bis zur vierten Grundbedingung (1 4) aufsteigendaufeinander auf. Daher sind gleichzeitig die Struktur der Person und des ICHsdarin enthalten. Ohne den Unterbau durch die ersten drei Grundbedingungenkann sich der Mensch nicht der vierten Frage zuwenden und es kommt nicht zurexistentiellen Erfüllung.* Die Begriffe „Grundvoraussetzungen“, „Grundmotivationen“ und „Grundbedingungen“ werden indieser Arbeit synonym verwendet.______________________________________________________________ 56


2.6 Die personale Existenzanalyse (PEA)Existenzerfüllung ist in der heutigen Existenzanalyse mehr als Sinnerfüllung.Existenz ist das Sich-Vollziehen-als-Person im Dialog mit der Welt. Die PEAbeschreibt diesen Prozess der Strukturierung der Person, der dem sinnvollenExistenzvollzug durch Transzendenz (bei Frankl) vorausgeht.Hat der Mensch im Umgang mit der Welt sein Personsein nicht gelebt und istsich dadurch selbst fremd geworden, so kann mit Hilfe der PEA die Personrestrukturiert werden. In der heutigen Existenzanalyse ist die PEA zurzentralen Behandlungsmethode geworden.Längle, A. (2000) hat in seinem Prozessmodell der PEA diesen Vollzug zur Personin einzelne Schritte „zerlegt“ und darin die einzelnen Aktualisierungsstufen derPerson beschrieben.Zur personalen Begegnung mit der Welt verfügt die Person für ihren innerenpersonalen Prozess über drei Grundfähigkeiten:• sie ist beeindruckbar,• sie bezieht Stellung und entscheidet sich auf dieser Basis (Willensbildung)• und die Person zeigt sich im AusdruckErleben von innen:Erlebbar von außen:Eindruck - Stellungnahme – Ausdruckansprechbar - verstehend - antwortendDas Prozessmodell der PEA dient der Bearbeitung der Psychodynamik undverhilft dem Menschen, unverstandenes Erleben, Gefühle und Erfahrungen zuentschlüsseln. Über das Verstehen von sich selbst, sowie der Situation, findet er______________________________________________________________ 57


zu seiner authentischen und selbst verantworteten Entscheidung und findet alsPerson zu seinem Ausdruck.Längle beschreibt vier Schritte, die für den inneren und äußeren DialogVoraussetzung sind. Darin sind die Offenheit, Freiheit, Selbstdistanzierung,Selbsttranszendenz, Personwerdung in der Stellungnahme und Antwortenthalten. Dieser Prozess führt zu einem ganzheitlichen Erleben der Person. Aufdiese Erfahrung kann sie zurückgreifen, weil sie sich diese zu Eigen gemacht unddamit integriert hat.verstehendPEA 2Stellungnahmevon außen:Person(Intimraum)ansprechbar Eindruck Ausdruck antwortendPEA 0 PEA 1 PEA 3Abbildung 2: Das Prozessmodell der PEA – die 4 Schritte nach Längle, A. (Lexikon derExistenzanalyse, 2009, S. 36)______________________________________________________________ 58


Detaillierte Beschreibung des PEA-Modells:PEA 0 Deskription: Beschreibung der konkreten Situation, der genaue Berichtder Probleme.PEA 1 Eindruck:Phänomenologische Analyse: Das Wesentliche erfasst diePerson im Eindruck. Hierin wird das erste spontanauftauchende Gefühl und der damit verbundene Impulsverstanden. In diesem Impuls zeigt sich schon eine ersteunbewusste, blitzartige Bewertung der Situation. Dieseserste spontane Gefühl zusammen mit dem ausgelösten Impulswerden als Primäre Emotion (= PE) bezeichnet -> PE = erstesGefühl und Impuls.PEA 2 Stellungnahme: Das Verstehen und die gewissenhafte StellungnahmediePerson kommt zum Entschluss und der Wille entsteht.Hier ist das „Sich-selbst-Verstehen“ und „Verstehen derSituation“ enthalten. Mit diesem Verstehen findet die Personüber ihre gewissenhafte Abstimmung im inneren Dialog zuihrer integrierten Emotion (IE) und kann als Personentschieden Stellung nehmen und sich entscheiden wie siesich zum Ausdruck bringen will. Hierdurch strukturiert sichdie Person. Das ICH entstehtPEA 3 Ausdruck:Was will die Person konkret tun?Die Person kommt im Handeln zum Ausdruck - sie gibt ihreentschiedene, verantwortete bzw. personale Antwort.Als Voraussetzung für eine authentische Stellungnahme ist das Verstehenvon sich selbst und der Situation notwendig.______________________________________________________________ 59


Kommt der Mensch nicht in die personale Stellungnahme durch das Übergehenseiner Primären Emotion – wenn er sich nicht ernst nimmt, wenn er zu großeAngst hat oder sein ICH überfordert ist – so wird sein Verhalten mehr vonpsychodynamischen Reaktionen (Copingreaktionen) bestimmt.Es kommt reflexartig vom Eindruck in PEA 1 direkt zum Ausdruck in PEA 3.EindruckAusdruck = CopingreaktionPEA 1 PEA 3Hier hat der Mensch den Inhalt seines Erlebens nicht verstanden und damit dasWesentliche, um was es ihm im Grunde geht, nicht erkannt. Seine persönlicheStellungnahme - PEA 2 - wird umgangen oder unvollständig vollzogen.Findet die Person, über den Prozess der PEA, in allen vier Grundbedingungen derExistenz zu einem entschiedenen JA, so führt dies zur Selbstannahme.(Längle, A., 2000, vgl. Grafik S. 25)1 GM: Ich kann mit dieser Realität leben2 GM: Ich mag mit meinen Werten leben3 GM: Ich kann mich unter diesen Bedingungen achten4 GM: Dafür möchte ich leben2.7 Die Rolle der Angst und Copingreaktionen in der heutigenExistenzanalyseDie psychische Dimension des Menschen als Bindeglied zwischen Körper undGeist hat in der heutigen Existenzanalyse eine Wächterfunktion. Sie wacht über______________________________________________________________ 60


alle drei Dimensionen des Menschen (Menschenbild, Frankl) und schützt mitihrer Psychodynamik, den Copingreaktionen auch seine geistige Dimension(Längle, A., 2003).In dieser Schutzfunktion für die geistige Dimension wacht sie über die vierGrundbedingungen gelingender Existenz, damit der Mensch personal leben kann.Diese Grundvoraussetzungen sind:1. GM – Sicherheit, Halt2. GM – Beziehung zu den Werten3. GM – Achtung/Wertschätzung, Identität4. GM – SinnIst eine oder sind mehrere dieser Grundbedingungen gefährdet oder bedroht,bekommt der Mensch ein deutliches Warnsignal – er bekommt Angst. Die Angstist ein Grundthema der Existenz. Sie ist für das Dasein des Menschen vonzentralem Wert, da ihre Wahrnehmung auf eine Gefährdung in den vierGrundvoraussetzungen der Existenz hinweist. Existenzanalytisch gesehen gibtsie den wichtigen Hinweis: „Schau hin, hier läuft was schief – deine Existenz istin Gefahr!“„Die Angst ist im existenzanalytischen Verständnis mehr als ein Signal - sie istdie „via regia“ in die Tiefe des Daseins“ (Längle, A., 1996, S. 12). Subjektiverlebt der Mensch die Angst als ein Gefühl der Enge, aus der er nicht herauskommt und mit der Situation überfordert ist. Der Sinn der Angst liegt in derAufforderung: „Mobilisiere deine Kräfte und tue etwas!“ In diesem Sinne ist dieAngst dem Leben dienlich. Die pathologische Angst, die sich durch fixierteCopingreaktionen zeigt, behindert jedoch das Leben.______________________________________________________________ 61


• Die Existenzanalyse beschreibt phänomenologisch zwei Grundformen derAngst1. Die Grundangst und2. die Erwartungsangst (Längle, A., 1996)Ad 1. Die Grundangst:Die Grundangst ist ein Phänomen der ersten Grundmotivation. Sie ist die direkteErfahrung der Brüchigkeit des Daseins. In dieser Situation erlebt der Mensch:„Ich kann nicht mehr sein“. Das bisher Festgefügte in der Welt, das ihm bisherRaum, Schutz und Halt in seinem Dasein gab, gibt es nicht mehr – damit geht ihmder verlässliche Halt in der Welt verloren.Ad 2. Die Erwartungsangst:Die Erwartungsangst ist die Angst vor der Angst. Es ist eine ängstliche Haltunggegenüber der Angst und durch ein primäres Erleben von Grundangstentstanden. Der Mensch hat Angst davor, mit der Angst nicht umgehen zukönnen. Er erwartet schon im Voraus, dass etwas Furchterregendes undAngstmachendes eintreten könnte. Vor dem Erleben dieser bedrohlichen,unangenehmen Angstgefühle, dem erneuten Erleben des Haltverlustes, möchteer sich schützen. Er versucht sie durch Copingreaktionen - das Klammern anSicherheiten (z.B. Geld), Vermeiden oder Bekämpfen (Phobien, Zwänge, Rituale)- von sich fern zu halten. Dies sind jedoch vergebliche Selbstheilungsversuche -sie können seine Angst nicht beseitigen.______________________________________________________________ 62


• Die Angst als Alarmsignal für eine existentielle BedrohungHier erfährt der Mensch eine Erschütterung der Halt gebenden Strukturen derExistenz. Existentiell gesehen erlebt hier die Person die Bedrohung in allen vierGrundbedingungen der Existenz. Es sind Erwartungsängste, den inneren undäußeren Halt zu verlieren.Die Inhalte der Angst in einer Situation sind:1. GM Grundangst/Daseinsangst Angst vor Verlust von Sicherheit und Halt2. GM Grundwertangst Angst vor Wertverlust3. GM Selbstwertangst Angst vor Verlust der Achtung/Wertschätzung/ Identität4. GM Existentielle Angst Angst vor SinnverlustAd. 1. GM Grundangst/DaseinsangstHier droht der Verlust des Halts im Dasein, es ist die basale, nackte Angst umdas Dasein-Können. Dies kann auch den physischen Tod bedeuten.Ad. 2. GM GrundwertangstHier droht der Verlust des Halts in den WertenEs ist Angst vor Beziehungsverlust, dem Verlust der Verbundenheit zuWichtigem und Wertvollem. Dies würde den Beziehungs-Tod bedeuten.Ad. 3. GM SelbstwertangstHier droht der Verlust des Eigenen, der Person/Selbstverlust, ihrer Würdeund damit ihres Ansehens und Selbstwertes. Es ist die Angst vor dem sozialenTod.______________________________________________________________ 63


Ad. 4. GM Existentielle AngstHier ist die Verwirklichung dessen, wofür man sich einsetzen und leben will,gefährdet. Dies ist die Angst vor dem Verlust des Sinns im Leben, vor demexistentiellen Tod.• Die Copingreaktionen (CR)Kann sich der Mensch in einer Angstsituation innerlich nicht von seiner Angstdistanzieren (Selbstdistanzierung) und mit seiner Angst nicht aktiv umgehen,übernimmt die Psychodynamik mit ihren Copingreaktionen (CR) die Führung. DieCR gewährleisten das Überleben. Als Reaktionen springen sie schnell undreflexartig ein und laufen automatisch ab. Ihre schnelle Hilfe liegt in derkurzfristigen Reduzierung und Beruhigung der Angst. Die Angst kann durch denständigen Einsatz der Copingreaktionen sogar komplett verdrängt werden undder Mensch nimmt seine Angst als Gefühl gar nicht mehr wahr. Er erlebt sichnur noch über seine Copingreaktionen, dahinter steckt jedoch seine verdrängteAngst. Da die CR nur Reaktionen sind, verhindern sie das aktive Einlassen in dieSituation. Damit lösen sie das Problem nicht, sondern sie verschieben es nur.Systematische Anordnung der CRLängle (2003) hat die verschiedenen Phänomene (Erscheinungsweisen) der CRnach ihrem zunehmendem Energieaufwand, der zur Bannung der Angst und zurEntlastung notwendig ist, systematisch in den Stufen eins bis vier geordnet.Diese Anordnung gilt in jeder der vier Grundmotivationen.______________________________________________________________ 64


Der zunehmende Energieaufwand der Copingreaktionen 1 4:1. Vermeidung/Flucht2. Kampf/ankämpfen3. Aggression/Wut und Ärger4. Ohnmacht/Überwältigtsein.Die Systematisierung der Copingreaktionen in die vier Energiestufen gibt einenguten diagnostischen Hinweis auf das Ausmaß der erlebten Angst in derSituation. Sie weisen gleichzeitig über ihre Phänomene auf die Gefährdung derexistenziellen Grundbedingung hin. Es können auch gleichzeitig mehrereexistentielle Grundbedingungen und in unterschiedlichem Ausmaß bedroht sein.Damit sind die Copingreaktionen der Schlüssel zum Verständnis für das Erlebeneines Menschen in einer Situation.In den ersten drei Stufen kann der Mensch seine Angst noch mit einer Aktivitätreduzieren. In der vierten Stufe ist die Angst jedoch so groß, dass nichts mehrgeht. Er wird von ihr überwältigt. Die Ohnmacht ist Zeichen desÜberwältigtseins. Auch hier zeigen die Phänomene der Copingreaktionen, inwelcher existenziellen Grundbedingung der Mensch von seiner Angst überwältigtist (Längle, A., 2003).Bedrohung der Grundbedingungen CR der 4. Stufe (Ohnmacht)1. GM bei Sicherheit/Haltverlust Lähmung/Erstarrung2. GM bei Beziehungsverlust Resignation/Apathie3. GM bei Selbst/Identitätsverlust Dissoziation/Spaltung/Leugnung4. GM bei Sinnverlust/Zukunftsverlust Nichten (für nichtig erklären)______________________________________________________________ 65


Hinter diesen Copingreaktionen ist die verschreckende Angst in der jeweiligenexistentiellen Grundbedingung verborgen. Kommt der Mensch in einer Situationzu sehr in die Angst und fühlt sich in allen vier Grundbedingungen überwältigt, sowird die Struktur der Existenz gestört (Kolbe, 2011-2012).2.8 Die Diagnostik in der ExistenzanalyseDie Existenzanalyse ist eine phänomenologische Methode. Über dieunterschiedlichen Phänomene der Copingreaktionen und ihre Zuordnung zu denvier Grundbedingungen der Existenz, sowie der Methode der personalenExistenzanalyse (PEA) lassen sich Störungen in der psychisch-geistigenDimension aus existenzanalytischer Sicht gut verstehen und diagnostizieren.Psychopathologisch handelt es sich hier um zwei Ebenen:1. Störungen auf der Strukturebene – in den vier Grundbedingungen der Existenz2. Störungen im personalen Verarbeitungsprozess - PEAAd. 1. Störungen auf der Strukturebene der ExistenzBei Verletzung oder einer tiefen Störung auf der Strukturebene reagiert derMensch mit Copingreaktionen. Leidet er an einer tiefen Störung, so übernimmtdie Psychodynamik gänzlich „das Ruder“ im Verhalten des Menschen. DieCopingreaktionen fixieren sich durch Bahnung im Gehirn. Das Copingverhaltenläuft dann immer gleich ab – z.B. Vermeidung, Ankämpfen etc. Auch hier führtdie Differenzierung der CR als Wegweiser zum betroffenen existentiellenGrundthema hin (siehe Struktur der Existenz mit ihren Grundfragen S. 56)Das Ausmaß einer strukturellen Verletzung/Störung zeigt sich in Ausmaß derFixierung der Copingreaktionen.______________________________________________________________ 66


eflexartigePsychodynamik: Eindruck ------------------------------- CR als AusdruckIn GM 1-4 Unterdrückung der Angst in GM 1-4und gleichzeitigesÜbergehen des primärenGefühlsWie oben beschrieben, verdecken die Copingreaktionen die Angst. Sie wird nichtoder nur reduziert wahrgenommen. Dies geht so schnell (Reflex) und ist bei derstrukturellen Störung so gebahnt, dass auch die dahinter stehenden eigentlichenGefühle überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden. Das weiterephänomenologische Schauen auf das eigentliche Erleben des Menschen in derSituation führt über die Fragen: „War es eher ein Gefühl derBedrohung?Belastung?Verletzung?Sinnlosigkeit? 1. GM – nicht sein können 2. GM – nicht leben mögen 3. GM – nicht Selbstsein dürfen/können 4. GM – nicht wissen, wofür leben“noch tiefer in die verletzte existentielle Struktur. Es lässt auch eineDifferenzierung zu, wo der Schwerpunkt der Verletzung/Störung liegt (nachKolbe, 2011-2012).Ad. 2. Störungen im personalen VerarbeitungsprozessIn der personalen Existenzanalyse (PEA) geht es um die Begegnungsfähigkeit derPerson mit sich selbst und der Welt. Mit Hilfe der PEA werden die vorhandenePsychodynamik, die primären Emotionen und die Verarbeitungsmöglichkeiten derPerson angeschaut. Die Prozessdiagnose zeigt auf welcher Verarbeitungsstufeder Vollzug der Person behindert ist.______________________________________________________________ 67


Störungen im personalen Prozess der PEA sind:• Wahrnehmungsstörungen• Der Eindruck kann nicht gehoben werden (die primäre Emotion)• Das Verstehen fehlt und dadurchfehlende Stellungnahme, Entscheidung und Willensbildung• Mangelhafte Ausdrucksmöglichkeiten(nach Längle, A., Lehrbuch der Existenzanalyse - Grundlagen, 2005, S. 38/39)2.9 Verständnis eines Traumas aus existenzanalytischer SichtDer folgende Abschnitt beschreibt zunächst kurz ein personales Trauma ausexistenzanalytischer Sicht und leitet dann auf die Frage über, wie eintraumatisches Geschehen überhaupt möglich ist. Im Weiteren folgen dieThematisierung des Entsetzens, dessen Entstehung sowie die Auswirkung auf dievier existenziellen Grundbedingungen und somit auf die Existenz. Abschließendwird nochmals kurz zusammenfassend auf das Erleben in den existentiellenGrundbedingungen und dessen Bedeutung eingegangen.Über die Theorie der heutigen Existenzanalyse findet man gut zum Versteheneines Traumas auf der geistig-personalen Ebene des Menschen sowie seineAuswirkungen auf die psychische und somatische Dimension.Das Trauma ist ein subjektives Erleben und führt zur Auswirkung auf der:• Strukturebene und• Prozessebene______________________________________________________________ 68


Das personale Trauma, im existenzanalytischen Sinne, ist eine Traumatisierungder Strukturen des Ichs. Existentielles Leben kann daher in und nach einertraumatischen Situation kaum noch stattfinden. Das Trauma erschüttert aufsHeftigste das gesamte Fundament der Existenz, d.h. alle vier existentiellenGrundbedingen brechen ein. In dieser Situation gibt es kein handlungsfähigesICH mehr. Das ICH – und damit die Person - ist für den Erlebenden verschüttetund der personale Prozess (beschrieben in der PEA) ist durch die Wirkung desTraumas nicht möglich (Längle A., 2007, vgl. S. 109).Das bedeutet:• Einbruch der Struktur der Person und damit bricht auch das Fundamentder Existenz ein.• In der Folge kann die Strukturierung der Person (PEA) nicht vollzogenwerden, weil der Boden hierfür fehlt.• Die Copingreaktionen des Überwältigtseins verhelfen der traumatisiertenPerson zum Überleben der Situation (CR - 4. Stufe nach Längle)Das Erleben des Entsetzens ist aus existenzanalytischer Sicht das zentraleErleben eines Traumas (Längle, A., 2005, 2006, 2007). Im Entsetzen erkenntder Mensch die höchst bedrohliche Situation für seine Person und damit auchdie Gefährdung seiner Existenz. Sein Dasein in der Welt, seine Werte, seineIdentität sowie seine Zukunft sind komplett in Frage gestellt. Er hat inseinem Erleben praktisch den Zusammenbruch/Einbruch aller vier existenziellenGrundbedingungen vor Augen. Dies überfordert das Erlebens- undVerhaltenszentrum - das ICH. Nichts geht mehr. Das überwältigte ICH ist demGeschehen hilflos ausgeliefert. In dieser Situation geht es nur noch ums nackteÜberleben der Person. Hier springt die Psyche mit ihren Copingreaktionen (Stufevier nach Längle) ein.______________________________________________________________ 69


Die traumatische Situation wirkt gleichzeitig auf alle drei Dimensionen (Soma,Psyche, Geist) des Menschen ein. Seine geistige Dimension erfasst und erkenntdurch das Erleben des Entsetzens (psychische Dimension) das Ausmaß derZerstörung in allen vier Grundbedingungen der Existenz. Die aktivenkörperlich/psychischen Rettungs-Funktionen, d.h. die aktiven Copingreaktionen,helfen hier nicht mehr. Dies führt zum psychisch-somatischen Schock. Hierkommt es auf neurobiologischem Wege zur Ausschüttung der Endorphine imGehirn. Damit setzt als letzter Schutz die eigene innere Betäubung ein. Siemindert oder löscht den tiefen geistigen Schmerz der Person. Es kommt zurStörung des Fühlens, Denkens und Handelns, sowie auch der situativenWahrnehmung. Dies ist vergleichbar mit einem Schockgeschehen während eineslebensbedrohlichen körperlichen Traumas oder einer künstlich medikamentösherbeigeführten Betäubung eines Menschen.Die eigene Betäubung während dieses Schockgeschehens führt zur Abschirmungnach außen, von dem äußeren Geschehen - sowie nach innen, vom eigenen innerenErleben. Dies kommt als Zeichen des Überwältigtseins und der Ohnmacht in denverschiedenen Phänomenen der Copingreaktionen über den Körper zum Ausdruck(CR entsprechend der Stufe vier nach Längle, A.).1. GM Lähmung -> Erstarrung Abschirmung gegenüber der Welt2. GM Gleichgültigkeit/ Abschirmung gegenüber denIndifferenzGefühlen, die belastend sind, damit keinWertempfinden mehr3. GM Dissoziation Abschirmung gegenüber sichselbst/Selbstbild -den inneren Abgründen4. GM Nichten Abschirmung gegenüber demSinnlosigkeitsgefühl______________________________________________________________ 70


• Doch wie ist das traumatische Geschehen überhaupt möglich?Längle hat das grunddialogische Wesen der Person - ihre doppelte Offenheit –beschrieben. Sie ermöglicht eine Verletzung und die Traumatisierung der Person.In einer traumatisierenden Situation wird der Mensch völlig unerwartet miteiner grauenvollen Realität konfrontiert. Hier begegnet er einer erschütterndenAbgründigkeit des Daseins, die er vorher niemals für möglich gehalten hätte.Diese schreckliche Realität setzt sich gewaltsam über die Grenzen seinerPerson hinweg und zerstört damit ihre Integrität. Ungefragt und ungewollt ister irgendwie zu einem Beteiligten dieser erschütternden Situation geworden.Hier geschieht etwas mit ihm, dem er nichts entgegen setzen kann. MaßlosesEntsetzen breitet sich in ihm aus (Längle, A., 2005, 2006, 2007).• Das Entsetzen und seine EntstehungDie Entstehung des Entsetzens ist ein innerer psychisch-geistiger Vorgang undentwickelt sich aus dem Erschrecken (Mitschrift meiner Ausbildung, 2002).Gleichzeitig findet im Körper über die Stressachse das neurobiologischeSchockgeschehen statt.Der Schrecken:Der Mensch wird in der Traumasituation mit einer unerwarteten,ungeheuerlichen Realität konfrontiert. Zunächst erlebt er einen heftigenSchrecken und fühlt sich in seinem Dasein zutiefst bedroht. Er spürt kurzfristigeine schwere Erschütterung seines Daseins und ist für eine „Schrecksekunde“vom Lebensfluss abgekoppelt. Vor Angst (= Grundangst) ist er zunächst gelähmt(Totstellreflex – Lähmung 1. GM) und kann sich vorübergehend weder bewegen,noch denken und handeln.______________________________________________________________ 71


Das Entsetzen:Hält der Schrecken zu lange an, weil er aus der Situation nicht heraus kann, soweitet sich der Schrecken zum Entsetzen aus (Mitschrift meiner Ausbildung,2002). Im Entsetzen erfasst der Mensch, dass es da in der Welt etwas gibt, dasihn als Person überrollt und schlagartig ausgeschaltet hat. Dieser Situationhatte er sich nicht selbstbestimmt aus seiner Freiheit heraus zugewendet,sondern er wurde durch sie von außen gewaltsam seiner Person „ent–setzt“. Dasbedeutet, er wurde „ ent-personalisiert.“ Mit einer solchen Situation hat erniemals gerechnet. Bisher waren die Welt und die alltägliche Wirklichkeitüberschaubar und er konnte als Person auf seine, ihm eigene Weise damitumgehen. Mit einem Schlag ist jetzt alles anders. Das Vertraute ist weg und esist nur noch die grauenvolle neue Wirklichkeit da. In dieser Situation kann er aufkeine Erfahrungen zurückgreifen und das Schreckliche weder verstehen nocheinordnen.Die Person erkennt die Tragweite dieses traumatischen Erlebens und damit auchdie Auswirkung auf ihr Dasein und die Existenz. Sie ist gleichzeitig mit allen vierGrundfragen der Existenz auf das Schrecklichste konfrontiert und ihrenPrimären Emotionen (GM1 - 4) ausgesetzt (Längle, A., 2005, 2007).1. GM: „Kann ich unter diesen Bedingungen überhaupt noch sein?“In der traumatischen Situation steht der Mensch plötzlich inmitten vongrauenvollen Lebensbedingungen, in denen sein bisheriges gewohntes Daseinkeinen Raum mehr hat. Sie zerstören schlagartig seine bisherigengrundlegenden, verlässlichen Annahmen und Vorstellungen über die Welt undentziehen ihm damit den Boden und Halt in der Welt. Damit geht ihm das Gefühldes Gehalten- und Getragenseins von der Welt verloren.In dieser Welt kann er nicht sein.______________________________________________________________ 72


Nackte Angst ums Dasein (Grundangst) überfällt ihn. Wenn es das gibt – dannkann er nicht sein. Da er aus der traumatischen Situation nicht heraus kann,bricht er aus Angst die Beziehung zu dieser scheußlichen Welt /Realität ab. Erschottet sich im Totstellreflex weiter ab und versteinert (Erstarrung - 1. GM).Wie in einer „Trutzburg“ versucht er, abgeschottet von der Außenwelt, alsPerson zu überleben. In dieser „Trutzburg“ steht die Person ihrem Gefühlschaosgegenüber.2. GM: „Mag ich so leben?“In der Traumasituation erlebt der Mensch, dass seine Grundhaltungen und seineWerte wie ein Kartenhaus zusammengefallen sind. Alles was ihm wichtig ist unddem er sich zutiefst verbunden fühlt, wird mit einem Schlag ungewolltrelativiert. Er kann die Beziehung zu sich und zu seinen Werten und nicht mehrhalten.So mag er nicht leben.3. GM: Darf ich so sein, wie ich bin?Die traumatisierende, schreckliche Realität fegt mit Wucht über die Personhinweg und zerstört ihre Grenze. Ungewollt ist sie in das Geschehen involviertund irgendwie daran beteiligt. Hier begegnet sie ihrer eigenen innerenAbgründigkeit, einem bisher unbekannten und erschreckenden Anteil von sichselbst. Ein neues Bild von sich selbst, das dem traumatischen Erleben entspricht,taucht auf. Sie ist fassungslos darüber, dass das sie sein soll. Bisher hatte sienicht geahnt, dass so etwas in ihr steckt. Scham kommt auf. Die Person fühltsich vor sich selbst und den Anderen bloßgestellt. Zutiefst verunsichert weiß sienicht mehr, wer sie eigentlich ist. Das bisherige vertraute Selbstbild, das ihreIdentität, ihren Selbstwert begründet hat, existiert plötzlich nicht mehr.Bisher konnte sie Halt und Vertrauen in sich selbst spüren. Jetzt kennt sie sich______________________________________________________________ 73


ei sich selbst nicht mehr aus. In dieser Situation geht ihr ihre Identität, dasICH, ihr Selbstwert sowie ihr Selbst, d.h. alles was sie bisher ausgemacht hat,verloren. Damit verliert sie auch den Halt und das Vertrauen in sich selbst.In ihrer Scham setzt sich die Person mit ihrem erschreckenden, neuenSelbstbild auseinander. Sie erkennt, dass sie sich hierin nicht selbst achten undwertschätzen kann. So kann sie sich auch nicht vor den Andern sehen lassen. Esbedeutet auch den sozialen Tod. In dieser Selbsterkenntnis werden die Schamund der psychisch-geistige Schmerz über sich selbst zu groß. Das neueSelbstbild darf einfach nicht wahr sein. Die Person lehnt sich hierin selbst ab,kann aber ihrer schrecklichen inneren Realität nicht entkommen. Sie gerät inhöchste Not und kann diesem Hochstress nicht standhalten. Hier springt wiederdie Psyche mit der Copingreaktion ein. Reflexartig werden die Endorphineausgeschüttet und es kommt zur Dissoziation verschiedenster Ausprägung. DieEndorphine dämpfen die Wahrnehmung ihres Selbsterlebens und bringen damitdie Person in Distanz zu sich selbst. Reicht dies aber nicht aus, kommt es zurinneren Flucht. Die Person erlebt sich entfernt von sich selbst und der Situation.Sie wird zum außenstehenden Beobachter der eigenen Person in der Situation -out of body. Als Beobachter hat sie nichts mit der Situation zu tun.Die Dissoziation dient also dem Schutz der Person.Mit Hilfe der körpereigenen Opiate schirmt die Psyche die Person vor dieserschrecklichen inneren und äußeren Wirklichkeit und den damit verbundenenheftigen Gefühlen ab. Durch Dämpfung der Wahrnehmung aller primärenEmotionen wird die Person vor einem Überschwemmtwerden ihrer Gefühlegeschützt. Die veränderte und verzerrte Wahrnehmung fragmentiert ihrErleben. Sie nimmt nicht alles wahr, erlebt vieles nur schemenhaft oder nurEinzelteile von sich, von ihren Gefühlen und der Situation. Damit geht ihr der______________________________________________________________ 74


Zusammenhang im Erleben verloren. Die Person verliert die Beziehung zu sichund der situativen Welt und kann daher den Dialog nicht aufnehmen. Sie ist indieser Situation nicht in der Lage, die Einzelteile ihres Erlebenszusammenzufügen, zu verstehen und dadurch auch zu integrieren.4. GM: Kann es so noch ein Wozu, eine Zukunft geben?In dieser grauenvollen Wirklichkeit geht der Person der Sinn dieser Situationverloren. Sie fühlt sich aus ihrem Lebensentwurf - wofür sie eigentlich leben will- herausgerissen. Das Gefühl der Sinnlosigkeit breitet sich in ihr aus. Sie hatkeine Orientierung mehr, wo sie steht und wohin es gehen soll. Dies bedeutetihren existenziellen Tod.Zusammenfassung des subjektiven Erlebens in der traumatischen Situation:In der Traumasituation erlebt der Mensch die gleichzeitige schwereErschütterung aller vier Grundbedingungen der Existenz. Er kann den primärenEmotionen dieser existenziellen Grundbedingungen nicht standhalten - sieüberwältigen ihn. Die Struktur des ICHs bricht ein, die Person kann denpersonalen Prozess (PEA) nicht vollziehen und erlebt statt existenziellerErfüllung eine tiefe Sinnlosigkeit. Die Psyche springt ein und schützt mit denCopingreaktionen des Überwältigtseins (Stufe 4) das Überleben der Person.In allen vier GM kommt es direkt vom Eindruck (PEA 1) zum Ausdruck (PEA 3).1. GM Erleben der Grundangst der physische Tod drohtdie Person kann in dieser Welt nicht sein Halt- und Vertrauensverlust in die Welt CR: Erstarrung Beziehung zur Welt wird abgebrochen Weltverlust______________________________________________________________ 75


2. GM Erleben eines völligen Beziehungsabbruchs von den Werten, Haltungen undEinstellungen Eventuell Erleben von belastender Schuld, weil die Verantwortung für dieWerte nicht gelebt wirdVerlust der Lebensfreude; ohne Werte geht die Wärme des Lebens verloren CR: Gleichgültigkeit, Indifferenz im Fühlen, da kein Wert existiert der ihnhält und wärmt Lebensverlust3. GM Erleben des Verlustes der Identität, des ICHs Der Mensch kann sich imeigenen Handeln nicht achten und wertschätzen und sich auch so nicht sehenlassen Erleben von psychisch-geistigem Schmerz und evtl. tiefer Scham und Beziehung zu sich selbst wird abgebrochen Verlust des Selbstvertrauens und inneren Halts CR Dissoziation Selbstverlust, auch der soziale Tod droht4. GM Erleben von Sinnlosigkeit Orientierungslosigkeit - ExistenzverlustDurch das traumatische Geschehen erlebt der Mensch einen äußeren und innerenHaltverlust. Es ist ein psychosenahes Erleben, das in seinem emotionalenGedächtnis Spuren hinterlässt. Dies zerstört sein Vertrauen in die Welt und insich selbst. Ohne dies ist der personale, existenzielle Lebensvollzug nichtmöglich.______________________________________________________________ 76


3 Praktischer Teil3.1 Mein VerarbeitungsprozessIm Folgenden beschreibe ich meinen Verarbeitungsprozess, sowie dieIntegration und damit die Heilung meines Traumas mit Hilfe derexistenzanalytischen Theorie. Hier nehme ich insbesondere Bezug auf dasKonzept der existenziellen Grundmotivationen/Bedingungen sowie der PersonalenExistenzanalyse (PEA).• Erste Schritte und Einordnung der EindrückeEinen ersten Einblick, wie es überhaupt zu einem psychisch - geistigen Trauma(oder einer Verletzung) kommen kann, erhielt ich durch das Verstehen desgrunddialogischen Charakters der Person, ihrer doppelten Offenheit nach innenund außen und ihre damit verbundenen Durchlässigkeit (siehe Abb. 1, S. 46)Die Methode der Personalen Existenzanalyse (PEA), sowie die Theorie über dieStruktur der Person und Existenz dienten mir als Vorlage für meineVerarbeitung. Hiermit ließen sich die Einzelteile meines erlebten Gefühlschaosordnen und zu einem halbwegs verstehbaren Gesamterleben zusammenfügen.Da im Eindruck, den eine existentielle Situation hervorruft, auch immer alle vierGrundfragen der Existenz (GM 1-4) enthalten/betroffen sind, habe ich für jedeeinzelne GM den Prozess der PEA nachvollzogen.______________________________________________________________ 77


Ich fand meine erlebten Einzelphänomene sowohl im Eindruck als primäreEmotionen, als auch im Ausdruck als Copingreaktionen wieder. BewussteStellungnahmen fand ich während meines traumatischen Erlebens nicht. ImGefühl des Entsetzens fand ich den gemeinsamen Nenner meines erlebtenGefühlschaos. Auch meine Psychodynamik mit der Abfolge der Copingreaktionen,wie ich sie erlebt hatte, wurde mir verständlich. Das Gefühlschaos meinerEinzeleindrücke (primären Emotionen) und die Copingreaktionen fügten sichschließlich wie ein Puzzle zu einem noch nicht ganz verstandenen Gesamterlebendieser Situation zusammen.Ich hatte ein Trauma erlebt. Die Strukturebene, das Fundament der Existenz,war in allen vier Grundmotivationen eingebrochen. Besonders heftig betroffenwaren die erste und dritte Grundmotivation. Personales Handeln war unterdiesen Umständen nicht möglich. Unter Umgehung der geistig verstehenden undverarbeitenden Ebene (PEA 2), weil ich weder mich, noch die Situation vondamals verstand, hatte ich mich durch die Totstellreflexe der einzelnen GMüber die Traumasituation hinweg gerettet.• Mein Vorgehen nach dem prozessualen Modell der PEA (Schritte):PEA 1 = Eindruck= Primäre Emotion und ImpulsPhänomenologischer Gehalt (Was sagt mir das?)PEA 2 = Stellungnahme= Verstehen und integrierte Emotion/Stellungnahme(geistige Ebene)PEA 3 = Ausdruck= Handlung, hier würde ein Entschluss dahinterstehen= Copingreaktion auf der psychodynamischen Ebene,______________________________________________________________ 78


• Einordnung in die vier GrundmotivationenHier beschreibe ich die Einordnung meiner einzelnen primären Emotionen(GM 1 - 4) mit den entsprechenden Copingreaktionen in die PEA undentsprechenden Erläuterungen. In allen vier GM fehlen hier die bewusstenStellungnahmen (PEA 2), weil ich mein Erleben nicht verstand. Unbewusste,inkomplette Stellungnahmen waren im Ansatz vorhanden.1.GM:Eindruck (PEA 1)Primäre Emotion:Impuls:Phänomenaler Gehalt:Schrecken und Entsetzen„Nichts wie weg“Das ist Auslöschung/Zerstörung von Menschen-wie bei den Nazis. Das ist Vernichtung.Inkomplette Stellungnahme: Ich kann hier nicht sein, wenn es „das“ hier gibt -wenn wir das so machen wie die Nazis und überdas Leben Anderer verfügen. Unter diesenäußeren Bedingungen kann es hier für michkeinen Lebens- und Arbeitsraum gebenAusdruck (PEA 3)Copingreaktion:Totstellreflex:Im Schrecken erst Lähmung, dannErstarrung/Versteinern (der Schreck dauert andann Entsetzen)FolgeBeziehungsabbruch zur Welt - Weltverlust______________________________________________________________ 79


Durch das Entsetzen, weil die situative Welt soist, Verlust von Vertrauen und Halt in dieseWelt; Abschottung und verschließen nach außen.2. GMEindruck (PEA 1)Primäre Emotion:Impuls:Entsetzen und belastendes Schuldgefühl“Nichts wie weg!“ „Ich möchte da nicht dabeisein!“ (Mit so einer Arbeit und diesenVorgangsweisen möchte ich nichts zu tun haben)Phänomenaler Gehalt:Leben hat hier keinen Wert.Stellungnahme im Ansatz:Hier gelten meine Werte nicht. Ich mag ohnemeine Werte nicht leben/arbeiten.Das ist kein gutes Leben für mich.Ausdruck (PEA 3)Copingreaktion:Totstellreflex:Indifferenz, GleichgültigkeitFolgedurch Beziehungsabbruch von meinen Gefühlenund Werten Lebensverlust. Der Halt sowie dasGefühl des Aufgehoben- und Geborgenseins inmeinen Werten sind weg.3. GMEindruck (PEA 1)Primäre Emotion:Entsetzen und tiefe Scham über mich,Impuls:Mich verstecken/verschwinden wollen______________________________________________________________ 80


Phänomenaler Gehalt:Die Person zählt hier nicht, die Würde desMenschen wird zerstört, alles dient derFunktion.Rudimentäre Stellungnahme:Mein Selbstbild zeigt mir, dass ich eine Mörderinbin. Ich habe mich und meine Werte verraten.Das darf nicht wahr sein, das kann ich nichtaushalten.Ausdruck (PEA 3)Copingreaktion:Totstellreflex:Dissoziation mit out of body – Flucht vor mir,meinem neuen Selbstbild und der Situation.FolgeDurch die Dissoziation (out of body) bricht dieBeziehung zu mir ab. ICH–Verlust: Ich bin dasdort nicht, ich habe nichts damit zu tun. Ichsehe mich aus der Distanz – bin nur eineBeobachterin.4. GMEindruck (PEA 1)Primäre Emotion:Impuls:tiefes SinnlosigkeitsgefühlDa will ich nicht mehr mitmachen.Phänomenaler Gehalt:Das hat keine Zukunft – das führt zu keinemWert.______________________________________________________________ 81


Rudimentäre Stellungnahme:Das kann es nicht gewesen sein, was soll das? was ich gemacht habe war sinnlos, umsonst (inmeiner existentiellen Wirklichkeit)Ausdruck (PEA 3)CopingreaktionkeineAnmerkung: Im Augenblick des Traumas, fühlteich nur die Sinnlosigkeit. Die CR der 4. GMZynismus, Nihilismus wäre für die PTSDzutreffend.FolgeOrientierungslosigkeit, Verlorensein,Die Betrachtung meines traumatischen Erlebens über das Gerüst der personalenExistenzanalyse und die Zuordnung der vier betroffenen Grundmotivationen zuEindruck und Ausdruck, gaben mir anfänglich einen Boden unter die Füße.Mit diesem ersten Verstehen war jedoch die Auseinandersetzung mit meinemErlebten noch nicht abgeschlossen. Für PEA 2 und damit die Integration meinesErlebens hatte ich vieles noch nicht verstanden. Hier ließ ich mich vonauftauchenden Bildern während der Bearbeitung leiten.______________________________________________________________ 82


PEA2Stellungnahmen finden nicht statt,weil das Verstehen fehlt??PersonPEA1PEA3EindruckAusdruckPrimäre EmotionenCopingreaktionenPsychodynamische Ebene1. GM Angst Lähmung -> Erstarrung2. GM Schuld Indifferenz3. GM Scham Dissoziation4. GM SinnlosigkeitEntsetzen -----------------> TotstellreflexeAbbildung 3: PEA mit allen vier GM im Augenblick meines Traumas (eigene Darstellung,2012)3.2 Die Phänomene meines Erlebens während der Aufarbeitung und desSchreibensMeine intensive Beschäftigung mit der traumatischen Situation und ihremNiederschreiben führten bei mir immer wieder und auch immer intensiver zuverschiedenen Symptomen, die ich mir für das ganze Verstehen der damaligenSituation genau anschauen musste. Diese Phänomene wurden zum Wegweiser indie Tiefe meines vergessenen Erlebens und zu den verdrängten Themen, die michnoch immer unbewusst bewegten.______________________________________________________________ 83


3.2.1 Flashbacks /Intrusionen und ihre ZuordnungIm Laufe der Jahre tauchten hin und wieder verschiedene Erinnerungen in mirauf. Es waren Bilder und Szenen aus dem Operationssaal und meiner Arbeit.Während des Niederschreibens wiederholten sich häufig drei Bilder. Sietauchten zu Beginn nur sehr kurz auf und waren schon wieder abgetaucht, bevorich sie richtig fassen und zuordnen konnte. Sie wurden aber immer intensiver.Alle drei Bilder hatten eines gemeinsam, sie waren von einer unheimlichen,bedrohlichen Atmosphäre begleitet und ich bekam dabei jedes Mal ein ganzungutes und elendes Gefühl – es war einfach unheimlich. Irgendwann war es mirmöglich, die einzelnen Bilder zu fassen:1. BildIch sah große Kacheln mit einem Ausschnitt einer großen Wanduhr, davor einabgeschaltetes Beatmungsgerät mit Beatmungsschläuchen – ohne Patienten. Aufdem Beatmungsgerät stand ein laufender Monitor.2. BildNur ein Beatmungsgerät – es war abgeschaltet und die Beatmungsschläuchehingen herab. Am Schlauchende war kein Patient angeschlossen.3. BildMein Anästhesiebereich, abgeteilt vom Operationsbereich durch ein Tuch – sowie es bei Operationen üblich ist. Hier sehe ich den Kopf eines intubiertenPatienten. Der Tubus ist nicht an den Beatmungsschlauch der Maschineangeschlossen. Es ist der Kopf eines jungen, blassen Mannes.______________________________________________________________ 84


Die ersten beiden Bilder sah ich aus einer gewissen Distanz. Das dritte Bild, denPatientenkopf, sah ich manchmal ganz nah, als würde ich daneben sitzen, wiewährend einer Narkose. Dann sah ich ihn wieder aus der Ferne, aus derselbenDistanz wie die anderen Bilder. Alle drei Bilder waren alltägliche Eindrücke ausmeinem normalen Anästhesiealltag: Ein intubierter Patient, entweder geradeintubiert am Beginn der Narkose - oder am Ende der Narkose, also kurz vor derExtubation. Ich hatte so etwas, mehr oder weniger bewusst, während meiner 20-jährigen Anästhesietätigkeit oft gesehen. Das begleitende elende Gefühl in mirführte ich darauf zurück, dass ich in meinen Beruf viel Schreckliches gesehenhatte. Vielleicht war es eines davon. Zunächst waren es für mich einfach nurErinnerungsfetzen aus dem Arbeitsalltag.Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass dies DER junge Mann war. Erstim Nachhinein, als ich durch die Bearbeitung meines traumatischen Erlebenswieder in die Dissoziation eintauchte, sah ich Verbindungen. Diese drei Bildergehörten zusammen und ergaben das Bild des jungen Mannes während meinerersten Explantation. Die traumatisierende Situation hatte sich mir in einemzersplitterten Erinnerungsbild eingeprägt. Das Bild aus der Nähe – derAugenblick im Bild gespeichert - gleich nach dem Abschalten desBeatmungsgerätes und kurz vor meiner Dissoziation. Alle drei Bilder ausderselben Distanz – die Entfernung entsprach dem Abstand wie bei derDissoziation, als ich mein eigener Beobachter war. Wie in einem Puzzle fügtensich diese Einzelbilder zu einem Gesamtbild und zu einem Verstehen zusammen.Sie stellten das Zu-Ende-Sterben des jungen Mannes dar. Seit ich diese dreiBilder benennen und als Gesamtbild für mich stimmig zuordnen kann, tauchtensie und das dazugehörige elende Gefühl nicht mehr unvermutet in mir auf. Ichmuss die Erinnerung an sie auch nicht verdrängen, sondern ich kann mich aktiv ansie erinnern und weiß – da gehören diese Bilder hin.______________________________________________________________ 85


3.2.2 Ambivalenz beim Benennen des TotenBeim Schreiben fiel mir auf, dass ich große Schwierigkeiten hatte, micheindeutig auszudrücken - beim Schreiben lege ich mich ja fest. Spender – Toter- Patient – Junger Mann – was war er nun für mich? Ich war hin- und hergerissen.„Spender“„Toter“war mir zu verzweckt und tat mir in der Seele wehdavon war ich ausgegangen, ich hatte ihn aber auf demOperationstisch anders erlebt – das Herz schlug ja weiter„Patient“so hatte ich ihn behandelt; er war für mich ein Notfallpatientbis zum Abschalten des Beatmungsgerätes„Junger Mann“Das war am Leichtesten zu schreiben, denn das war er ja sooder so. Dadurch war er ein Mensch – das empfand ich alsstimmig.Weiter kam ich in meiner Traumabearbeitung vorerst nicht.3.2.3 Selbstgefühlsbild – Tektonische PlattenInzwischen tauchte immer öfters und hartnäckiger ein sehr unangenehmesSelbstgefühlsbild in mir auf. Ich wusste nicht, was das sollte und von mir wollteund versuchte es lange zu verdrängen. Es wurde aber immer aufdringlicher, bisich es mir endlich ansah.• Mein SelbstgefühlsbildIch stehe mit je einem Bein auf zwei tektonischen Platten über einemGrabenbruch. Die Platten driften ganz langsam diagonal auseinander. Ich fühle,______________________________________________________________ 86


wie es mich fast zerreißt, kann die Platten aber gerade noch halten. Es ist sehranstrengend. Aus dem Grabenbruch taucht dichter grauer Nebel auf, den ichnicht verstehe. Er verhindert meine Sicht in die Tiefe. Dahinter liegt etwasWichtiges verborgen, das ich eigentlich wissen will.Immer wieder versuchte ich dieses Bild zu verstehen. Es gelang mir lange Zeitnicht, hinter diesem Nebel in die Tiefe zu sehen. Irgendwann wurde mir aufeinmal klar - hinter dieser unheimlichen, nebulösen Grauzone lag das Sterbenverborgen. Die auseinanderdriftenden tektonischen Platten zeigten mir meineinnere Zerrissenheit, was der junge Mann nun wirklich für mich war. Die einetektonische Platte symbolisierte das Leben, die andere den Tod und dazwischenlag für mich nebulös verborgen die Übergangsphase - das Sterben. Ich hatte denProzess des Sterbens ausgeklammert. Hier hatte ich einen blinden Fleck.Gänzlich unreflektiert und bereitwillig hatte ich die Umdefinition desTodeszeitpunktes übernommen. Als Hirntoter war er für mich damals tot. MeinErleben lehrte mich jedoch Anderes. Genau das wurde für mich zum„Stolperstein“ für mein Erleben im OP. Der „Tote“ war nicht tot, das hatte ichtrotz Stress intuitiv erfasst. Der junge Mann war ein Sterbender und keinToter.- Das war ungeheuerlich! Ich hatte aktiv am Sterben mitgewirkt! -Hinter allen drei Phänomenen - dem zusammengesetzten Bild aus meinenIntrusionen, meiner Ambivalenz beim Benennen des Toten, dem dichten Nebelzwischen den tektonischen Platten – lag die Sterbephase des jungen Mannesverborgen. Ich musste mir nochmals die schulmedizinische Seite derHirntoddefinition ansehen. Das brauchte ich jetzt, um mich zu verstehen.______________________________________________________________ 87


3.2.4 Das Sterben - Hirntod und der Prozess des SterbensDas Phänomen des Hirntodes gibt es erst durch die Entwicklung der Intensiv–und Notfallmedizin.Hirntote sind sterbende Menschen mit einem irreversiblen Hirnversagen. Diemessbaren Großhirnfunktionen, sowie das Atemzentrum im Stammhirn sindausgefallen. Es ist der Beginn des Sterbeprozesses. Auf diesem Weg gibt eskein Zurück ins Leben. Da der Atemimpuls vom Gehirn ausfällt, atmet derMensch nicht mehr selbst. Ohne die Spontanatmung hört auch das Herz nacheiniger Zeit von selbst auf zu schlagen. In der Folge sterben, ohne dieSauerstoffversorgung über den Kreislauf, die anderen Organe ab. Die einzelnenOrgane haben unterschiedliche Überlebenszeiten und so folgen nacheinander u.a.die Leber – die Nieren – ganz zum Schluss der Darm, die Autolyse setzt ein.Jetzt erst ist der Mensch biologisch tot.Die Intensivmedizin kann in diesen unaufhaltbaren Sterbeprozess aktiveingreifen. Mit Hilfe der künstlichen Beatmung und mit Medikamenten kann siefür eine begrenzte Zeit das Sterben der Organe hinauszögern. Diese künstlichverlängerte „Überlebenszeit“ der Organe ermöglicht dieTransplantationsmedizin. Der Hirntote ist also ein künstlich beatmeter, aberirreversibel Sterbender. Am Ende steht auch mit Beatmungsmaschine der Tod.Durch die Gleichsetzung „hirntot = tot“ stehen die Fragen - „Was ist nochLeben und was ist schon tot?“ - schlagartig in aufschreckender Weise im Raum.Bei einer Organentnahme werden sie unmittelbar erlebbar:Der Hirntote kommt als beatmeter Patient auf den Operationstisch. Sein Herzschlägt noch, alle medizinischen Daten werden wie üblich gemessen undprotokolliert. Er wird als Patient behandelt und anschließend findet ein______________________________________________________________ 88


kontrolliert protokolliertes Zu–Ende-Sterben statt. Erst wird derSterbeprozess aktiv verzögert und dann aktiv (durch das Abschalten derGeräte) beendet. Ist alles vorbei, dann erst steht man vor einem Toten. Hier giltdann wieder die alte Definition – der Herztod!Hirntod-HerztodHirntod oder Herztod mit Kreislaufstillstand sind Vereinbarungen über denTodeszeitpunkt im Verlauf des Sterbens. Ab jetzt ist bzw. gilt der Mensch alstot. Das Hirntodkonzept gilt nicht nur im Hinblick auf dieTransplantationsmedizin. Der diagnostizierte Hirntod ist auch der Zeitpunkt, andem eine weitere intensivmedizinische Behandlung abgebrochen wird. Sie würdedann nicht mehr dem Leben dienen, sondern zu einer Verlängerung des Sterbensführen. Ein Hirntoter wird nicht weiter beatmet, wenn er kein Organspender ist.Er darf in Ruhe und in Würde zu Ende sterben.3.3 Verstehen meines traumatischen Erlebens3.3.1 Verstehen der äußeren SituationBis zum Beginn meiner Ausbildungszeit hatte ich noch wenig mit dem Sterben zutun gehabt. In jenen Jahren waren der Tod und das Sterben auch kaum einThema. Die vielen Toten des Krieges waren der Bevölkerung noch zu nahe. EinKulturwandel fand statt. Sterben und Tod wurden aus dem alltäglichen Lebenverdrängt und ins Krankenhaus verlagert. Dort kämpfte man um das Überlebenund Weiterleben und es gelang oft, den Tod noch einmal in die Ferne zuschieben. Durch die Intensiv- und Notfallmedizin konnte man immer öfters an______________________________________________________________ 89


Wunder grenzende intensivmedizinische Erfolge erleben. Gerade in diesemmedizinischen Fachbereich war das Sterben ausgeblendet.So erging es auch mir. Das Sterben als ein Prozess, der noch zum Leben gehört,war mir damals nicht bewusst. Für mich bedeutete eine Hirntoddiagnose: DieserMensch ist tot. Diese Festschreibung des Todeszeitpunktes nahm ich alsgegeben hin. Es war ja der Zeitpunkt, an dem jegliches therapeutischesEingreifen beendet wurde, weil es kein Zurück mehr gab. Sterben sah ich ganzeng zum Tod gehörend, eher als einen Teil des Todes und nicht als einen Teil desLebens. Damals, während meiner ersten Explantation, hatte ich jedoch dieSterbephase des jungen Mannes, vollkommen unerwartet lang und als Lebenerlebt.Meine Wahrnehmungen und mein Erleben während dieser Zeitspanne hatten sich,mir unbewusst, als fragmentiertes Bild in mein Gedächtnis eingegraben:Die EKG - Kurve des laufenden Monitors, der regelmäßige Piepston bis zu seinemVerstummen, dann die Nulllinie im EKG, das Fehlen des mir vertrauten,rhythmischen Geräusches der Beatmungsmaschine, die tickende Wanduhr aufder gekachelten Wand – sie ergaben zusammen das Bild des Zu-Ende-Sterbensdieses jungen Mannes auf meinem Operationstisch. Er beendete vor meinenAugen sein Leben. Alles war auch atmosphärisch in mir abgespeichert. Ichverstand jetzt, meine Erinnerungen hatten mich als intrusives Geschehen inForm von Flashbacks immer wieder eingeholt.3.3.2 Verstehen aus meiner biographischen ErfahrungWährend meiner Kindheit und Jugend hatte ich in der weiter bestehendendichten Nazi-Atmosphäre der Nachkriegszeit die Brüchigkeit des Daseins selbst______________________________________________________________ 90


am eigenen Leib erfahren. Aufgrund einer Gehbehinderung bekam ich oftatmosphärisch zu spüren, dass mein Recht auf Dasein nicht so selbstverständlichwar. Andere bestimmten noch immer gedanklich und verbal über das Recht aufLeben. So wurde die Wahrung der Würde des Menschen zum wesentlichstenWert in meinem Leben. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, einem Menschendas Leben abzusprechen. Aber genauso fühlte ich mich in jener Situation. Daherauch die Affektbrücke meines Erlebens im OP zu dem schrecklichen Gedanken:„Wir machen dasselbe wie die Nazis!“ - „Hier ist kein sicherer, verlässlicherOrt!“ Ich war zutiefst erschrocken und entsetzt über meine ganz realistischerlebte subjektive Wirklichkeit. Mithilfe der Erstarrung schottete ich michgegenüber dieser „Nazi-Wirklichkeit“ komplett ab. – Wenn es wahr war, dass wirhier so etwas machten, dann konnte ich hier nicht sein. Das war mir ganz klar.Durch das Zuwarten müssen hatten meine Gefühle Zeit für ihre Entstehung.Erst da tauchte in mir die Erkenntnis auf: „ICH bin sogar daran beteiligt.“ Ichwar es, die die Beatmungsmaschine auf Geheiß hin abgestellt hatte. Damit hatteich selbst meine Werte und auch mich verraten. Ich hatte die Würde desPatienten und damit auch meine Würde mit Füßen getreten. Ich konnte es nichtglauben, aber es war so. Hier habe ich mich verlassen (dissoziiert), weil ich ausScham mein neues Selbstbild nicht ertragen konnte. Mein ICH, meine Identität,waren aus den Fugen geraten.3.4 Einholen meiner Stellungnahmen (PEA 2) durch VerstehenIm Folgenden beschreibe ich meine spontane, rudimentäre Stellungnahmewährend und nach dem Trauma, noch im Operationssaal und bei den______________________________________________________________ 91


nachfolgenden Explantationen; ebenso meine heutige Haltung zurOrganentnahme.3.4.1 Stellungnahme noch im OP, nach der DissoziationWährend der traumatischen Situation war mir nichts möglich. Hier ging es aufder Copingreaktionsebene nur um das Überleben meiner „verschütteten Person“.Erst nach meiner Dissoziation wurde ich wieder denk- und handlungsfähig. DasGeschehen war vorbei, die normale Alltagsrealität war wieder da. Ich war wieder„ICH“ und sah den toten jungen Mann vor mir liegen. Diese Situation konnte ichjetzt wieder annehmen und mich ihr auch zuwenden. Ich wollte und musste demjungen Mann seine Würde wieder zurückgeben. Mein langes Verweilen an seinerSeite, die Blutstillung, das Reinigen sowie Verbinden waren wie eineWiedergutmachung und ein Abschiednehmen von ihm. Mehr konnte ich für ihnnicht tun. Diese Handlung gab auch mir wieder meine eigene Würde zurück. Indieser Situation war mein Tun eine Mischung aus unbewusster Stellungnahme undCopingreaktion. In meinem tiefsten Inneren war für mich ganz klar, dies war dasEinzige und Beste, was ich hier noch für ihn tun konnte. Das Müssen diente derBekämpfung meines Schuldgefühls - ich war ihm seine Würde als Menschschuldig geblieben.3.4.2 Umgang mit weiteren ExplantationenBei späteren Explantationen war es ein reines Müssen – eine Copingreaktion. Eswurde zu einem gleich bleibenden Ritual zum Überstehen der Situation. MeineAngst vor einem Wiedererleben des ganzen unverstandenen Geschehens und demdamit verbunden Halt- und Kontrollverlust waren zu groß.______________________________________________________________ 92


3.4.3 Stellungnahme heute - oder wie sehe ich es heute?Heute, nach der Aufarbeitung meines traumatischen Erlebens, kann ich mich unddie Situation gut verstehen. Mein biographischer Hintergrund hatte einewichtige Bedeutung in meinem heftigen Erleben. Aber auch ohne diesenHintergrund ist der Umgang mit einer Explantationssituation sehr schwer füralle Beteiligten. Im Rückblick gesehen hatte ich damals intuitiv das für michRichtige getan - die Wiederherstellung der Würde des Toten und meinAbschiednehmen auf diese mir eigene Art und Weise.Heute würde ich ganz bewusst und entschieden mit der Haltung – Wahrung derWürde des Sterbenden und des Toten - in die Situation gehen. Es wäre fürmich ein gehbarer Weg, mit diesem schweren Thema „Hirntod undOrganentnahme“ umzugehen. Eine Explantation darf nie zu einem gefühls- undgedankenlosen Routineablauf werden.3.5 Die HeilungIm Folgenden beschreibe ich die Veränderungen meines persönlichen Erlebenswährend des Verarbeitungsprozesses. Während der Aufarbeitung meinesTraumas vollzog sich, in einem langsamen aber stetigen Prozess, eineVeränderung meines Angsterlebens bei meinen Begegnungen mitMotorradfahrern auf der Straße.Es begann mit dem theoretischen Verstehen meines damaligen Erlebens. DieZuordnung meines chaotischen Erlebens zu den entsprechendenGrundmotivationen (GM) mit ihren Copingreaktionen ließ mich erkennen, dass allevier Grundbedingungen (GM) der Existenz eingebrochen waren.______________________________________________________________ 93


Existenzanalytisch gesehen war es aber eine existentielle Situation und allesgehörte zusammen. Mit dieser Gesamtsicht begann sich meine Angst langsam zuwandeln. Meine heftige Angstreaktion in diesen Begegnungssituationen gingallmählich in ein „nur ungutes Magengefühl“ über. So blieb es zunächst längereZeit. Dann wurde auch dieses schwächer und wich einem zunehmenden„Schmerz– und Wehgefühl ums Herz.“ Jetzt stellten sich bei mir in diesenSituationen Gefühle der Trauer und Wehmut ein. Ich musste immer darandenken, dass hinter jeder Transplantation ein Mensch steht, der sein Leben aufdiese Weise lassen muss, damit ein Anderer leben kann.Diese Übergangsphase hielt lange an, nahm aber an Intensität ab. Parallel zudiesen Veränderungen war ich innerlich weiter am Verarbeiten und entwickelteein immer besseres Verständnis für mein traumatisches Erleben. Eines Tageserlebte ich mich gefühlsmäßig und gedanklich frei. An einer Straßenkreuzungfragte ich mich eines Tages ganz erstaunt: „Ist da nicht eben einMotorradfahrer vorbeigefahren?“ Ich hatte ihn nicht bewusst wahrgenommenund er war schon wieder in weiter Ferne. Von da an tauchten in diesenSituationen die Gefühle der Angst, Trauer und Wehmut nicht mehr in mir auf.Auch der Blitzgedanke „Nierenspender“ schnellte in Verbindung mitMotorradfahren nicht mehr in mir hoch. So blieb es auch. Motorradfahrer sindzu „normalen“ Verkehrsteilnehmern geworden.Im letzten Schritt der Heilung löste sich auch die Verknüpfung „Nierenspender“mit sonstigen Verkehrsrowdys völlig auf. Auch meine bildhaften Intrusionen ausdem OP sind, nachdem ich sie zu einem Bild zusammenfügen und seine Bedeutungerkennen konnte, nie mehr aufgetreten.______________________________________________________________ 94


Durch das Verstehen der damaligen traumatischen Situation und meiner selbsthabe ich zu innerer Ruhe gefunden. Meine Erinnerungen sind nicht mehrabgespalten, auch schnellen sie nicht mehr unerwartet in mir hoch. Ich kann michheute diesen Erinnerungen ohne Angst zuwenden.______________________________________________________________ 95


4 Reflexion und DiskussionMein traumatisches Erleben liegt nun schon über 40 Jahre zurück. Durch meineBerufswahl war ich direkt mit der sich damals neu entwickelndenTransplantationsmedizin konfrontiert. Mental und psychisch völlig unvorbereitetwurde ich in die neuen, medizinisch notwendigen Aufgaben und Handlungen beiOrgan-Explantationen hineingeworfen. Die Gründe für mein Entsetzen währendmeiner ersten Explantation lagen sowohl in der neuen medizinisch notwendigenAufgabe und deren Durchführung, als auch in meinem biographischenHintergrund.In der Zeit nach dem traumatischen Ereignis habe ich bei Explantationeneinfach nur funktioniert und mich durch ein ritualisiertes Copingverhalten voreinem Wiedererleben meiner unverstandenen heftigen Gefühle geschützt. ZurVermeidung dieser schwer aushaltbaren Situationen habe in ein Krankenhausgewechselt, das sich nicht mit der Transplantationsmedizin befasste. Dort ließmich der normale Arbeitsalltag das traumatische Erleben vergessen.Ungefähr zehn Jahre später, mit dem Beginn des Motorradbooms, tauchten beimir erste Symptome im Zusammenhang mit Motorradfahrern im Straßenverkehrauf. Diese Symptome stellten sich bei der Bearbeitung als Angstzuständeheraus. Meine unverstandene Angst im Zusammenhang mit Motorradfahrern wiesauf ein schweres, verstörendes Ereignis in meinem Leben hin. Das genaueHinschauen führte mich mitten in das traumatische Erleben meiner erstenExplantation.______________________________________________________________ 96


Die Bearbeitung meines Erlebens führte ich nach dem Konzept der heutigenExistenzanalyse durch. Mit Hilfe der Theorie der Existenzanalyse konnte ichmein ganzes Erleben nachvollziehen und ich lernte mich dadurch zu verstehen.Das ausführliche Niederschreiben des traumatischen Ereignisses ließ mich ersteinmal Worte für mein Erleben finden, es damit ordnen und auchnachzuvollziehen. Durch die ICH-Form (PEA 0 + PEA 1) bin ich mir sehr nahegekommen. Der Verarbeitungsprozess entwickelte häufig eine starkeEigendynamik und ich war ganz schnell wieder in das traumatische Erlebenverstrickt. Dies führte mich wie mit einem „Paternoster“ in ein heftigesNacherleben hinein. Heute würde ich dies Retraumatisierung nennen. Nachsolchen „Wiederbelebungen“ fand ich nur über lange Bearbeitungs- undSchreibpausen wieder zur notwendigen Selbstdistanzierung zurück. EinfachAufhören und Loslassen ging nicht, dazu hatte mich mein Trauma-Erleben zufest im Griff.Die Aufarbeitung des Traumas wäre mir sicher leichter gefallen, wenn ich michständig mit jemandem darüber hätte austauschen können und der es mit mirzusammen ausgehalten hätte. Bei meinen Versuchen, darüber zu reden, hatte ichoft das Gefühl, ich kann mein Anliegen nicht verständlich machen. Ich konntemich in Vielem selbst nicht verstehen. So habe ich es meist mit mir alleinausgemacht, was oft zu viel war.Erstaunlich fand ich die verschiedenen Phänomene, die beim Schreibenauftauchten und mich wiederholt zum Thema Sterben und seiner erweitertenethischen Reflexion hinführten.______________________________________________________________ 97


Im Rückblick auf meine peritraumatische Dissoziation, mit dem Phänomen out ofbody beschäftigt mich noch heute die Frage, warum habe ich mich gerade vonhinten gesehen? Ich beobachtete mich von hinten, aus einer leicht erhöhtenPosition heraus. Es hätte doch genauso von der Seite oder von vorne sein können.Ich frage mich, ob dieses Phänomen mit dem Erleben meiner micherschütternden tiefen Scham über mein Selbstbild zusammenhängen könnte. Indiesem Selbstbild stand ich mir zunächst wie in einem Spiegel gegenüber. Wennich mich in diesem Bild nicht erkennen und annehmen will, so geht dies nur, wennich hinter mir bin. Aus dieser Position ist das Erkennen (m)eines Gesichtes nichtmöglich.Was hat mir nun geholfen?Wichtig waren für mich zunächst das Verstehen des Vokabulars und dereinzelnen Begrifflichkeiten der Psychotraumatologie. Wie konnte man einTrauma und seine Phänomene beschreiben? Diese Phänomene waren insbesonderedas Geschehen bei einer peritraumatischen Dissoziation mit derDepersonalisation und Derealisation und sowie das Triggern intrusiven Erlebens.Über die Bearbeitung meines traumatischen Erlebens - aus der Sicht derExistenzanalyse - gab ich mir den Raum, mich intensiv dem Geschehenenzuzuwenden und zu einem tiefen Verstehen der Situation sowie meiner selbst zukommen. Dies führte zu einem starken Beziehungsschub zu mir und dasGeschehene hat einen Platz in meinen Leben bekommen. Mit der Selbstannahmegehört das Erlebte zu mir. Ich muss es nicht mehr von mir abdrängen. Es hatmich nicht mehr im Griff und ich kann es endlich loslassen.Zwischenzeitlich entstanden auch Ärger und Wut. Was hätte ich damalsgebraucht? Mitmenschliche Begleitung und Verständnis und einErfahrungsaustausch mit meinen Kollegen wären grundsätzlich möglich gewesen______________________________________________________________ 98


und hätten mir die Situation erleichtert. Dieses gehörte damals aber nicht zurrein naturwissenschaftlich ausgerichteten schulmedizinischen Welt.Ob es heutzutage Möglichkeiten der Krisenintervention für Beschäftigte imBereich der Intensivmedizin und Anästhesie gibt, steht außer meiner Kenntnis.Moldzio (2005) beschreibt sehr treffend„ …die Aufdeckung bzw. das Anschauen einer Situation kann zur Heilungverhelfen. Es ist dann vergleichbar damit, wie wenn jemand jahrelang einGespenst im Nacken sitzen hat, das immer Angst verursacht. Wenn man abereinmal beherzt zupackt und sich das Gespenst anschaut, verliert es seine Macht,weil es vom Menschen richtig eingeschätzt und integriert werden kann.“Abschließend möchte ich noch hinzufügen, dass ich trotz aller Konflikte zurTransplantationsmedizin stehe. Sie bringt zwar keine Heilung, aber sie kann dieLebensqualität eines Menschen erheblich verbessern. Gegebenenfalls würde ichsie selbst in Anspruch nehmen.______________________________________________________________ 99


LiteraturlisteBauer, J. (2005): Das Gedächtnis des Körpers. Wie Beziehungen und Lebensstileunsere Gene steuern. Piperverlag. München.Baureithel, U., Bergmann, A. (2001): Herzloser Tod – das Dilemma mit derOrganspende. Klett- Cotta Verlag. Stuttgart.Bukovski, R., Tusch, L. (2011): Leidende. Vortrag auf dem Herbstsymposion der<strong>GLE</strong>- Österreich in Gmunden. September 2011: “End-lich leben“, DVD AuditoriumNetzwerk, MüllheimFrankl, V. (1998): Ärztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie undExistenzanalyse. Fischer Verlag Taschenbuch, 7. Auflage. Frankfurt.Gruen, A. (1997): Der Verlust des Mitgefühls. Über die Politik derGleichgültigkeit. DTV. München.Gutjahr, I., Jung, M. (1997): Sterben auf Bestellung. Fakten zur Organentnahme.EMU- Verlag. Lahnstein.Hell, D. (2003, S. 187-212): Seelenhunger. Der fühlende Mensch und dieWissenschaften vom Leben. Hans Huber Verlag. Bern, Göttingen, Toronto,Seattle.Herman, J. (2010): Narben der Gewalt. Traumatische Erfahrungen verstehen undüberwinden. Jungfermann Verlag. Paderborn.Huber, M. (2009): Trauma und die Folgen. Trauma und TraumabehandlungTeil 1. Jungfermann Verlag. Paderborn. 4.Auflage.Hüther, G. (2005a): Die neurobiologische Verankerung traumatischerErfahrungen. In: Existenzanalyse 22/2/2005, S. 27-32.Hüther, G. (2005b): Biologie der Angst. Wie aus Stress Gefühle werden.Vandenhoeck & Ruprecht Verlag. Göttingen. 7. Auflage.Hüther, G. (2006): Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn.Vandenhoeck & Ruprecht Verlag. Göttingen. 6. Auflage______________________________________________________________ 100


Kolbe, Ch. (1996): „Authentisch leben“. Vortrag im ORF zur Sendung Focus imLandesstudio Vorarlberg, Jänner.Kolbe, Ch. (2001): Gesundheit als Fähigkeit zum Dialog. Zum Personenverständnisder Existenzanalyse und Logotherapie. In: Existenzanalyse 18/2+3/2001, S. 54-61Kolbe, Ch. (2005): Person und Persönlichkeit. Vom Wert der Differenzierung In:Begleittexte zur Vorlesung „Authentisch lehren“ Homepage 2005, S.1-14Kolbe, Ch. (2011/2012): Seminar: Psychodynamik 1-3 2011/2012 in Vorarlberg.Persönliche Mitschrift.Kühn, R, Raub, M., Titze, M. (1997): Scham – ein menschliches Gefühl.Westdeutscher Verlag. Opladen.Längle, A. (1993) Personale Existenzanalyse. In: Längle, A. (Hrsg.):Wertbegegnung. Phänomene und methodische Zugänge S. 133-160. <strong>GLE</strong>–Verlag.Wien.Längle, A. (1996) : Der Mensch auf der Suche nach Halt.In: Existenzanalyse 13/2/1996, S.4-12Längle, A. (1997): Die Angst als existentielles Phänomen. (Orginalarbeit). In:PPmP: Psychother. Psychosomat. med. Psychol. 47. S 227-233. Georg ThiemeVerlag. Stuttgart, New York.Längle, A. (1999): Das Selbst als Prädilektionsstelle von Dissoziation undSpaltung. In: Längle, A. (Hrsg.): Hysterie. Erweiterter Kongressbericht der <strong>GLE</strong>von 1999, S. 157-176, Fakultas Verlag, Wien, 2002.Längle, A. (2000): Die „Personale Existenzanalyse“ (PEA) als therapeutischesKonzept. In: Praxis der Personalen Existenzanalyse. Fakultasverlag, Wien, S.9-37Längle, A. (2003): Psychodynamik - die schützende Kraft der Seele. Verständnisund Therapie aus existenzanalytischer Sicht. S 111- 134. In: Längle, A. (Hrsg.):Emotion und Existenz. <strong>GLE</strong>-Verlag, Wien.Längle, A. (2005): Persönlichkeitsstörung und Traumagenese. In Existenzanalyse:Die verletze Person – Trauma und Persönlichkeit EA 22/2/ 2005, S. 4-18.______________________________________________________________ 101


Längle, A. (2006): Trauma und Sinn. Wider den Verlust der Menschenwürde. InExistenzanalyse 23/1/200, S. 4-11.Längle, A (2007): Trauma und Existenz. In: Psychotherapieforum 15 (Hrsg.):Springer Verlag, Wien. S.109-116.Längle, A. (2008, S.23-179): Existenzanalyse.In: Längle A, Holzhey-Kunz, A. (Hrsg.): Existenzanalyse und Daseinsanalyse.Fakultasverlag. Wien.Längle, A. (2009/2010): PEA- Seminare. Persönliche Mitschriften.St. Abgast/BatschunsLängle, S. (2003): Grundzüge eines Existenzanalytischen Verständnisses derAngst. In: Existenzanalyse 20/2/2003, S. 57-61Landesärztekammer Hessen (2006): Hippokratischer Eid /Genfer Gelöbnis.Artikel vom 18.5.06. Online im Internet:http://www4.laekh.de/front_content.php?idart=2085 (Zugriff am 1.3.2012)Lehrbuch zur Existenzanalyse (Logotherapie) . Grundlagen - Arbeitsmanuskript3. Auflage Juni 2005. Hrsg. Längle A.Lexikon der Existenzanalyse und Logotherapie. Ausgabe 2009Hrsg: Längle A.Mitschrift meiner Ausbildung bei A. Längle (2002): Psychopathologie der Angst.Definition: Schreck und EntsetzenMatsakis, A. (2004): Wie kann ich es nur überwinden? Ein Handbuch fürTraumaüberlebende. Jungfermann Verlag. Paderborn.Matuszak–Luss, K. (2010): „ Und es geht weiter…“. Skizze der Existentiellen EgoState Traumatherapie. In: Existenzanalyse 27/ 2/ 2010, S. 94-100Moldzio, A. (2005): Bericht über Traumatherapie zwischen Stabilisierung undAufdeckung. Verfasst von Anke Hinrichs für Psychiatrienetz. In: Eppendorfer,Zeitschrift für Psychiatrie Ausgabe 11/2005.Pfau, U. (1998): Scham und Depression. Ärztliche Anthropologie eines Affektes.Schattauer Verlag. Stuttgart, New York.______________________________________________________________ 102


Redaktion für Philosophie des Bibliographischen Instituts (1985): Schülerduden.Die Philosophie. Würde S: 467-468. Dudenverlag. Mannheim, Leipzig, Wien,Zürich.Reddemann, L. (2005): Trauma und Persönlichkeit. In: Existenzanalyse22/2/2005, S. 33-37.Reddemann, L., Dehner–Rau, C. (2007): Trauma. Folgen erkennen, überwinden undan ihnen wachsen. Thieme Verlagsgruppe Trias. Stuttgart.Sachsse, U. (1998): Modethema Trauma. Online im Internet: http://www.ulrichsachsse.de/entw4/archiv02.html(Zugriff am 8.6.11).Sachsse, U. (2011): Modethema Trauma Teil 2 + 3. Online im Internet:http://www.spiritofsurvival.opfernetz.de/sachsse2.htm undhttp://www.spiritofsurvival.opfernetz.de/sachsse3.htm (Zugriff am 8.6.2011).Schnyder, U. (2005): Trauma und posttraumatische Belastungsstörung. Theorieund Behandlung. In: Existenzanalyse 22/2/2005, S. 19-25.Südwestdeutscher Rundfunk (2012): Odysso Dilemma Organspende.Sendungsmanuskript vom 09.02.12. Lauff, Hartmann, Losemann (Verfasser)Online im Internet: http://www.swr.de/odysso/-/id=1046894/nid=1046894/did=9079648/1ccwi8d/index.html (Zugriff am12.02.12).Tutsch, L., Bukovski, R., Reddemann, L. (2010-2012): Traumatherapie.3.Lehrgang für existenzanalytische Traumatherapie. Weiterbildung der <strong>GLE</strong>.Handout und Persönliche Mitschrift.Tutsch, L. ,Donat H. (2009): Partisanen der Psyche. In: Existenzanalyse26/2/2009, S. 28-45.Wardetzki, B. (2010): Ohrfeige für die Seele. Deutscher Taschenbuch Verlag.München. 10. Auflage______________________________________________________________ 103


AbbildungsverzeichnisAbbildung 1: „Das existenzanalytische Basistheorem“ - die dialogischeBeziehung der Person zum Innen und Außen................................................................. 46Abbildung 2: Das Prozessmodell der PEA – die 4 Schritte ....................................... 58Abbildung 3: PEA mit allen vier GM im Augenblick meines Traumas ...................... 83______________________________________________________________ 104

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!