Wahlkampf Interview Ausbeutung - Biss
Wahlkampf Interview Ausbeutung - Biss
Wahlkampf Interview Ausbeutung - Biss
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
der Gela Bautenschutz<br />
Könnte ich vielleicht am Arm eines<br />
Liebsten gehen<br />
eines bestimmten<br />
damit das klar ist<br />
dass ich ein besetztes Gebiet bin<br />
Und dann wäre es auch egal<br />
in welcher Straße wir gingen<br />
es wäre immer unsere Straße<br />
Der Arm des Liebsten würde jeden Ort<br />
zu einem überregionalen Territorium<br />
machen<br />
Aber der Arm ist ja zu kurz<br />
der reicht ja nicht von Schwabing bis<br />
hierher<br />
Zwei Kids mit leeren Maßkrügen<br />
laufen mitten auf der Straße<br />
Richtung Theresienwiese<br />
Da ist ja noch viel Zeit bis dahin<br />
üben die schon<br />
Das Oktoberfest<br />
dieses unglaubliche –<br />
Bacchanal<br />
kann man das sagen<br />
ist Bacchus da mit zuständig<br />
oder gibt’s auch einen Biergott<br />
Diese staatlich erlaubte Orgie<br />
so richtig hat’s mich da nie hingezogen<br />
auch wenn ich die Todesschreie aus dem<br />
Achterloop<br />
bis in die Wohnung hören kann<br />
und vor der Eingangstür eine vergessene<br />
Hose liegt<br />
und ein ausgespiener Mageninhalt<br />
einen wie eine Honigspur<br />
da hinführen will<br />
Mein Onkel August<br />
mit dem musst ich immer auf die Wiesn<br />
gehen<br />
auch als er kaum mehr laufen konnte<br />
und die Taxis uns nicht mitgenommen<br />
haben<br />
weil sie dachten<br />
er sei betrunken<br />
dabei hat er nur eine Flasche Bier<br />
in einer Plastiktüte dabeigehabt<br />
gekauft hat er sich nie was<br />
Wenn die Rezession größer wird<br />
werden die Leute dann weniger auf<br />
dieser Wiese<br />
oder mehr<br />
weil sie dringend einen Rausch brauchen<br />
„Das Leben geht weiter<br />
als wär man nicht dabei gewesen“,<br />
sagt Karoline<br />
und es sieht so aus<br />
als würd sich alles<br />
immer wieder wiederholen<br />
im Kreis drehen<br />
wie so ein Kettenkarussell<br />
nur die Amplituden ändern sich<br />
„Kasimir und Karoline“<br />
ein Stück<br />
in dem immerzu das Wort „Stille“<br />
vorkommt<br />
89-mal<br />
und das auf dem lautesten Platz der Welt<br />
spielt<br />
– abgesehen von einem Schlachtfeld<br />
hat der Henrichs mal gesagt<br />
Kasimir ist abgebaut worden<br />
seinen Job hat er verloren<br />
und dann seine Karoline<br />
Und die beiden<br />
die mich da ansprechen<br />
an der Bushaltestelle Goetheplatz<br />
wegen einem Euro<br />
sind aus Zeitz bei Leipzig<br />
sagen<br />
sie suchen was zum Arbeiten<br />
alles würden sie machen<br />
sie sagt<br />
auch putzen<br />
und er sagt<br />
beim Oktoberfest brauchen sie Leute<br />
aber bis dahin<br />
und ich kriege Mitleid<br />
und wünschte<br />
ich könnt sie gleich anstellen<br />
aber dann seh ich die Tattoos auf seinem<br />
Hals<br />
und diesen Zipper an der Reißverschlussjacke<br />
das sind eiserne Kreuze<br />
Und bevor ich Abstand nehmen kann<br />
gehen sie schon<br />
mit meinem Euro gehen sie jetzt in den<br />
Tattooladen<br />
wahrscheinlich haben sie schon mehr Euros<br />
gesammelt<br />
gehen in den Körper-Shop<br />
mit einem Schaufenster<br />
in dem Drachen hängen<br />
Kirschen als Totenköpfe<br />
und ein Zertifikat<br />
dass es hier Abheilschmuck<br />
aus Titan gibt<br />
Abheilschmuck<br />
ja das brauchen die<br />
und wenn ich davon schon früher gehört<br />
hätte<br />
hätte ich das auch brauchen können<br />
an verschiedenen Stellen<br />
An der Ampel<br />
Stoßstange an Stoßstange<br />
die Autos aus Starnberg<br />
fast alle haben das Kennzeichen STA-R<br />
drauf<br />
welches Spiel haben die denn erfunden<br />
Einer reißt die Beifahrertür auf<br />
und steigt aus<br />
Da gehen wir mal schön essen<br />
brüllt er in das Auto<br />
Vielleicht könnt ich ja auch alles mal<br />
schön finden<br />
schön<br />
da wo ich gerade bin<br />
schön das<br />
was ich mache<br />
schön Hähnchen essen vielleicht<br />
in der Lindwurmstraße<br />
‚in dem dauerprovisorischen<br />
Nachkriegsbehelfsbau<br />
von dem aus man so einen guten Blick<br />
auf die Verkehrsunfälle hat‘<br />
aber was ich wirklich schön finde<br />
ist<br />
dass im Schlachthof<br />
inmitten der Rinderhälften<br />
die da ankommen<br />
sich gerade ein Minotaurus befreit hat<br />
der hier mal aufräumt<br />
und alles schön leerfegt<br />
Kerstin Specht wurde 1956 in Kronach<br />
geboren. Sie studierte an der LMU<br />
Germanistik und Evangelische Theologie<br />
sowie an der Hochschule für Fernsehen<br />
und Film München. Seit 1988 schreibt sie<br />
Theaterstücke. An den Münchner Kammerspielen<br />
waren in den vergangenen<br />
Jahren von ihr zu sehen: „Das goldene<br />
Kind“ und „Marieluise – Die Rückseite der<br />
Rechnungen“. Im Oktober 2009 wird ihr<br />
Stück „Der Zoo“ in Stuttgart uraufgeführt.<br />
Specht wurde vielfach ausgezeichnet,<br />
unter anderem mit dem Else-Lasker-Schüler-Preis.<br />
29